NIKOLAUS LENAUS LYRIK M. HAYEZ, INPRIMEUR DE L’ACADEMIE ROYALE DE BELGIQUE Rue de Louvain, 112, Bruxelles. NIKOLAUS LENAUS LYRIK IHRE GESCHICHTE, CHRONOLOGIE UND TEXTKRITIK VON HEINRICH BISCHOFF PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT LÜTTICH VON DER KÖNIGLICH BELGISCHEN AKADEMIE GEKRONTE PREISSCHRIFT ERSTER BAND Geschichte der Iyrischen Gedichte von N. Lenau BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG _ 1920 N DSOPAZEN { AN X > \ ($ UNIVERSITE \\ >| DE = U SA >99 a i | = | .) | a / ID BG Extrait des M&moires publi6s par l’Acad@mie royale de Belgique (Glasse des lettres, etc.). Colleetion in-8°. Deuxieme serie, t. XI. FRAU7, LE, j 4 Se =. or unversint SS DE = el nd = > VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde bereits am 1. November 1910 der Königlichen belgischen Akademie der Wissenschaften, Literatur und schönen Künste eingereicht, als Ergebnis einer von ihr gestellten Preisfrage. Die lange Verzögerung des Druckes, den nachher der Krieg unterbrach, erlaubte mir, dem Werke die inzwischen im Insel- Verlagerschienene Lenauausgabe von Professor D’ Ed. Castle zugrunde zu legen. Die Gedichte Lenaus sind nach der Seitenzahl im I. Bande dieser Ausgabe angeführt, die Briefe nach den Nummern im 3. bis 5. Bande. Sehr bedaure ich auf den Kommentar und die Textkritik, die der 6. Band dieser Ausgabe bringen soll, verzichten zu müssen. Das mir bekannt gewortlene Lenaumaterial ward mir nur zum teil zugänglich. Öfters klopfte ich an verschlossene Türen. Bei wohlwollenderem Entgegenkommen wurde mir auch manchmal keine unmittelbare Einsicht gewährt, vielfach war ich auf‘ die Mitteilungen freundlicher Berichterstatter ange- wiesen. Manche Unzulänglichkeit und Lücke des Werkes ist durch die ungünstigen und schwierigen Umstände, unter denen es zustande kam, bedingt. es Wenn ich mich mitunter veranlasst fühlte, die Ansichten meiner Vorgänger zu bestreiten, so möge der Leser hieraus nicht den Schluss zichen, dass ich die Bedeutung der bean- standeten Forschungen unterschätze. Am meisten verdanke ich eben denjenigen, die mich am häufigsten zum Widerspruch anregten. Von der Bezeichnung Lyrik schliesse ich nur die grösseren Iyrisch-epischen (Gedichte aus, nämlich Klara Hebert, Die Marionetten, Anna, Mischka und Zaska. Vielfältigen Dank habe ich auszusprechen für freundlichst gewährte Unterstützung. Gütige Erlaubnis zur Einsicht in Handschriften Lenaus erteilten mir der hochlöbliche Stadtrat der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, die Vorstände der k. k. Hofbibliothek und des Literarischen Vereins in Wien, Frau Baronin Anka von Löwenthal, geb. Freiin Maroieic, Frau Seraphine von Rainer, geb. Frein von Scharschmid, Frau Gabriele Tandler von Tanningen, Herr D’ Bruno Frankl, Ritter von Hochwart, Herr Baurat Joseph Schurz, Herr D’ Stefan Zweig in Wien, der Vorstand der Kgl. Landesbibliothek in Stuttgart, Frau Professor Anna Mack, Herr Staatsrat Gustav von Schwab, Herr Professor D’ H. von Stockmeyer, Direktor der Kgl. Hofbibliothek in Stuttgart, der Vorstand des Schiller- museums in. Marbach, Herr E. Hirsch, Antiqnar in München, Herr Lie. Hans Vollmer, Gymnasialoberlehrer in Hamburg. Dass sich mir manches Archiv erschlossen, verdanke ich der hohen Fürsprache Seiner Exzellenz des Grafen Eerembault de Dudzeele, Kgl. belgischen Gesandten in Wien und des Hern Julius von Federer, Kgl. belgischen Generalkonsuls in Stuttgart. Besonderer Dank gebührt Frau Baronin Anka von Löwenthal für gasfreundliche Aufnahme und monatelange Anvertrauung von Handschriftschätzen. Mitunter sehr mühevoller Vergleichung von Handschriften = NL. und Erstdrucken unterzogen sich Frau Elisabeth von Matsn- daira, Fräulein Marie Thuma in Wien, Frau Professor Anna Mack, Herr Professor von Stockmeyer, Herr Oberlandesgerichts- rat Emil Landau in Obercassel-Düsseldorf, Frau Geheimrat Auguste Pattberg in Wiesbaden, Herr W. Schindler, Herr Professor D’ R. Steig in Berlin, Herr Universitätsprofessor Gustav Heinrich, Generalsekretär der Unyarischen Akademie der Wissenschaften, und Herr Professor D’ R. Gragger in Ofen-Pest. Beiträge und Hilfe verschiedenster Art lieferten Herr Landesgerichtsrat D’ A. Böhm in Klosterneuburg, Frau von Matsudaira, Frau Baronin Therese von Harrasowsky, Herr D’ J. Schwarz, Herr D’ A. Fidgor in Wien, Herr Senats- präsident Paul von Weisser, Herr Geh. Hofrat Professor DO. Güntter, Herr Oberstudienrat DK. Steiff, Herr A. Zöppritz, die Gottasche Verlagsbuchhandlung in Stuttgart, Herr Stadtar- chiwar und Bibliothekar D’ H. Mack in Braunschweig, Herr D’ IH. Houben in Leipzig, von einmaligen gelegentlichen Auskünften anderer zu geschweigen. Beständige Mitarbeit in nie versagender Opferwilligkeit leistete mir Herr W. Schindler in Berlin und Herr D' J. Hartmann, Oberlehrer an der deutschen Schule in Lüttich, der die Druckberichtigung mit mir besorgte. In der freigebigsten Weise unterstützten mich die kgl. Landesbibliothek in Stuttgart und die Wiener Stadtbibliothek. Ferner halfen aus die Kaiserliche Familien-Fideikommiss- bibliothek in Wien, die Kyl. Hof- und Staatsbibliothek in München, die Kgl. Bibliothek in Berlin, die Kyl. Bibliothek in Brüssel. die Universitätsbibliotheken von Wien München, Strassburg, Heidelberg, Lüttich, die Stadtbibliotheken von Braunschweig und Nürnberg. Wertwolle Winke verdanke ich den Herren Mitgliedern der Kgl. belgischen Akademie, Universitätsprofessor G. Kurth, Aa Direktor des historischen belgischen Instituts in Rom, und J.-P. Waltzing, Professor an der Universität Lüttich, die sich die dankenswerte Mühe gaben, eingehenden, gründlichen Bericht über meine Arbeit zu erstatten. Der Herstellung des Werkes in einer [ranzösischen Druckerei sind einige Mängel des Druckes zuzuschreiben, deren auffallend- ster, meist erst in den Reindrucken zutage tretender, das öftere Ausfallen des Tremas auf das A, a und u ist. Der demnächst erscheinende zweite Band bringt die Chrono- logie und die Textkritik sowie das hier öfters erwähnte Tagebuch Max Löwenthals über Lenau. Lüttich, den 51 Juli 1914. Heinrich BISCHOFF. an ne ee u er INHALT Seite. I. — Jugendeindrücke. 4802480 . . 2... Ehe 1 Il. — Erste dichterische Tätigkeit. 1820-1841 ... . . 14 III. — In Pressburg. Oktober 1821-Oktober 189 . . . 20 IV. — In Ungarisch-Altenburg. Oktober 1832-März 1893. 30 V. — In Wien. Eine Pause im Berufsstudium. März-Okto- BEI. 0... 20. 36 VI. — Die künftige Geliebte. Ende 1822-Ende 1893 . . 45 VIl. — Berta Hauer. Erlebnis und Dichtung. 1. Teil. Herbst so Beabling 1826 . . a Wan ABBBABBS , . . „ee: 63 IX. — Bilder aus dem Leben. 1822-183. . . 2... 76 X. — Berta Hauer. Erlebnis und Dichtung. — 9, Teil. — « Die Werbune 2.4826... 1.0... A ae 88 XI. — Bruch mit Berta Hauer. 1897 . . . 2 2.2.2408 XII. — Klagelieder über Bertas Verlust. 1827-1898 . . . 110 XIII. — Nachklänge des Berta-Erlebnisses. 188 . . . . 1 XIV. — Gedichte allgemein-pessimistischen Inhalts. 1. Reihe. BR Re XV. -— Gedichte allgemein-pessimistischen Inhalts. 2. Reihe. Erstes Halbjahr 1830 . ... „au nn uns AVI. —Derunheilbare Rise . . : . 2. nA, ar XVII. — Objektive Dichtung. Zweites Halbjahr 1830, erstes | BADJAHK ASS... . .., 0. 2m Pl | XVII. — Nanette Wolf . . . . En SER XIX. — Ausfahrt. Ende Juni bis Ende Dezember 1831 . . 186 XX. — Lotte Gmelin. Das Erlebnis. 1. Teil. Ende August bis Ende Dezember 1831 . : . , 2... 00 XXI. — Lotte-Dichtungen. 1. Reihe. November und Dezem- ber 1831 NN tra XXI. — Lotte Gmelin. Das Erlebnis. 2. Teil. Januar bis Ende Mai 1832 ee Ra zul. XXI. — Lotte-Dichtungen. 2. Reihe. Januar 1832. XXIV. — Ein ungedruckter Brief Lenaus. XXV. — Letzte Lyrik für die erste ER Februar-März 1832 XXVI — Auf der Reise nach Amerika. Mai-Oktober 1832. XXVIL. — In Amerika. Oktober 1832 bis Mai 1833 XXVII. -- Die Heimreise. Mai-Juni 1833 ; N XXIX. — Lotte-Dichtungen. 3. Reihe. Juli-Dezember 1833 XXX. — Gelegentliches. September-Dezember 1833 . XXXI. — Lyrik in Verbindung mit dem Faust. 1834 . XXXI. — Erste Gedichte an er Löwenthal. Februar- April 1834 XXXII. — Sophiegedichte. 2. Reihe. Oktober PSP XXXIV. — Gelegenheitsdichtung des Jahres 1835. Januar- August. i ae XXXV. — Wandlung. des Jahres 1835. Oktober- Dezember . \ : XXXVI. — Lyrik der Savonarolazeit. 1. Teil. 1836 XXXVII. — Sophiegedichte. 3. Reihe. 1836. XXXVII. — Lyrik der Savonarolazeit. 2. Teil. l2 Halbjahr 1897. XXXIX. — Sophiegedichte. 4. Reihe. Juni-August 4837. XL. — Ausklänge der BEN September- Oktober 1837. XL1. — Sophiegedichte. 5. Reihe. Oktober 1837 . XLII. — Gestalten. 1838 . Se XLII. — Gelegenheitsgedichte des Jahres 1838. XLIV. — Naturgedichte des Jahres 1838 . XLV. — Sophiegedichte. 6. Reihe. 1838. XLVI. — Literarisches. 1838. 254 2370 284 306 326 343 368 382 398 414 429 A4T 460 414 483 503 513 522 535 547 564 AR Seite. REF.» Polemisches 1838. . . . 579 XLVIII. — Neue Wandlung. Die Albigenser. 1839 . . . . 598 KLIX. — Baroline’Unger. 1839. . . . nel. 064 L. — Aus der Albigenserzeit. 4. Teil. 1839. . . 2.69 LI. — Sophiegedichte. 7. Reihe. 1839-1840 . . . . ..638 LIT — Aus der Albigenserzeit. 2. Teil. 1840. . . . . 645 LIIf. — Aus der Albigenserzeit. 3. Teil. 184 . . . . 663 LIV. — Aus der Albigenserzeit. 4. Teil. 182 . . . 2.63 LV. — Letzte Gedichte an Sophie Löwenthal. 1841-4844 . 695 LVI. — Nachklänge der Albigenser. 143 . . 2 2 2.2706 LVII. — Waldlieder und gleichzeitige Gedichte, Ende 1843. 719 LVIII. — Das « vierschrötige » Jahr. 144 . % . ...73 LIX. — Marie Behrends. . . . . ER D E En. m emsammienhruch ... . .... oe... tags NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN . eV a N ET a WENN nn. ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER ÜBERSCHRIFTEN DER GEDICHTE . . 809 VERZEICHNIS abgekürzt angeführter Werke. Auzxıs (W.), Wiener Bilder. Leipzig, Brockhaus, 1833, AueERBAcH (B.), Der letzte Sommer Lenaus. Erinnerung und Betrachtung. In Deutsches Museum, hrsg. von R. Prutz. Leipzig, Hinrichs, 1851 (I, 48-61). Mitunter nach dem Abdruck bei Schurz angeführt. BAADER (Franz von), Sämtliche Werke, hrsg. durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Leipzig, Bethmann, 1851-1860. 46. Bde, BAUERNFELDS ausgewählte Werke, hrsg. von D' E. Horner. Leipzig, Max Hesses Verlag, o.J. 4 Bde. Beck (K.), Aus meinem Tagebuche. Mit Nikolaus Lenau. Pester Lloyd, 1863, Nr 232, 244, 250, 256. CastLe (E.), Nikolaus Lenau. Zur Jahrhunderfeier seiner Geburt. Leipzig, M. Hesse, 1902. Ersst (A.-W.), Lenaus Frauengestalten. Stuttgart, C. Krabbe, 1909. FEUCHTERSLEBENS (Ernst Frhn von) ausgewählte Werke, hrsg. von R. 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Hartmann (Moritz), Gesammelte Werke. Stuttgart, Cotta, 1874. 10 Bde. Heckı (G.-W.-Fa.), Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Berlin, Duncker und Humblot, 1832- 1840. 18 Bde. HEusEnsTanM (Tn. Graf von), Gesammelte Werke. Wien und Leipzig, W. Braumüller, 1897-1900. 6 Bde. Hörrv, Gedichte. Universal-Bibliothek, Nr. 439. Leipzig, Reclam jun. Jacosı (J -G.), Sämtliche Werke. Zurich, Orell, Füssli und C'®, 1819-1822. 8 Bde. KERNERS BRIEFWECHSEL, Justinus Kerners Briefwechsel mit seinen Freun- den, hrsg. von Th. Kerner und E. Müller. Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt, 1897. 2 Bde. (Die Briefe sind nach den Nummern angeführt.) Kerner (Tn.), Das Kernerhaus und seine Gäste. Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt, 1894. Kropstock (F.-G.), Oden. Mit Unterstützung des Klopstockvereins zu Quedlinburg, hrsg. von Fr. Muncker und Jaro Pawel. Stuttgart, Göschen, 1889. 2 Bde. Kuürre (K.), Gustav Schwab, Kleine poetische Schriften ausgewählt und herausgegeben. Freiburg i. Br. und Tübingen, J.-G.-B. Mohr, 1882. Kocu (M.), Lenaus Werke. Berlin und Stuttgart, W. Spemann, 0.3. % Bde. Laupes (Heinrich) gesammelte Werke unter Mitwirkung von A. Hänel hrsg. vonH.H.Houben. Leipzig, M. Hesses Verlag, 1908-1909. 50 Bde. Lenau (N.), Sämtliche Werke und Briefe in 6 Bänden, hrsg. von Eduard Castle. Im Insel-Verlag, Leipzig, 4910-1913. (Bisher erschienen 5 Bände.) Lesau und Löwentuar, Lenau und die Familie Löwenthal. Briefe, Gespräche, Gedichte und Entwürfe. Ausgabe, Einleitung und Anmerkungen von Prof. Dr. Ed. Castle. Leipzig, M. Hesse, 1906. 2 Bde. — \V — MARTENSEN (H.-L.), Aus meinem Leben. Deutsch von A. Michelsen. Heidelberg, Reuther, 1883. 3 Bde. Mayer ıK.), Nikolaus Lenaus Briefe an einen Freund, hrsg. mit Erinne- “rungen an den Verstorbenen. Stuttgart, C. Mäcken, 1853. Inzw. Ludwig Uhland, seine Freunde und Zeitgenossen. Stuttgart, A. Krabbe, 1867. 2 Bde. Ipen, Gedichte. Stuttgart, Cotta, 1864, 3. Auflage MuLFINGER (G.-A.), Lenau in Amerika. In Americana-Germanica, a quaterly devoted to the comparative study of the relations of Ger- many and America. I, 2, 3 (S. 7-61, 1-17). MunckER-PAWEL, s. KLopsrock. NIENDORF (EnnA), Lenau in Schwaben. Aus dem letzten Jahrzehnt seines Lebens. Leipzig, Herbig, 1853. Paory (Betty), Gedichte. Auswahl und Nachlese. Stuttgart, Cotta, 1895. PhiLoLosısche BEITRÄGE zur Geschichte der ungarisch deutschen Bezie- hungen. Festschrift für Prof. &. Heinrich. — Philologiai Dolgazatok. A Magyar-Neömet Erintkezösekröl Szerkesztette Gragger Robert. Kiadja Hornyänsky Viktor. Budapest, 1912. Rannmer/S.), Nik. Lenau als Mensch und Dichter. Ein Beitrag zur Sexual- pathologie. Berlin, K. Curtius, o. J. Reıneck {E.), Lenaus Erkranken Aufzeichnungen von Em. von Rein- beck. S. 201-233 des unten angeführten Buches von A. Schlossar. Revnaun (L.), N. Lenau, poete Iyrique. Paris, Societe nouvelle de librairie et d’edition, 1905. Ipem, These auxiliaire. Recherches sur la date des po6sies Iyriques de Lenau. These auxilisire pour l’obtention du doctorat &s leitres. Paris, Societe de librairie et d’edition, 190%. Rörtinger (H.), Lenaus Berta. Ein Beitrag zur Lebensgeschichte des Dichters. In Euphorion, Zeitschrift für Literaturgeschichte, hrsg. von A. Sauer, VI (1899), S. 752-761. Roustan (L.), Lenau et son temps. Paris, Cerf, 1898. SADGER (J.), Aus dem Liebesleben N. Lenaus (Schriften zur angewandten Seelenkunde, hrsg. von Prof. D Sigm. Freud, 6. Heft. Leipzig und Wien, Fr. Deuticke, 1909. — WI — SCHAEFFER (C.), Lenaus Werke. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe. Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut, o. J. 2 Bde. Scuuossar (A.), Nikolaus Lenaus Briefe-an Emilie von Reinbeck und deren Gatten Georg von Reinbeck, nebst Emilie von Reinbecks Auf- zeichnungen über Lenaus Erkrankung. Stuttgart, A. Bonz, 18%. SchußerT (G.-H.), Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, Arnoldische Buchhandlung, 1808. Ipen, Zweite neubearbeitete und wohlfeilere Auflage. Ebenda, 1818. Ipen, Die Geschichte der Seele. Stuttgart und Tübingen. Cotta, 1830. Schurz (A.-X.), Lenaus Leben. Grossenteils aus des Dichters eigenen Briefen von seinem Schwestermanne. Stuttgart und Augsburg, Cotta, 1855. 2 Bde. Seips (Jon.-GaBrieL) ausgewählte Werke, hrsg. von Dr. W. von Wurz- bach. Leipzig, Max Hesses Verlag, o. J. 4 Bde. Seiuıtz (J.) (le. JeıtteLes), Die Poesie und die Poeten in Österreich im Jahre 1836. Grimma, Gebhardt, 1837. 2 Bde. Tacepuch von Max LöwentHaL, Ungedruckte Aufzeichnungen von M. Löwenthal, reichend vom 17. September 1837 bis 1. Novem- ber 1838. VLEUTEN (Dr. C.-F. von), N. Lenaus Geisteskrankheit. In der Zeitschrift Die Kultur (Köln), I, 145-158. Vocı (J.-N.), Lyrische Gedichte, Balladen und Erzählungen. Wien, C. Konegen, 1902. Weiter (Dr. K.), Gutachten über Lenaus Krankheit, veröffentlicht von E. Castle in seiner Besprechung des Werkes von L. Roustan. 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August 1802, war sie in das elter- liche Haus zu Csatäd als Gast eingezogen, er verdankte sein Dasein einem ausschweifenden Vater und einer, wie er selbst ' sagt, « überaus leidenschaftlichen » Mutter (1), Menschen, die ihr Leben ganz auf die Leidenschaft gestellt hatten, sein kei- mendes Leben war den furchtbarsten Stürmen eines gänzlich zerrütteten Eheverhältnisses ausgesetzt, ein dauerndes Marty- rium litt seine Mutter während sie ihn zum Leben austrug. Ich vermag nicht, wie Rahmer (S. 8 f.), eine erlösende Tat, eine endgültige Beseitigung des « schwerwiegendsten Irrtums » der älteren Lenaubiographie in der Behauptung zu sehen, dass Lenau von jeder erblichen Belastung frei (?), dass eine ange- borene Melancholie an dem Jüngling auch nicht im mindesten zu bemerken sei (?). Selbstzeugnisse Lenaus bekunden, dass er von « früher Jugend an "höchst unglücklich ohne alle Ursache sein konnte », dass er ein « phantastischer, ernster, melan- cholischer Knabe » war, der stundenlang schweigend am Rande eines Teiches liegen und dem Rufe der ‚Unken horchen konnte, der bereits sechsjährig halbe Tage lang darüber weinte, dass er 1) Lenau und Löwenthal, S. 461. () () DrK. WEILER, Euphorion VI, 79% f. (%) CASTLE, S. 34; REYNaup, S. 180; Roustan, S. 16. 2 JUGENDEINDRUCKE. sterben müsse (!). Zum Jüngling herangereilt, erwachte in ihın die Schwermut als bewusste Naturveranlagung, während der einsamen Spaziergänge im Orzigarten in Pest [*). Lenaus erste Kindheit ward überschattet von den düsteren Zuständen und leidenschaftlichen Auftritten im Elternhause ; das Kind entbehrte völlig des schützenden Geistes eines sittlich gesunden Familienlebens. Schlimmer als die bekannte Tatsache, dass eine derbe Maulschelle die Haupterinnerung an seinen Vater war, ist die krankhaft gesteigerte innere Erregung und Empörung über diese einmalige väterliche Züchtigung. Er "konnte sie dem Vater nie vergessen und empörte sich noch darüber im Jahre 1838, als er Max Löwenthal davon erzählte (*). Dabei gesteht er, dass er nicht wie andere Kinder nach Anfällen des Sehmerzes und Zornes wieder ruhig und liebreich sein konnte (*). Es war eine Frucht der mütterlichen Verwöhnung und Verziehung, die im frühreifen Kinde, dem « Meisterstücke der Natur », wie die Mutter es nannte, ein bedenkliches Gross- gefühl entwickelte. Äusserlich litt die Erziehung auch unter der bedrängten materiellen Lage und den steten Aufregungen der Umzüge von Csatäd nach Bogschan (1803), nach Altofen (1803-1806), nach Eisenach (1806), nach Budapest (1806-1816). Ebenso wenig wie der am 23. April 1807 verstorbene Vater kommt der spätere Stiefvater, der willensschwache und kun- denlose Arzt D' Vogel, für die Erziehung Lenaus in Betracht. Sehr geringschätzig äussert sich Lenau über ihn in einem Gespräche mit Max Löwenthal (°). Neue Beiträge zur Kindheitsgeschichte Lenaus enthält das im Anhang von mir mitgeteilte, vom 17. September 1837 bis zum 4. November 1838 reichende Tagebuch Max Löwenthals. (1) Lenau und Löwenthal, S. 96, 161, 231, 290. (2) Ebd., S. 367. (5) S. AnHang, II. Band dieses Werkes, Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 76. (4) Ebd., Nr 76. (8) Ebd., Nr 55. JUGENDEINDRUCKE. 5; Lenau erzählte seinem Freunde von seiner Freude am Holz- spalten (Nr 42), die ihm das Bötticherhandwerk sympathisch machte, von seinen Plänen ein Geistlicher (Nr 42) oder ein Forstmann (Nr 69) zu werden, von einem hübschen Dienst- mädchen, das den Vierzehnjährigen verführen wollte (Nr 75), von den verliebten Abenteuern seines Vaters (Nr 72). Seine tiefe kindliche Frömmigkeit ist bekannt und genügsam hervorgehoben. Zu dieser gesellte sich eine überaus grosse Gewissenhaftigkeit und Schamhaftigkeit, von denen wir aus dem Tagebuche Löwen- thals einen recht charakteristischen Zug erfahren (Nr 42), der schon für sich allein hinreicht, um den Vorwurf jugendlicher Verderbtheit zu entkräften, den manche sich nicht gescheut haben, ohne jedweden Grund gegen Lenau zu erheben (t). Die ersten, « lebendigsten und tiefsten » Eindrücke gab dem sich selbst überlassenen Knaben nach seinem eigenen Geständ- nis (2) die Natur, die er in abwechselungsreicher Szenerie schauen, und in der er sich nach Herzenslust herumtummeln (1) Die Quelle aller Verdächtigungen dieser Art ist ein vielleicht unbedachter, übrigens ganz allgemein gehaltener Satz von L. A. Frankl : « Jene Triebe in der physischen Sphäre erwachen, denen die Knaben verderblich zu huldigen pflegen » (S. 108). Wenn diese Mitteilung überhaupt auf etwas beruhte, so könnte es nur auf Berichten sein, die Lenau selbst dem viel Jüngeren.Frankl, den er erst in den dreis- siger Jahren kennen lernte, gemacht haben sollte. Der Satz Frankls fiel auf frucht- baren Boden. Welche Ausbeutung er erfuhr, zeigt unter manchen anderen Beispielen das von L. Reynaud gegebene : « Il (Frankl) nous livre sur la jeunesse de son ami des confidences qu’il vaut mienx ne pas repeter ici » (S. 94). Diesbezügliche Andeutungen häuften sich in der Lenauliteratur, genährt durch neu aufgefundene Zeugnisse über Lenaus angebliche pathologische Grausamkeit. Schliesslich kam es so weit, dass die ärztliche Wissenschaft, die sich auf das Lenau-Problem warf in der Meinung, sie allein sei berechtigt an die Lösung heranzugehen, den jungen Lenau auf Grund der neuesten Ergebnisse der Sexualpathologie und « Geschlechts- symbolik »als ein Vorbild für fast sämtliche krankhafte Verirrungen des Geschlechts- sinnes hinstellte. Am weitesten verirrte sich auf diesem Wege der Wiener Nerven- arzt J. SADGER, Aus dem Liebesleben Nikolaus Lenaus, in Schriften zur angewandten Seelenkunde, herausgegeben von Prof. Dr $ Freup, VI. Heft. Leipzig und Wien, Fr. Deuticke, 1909. (2) Lenau und Löwenthal, S. 70. 4 JUGENDEINDRUCKE. konnte. Eine seltene Frühreife verrät sein Zeugnis, wie er als dreijähriger Knabe einmal im Garten an einer Spalierwand voll schöner, reifer Feigen stehend, die darum hersummenden Fliegen und den eben krähenden Hahn beobachtete ('). Aus den Mitteilungen von Schurz (I, 16) geht genügsam hervor, wie mächtig die Zeremonien des katholischen Kultus seine jugendliche Phantasie anregten. Zu Hause wirkte der kirchliche Zauber fort und durchdrang tief das ganze Knabenleben. Mit wehmütiger Neigung hat Lenau sein ganzes Leben lang an den beseligenden Glauben seiner Kindheit zurückgedacht. Frühzeitig gesellt sich zur Natur und Religion die Kunst; dem neunjährigen Niki (Nikolaus) lässt die Mutter Unterricht im Geigen- und Gitarrespiel geben. Den ersten regelmässigen Unterricht erhielt er im Piaristen- gymnasium zu Pest (1812-1816). Hier ward die Grundlage zu der tüchtigen klassischen Bildung Lenaus gelegt. Das Haupt- unterrichtsfach war die lateinische Sprache und Literatur, die bevorzugten Dichter Cicero, Horaz und Seneka. Die Erziehung war eine streng religiöse, ja klösterliche, die eine Stärkung und eine Vertiefung der religiösen Gefühle des Knaben erzielte, jedoch nicht ausreichte, um die ererbte wilde Naturanlage ganz zu bändigen. Aus dem Tagebuche von M. Löwenthal kann ich das einzige Selbstzeugnis Lenans aus dieser Zeit beibringen. Einer seiner Lehrer, ein Priester, will ihn, weil er seine Lektion nicht gekonnt, vor der ganzen Schule züchtigen lassen. Auf seine leidenschaftlich- heftige Bitte um Schonung wird ihm die Strafe erlassen. Für den Fall, dass sie doch vollzogen wor- den wäre, hatte er sich fest vorgenommen, das Kloster anzu- zünden (Nr 76). Die ersten schriftlichen Zeugnisse des jungen Lenau stammen aus der Zeit des Beginns seines Gymnasialunterrichtes. Es sind Glückwunschbriefe an die Mutter (1-2) (?), die den Schreiber im (4) Lenau und Löwenthal, S. 70. (2) Werke Ill, Nr 1 und 2. JUGENDEINDRUCKE. > Kampfe mit den Schwierigkeiten der deutschen Sprachlehre zeigen. Nicht über die Fehler darf man sich jedoch wundern, sondern vielmehr über die ohne regelmässigen Unterricht erwor- bene Kenntnis der deutschen Sprache. Während dieser Stu- dienzeit, in der der junge Lenau sich durch eifriges Lernen auszeichnete, schloss er seine ersten Freundschaften. Wichtiger als die zum stillen, blonden Weberssohn Nikolaus Klauzäl, ward die zum älteren, milden, weichen, sentimentalen Joseph Kövesdy, an dem der Knabe zugleich einen « tüchtigen Repe- tenten, einen guten Leiter und einen innigen Freund » (t) fand. Einen Lichtpunkt in Lenaus Jugendzeit bedeutet der Aufent- halt im « rebenumrankten » Tokay, vom Herbst 1816 bis zum Herbst 1817, wohin der Stiefvater zog, um die ihm in Pest mangelnde Kundschaft zu suchen. « Es war eine herrliche, romantische Zeit, die des ersten Erwachens des höheren Bewusstseins » (?). Es war eine Zeit ungebundener Jugendlust, die alle Poesie des Jugendlebens ungetrübt geniessen konnte. Die strenge Zucht des gemeinsamen, öffentlichen Unterrichts wich der Freiheit eines häuslichen, privaten, der von dem geliebten Lehrer und Kameraden Kövesdy erteilt wurde. Herr- liche Genüsse bot dem so empfänglichen, jugendlichen Gemüte die schöne, üppige Natur im ersten freien Lenze des Lebens. Hier lernte der Knabe das poetische Ungarn der Rosen und Nachtigallen, des Weines und der schönen Mädcehen, der Husaren und Zigeuner kennen, wie sich ihm auf der Hinreise das Bild der weiten Ebenen des Alföld, der unendlichen Puszta, auf immer eingeprägt hatte. Der Zauber erster Liebesregung kam hinzu, um diesen Tokayer Aufenthalt zur paradiesischen Idylle im Leben des Dichters auszustalten. Eine junge Freundin seiner Schwester, wie diese Therese genannt, flösste ihm die erste Neigung ein. Kein Wunder, dass die Erinnerung an jene (4) ScHurz, I, 17. (2) So äusserte sich Lenau zu Max l.öwenthal (Lenau und Löwenthal, S. 10). 6 JUGENDEINDRUCKE. Zeit und an jenes Land « unversiegbar in seinem Munde wie in seinem L.iede lebte » (!). Frühzeitig trat dem jungen Lenau in Tokay die Skepsis entgegen. Ein griechisch-niehtunierter Pope namens Rudy, « ein Freigeist und Verächter aller positiven Religionen », wie Lenau selbst ihn nennt, gab sich viel mit ihm ab, ging häufig mit ihm spazieren und besprach sich mit ihm über Gott und religiöse Gegenstände (?). Mindestens bewirkte dieser Einfluss, sowie das lustige Leben in Tokay überhaupt, eine Abkühlung der warmen religiösen Gefühle des Knaben. Zum zweiten Male entrollten sich seinem Auge die damals so malerischen und romantischen Pusztengebiete bei seiner Rückkehr nach Pest im Herbste 1817. Der weiteren Ausbil- dung des Sohnes brachte die Mutter das Opfer, mit ihren fünf Kindern erster und zweiter Ehe .den Gatten zu verlassen und das Land der Rosen, des Weines und der Nachtigallen gegen einen öden Vorort von Budapest einzutauschen, wo ihre bedrängte Lage sie zwang, einen ärmliehen Schlupfwinkel, eine ehema- lige Leichenkammer, als Wohnung zu beziehen. Zu schroff war der Gegensatz zu den sonnigen Tagen von Tokay. Die schauerlich romantische Lage inmitten eines ehemaligen Fried- hofes, die harten Entbehrungen warfen tiefe Schatten auf das jugendliche Gemüt, das von Schwermut befangen ward. « Die melancholische Atmosphäre des einstigen Kirchhofes, auf wel- chem der Knabe spielte und aufwuchs, blieb in zauberischer Verklärung, blumenduftig und mondbeglänzt über der ganzen Poesie unseres Dichters gebreitet » (?). Hier pochte auch der Zweifel zum zweiten Male an sein Herz. Ein Onkel, Sebastian Mihits, ein alter Rittmeister, bei dem der Neffe öfters übernachtete, machte den Versuch ihn aufzuklären. Er las ihm Voltaires Briefwechsel mit Friedrich dem Grossen (4) Grün, S. 17. (2) Lenau und Löwenthal, S. 70. () GRÜN, S. 15. JUGENDEINDRUCKE. 7 vor und weckte ihn in der Nacht mit der wiederholten Beteue- rung, dass es keinen Gott gebe (!). Trotz dieser niederdrückenden Verhältnisse bewährte sich Lenau als ein guter Schüler. Am 9. Juni 1818 erwarb er sich ein glänzendes Abiturientenzeugnis am Gymnasium der Piaristen (?). Als er bei der Prüfung Stellen aus Horaz und Ovid mit besonderem Feuer vortrug, prophezeite ihm der Direktor, Pater Glycerius Aigel, eine Zukunft als Dichter (?). Sein Zeugnis sendet er seinem Oheim mütter- licherseits, Franz Maigraber, in einem Briefe, der uns die dritte schriftliche Urkunde von ihm bringt (5). Der Brief, der die « jetzige, missliche Lage » der Familie erwähnt, ist auf Geheiss der Mutter geschrieben, mit der Absicht, den Onkel für die Zukunft seines Neffen zu interessieren, für welche Therese Vogel zu sorgen nicht mehr im stande war. Den Bitten, ja sogar den Drohungen der vermögenden Gross- eltern väterlicherseits, die die Sorge für die Ausbildung des Enkels hartnäckig für sich beanspruchten, hatte Therese Vogel bisher heftig widerstanden, weil sie sich nicht in eine Tren- nung vom heissgeliebten Sohne fügen konnte. Die bittere Not zwingt sie jetzt dazu. Die Auslieferung ihres Lieblings an die Grosseltern erfolgt am 8. September 1818. Zwei Briefe Lenaus aus dem September an die Mutter (4-5) berühren diese für beide Teile so harte Trennung, die um so schmerzlicher war, weil man der Mutter zugleich die Tochter Leni abgenommen und dem Sohne den Abbruch mit der Ver- gangenheit auferlegte. Die herbe Strenge der Grossmutter, die deutlich genug aus ihren Zügen herausschaut (*), ihr Bestreben, (4) E. NienDoRF, $. 130. In ähnlicher Weise werden die ersten Zweifel beim Jungen Grillparzer erweckt, und die Wirkung scheint eine viel unmittelbarere und niederschmetternde gewesen zu sein als beim Jungen Lenau. GRILLPARZER, Tage- buchblätter, Werke XVI, 45. (2) Werke III, 5. (®) Lenau und Löwenthal, S. 94. (4) Ihr Bild bei Casııe, S. 98. Ss JUGENDEINDRUCKE. alle Fäden abzuschneiden, die den Jüngling mit der Vergangenheit verknüpften, ihr Versuch, ihn der eigenen Mutter zu entfremden, die altmodische, förmlich steife und herrische Hausordnung in Stockerau schlossen jede Erquicklichkeit im Verhältnis zu den Grosseltern aus. Eifersüchtig überwacht Therese Vogel jeden Schritt der Eltern ihres ersten Mannes und jede seelische Regung ihres Niki. Erstaunlich ist die klare Einsicht des Sechszehn- jährigen in seine kritische Lage und der Ton der Ueberlegenheit, den er bald in seinen Briefen anschlägt. Andauernd muss er die sich stets leidenschaftlich sträubende Mutter ermahnen, sich in den Willen der Grosseltern zu fügen : so wird sie ihn nicht nur von ihrer Liebe, sondern auch von ihrer vernünftigen Den- kungsart überzeugen und ihn noch glauben machen, dass er eine kluge und weise Mutter habe. Nächst den Versicherungen innigster Liebe bringt ein Brief aus dem September auch Zeug- nisse kindlicher Frömmigkeit : « Stets will ich den himmlische Wonne zum Nachgefühle bringenden, aber auch steilen Pfad der Tugend gehen und mit meinem Willen keinen Finger breit von Gottes Wegen ablenken » (5). Alle Beteuerungen von des Sohnes ungeschwächter, innigster Liebe, alle Ermahnungen, die kurze Zeit der Prüfung gelassen zu bestehen, helfen nichts. Therese Vogel ermüdet nicht in Klagen über ihr hartes Los, ein verzweifelter Ausbruch folgt dem anderen, jeder ihrer Briefe musste das Herz des Jünglings mit Trauer und Schwermut erfüllen. Tokay, wohin sie wieder zurückgekehrt, ist ihr zu fern von Stockerau und Wien. Wieder verlässt sie ihren Gatten und zieht mit den Kindern nach Pressburg, um ihrem Niki näher zu sein. Nicht im Oktober 1819, wie es in fast allen Lenaubiogra- phien heisst, sondern bereits im Oktober 1818 (‘) begann Lenau den dreijährigen auf das akademische Fachstudium vor- \!) Das von Schurz (1, 29) falsch angegebene Datum hat K. GLossy aus einem im Universitätsarchiv bewahrten Katalog richtig gestellt [Lenau in Wien (NEUE FREIE Presse, Nr 43640)]. JUGENDEINDP.UCKE. 9 bereitenden Lehrgang der Philosophie an der Universität in Wien. Er brauchte das Doppelte der notwendigen Zeit, um dieses Studium abzuschliessen, und erfüllte als Student der Universität nicht die Hoffnungen, die er als Gymnasiast erweckt hatte. Es erging ihm wohl wie Grillparzer, der seine Gering- schätzung der Professoren auf die von ihnen vorgetragenen Wissenschaften übertrug ('). « Ein ehemaliger, kaum erträglich metamorphosierter Pferde- stall der P. P. Jesuiten war ’s, wo wir die philosophischen Kollegien hörten », schreibt der gleichzeitig mit Lenau studie- rende Bauernfeld und fügt hinzu, dass von den Professoren wenig zu sagen sei, dass die meisten Pedanten waren (?). Ueber (!) GRILLPARZER, Selbstbiographie, Werke XII, 23. (2) « So der Professor der Weltgeschichte, ein gebrechliches kleines Männchen, mit einem schwachen quiekenden Stimmchen und höchst monotonem, wie gedehnt singendem Vortrage. Zweihundert angehende « Philosophen » strampften gewöhn- lich mit vierhundert Beinen, sobald der Mann den Lehrstall betrat, und liessen ihn mit Mühe zu Worte kommen. Doch hatten wir das Trampeln bald satt, zogen es vor, wegzubleiben, — so las der Mann vor leeren Bänken. — Die Physik tradierte ein Slovake, ein langer, grobkörniger, wildaussehender Mann mit einem Struwel- peterkopf. Seine Vorträge in ungarischem Küchenlatein erheiterten uns ungemein, noch mehr die Experimente, die ihm zu unserem höchsten Entzücken beinahe immer misslangen. Unseren Mithörern, den polnischen und böhmischen Klerikern, welche die ersten Bänke einnahmen, erwies der Mann grosse Deferenz, redete sie nur immer mit « domini reverendi » an. Kein Zweifel, nicht sein mehr als geringes Wissen, sondern einzig und allein sein kirchlich-pfäffisches Wesen hatte den Zyniker als persona grata (dem « System » nämlich) auf die Lehrkanzel gehoben. — Der Philologe Anton Stein war ein stämmiger, kräftiger, alter Mann, nachlässig gekleidet, mit offener haariger Brust und struppigem Bart. Dieser philologische Diogenes besass grosses Wissen, nur verstand er es durehaus nicht, sich fruchtbar mitzuteilen, oder die Jugend für sich selbst und sein Fach zu interessieren, geschweige zu begeistern. Mit der Erklärung einer einzigen horazischen Ode brachte er wohl an die acht Tage zu; dabei kam er vom Hundertsten aufs Tausendste, schimpfte über die Jugend, übers Billardspielen, übers Biertrinken, wie über das dem Verfasser des « amor Kapnophilos » besonders verhasste Tabakrauchen. — Reine Mathematik und Geometrie trug der schon damals tüchtige Ettingshausen vor, ohne ausser den Vorlesungen weiter mit uns in Berührung zu kommen, — Nur zwei von den Professoren wirkten geistig auf uns junge Leute : Vincenz Weindridt und Leopold Rembold. » (k. von BAUERNFELD, Aus Alt- und Neu Wien, Werke IV, 8 f. — Ueber Anton Stein, vgl. auch GRILLPARZER, Selbstbiographie, Werke XII, 27.) 10 JUGENDEINDRUCKE. Lenaus Studium erfahren wir nichts, ebensowenig etwas über den Einfluss der Lehrer auf ihn. Ein Selbstzeugnis meldet, dass er beim Beginn des Studiums anfing, Billard zu spielen, und eine grosse Leidenschaft für dieses Spiel fasste. Das Taschengeld der Grosseltern, sieben Gulden monatlich, vergeudete er für Torheiten allerlei Art. So begegnete er einmal Husaren, begann mit ihnen ungarisch zu reden und schenkte ihnen sein Taschen- geld zum Vertrinken (*). Innere Erlebnisse dieses ersten Jahres der Philosophie waren eine zweite Neigung des leichtentzündlichen Jünglings zu einer gewissen Mina, dem Hausfräulein des Hofsekretärs, bei dem die Grosseltern den Enkel in Kost und Wohnung getan, und der ihn tief schmerzende frühe Tod seines Lehrers und Freundes Kövesdy. Zwei Briefe an die Mutter sind uns aus dem Jahre 1819 erhalten. Bange Besorgnis äussert Lenan in dem einen bezüg- lich eines Gerüchtes vom Tode Kövesdys, der die « Grundsätze der Tugend mit unausgleichbaren Furchen in mein Herz gegraben, dem ich es allein Dank weiss, dass ich mein ganzes Sein unbefleckt erhalten » (6). Dieses Zeugnis der erhaltenen Reinheit kann man, aus bekannten Gründen, nicht genug unter- streichen. Der zweite Brief ist ein sehr empfindsames, über- schwengliches Glückwunschschreiben zum Namenstage der Mutter (7). Das erste Studienjahr endete mit einem Misserfolg in der Mathematik bei Professor Ettingshausen, und so ward der Student gezwungen, es zu wiederholen. Die Ferien verbrachte er bei den Grosseltern in Stockerau. Seine Hauptunterhaltung blieb der Vogelfang, den er von frühster Kindheit an eifrig betrieben hatte. Im Herbste 1819 begannen Bauernfeld, Halm, Seidl das philosophische Studium. Kaum kam Lenau mit ihnen in Berüh- rung. Er gehörte einem anderen Kreise älterer Studenten an, (4) Lenau und Löwenthal, S. 112. JUGENDEINDRUCKE, 11 meistens Ungarn. Die Erinnerungen von J.-G. Seidl () halten nur einen blutigen Messerkampf fest, den Lenau mutig mit Schulkameraden ausfocht. Er selbst erinnert sich dessen und klagt sich « wilder Leidenschaften » (?) in seiner Jugend an. Das Jahr 1820 bringt im Gegensatze zum vorigen bedeutende Schulerfolge : eine Prüfung in der Mathematik, « die durch ihre Exzellenz Aufsehen erreget », eine in der Philosophie, bei. der Lenau unter 240 Mitschülern am besten besteht (8-9). Die einsamere, abgelegenere Wohnung beim Hauptmann Volz ist dem Studium günstiger. Zehn Briefe an die Mutter aus dem Schuljahre 1819-1820 (7-16) gewähren uns interessante Ein- blieke in das Innenleben. « Allgewaltig zur Schwermut » (41) stimmen den Studenten die glühenden Schmerzausbrüche der Mutter, die sich Tag und Nacht um den Sohn, den sie in tausend Gefahren sieht, ängstigt, die die grausame Trennung und den einstigen Reichtum Nikis, als Erbe der Grosseltern, mit « Millionen Tränen » erkauft, die den Allmächtigen anklagt, dass er so langmütig der « Kabale » zusieht, die ihr das Herz ihres Kindes entreissen will Ei: Herzergreifend wie der mütterliche Brief ist die Antwort des Sohnes. Es bangt ihn um die Mutter, die sich allein in Pressburg mit Beköstigung von Studenten durchhelfen muss, die Worte, « die da herkommen, wo sein Teuerstes, heilig von Gott zu (') Aus den Wiener Sonntagsblättern (1848) abgedruckt bei ScHurz, 1, 39 f. (2) Lenau und Löwenthal, S. 64. :(#) ScHurz, I, 31 f. Der Brief ist das charakteristischste und schönste Schriftstück der Mutter Lenaus, das auch von ihrer schriftstellerischen Begabung zeugt. Aus liebevollster, tiefbewegtester Seele fluten unmittelbar die feurigen Ergüsse. Leuch- tend tritt ihre empfindungsvolle, schwärmerische, erregbare, heissblütige Gemüts- anlage daraus hervor. Bezeichnend ist es auch für ihre Erziehungsart. Sie entsetzt sich über die « schreckliche Bewegung », die der arme Niki täglich machen muss, um von seiner Wohnung in die Universität zu gehen, und sieht « jede üble Witte- rung mit Wehmut ». Recht kennzeichnend ist ihre Antwort auf Nikis Meldung der gut bestandenen mathematischen Prüfung : « O, mein Gott! wie glücklich war ich, als ich dich noch nach einer Prüfung mit einem Milchreis bewirten konnte! Entrissen ist mir Alles, Alles, jede Freude meines Lebens! » (SCHURZ, I, 33.) 2 JUGENDEINDRUCKE. Beschützendes ist », dringen ihm empfindlich ans Herz. Die Mutter ist ihm « das Liebste auf der Welt », der « Grundpfeiler des Ideals » seines Lebens, dessen Fall ihn des irdischen Glückes auf immer unempfänglich machen würde. Auch er betrachtet die Trennung als eine « Prüfungszeit », die überstanden werden müsse, um treu vereint, mit festen Banden, selig, der durch Liebe beglückten Gegenwart geniessen zu können (1). Auf erneute Klagerufe — die meisten Briefe Therese Vogels sind verloren — muss er sie mahnen, « das Ebenmass ihrer Gefühle, Empfindungen, Gedanken u. s. f. herzustellen » (13). Die eben erlernte Philosophie nimmt er als Trostmittel zu Hilfe, indem er der Mutter auseinandersetzt, dass das Zusammensein der Körper keine Frucht, sondern nur Mittel der Liebe ist, und dass « der zum trauten Wesen hingelenkte innere Sinn » die Tren- nung verachten lehrt (17). Auch auf das beträchtliche Vermögen der Grosseltern weist er hin, durch dessen Erbung er im stande sein werde, seiner Familie eine kräftige Stütze zu sein. Von seinen Lehrern erwähnt Lenau nur den Professor der Philosophie Rembold, einen « weisen Mann », mit dessen Hilfe er sich zu einem selbständigen Manne ausbilden will, denn « auf eigenen Füssen zu stehen, ist das letzte Ziel meines irdischen Strebens ». Er besitzt « einige Freunde im wahren Sinne, wackere Burschen » (15). Von Bedeutung ward nur einer, der blondhaarige, treuherzige Badenser Fritz Kleyle, ein Vetter von Sophie Löwenthal. Seine liebste Unterhaltung bleibt ihm die „Gitarre. Sie ist « Mittel seiner Schwärmereien », und diese sind eine Beson- derheit in seinem Charakter, die ihn über das Gewöhnliche im Leben erhebt (15). Von den Anfechtungen des Grossstadtlebens blieb er nicht verschont. In einem späteren Briefe nennt er Wien die « grosse Pflanzschule des Lasters » (26), und zeitgenössische Schilderungen bewahrheiten in Hülle und Fülle dieses Urteil. Er vergleicht sich in einem Briefe dieses Jahres mit einem Segler, an dessen Schiff sich die Wellen des weiblichen Umganges mit Macht brachen, bis das Schiff leck wurde (17). JUGENDEINDRUCKE, 13 Die Briefstelle wird fast allgemein als Zeugnis für frühzeitige Ausschweifungen ausgenutzt. Dabei wird die unmittelbar fol- gende Erklärung : « Der Segler blieb unschuldig, aber nicht unbefangen », übersehen (!). Bezeichnend ist auch, dass der Student den Verkehr im Hause eines angesehenen Handelsherrn, der « ein hübsches Landgut, eine hübsche Tochter und derlei Schnurrpfeiferein mehr » hatte, aufgibt, weil dort zu « seichte Grundsätze » herrschten (13). So stellt sich uns der junge Lenau wesentlich anders dar wie er in den meisten neuzeit- lichen Schilderungen erscheint. (!) Ganz ähnlich erging es dem jungen Grillparzer, wie wir aus seiner Selbst- biographie ersehen. Ihm war ein gleich tiefes Schamgefühl wie Lenau eigen. « Dieses allerdings dissolute Treiben übte übrigens auf meine Sittlichkeit durchaus keinen verderblichen Einfluss. Ein mir angeborenes Schamgefühl nach innen und aussen bewahrte mich sogar vor dem üblen Beispiel, das meine Kameraden mir von allen Seiten gaben. Ich hörte kaum, was an meinen Ohren, ich sah kaum, was an meinen Augen vorüberging. » (Werke XII, 26.) 1 Erste dichterische Tätigkeit. 1820-1821. Mit frischem Mute beginnt Lenau im November 1820 die Studien des zweiten Jahrganges der‘ Philosophie. Ein wichtiges Selbstzeugnis steht am Eingange dieses Schuljahres. « Um mich dreht sich ein eigener Kreis.. Ich steh an der Stufe der Katastrophe meines Then Nun dienkt man mehr, und denkt man viel. Man schafft sich eine Welt in der eigenen Brust, wenn man weiss, dass man noch eimen Menschen hat, der einen liebt. Nieht leicht hat mich irgendteine Idee lebhafter ergriffen als diese. Solange Sie leben, bin ich froh. Gott gebe, Sie lebten noch recht, recht lange, meine gutte Mutter » st Die Stelle ist besonders von Bedeutung als Bteweis für die hohe und tiefe Auffassung von Freundschaft und Liebe, die sich eine erhabene und zarte Idealwelt in der eigenen Brust aufbaut, deren Zusam- menbruch bei Lenau aussergewölhnlich tiefgreifende Folgen haben musste. Es ist eine düstere Zeit, dieses Schuljahr 1820-1821, in dem der gemarterte Jüngling seine dielhterischen Fähigkeiten ent- deckt. Schauerlich müssen die Brieffe der Mutter gewesen sein, auf die der Sohn antwortet mitt : « Mässigen Sie Ihren Schmerz, seien Sie nicht trostlos, icch will einen ruhigeren Ton hören » (21-3). Wie hart müssen ilhn die wiederholten mütter- lichen Wünsche : Gott möge sie von dieser Welt nehmen, berührt haben. Dreimal versteigt er sich zur Drohung mit ERSTE DICHTMERISCHE TATIGKEIT. ld Selbstinord, um die Todesssehnsucht seiner Mutter zu dämp- fen (25, 5, 30). Spuren der beim Schreiben vergossenen Tränen sind noch heute deutlich auf’ Briefen an die Mutter sichtbar. Er gelangt zur klaren Einsicht : « Es gibt einen Geist, der unser Familienleben leitet, der leidler kein guter ist » (3). Er versinkt in « düsteres Nachgrübeln » (28), das der seiner jungen Seele eingeimpften Zweifelsucht einen fruchtbaren Boden bereitet : « es. könnte Voltaire recht haben, wenn er sagt : Ausgeatmet, ausgelebt » (30). Wenn unter diesen Umständen « die finstere Laune keinen ganz freien Spielraum » in seiner Seele gewinnt, so verdankt er dies nur der Liebe zu seiner Mutter und dem « Bewusstsein der erhaltenen Reinheit » (238). Gewiss hat auch die Entdleckung seines Berufes als Dichter dazu beigetragen, den jungem Lenau über die niederdrückenden Verhältnisse emporzuheben. Er schriftstellerte bereits zu Ende des Jahres 1820 und schrieb seine Gedanken über « Unsterb- lichkeit, Freiheit, Gott, Todl u. s. w. » nieder, vor allem um sich im Denken zu üben (20). Die erste Nachricht, dass er dichte, bringt der Brief an die Mutter vom 8. Mai 1824 : « Meine Lieblingsbeschäftigung ist nun, Gedichte zu lesen und schrei- ben. Bis ich nach Pressburg komme, werde ich Ihnen wahr- scheinlich schon einen oder: einige Aufzüge des Trauerspiels vorlesen, das mir die schreckliche Muse, die ich vor allen andern liebe, eingeben soll. Ich fasste den Plan, einen poetischen Nachlass zu hinterlassen, den meine Kinder in die Welt bringen sollen » (27). Diese Mitteilung ist allgemein so aufgefasst wor- den, als ob die anfängliche Diehtung Lenaus dem Drama gegolten. Ich lege sie in dem Sinne aus, dass er Gedichte, d. h. wohl Iyrische Gedichte tatsächlich schrieb, hingegen eine dra- matische Dichtung nur plante. Nur auf die Lyrik bezieht sich übrigens die weitere Mitteilung vom 1. Juni : « Gedichte mache ich nun gerne, und ich bemierke, dass es mir nicht ganz am Kopfe dazu gebricht » (28). Acht Tage später meldet er, dass seine « Imagination immer hochschwanger sei » (29). Diesen Mitteilungen über Beschäftigung mit der Diehtkunst 16 ERSTE DICHTERISCHE TATIGKEIT. gehen die ältesten auf uns gekommenen Reime Lenaus um sechs Jahre voraus. Es sind acht gereimte Glückwunschverse an die Mutter zum neuen Jahr 181% (!). Wenn sie vielleicht auch nicht wörtlich der Reihe nach aus einem Wunschbuche abgeschrieben sind, so sind die meisten doch allgemein gebräuchliche Reimerei dieser Art wie: Jetzt näherte sich uns das neue Jahr, In welchem ich meinen Dank bring dar oder: Ich wünsche Ihnen Glück und langes Leben Und bitte Gott damit er diesses möchte geben. Ebenso unzutreffend wie die Meinung, dass Lenau sich zuerst dem Trauerspiele zugewandt, ist die, dass seine Dichtung in ihren Anfängen durch die Musik hervorgerufen worden sei. Wir wissen, dass die Grosseltern ihn seit 1820 im Geigenspiel durch einen ersten Wiener Künstler Joseph von Blumenthal unterrichten liessen. Bevor Lenau die Technik der Dichtkunst einigermassen beherrschte, konnte dieses Geigenspiel, das selbst nur Uebung war, keine Dichtung gebären. Musikalischen Cha- rakter. trägt auch keine der ersten Dichtungen Lenaus. Für eine spätere Zeit, vom Jahre 1830 an, ist uns der Einfluss der Musik auf die Dichtung ausdrücklich durch Lenaus Freund Nik. Boloz von Antoniewiez bezeugt (?). Damals geschah es tatsächlich, dass sich der Empfindung der Töne der Ausdruck in Worte beigesellte. Aus den erhaltenen Erstlingen der Lenauschen Muse und aus den Andeutungen, die er selbst über nicht erhaltene macht, lässt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit schliessen, dass die ersten Versuche in Uebersetzungen und Nachahmungen bestan- (4) Werke I, 458. (2) Schurz, I. 9. ERSTE DICHTERISCHE TATIGKEIT. 17 den. Wir wissen, dass er sich noch drei Jahre später mit Uebertragungen Horazischer Oden beschäftigte und können namentlich solche beim Beginne seiner dichterischen Tätigkeit vermuten. Die Anregung dazu mag von dem Professor der Philologie Anton Stein ausgegangen sein, der, wie Bauernfeld berichtet, wohl an die acht Tage mit der Erklärung einer ein- zigen Horazischen Ode zubrachte, der, wie Grillparzer erzählt, sich und seine Schüler mit der Zerfaserung der gewählten Autoren quälte und Stilübungen treiben liess, wobei die Wahl des Gegenstandes frei war (); als solche Stilübungen liess er, der selbst ein Dichter war (?), auch Gedichte zu (2). Wissen wir von geplanten Versuchen im Trauerspiel nur durch die eben angeführte Briefstelle, so stellt ein Selbstzeugnis ausser Zweifel, dass der junge Lenau um diese Zeit ein Lustspiel geschrieben. Am 18. Juni 1844 erzählte er im Kreise der Familie Reinbeck in Stuttgart, er habe mit neunzehn Jahren für eine studentische Liebhaberbühne in Wien ein Lustspiel Die Mariage in Ungarn gedichtet und wisse nicht, wo es hin- gekoinmen sei (t). Zutreffend mag die Vermutung von Schurz (1, 50) sein, dass ; seine Bekanntschaft, die Lenau um Weihnachten 1820 machte, diesem eine Anregung zum Versuche seiner dichterischen Flug- kraft geboten. Bei seinem Besuche in Stockerau las Schurz eigene Gedichte vor, erntete damit den Beifall Lenaus und hiess fürder im Niembschen Kreise nur mehr « der Dichter ». Im Sommer 1821 soll Lenau nach Scehurz (1, 58) die erste Bekanntschaft von Berta Hauer gemacht haben. Diese Bekannt- schaft wird fast allgemein als das erregende Moment seiner (4) GRILLPARZER, Selbstbioyraphie, Werke 11,27. (2) H. GOEDERE, Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung, VI, 548. | (*) GRILLPARZER, ebd.. S. 97. (*) E. NIENDORF, S. 493. 2 18 ERSTE DICHTERISCHE TATIGKEIT. ersten dichterisehen Versuche hingestellt. Wenn die Angabe von Schurz überhaupt zutrifft, so war dieser Verkehr mit einem damals erst zwölfjährigen Kinde (!) ganz belanglos. Auch sind die ersten Liebesgedichte Lenaus an ein anderes Mädchen gerichtet, und erst seit dem Jahre 1823 tritt Berta in den Bereich der Lenauschen Dichtung. Die Sprache der Briefe des jungen Lenau verrät deutlich den Einfluss von Schillers pathetischer Jugendsprache. Wir wissen, dass Lenau Schiller las, weil er als Student auf dem erwähnten Liebhabertheater immer gern eine Rolle gespielt hätte : den Verrina im Fiesco (?), und weil die erste Lektüre von Kabale und Liebe ihn in eine wahre, trostlose Verzweiflung brachte (9. Es lassen sich sogar wörtliche Uebereinstimmungen feststellen. Der Vergleich des Todes mit einem engen Haus (25) ist Schiller entnommen (*), desgleichen der Ausdruck Markstein der Schöp- fung (8) (%). Das Rad des Weltlaufes (50) erinnert an Schillers Räder in der grossen Weltenuhr (°) und an das Rad, das Schicksale wälzt (”). Bei Lenaus Erguss über das Glück einen Menschen zu haben, der einen liebt (20), denkt man an Schillers : Wer auch nur eine Seele Sein nennt auf dem Erdenrund (8)! Die Klage Lenaus über die Gefühllosigkeit der Grossel- tern (26, 28) gleicht derjenigen der Lady Milford in Kabale und (4) RÖTTINGER, Euphorion, Vl, 753. (2) E. NıenporF, S. 193. Lenau und Löwenthal, S. A100. (%) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 32. (4) Die Räuber, V. Aufzug, 2. Auftritt. Auch in der Elegie auf den Tod eines Jüng- lings, Vers 37. () Die Grösse der Welt, V. 6 u. 24. (6, An die Freude, V. 39-40. (”) Fiesco, III. Aufzug, 2. Auftritt. (#) An die Freude, V. 47-18. Ähnlich ist auch der Satz Lenaus : « Die Bedingung dieser Resignation ist die Wechselüberzeugung, dass man die Seele des andern sein nennen könne auf Erden » (AT). ERSTE DICHTERISCHE TATIGKEIT. 19 Liebe (II, 1). Wenn Lenau sich überhaupt im Trauerspiele versucht hat, so glaube ich nicht wie Schurz (I, 51), dass er dabei den Fusstapfen Senecas folgte, sondern vielmehr denen Schillers. Der Gedanke, das Dichten zu seinem Berufe zu machen, lag Lenau damals noch fern. Trotzdem schwellte die erlangte Erkenntnis dichterischer Befähigung mächtig sein Selbst- bewusstsein : « Meine Person hat sich über Lust, welche Geld, Amt u. s. w. geben können, erhoben: ja, ich finde sogar eine Wollust darin, wenn man seine Welt in sich trägt, ohne durch die Bande der Genussgierde an das Rad des Weltlaufes gebunden zu sein, wo man als Sklave niedriger Lust der unbedingte und schwache Vollzieher fremder Beschlüsse wird » (30). Kein Wunder, dass das Interesse für das Studium eine starke Abschwächung erlitt. « Es geschieht nicht mehr mit der Lust als ehedem », schreibt er seiner Mutter, « und nur der Gedanke an Sie macht mir solche Rücksichten noch wichtig » (30). Trotzdem gelang es dem Studenten, die Prüfungen des zweiten Jahrganges der Philosophie mit Erfolg zu bestehen. In In Pressburg. Oktober 1821-Oktober 1822. Unmögliches. — Frage. — Ghasel. — Rezept. — Der Unbeständige. Am 13. Oktober 1821 erschien Lenau plötzlich bei seiner Mutter in Pressburg. Als sie ihn sah, tat sie einen Sprung SO hoch wie der Tisch, und der heftige Zahnschmerz, an dem sie mehrere Tage gelitten hatte, war wie weggeblasen ('). Welcher Triumph für sie zu erfahren, dass der langentbehrte und heiss ersehnte Niki sich mit den Grosseltern wegen eines Verweises der Grossmutter überworfen, dass er ihnen davongelaufen und nunmehr bei der Mutter bleiben wolle. « Gut hat er getan », schreibt sie an ihre seit dem 15. August mit Schurz verheiratete Tochter Therese, « er erfüllte die Pflicht als Sohn : der Mutter Trost zu gewähren; und die Pflicht gegen sich selbst : um nur einmal die Schulen zu enden... Gott sei Dank; zwei meiner Kinder sind nun gerettet! Wenn nur die arme Leni (?) auch schon befreit wäre » ()! Die « Pflicht gegen sich selbst » war, dass Lenau seine philosophischen Studien abbrach, um nutzlos ein Jahr mit dem Studium des ungarischen Rechtes an der Akademie in Pressburg (4) So erzählte Lenau seinem Freunde Löwenthal. Lenau und Löwenthal, S. 162. (2) Die jüngere Schwester Lenaus, Magdalena. (5) SCHURZ, I, 56. IN PRESSBURG. yZ| zu verschwenden. Er und die Mutter legten sich die Sache jedoch so aus : das deutsche Recht sollte neben dem ungarischen privatim erlernt werden, eine in Wien abzulegende Prüfung im deutschen Recht konnte trotzdem zu einer Anstellung in Deutsch- Österreich führen. Das ungarische Recht studierte Lenau nur eben so viel als pringend nötig war, um die ersten Prüfungen zu bestehen, an Stelle des privaten Studiums des deutschen Rechtes warf er sich mit Eifer auf das der eben aufgegebenen Philosophie. Sobald er des philosophischen Schulzwanges ledig war, erschien diese ihm nicht mehr von trockenen Lehrern verekelte Wissenschaft als die einzige seiner inneren Neigung entsprechende. Wie leidenschaftlich er sich der Philosophie in die Arme warf, erzählt uns Siebenlist () nach den Berichten eines der Kost- gänger von Lenaus Mutter, Fr. von Nemethy. Die Verhältnisse im Hause seines Stiefvaters in Pressburg waren zu beschränkt und gedrückt, als dass der junge Niembsch des Zusammenlebens mit der Mutter hätte froh werden können. Geistige Anregung boten weder die Stadt noch die Mitstudie- renden, noch die sieben Kostgänger der Mutter, meist magya- rischer Abkunft, denen sich der jüngere Lenau stark überlegen fühlte. In den manchmal recht lebhaften Tischgesprächen, sagt Siebenlist, bediente sich Lenau « nicht selten einer Form, welche, ähnlich wie in seinen gleichzeitigen Briefen, an kraft- genialischem Ueberschwange das Höchste leistete und mit dem Schwulste mancher Partien der Schillerschen Räuber liebäu- gelte ». Grosses Vergnügen fand er darin, mit anderen Studenten musizierend die Strassen der Stadt zu durchziehen oder sich von dem starken Famulus Trabalik an der Brust packen und über das Geländer des zweiten Stockwerkes, das seine Familie bewohnte, in die Luft halten zu lassen (?). (4) Lenau in Pressburg. (NEUE FREIE Presse, 43. Oktober 1883, Nr 6874.) (2) Lenau und Löwenthal, S. 171, 210. 2 IN PRESSBURG. Lenaus tiefes Freundschaftsbedürfnis fand Befriedigung in der Verbindung mit dem Studenten der Philosophie an der Akademie in Pressburg, Joseph Klemm. Gleicher Sinn für die Schönheiten der Natur war nach dem Berichte Klemms an Schurz (I, 63) das Band, das sie vereinigte, und das sich durch die gleiche Begeisterung für die Meisterwerke der grossen deut- schen Dichter bald mehr und mehr kräftigte. Mit Klemm machte Lenau im Jahre 1822 nächtliche Spaziergänge in der schönen Umgebung Pressburgs. Bei einem dieser Spaziergänge — 0 berichtet Ladislaus Veszely, ein Freund und Mitschüler Lenaus an der wirtschaftlichen Akademie in Ungarisch-Altenburg ('), — sahen sie ein kleines Häuschen mit grünen Schiebeladen, hinter welchen ein wunderschönes Mädchen ihre Aufmerksam- keit erregte, die nunmehr den Anlass zu öfteren Spaziergängen in die Umgebung ihrer Wohnung bot. Lenau kam der Gedanke bei der insgeheim Angebeteten eine poetische Epistel zwischen den Fensterläden hinein gleiten zu lassen. Zu diesem Zwecke schnitten die Freunde eine lange Gerte und steckten an deren Spitze das Gedicht Unmögliches. Der Zauberstab erwies sich als zu kurz, um das Fenster des Halbstockes zu erreichen und die kühnen Ritter erkletterten das am unteren Fenster befindliche Eisengitter. Da erscheint plötzlich der Hausmeister, der die Hunde auf sie hetzt. Ein Sprung über des Nachbars Zaun rettet vor weiteren Verfolgungen. — Ganz ähnlich lautet der Bericht von Klemm an Sehurz über den äusseren Anlass zum Gedichte Unmögliches. Ob Veszely aus mittelbarer oder unmittelbarer Quelle erzählt, muss dahingestellt bleiben. (*) Der Bericht ist uns überliefert von E. Ropıczky, Lenau gaxdasagi gyakornok koratol, d. h. Aus Lenaus Wirtschaftspraktikantenzeit, erschienen in Fövarosi Layok (Hauptstädtische Blätter, Budapest, 1874), auch in Separatdruck in der Druckerei des Athenäum, Budapest, 1871. Bisher blieb dieser Aufsatz der deutschen Lenauforschung unbekannt. Ich benutze eine handschriftliche deutsche Ueber- setzung aus dem Besitze von Sophie Löwenthal, die mir Frau Baronin Anka von Löwenthal gütigst zur Verfügung stellte. 2 IN PRESSBURG, 23 Klemm deutet darauf hin, dass ausser dem Gedichte Unmög- liches auch noch Frage (Mir hat noch...) und Ghasel an die schöne, aus der Ferne verehrte Pressburgerin gerichtet seien. Nichts widerspricht dieser Angabe, wie sehr man sich auch sträuben mag, ein so formvollendetes Gedicht wie Frage in die ersten Anfänge von Lenaus Schaffen rücken zu müssen. Die drei Gedichte passen ihrem Inhalte nach vorzüglich auf die von Klemm geschilderte Sachlage und weisen einen inneren Zusammenhang auf, der auf einen und denselben Anstoss hin- deutet. Der in Unmögliches erwähnte Freund ist Klemm, der dem Dichter die Schönheit des Mädchens gepriesen. Der Dichter sieht sie nun selbst und wird von ihrer Schönheit bezwungen : Frage. Diese « schöne Stunde » des ersten Anblickes sehnt er immer wieder herbei : Ghasel. Uebrigens bietet das Erlebnis mit der schönen Unbekannten nur Anlass zu poetischen Uebun- gen in den Versformen des Sonetts und des Ghasels; aus dergleichen Formübungen besteht fast die gesamte Jugend- dichtung Lenaus. Platens kurz vorher erschienene : Ghasele (1821) mögen ihn zur Bearbeitung dieser Form angespornt haben. In auffälliger Art weisen diese Gedichte den Einfluss von Klopstock und Hölty auf, in weit höherem Masse jedoch den . Höltys als den Klopstocks. Karl Mayer (S. 165) berichtet, dass Hölty ein « besonderer Liebling » Lenaus war, und überein- stimmend äussert Schurz (I, 71), dass Lenau Hölty « überaus lieb gewann », dass er in Höltys Hingabe an die Natur die eigene wiederfand. Nicht nur Höltys inniges Naturgefühl, sondern auch sein weicher, elegischer Ton waren ganz darnach angetan, eine mächtige Anziehungskraft auf den jungen Lenau auszuüben. Höltys und Klopstocks Gefühlsüberschwenglichkeit entsprach auch ganz der Veranlagung Lenaus, wie sie sich deutlich genug in den Jugendbriefen offenbart. Die Schwierig- keiten der Form bei Klopstock mochten den über eine tüchtige klassische Bildung verfügenden Jüngling eher reizen als abstos- sen. Wir wissen übrigens von Schurz (1, 71), mit welcher Lust 24 IN PRESSBURG. Lenau sich ein Jahr später in Klopstock versenkte, « bis an den Boden hinab ». Mit Schurz las er die Oden oft drei- bis viermal hintereinander, jedes Wort beachtend. Unzutreffend ist die von fast allen Lenaubiographen wiederholte Behauptung, es sei dem rückständigen Geschmacke des Schwagers Schurz zuzuschreiben, wenn Lenau seine ersten Vorbilder für die Lyrik anstatt bei den Klassikern und Romantikern bei den Diehtern des Göttinger Hainbundes suchte. Eine genaue Unter- suchung der ersten Gedichte erweist auch die Irrigkeit der Behauptung von Schurz, er habe Lenau mit Klopstock und Hölty bekannt gemacht. Beide Dichter kannte Lenau, ehe er anfing, sie mit Schurz zu lesen. Ferner hat Schurzens Mittei- lung (1, 71), dass das gemeinsame Lesen im Jahre 1823 mit Klopstock begann und erst zwei Jahre später zu Hölty überging, die falsche Vermutung hervorgerufen, der Einfluss Kopstocks auf Lenau sei dem Höltys vorausgegangen. Ganz im Gegenteil bemerken wir anfänglich eine viel auffallendere Abhängigkeit des jungen Dichters von Hölty als von Klopstock. In den ihm vorliegenden, zeitgenössischen Ausgaben von Klopstock und Hölty fand Lenau vielfach die Versmasse den Gedichten vor- angestellt. Hierauf richtet sich zunächst der Blick des Anfängers. Er übt sich in verschiedenen antiken Versmassen und in den Abänderungen, die Klopstock und Hölty in diesen angebracht. Vor allem ziehen ihn die Horazischen Versmasse an, und in der mehr oder minder grossen Verwandtschaft seiner Vorbilder mit dem von ihm so hochgeschätzten Horaz liegt auch ein Grund seiner Vorliebe. Später dankt der vierzigjährige Lenau dem Himmel, dass er in seiner Jugend die alten Dichter, namentlich Horaz, recht studiert und so den Wert der strengen Form kehhen gelernt habe. Die « Strenge und Würdigkeit der Form », die « einen festen Schuppenpanzer gibt, durch den hindurch die andern einem doch am Ende nichts anhaben können » (), (1) Lenau uud Löwenthal, S. 23T. IN PRESSBURG, 35 lernte er auch durch das Studium Klopstocks und Höltys wert- schätzen. Was Klopstock gebrach : Schönheit des Rythmus und harmonischer Wohllaut, das fand er bei Hölty. Eine Lieblingswendung Höltys {) um einen grossen Genuss anzudeuten, ist Himmel oder Taumel trinken (S. 28, 75, 86). Ähnlich lautet gleich der erste Vers des Gedichtes Unmögliches (124) (?) : Bevor mein Blick den Zauber noch getrunken. Charakteristisch für den Sprachgebrauch Höltys ist das Wort Purpur, das er viel häufiger anwendet als Klopstock. Lenau lässt : des Berges Haupt in Purpur prangen. (Vers 5.) Er sieht (V. 6-7) wie: Dämmerung den Hain umtlort. Gern wandelt Hölty durch den dämmernden Hain (8.9); auch er sieht, wie Dämmerung den Hain in ihr graues Gewand kleidet (S.7), wie ein düstrer Flor Tal und Höhn bedeckt (S.42), wie halbe Dämmerung die Hügel umzieht (S. 76). Auch Klop- stock, wie die Hainbündler überhaupt, liebt den Hain und die Dämmerung; er bringt sie jedoch nicht in Verbindung mitein- (!) Höltys Gedichte. Ausgabe der Universalbibliothek Reclam, Nr 439. Ich wähle diese jedermann zugängliche Ausgabe vorzugsweise vor einer der älteren von Voss herausgegebenen : 10 weil sie den Text in der Vossischen Ueber- arbeitung bietet, in der die meisten Gedichte Höltys Lenau vorgelegen;; 2° weil sie über die Vossischen Ausgaben hinaus die Gedichte bringt, die Lenau in den Alma- nachen und Anthologien der Zeit lesen konnte; 30 weil sie die später nach den Handschriften herausgegebenen Nachlassgedichte ausschliesst. Die Zitate sind nach dieser Ausgabe unter Angabe der Seitenzahl in Klammern gegeben. Die Verszahl konnte ich leider nicht hinzufügen, weil sie in der Ausgabe fehlt. (%) Bezeichnet die Seite in Werke (Bd I). 26 IN PRESSBU?G. ander wie Hölty, sondern verwendet sie durchgängig einzeln. — Göttlich, eine Göttergestalt (S. 18, 19) nennt Hölty seine Lilla wie Lenau die Pressburgerin die göttliche Gestalt (V. 17). Nicht so handgreiflich erscheint die Anlehnung an Hölty in dem schönen Sonette Frage (s). Man fühlt sie heraus in Wendungen wie in die Seele brechen (V. %), die den vielfachen Höltyschen Zusammensetzungen mit Seele, wie durch die Seele beben, giessen, strahlen, schauern entspricht. Die bange Frage, ob Erhörung oder Verstossung seiner warte, stellt sich Hölty auch in der vorletzten Strophe von Sehnsucht nach Liebe (S. 3): Soll mich, welchen umsonst heilige Lieb entflammt, Kein jungfräulicher Kuss heben zur Seligkeit? Soll in schmachtender Sehnsucht Mein frühverwelkendes Herz verblühn? Der deutsch-böhmische Dichter Moritz Hartmann (1821-1872) ahmte Lenaus Sonett nach in dem seinigen : Aus der Ferne (‘). Fast wörtlich stimmt der Anfang überein : Mir hatnoch deine Stimme nicht geklun- Noch nie ist meinem Ohr dein Wort [gen. [erklungen. (Lenau.) (Hartmann.) In Ghasel (10) sieht Lenau das « Angesicht der schönen Stunde » : erglühn im Rosenscheine noch. So schaut auch Hölty mit Vorliebe seine Mädchen unter Rosen. Im Rosenglanz schwebt ihm Laura daher (S. 3), sie sitzt ihm gegenüber, überschattet von Rosen (S. 13). Das Bild des lächelnden Engels : So sah den Engel Gottes einst mit Wangen freudenrot Im Paradiese lächelnd nahn der Mensch... (1) Werke I, 109. IN PRESSBURG. [5] 1 hat Lenau aus Klopstock (1, 60) (t) : ... ich sah den Göttlichen wandeln, Und gegen mich lächelnd einhergehn. (Salem, V. 3-4.) Diesen drei Gedichten an die Pressburger Unbekannte möchte ich ein viertes, Rezept (461), hinzufügen. Der Herausgeber Prof. E. Castle, fussend auf die Ueberschrift in der Handschrift : « Rp. Von diesem romantischen Unsinn alle 2 Stund 2 Esslöffel voll »,/&laubt das Gedicht in die Zeit versetzen zu müssen, wo Lenau an der Wiener Universität Medizin studierte, folglich in die Jahre 1826-1830 (*). Um diese Zeit kannte Lenau jedoch schon längst seine Geliebte, Berta Hauer, im Jahre 1826 erfolgte bereits die grausame Enttäuschung über diese Liebschaft, die dem Dichter so schmerzdurchtränkte Klagelieder entlockte. Das Gedicht müsste folglich in die Gruppe der Berta-Lieder eingereiht werden, was der Inhalt durehaus ausschliesst. Dem Motive nach ist es vielmehr eng verwandt mit den obengenannten Gedichten und besingt wieder den « Engelblick » der Geliebten. Auch weisen der seufzende Zephir (V. 10) und das himmlische intzücken (V. 14) deutlich genug auf Lenaus Vorbilder hin. Die ironische Ueberschrift mag spätere Zutat sein. Den drei Liebesgedichten aus der Pressburger Zeit gesellt Klemm in seinem Berichte an Sehurz auch das Gedicht Unbe- Ständigkeit, seit 1837 von Lenau Der Unbeständige (131) überschrieben. Den äusseren Anlass vermute ich in Lenaus Entschluss zu einer neuen Absehwenkung in seinem Studienplan. Im August 1822 teilt er der Grossmutter mit, dass er seinen « Lebensplan aus der reifsten Ueberlegung und Prüfung seiner Neigung durchaus verändert habe », dass er entschlossen sei, (1) Angeführt nach der kritischen Ausgabe der Oden Klopstocks von Fr. MUNcKER und J. Pawer. Stuttgart, Göschen, 1889. (2) Oesterreichische Kundschau VII, 399. 38 IN PRESSBURG. sich nunmehr « ausschliesslich auf Philosophie zu verlegen, um einst eine Professur erhalten zu können ». Veranlasst sei dieser Entschluss durch die unsichere Aussicht, die die juris- tischen Studien auf eine öffentliche Anstellung böten, durch den gänzlichen Widerspruch, in dem diese Studien zu seiner Neigung ständen und durch seine Vorliebe für die Philosophie (55). Das Gedicht ist eine scharfsinnige, auch poetisch sehr gelungene Selbstverteidigung des Dichters, zu welcher er später noch viel mehr Grund gehabt hätte, da der Unbeständige von der Land- wirtschaft zum deutschen Recht und von diesem zur Medizin übersprang. Wie geschickt die Selbstverteidigung auch ist, so inuss man doch in diesem Unsteten, das im ganzen Lebensgang Lenaus hervortritt, eine nervöse, sowohl vom Vater wie von der Mutter ererbte Veranlagung sehen, da beide in auffälliger Weise mit dieser rastlosen Wechselsucht behaftet waren. Zum ersten Male schlägt Lenau hier den pessimistischen Ton an: Blickt mein Geist im Wissensdrange Durch ein Fenster in die Welt, 0 dann passt er auch nicht lange, Sieht er-drinnen nichts erhellt; Und er guckt zu einem andern In die finstre Welt hinein! Muss von hier auch weiter wandern, Nirgends auch nur Lampenschein! (V. 17-24.) Den melancholischen Charakter anderer, nicht erhaltener Jugendgedichte von Lenau stellt auch Schurz (l, 63) fest, wenn er erzählt, wie der junge Niembsch im September dieses Jahres, in Sehrattenthal, an einem schönen Abende im Freien Gedichte vorgelesen. « Es waren Rosen von Gräbern, geweinten Taues voll. Sie zerflogen, zerblättert von der Zeit, leider in den Wind; auch nicht eine von ihnen ward erhalten. » IN PRESSBURG. 29 Den Widerstand der Grossmutter gegen den neuen Plan des Neffen konnte dieser nicht brechen, sie nicht sein Sträuben gegen das Studium der Rechte in Wien. So ergab sich ein Drittes, wozu der Onkel Maigraber bereits früher geraten, und wozu der Freund Fritz Kleyle lockte, nämlich in Ungarisch- Altenburg die Landwirtschaft zu studieren. Im Oktober 1822 traf Lenau dort ein. Abermals zieht die Mutter samt Gatten und Kindern dem Sohne nach und siedelt sich in dem nahe gelegenen Wieselburg an. IV In Ungarisch-Altenburg. Oktober 1822-März 1823. Bei Gelegenheit einer ländlichen Unterhaltung in Bordaes. (Die Göttin des Glücks.) Von Lenaus Aufenthalt in Ungarisch-Altenburg weiss Schurz (1, 65) nur sehr wenig zu berichten. Ergänzende, bisher der deutschen Lenauforschung unbekannt gebliebene Mitteilungen verdanken wir Eugen Rodiezky, dessen bereits erwähnten Bericht ich hier wiedergebe, insofern er Unbekanntes mitteilt oder Bekanntes näher bestimmt. « Kaum war hier Niembsch als ausserordentlicher Hörer erschienen, als er die Vorlesungen mit ungewöhnlichem Fleisse zu besuchen begann. Seine von ihm unzertrennliche Mutter liess sich mit ihrem Gatten und ihren Angehörigen in Wiesel- burg nieder, um in der Nähe ihres angebeteten Kindes zu sein. Schlechte Zeiten kamen hier für sie, weil der Stiefvater — ein sehr anständiger Mensch — in der fremden Stadt nur wenig Verdienst fand. Niembsch, den seine Grossmutter unterstützte, hatte, obschon er sehr sparsam lebte, doch einen grossen Sinn für Wohlleben (t). Veszely teilte mir Folgendes mit : Bei Niembschs und Kleyles Freunde, dem erzherzoglichen Direktor, mit dem ich auch in freundschaftlichen Beziehungen stand, haben wir uns öfters getroffen. Niembsch hatte mir gegenüber bald jedes Fremdsein (4) Ein vom Vater ererbter Charakterzug. IN UNGARISCH-ALTENBURG. 31 abgestreift und sich mir in seiner ganzen Natürlichkeit gezeigt. Wir waren alle drei junge Männer, die noch keine Verstellung kannten. Wir plauderten teils ernst, teils heiter, wie es eben der Gegenstand mit sich brachte. Niembsch konnte ausgelassen heiter sein und von Herzen lachen; in der nächsten Minute wandelte sich sein Gesicht, wurde starr und tieftraurig (!). Unvergessliche Stunden waren jene, wenn er seine Violine hervornahm. Öffentlich oder im Quartett spielte er nie; er spielte allein nur uns vor und immer ohne Noten. Aber schön, rein, kräftig und gefühlvoll. Wenn die Reihe an einen der beliebten Ländler kam, hatten wir Lust zu tanzen. Wenn er aber an einen lass (?) kam, fingen wir zu trauern und zu weinen an, als wenn die Schlacht von Mohäies erst gestern stattgefunden hätte. Seine Zeit brachte er mit Lernen, Reiten in. unserer Gesellschaft und wahrscheinlich mit Dichten zu. Lernen musste er nicht viel; infolge seiner regen Auffassungs- kraft lernte er leicht und konnte das Gelernte ausgezeichnet wiedergeben. Seine Rechtsstudien hängte er an den Nagel. Diese Wissenschaft, sagte er einstens, ist sehr trocken und pedantisch. Er hasste die Rabulistik und mit seinen einstigen Kollegen über Mein und Dein zu streiten war ihm ein unaus- stehlicher Gedanke. Auch von der Medizin sprach er : « von Herzen gern, würde ich mich derselben weihen, wenn ich aber bedenke, dass ich während einer Operation die armen Patienten so schinden muss, bei einer Sezierung die Toten auf entsetzliche Weise zerfetzen, ergreift mich ein Schauder vor dieser Wissen- schaft, die jede Illusion in den Grund bohrt ». Deshalb ent- schloss er sich zur Ökonomie, wo er wenigstens freie Luft einatmen und die freie Natur bewundern konnte. Diese Denk- weise bezeichnet den Dichter; zugleich beweist sie, dass er den Broterwerb als junger Idealist auffasste. Doch wartete er nicht (!) Dieser Zug ist so oft beobachtet worden, dass man an seiner Ursprünglichkeit bei Rodiezkys Gewährsmann einigermassen zweifeln muss. (2) Ungarischer Nationaltanz (langsamer Tanz). 32 IN UNGARISCH-ALTENBURG. die Ernüchterung ab, sondern sagte auch diesen Studien, die er aus Trotz ergriff, bald Ade. . Augenscheinlich war es, dass Niembsch zu keinem Ökono- men geboren war, sagte auch Veszely. Von Anfang an hatte ich wenig Vertrauen in den von Niembsch gefassten Entschluss. Er war eine viel zu selbständige Natur, als dass sein Unab- hängigkeitssinn eine Schranke geduldet hätte. Ich hätte ihn mir nie als abhängigen Ökonomiebeamten denken können, den stets bereitwilligen Diener. Meine Ahnung erfüllte sich auch bald. . Niembsch lernte im Jahre 1821 reiten. Diese Beschäftigung war sehr nach dem Herzen seiner hochmütigen Grossmutter. Auch in Ungarisch-Altenburg übte er viel diesen Zeitvertreib. Stundenlang ritt er an den Ufern der Leitha, und ich denke nicht zu irren in der Annahme, dass seine Haidebilder von diesen Ausflügen stammen. Veszely erzählte, dass Lenau sehr gut ritt. Doch war er kein eleganter Reiter. Seinen Oberkörper streckte er nach vorwärts; seinen Kopf, mit dem Zylinder bedeckt, hielt er zurück und zeigte dadurch eine sehr seltsame Gestalt. Eine so sonderbare Figur er zu Pferde machte, war er in Herrengesellschaft anzie- hend und hinreissend. Es war kein Mensch, mit dem man so von Herzen plaudern konnte, wie mit ihm. Im Ernst wie im Scherz war er seelenvoll und geistreich. Ein bissiges Wort hörte zu dieser Zeit wohl nie jemand von ihm. In Hinsicht auf den interessantesten Punkt bemerkte Veszely Folgendes : Ich wusste, dass Niembsch dichtete, doch sprach er selten davon. Von seinen Dichtungen las er nie etwas vor. Im geheimen wusste ich ihm nicht genug Dank dafür, denn ich dachte, seine Gedichte würden auch nicht besser oder schlechter sein, wie die seiner Altersgenossen zu sein pflegen, mit welchen weniger bescheidene Dichter mich schon oft genug gelangweilt hatten. Im Uebrigen hielten wir von der Bildung Niembschs, da er sehr viel gelesen, hohe Stücke. » Etwas abweichend von Schurz (l, 66) erzählt Veszely nun IN UNGARISCH-ALTENBURG. 33 von der ländlichen Unterhaltung in Bordaez, bei der Lenau ein Gedicht vorlas : « Niembsch kam eines Tages zu mir und erwähnte unter anderm, dass er mit Fritz Kleyle nach Bordacz, einem anderen Teil des erzherzoglichen Besitzes, zu einem von den Damen geplanten Ausflug eingeladen sei. Obwohl die Damen auch damals sehr liebenswürdig und geistreich gewesen, — sagte der immer galante Veszely — kannte ich die eigentümliche, ebenso selbstbewusste wie empfindliche Natur von Niembsch viel zu gut, als dass ich ihm eine gute Unterhaltung hätte versprechen können. Nächsten Morgen erschien er wieder bei mir, sehr verstimmt, und antwortete sehr kurz, dass die dortige Gesell- schaft, besser gesagt die sesellschaftsweise, nicht nach seinem Geschmacke sei. Weiter erwähnte er zu meiner grössten Ver- wunderung, dass er der Abwechslung zu liebe eine seiner Dich- tungen vortrug, die im Anfange einige Aufmerksamkeit fand, welche Aufmerksamkeit bald aber in gänzliche Interesselosigkeit, ja Ungeduld umschlug, so dass er selbst am meisten froh war enden zu können. » Schurz berichtet von der Vorlesung eines Gedichtes An die Muse und von der unerwartet peinlichen Wirkung einer Stelle, die von den Zuhörern allzu wörtlich genommen wurde. Das Gedicht, das Schurz (I, 66) als verloren bezeichnet, ist uns erhalten. Die Ueberschrift lautet in der Handschrift Bei Gelegenheit einer ländlichen Unterhaltung in Bordacs (47). Im Erstdruck (') ward es Die Göttin des Glücks betitelt. Die jetzige Fassung ist die Frucht einer späteren Ueber- arbeitung. Dies zeigt deutlich ein Vergleich der von Sehurz (1, 66) angeführten verhängnisvollen Stelle : Ja, dorthin seht ! schon naht aus Haines Mitte Die Göttin uns mit leichtbeschwingtem Schritte ! (1) Lenaus sämtliche Werke. Stuttgart, Cotta, 4880, II, 374, 34 IN UNGARISCH-ALTENBURG. mit dem jetzigen Wortlaut : Welch Schimmer ! ha! mich fasst ein süsses Bangen ! Ein Mädchen seh ich dort am Schattenrand Mit güldnem Fittig, rosenroten Wangen, Ihr Antlitz ist uns lächelnd zugewandt. Die Göttin ist's des Glücks! (Vs 5-9.) Falsch ist die Behauptung von Veszely, das von Lenau bei dieser Gelegenheit vorgetragene und ihm übergebene Gedicht sei Die Jugendträume. Dieses sandte der Dichter am 9. Juni 1826 an Fritz Kleyle mit der Bemerkung : « Hier hast Du ein Lied von mir, das ich eben dichtete » (47). Eine Göttin erscheint in Lenaus Gedicht wie in Klopstocks Ode Unsere Sprache. Sie kündigt ihr Erscheinen an durch das Rauschen der Pappeln (Vs A). Was rauscht nicht alles bei Hölty : Engelfittiche (S. 27), die Stunden (S. 29), der schwarze Flügel des Todes (S. 30), ein Mädchenchor (S. 90), der Kahn (S. 116). Die Pappelweide weht (S. 112), und in der Dämme- rung mondversilberter Pappeln weilt die Ruhe (S. 4). — Die Lenausche Göttin senkt sich auf die Wipfel der Pappeln nieder (Vs 3); so senkt sich bei Klopstock (Thuiskon, Vs 16, I, 172) der Adler herunter zu der Eiche Wipfel. Niedersenken ist über- hauft ein Lieblingswort Klopstocks, das er sowohl im transi- tiven wie im intransitiven Sinne gebraucht. Und nun : ... Rauscht es durch den Hain mit leisem Wehn. (Vs 4.) Das Rauschen des Haines ist eigentümlich klopstockisch ; es findet sich u. a. in den Oden Die Gestirne, Kaiser Heinrich, Siona, Unsere Fürsten (!), während Hölty nur einmal den Palmenhain rauschen lässt ($. 96). Die Lenausche Göttin hat (4) Muncker-PAwWeEL, I, 155, Vs 9; 461, Vs 13-14; 167, Vs 25; 187, Vs 33. IN UNGARISCH-ALTENBURG. 35 güldene Fittiche (Vs 7), die sind Klopstock entlehnt. Sie hat rosenrote Wangen (Vs 7) wie die Höltyschen Mädchen, deren Rosenwangen der Dichter nicht genug preisen kann. Sie lächelt uns (Vs 8) wie die sämtlichen Mädchen Höltys. Stehende Attri- bute Klopstocks und Höltys sind hier zu einer Beschreibung zusammengeschmolzen. Der poetischen Sprache Höltys ist das Wort Aschenkrug (Vs 16) entnommen (Hölty, S. 103), das Beiwort betränt dazu ist von Klopstock (u.a. Messias, 20. Gesang, Vs 61). Schattenrand (Vs 6) mag den Säumen der Schatten bei Hölty (S. 9) nachgebildet sein. Mit dem Trinkspruch Das Glas gefüllt! (Vs 21) beginnt Höltys Trinklied im Mai. Im Grund- gedanken stimmt das Lenausche Gedicht auch, um nicht bis auf das Carpe diem des Horaz zurückzugehen, überraschend überein mit Höltys : Der rechte Gebrauch des Lebens, Auf- munterung zur Freude und Lebenspflichten. V In Wien. Eine Pause im Berufsstudium. März-Oktober 1823. In einer Sommernacht gesungen. — Einem Ehrsüchtigen. — An eine Dame in Trauer. — Zögerung. — Trias harmonica. Anfang März 1823 erschien Lenau, der Altenburger Land- bauschule überdrüssig, plötzlich bei Schwager und Schwester in Wien. Trotz des Zuredens von diesen, bei der einmal ergrif- fenen Landwirtschaft zu bleiben, trotz der Drohung der Gross- mutter : « Er soll entweder auf der Stelle nach Altenburg zurück oder von mir verlassen werden » (34), beharrte er in seiner Gesinnung, die wahrscheinlich darin bestand, Medizin zu studieren. Da bei keiner Schule mehr anzukommen war, sagt Schurz (I, 68), so ging das Jahr 1823 für die wissen- schaftliche Ausbildung verloren. Wieder zieht die Mutter samt Gatten und zwei Töchterchen dem Sohne nach, um sich in Wien ebenso kümmerlich mit Kostgängern durchzuschlagen wie in Pressburg und Altenburg. Nunmehr ist Wien Lenaus ständiger Aufenthalt bis Ende Juni 1831. In einem Briefe an die Mutter nennt Lenau Wien « die grosse Pflanzschule des Lasters » (35). Es. war damals eine Stadt von kaum 300,000 Einwohnern, die Vororte einbegriffen, die den Einheimischen wie den Fremden als der Inbegriff aller Genüsse des Lebens galt. In diesem « Capua der Geister » bildete Wein, Weib und Gesang den Wahlspruch des Lebens. Seine Vaterstadt nennt der Chronist des Vormärz, Franz Gräffer, einen « Ozean von Musiziererei, Komödie, Seil- tänzerei, Tanz und Gespiel, Nachtschwärmerei, Buhlschaft, IN WIEN. Ss Landpartien, von tausend köstlichen und sehlaraffischen Raffine- ments und Exzessen » (!). « Sinnlichkeit überhaupt », schreibt ein scharfsinniger deutscher Beobachter, « bleibt die Axe, um welche sich das Leben und Streben der vornehmen und gemeinen Wiener dreht, daher die auffallende Erschlaffung aller geistigen Kräfte » (2). Die Kaiserstadt ruhte wie ein kostbares Kleinod auf einem noch kostbareren, unermesslich weiten, grünen Sammetteppich. Weite Rasenplätze, die Glaeis, trennten die innere Stadt von den Vororten. Punkte mit herrlichen Aus- sichten fand der Wiener von den Basteien in die Stadt hinein und hinaus (°). In reichster Fülle ward ihm Natur- und Kunst- genuss geboten, nur eins störte ihn in seinem genusssüchtigen Leichtleben, nämlich die Angst vor der geheimen Polizei. Die hatte ihre Nase überall, und kein Mensch war vor ihr sicher. « Hinter uns steht immer ein Polizeimann », schreibt Bauernfeld in seinem Tagebuch vom 31. August 1837 (1), und Lenau im Faust (Vs 1444-1155) : Ich sah das Heer von Maulspionen, Welch ein prophetischer Hochgenuss ! Wie Jäger, einen Fuchs zu prellen, Ans Loch des Baus ihm Schlingen stellen, Drein sich der Lose muss verfangen, Treibt ihn aus seiner dunklen Schluft Hinaus vorwitziges Verlangen Nach freier frischer Waldesluft : So schaut ich damals mit Ergetzen An Menschenmundes offner Pforte Spione lauern und die Worte Auffangen mit Verratesnetzen. (!) Angeführt in W. von Wurzgachs Vorrede zu seiner Ausgabe der Ausgewählten Werke von J. G. Seıpr. Leipzig, Hesse. S. VII. (2) Ad. von SCHADEN, Meister Fuchs oder humoristischer Spaziergang von Prag über Wien und Linz nach Passau. Dessau, im Verlag bei C. Schlieder o. J (1822). S.75. (%) W. Auexıs, Wiener Bilder, Leipzig, 1833. S. 93. (4) Grillparzer-Jahrbuch, V, 40. 38 IN WIEN. « Bei der panischen Furcht der Wiener », bemerkt A. von Schaden (S. 163), « an öffentlichen Orten über politische und Staatsangelegenheiten zu sprechen, gestaltet sich die Unterhal- tung in der Regel höchst dürftig. » Die nach dem Tode Kaiser Josephs (1790) einsetzende Revo- lutionsschnüffelei beherrschte andauernd die innere Politik Österreichs während der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr- hunderts. Die freiheitliche Kundgebung von Gentz (10. Sep- tember 1810) : « Kein Lichtstrahl, er komme, woher er wolle, soll in Zukunft unbeachtet und unbekannt in der Monarchie bleiben » ward in ihr gerades Gegenteil verkehrt. Das Jahr dieses Erlasses brachte, wie zum Hohne darauf, ein neues Zensurgesetz. Die übliche Phrase jedoch, dass die drakonische Strenge der Regierung — des Metternich- Sedlnitzkyschen Systems — gegen jedwede freiheitliche Regung, die scharfe Bücher- und Theaterzensur alle Geistesblüten getötet, entspricht nieht den Tatsachen. Hier bewahrheitet sich Lenaus Wort, dass nicht die Despotie das grösste Hindernis der Poesie, sondern das Philistertum und seine Pedanterie ('). Tatsächlich war die Kaiser-Franz — oder Biedermeierzeit, nämlich die beiden Jahr- zehnte nach dem Wiener Kongress, eine Zeit hohen kulturellen Glanzes. Am Wiener Himmel glänzten die hellen Sterne : Grill- parzer, Raimund, Beethoven und Schubert. Welch herrliche Fülle von Werken der Literatur und schönen Kunst drängen sich in diese Zeit zusammen : die besten Schöpfungen von Beethoven und Schubert, die ersten Dramen von Grillparzer und Raimund, die ersten Lustspiele von Bauernfeld, die Dich- tungen von Zedlitz, Pyrker, Seidl, Grün. Z. Werner hielt seine letzten Predigten und Fastenvorträge, Fr. Schlegel seine Vor- lesungen über die Philosophie des Lebens und die Philosophie der Geschichte. An den Wiener Jahrbüchern der Literatur arbei- teten die ersten Grössen der Zeit mit. (1) Lenau und Löwenthal, S. 291. Vgl. auch E. NiENDORF, S. 119, 131. IN WIEN. 39 Die viele Musse der unterrichtslosen Zeit gestattet Lenau einen lleissigen Besuch von Neuners silbernem Kaffeehaus, dem Haupt- sammelplatz der Literaten des vormärzlichen Wien. Es beginnt ein anregender Verkehr mit den Wiener Schriftstellern, unter denen besonders J.-G. Seidl, L. Halirsch, Dräxler-Manfred und Braun von Braunthal hervorzuheben sind. In späterer Zeit ver- kehrte Lenau im Neuner mit A. Grün, E. von Bauernfeld, Grillparzer, Raimund, Zedlitz, Feuchtersleben, um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen. Seidl betont (') Lenaus anfängliche äussere Verschlossenheit und das « melancholische Halbdunkel seiner Seele ». Aus manchen Zeugnissen lässt sich schliessen, dass der junge Niembsch sehr bescheiden über die Erstlinge seiner Muse dachte. Seinen Bekannten äusserte er nichts darüber, und nur in einem günstigen Augenblick gelang es dem ungestümen Drängen Seidls, seinem Freunde das Geständnis zu.entlocken, dass er auch dichte. « Worin aber bestanden seine Dichtungen? Wie er selbst sagte : in Reflexionen, Lebensansichten, Betrachtungen über die wichtigsten Fragen der Menschheit, Fragmenten, Rhapsodien, Aphorismen — när- rischem Zeug! » Lenau trug sich damals schon mit dem Gedanken, einen Faust zu schreiben, « aber nur für mich, für den Druck geht das nicht ». Wir wissen, dass er um diese Zeit mit Schurz zu lesen anfing. Diekterlektüre nebst Spracherlernung sind nach seinem eigenen Zeugnis (56) seine vorzüglichste Beschäftigung im Jahre 1823. Unter Spracherlernung ist das Studium des Englischen und Französischen zu verstehen. Der Ausspruch Lenaus zu Seidl über die ersten Dichtungen erlaubt wegen seines ganz allgemeinen und unbestimmten Inhalts und wegen seines burschikosen Tones keine Schlüsse auf die Entstehungszeit irgend eins der uns erhaltenen Jugend- gedichte. Verwegen wäre es, in dem hingeworfenen Worte Fragmente, auch wenn die richtige Ueberlieferung bezeugt (4) Wiener Sonntagsblätter, A848, Nr 5; auch bei Schurz, 1, 69 f. | 40 IN WIEN. wäre, die so betitelten Dichtungen erkennen zu wollen, die übrigens keine Fragmente, sondern abgeschlossene Bilder aus dem Leben sind. Etwas Bestimmtes über Lenaus Dichtung im Jahre 1823 erfahren wir erst aus seinem Briefe an Kleyle aus dem November 1823. Er schickt dem Freunde das Gedicht In einer Sommernacht gesungen (is) mit der Be- merkung, dass er es « diesen Sommer gemacht », und fährt fort : « Nächstens soll ein Herbstlied an meine Berta, eine Uebersetzung einer Ode Horazens, einige Sinngedichte u. s. w. folgen » (36). Das gründliche Studium der Klopstockischen Oden mit Schurz hinterlässt die unzweideutigsten Spuren in In einer Sommernacht gesungen. Klopstockische Lieblingswörter und Spracheigentümlichkeiten finden wir hier in Hülle und Fülle. Lieblingswörter wie : der Ewige, Dämmerungslicht, Himmels- gefilde, sündige Seele, erhaben, luftig, selig, schlummernd, Spracheigentümlichkeiten wie die Ausschmückung der Sätze durch zahlreiche Beiwörter und Mittelformen, der Gebrauch des Komparativs in absoluter Bedeutung, des Partizips in adver- bialer, die häufigen verbalen Zusammensetzungen mit ent und ver. Es kommt noch äusserlich die Wahl des Hexameters und innerlich die Verwendung des gleichen Landschaftsbildes einer mondbeglänzten Sommernacht wie in Klopstocks Die Sommer- nacht (L, 179) und Die frühen Gräber (I, 171) hinzu, um das Gedicht zu einer offenbaren Nachahmung von Klopstock zu stempeln. Schritt für Schritt lässt sich die Anlehnung an Klop- stock nachweisen. Die Nacht begrüsst Lenau als die Freundin stiller Betrachtung (Vs A). Auch Klopstock erscheint die Nacht als die günstige Zeit für einsame Betrachtungen in den Oden An Young und Der Hügel und der Hain (l, 108, Vs 6 ff.; 203, Vs 40 ff.). Das allerdings wenig charakteristische Wandeln des Mondes (Vs %) kommt so häufig bei Klopstock vor, dass man auch hier an eine Einwirkung denken kann. Dasselbe gilt vom schweigenden Wald (Vs 5) ; der schlummernde IN WIEN. 4 hingegen (Vs 7) ist eher Höltyisch. Wörtlich ist das letzte Verstummen des Menschen (Vs 16) Klopstock entnommen : Nun kam das letzte, Letzte Verstummen ! nun lag er tot da ! (Der Rheinwein, Vs 39-40, 1, 148.) O Nacht des Verstummens (Rotschilds Gräber, Vs 23, I, 477.) Fast wörtlich ist auch Vers 30 : Seligster aller Gedanken ! vielleicht gedacht vom Ew’gen Klopstocks Ode An Gott (Vs 13-14, I, 71) entlehnt : Gedanken Gottes, welche der Ewige, Der Weis’ itzt denket ! Aber auch Hölty hat Anteil an dem Gediehte. Die mond- beschienene, dämmernde Landschaft ist auch eins seiner Lieb- lingsmotive. Das Lenausche Bild vom verweheten Blütenhauche (Vs 27) findet sich in Höltys Trauerlied (S. 87), verwehen ist überhaupt ein gern von ihm gebrauchtes Wort. Bei der schleiernen Wolke, die den Mond birgt (Vs 18), und beim dunkelnden Schleier (Vs 20) hat Hölty vorgeschwebt : Dann lieber Mond, dann nimm den Schleier wieder, Und weine durch den Wolkenflor hernieder (8. 79.) Luna Tritt entschleiert aus den Wolken (S. 100.) Den Mond preist Hölty auch als schön, wenn er « hinter dem Schirm regnichter Wolken steht » (S. 9). Ueberhaupt liebt er das Wort Schleier (3.8, 334 I2). Ferner dankt Lenau Hölty das schmelzende Lied Philomelens (Vs 33). Philomele 42 IN WIEN. nennt Hölty oft die Nachtigall ($. 80, 108, 118) oder auch den schmelzenden Vogel (S. 70), der ein schmelzend Ach singt (S. 121). Auch das schmelzende Lied ist aus Hölty zu belegen (S. 16). Bei allen Uebereinstimmungen ist jedoch diese Lenausche Erhebung der Seele zu Gott ganz verschieden von der Klop- stockischen. Wir hören hier nicht den gläubigen Christen, der an einen persönlichen Gott glaubt, sondern vielmehr den Deisten heraus, der sich schon auf dem Wege zum Pantheismus befindet. Die Ode von Horaz, die Lenau nach der Meldung an Kleyle um diese Zeit übersetzte, ist vielleicht Justum et tenacem propositi virum. Schurz meldet (I, 73), dass er sich mit Lenau an der Uebertragung dieser Ode übte, und dass der irrsinnige Dichter sich in seiner Zelle zu Winnenthal noch dieser Arbeit erinnerte und der launigen Schurzeschen Uebersetzung des impavidum ferient ruinae gedachte ('). Laut des Briefes an Kleyle vom 8. December schrieb Lenau auch im Jahre 1823 einige Sinngedichte. Man denkt hierbei zunächst an den Vierzeiler Einem Ehrsüchtigen (133), zu dem sich eine bereits angeführte Seitenstelle schon im Briefe an die Mutter vom 17. Juni 1821 findet : « Meine Person hat sich über alle Lust, welche Geld, Amt u. s. w. geben können, erhoben ; ja, ich finde sogar eine Wollust darin, wenn man seine Welt in sich trägt, ohne durch Bande der Genussgierde an das Rad des Weltlaufes gebunden zu sein, wo man als Sklave nie- driger Lust der unbedingte und schwache Vollzieher fremder Beschlüsse wird. Ich verstehe es, Menschen und die Welt zu achten; ich verstehe es aber auch, diese und jene zu verlassen... doch nein! zu verachten wollt ich sagen » (50). Mit den Versen : v Lieber all dein heisses Strebeni In den eignen Busen kehre, (1) Schurz, II, 264. IN WIEN. 43 drückt Lenau das den Wiener Schriftstellern durch die Zeitum- stände aufgedrungene Losungswort aus.’ « Bei diesem hollän- dischen Stilleben », meint Bauernfeld ('), « in welches kein Geräusch der Welt, kein Licht des Tages drang, bei dieser hermetischen Abgeschlossenheit von allen äusseren und öffent- lichen Dingen, wie konnt es anders kommen, als dass wir damals jungen Leute uns in das Innere versenkten, uns ver- tieften in das Gemütsleben! Freundschaft, Liebe, Humanität und Literatur gaben unseren grünen Tagen ihre Färbung, und die Kunst wurde nicht mit Raffinement und Reklame betrieben, sondern um ihrer selbst willen, aus innerem Trieb und Drang ». Wie trefilich passen diese Worte auf den Jungen Lenau! Einen alten epigrammatischen Stoff greift Lenau auf in An eine Dame in Trauer (119), nur dass an die Stelle des Humors die Entrüstung tritt. Echt jugendlich ist der über- schwengliche Zorn des Dichters über diese ihren verstorbenen Gatten schnell vergessende Dame. Unbeholfen ist Sprache und Reim, geschmacklos sind Kraftausdrücke wie Schandeborn und : In dieser Kneipe wird die Träne, Die Edle, nicht geschenkt, Ein bedeutend besserer Wurf gelang dem Dichter in Zöge- rung (119). Den hier zu Grunde liegenden Vergleich des sein Ross bändigenden Reiters mit dem den Menschen bezwingenden Tod verdankt der Dichter vielleicht seinen wilden Ritten über die weiten Heiden bei Altenburg, wodurch jedoch nicht ange- deutet werden soll, dass das Gedicht eben in Altenburg ent- standen ist. Ein viertes Sinngedicht in weiterem Sinne Trias har- Monica (45) ist ein Seitenstück zu Der Inbeständige, eine Selbstbespiegelung wie dieses. Der jugendliche Uebermut weist (') Aus Alt- und Neu-Wien, Werke IV, 19, dl IN WIEN. in die Anfänge der Lenauschen Dichtung, die Erwähnung von gebrausten Dithyramben (Vs 10) führt über die allerersten dichterischen Versuche hinaus. Das Virgilsche Motto cui tres animas (t),das Klopstock seiner Ode An den Kaiser voranstellte, mag Lenau auf den Gedanken der drei Seelen (Vs I) gebracht haben, die seine Brust spalten. Dithyramben brausen ist Klopstocks Dithyramben donnern (1, 2, Vs 220). Auf Grund der Mitteilung an Kleyle können die vier letzt- genannten Gedichte, allerdings nicht mit Sicherheit, in das Jahr 1823 versetzt werden. Zweifellos gehören sie jedoch zu den Erstlingen der Lenauschen Muse, und ihre Entstehung geht sicher nicht über das Jahr 1825 hinaus. Dass Lenau im Jahre 1823 neben den Diehtern des Hain- bundes auch Goethe las und kannte, geht aus der Sendung eines Goetheschen Liedes an einen Altenburger Bekannten, namens A.-J. Bauer, hervor (2). Das zum Singen im Freundeskreise bestimmte Lied ist merkwürdiger Weise Goethes Vanitas ! vanitatum vanitas !, das so vorzüglich auf Lenaus Stimmung in dieser Zeit, wie sie sich in den Briefen und poetischen Selbst- sehilderungen ausspricht, passt, und dessen Ueberschrift das Hauptthema seiner Lyrik in den Jahren 1827-1829 wird: (1) Aeneis, VIII, Vs 564. () Werke III, 32. VI Die künftige Geliebte, Ende 1822-Ende 1823. An Mathilde. — An die Ersehnte, — An der Bahre der Geliebten. — Das Ideal. Die Gedichte an die Pressburger Unbekannte haben einen, wenn auch schwachen, Untergrund in der Wirklichkeit. Dieser geht den Lenauschen Versen, die das herkömmliche Thema der zukünftigen Geliebten besingen, vollständig ab. Ausschliesslich bestimmend wirkte wiederum hier das Vorbild der Dichter des Göttinger Hainbundes, bewirkte die auffällige Erscheinung, dass Lenau eine ideale, wesenlose Geliebte besingt, nachdem er ein wirkliches Wesen angedichtet. Dem von Klopstock, Hölty, Voss und Miller behandelten Thema der künftigen Geliebten huldigt der junge Niembsch in den Gedichten An Mathilde, An die Ersehnte, An der Bahre der Geliebten. Chronologisch sind sie zwischen die Verse an die Pressbur- gerin und die an Berta Hauer einzureihen. Das Gedicht An Mathilde (460) atmet die Klopstockische Mischung von Metaphysik und Leidenschaft, die in der Liebe einen unerschöpflichen Born geistiger Freuden sieht. Von Vers zu Vers ist Klopstocks Einwirkung, verbunden mit der Höltys, zu verfolgen. Die sanftere Seele (Vs I) finden wir bei Klopstock in der Ode Klage (I, 231, Vs 9) wieder. Sänftigend (Vs 2) ist ein Klopstockisches adverbiales Partizip, der West (Vs 3) sein ständiger Ausdruck für sanfter Wind. Das Kosen des Windes um eine Frauengestalt (Vs 4) hat Hölty (S. 80). Die summende, k6 DIE KUNFTIGE GELIEBTE. von Blüte zu Blüte wandelnde Biene (Vs 5-6) ist eins von Höltys Lieblingsbildern (S. 68, 70, 73, 89). Der Unendliche (Vs 8) und der Ewige (Vs 12) sind die bekannten Bezeichnun- gen Klopstocks für Gott. Die Welten (Vs 9) sind ein Klop- stockischer Plural, liebender, göttlicher (Vs 10) Klopstockische Komparative. Die sich den Sternen zuschwingende Seele (Vs 14) stimmt genau überein mit Hölty (Die Liebe S. 26). Die ver- hüllende, ewige Nacht (Vs 15) liebt auch Klopstock sehr (1,168, Vs 9; 172, Vs 4), und sie ist ihm auch eine dauernde, hüllende (1, 183, Vs 27), eine ewig bewölkende (I, 181, Vs 24). Auf die hyperbolischen Beiwörter : himmlisch, göttlich, wonnig, strah- lend, entzückend, die sich hier so häufen, braucht nur hingewie- sen zu werden. Die bebende Seele (Vs 19) stammt auch von Klopstock (I, 48, Vs 3 ff.; 36, Vs 25 f.; II, 73, Vs5 f.); ebenso oft bebt Klopstock das Herz. Steht Lenau hier eher unter der Gewalt Klopstocks, so zahlt er diesem und Hölty einen gleichmässigen Tribut in dem Gedichte An die Ersehnte (15). Vier Gedichte Klopstocks kommen hier in Betracht, die Lenau offenbar vorgeschwebt haben und eben so viele von Hölty. Die Sehnsucht nach der einstigen Geliebten berührt Klopstock schon im vierten Liede An Wingolf, dessen zweite Strophe charakteristisch genug lautet : Und du, o Freundin, die du mich lieben wirst, Wo bist du ? Dich sucht, Beste, mein einsames Mein fühlend Herz, in dunkler Zukunft, Durch Labyrinthe der Nacht hin suchts dich ! d, 4, Vs 58.) Diese Sehnsucht führt Klopstock. weiter aus in der Elegie Die künftige Geliebte (1, 31). In der Ode An Ebert (1, 39) denkt er sich den schrecklichen Fall, dass die ihm einst zu teil wer- ‚lende Geliebte vor ihm sterbe; mit wankendem Fusse will er gehen, auf ihr Grab eine Zypresse pflanzen (I, 43, Vs 73.. Den Ausdruck schmerzlicher Entsagung bringt die Ode An Fanny DIE KUNFTIGE GELIEBTE. 47 (1, 63) zugleich mit der Betonung, dass die Natur beide, den Dichter und die Geliebte, für einander bestimmt habe. Die Z,ypresse wird hier wieder als Symbol des Grabes verwandt : Sie kommt gewiss Die Stunde, die uns nach der Zypresse ruft ! (1, 64, Vs 44.) So loekt auch bei Lenau eine Stunde die Geliebte zur Kühle von Zypressen (Vs 18). Die Gestalt der künftigen Geliebten durchzieht die ganze Lyrik Höltys. Sie ist bei dem schwindsüchtigen, todesum- schatteten Jüngling mit der ungestillten Sehnsucht nach weib- licher Liebe im Herzen trauervolle Wirklichkeit, während sie bei Klopstock und Lenau nicht viel mehr als ein Spiel der Phantasie war. Die Ueberschrift des Gedichtes holte sich Lenau bei Hölty; das Gedicht, das Voss An die Ersehnte überschrieb, hiess ursprünglich Die künftige Geliebte. Bereits früher hatte Hölty in Das Traumbild (S. 112), Die Mainacht (S. 23) und Die Geliebte (S. 23) das Thema angeschlagen. Ein Jahr vor seinem Tode behandelt er es mit Vorliebe, phantasiert wie Lenau die Geliebte an sein Grab in An den Mond (S. 79) und schreibt wieder ein Gedicht Die künftige Geliebte (S. 28), das von den vielen am stärksten auf Lenau eingewirkt hat. Hölty wünscht, dass die Tugenden (Strophe 7) wie eine Schar von Schwesterengeln die Geliebte durch die Pfade des Erdenlebens leiten mögen. Lenau (Vs 9-40) ersehnt für sie selige Stunden, die mit ihren frohen Wandersängen das Mädchen einst durchs Erdental geleiten sollen. Leitet ihr Tugenden, Die Stunden, die mit frohen Wander- Wie eine Schaar von Schwesterengeln, [sängen Sie durch die Pfade des Erdenlebens! Das Mädchen einst durchs Erdental [geleiten. (Hölty.) | (Lenau.) Ueberrasehend ist die Ähnlichkeit des Bildes, seharf kenn- 48 DIE KUNFTIGE GELIEBTE. zeiehnend hingegen für den Unterschied der Auffassung die Umwandlung der Tugenden in Stunden. Bei aller Abhängigkeit von Klopstock und Hölty vermeidet Lenau die Ueberschweng- lichkeiten seiner Vorbilder und ergreift uns deshalb viel mäch- tiger, vielleicht auch weil er die Zuversicht auf eine diesseitige oder jenseitige Verwirklichung des Traumes nicht teilt und hierin schon seine Eigenart, « die schwarzen Federn des Raben Nikolaus », verrät. In seiner jetzigen Fassung kann das Gedicht nicht vor dem Jahre 1823 geschrieben sein, da es ausser dem Einfluss Höltys und Klopstocks deutlich den der im Jahre 1823 erschienenen Nouvelles meditations poetiques von Lamartine aufweist. Das poetische Bild der in der Zukunft Schattengängen schlum- mernden Stunden kann auf Lamartine zurückgeführt werden, der uns in dem Gedichte A Laurence (') eine dieser Stunden zeigt, wie sie aus dem Chor ihrer Schwestern hervortritt und dem Dichter sein Grab weist : Ces heures, en cercle enchainces, Qui dansaient au seuil des anne6es, Sortent du chreur decouronnees, Et leur aspect se rembrunit; La derniere vers moi s’avance, Et du doigt me montre en silence La couche oü le sommeil commence Sur un oreiller de granit. Dieses Grab ist ein finsterer Hügel, mit einer Zypresse bepflanzt. Lamartine nennt es ein: ... petit cercle d’ombre Que deerit sur un tertre sombre La flöche d’un jeune cyprös. (1) Nowvelles meditations poetiques. Paris, Hachette, 1880. S. 177-179 DIE KUNFTIGE GELIEBTE. 49 Diesen Hügel wird die künftige Geliebte — Lamartine nennt sie die divine inconnue — einst am Arme ihres Gatten betreten. Auch findet sich bei Lamartine die grundlegende Vorstellung, dass die wahlverwandte Ersehnte dieser Erde noch nicht geboren 1St > Oh ! pourquoi, divine inconnue, Pourquoi si tard es-tu venue Du ciel, de l’air ou de lanue, Passer et luire devant moi ? Du regard je t’aurais. suivie ! Oh Dieu! qui me rendra ma vie ! Ma part de temps me fut ravie, Puisque je vecus avant toi. Lenaus erster Vers : Umsonst ! du bist auf immer mir verloren ! umschreibt den von Lamartine : Retour perdu vers l’impossible ! Früh ward Lamartine in Wien bekannt, seine Nouvelles meditations poetiques namentlich sofort nach ihrem Erscheinen. Lenaus Freund J.-G. Seidl übersetzte einige Gedichte bereits im Jahrgange 1824 der Wiener Zeitschrift und gab im Jahre 1826 eine Uebertragung der Elegien heraus. Spätere Freunde Lenaus wie G. Schwab, der auch eine Auswahl aus Lamartine in deutscher Uebersetzung veröffentlichte, und M. Schleifer waren glühende Verehrer des französischen Dichters. Dass Lenau ihn kannte, geht unmittelbar aus einer derben Bemerkung über ihn dem Freunde L.-A. Frankl (S. 64) gegenüber hervor, die er durch den Zusatz mildert : « Der Lamartine kann schon etwas machen, aber ich kann es besser ». Die Einwirkung Lamartines auf das Gedicht An die Ersehnte, das erst 183% im 4 50 DIE KUNFTIGE GELIEBTE. Druck erschien, kann auch gelegentlich einer späteren Umar- beitung, die ich vermute, erfolgt sein. Mit seinem Gedichte krönt der junge Lenau die deutsche Lyrik, die die künftige Geliebte besingt. Hoch überragt sein Jugendwerk die Gedichte seiner Vorgänger, Lamartine nicht ausgeschlossen. Trotz der mannigfaltigen Einflüsse, die sich hier wirksam zeigen, ist jedoch keine Spur von sklavischer Nachah- mung zu entdecken, auch nichts von wörtlichen Anlehnungen. G. Kurth (!) hebt an dem Gedichte die Bilderpracht, die ergreifende Gefühlstiefe, und die symbolische, ja sozusagen prophetische Tragweite der düsteren Vision hervor und bemerkt, dass von literarischer Vasallenschaft keine Rede sein könne, wenn ein Dichter seine Vorbilder so umbilde und verkläre. Die engelgleiche, zukünftige Geliebte ist zu schön für diese Erde; ihre Reize locken den Tod, er holt sie und, zerschmettert steht der Jüngling An der Bahre der Geliebten (8). Vorbildlich wirkten bei dieser Ode im Klopstockisch-sapphi- schen Versmasse Höltys Gedichte An Minnas Geist (S. 147) und Der arme Wilhelm (S. 60). Wie glücklich war der Lie- bende, seine Minna starb, was soll er noch länger hier auf Erden ! (An Minnas Geist). Wilhelms Braut stirbt ; der arme Verlassene wünscht und ersehnt nichts mehr als den Tod (Der arme Wilhelm). Eine junge Braut auf der Bahre führt Hölty auch im Gedichte Lebenspflichten ein (S. 91). Ein Lieblings- wort Höltys und Klopstocks, der Göttinger Dichter überhaupt, übernehmend, gedenkt Lenau der Kühlung leiser Abend- winde (Vs 5), bei der er aus zitternder Seele den Liebesschwur sprach (V. 7). Bei Hölty zittert des Jünglings Seele, wenn die Liebe naht (S. 17), und ein süsses Zittern zittert durch sein Gebein, wenn ihm das Bild der künftigen Geliebten Lächelnd entgegentanzt (S. 28). Stumm hingestreckt liegt die Lenausche (4) Bericht über dieses Werk (Bull. de l’Acad. roy. de Belgique, [Classe des lettres, ete.], 1912, Nr 4, S. 151). DIE KUNFTIGE GELIEBTE. 31 Geliebte wie die Klopstockischen Leichname stumm ausge- streckt (I, 4, Vs20) ('). Die Gedichte dieser Gattung kann ich um eins vermehren, das bisher unbeachtet blieb und in keine Ausgabe aufgenommen wurde. Es heisst Das Ideal und ward von Lenau längere Zeit nach der Entstehung, wie dies gewöhnlich der Fall bei ihm ist, veröffentlicht im Taschenbuch Das Veilchen (?). Das den Sprachschatz von Klopstock stark ausbeutende Gedicht lautet: Tief in des Waldes heiligen Schatten sass Ich, und der Stimme, welche zu edleren Gedanken läd’t im Laubgesäusel, Horchte die Seele mit leis’rem Ohre. Und es ergriff mich schnell die Begeist’rung, Riss mich fort, — der Busen stürmete lauter mir Und weiter riss mich ’s fort, als wollt’ es Mich in der Welten Umarmung stürzen. ’ Schon hört’ ich nimmer säuseln das Eichenlaub, Weit wich zurück die Erde mit meinem Grab; Und jenseits war ich der Verwesung, In dem Gefilde der Ideale. (1) Eine « Schöne liegt erblasst » auch in Höltys Nachlassgedicht Elegie eines ' Schäfers. Melinde ist nicht mehr, untröstlich ist der Schäfer. Dieses ‘Gedicht bringt auch das Wort Kühlung, das sich noch findet auf S. 13, 31, 71, 74, 78, 79, 107, 109 und bei Klopstock in Muncker-Pawels Ausgabe der Oden u. a. I, 447, 119, 135, 180, 225; Il, 40, 130 sowie unzählige Male im Messias. (@) Das Veilchen. Ein Taschenbuch für Freunde einer gemütlichen und erhei- ternden Lektüre. Wien, bei H. Buchholz. 13, Jahrgang 1830. Unmittelbar darauf folgend bringt der Jahrgang noch den Erstdruck von Abendgemälde (das zweite der Abendbilder) mit der Unterschrift N. Niembsch. 52 DIE KUNFTIGE GELIEBTE, Da schwebt’ ein Mädchen lächelnd entgegen mir; Wie aus gelüpftem Schleier der Abendwolk’ Der Mond, so strahlte stille Tugend Ihr aus dem himmlischen Angesichte. — Donnergeroll jetzt zankte zurück mich, und Ein kalter Tropfen fiel auf die glüh’nde Stirn’ : Da war mein Ideal dahin, — es Strömte Regen herab vom Himmel. O schönes Bild! oft sucht’ ich im Leben dich; Doch hing die Seele sehnend nach dir hin, ach, So flohst du mich, und meine Thränen Netzten das flatternde Lockenhaar dir! Wir lesen hier die stehenden Beiwörter Klopstocks : heilig, himmlisch, edel, letzteres im Komparativ, den Donner und die Verwesung, die Welten und die Schatten, das Sduseln. Zurückzanken (Vs 17) ist den Klopstockischen : zurückbeben, zurückblenden, zurückbrausen, zurückdonnern, zurückhorchen, zurückzittern, zurückzwingen, zurückschaffen u. Ss. W. nach- gebildet. Unmittelbar aus Klopstock stammt das leisere Ohr (Vs 4): Hör es mein leiseres Ohr ! (Die künftige Geliebte, I, 31, Vs 4.) Leiseres Ohrs, das Auge lichter, sehn sie (Die Verwandelten, II, 47, Vs 13.) Doch schnell verbot ich meinem zu leisen Ohr (Gegenwart der Abwesenden, 1, 419, Vs 43.) DIE KUNFTIGE GELIEBTE, 53 Hölty steuert das lächelnde Mädchen (t) bei. Der Lenausche Vers: * Da schwebt ein Mädchen lächelnd entgegen mir (Vs 13) erinnerl an: Gibt der Himmel das Mädchen mir, Dessen lächelndes Bild mir um die Seele schwebt in Höltys Gedicht Die Beschäftigungen (S. 33). (1) S. 4, 5, 22, 23,:24, 27, 28, 99, 32, 33, 62, 84, 87 u. s. w. ohne des ande- ren alles zu gedenken, was sonst noch bei Hölty lächelt. Vo Berta Hauer. Erlebnis und Dichtung. — 1. Teil. Herbst 1823-Frühling 1826. Das Rosenmädchen. — Erinnerung (Selige Stunde...). Im November 1823 schreibt Lenau an Kleyle : « Freund! ich liebe! einem armen, vaterlosen, verlassenen Mädchen, von 15 Jahren, ohne eigentliche Bildung, aber mit Anlagen, die sie der schönsten Bildung fähig machen, schenkte ich mein Herz mit dem festen Entschlusse, es nicht wieder zurückzunehmen, wenn sie es in der Folge so zu schätzen weiss wie jetzt. — Ihre Gestalt ist sehr anziehend, ihr Grundzug des Charakters tiefes Gefühl, Hang zu liebenswürdiger Schwärmerei, ange- borener Sinn fürs Schöne und Schickliche. — Bei des Mädchens grosser Anhänglichkeit zu mir, lässt sich erwarten, dass sich ihr ganzes Wesen dem meinigen anpassen werde und dass ich einst schöne Tage an ihrer Seite verlebe » (36). Kleyle antwortet hierauf am 8. Dezember : « Meinen Niembsch im Gebiete der Liebe als Held auftreten zu sehen, war mir im ersten Augenblicke eine seltsame Erscheinung ; doch bei ruhiger Betrachtung finde ich es wohl natürlich, dass ein tieffühlender Sohn der göttlichen Musen von einem Wesen, in dem das Wahre, Schöne und Gute in so lieblichen Formen sich darstellt, mächtig angezogen werden müsse. Ich wünsche dir von ganzer Seele Glück zu dieser neuen Lebensfreude, die uns, nach einer allgemeinen Sage, am schnellsten über den Dunstkreis unserer BERTA_ HAUER. — 4. TEIL. 90 Erde hinaus in lichtere Sphären bringt. — Lebe wohl! Dein Kleyle » (!). Diese erste Erwähnung Bertas und die Antwort Kleyles genügen schon allein, um die Auffassung der meisten Lenau- biographen zu widerlegen, die der jüngste unter ihnen am schärfsten in die Worte fasst : « Es waren offenbar rein sinn- liche Motive, die den Dichter noch im Jünglingsalter auf mehrere Jahre eng an ein Mädchen fesselten, die aus den weniger gebil- deten Volksschichten stammte und ihm nichts zu geben ver- mochte als ihre jugendlichen Reize » (?). Diese Auffassung, die man nach der im Jahre 1891 erfolgten Veröffentlichung der Briefe an Kleyle (3) nieht mehr hätte aufrecht erhalten sollen, beruht auf Sehurzens Darstellung (I, 73 ff.), der in wenigen, jedoch vielsagenden Worten von Berta das Zerrbild der gemeinsten Dirne entwirft, das bis heute unverrückt in der Lenauforschung dasteht. Nach Schurz ist Berta die « bloss schöne Geliebte », an deren ‘« früheren Reinheit » der Liebende zweifelt, die sich in ihrer Faulheit von ihm unterhalten lässt, die sich später einem reicheren Liebhaber in die Arme wirft, deren Mutter sich durch eine « alle Schranken der Sitte durchbrechende Gemeinheit » auszeichnet. Schurz schildert die Sache so, als ob der ganz weltunerfahrene, naive Jüngling der Berechnung einer alten Vettel zum Opfer gefallen sei, die aus der Schönheit ihrer Tochter Kapital schlug. Aus- drücklich erklärt er, dass das Unterhalten der beiden faulen Frauenzimmer « fast ausschliesslich » Lenau oblag. Unmittelbar darauf folgt der Satz : « Aber woher sollte dieser, der infolge des Todes seines Grossvaters nur das unzulängliche Vermögen von 500 Stück Dukaten anliegen hatte und zudem auch nicht hart genug gegen sich war, um seine üble Lage durch freilich (4) Schurz, I, 73. () €. SCHAEFFER in der Einleitung zur neusten Lenauausgabe des Bibliogra- phischen Instituts, Leipzig, o. J. 8.19. ı3) Bei FrANKL, Lenau und Sophie Löwenthal, S. 216-248. 56 BERTA HAUER. — 1. TEIL. unsäglich mühseliges Stundengeben nur einigermassen zu ver- bessern — was ihm überdies als eines Edelmannes unwürdig gedäucht haben mochte — woher sollte wohl dieser immer die genügenden Mittel dazu beschaffen? » Und nun weiss der brave Schwager sich keinen anderen Rat als die blutarme Mutter Lenaus, deren « bedrängte Lage » er in einem Atem selbst eingesteht, anzuklagen, ihrem Sohne die Mittel zum Unterhalten seiner Geliebten nebst Mutter verschafft zu haben! Mindestens verdächtig sind auch die von Schurz behaupteten Zweifel Lenaus an der früheren Reinheit eines fünfzehnjährigen Kindes, wie überhaupt seine ganze Darstellung, von seiner Datierung der ersten Bekanntschaft an, die bedenklichsten Zweifel erweckt. Trotzdem ist diese Darlegung bis heute getreu nachgeschrieben worden, selbst H. Röttinger ('), der so umsichtige Forschungen über Berta angestellt, über welche unser Wissen bisher nicht hinausgekommen, hält unbedingt daran fest. So welt- und liebesunerfahren war Lenau nun doch nicht, um in einem Mädchen, dessen Gunst er von vornherein erkaufen musste, « tiefes Gefühl, Hang zu liebenswürdiger Schwärmerei, ange- borenen Sinn fürs Schöne und Schickliche, grosse Anhänglich- keit an ihm » zu sehen. Berta wird eben ein hübsches, anmutiges, urwüchsiges Wiener Mädel gewesen sein, das dem jungen Dichter herzlich zugetan war. Auch er schenkt ihr sein ganzes Herz, « mit dem festen Entschlusse, es nie wieder zurückzunehmen, wenn sie es in der Folge so zu schätzen weiss wie jetzt ». Bis in das Jahr 1823 hinein sind die Mitteilungen über Berta an Freund Kleyle auf diesen reinen, edlen Ton gestimmt. Am 13. Januar 182% schreibt Lenau : « Meine Berta wird mir täglich teurer, und ich fühle mich in dieser Befangenheit meines (4) Das Verdienst Röltingers besteht in der Auflindung von Aktenstücken über die Taufe des Kindes von Berta (43. März 1826‘, den Tod der Mutter Hauer (2. Novem- ber 1842), den Tod des Kindes (25. August 1844), den Tod Bertas (21. März 1868). Ueber dem Ursprunge, dem genauen Verlaufe, dem Ende des Verhältnisses ruht Dunkel nach wie vor. > vw BERTA HAUER. — 1. TEIL. BY Geistes unendlich glücklich und überzeuge mich immer mehr, dass selhstgentgende Freiheit nie so bee als mitteilende Teilnahme, wenn (!) sie uns auch von unseren Geliebten abhängig macht » (s7). Nicht sinnliche Leidenschaft, sondern das edelste menschliche Gefühl kommt hier zum Ausdruck. Mehr als ein Jahr später, am 13. Februar 1825, heisst es noch : « Diesen Brief schreib ich Dir im Zimmer und in der Nähe meiner Berta; es ist daher natürlich, dass ich ihn mit der Nachricht eröffne, dass ich noch immer so glücklich bin, dies Mädchen mein zu nennen, dass mein Gemüt, vom Odem dieses warmen, fühlenden Mädchens angefacht, manche Blüte seliger Empfindung treibt, kurz, dass ich mein Schicksal preise, sollt es mir auch nichts mehr geben als einen Freund wie Dich und eine Geliebte wie Sie » (58). Das schönste und reinste Liebes- glück strahlt aus diesen Zeilen. Auf die Dauer widerstand der heissblütige Jüngling nicht den Reizen des « warmen, fühlenden » Mädchens, dessen Schönheit selbst Schurz eingesteht. Der wahrscheinlich um die Mitte des Jahres 1825 beginnende intime Verkehr raubt dem Liebenden nichts von dem Glanze, der Wärme und Tiefe seiner Liebe. Am 13. März 1826 wird Lenaus Kind Adelheid getauft, und am 26. März meldet er Kleyle : « Ich lebe jetzt ziemlich vergnügt; ich habe ganz eigentümliche Freuden, von denen ich Dir erzählen werde, zu denen mir nichts fehlt als eine bürgerlich- sakramentalische Legitimation, die, wenn ’s gut geht, bald kommen wird, nämlich : ich führe den ehrwürdigen Namen pater Nicolaus, ohne ein Priester zu sein » (46). Fast drei Jahre dauert nun schon das Verhältnis, und fester denn zuvor hat Lenau die Absicht, es in ein rechtmässig-eheliches umzuge- stalten. So gemein wie Schurz es sehildest, wird es wohl nicht in der Hauerschen Wirtschaft ausgesehen haben. Auch zweifelte Lenau nicht im mindesten an seiner Vaterschaft, was auch aus (!) Der Druck bei Frankl und auch bei Gastle setzt hier weil stalt wenn. 58 BERTA HAUER. — 1. TEIL. dem Umstande hervorgeht, dass Lenaus Schwester Magdalena bei der Taufe Patin stand. Die Sorge um sein Kind legt nun allerdings dem jungen Vater sachliche Verbindlichkeiten auf. Im November 1825 drängt es ihn gewaltig dahin, seine Grossjährigkeitserklärung zu erhalten, um die 1,000 Gulden des grossväterlichen Vermö- gens (1) in die Hände zu bekommen. Dringend bittet er Kleyle um seine Beihilfe (43-4) und meldet ihm am 6. Januar 1826, dass das ihm vom Freunde verschaffte Zeugnis den Ausschlag zu einer guten Wendung der Angelegenheit gegeben (s5). Nun erst ist er in der Lage, nicht seine Geliebte nebst ihrer Mutter zu unterhalten (?), sondern sie bescheiden zu unterstützen, was nunmehr auch nur seine Pflicht und Schuldigkeit war. Fast drei Jahre ungetrübten Glückes schenkte die so arg (4) Der Grossvater war am 3. Juli 4822 gestorben. Der mir während des Druckes dieses Bogens zugekommene 4. Band der Werke bringt Urkunden in dieser Ange- legenheit, welche die Briefe an Kleyle beleuchten und erklären. Eine am ö. Dezem- ber 1825 erfolgte Eingabe von Lenaus Mutter an die Obervormundschaftsbehörde, das nieder-österr. Landreeht, bittet um frühzeitige Grossjährigkeitserklärung ihres Sohnes, unter dem in J,enaus Brief vom 23. November 1825 angegebenem Vor- wande. Am 13. Dezember 1895 wurde die erbetene Altersnachsicht von acht Monaten eıteilt, am 40. Februar 1896 ward Lenau sein Teil des grossväterlichen Vermögens übergeben. (Aktenstücke Nr 82-87.) — Die Urkunden Nr 4 bis 81 konnte ich für meine bisherige Darstellung nicht benutzen. Sie berühren jedoch nur Unwesentliches für meine Aufgabe. Nachzutragen ist, dass die Zeugnisse über die Studien an der Universität sehr günstig lauten und eine Einschränkung des S. 9 abgegebenen Urteils dahin erfordern, dass ırolz grossen Lerneifers und zahlreicher hervorragender Einzelerfolge kein zweckmässiges Endergebnis erzielt ward. Glän- zend sind auch die Zeugnisse der Rechtsakademie in Pressburg, was die Darstel- lung $. 21 nicht vermuten lässt. (2) Infolge seiner Abschwenkung im März 1893 entzog ihm die Grossmutter die monatliche Unterstützung, die er in Altenburg mit der Mutter teilte. Diese benach- richtigt er am 8. März, dass er nunmehr nichts mehr für sie tun könne, da er selbst genug zu tun habe, um sich allein durchzuschlagen. Ende des Jahres 1823 war er jedoch wieder im Besitz des grossmütterlichen Zuschusses, wie aus seinem Briefe an Kleyle aus dem November 1823 hervorgeht. Wie wenig zuverlässig Schurz ist, geht u. a. daraus hervor, dass er die wiedergewonnene Unterstützung der Gross- mutter erst zu Ende des Jahres 4825 ansetzt (I, 74). BERTA HAUER. — 1. TEIL. 59 geschmähte Berta dem jungen Lenau. Wie merkwürdig stechen die Briefe der Jahre 1823-1823 ab von den vorhergehenden und nachfolgenden. Keine einzige Wehklage ertönt, nur einmal wird eine elegische Stimmung erwähnt, verursacht durch ein vergebliches Harren auf Freund Kleyle (39). Im Hochgefühl seiner Liebe fand Lenau den Mut, den dritten Jahrgang des Triennium philosophieum nachzuholen (1823-1824) und sich dann dem ihm so verhassten Studium der Rechtswissenschaft zuzuwenden, dem er zwei Jahre treu blieb (1824-1826). Die erste Berta-Zeit ist für seine Jünglingsjahre, was die Tokayer Zeit für sein Knabenalter war. Fast unmittelbar schliesst sich die Berta-Dichtung an die- jenige an, die das Thema der zukünftigen Geliebten behandelt. Falsch ist die gewöhnliche Annahme, dass die wirkliche Geliebte der Dichtung Lenaus Wirklichkeitsgehalt bringt; dies geschieht erst viel später, nachdem diese Liebschaft eine schlimme Wen- dung genommen und das Verhältnis gelöst war. Das Glück reizt Lenaus Muse nicht, nur das Unglück weckt sie, und das Erlebnis wirkt nur ganz ausnahmsweise unmittelbar bei ihm. So ist denn zunächst Berta für seine Muse nicht mehr als die ideale Geliebte. Das Verhältnis gibt nur den Stoff zu Formübungen und Nachahmungen ab. Wahrscheinlich ist Das Rosenmädchen (462) das im ersten Briefe an Kleyle erwähnte und folglich 1823 gedichtete « Herbstlied ». Bezeichnend ist der allgemeine Inhalt, der eine unmittelbare Beziehung ausschliesst. « Ein Herbstlied an meine Berta » (36) heisst hier nur : Berta gewidmet. Vorbildlich ist hier wiederum Hölty. Man wird unwillkürlich an Höltys Der Anger (S. 76) erinnert, wenn auch nicht gerade das Gedicht wörtliche Uebereinstimmungen bringt, die vielmehr “zahlreich genug in anderen Dichtungen Höltys zerstreut sind. Das Bild des blumenpflegenden Mädchens, des Mädchens unter Rosen, die Verbindung von welken Rosen mit traurigen Gedanken sind Höltys Lyrik sehr geläufig, und an Ähnlich- keiten im einzelnen ist kein Mangel. Ein engelreines Mädchen 60 BERTA HAUER. — 1. TEIL. erzieht sich Rosen in einem tief im Haine verborgenen Rosen- beete, wo die Lieder der Nachtigall sich in den rauschenden Fall der Quelle mengen (Strophe.1). Die Strophe ist ganz aus Anklängen an Hölty und Klopstock zusammengesetzt. Hölty nennt seine Geliebte die Engelreine (S. 82), er sieht sie wie Eva vor dem Sündenfall im kleinen Blumengarten, begrüsst von der Nachtigall, der Frühlingsblumen warten (3. 85) oder im Blumengarten am Beete gehn, des Rosenbaums zu warten (S. 113). Das Mädchen inmitten der Blumen seines Gartens ist übrigens stehende Figur der Lenau unbekannten Volksdichtung. Anderswo holt sich Lenau bei Hölty den Wasserfall und den Nachtigallengesang mit einander verbunden, nämlich aus den Gedichten Mailied (S. 68) und Seufzer (S. 80) : Sitzend unter grünen Bäumen, Das Bächlein rauschet Hören sie den Wasserfall ei era Ueber glatte Kiesel schäumen, Der Nachtigallen Und Gesang der Nachtigall. Gesänge schallen. (Hölty, Mailied.) (Hölty, Seufzer.) Die Verbindung des Haines mit dem Bache zeigt Klopstock (1, 197, Vs 29). Auch er spricht vom rauschenden Quell (I, 20%, Vs 57 f.) und vom Quells Fall (1, 200, Vs 21), auch er zeichnet das Bild des Mädchens, das am Schattenbach des bardischen Quells Blumen des Hains sorgsam erzieht (Der Bach, 1, 182, Vs 1-3). In diesem Klopstock-Höltyschen Rahmen steht das unschuldsvolle Mädchen, schaut mit Wonne die Blüten, höher sehwillt ihr der Busen (Str. 2). Es ist das Höltysche Mädchen, rein und unschuldig wie Eva vor dem Sündenfall, dessen bebenden, schwellenden Busen Hölty so oft besingt. Im Herbste steht das Mädchen am murmelnden Wasserfall, von säuselnden Lüften umweht, und trauert, dass alles vergeht : Das Auge nass, Die Wange blass. (Str. 3.). BERTA HAUER. — A. TEIL. 61 . Murmeln und säuseln gehören zum Sprachschatze Höltys, letzteres auch zu dem Klopstocks. Der Mond sieht den Dichter Hölty die Wange blass, das Auge tränennass (S. 78). Die Sendung des Gedichtes Erinnerung (Selige Stunde...) (461) an Kleyle führt Lenau mit den Worten ein : « Hier hast du eine kleine Ode an meine Berta » (37). Berta ist sogar darin genannt. Trotzdem ist das Gedicht nur eine Uebung in der Form der Sapphischen Ode; indem der Dichter das Schema im Briefe an Kleyle angibt, deutet er an, worauf es ihm vor allem ankommt. Die Ode vertritt die erste Stufe der Entwickelung des Verhältnisses zu Berta, die des ersten Liebesglückes, die in den Briefen an Kleyle aus dem November 1823, vom 13. Januar 1824 und 13. Februar 1825 ihren Widerhall findet, nahezu drei Jahre dauerte und sich in der Dichtung nur in dieser einen Ode widerspiegelt. So wenig schürt das Glück der Liebe das poetische Feuer, dass der Dichter nichts Besseres weiss, als es in einem gekünstelten Versmasse und unter starker Anlehnung an seine bekannten Vorbilder zu besingen. Mächtig ergriffen von der Liebe Sehnen ist Berta an den bewegten Busen des Dichters gesunken (Str. 1), ganz ähnlich wie Klopstock von seiner künftigen Geliebten träumt : Sinkt sie, von süsser Gewalt der mächtigen Liebe bezwungen, Nie mit der Dämmerung Stern mir an die bebende Brust? (1, 32, Vs 33 £.) Eine selige Stunde nennt Lenau diese, gerade wie Klopstock : Ach! dann komt die selige Stunde der ersten Umarmung (1, 62, Vs 57) oder : Jene trunkene l.ust, wenn die erweinete, Fast zu selige Stunde komt, Die dem Liebenden sagt, dass er geliebet wird ! (I, 114, Vs 5-7.) 62 BERTA HAUER, — A. TEIL. Das Sinken an den Busen, den offenen, klopfenden u. s. w. liebt auch Hölty. Auch er feiert in den Gedichten Der Kuss (S. 31), Der Traum (S. 57) u. a. die Stunde der ersten Umar- mung. Die göttliche Minna fliegt oder giesst sich ihm an die Brust (S. 16) wie die göttliche Berta an Lenaus Busen, Feuer- küsse (S. 116) beseligen ihn wie glühende Küsse Lenau. Beide Gedichte sandte Lenau an Kleyle im Briefe vom 43. Januar 1824. Man darf sie deshalb nicht in das Jahr 1824 versetzen. Das Datum der Sendung ist nicht das der Entstehung. Durchgängig geht bei Lenau die Entstehung eines Gedichtes der brieflichen Mitteilung desselben an Freunde um eine beträchtliche Zeit voraus. VII Oden. 1822-1825. An Seneca. — In der Nacht. — An einen Tyrannen. — König und Dichter. — Zuruf an meinen Geist. — Abendbilder. — Bruchstück einer Ode. — Am Grabe Höltys. In die Frühzeit von Lenaus Schaffen sind auch seine Oden in antiken Silbenmassen zu setzen. Sie tragen sämtlich das Merk- mal der Nachahmung, nicht der alten Dichter, wie vielfach behauptet wurde (!), auch nicht Platens oder Hölderlins, wie G. Schwab meint (?), sondern wiederum Klopstocks und Höltys. Als eines der « frühesten Gedichte » Lenaus bezeichnet Schurz (l, 51) die Ode An Seneca (466). Er berichtet auch (1, 73), dass Lenau, « ein sehr tüchtiger Lateiner », ihn in die Kenntnis der antiken Dichtung, namentlich Senecas und Horazens einführte, dass der junge Niembsch Seneca « sehr liebte und hochhielt » und in der Ansicht über den Selbstmord mit dem römischen Dichter übereinstimmte. Wie der Jüngling den Stoizismus Senecas zur Schau trug, ist aus mehreren bereits mitgeteilten Stellen seiner Jugendbriefe zu ersehen. Seneca stand schon auf dem Lehrplan des Piaristengyninasiums in (1) Zuerst von M. Koch in seiner vortrefllichen Einleitung zur Lenauausgabe in KüRrSCHNERS DEUTSCHER NATIONALLITERATUR. « Lenaus Odendichtung kann vielleicht besser auf Horaz als auf Klopstock zurückgeführt werden. » S. vır. (2) Gedichte von N. Lenau in Blätter für literarische Unterhaltung 1832, Nr 281 und 282, abgedruckt bei K. Klüpfel, S. 176-495. Auch Schwab meint : « Die Oden in antiken Silbenmassen scheinen frühere Versuche zu sein. » Die Besprechung Schwabs gewinnt eine besondere Bedeutung durch Lenaus Äusserung zu Max Löwenthal am 17. Oktober 1837. S. Tagebuch von Max Löwenthal Nr 48. 64 ODEN. Pest. In eine tiefere Kenntnis mag der Professor A. Stein seinen Schüler eingeführt haben. Eine Parallelstelle in einem viel späteren Briefe an Kleyle aus dem Herbst 1828 : « Ich glaube fürs praktische Leben nicht viel zu taugen, und hierbei tröstet mich bloss der Gedanke, dass schon Seneca einen Unter- schied machte zwischen Menschen der Kontemplation und der Praxis und beiderlei achtete » (55), kann nicht für die Entste- hung herangezogen werden. Dass diese viel früher anzusetzen, beweist auch eine Handschrift des Gedichtes, die sich in dem Bruchstück eines Heftes in der Umgebung von ersten Jugend- gedichten wie Unmögliches findet (*). Bei der ganz herkömmlichen Beschreibung des Gewitters scheinen Bestandteile aus Klopstocks Gewitterbeschreibungen herübergenommen zu sein. Beim mühsam durch Gesträuch fortkriechenden Pfad (Vs 3-4) denkt man an Klopstocks gewundnen Pfad, der sich steiler empor mit dem Felsen hebt (II, 52, Vs 15-17), an die sich durch Einöden krümmenden Pfade (II, 65, Vs 37), an den steilen, durch die Irr’ gehenden Pfad (U, 19, Vs 13), an den zwischen Tiefen sich schlängelnden schmäleren Fusssteig (I, 24, Vs 17-18). Wörter wie : Gewölk, Gesträuch, Getümmel, herunterdämmern, vorwärtszagen, das elysische Feld sind deutliche Kennzeichen der Nachbildung. — ‚Wie so oft, ja fast bei jedem Jugendgedicht, muss auch Hölty berücksichtigt werden. Die beiden Höltyschen Attribute des Mondes lieb und freundlich finden sich in den Versen : Wie sucht dein Aug, o Wandrer den lieben Moni ! Er bricht hervor dort und beleuchtet Freundlich dir, eile! des Tages Ausgang ! (Vs 18-20.) Das umgekehrte Verhältnis, das heisst‘ ein Vorherrschen Höltys, tritt ein bei der Ode In der Nacht (47), die in der (4) Näheres bei CASTLE, Lenau-Reliquien. (ÖSTERREICHISCHE RUNDSCHAU, XXI], 65.) ODEN. 65 Ausgabe von 1832 die Abteilung Oden beschliesst, chronolo- gisch jedoch früher anzusetzen ist. Wörtlich mit Klopstock übereinstimmend ist Vs 3-4 : der sanft schimmernde Mond (Klopstock, I, 156, Vs 50), Vs 7 : die süsse Umarmung (1, 35, Vs 92), Vs 13 : das Sinken der Blüte (I, 437, Vs 10). — Die ersten Verse des Gedichtes sind einer Halbstrophe aus Höltys Gedicht An Voss (S. 21) nachgeschrieben : Alles schläft, und übers Gefild der Ruhe | Stilles Trittes, o Voss, wandelt indes Wandelt leisen Schrittes dahin des [dein Freund [Lebens Genius. | Durch Gefilde der Ruh. (Lenau.) (Hölty.) Die Lampe des Mondes (Vs 4) ist Höltys Hespers Lampe (S. 102). Auch bei Hölty ist der Mond ein lächelnder Gott (Vs 6, Hölty, S. 8, 9, 10), der freundlich auf Liebende herab- blickt und Gefühle der Schwermut weckt. Die kummergebleichte Wange (Vs 10) nennt Hölty zweimal die bleich gehärmte (S. 94, 118). Das mondversilberte Laub (Vs 17) entspricht dem silbernen Mond, den Klopstock und Hölty so oft einführen, und den unzähligen Vergleichen, in denen beide — Hölty jedoch mehr noch als Klopstock — ihre Lieblingsfarbe anbrin- gen. Aus Hölty ist das Silber etwa 30 mal zu belegen. Der im letzten Verse erwähnte Geliebte, über dessen Verlust Lenau trauert, ist sein Jugendlehrer, Joseph von Kövesdy, den er in einem undatierten Briefe an die Mutter seinen « unver- gesslichen teuren » (5) nennt, dessen Tod er in einem Briefe vom 13. Mai 1820 beklagt (11), den er am 20. Juni 1820 der Mutter wieder als den « unvergesslichen » bezeichnet, dem er seine Schwärmerei danke sowie das Mittel, sich über das Gewöhn- liche im Leben zu erheben (15). Kövesdy starb im Jahre 1819 in Budapest. So könnte Vers 19 : Dreimal welkte der Halm am Grabe meines Geliebten ot 66 ODEN. zu der Datierung 1822 leiten. So viel Gewicht kann man jedoch nicht auf dies poetische Dreimal legen, um so weniger, da es eine Erinnerung an das Horazische : Zum drittenmale streift das Laub der Winter (1) sein könnte. Die Oden An Seneca und In der Nacht schloss Lenau seit 1837 von seinen Sammlungen aus, was ja auch einen Fingerzeig für frühzeitige Entstehung abgibt; bereits seit 1834 liess er die Ode An einen Tyrannen und seit 1837 die verwandte König und Dichter weg. In diesen beiden Oden zahlt er der Anti- tyrannendiehtung der Hainbündler seinen Tribut. Die alkäische Ode An einen Tyrannen (is) gibt den Tyrannenoden der Göttinger an überschwenglichem Pathos nichts nach. Sie ist ebenso blutvoll, schwülstig und verstiegen wie diese. Sie “ strotzt von bombastischen Kraftausdrücken wie : Gebirg des Bluts, Schneegebirg von Menschengebeinen, Schädellawinen, in strafender Ewigkeit aufschäumen, donnernd in die Tiefe schleudern, dem entsetzten Anblick entgegengleissen. Zu solchem Schwulst versteigt sich Klopstock seltener als seine ihn über- bietenden Nachahmer. Die gesamte Dichtung der Göttinger, welche die Verbrechen der Regenten aufzählt, braucht hier nicht berücksichtigt zu werden, es genügt an Oden Klopstocks wie Die Krieger, Der Eroberungskrieg und an die Revolutions- oden, in denen er die Eroberungskriege der Republik und insbesondere die Schreekensmänner der Revolution verflucht, zu erinnern, um die Entstehung von Lenaus Gedicht zu erklären. An gleichlautenden Einzelheiten im Ausdruck ist auch kein Mangel. Das vergossene Blut raucht (Vs 1-2) auch bei Klop- stoek (II, 86, Vs 10), seine Könige bringen dem Tode zum Opfer von heissem Blute schäumende Schalen (I, 25, Vs 35 f.), (4) Hie tertius December... silvis honorem decutit. Epode 11, An Pectius. ODEN. 67 wovon bei Lenau dem Tyrannen ein jeglicher Tropfen einst aufschäumen soll, in strafender Ewigkeit. Klopstock entnom- men ist die Sehnsucht nach den Tälern Elysiums (Vs 10), das Wonnelied der Auserwählten (Vs 19) ; entgegengleissen (Vs 13) entspricht zahlreichen ähnlichen Zusammensetzungen bei ihm, das einfache gleissen gebraucht Klopstock öfters, donnernd (Vs 12) weist unmittelbar auf ihn hin. In König und Dichter (is) führt Lenau einen der Klopstockischen Könige ein : Königen gab der Olympier Stoltz, und sklavischen Pöbel Um den gefürchteten Thron : Weisheit gab er den Königen nicht; sonst hielten sie Menschen Nicht für würgbares Vieh. (Verhängnisse, I, 6, Vs 1-4.) Ein soleher König ist für Klopstock Friedrich der Grosse. In der Ode Delphi schildert er ihn als ehrgeizigen Eroberer, der Unglück über Tausende gebracht und noch bringen werde. Der Stolz entflammt ihn auf dem Throne (ll, 4%, Vs 62, 64), wie der Lenausche König stolz auf erhabnem Throne flammı (Vs 4). Ähnlichkeit der Bilder weist die 24. Strophe dieser Ode mit der zweiten Lenaus auf. Klopstock führt aus, dass der Krieg zwischen Preussen und Österreich bald von neuem entflammen werde : Friede beascht jetzt schlummernde Glut : doch Erobrung Wird nicht verziehn ! und so bald sich mit der Zeiten Wechsel wirbelt ein Sturm ; verfliegt die Asche, wird Flamme die Glut ! (Vs 93-96 ) In anderen Worten bringt Lenau dieselben Bilder : Zum nahen Flug jetzt lüftet der schnelle Tod Den Fittig, und — was flammte, das glimmt nur mehr : Er rauscht heran — sein starker Flügel Fächelt vom Throne herab die Asche. (Vs 5-8.) ODEN. 68 Anderswo bei Klopstock (I, 39, Vs 2% f.) ereilt der Donner (N) einen Wanderer, fasst ihn tötlich und macht ihm das Gebein zu fallendem Staube. Klopstockisch ist der hohe Olymp (Ns 12); bei ihm (I, 167, Vs 27) wie bei Lenau (Vs 10) horcht die Quelle dem Harfenlaut des Sängers. Der Inhalt der Lenauschen Ode bietet auch auffallende Gleichheit mit dem der Klopstockischen Der Nachruhm (ll, 39) und Der Gränzstein (II, 48). In beiden stellt Klopstock das Wirken der Könige dem des Dichters gegenüber. Gefälscht wird der Nachruhm der Krieger und Könige; unverfälscht kommt nur das Werk des Dichters auf die Nachwelt (Der Nachruhm). Keine Dauer hat das Wirken des Königs, ewige hingegen das des Dichters (Der Gränzstein) : Könige sind weitwirkend, auch bleibt ’s, wie ein Abend- Schatten ; und doch muss auch dieser sich verlieren ! Ach die Handlung sinkt hin, und klimmt nicht Ueber der Sonderung Stein. (IT, 49, Vs 29-32.) Hingegen was der Dichter schafft : Jenseit ist das der Höhe, die gränzt. Was es wirkte, Wirket es steis, wie im Anfang, so von neuem ! Jahre fliehn ; und es strömt sein Einfluss, Wie der Beginn sich ergoss. (II, 49, Vs 45-48.) Ist es nicht das weitwirkende der Klopstockischen Könige, das Lenau ausführt : ® Befehl den Völkern winkt in die Fernen er, Denn scheu vor ihm zurück stets weiter Weichen die Grenzen des Reichs, und weiter. (Vs 2-4 ) In Worten, die wegen ihres häufigen Gebrauchs bei Klop- ODEN. 69 stock auffallen, singt auch Lenau die Ewigkeitsdauer der Diehtkunst : doch im Triumphe führt Die Ewigkeit sein Lied davon, das Zürnend die Stärkere dir entrissen, (Vs 14-16.) Muss man noch Ausdrücke wie erhaben, Fittich, rauschen, seliger, herabsehnen, entsinken anführen, um die diesmal skla- vische Nachahmung des Vorbildes festzustellen ? Von Klopstock abhängig ist auch die alkäische Ode Zuruf an meinen Geist (ss). Sie ist eine Aufforderung an den Geist des Dichters, all die bösen Zweifel der Skepsis zu zer- streuen, die ilın von frühester Jugend an geplagt und auch so stark beitrugen, sein Leben zu verdüstern. Ein Gegenge- wicht gegen die vielfachen rationalistischen Einflüsse in seiner ersten Jugend, die sich während seiner Universitätszeit bedeu- tend verstärkten, da fast alle Professoren, der Religionslehrer Weindridt nieht ausgenommen, mehr oder weniger Freigeister waren (?), bot ihm nur das Lesen Klopstocks. Diesem mag auch der Wunsch entkeimt sein, Herr zu werden über den Zweifel, und dieser Wunsch ist auch ganz klopstockisch ausgedrückt. Dem Klopstockischen Adler, der zur Wolke steigt und dann herunter zu der Eiche Wipfel sich senkt, sind wir schon begeg- net. Auf Adlers Flügeln möchte Klopstock auch hin zu den Höhen eilen, den Höhen der Herrlichkeit (I, 215, Vs 67-69). In den Bardengesängen der Hermanns Schlacht bilden die Adler Wodans sozusagen das Leitmotiv. Vorbild der Lenauschen Verse : Auf schwingt der Aar sich über dem Schlachtgefild, Senkt bald herab sein Aug auf die Leichen... (!) BAUERNFELD, Aus Alt- und Neu-Wien. Werke IV, 9 ff. 70 ODEN. ist die Stelle aus dem Bardenchor des vierten Auftrittes der Hermanns Schlacht : Ihr musstet sie nehmen, sie nehmen Die hohen Adler! Jetzo schweben sie Jangsam fort Ueber euren Leichen. Ihr Auge blicket glühend herab Auf das Blut, das im Tale raucht ! Die Wolke, die Den Sonnenstrahl der Auferstehung Fallen nicht lässt in die offnen Gräber (Vs 7-8), stammt auch von Klopstock. Dieser kennt eine Wolke, Die den weckenden Strahl einkerkert, Den uns die Frühe gebar. (II, 158, Vs 2-4.) Die Auferstehung (Vs 7) ist uns aus der Messiade genugsam bekannt und die offenen Gräber (Vs 8) aus den Oden (l, 41, Vs 33; 59, Vs 45; 154, Vs 40; 156, Vs 55). Der Ode Lenaus könnte man die Strophe aus der Ode Das Anschaun Gottes als Motto voranstellen : Erheb’, o meine Seele, dich über die Sterblichkeit, Blick auf, und schau; und du wirst strahlenvoll Des Vaters Klarheit... schaun ! (1,131, Vs 61-64.) Ein Hauch kindlicher Frömmigkeit, wie wir ihn nur ganz vereinzelt bei Lenau wahrnehmen, durchweht die friedlichen Abendbilder (sr). Die Natur ruht wie ein schlummerndes Kind in den Armen Gottvatters, sein göttliches Auge weilt voll ODEN. 71 Liebe auf ihr, und sein Odem weht über ihr Antlitz. Der fromme, schuldlose Hirt sinnt über Gottes Güte nach, und in der Abenddämmerung falten sich seine Hände zum stillen Gebete. Es ist die « ländlich fromme Flöte » (') der Schäferdiehtung, die hier ertönt, und wir treffen hier den jungen Diehter in Gesellschaft der Hainbündler im kühlen Schatten der anakreon- tischen Haine inmitten blökender Herden, schuldloser Hirten und Hirtinnen mit Stab und Flöte. Diese Schäfergedichte Lenaus sind ganz idealistisch gehalten, mehr in der älteren Gessnerschen Art oder in der Weise Jacobis als im mitunter realistischen Stile der Göttinger. Auch der fromme Zug ist eher den ersteren als den letzteren eigen. Trotzdem sind Einwirkun- gen Gessners und Jacobis im einzelnen, namentlich im Stile, nicht nachzuweisen, hingegen wohl solche Klopstocks, mehr noch Höltys. Um die Natur schwebt der Dämmerung zarte Verhüllung im ersten dieser Abendbilder (Vs 3). So umschwebet bei Klopstock Dämmerung den Blick (Il, 69, Vs 3-4), so umzieht bei Hölty halbe Dämmerung die Hügel (S. 76). Die Natur, die holde, lächelt (Vs %) wie bei Hölty : Schön im Feuerschmucke lächelt Hold und bräutlich die Natur. (Mailied, S. 68.) Ganz Nachahmung ist die Landschaft des zweiten Abendbil- des (464), das Lenau seit 1837 ausschloss : der Mond, die Flur, Philomele, der Blütenstrauch, Mirzi am Busen des Jünglings. Gewagt scheint es mir, hier eine Schilderung der Lage von Altenburg zu sehen und in dem « fernen Gebirg » gerade das Leithagebirge zu entdecken (?). Das Gebirge zerfliesst mit Wol- ken in ein Meer (Vs 1). In der Messiade (1. Gesang, Vs 588 f.) (4) Jacopı, Werke VI, 33. (@) E. CASTLE, Heimaterinnerungen bei Lenau (Grillparzer Jahrbuch, X, 81.) 12 "ODEN. fliessen Wolken wie ein sinkendes Meer von der einsiedle- rischen Mitternacht herunter. Schäfer und Schäferin horchen dem Zaubergeflöte Philomelens. Philomelens Geflöte ist allge- mein hainbündlerisch, und auch Hölty singt von der Schäferin und dem Schäfer, die, unter grünen Bäumen sitzend, dem Gesang der Nachtigall horchen (S. 68 f.). Eine allgemeine Schäfersituation bietet die letzte Strophe: das trauliche Gemenge (Vs 10) der Herden findet sich, um nur ein Beispiel anzu- führen, bereits bei Longus. Der Sprachgebrauch in diesem zweiten Abendbild geht eher auf Klopstock als auf Hölty zurück. Man sieht dies schon am Versmass, am Gebrauch des Partizips in adverbialer Bedeutung : heimlichend (Vs 6), am absoluten Genetiv : traulichen Gemenges, an Zusammensetzungen wie entgegengrüssen (Vs 3). Auch im dritten Abendbild (87, Nr 2) finden sich manche Spuren der Sprache Klopstocks, so das von ihm so oft in den Oden wie in der Messiadegebrauchte Verstummen (Vs 9), der Komparativ dunklere (Vs 12), das enthallende Geglock (Vs 10). Der wählende Zahn (Vs 14) ist dem wählenden Blick im Barden- gesang des Il. Auftritts der Hermanns Schlacht nachgebildet. Die kleinen Sänger (Vs 1-2) kennt Hölty nicht, wohl Klop- stock (II, 401, Vs 49 f.), auch Jacobi (VII, 61). Das Bild von des Abends flüchtigen Rosen (Vs 7) erinnert an Höltys Vers : Und aus Rosengewölk schimmert der Abendstern (An die Phantasie, S. 32), sowie auch das Bekränzen mit Rosen (Vs 8) an Höltys : Rosen bekränzen ihr Haar. (Hymnus an die Morgensonne, S. T.) Aus der Tatsache, dass dieses dritte Abendbild im Erstdruck im Taschenbuch Das Veilchen, Jahrgang 1830, zugleich mit dem Gedichte Das Ideal erschien, ist kein Schluss auf die ODEN. 13 Entstehung zu ziehen; genau kann diese auch nicht festgestellt werden. In einer dieser Idyllen — er sagt nicht in welcher — meint Reynaud (!) das im Briefe an Kleyle erwähnte « Herbst- lied an meine Berta » zu sehen. Keins dieser Abendbilder trägt jedoch den Charakter eines Herbstliedes oder eines Liebesliedes. Ein Gegenstück zu den Oden gegen die Tyrannen ist das erst kürzlich entdeckte Bruchstück einer Ode (is), in dem der Tod eines Mannes beklagt wird, der « das grosse Werk des Brüdervereins der streng geschiedenen Völker » gestiftet. Ich vermute, dass der österreichische Staatsmann J. Ph. K.J. Stadion gemeint ist, der am 45. Mai 1824 in Baden bei Wien starb. Bekanntlich war er der beste Gönner Grillparzers, der ihn in der Selbstbiographie « einen der ausgezeichnetsten Männer seiner Zeit » (?) nennt und ihn in einer Kantate aus dem Jahre 1822 besingt (?). Den Lenauschen Versen : Der Herrliche sank ! mit ihm Das grosse Werk des Brüdervereins der streng Geschiedenen Völker entsprechen die Grillparzerschen : Schön ist die herrliche Tat ! Völker, die zischende Schlangen Markverzehrend umschlangen, Preisen, befreiet, die Tat. Wieder stützt Lenau sich im Sprachgebrauch auf Klopstock : Getös, Gemurmel, mattern Schlages. Am bezeichnendsten ist der Kraftausdruck Donnerwort (Vs A) : Deine vom Donnerworte des Fluchs zerstörten Gefilde (Messias, 1. Gesang. Vs 506.) (4) Thöse auxiliaire, Nr 78. (2) Werke XII, 64. (8) Ebd., 1,73, I > ODEN. Er wandte sich mit dem Donnerworte zu Seba (Messias, 16. Gesang, Vs 498.) Wenn du ein solch Donnerwort sprichst (Hermanns Schlacht, 44. Auftritt.) Die Innigkeit von Lenaus Verhältnis zu Hölty, das Geständnis, dass er ihm von allen Dichtern am meisten galt, dass keiner seinem innersten Wesen so sehr zusagte, dies alles tritt ergrei- fend zu tage in der Ode Am Grabe Höltys (vo). Es ist ein Frühlingsgedicht, vielleicht aus dem Jahre 1825, in dem Lenau das Lesen Höltys gemeinsam mit Schurz wieder aufnahm. In knapper Form verwendet er meisterhaft fast sämtliche Motive der Höltyschen Frühlingslieder. Gleich der zweite Vers bringt das Motiv des Irrens im Haine : Klagend irrt er im Haine, dich zu finden. So singt auch Hölty : Er irrte durch den Hain (Adelstan und Röschen. S. 40.) Sie irrten... durch den Myrtenhain (Leander und Ismene, A. Ballade, S. 49.) Irr ich im llain (Seufzer, S. 81.) Wandelt durch die Haine (Minnelied, S. 82 ) Nun irr ich durch verschränkte Tannenhaine (An Minnas Geist, S. 148) Der klagende Ruf des Frühlings verhallt in einsamen Schatten (Vs 3-4). Die einsamen Schatten gleichen Höltys Schattengang im m. ODEN. Id Gedichte An die Apfelbäume (S. 25), den dunkleren Schatten der Mainacht (S. 23), den einsamen Büschen im Gedichte Die Liebe (S. 26). Im Mailied (Schön im Feuerschmucke lächelt) gehn die Liebenden in düstern Buchenlabyrinthen, und Küsse flüstern aus den Lauben um die Abenddämmerung (S. 68). Nimmer, sagt Lenau, freut Hölty sich des ersten Veilchens (Vs 7). Der Frühling bei Hölty streut Veilchen (S: 69), die Weste rauben den Veilchen Küsse (S. 47), das Mädchen pflückt Veilchen und schmückt sich die Brust damit (An ein Veilchen, S. 10). Nimmer freut Hölty sich auch des ersten Taubengegirres (Vs 8). In Höltys Mainacht girret ein Taubenpaar sein Ent- zücken (S. 23), in Leander und Ismene (2. Ballade) herzen sich auf jedem Ast verliebte Tauben (S. 47), im Frühlingslied (Grüner wird die Au) girrt ein Tauber und schwirrt um sein liebes Täubehen (S. 67), im Gedichte Die Laube girrt der Liebende nach seinem süssen Täubehen (S. 77) wie Apollo nach Daphne (S. 34). Der Frühling sinkt an den Hügel des Grabes von Hölty (Vs9). Hölty führt die Geliebte an sein Grab (An den Mond, S. 79 er er erwähnt den kalten Hügel, wo er den eisernen Schlummer schläft (S. 30), seine Gruft (S. 4, 21), die ihn hüllende Rasen- gruft, seinen Totenhügel (S. 11, 104, 105). Der Frühling, der das Grab Höltys umarmt (Vs 10), gemahnt an die « Küsse, dem kalten Hügel geopfert » (Hölty, S. 30). Ein Höltysches Motiv sind auch die vom Frühlingshauch durchsäuselten Grabesblumen (Vs 11-12). Hölty schildert sein Grab, das die Blumen beduften (S. 1, 11). Glücklich bringt Lenau noch im letzten Verse seiner rührenden Klageode Höltys Lieblingswort säuseln an. IX Bilder aus dem Leben. 1822-1825. Abendheimkehr. — Bettlers Klage. — Reiterlied. — Fragmente. An einen Jugendfreund. — An J. Klemm. — In der Krankheit. Inmitten all dieser Nachahmungen versucht sich der junge Lenau auch in etwas selbständigeren Bildern aus dem Leben (') wie Abendheimkehr (152). G. Schwab hebt dies Gedicht in seiner Besprechung (?) besonders hervor, rühmt die gewählten und doch natürlichen Reime, die Vollendung der Diktion, die nichts Ueberzähliges und Müssiges aufweise, die harmonische Mannigfaltigkeit der Bilder und bemerkt richtig, dass all diese Bilder doch nur der Rahmen, die Guirlandeneinfassung sind zu dem Gemälde des « vom Empfangen wonnetrunken heim- wandelnden Dichters ». Man glaubt auf den ersten Blick ein ursprüngliches Gedicht vor sich zu haben, die Schilderung einer auf den Wanderungen in den österreichischen Alpen (?) gesehenen Abendheimkehr, bis man zum letzten Bilde kommt, das so stark den Eindruck des Gemachten erweckt. Es ist nicht (1) In der ersten Ausgabe der Gedichte 1832 reihte l,enau selbst in die so über- schriebene Abteilung nebst anderen die Gedichte Fragmente, Abendheimhehr ein. Den Begriff weiter fassend, bringen wir Gedichte hinein, die Lenau meistens als Vermischte bezeichnete. (2) KLöPFEL, S. 179. (5) Beschrieben bei ScHurz, I, 79, 88, 98, 100 fi. BILDER AUS DEM LEBEN. 1 1 nur gemacht, es ist unmittelbar Klopstock nachgebildet, der das siebente Lied an Wingolf mit der Schilderung anhebt : ... Jetzt sah ich fern in der Dämmerung Des Hains am Wingolf Schlegeln aus dichtrischen Geweihten Eichenschatten schweben, Und in Begeisterung vertieft und ernstvoll, Auf Lieder sinnen. (1, 99, Vs 1-5.) Man vergleiche damit das Lenausche Bild : Den Dichter sieht man aus der Nacht Der Eichen selig schwanken ; Er taumelt fort mit seiner Tracht Unsterblicher Gedanken. (Vs 13-16.) Hölty hat die Verse : Und sieh, ein alter Kriegsknecht Wankt durch den Eichenwald daher. (Das Feuer im Walde, S. 59.) Auch einzelne Ausdrücke sind dem Sprachschatz Klopstocks entnommen : Die Nacht der Eichen, die unsterblichen Gedanken. Vor allem charakteristisch ist das Taumeln. Was taumelt nicht alles bei Klopstock? Schon allein in Wingolf, erstes Lied (1, 8), taumelt der Fels (Vs 12), enttaumelt das Lied der schaffenden Seele (Vs 9 der ältesten Fassung), gehen taumelnd die Unsterb- lichen herum (Vs 46 f.). Entzückungen schweben taumelnd um Klopstocks trunkenes Haupt (I, 50, Vs 74), er redet vom taumelnden Wahn der Despoten (II, 72, Vs 22), taumelnd freut sich die Freude u. s. w. (II, 98, Vs 32). Ursprünglicher wie dieses, jedoch an poetischem Werte weit nachstehend, namentlich die Vorzüge der glatten Schreibart entbehrend, ist ein anderes Bild aus dem Leben, Bettlers Klage (sr), das erst in letzter Zeit veröffentlicht wurde. Es 78 BILDER AUS DEM LEBEN. findet sich in einen Hefte mit Gedichten in Reinschrift aus Lenaus Jugendzeit und hat dort seinen Platz zwischen den Gedichten An Seneca und An Mathilde, was schon hinlänglich auf frühe Entstehung deutet. Diese liegt auch ziemlich klar zu tage bei dem Reiter- lied (128), das man jedoch fälschlich als eine jugendliche Nachahmung von Schillers Reiterlied in Wallensteins Lager bezeichnet hat. Es mag wohl von Schiller angeregt sein, schliesst sich auch im Rythmus an Schillers Lied an, bewahrt jedoch inhaltlich eine Selbständigkeit, die bei der Gleichheit des Stoffes nicht grösser sein konnte. Keine einzige genauere Uebereinstimmung mit Schiller ist festzustellen, wohl aber eine wörtliche mit Bürgers Lenore, dessen Einflusse wir hier zum ersten Male begegnen und den Lenau ja auch mit Schurz (I, 71) las. Lenaus Reiter sagt zu dem ihm entlaufenden Glück, das er auf den Sattel zu sich zurückzwingt : Musst reiten mit mir durch Nacht und Graus. (Vs 17.) Zweimal ruft Lenore aus : Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus. (Vs 70, 86.) Zur Jugenddichtung Lenaus gehören auch zweifellos die Fragmente (154), poetische Uebungen in der Versform der Stanze. Sehr weit gehen die Meinungen über ihre Datierung auseinander. Castle versetzt sie in das Jahr 1821 (allerdings mit sehr notwendigem Fragezeichen (!), Roustan (S. 28) in das Jahr 1822, Reynaud (?) in das Jahr 1823 (auch mit Frage- zeichen) und Schlösser (?) in das Jahr 1829-1830. Ich glaube (4) In den dem Inhaltsverzeichnis der Ausgabe M. Hesse (Leipzig) beigegebenen Daten, die meistens die des Erstdruckes sind. (2) These auxiliaire, Nr 2. (5) Zeitschrift für deutsche Philologie, XXXII, 491. BILDER AUS DEM LEBEN. 79 aus diesen sechs Gelichten eher den Studenten der Philosophie und der Rechte (1823- 1826) als den der Medizin (1826-1830) herauszuhören. Der Wiener Student beklagt die Eitelkeit der Jugendhoffnungen (Der Jüngling), die Falschheit der Freund- schaft (Der falsche Freund), die Unterdrückung der Freiheit Die schlimme Jagd), die Käuflichkeit der Diehrkunst (Der feile Dichter), er verspoltet den Pedantismus der Professoren der Philosophie (Auf einen Professor philosophiae) und die Geld- gier der Priester (Der geldgierige Pfaffe). Zu den drei letztgenannten Gedichten finden sich Parallel- stellen in den Briefen an Fr. Kleyle. In einem Briefe vom 13. Februar 1825 verhöhnt Lenau die zeitgenössischen Dichter, die er « Lyrabengel » nennt, und wirft ihnen allerdings nicht Feilheit, sondern Mangel an Verstand vor (ss). Ueber die Philosophen äussert er sich, stark an das Gedicht anklingend, am 13. Januar 182% : « Das Verfahren derjenigen Ehilesanken (zu welchen Rembold gehört), die eine Lehre des Uebersinnlichen aus alleiniger Reflexion auf den menschlichen Geist bilden wollen und kön Naturphilosophie zugeben wollen, scheint mir deshalb unrichtig, weil sich die ewige Wahrheit nicht nur im menschlichen Geiste, sondern auch, und viel deut- licher, in den Gesetzen der Körperwelt ausspricht, welche doch immer bestimmter erkannt werden kann, da hier erkennendes Subjekt und zu erkennendes Objekt nicht eins und dasselbe ist, wie bei Untersuchung des Menschengeistes in seiner Gesetzmäs- sigkeit » (57). Eben diese Gesetzmi ässigkeit im rein begrifflichen Urteilen verspottet Lenau, ähnlich wie Heine : Zu fragmentarisch ist Welt und Leben — Ich will mich zum deutschen Professor begeben. Der weiss das Leben zusammenzusetzen, Und er macht ein verständlich System daraus; Mit seinen Nachtmützen und Schlafrockfetzen Stopft er die Lücken des Weltenbaus (t). (4) Die Heimkehr, Nr 60. 80 BILDER AUS DEM LEBEN. Za gleicher Anschauung wie Lenau gelangte der gleichzeitig mit ihm studierende junge Bauernfeld und zwar nicht trotz, sondern gerade infolge der Lehre Rembolds. Nachdem er festgestellt, dass sich unter den Studenten wenig oder gar keine Anlage zur Spekulation gezeigt, berichtet er, wie Rem- bolds Einführung in die Kantsche Philosophie ihn von der Unerweisbarkeit alles Uebersinnlichen überzeugte, von der Unwirklichkeit der höchsten Ideen von Gott und Unsterblichkeit vor der theoretischen, reinen Vernunft ('). Den achtzehnjäh- rigen Grillparzer wandelte ein Lachen an, wenn er das Wort Philosophie hörte. Er fand es sehr anmassend, im damaligen Zustande des Wissens von einer Wissenschaft zu reden, die sich so weit erstrecke wie das Universum, und deren Anfangs- gründe erst künftigen Jahrhunderten aufbewahrt seien. « Wir haben keine Philosophie, das, was wir unter diesem Namen von platten Marktschreiern lobpreisen hören, ist nichts als schimärisches, zusammengestoppeltes, unhaltbares, erbärmliches Zeug... Unsere Philosophie fängt mit Hypothesen an, wird auf Hypothesen fortgebaut, und das Resultat ist wie natürlich eben- falls Hypothese. Die Fragen, woran uns eben etwas liegt : Gibt es eine Gottheit? Sind wir frei, unsterblich ? Ist Wahrheit in unserem Erkennen? u. s. w., werden immer unentschieden gelassen, indes der Haufe Systeme schmiedender Scharlatane sieh mit scholastischer Pedanterie, neuen barbarischen Ter- minologien mystischer Undeutlichkeit... gegeneinander unter- hält (?). - Zu ähnlicher Satire war Lenau ohnedies aufgelegt, da es ihm sehr schwer fiel, das unterbrochene Studium der Philosophie Ende 1823 wieder aufnehmen zu müssen, da er den dritten Lehrgang noch nicht erledigt hatte. Er studierte, so berichtete sein Studienfreund Dr Keiller dem Dichter Seidl », immer (4) Werke IV, 13. (2) Tagebuchblätter, Werke XVI, IT. BILDER ‘AUS DEM LEBEN. 81 anders als wir anderen ; die Wissenschaft regte seine Seele auf, wo wir immer in verba magistri schwuren » (t). Gehört diese Satire auf die Philosophie also höchst wahr- scheinlich in das Jahr des dritten philosophischen Lehr- gangs (1824), so kann mit gleicher Wahrscheinlichkeit Der geldgierige Pfaffe (168) (?) in das folgende Jahr versetzt werden. /u diesem Gedichte ist eine sehr bezeichnende Stelle in einem Briefe vom 13. Februar 1825 an Fritz Kleyle heranzuziehen. « Dass ein päpstliches Aufgebot an älle Rechtgläubigen erging, sie zu einer Promenade nach Rom zu bewegen, wirst du doch wissen? Der gute Hirt will nun seine Schafe versammeln und einen beiläufigen Ueberschlag machen, wie viele dieser frommen Tiere ihm der Wolf Aufklärung geraubt haben dürfte, Bald säuseln mildere Lüftchen, und sieh ! es schwärmt der katholi- sche Bienenstock ! — Sei nicht ungehalten, dass ich das Wollenvieh plötzlich zu Honigsaugern mache; Sehafe sind ja geduldig » (38). Der satyrische Ausfall bezieht sich auf die von Leo XI. im Jahre 1825 erlassene Aufforderung zur Romfahrt, was auch eine Datierung des Lenauschen Briefes erlaubt, dem das Jahresdatum fehlt. Das Gedicht ist offenbar durch die Kunde von diesem päpstlichen Erlasse veranlasst worden. Ein Vorbild dazu konnte Lenau auch wieder bei Hölty finden. In Leander und Ismene (Nr 3) ist die Rede von einem Pfarrer, der die Gebühr bekommt : Wonach er lang geschmachtet (S. 51), und im bekannten Gedichte Der alte Landmann führt Hölty einen Pfarrer ein, der « ein Filz und Wuchrer » war, und als (1) Schurz, ], 86. (°) Seit 1834 von Lenau ausgeschlossen, wiederaufgenommen in die Nachlese. 6 82 BILDER AUS DEM LEBEN. Strafe dafür als schwarze Spukgestalt nachts um zwölf Uhr am Altare stehen muss : Paukt dann mit dumpfigem Geschrei Die Kanzel, dass es gellt, Und zählet in der Sakristei, Sein Beicht- und Opfergeld. (S. 98.) Die ziemlich sichere Zeitbestimmung zweier dieser Frag- mente wirft auch einiges Licht auf die Frage nach der Entsteh- ungszeit der anderen. Die schlimme Jagd und Der feile Dichter sind Satiren auf die bekannten damaligen Zustände in Öster- reich. Ob etwa Die schlimme Jagd durch die Aufhebung der Ludlamshöhle, einer der Polizei gefährlich dünkenden Tisch- gesellschaft von Literaten und Künstlern, veranlasst worden ist? Dann müsste man das Gedicht allerdings in das Jahr 1826 versetzen. So könnte man jedoch etwa auch das Fragment Der Jüngling in eine noch spätere Zeit verweisen, indem man die « neuen Welten » (Vs 5) auf den Plan der Amerikareise und das tückische Weib der zweiten Strophe auf Berta deutete. Man darf nicht übersehen, dass die Fragmente sämtlich poe- tische Uebungen des jungen Lenau in der Versart der Otta- verime sind und die Satire darin ganz allgemein gehalten ist. Diese Umstände sprechen für eine nicht weit auseinanderlie- gende Entstehung. Auf die auffallende Ähnlichkeit der philosophischen Ent- wicklung des jungen Lenau mit der Bauernfelds und Grillpar- zers haben wir bereits hingewiesen. Eine gleiche Verwandtschaft bietet ihre Gefühlswelt, namentlich der bei allen drei in der Jugend scharf ausgeprägte Freundschaftskultus. « Die Freund- schaft spielte bei uns Jünglingen kaum eine geringere Rolle als die Liebe » schreibt Bauernfeld (*). Wie Niembsch in Alten- (4) Werke IV, 9, . BILDER AUS DEM LEBEN. 83 burg und seit 1823 in Wien wohnte auch Bauernfeld zusammen mit Freunden. In der ersten Zeit seines Studiums in Wien (1818-1821) empfand Lenau schmerzlich den Mangel eines wahren Freundes. Auch Grillparzer klagt im Anfange seines Tagebuches () heftig, dass er bei einem für Freundschaft so empfänglichen Herzen keinen Freund finden könne. Der Freundschaftskultus der Zeit, der beim empfindsamen Lenau so hoch entwickelt war, dass er « den Genuss der befreundeten Seele » als « den edelsten aller Genüsse » (47) bezeichnete, muss bei den Stanzen Der falsche Freund in Betracht gezogen werden, hinter denen vielleicht etwas mehr steckt als eine Uebung in einer bestimmten Versform über einen Gemeinplatz. Ein Zusammenhang dieser Stanzen mit den An einen Jugendfreund (55) überschriebenen ist nicht unmöglich. Sie weisen eine starke Abhängigkeit von Hölty auf, und hierin liegt ein ziemlich entscheidender Grund, sie in eine frühe Zeit zu verlegen. Zu Bedenken Anlass gibt die Tatsache, dass das Gedicht erst in der zweiten Auflage der Gedichte 183% erschien. Hat Lenau die Zeit abgewartet, bis dieser Schurz (I, 323) und allen Lenauforschern unbekannte Jugendfreund gestorben oder aus seinem Gesichtskreis verschwunden war? Wir kennen nur Klemm und Kleyle als vertraute Jugendfreunde Lenaus und wissen auch, dass dies Klagelied über Treubruch auf sie keine Anwendung findet. Ich wage die Vermutung nicht, dass der Dichter, der bereits über eingebildeten Liebesverlust geseufzt, nun auch über eingebildeten Freundschaftsverlust klagt. Das Gedicht erweckt nieht den Eindruck des Gemachten, es scheint aus dem Herzen gekommen. Nicht unerwähnt möchte ich die Tatsache lassen, dass der Wiener Dichter Fr.-L. Halirsch (1802-1832) eins seiner Gedichte Einem treulosen Freunde (?) (4) Werke XVI, 3f. (®) L. Hauınscn, Balladen und lyrische Gedichte. Leipzig, Verlag von Carl Focke, 1829, S. 166. 84 BILDER AUS: DEM LEBEN. widmet und in den ironischen Versen Drei Toaste (‘) einen Becher leert auf das Wohl des Freundes, der « den Bruderbund brach ». Halirsch starb am 19. März 1832. Von einer engeren Verbindung mit Lenau verlautet allerdings nichts. Leichtfertig hingeworfen hat man die Beziehung von Lenaus Gedicht auf Höltys An Voss, auf Klopstocks Wingolf, auf Byrons To a youthful friend (?). Mit diesen Gedichten hat das Lenausche nichts zu tun, am allerwenigsten mit dem Byrons, der einem jugendlichen Freunde Rätschläge erteilt, den er nicht beweinen kann, während Lenau ein Trauerlied über den Verlust eines Jugendfreundes dichtet. Der skeptischen Gleichgültigkeit Byrons ist Lenausche tiefgefühlte Wehmut geradezu entgegengesetzt. Nicht einmal die Ueberschriften bedeuten dasselbe. Ernst zu nehmen ist allein der Bezug auf Höltys An Miller, den Reynaud auch anführt (). Wenn auch Hölty nicht den Treubruch des Freundes, sondern nur die Trennung von ihm beklagt, so weisen doch Einzelheiten deutlich auf eine Einwirkung hin. Hört man bei Lenau die Nachtigallen durch Gebüsche klagen (Vs 27), so denkt man an Höltys Seufzerlaut, der vom Nachtigallbusch tönet (S. 20); das von Hölty dreimal wiederholte Umsonst (S. 20) hat auch Lenau (Vs 31). Die Lenauschen Verse : Wenn du tief schlummerst unter deinem Hügel, Nichts mehr erfährst vom holden Lenzerwachen (Vs 13-14) gleichen dem Höltyschen : Dir blüht kein Frühling, wann du gestorben bist. (8. 9.) Lieblingsvorstellungen Höltys bringt das Gedicht genug, wie z. B. : die Rose, die Gruft, den Todeshügel, den Hain, ()) L. Harırsch, Balladen und lyrische Gedichte. Leipzig, Verlag von Carl Fockie, 1829, S. 172. (2%) L. Reynaup, S. 263, Fussnote. () Ebd., S. 263. BILDER AUS DEM LEBEN. 85 das Blüten, Schauern, Schlummern, Säuseln. Von den bekannten Versen Höltys : Ueb immer Treu und Redlichkeit Bis an dein kühles Grab (S. 9%) findet sich eine Spur in den Lenauschen : Nicht wolltest du die Treu im Busen halten Bis an der Gruft gebieterisch Erkalten. (Vs 11-49.) Aus den Stanzen An J. Klemm (129) ertönt wieder und zwar zum letzten Mal das von Hölty so oft besungene carpe diem des Horaz. Wieder liegt wie bei der Göttin des Glücks die Befruchtung durch Hölty näher als die durch Horaz.-Noch einmal, bevor sie sich endgültig dem Weltschmerz zuwendet, singt Lenaus Muse von « W ein, W eib und Gesang » und mahnt zu frischem Lebensgenusse. Nach dem Parks mit Berta hätte er nicht mehr den Mut dazu gefunden. Nicht nur stofflich ist hier Hölty Vorbild. Von Besonderheiten erwähne ich nur den Main Vergangenheit (Vs 6), der dem Höltyschen Hain der Zukunft (S. 28) nachgebildet ist. Der hier angesun- gene ende war in Wien Lenaus Stubengenosse, mit dem er sich gern über Dichtkunst besprach. Wurzbach () weiss nur von ihm zu melden, dass er, am 18. März 1803 in Ofen geboren, Erzieher im gräflichen Hause Palffy ward, sich in den dreissiger Jahren in den Dichterkreisen Wiens bewegte und mehrere Iyrische Arbeiten — wohl nur in Zeitschriften — veröffentlichte. (1) Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich. Wien, 1855-1891. 86 BILDER AUS DEM LEBEN. Die Verse an Klemm, die der Dichter auch zu sich selbst spricht : die Jugend flicht In deinen Strauss schon ihre letzten Rosen, Bald wendet sie das holde Angesicht Dann gilt 's, empor zur Lebenshöh zu dringen, Dann hörst du hinter dir im Blütental Das « Gaudeamus igitur » verklingen, Und deine Bahn wird glühend, schroff und kahl (Vs 2 f., 7 ft.) stehen am Eingange eines neuen Abschnittes in Lenaus Leben und stammen am wahrscheinlichsten aus dem Jahre 1825. Das Ende des Jahres 1825 brachte Lenau eine Halsentzün- dung, die ihn an seinem Vorhaben hinderte, seinen Freund Kleyle in Ungarisch Altenburg zu besuchen. Auf diese Erkran- kung beziehen sich die ursprünglichen (!), ergreifenden Verse In der Krankheit (11). Den Kommentar dazu gibt der Brief an Kleyle vom 6. Januar 1826 : « Eine sehr gefährliche Halsentzündung, an der ich einigemal beinahe erstickte, war mein Los in diesen Feiertagen, die ich an Deiner Seite glück- lich zu verleben vermeint hatte. — So geht ’s mit unseren Pro- jekten! anstatt zu Dir zu fahren, wäre ich bald ohne Abschied und Händedruck von Dir in den Tartarus hinab! Nun bin ich () Zu vergleichen ist Vers 4 : Und es pickt die Pendeluhr mit Hölty : Wie die Totenuhr in der Kammer pickerte (S. 60 f.) Einen gleichen Vers hat Lenaus Nachahmer Hartmann : Der Pendel klappt einförm’gen Schlages. (Werke I, 164). BILDER AUS DEM LEBEN. 87 aber gerettet, und zwar durch einen jungen Mann, Doktor Wisgrill, dem ich ’s nie vergessen werde; eine starke Blutentlee- rung und eine Gabe Merkur (den man nur bei sehr starker Angina gibt) zur rechten Zeit angewandt, schoben just noch die Riegel vor, ehe der Wundervogel davon war (ich meine näm- lich meine Psyche, die nun wieder ganz behaglich in ihrem Käfig sitzt und vielleicht bald wieder zu singen anfängt » (1). Wenige Gedichte dieser ersten Zeit (1822-1825) bieten bestimmte Anhaltspunkte, die eine sichere und genaue Datie- rung ermöglichen. Vergebliches Bemühen wäre es, eine genaue Chronologie Gedicht für Gedicht aufstellen zu wollen. Wer hierbei nach dem Grundsatze der langsam steigenden 'Kunst- fertigkeit und Ursprünglichkeit verführe, würde in argen Wider- spruch mit den Tatsachen geraten. Die Entwickelung eines Dichters ist meist ein schwankendes Auf und Ab, Ab und Auf. Gerade die wenig vorhandenen Zeugnisse zeigen dieses deutlich in bezug auf Lenau. Manche seiner nachgeahmten Gedichte weisen einen höheren Kunstwert auf als die selbständigen. Diese stehen gleichmässig am Anfange (Der Unbeständige) wie am Ende dieses Zeitraumes (In der Krankheit). X Berta Hauer. Erlebnis und Dichtung. — 2. Teil. — « Die Werbung ». 1826. Dahin! — Die Mutter am Grabe ihres Kindes Am Bette eines Kindes. — Sehnsucht nach Vergessen. — Das Veilchen und der Schmetterling. — Die Jugendträume. — An die Hoffnung. — Sommerfäden. — Die Werbung. Lenaus Leben und Dichtung im Jahre 1826 ist ganz beherrscht von seinem Verhältnis zu Berta Hauer. Die zweite Stufe in der Entwickelung dieser Liebschaft beginnt, die der Missverständ- nisse. Ein solches erwähnt Lenau im Briefe an Kleyle vom 26. März 1826, demselben, in dem er dem Freunde seine glückliche Vaterschaft meldet und seine Absicht, das Verhältnis zu einem gesetzlichen zu machen. « Folgendes », schreibt Lenau, « war das Kind einer melancholischen Stunde, welche durch ein Missverständnis zwischen mir und meiner Berla herbeigeführt worden war » (4). Und nun folgt die Ode, die in den neueren Ausgaben unter der Ueberschrift Dahin! (im) veröffentlicht wurde. Das veranlassende Missverständnis, muss nicht schlimm gewesen sein, denn sonst würde Lenau in dem- selben Briefe, der es erwähnt, nicht den Gedanken eines ehe- lichen Bündnisses mit Berta aussprechen. Auch bringt das Gedicht nicht die leiseste Anklage gegen die Geliebte, es klingt höchstens wehmütig aus und erweist sich treffend als die Frucht einer flüchtigen traurigen Stunde. Wie irrig die eingewurzelte Meinung ist, mit der Liebschaft BERTA HAUER. — 2. TEIL. 89 zu Berta habe Lenaus Poesie sich von der Nachahmung befreit und einen selbständigen Flug genommen, zeigt diese anti- kisierende Ode, die schon allein in dem sehr bezeichnenden Ausdrucke ich weinte Dank die Abhängigkeit von Klopstock und Hölty verrät. Das zielende weinen gebraucht Klopstock öfters, die dankweinenden Frommen erscheinen in der Messiade (19. Gesang, Vs 386), und Hölty geniesst die Wonne, dass sein Mädchen ihm Dank weinet (An Voss, S. 21). Ist es nun gerade auch noch der ewige Gott (Vs 4), dem Lenau Dank weinet, so wird die Uebereinstimmung schlagend. Die erste Fassung hat obendrein noch einen Klopstockischen Kom- parativ, heissere Küsse, im fünften Verse der Handschrift. Bei dem überschwenglichen Ausdrucke : Sie pflückte mit Küssen mir die Blüte der Wonne von der Wang (Vs:5£f.) mögen Lenau Höltys Wonnelächeln um die Wangen der Gelieb- ten (An einen Blumengarten, S. 22), der Liebe Rosen um ihren Mund (Mailied, S. 68) und das Pflücken der Rosen von den Wangen (S. 42) vorgeschwebt haben. Im Briefe an Kleyle stellt Lenau das Versmass voran. Das Missverständnis mit Berta gibt ihm eben nur den Anlass zu einer neuen Uebung in der Odenform. Die Geburt des Kindes, das, wie bereits erwähnt, am 13. März in der Pfarrkirche zu den heiligen Schutzengeln auf der. Wieden getauft wurde, führt Lenau auf das literarische Thema : Die Mutter und ihr Kind. Unerwartet genug fällt der Inhalt und die Form der beiden diesen Stoff behandelnden Gedichte aus : Die Mutter am Grabe ihres Kindes und Am Bette eines Kindes. Nach der scherzhaften, heiteren Schilderung seiner Vaterfreude erwartet man liebliche Idyllen : Lenau schwelgt in der Vorstel- lung der Mutter am Grabe ihres Kindes und wünscht seinem Kinde den Tod. Man erwartet, dass dies doch nicht alltägliche 90 BERTA HAUER. — 2. TEIL. Erlebnis den bereits zur Selbständigkeit emporgereiften Dichter — die Verse In der Krankheit legen ein beredtes Zeugnis davon ab — zu ursprünglichen Erzeugnissen befruchten werde : das Erlebnis zeitigt nur ein unselbständiges Gedicht und eine Ode im Klopstockisch-sapphischen Versmasse, also wieder eine Form- übung. Das Nächstliegende war hier wiederum, Berta für den pessimistischen Charakter der beiden Gedichte verantwortlich zu machen. Dazu gab Schurz Anlass genug mit seiner Bemerkung vom « angeblichen Vater » (I, 74) und seiner Behauptung, Lenau habe an der früheren Reinheit Bertas gezweifelt. Es trifft sich jedoch, dass Lenau die Verse Die Mutter am Grabe ihres Kindes (40) an Kleyle in demselben Briefe sandte, in dem er ihm seine Vaterfreude und seinen Heirats- entschluss meldet. Die Düsterheit dieses Gedichtes wenigstens hat also bestimmt nichts mit Berta zu tun, und gleich unzutref- fend ist Schurzens Meinung (I, 74), dass die trübe Zukunft, die seines Sprösslings wartete, Lenau zur Verzweiflung stimmen musste (t). In Wahrheit veranlasst die Geburt des Kindes den Dichter nur zur Ausnutzung eines überlieferten literarischen Themas, mit dem das düstere, kurze Zeit vorher so oft behandelte der Kindsmörderin enge Verwandtschaft aufweist. Die Mutter am Grabe ihres Kindes ist von Bürgers Lenore beeinflusst. Ton und Stimmung beider Gedichte harmonieren, so verschieden der Stoff auch ist. Selbst ein genaues Zusammentreffen in Einzelheiten ist festzustellen. Die Verse aus der berühmten Ballade : Und das Gesindel husch, husch, husch (Vs M) (4) « Die trübe Zukunft », schreibt Schurz wörtlich, « die seinem Sprösslinge, wenn er ihn ja dafür halten durfte, aus so verderblicher Umgebung einmal zu erwachsen drohte ». Man vergleiche diese Stelle mit Lenaus Bericht an Kleyle, um sich von Schurzens Sachlichkeit einen Begriff zu machen. BERTA HAUER. 2. TEIL. 91 sowie: Den Hagedorn durchsaust der Wind (Vs 448) erkennt man sofort wieder in den Lenauschen : Husch ! husch ! wie braust der kalte Wind (Vs 4) sowie in: Ueber dem Grabe weht der Wind. (Vs 14.) Die Verse : Der Wangen schöne Röselein Zerknickte der grause Tod so bald ! (Vs 13-14) sind zu vergleichen mit den Höltyschen : Die Rosen ihrer Wangen sind Vom Tode weggepflückt. (Adelstan und Röschen, S. 42.) Ein antike Idee, die des Todes als Zwillingsbruder des Schlafes, ein antikes Versmass verwendet Lenau in der Ode Am Bette eines Kindes (s). Die Verhüllung des bei Hölty und Klopstock so oft verwendeten Schleiers (Vs 2) erinnert namentlich an Höltys Vers : Jetzt zerreisst sie den Schlei’r, der ihr Auge verhüllt. (Hymnus an die Morgensonne, S. 8.) Höltys lächelnde Rose wird in Vers 3 als Vergleich angebracht. Die Komparative ersteren und dichteren, ein zweiter Schleier, ein neues Lächeln sowie das von Klopstock so geliebte schim- 92 BERTA HAUER. 2. TEIL. mern kennzeichnen die zweite Strophe. Den gleichen Wunsch wie Lenau spricht Klopstock in der Schlussstrophe der Ode Der Abschied aus : Stirb sanft ! Schlummr" in die; Ewigkeit Mit Ruh hinüber, wie dich Gott schuf, Als er dich machte voll schöner Unschuld. (1, 70, Vs 14-144.) Gleiche Verpflichtung den berühmten Mustern gegenüber ver- rät die sapphische Ode Sehnsucht nach Vergessen (ss), die nach dem Verse : Frühling kommt mit Duft und Gesang und Liebe zu schliessen im Frühling geschrieben ist. Die « Wunden der bangen Seele » (Vs 3) deute ich nicht, wie meine Vorgänger, auf den Treubruch Bertas, sondern auf die sich bald einstel- lenden Misshelligkeiten allerlei Art, die die Geburt des Kindes unvermeidlich mit sich bringen musste. Der Frühling des “ Jahres 1826 stellte den bisher sorglos in den Tag hineinlebenden Jüngling vor ernste Aufgaben, die ein fröhliches Geniessen der schönen Jahreszeit ausschlossen. Vorbildlich für Lenau war hier Höltys Die Schale der Vergessenheit (S. 32). Auch Hölty fleht : Eine Schale des Stroms, welcher Vergessenheit Durch Elysiums Blumen rollt, Bring, o Genius, bring deinem Verschmachtenden ! Das Bild der spröden Gebieterin möchte Hölty tief in den Schlummerquell versenken. Lenaus Verse : Lethe ! brich die Fesseln des Ufers, giesse Aus der Schaltenwelt mir herüber deine Welle, dass den Wunden der bangen Seel ich Trinke Genesung BERTA HAUER. 2. TEIL. 93 sind nicht entstanden ohne Erinnerung an die Klopstockischen in der Ode An Cramer, den Franken : Doch der verstummenlde Schatten, der einst mir Seele war, schwebet So traurig vor mir, und tröstet sich nicht ! Ginge wohl lieber hinab zu Elysiens Schatten unıl schöpfte Aus Lethe’s Strome den labenden Trunk. (IT, 74, Vs 93-96.) In offenbarer Rückerinnerung an die Stimmung, aus der diese Ode hervorgegangen, und an das Gedicht selbst schrieb lienau im September 1830 an Nanette Wolf, die Tochter des Schulmeisters in Gmunden, in dessen Hause er im August 1830 viel verkehrte : « Es ist so schlimm, dass der Mensch vergessen kann! — Es ist ein Zeichen, dass ich in Gmunden glücklich war, wenn ich darüber klage, dass der Mensch vergessen kann. Ehedem war es bei mir anders, ich hatte Zeiten, wo für mich der süsseste Trost im Vergessen lag. Die Mythe von. Lethe, dem Flusse der Griechen, woraus ihre Abgeschiedenen in der Unterwelt tranken, um ihr ganzes Erdenleben zu vergessen, diese Mythe hat kein Glücklicher ersonnen. Für mich liegt jetzt etwas unbeschreiblich Trauriges in dem Gedanken : Ver- gessen! » (57). Inmitten dieser hainbündlerischen Odendichtung fällt ein hübsches, harmloses, volkstümliches Lied Das Veilchen und der Schmetterling (1%), das offenbar ein Nachklang von Goethes Veilchen ist. Die kürzlich aufgefundene Hand- schrift ist nämlich von Lenau selbst datiert, den 13. April 1826. Somit tritt Goethe nun auch, neben Schiller, in die Reihe der Vorbilder Lenaus ein. Man wäre sehr geneigt, in dem Veilchen Berta und in dem Schmetterling den Dichter erkennen zu wollen, wenn der naiv-treuherzige Inhalt auf die ernste Lage des Verhältnisses in dieser Zeit passte. So kann man jedoch hier nur etwa ein Seitenstück zu dem Gedichte Das Rosen- mädchen sehen, das inmitten schwerer Odendichtung auch als 94 BERTA HAUER. — 2. TEIL. eine Erholung des Dichters am Einfach-Volkstümlichen erscheint. Oder ist die Handschrift, die ich nicht einsehen konnte, etwa die spätere Abschrift eines früheren Gedichtes, das in die Umge- bung des Rosenmädchens oder der schäferlichen Abendbilder zu rücken wäre! Ohne das der Handschrift beigegebene Datum würde man diese Idylle den Gedichten beigesellen, die das erste Liebesglück ausstrahlen, und aus den Worten des Schäfers den jungen Niembsch heraushören, der im Briefe an Kleyle aus dem November 1823 sein Glück preist, ein so hübsches, liebens- würdiges, gefühlvolles Mädchen wie Berta gefunden zu haben, das auch durch seine Verlassenheit (*) dem in der Einsamkeit blühenden Veilchen gleicht : Nicht ungenossen blüh ich hier, Ein Schäfer kommt gar oft zu mir Und atmet meinen Duft und spricht : « Ein solches Blümchen fand ich nicht, Wie Veilchen du ! auf Wiesen, Auen, Ist keines mehr wie du zu schauen! » (Vs 13-18.) Am 9. Juni 1826 schreibt Lenau an Kleyle : « Freund, mir ist jetzt nicht wohl zu Mute. Könnt ich mit Dir leben! das wär ein Leben! so aber entbehr ich den edelsten aller Genüsse, den Genuss der befreundeten Seele, die vielleicht die einzige ist, die mich recht versteht ! Das schöne Gewebe meiner Freuden hat einen gewaltigen Riss bekommen, und der Riss zeigt mir da einen nackten Fels, wo die güldene Phantasie ein Blumen- beet sah (2). — « Wir sind nicht da, um zu phantasieren, son- dern um mit klaren Augen zu schauen und zu bauen », so (1) Lenau nennt Berta « arm, vaterlos, verlassen ». (2, « Mündlich einen näheren Aufschluss ! » schreibt Lenau in einer Fuss:ıote. BERTA HAUER. — 2, TEIL. 95 denkst Du vielleicht jetzt, aber glaube mir, Goethe hat recht, in dem er singt: Welcher Unsterblichen Soll der höchste Preis sein ? Mit niemand streit ich, Aber ich geb ihn Der ewig beweglichen, Immer neuen, Seltsamen Tochter Jovis, seinem Schosskinde, der Phantasie » (47). In dieser Äusserung kann ich nicht, wie allgemein ange- nommen wird, den Beweis von Bertas Treubruch sehen. Nicht vorteilhafter ist diese Deutung für Lenaus Charakter als für den Bertas, da er das Verhältnis zu einer Treubrüchigen mindestens noch volle dreizehn Monate fortsetzt; erst am 7. Juli 1827 schreibt er einen Absagebrief. Höchstens beweist die Stelle, dass allerdings die schönste Blüte des Verhältnisses, nämlich die Seeleninnigkeit desselben, einen argen Stoss erlitten hat. Schmerzlich entbehrt Lenau die Seelenharmonie, die er bisher in dieser Liebe gefunden. Er ist zur Einsicht gekommen, dass die « unersättliche Bestie Sinneslust », von der in demselben Briefe die Rede ist, die edleren Gefühle der Liebe und Freund- schaft allmählich zurückgedrängt hat. Auch ist ihm der böse Zweifel aufgestiegen, ob Berta ihn recht verstehe, ob sie sich als Lebensgefährtin für ihn eigne, ob er dem Bunde eine « bürger- lich-sakramentalische Legitimation » geben könne. Sein Herz erfüllt sie nicht mehr ganz, denn er sehnt sich nach der « befreundeten Seele ». Lenaus Ausdruck : « das schöne Gewebe meiner Freuden » deutet auf die « ganz eigentüm- lichen Freuden » hin, von denen er im vorigen Briefe an Kleyle spricht. Somit wären es zunächst Lenaus Vaterfreuden, die einen « gewaltigen Riss bekommen ». Mindestens wahr- scheinlich ist es, dass Lenaus zweifelsüchtige Mutter und seine Verwandten ihm die Frage aufgeworfen, ob er seiner Vaterschaft 96 BERTA HAUER. 2. TEIL. sicher, ob das Mädchen einer ehelichen Verbindung mit ihm würdig sei. Möglich ist es, dass sie ihm ausdrücklich eingeredet, das Kind sei nicht von ihm. Einer Ehe des jungen Edelmannes mit dem armen, der niedrigsten Gesellschaltsklasse angehörigen Mädchen war die Familie zweifellos nicht hold gesinnt. Dies geht auch aus Zeugnissen hervor. Die Mutter, die Schurz beschuldigt, das Verhältnis unterstützt zu haben, meldet ihrem Sohne im Jahre 1827 Schlimmes über Berta, wie aus Lenaus Brief an sie vom 9. Juli 1827 deutlich zu ersehen ist. Der Schwager Schurz verzeichnet in seinem Buche seine eigenen Verdächtigungen und stellt sie als die seines Neffen hin. Ungemütlich mögen sich auch die Zustände in der Hauer- schen Familie infolge der Geburt des Töchterchens Adelheid gestaltet haben. Dass zu den Anklagen der Lenauschen Familie sich die der Mutter Hauer gesellten, ist leicht annehmbar, um so mehr als der Liebhaber der Tochter nicht im stande war, allein die Kosten der Verpflegung des Kindes zu bestreiten. Zwistigkeiten Bertas mit ihrer Mutter erwähnt Lenau selbst. Einmal kam es so weit, dass Berta mit der Erklärung davoneilte, sie wolle sich jetzt ins Wasser stürzen. Wirklich sieht Lenau sie auf dem Damme längs der Donau. Er wirft ihr Steine nach in der Absicht, sie zu betäuben und so von dem entscheidenden Schritte abzuhalten (!). So war alles an der Arbeit, dem Jüng- linge das Blumenbeet der Phantasie in einen nackten Fels umzuwandeln oder, wie er in dem gleichzeitigen Gedichte Die Jugendträume (st) sagt, ihm der Jugend schöne Träume zu verscheuchen. Den Störern seines Glückes ruft er zu : Seid stille, stille, dass die Nücht’gen Gäste Ihr nicht verscheucht dem Jünglinge; denn wisst, Es sind der Jugend schöne Träume wohl das Beste, Was ihm auf dieser Erd geworden ist (2). () Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 46. (2) Dritte Strophe des Gedichtes in der ersten Fassung. BERTA HAUER. — 2, TEIL. 97 Das Gedicht Die Jugendträume sendet Lenau an Kleyle in demselben Briefe, der des Risses im Gewebe seiner Freuden gedenkt, mit den Begleitworten : « Hier hast Du ein Lied von mir, das ich eben dichtete » (#7). Der unmittelbare Eindruck dieses Risses ist darin festgehalten. Da jede Anklage gegen Berta fehlt, so bringt das Gedicht den unzweideutigen Beweis, dass die Briefstelle, auf welche es sich bezieht, nicht im Sinne eines Treubruches Bertas gedeutet werden kann. Der « nackte Fels » des Briefes ist im Gedichte die « mit eisern schwerem Gange nahende Wirklichkeit » (Vs 13 f.), das « Blumenbeet .der güldenen Phantasie » ist in den zwei ersten Strophen näher ausgeführt. Sehr weit entfernt ist Lenau von der völligen Ernüchterung. Der Brief schliesst mit dem optimistischen Lobe der Phantasie. Den Kleyle in den Mund gelegten Satz : « Wir sind nicht da, um zu phantasieren, sondern um mit klaren Augen zu schauen und zu bauen » dreht Lenau in das Entge- gengesetzte um, indem er Goethe recht gibt, der dem « Schoss- kinde Jovis » den höchsten Preis zuerkennt. Auch das Gedicht preist die Phantasie : Die Jugendträume sind es, wohl das Beste, Was ihm für diese Welt beschieden ist. J. G. Seidl erzählt in den von Frankl herausgegebenen Wiener Sonntagsblättern (*) von einem Ausflug mit dem Dichter nach Dornbach im Frühling des Jahres 1827, bei dem Lenau ihm das Gedicht vorgelesen. Seidl bat Lenau um die Erlaubnis des Abdruckes in dem eben von ihm übernommenen Taschen- buch Aurora. Nicht ohne Bedenken willigte der Dichter ein. Dort (?) erschien das Gedicht denn auch mit der Unterschrift N. Niembsch. Es ist das erste, das Lenau veröffentlichte und mit (1) 1848, Nr 5, auch bei Schurz, I, 81 ff. @) Jahrgang V (4898), S. 118. . 98 BERTA HAUER. — 2. TEIL. seinem wahren Namen zeichnete. Den Druck in der Aurora kündigte Lenau Kleyle im Briefe vom 27. Januar 1827 an (#8). Allerdings spricht er. nur von einer « kleinen Probe » von ihm, die dort erscheinen soll. Entweder irrt sich Seidl im Datum des Ausfluges oder Lenau meint ein anderes Gedicht, was jedoch sehr unwahrscheinlich ist, da der Almanach nur Die Jugendträume brachte. Das erste Auftreten in die Öffentlichkeit musste dem Dichter nach Seidls Bericht abgerungen werden. Irgend wel- chen Einfluss auf das Gedicht konnte ich nicht feststellen. Mit Höltys Die Knabenzeit, die Reynaud (S. 263) anführt, hat es auch nicht das mindeste zu tun. Es ist möglich, dass auch die Strophen 9 und 10 des Gedich- tes An die Hoffnung (17) einen Widerklang von Lenaus Liebesschinerzen dieser Zeit bringen : Nach der Liebe treuem Glücke, Das er nirgends finden soll, Kehrt ein andrer seine Blicke, Dir vertrauend, sehnsuchtsvoll. Ach, sie liebt ihn, der Entglühte Hält sie wonnevoll umstrickt; Doch der Liebe zarte Blüte Wird im Rausche bald zerknickt ! Jedenfalls äussern die zwei zuletzt angeführten Verse einen Gedanken des Briefes an Kleyle vom 9. Juni. An die Hoffnung ist das erste Gedicht Lenaus, das von Anfang bis zu Ende einen ausgesprochen pessimistischen Charakter trägt. Die Lenau- schen Gedichte allgemein pessimistischen Inhalts fallen zwar in eine spätere Zeit, für dies jedoch deuten die jugendlichen Ueber- sehwenglichkeiten im Ausdruck und die Tatsache, dass der Dichter es seit 1837 ausschloss, auf eine frühere Entstehungs- zeit. Einen Fingerzeig gibt schon gleich im Anfange das enge, kühle Haus (Vs 8), das uns in den Jugendbriefen aufgefallen ist. Ein Seitenstück zur jugendlichen Antityrannendichtung ist BERTA HAUER. — 2, TEIL. 99 die nun folgende Schilderung des Eroberers, dessen Macht und Ruhm in nichts vergeht. Deutlich zielen diesmal die Verse auf Napoleon. Anklänge an Klopstock fehlen auch hier wieder nicht. Umtürmen (Vs 20) ist aus Klopstock zu belegen. Klop- stocks rasselnder Sklavenkette, kettenumrasselten Freien (11,139, Vs 15; 98, Vs 20) entspricht der Vers : Ueber Völkern klirrt die Kette (Vs 47), der ein noch genaueres Vorbild in dem Ausdrucke mit der Kett’ umklirrt (1, 42, Vs 7) hat. Auch das Bild des Forschers hei Lenau : In der Nächte stiller Feier Hebt der heiligen Natur Kühn ein Forscher ihre Schleier, Und verfolget Gottes Spur (Vs 25-99) entspricht der Schilderung des Dichters Young bei Klopstock : Denn die geheiligten, Ernsten, festlichen Nächte Wacht der Freigeist mit dir, und fühlıs, fühlts, was die Weisheit will. (1, 108, Vs 6 ff.) Ein Höltysches Bild ist das Bekränzen der Gruft (Vs 31). Als eigentliche Quelle des Gedichtes erscheinen mir die Stances von Lamartine (!), deren vier erste Strophen Lenau umschreibt. « Kein holder Wahn täuscht » Lenau wie Lamar- tine, die « Sterne sind gefallen » (Vs 3-4) : Et jai dit dans mon c@ur : « Que faire de la vie Irai-je encore Imiter des mortels l’immortelle folie? » (1) Nowvelles meditations poetiques. Paris, Hachette, 4880, S. 119. 100 BERTA HAUER. — 2. TEIL. Der eine, singt Lamartine, sucht Schätze im Meere Et la vague engloutit ses voeux et son navire. So ergehts dem Lenauschen Eroberer, Bonaparte, den sein Verhängnis ergreift, Schleudert ihn ins Meergefängnis, Bald verschlingt ihn dort sein Grab. Beim Meergefängnis hat Lenau vielleicht Lamartines Vers im Gedichte Bonaparte vorgeschwebt : Un tombeau pres du bord par les flots depose. Unschwer ist in Lenaus zweiter Strophe : Dieser streckt nach einer Krone Seine Hand verwegen aus; Doch ihn stosst der Tod mit Hohne In sein enges, kühles Haus die Umschreibung von Lamartines Vers : Celui-lä fonde un tröne et monte pour tomber zu erkennen. Dem Eroberer : Le guerrier frappe et tue, gelten bei Lenau die 3. bis 6. Strophe. Und nun führt Lenau noch den Lamartinschen Gelehrten : Le savant pense et lit, und den Liebenden vor : Dans des piöges plus doux aimant A succomber Celui-ci lit son sort dans les yeux d’une femme. BERTA HAUER. 2. TEIL, 101 Sie sind sämtlich « ombres fugitives ». Welches ist ihr Los? Oü vont-ils cependant ? Ils vont oü va la feuille Que chasse devant elle le souflle des hivers. Ähnlich schliesst Lenau : All dein Wort ist Windesfächeln, Hoffnung ! Ueber die Abnahme der Herzenswärme des Bundes mit Berta klagt auch das Herbstliel Sommerfäden (53) : Deine Worte, leicht (1) und munter, Flattern in die kühle Luft; Keines mehr, wie sonst, hinunter In des Herzens Tiefe ruft. (Vs 5-8.) Die Berta kennzeichnenden Beiwörter leicht und munter finden wir wieder im Gedichte Das tote Glück (Vs 25). Man müsste Sommerfäden aller Wirklichkeitsunterlage entkleiden, um es anderswo als in die Berta-Gruppe einzureihen. Der äussere Umstand des späten Druckes, erst in der zweiten Auflage von 1834, deutet allerdings eher auf Lenaus zweite Liebe, die zu Lotte Gmelin, hin. Jedoch ist der Inhalt des Gedichtes keines- wegs in Einklang zu bringen mit der Natur und dem Verlauf dieses Verhältnisses. Immerhin ist eine spätere Umarbeitung möglich. Auch klagen die Verse über das Erkalten Bertas : Künden mir die Sommerfäden, Dass der Sommer welk und alt, Merk ich es an deinen Reden, Mädchen, dass dein Herz wird kalt ! (Vs 13-16.) (1) Bis zur Ausgabe von 4840 behielt Lenau die erste Fassung leicht bei. 102 DIE WERBUNG. Dass Bertas Liebe erkaltete, darf uns unter den geschilderten Umständen nicht wundernehmen. Ein mitunter hartes Beneh- men des so stark vom Affekt beherrschten Liebhabers geht aus unveröffentlichten Selbstzeugnissen hervor ('). Bei einem Spaziergange mit der Geliebten schleudert er sie mit einem Stosse mehrere Schritte von sich, weil ihm plötzlich eine ıhn ärgernde Geschichte einfällt. Als das Mädchen einmal in der Erregung mit der Drohung davoneilt, sich ins Wasser zu stürzen, lässt er sie anfangs ruhig ziehen. Ganz abseits von dieser reinen Empfindungslyrik steht die erste ganz objektive, erzählende Diehtung Lenaus Die Wer- bung (156), bei der sich auch zum erstenmal der Einfluss der ungarischen Heimat geltend macht. Inhaltlich gehört die Ballade zu den später gedichteten Heidebildern, und man würde sie auch in diese Umgebung setzen, wenn nicht bestimmte Zeugnisse, die man nicht kurzweg von der Hand weisen kann, ihr eine frühere Entstehung zuwiesen. Siebenlist (?) erzählt, Lenau habe sich schon in Pressburg (1822) mit Eifer in eine volkstümliche ungarische Arie Die Werbung versenkt sowie in mehrere « Variationen desselben Themas ». Wie mir Prof. G. Heinrich aus Budapest mitteilt, kann hierbei nur die Rede von ungarischen Werbe- (Sol- daten-) Melodien sein, die Lena auf seiner Violine spielte, Arien, die entweder gar keinen oder nur einen volkstümlich abgeschmackten Text hatten. Es darf also nicht behauptet werden, dass der Dichter sich den Stoff aus der ungarischen Volksdiehtung geholt, wenn auch der hier ausgedrückte plötz- liche Wechsel von Kriegslust und jubelnder Freude zu sinnen- (1) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 46. (2) Lenau in Pressburg. (NEUE FREIE PRESSE, Nr 6871.) DIE WERBUNG, 103 der, sich in Tränen auflösender Melancholie die ungarischen Volkslieder wie den magyarischen Volkscharakter überhaupt kennzeichnet. Von Kindsbeinen an hat Lenau oft genug Gele- genheit gehabt, Werbungen, wie er sie schildert, zu sehen, denn das Militär wurde bis ins Jahr 1866 in Ungarn auf diese Weise ergänzt. Deutet schon der Hinweis von Siebenlist auf eine frühe Anregung, so kommt dazu die Aussage, die Schurz im Jahre 18%%4.den Reinbecks in Stuttgart machte, und die uns E. Niendorf (S. 266) überliefert. « Später, mit 24 Jahren, da sang er schon mehr. Eines seiner ersten Gedichte aus dieser Zeit, was auch in der Wiener Modezeitung erschien und schnell viel Beifall gewann, war die Werbung. Er dichtete es in Schra- bach (?) ». Emma Niendorf, die selbst das Fragezeichen hinsetzt und bemerkt, dass kleine Irrtümer in der Schreibweise der Namen ihr leicht entschlüpft sein können, schreibt Sehrabach für Schrattenthal, wo Lenau öfters mit Sehurz hinfuhr zum Besuche der Eltern von Schurz. Allerdings erwähnt Sehurz nur Besuche in den Jahren 1822 und 182% (I, 62 u. 76), was nicht mit dem 2%. Lebensjahre Lenaus (1826) übereinstimmt. Der Erstdruck, der am 3. April 1830 in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode erfolgte, bietet keinen Anhaltspunkt, zu bemerken ist jedoch, dass Lenau in diesem Jahre nur allerfrüheste Gedichte wie Das Ideal und eines seiner Abendbilder veröffentlichte. Schurzens Angabe mag auf eine ältere Fassung des Gedichtes zutreffen, an der Lenau später so lange gefeilt hat, bis er eine Formvollendung erreichte, die derjenigen der späteren Balladen nur wenig nachsteht. Den Erstdruck unterzeichnete Lenau mit seinem vollen Namen Niembsch von Strehlenau, wovon er die zwei letzten Silben zu seinem Dichternamen wählte, aus dessen weichem Tonfall man sozusagen die Wehmut herausfühlt, die den Grundzug seiner Lyrik bildet. Das Gedicht ist reich an Keimen der späteren Lyrik Lenaus. Zum ersten Male treten hier die Gestalten des Zigeuners und 10% DIE WERBUNG. des Rekruten auf. Eines der eigenartigsten Motive der Lenau- sehen Dichtung, das der Wirkung der Musik, wird hier zuerst angeschlagen. Lenau entdeckt Ungarn für die deutsche Lite- ratur. Er las Die Werbung G. Schwab und G. Pfitzer vor am denkwürdigen Abend des 9. August 1831, der ihn zum ersten Male mit den schwäbischen Dichtern in Berührung brachte. G. Schwab widmet der Ballade eine eingehende Besprechung ('), rühmt sie als « trefllich und originell » und bemerkt u a., dass die « Sentimentalität » des Verfassers durchaus der lebendigsten Anschauung untergeordnet ist und nur gegen den Schluss es wagt, sich einigermassen in einem modernen Seufzer Luft zu machen. Spärlich fliessen die Quellen über Lenaus Leben in diesem so wichtigen und poetisch so fruchtbaren Jahre 1826. An Briefen besitzen wir nur die drei erwähnten an Kleyle, an Berichten den von Seidl über den Ausflug nach Dornbach und den von Schurz (I, 79 ff.) über ihre mit Kleyle im August unternommene erste Reise in das österreichische Hochgebirge über Guttenstein zum Schneeberg. Das wichtigste äussere Ereignis des Jahres ist die neue Abschwenkung im Studien- plane. Im November begann Niembsch das Studium der Medizin, dem er bis 1830 treu blieb. (4) KLörreL, S. 481-184. XI Bruch mit Berta Hauer. 1827. Das letzte und wichtigste Zeugnis über die Beziehung zu Berta Hauer bringt Lenaus Brief (50) an seine Mutter vom 9. Juli 1827 aus Ungarisch-Altenburg, wo er zum Besuche bei Freund Kleyle weilte : « Liebe Mutter! . Was Sie mir über das Benehmen Bertas meldeten, konnte mich nicht erschüttern, weil es mir nicht unerwartet kam. Der klare Beweis ihrer gänzlichen Entblösstheit alles Gefühls liegt wohl darin, dass sie im stande ist, unter solchen Umständen mit Unwahrheit umzugehen, denn dass ein Bekannter von ihr hier gewesen und mit Kleyle gesprochen hätte, ist eine Erdich- tung. Zudem sind die Reden von Wegreisen u. s. w. wohl auch nichts mehr als Schwänke. Fürwahr, viel Kälte in einem so jungen Herzen! Ich habe der Berta vorgestern geschrieben und ihr meinen festen Entschluss, nie wieder das alte Verhältnis zu erneuern, eröffnet. Haben Sie die Güte, sie zu besuchen und mir dann zu schreiben, ob mein Brief gewirkt habe und was man nun zu unternehmen gedenke. Ihr treuer Sohn Niki. » Es bedurfte der örtlichen Trennung von Berta, eines Briefes der Mutter Lenaus, der wohl sicher anzunehmenden Einwir- kung Kleyles, damit sich Lenau zu dem Entschlusse emporrin- 106 BRUCH MIT BERTA HAUER. gen konnte, Berta einen Absagebrief zu schreiben. Wie wenig sicher er jedoch auch jetzt noch seiner selbst ist, beweist der Umstand, dass er die Mutter zu der Geliebten hinschickt, um zu erfahren wie der Brief gewirkt habe, und was die Entlassene nunmehr zu unternehmen gedenke. Auch der eben angeführte Brief enthält keinen Beweis von Bertas Treubruch. Zur Begründung des allerdings starken Ausdrucks : « gänzliche Entblösstheit alles Gefühls » wird eine Lüge Bertas angeführt. Wenn der Jüngling sich so sehr gegen die Lüge eines Weibes ereifert, so beweist das eben nur, dass er noch nicht tief in die weibliche Psyche eingedrungen war, allerdings auch sein, auch sonst bezeugtes, starkes Wahrhaftig- keitsgefühl. Die zweite Lüge, die er Berta vorwirft, nämlich ihre « Reden von Wegreisen », kann vielleicht durch Schurzens Meldung (I, 75), dass Berta tatsächlich im Sommer 1827 mit Mutter und Kind die Stadt verliess und nach Dornbach zog, widerlegt werden. Dort sollen, nach Schurz, « einige sehr heftige Auftritte » vorgefallen sein, also nach dem Absagebrief, da der Aufenthalt Lenaus in Altenburg bei Freund Kleyle im Monate Juni und Juli durch zwei Briefe an Therese Vogel bezeugt ist. Ferner zeiht Lenau Berta der Kälte, die doch im Verhalten des Liebhabers, in seiner Heftigkeit, in seinem Eingehen auf die Einredungen der Feinde der Geliebten, in seinem Aufgeben des Heiratsentschlusses u. s. w. eine wohl- begründete Entschuldigung findet. Vom sachlichen Beurteiler ist überhaupt der aufgehetzte, stets noch liebende, eifersüchtige, über Bertas Kälte erzürnte Jüngling weit entfernt. Im ge- heimsten Herzenswinkel erhofft er vielleicht die Meldung von Bertas Trostlosigkeit über die Absage, ein neues Aufflackern der Liebe, etwa einen Versöhnungsversuch ihrerseits. Jedenfalls schliesst die Bitte an die Mutter, Berta zu besuchen, die klar gewonnene Einsicht in Bertas Nichtswürdigkeit und den ernsten Entschluss des endgültigen Bruches aus. Die folgenden « heftigen Auftritte » in Dornbach können das Schlussergebnis herbeige- führt haben, dass sich die seit langem erkaltete Berta von ihrem 5 BRUCH MIT BERTA HAUER. 107 Liebhaber abgewandt. Diese Vermutung bringt einen besseren Beitrag zur Erklärung der nie verharschten Wunde Lenaus als Schurzens Darstellung, der seinen von hämischen Anspielungen gespickten Bericht mit der Andeutung krönt, dass Berta sich ihre unmittelbar auf die erste folgende zweite Liebe von einem « Reicheren », wenn er nicht irre, einem griechischen Handels- manne, bezahlen liess, wie sie sich ja auch die erste von Lenau habe bezahlen lassen. Die erweisbare Unrichtigkeit der einen dieser Angaben berechtigt auch wenigstens zu einigem Zweifel bezüglich der anderen, so wahrscheinlich es auch ist, dass Berta späterhin nicht gerade den Weg bürgerlicher Gesetzmässigkeit und Tugendhaftigkeit gewandelt. Auch hinsichtlich des Treubruches Bertas kann nur behauptet werden, dass derselbe nicht erwiesen ist, wie oft der Dichter auch in seinen Klageliedern darauf anspielt; zu der ohnehin nicht ganz überzeugenden dichte- rischen Erwähnung des Betruges genügte es, dass der Dichter daran glaubte. Sollte sich übrigens Berta erst nach Lenaus Absagebrief und den heftigen Auftritten in Dornbach von Niembsch ab- und einer neuen Liebe zugewandt haben, so war ihr Betragen eben nur das alltägliche. Jedenfalls darf der künftige Biograph, den Lenau noch entbehrt, die im Wider- spruche mit des Dichters Selbstzeugnissen stehende Schurzesche Schilderung von Berta nicht mehr als Evangelium ansehen. Das Schlimmste ist auch noch nicht, dass man bisher treu an Schurzens Darstellung festgehalten, sondern dass man sich darin überboten hat, Berta in den schwärzesten Farben zu malen. Unwürdig, gemein, verworfen sind stehende Beiwörter für sie geworden. L. Greiner (*) nennt sie ein « in jeder Richtung nichtssagendes Geschöpf », ein Mädehen jener Art, die « sich ein wohlhabendes Verhältnis anschaffen, dem periodisch wech- selnden Gatten gern zu Willen sind ». H. Röttinger (?) und (t) Lenau. Bi XVI der Sammlung Die Dichtung, herausgegeben von P. Remer,, Berlin und Leipzig, 0. J., S. 38 1. (2) Euphorion, VI, 758. 108 BRUCH MIT BERTA HAUER. manche andere nach ihm bezeichnen sie als eine « sehr minder- wertige Frauensperson », als die gelehrige Schülerin einer kupplerischen Mutter. A. W. Ernst (S. 39, AA) schimpft über die Verworfene, über diese gewissenlose « Phryne, die gleich- zeitig mehrere Eisen im Feuer zu haben pflegte », die es ver- stand, « die weiblichen Verführungskünste nach allen Regeln der ausgesuchtesten Koketterie spielen zu lassen ». Die Unwür- dige, die sich so schnell Lenau geschenkt, meint Castle (8. 33), tat auch nicht spröde gegen andere, und er spricht von Lenaus « Ekel vor einer Gemeinheit, die unverzeihlich, weil man selber beinahe in ihr erstickt wäre ». Reynaud (S. 96) charakterisiert Berta als « un ötre bas et vulgaire ». An verächtlichen Seiten- blicken auf Lenau, dass er eine so nichtswürdige Dirne habe lieben können, fehlt es nieht. Schon der Schwager lässt deut- lich seine Scham hierüber durchblieken, er will die « trübe, peinliche Geschichte sogleich ganz abmachen, um ihr auf einmal — wo möglich für immer — aus dem Wege zu gehen ». Der neueste Darsteller von Lenaus Liebesleben, D' S. Rahmer (S. 63 f.), kann nicht begreifen, was Lenau an ein Mädchen fesselte, dessen « geistigen und moralischen Tiefstand er durch- schaute? War es das haltlose Schwanken eines schwachen und energielosen Menschen, war es exzessive Sexualität, war es die Liebe zum Kinde?... Eine Summe von Rätseln und von Wider- sprüchen und ein tiefes Dunkel in der Beurteilung und Bewer- tung von Lenaus Persönlichkeit. » Bei der eingewurzelten Auffassung Bertas bleibt natürlich alles im Dunkeln. Schwere Schatten müssen auf Lenau und seine Mutter fallen, man begreift nicht, wie dies Mädchen ihn jahrelang fesseln konnte, man begreift noch weniger die feststehende und bisher noch von niemand geleugnete Tatsache, dass er Berta nie hat vergessen können. Um die nie vernarbte Wunde zu erklären, hat man zu den abenteuerlichsten, den Dichter wiederum in ein schiefes, ungünstiges Licht rückenden Auslegungen greifen müssen, wo doch schon allein die genaue Beachtung und Deutung von Lenaus eigenen Aussagen über BRUCH MIT BERTA HAUER. 109 die Geliebte genügt hätte, um die Innigkeit und Tiefe seiner Liebe, seine edle und hochsinnige Auffassung derselben, das grosse und volle, seitdem nie wieder erlangte Glück, das er in ihr fand, zu begreifen. Merkwürdigerweise war das Jahr des Bruches mit Berta eine Zeit ernster wissenschaftlicher und auch poetischer Tätigkeit. Am 27. Januar schreibt Lenau an Kleyle : « Auch ich arbeite nun fleissig im Felde des Schönen » (48) und am 6. November : « Mein Liebstes ist, auf meinem Zimmer zu sitzen und mit meiner Muse zu verkehren, wozu ich täglich mehr Lust fühle » (51). Unmöglich ist es, beim heutigen Stand der Forschung die poetische Tätigkeit Lenaus während des Jahres 1827 genau zu bestimmen. Mit grossem Eifer verlegte er sich auf das neuergriffene Studium der Medizin. « Psycho- logie und Chemie », schreibt er am 6. November an Kleyle, « sind dies Jahr meine Schulstudien, zwei mir sehr angenehme Wissenschaften, vorzüglich die erstere, wo der Spekulation Raum gegeben ist. Das erste medizinische Lehrjahr habe ich mit Applaus zurückgelegt, auf alle Prüfungen Eminenz gekriegt. Diese kleinen Schulfreuden sind aber auch die einzigen, die mir mein äusseres Leben schafft; denn an wahren Freunden, die mit mir aus einem Stücke geschnitten wären, gebrichts mir in Wien » (51). Derselbe Brief bringt die Nach- richt : « mir geht es leidlich ». Auch die zwei folgenden Schreiben an Kleyle aus dem November sind jeder Klage bar. Dies spricht für die Andentung von Schurz, dass das Verhältnis zu Berta sich « ersterbend » bis in das Jahr 1828 hinzog. Es geht dem Dichter leidlich, so lange er die Heissgeliebte nicht ganz verloren. Erschütternd bricht hingegen sein Schmerz im Briefe an den Freund und Vertrauten vom 6. Juni 1828 hervor, als der letzte Hoffnungstrahl gewichen, als die Trennung vollständig und endgültig vollzogen war. XII Klagelieder über Bertas Verlust. 1827-1828. Vergänglichkeit. — Die bezaubernde Stelle. — Erinnerung. — Nebel. — Das tote Glück. — Unmut. — An die Wolke. — Der Baum der Erinnerung. — Leichte Trübung. — Nächtliche Wanderung. Reichlich ist die dritte Stufe der Entwickelung der Liebschaft zu Berta, die des Risses, des Bruches, in Lenaus Dichtung ver- treten. Eine genauere Datierung dieser Klagelieder über Bertas Verlust und Treulosigkeit ist nicht möglich, einige mögen bereits in das Jahr 1827, wohl die Mehrzahl in das Jahr 1828 fallen, das eigentlich das Jahr des tiefen Schmerzes war. Nach Abschluss der so gut ausgefallenen medizinischen Prü- fungen des Jahres 1827 unternahm Lenau in Begleitung von Schurz und eines jüngeren Amtsbruders seines Schwagers den zweiten Ausflug ins österreichische Hochgebirge, der wiederum dem Schneeberge galt ('). Gleich zu Beginn dieser Reise, beim Anblicke eines « stillen Friedhofes mit geneigten, vom Monde übersilberten Kreuzen », empfing Lenau, nach Schurz, das Gedicht Vergänglichkeit (115) : « Vergänglichkeit! » mahnt mich im stillen Tale Die ernste Schar bekreuzter Hügel dort, Wo dauernder der Schmerz in Totenmale, Als in verlassne, Herzen sich gebohrt. (Vs 7-10.) (4) Ausführliche Beschreibung der Reise bei Schurz, ], 88 ff. KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST. 111 Mögen wir schon in den verlassenen Herzen eine Anspielung auf Lenaus damalige Gemütslage entdecken, so sehen wir deutlichere Hinweise in dem Herzen, das vergebens seinen Himmel festzuhalten sucht (Vs 45), und in der Schlussstrophe : Horch ich hinab in meines Busens Tiefen, « Vergänglichkeit ? » klagts hier auch meinem Ohr, Wo längst der Kindheit Freundenkläng entschliefen, Der Liebe Zauberlied sich still verlor ; Wo balu in jenen Seufzer bang Hinstirbt der letzte frohe Klang. Auf diesem zweiten Ausflug wurde der Schneeberg, den die Reisenden beim ersten (1826) nur aus der Ferne angestaunt hatten, wirklich bestiegen, und der Sonnenaufgang vom Scheitel des Riesen genossen. Bei der Erwähnung dieses herrlichen Schauspiels, das Lenau « stumm vor Entzücken » genoss, führt Schurz (I, 90) den erst im Nachlass (1851) erschienenen Vier- zeiler Die bezaubernde Stelle (ss) an: Liebende, die weinend mussten scheiden, — Wenn vach heisser Sehnsucht langen Leiden Sie ans Herz sich endlich dürften pressen, Würden sich zu küssen hier vergessen. Ob Schurz durch diese Anführung zugleich einen Hinweis auf die Entstehung geben will, ist aus dem Zusammenhang nicht zu ersehen. Jedenfalls steht der Vers : Liebende, die weinend mussten scheiden einer Einreihung an dieser Stelle nicht entgegen. Von diesem schönen Ausflug berichtet Lenau am 6. November an Kleyle: « Im September war ich mit Schurz auf dem Schneeberge. Wir sahen einige neue herrliche Gegenden, worunter mir vorzüglich das sogenannte Höllthal bei Reichenau gefiel, welches eine 11 2 KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST. Reihe der schönsten Felspartien darbietet und von der forellen- reichen, smaragdgrünen Schwarza durchströmt wird; ein wahrer Wallfahrtsort für Dichter, indem hier die Natur selbst zu dichten scheint » (51). Auf diese Reise folgte im Oktober ein Aufenthalt des Dichters bei seinem Freunde Berke in Güns, von dem er, wie Schurz (1, 91) mitteilt, sehr vergnügt zurückkam. Zum « leidlichen Zustande » Lenaus trugen diese ihn physisch wie moralisch stärkenden Ausflüge gewiss viel bei. Als ein Herbstlied, das vielleicht in das Jahr 1827 fällt, kennzeichnet sich das Gedieht Erinnerung (41) (Erinne- rungsvoller Baum...), das der Verfasser bereits in der zweiten Auflage von 183% wegliess. Eine milde Trauer, weit entfernt von der Heftigkeit späterer Klagen, durchweht es. Wehmütig gedenkt der Dichter seines Glückes : Wie selig hielt das Mädchen ich umfangen, (1) Und horchte ihrem leisen Liebesschwur ; Und holder lachten uns die Blütenwangen Der auferwachten göttlichen Natur. (Vs 9-12.) Die unmittelbare Einwirkung der Entfremdung scheint hier festgehalten zu sein, jedoch in ganz herkömmlicher Weise. Ein alter Bekannter ist der erinnerungsvolle Baum, welcher Zeuge des Liebesglückes zu zweien gewesen und nun den Liebenden allein empfängt, dessen Herz ebenso welk ist wie die Blätter, dessen Tage in stiller Klage dahinschleichen : Der toten Liebe finstrer Leichenzug. (Vs 20.) Ein Nachklang der Dichter des Hainbundes ist auch die süsse Kehle des Hains (Vs 15). (1) Lenaus ursprüngliche Zeichensetzung behalte ich in meinen Anführungen der Gedichte bei. Das unmoderne Komma steht also hier bewusst. KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST. 113 Viel selbständiger sind die Verse Nebel (35), die schon A. Grün auf Berta bezieht. Nimm fort in deine graue Nacht Die Erde weit und breit ! Nimm fort, was mich so traurig macht, Auch die Vergangenheit ! Mit dem Ausdrucke traurige Vergangenheit bezeichnete Lenau gern das Verhältnis zu Berta. Aus der ganz allgemein gezeichneten Landschaft : Tal, Fluss, Berg, Wald im Nebel, lässt sich schwerlich etwas Bestimmtes schliessen. Reynaud meint ('), es sei hier Heidelberger Landschaft geschildert und verweist deshalb das Gedicht in den November 1831, während er es in seinem Hauptwerke (S. 270) der Berta-Gruppe an- schliesst, ein Widerspruch, der kennzeichnend ist für die Schwierigkeit einer genauen Datierung. Die Verse bilden ein Seitenstück zu der Ode Sehnsucht nach Vergessen und geben ein glänzendes Zeugnis ab von Lenaus Fortschritt zur ursprüng- lichsten Eigenart. In weiteren Gedichten, die wahrscheinlich in das Jahr 1828 gehören, treten an Stelle milder Klagen scharfe Anklagen gegen Berta. Das tote Glück (24) schildert sie als das leichte, muntere (?) Mädchen (Vs 25) mit dem zauberischen Blick, dem wonnereichen Mund (Vs 10 f.) und dem kalten Herzen (Vs 21 £.), welches das Lebensglück des Dichters, das Glück, das sich einem Kinde gleich naiv, vertrauensvoll an sie angeschmiegt, still und kalıbesonnen (Ns 19), ruhig lächelnd (Vs 28) getötet. Hier greift Niembsch also wieder zum früheren Motiv der Kindsmörderin : Scharf geschliffen am Gesteine Deines Herzens war der Stahl, Und das Kind, um das ich weine, Atmete zum letztenmal, (Vs 41-94.) (4) These auxiliaire Nr 39, (2) Vgl. das Gedicht Sommerfäden, Vs 3. 11% KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST. Auch in den Versen Unmut (26) wird ein Kind erschlagen, und der Mörder ist diesmal der Dichter selbst. Er erschlägt das süsse Kind, die Hoffnung, die sein junges Leben um sein Glück bestohlen. Nicht nur das Motiv des Kindsmordes, son- dern auch das des früheren Gedichtes An die Hoffnung kehrt hier wieder. Nur ist das zu Grunde gelegte Gleichnis nicht festgehalten wie in Das tote Glück. Einmal erscheint die Hoff- nung als Kind, ein anderes Mal als arge Dirne. Hier fällt bezüg- lich Bertas das schwere Wort Betrug : Nun ist 's vorüber; in den Tagen, Als ihr Betrug ins Herz mir schnitt, Hab ich das süsse Kind erschlagen, Und mit dem Leben bin ich quitt, (Vs 5-8.) Eine Erbitterung, die sich zu starker Todessehnsucht steigert, zeigt eine vierte Strophe, die der Dichter von der Ausgabe letzter Hand (1844) ausschloss : Zu lange doch dünkt mir das Brüten Hier unter diesem schwanken Zelt ! Ergreif es, Sturm, mit deinem Wüten, Und streu die Lappen in die Welt! Mit vollster Deutlichkeit ist auch das Heidebild An die ‘Wolke (ss) auf Berta zugespitzt. In die Heidebilder ist das Gedicht eingereiht nur aus dem ganz äusserlichen Grunde, weil die Wolke über eine Heide dahinzieht. Die Ungetreue, das falsche Weib wird Berta hier genannt. Auch hier ein bekanntes Motiv verwendend, beschwört der Dichter die Wolke stillzu- stehn bei seinem Weh, zur Geliebten die Kunde zu tragen von seiner blutenden Wunde, ihr eine Mahnerin an die gebrochenen Schwüre zu sein, in der sich steigernden Gestalt des Regens, KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST, 115 des Donners, des Blitzes. Die endgültige Fassung der zweiten Strophe : O nimm auf deine Schwingen Und trag zu ihr die Kunde, Wie Schmerz und Groll noch ringen, Und bluten aus der Wunde, Die mit ihrem Trug Die Ungetreue schlug erfolgte erst in der letzten Ausgabe von 1844, und eindringend rechtfertigt Lenau dieselbe im Briefe an Sophie Löwenthal vom 19. April 1844 (825). Die dort ausgedrückte grosse Scham des Dichters über die « verunglückten, läppischen » Zeilen : Und nimm auf deine Reise Mit fort zu ihr die Kunde : Mein Herz, die arme Waise, Verblutet an der Wunde können wir nicht teilen. Eher als die arme verblutende Waise fallen die an einem Augenlid rüttelnden Blitze der Schluss- strophe auf, die mindestens ebenso gut wie die zweite Strophe eine Verbesserung hätte vertragen können. An die Wolke ist ein förmliches Rachelied und hat ein merkwürdiges Seitenstück in der Aufforderung an den Tiger im Nachtgesang der Albigenser : Und kommen klagende Erinnerungen, Ermorde sie, bevor sie eingedrungen ! Auf eine aber stürze dich vor allen, Zerreisse schnell mit deinen scharfen Krallen, Verschling auf immer du in deinen Rachen Ein Frauenbild, das mich will weinen machen ! (Vs 97-32.) Zwölf Jahre nach dem Bruche entflammt Bertas unverlösch- liches Bild den Dichter noch zu solchen Versen, wie er sich 116 KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST. auch in dem Sonette Palliativ aus dem Jahre 1838 die Frage stellt, ob er sich ihr gegenüber keiner Schuld anzuklagen habe. Einer sanfteren Klage weicht das Rachegefühl in Der Baum der Erinnerung (:), dessen 13. Vers : Treulos hat sie mich verlassen schon für sich allein genügt, um die Beziehung auf Berta klar zu stellen. Inhaltlich sehliesst das Gedicht sich eng an Erinnerung (Erinnerungsvoller Baum...) an. Es ist derselbe Baum, der nun im Schmucke des Frühlings prangt, der vor einem Jahre die Seligkeit der Liebe mit seinen Blütenzweigen überschattete, und dem sich der Dichter nun einsam nähert, ihm sein Leid zu klagen. Eine Jahreszeit liegt zwischen beiden Gedichten, voraus- gesetzt, dass ihr Charakter als Herbst- und Frühlingslied eine Begründung in der Wirklichkeit hat, was man bei der ganz herkömmlichen Ausführung derselben nicht schlechthin als sicher annehmen kann. In der Ausmalung der Fülle des Glückes, die er in Bertas Liebe fand, kann der-Dichter sich nicht genug tun : Hinter deinen Blütenzweigen Tönte Nachtigallenschlag, Und die Holde war mein eigen, Die an meinem Herzen lag. Und wir meinten selig beide, Und ich meint es bis zur Stund, Dass so herrlich du vor Freude Blühtest über unsern Bund. (Vs 5-12.) Das Gedicht sandte Lenau an seine Gmundener Freundin Nanette Wolf in einem Briefe aus dem Herbst 1830, mit der einzigen Bemerkung, es liesse sich nach der Musik einer beige- legten Ballade singen. Dieser Umstand der Sangbarkeit nach KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST, #11 einem beigefügten Muster allein bestimmte Lenau zur Sendung der viel früher entstandenen Verse. Es ist wohl die Gleieh- förmigkeit dieses Gedichtes mit Erinnerung, die Lenau veran- lasste, letzteres seit 1834 auszuschliessen. Die Nebelbilder alter Kränkung im Gedichte Leichte Trübung (2) sind auch auf Berta zu beziehen. Der blaue Berg, Der Felsen in die Lüfte hebt, (Vs 6) ist der Schneeberg. Mit Bezug auf die Besteigung im August 1827, bemerkt Schurz (, 90), diehtete Lenau « später » diese Verse. Eine genau entsprechende Prosafassung bringt der allerdings spätere Brief vom 6. Juni 1828 an Kleyle: « Einmal bis ins Mark verletzte Seelen bleiben empfindlich auf immer; — eine flüchtige Erinnerung, und die Brust ist in Aufruhr. Solche Seelen sind wie die Luft auf sehr hohen Bergen. Man darf da, wie die Bergbewohner sagen, kein Steinchen hinabwerfen, sonst steigen sogleich Nebel auf. So leicht erschüttert ist die Gebirgs- luft! » (54). Beachtenswert ist diese Äusserung sowie das Gedieht besonders für diejenigen, welche die unauslöschliche Wirkung des Erlebnisses mit Berta auf Lenaus ganzes weiteres Leben nicht begreifen können und mit verächtlichem Achsel- zucken auf diese nie geheilte Wunde herabsehen. Eine Selbst- charakteristik schliesst aueh das Gedicht ein, das die eigene, aussergewöhnliche Reizbarkeit des Gemütes widerspiegelt. Er war so zartbesaitet, sagt Schurz (l, 106), dass ihn oft ein Wörtehen zum Tode betrübt machen konnte. Die starke Mischung von Phantasie und Wirklichkeit, die einen Grundzug der Berta-Gedichte bildet, findet ihre höchste Steigerung in Nächtliche Wanderung (12). Auch die Reihe der Grundgedanken dieser Gedichte : Verlust der Ruhe, Ringen von Schmerz und Groll, Tod des Glückes, Tod der Liebe, findet einen Abschluss in der hier nicht vereinzelt auf- tretenden, sondern das ganze Gedicht beherrschenden Todes- 118 KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST. sehnsucht. Diese erhält auch hier die ganz besondere Färbung, dass sie als das Verlangen nach Vereinigung im Tode mit der Geliebten gedeutet wird : 0 schlängle dich, du Wetterstrahl, Herab, ein Faden mir, Der aus dem Labyrinth der Qual Hinaus mich führt zu ihr ! (Vs 29-32.) Die tote Braut (Vs 8) ist die dem Dichter dureh ihren Treu- bruch gestorbene Berta. Das Motiv hatte Lenau bereits in der Ode An der Bahre der Geliebten bearbeitet und eng verwandt ist es auch mit dem des toten Kindes. Die zärtliche, feierliche Bitte der Geliebten in ihrer Sterbestund (Vs 10 f.) : « Bezwinge fromm die Todeslust, Die dir im Auge starrt, Wenn man mich bald von deiner Brust Fortreisset und verscharrt! » ist die Ottiliens an Eduard in Goethes Wahlverwandtschaften : « Sie drückt ihm kräftig die Hand, sie bliekt ihn lebevoll und liebevoll an, und nach einem tiefen Atemzug, nach einer himm- lischen, stummen Bewegung der Lippen : Versprich mir, zu leben! ruft sie aus, mit holder zärtlicher Anstrengung, doch gleich sinkt sie zurück. Ich versprech es! rief er ihr entgegen, doch er rief es ihr nur nach : sie war schon abgeschieden. » Eine Sonderstellung nimmt dieses Gedicht innerhalb der Klage- lieder ein durch seinen ganz eigentümlichen Zug der Ideali- sierung Bertas, deren Bild den Dichter stets begleitet, deren süssser Mund ihn bat, fromm die eigene Todeslust zu bezwingen, deren Wort ihn vom Todessprung in den wilden Bach zurück- hält, so dass er ein unfreiwilliges Ende vom Blitze erbittet. Dieser Zug der Idealisierung weist auf den Abschluss dieser Liebesdichtung hin. KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST, 119 Drei Klagelieder über Bertas Treubruch in epischer Form verweisen wir in ein folgendes Kapitel, weil dieses nur den eigentlichen Liebesgedichten gilt. Der Schmerzensausbrüche über die unglückliche Liebe fand G. Schwab zu viel. « Aber wenn nur so im allgemeinen Lied und Lied endet : Meine Braut ist die Qual! oder : Wacht auf, ihr Horden meiner Qual! Oder : Umarme mich, du stiller Todesmut! so wird uns unheimlich und vielleicht sogar unpoetisch zu Mute » (!). Die Stimmung, aus der diese Gedichte entstanden sind, schil- dert ergreifend Lenaus Brief an Kleyle vom 6. Juni 1828 : « Teurer Freund! Viel ist veronnen der Zeit, und viel des wechselnden Schicksals, seit wir uns gesehen (?)! Wohl war es an mir, Dir Worte des Trostes zu senden (*); allein trösten kann nur der Ruhige, und ruhig war ich die ganze Zeit über, dank meinem Geschicke, keine Stunde. Hätte ich Dir geschrieben, so wären es bittere Tropfen gewesen, aus meinem Kelche in den Deinigen getropft; hätte Dir dies den Schmerzenstrank versüsst? ich glaube nicht, denn das Virgilsche : Solamen miseris socios habuisse malorum lautet mir so : Elenden nur ist ’s Trost, Gefährten zu haben des Unglücks. Wundre Dich nicht, lieber Freund, über meine Unruhe und wirf mir nicht vor, dass mir Gründe des Trostes und der Selbstaufrichtung zu Gebote stünden, dass es meine Schuld wäre, wenn sich dieselben an mir nicht bewährten. Bedenke vielmehr, dass, so lange man kämpft, man nicht ruhig sein könne, und dass mein Feind in meiner erregten Phantasie einen unerschöpften Vorrat von Dolchen und Pfeilen finde. Wie ein angeschossenes Wild durchirr ich den Wald des Lebens, (4) KLÜPFEL, S. 186, (2) Das heisst seit dem Sommer 1897. () Vgl. das folgende Gedicht An Fr. Kleyle. 120 KLAGELIEDER ÜBER BERTAS VERLUST. je stärker mein Lauf‘, desto heftiger bluten meine Wun- den!» (54) (). Kein Wunder, dass Schurz (I, 91) aus dem Jahre 1828 « nichts zu erzählen » hat. Die Bertageschichte hat er ja « sogleich ganz abgemacht ». Auch findet er keine Prüfungs- zeugnisse aus diesem Jahre vor. « Wahrscheinlich hatte er das Lernen allzuweit wieder hinausgeschoben, so dass er sich zur Zeit der gewöhnlichen Prüfungen noch nicht vorbereitet genug fühlte ». Einer Erkrankung als Ursache des Prüfungsversäum- nisses erinnert sich Schurz nicht; wir wissen welche Krankheit Schuld daran trug. « Sonach war auch das Jahr 1828 rein versäumt »,; jammert der Schwager. Dass er fürs praktische Leben nicht viel tauge, gesteht Lenau Kleyle im folgenden Briefe aus dem Herbst 1828. Er hat sich in Wien wie über- haupt in der Welt noch nicht eingebürgert. Er kommt sich vor wie ein Schlüssel, der in kein Schloss passt, mitunter aber wie ein wahrer Himmelsschlüssel, nämlich dann, wenn er ein Gedicht gemacht, das ihn, auf Augenblieke wenigstens, unter die Götter versetzt. Er fürchtet, sich in irgend einem phan- tastischen Dickicht zu verlieren und fleht inständig den im praktischen Leben stehenden Freund an, manchmal seine Stimme -— die Stimme der praktischen Vernunft — hören zu lassen, damit er sich nicht verirre (55). Der Brief erwähnt die Sendung eines Gedichtes, « ein Kind meines Herzens, das ich dem Deinigen empfehle ». Es liegt der Handschrift des Briefes nicht bei. Wahrscheinlich ist dies Gedicht das An Fr. Kleyle überschriebene, mit dessen Besprechung wir das nächste Kapitel eröffnen. () Der Schluss ist von mir unterstrichen. XI Nachklänge des Berta-Erlebnisses. 1828, An Fr. Kleyle. — An meine Gitarre. — Vergangenheit. — Die Waldkapelle. — Robert und der Invalide. — Marie und Wilhelm. Ein ähnliches Schicksal wie Lenau traf seinen Freund Fritz Kleyle. Auch er hegte eine unglückliche Liebe zu seiner Nichte l.otte, der ältesten Tochter des Hofrates von Kleyle, die ihn zu Gunsten eines andren verschmähte. Das, wie eben erwähnt, vielleicht im Briefe an Kleyle aus dem Herbst 1828 gesandte Gedicht An Fr. Kleyle (27) spielt auf‘ diese unglückliche Liebe und auf folgende Ereignisse an. Am 8. Januar 1828 vermählte Lotte Kleyle sich mit D" Philipp Mayer, Hauslehrer beim Erzherzog Karl. Drei Monate nach der Heirat starben beide binnen fünfzehn Tagen an einem Nervenfieber. « Dein Schicksal », schreibt Lenau am 6. Juni 1828 an Kleyle, « führte dich an zwei Leichen vorüber; — gleichsam eine traurige Genugtuung, Dir zu zeigen, wie wenig die Räuber Deines Glückes ihres Raubes froh werden durften. Wahrlich, zu trau- rige Genugiuung! — Fast hat mich der ganze Vorfall aber- gläubisch gemacht; denn fast kommt es mir vor, als hafte Unsegen auf einem Bunde, welcher seine Lust mit dem Salze fremder Tränen würzet, und als nage dieser Unsegen am Gedeihen des Bundes. — Die geliebte Leiche ist fort; aber Du hast ihr Bildnis auf Deinen Herzgrund gemalt mit sanften Farben der Wehmut; alles Gehässige haben Deine Zähren weggewaschen, Du gedenkst ihrer in Frieden. Vielleicht war 122 NACHKLÄNGE DES BERTA-ERLEBNISSES. sie mehr selbst ein Raub als eine Räuberin. Wir wollen es glauben. Eine grossmütige Beurteilung der Toten ist Wohltat für unser eigenes Herz, sollt es auch dadurch mehr zu leiden haben. — Der Sturm ist vorüber; doch noch bebt das Eichen- laub, und schwere Tropfen fallen einzeln von ihm herab auf die Gebüsche. Der goldne Sonnenstrahl fällt wieder herein in den Wald, aber auf manchen zerschmetterten Ast. — Ruhe sie sanft! einst liebte sie Dich ja! » (54). Nur aus einer von gleichem Schmerz zerwühlten Seele konnte ein solcher Trostbrief fliessen, und wie der Brief so bringt auch das Gedicht Anspielungen genug auf des Dichters eigenes Leid wie namentlich die Verse : Wo die Geliebte Treu und Herz dir bricht (Vs 40) und Wehmut sinkt an.meinen Busen wieder, Die stille Freundin meiner Einsamkeit. (vs 55 t.) Sein früh zerfallmes Glück (Vs 20) baute Niembsch an das seines Freundes hin; als dies zerfällt, ruft er aus: Herein ! herein ! du finsterer Geselle ! Du bist in meiner Brust kein neuer Gast; Ich öffne dir die trümmervolle Zelle, In welcher dein Geschlecht schon oft gerast ! (Vs 33-36.) Das Geflöte der Nachtigall (Vs 11 f.) und der im Hain erwachende Hauch der Weste (Vs 26) sind Rückerinnerungen an die Hainbündler. Eine solche enthält auch noch im Vers : Hinaus ins Dunkel jener Eichen (Vs 47) NACHKLÄNGE DES BERTA-ERLEBNISSES. 123 das Gedicht An meine Gitarre (54). Traurig hängt des Dichters Lieblingsinstrument da, seine beste Unterhaltung, das frühe Mittel seiner Schwärmereien : Gitarre, wie du hängst so traurig ! Die Saiten tönen nimmermehr, Die längst zerrissnen wanken schaurig Im Abendwinde hin und her. Auch deine Saiten sind zerrissen, Es schweigt dein süsser Liederklang, Seit in des Busens Finsternissen Mir jede frohe Saite sprang. Als bestimmte Ursachen seiner Schwermut gibt Lenau in der dritten Strophe den Tod seines Freundes (Kövesdy) und die tote Liebe (Berta) an. Nichts verlautet von dem im Jahre 1829 erfolgten Tod der Mutter, und eben weil dieser in der Reihe der angeführten Schicksalsschläge fehlt, ist das Gedicht wohl vor diesem Tode anzusetzen. Wie leicht wiegt dagegen ein Grund Reynauds ('), der das Gedicht in das Jahr 1832 versetzt, weil Lenau am 21. Januar 1832 an K. Mayer schreibt, er spiele Neissig Gitarre. Auch der sonstige Inhalt dieses Briefes hat nichts mit dem Gedichte zu tun, er ist in seinem optimistischen Tatendrang den Versen geradezu entgegengesetzt. Zum zweiten Male (?) schildert Lenau hier die Urgewalt der Musik, die für ihn das zweite Mittel war, die Überfülle an Gefühl und Leiden- schaft zu entladen, die dichterische Verzückung ausrasen zu lassen (?). (!) These alxılıaire, Nr 40. (2) Vgl. Die Werbung. () Über Lenaus Gitarrespiel urteilt Schurz (I, 15) : « Ich habe nie ein so schönes, nie ein runderes und klingenderes, gedonnerteres wie auch gehauchteres Gitarre- spiel gehört als wie das Lenaus. » Etwas kühler äusserte sich der Graf Alexander von Württemberg : Lenau spiele die Gitarre recht brav für einen Dilettanten. (Brief an Kerner vom 1. Februar 1841. Kerners Briefwechsel, Nr 534. Vgl. auch NIENDORF, S. 262 und Lenau und Löwenthal, S. 348, 594. 12% NACHKLÄNGE DES BERTA-ERLEBNISSES. Traurige Gedanken weckt der Abendstern, der uns, wie es in der ersten Fassung des Gedichtes Vergangenheit (27) heisst, melancholisch zuwinkt. Er bedeutet, dass wieder einer aus der langen Reihe trostloser Tage in die stille Todesruh gesun- ken (Vs A). Der Berta-Dichtung sind die Begriffe von vergangen und tot geläufig. Des Herzens Klage und seine Seligkeit, welche die schweigende Vergangenheit begraben soll (Vs 10-12), weisen auf die Liebe zu Berta hin. Anderer Meinung ist Reynaud (!), der das Gedicht auf den Verzicht auf Lotte Gmelin beziehen und es entsprechend, d. h. mit dem Jahre 1832 datieren möchte. In die vorwiegend optimistische Stimmung des Dichters zu Anfang des Jahres 1832 passt es nicht gut hinein. Ein eigen- artiges, reizendes Bild, das auf Lenaus anhebende Meisterschaft in der Naturschilderung und Naturdeutung hinweist, bringt die zweite Strophe, die dem Anfange des 5. Schilfliedes gleicht : Leichte Abendwölkchen schweben Hin im sanften Mondenglanz, Und aus bleichen Rosen weben Sie dem toten Tag den Kranz. Sämtliche Motive der eben besprochenen Dichtungen und der Verse Vergänglichkeit kehren wieder in dem erzählenden Gedichte Die Waldkapelle (166) der Geschichte eines Mannes, den eine unglückliche Liebe irrsinnig. gemacht. Zum neuen Motiv des Irrsinns kommt das des Verlustes des Glaubens. Das Schicksal hat dem Manne die Lebensbahn verschüttet (Vs 83), hat : Aus seiner Seele seinen Gott gerissen (Vs 84), hat einen grausen Gottverächter (Vs 22) aus ihm gemacht, der das Te Deum laudamus der Frommgläubigen mit Hohngelächter (1) These ausziliaire, Nr 32. NACHKLÄNGE DES BERTA-ERLEBNISSES. 425 unterbricht, weil Gott die meineidige Geliebte ungestraft lässt. Die Waldkapelle ist das ergreifendste, grausigste Gedicht des Berta-Zyklus. Mit unheimlicher Wahrheit, die der späteren Wirklichkeit genau entsprechende Einzelzüge aufweist, wie die Schilderung Emiliens von Reinbeck (!) sie uns aufbewahrt, hat der Dichter hier sein zukünftiges Geschick geschildert. Noch erschütternder wirkt das Gedicht, wenn man bedenkt, dass ihn tatsächlich eine unglückliche Liebe, die zu Sophie Löwenthal, in den Irrsinn getrieben. Die Zeichnung Bertas steigert sich hier zur schärfsten Anklage. Sie ist die heimtückische Meinei- dige, die sich das letzte Wort des Treueides durch einen andern von der falschen Lippe küssen lässt, die reue- und gewissen- lose, die in einem Freudenleben schwelgt, während ihr unglück- seliger Liebhaber der Verzweiflung Beute geworden : Und all ihr Leben, Freudentaumel nur, Den noch kein flüchtig Leid ihr jemals störte, Zieht, unverfolgt von ihrem falschen Schwur, Und frech am Gott vorüber, der ihn hörte. (Vs 77-80.) So schildert Lenau in dieser sehr phantastischen Dichtung realistisch. Bertas Leben nach der Trennung, wie er es sich dachte. Am augenfälligsten unter den Gedichten dieser Art tritt auch hier die erfundene Situation auf. Einzelheiten wie der Eichenhain (Vs 30), der Silberschimmer (Vs 39) und des Hirten weiche Flöte (Vs 6%), des Hirten Lied im stillen Waldestal (Vs 71 f.) deuten auf eine leise Fortwirkung des Einflusses der bekannten Vorbilder. Schurz (l, 76) erklärt, das Gedicht sei nach der Trennung von Berta geschrieben, « in deren meineidiger, weiblicher Gestalt — wie Klemm glaubt, und ich mit ihm — er Berta, und in dessen wahnsinnig gewordener männlicher, mit nur zu rich- (1) EMILIE von REINBECK, Lenaus Erkranken. 126 NACHKLÄNGE DES BERTA-ERLEBNISSES. tigem Vorgefühle, er sich selbst zeichnete ». Die Tatsache, dass Lenau diese prophetische Phantasie Ende August 1831 den Stuttgarter Freunden vorlas, und dass sie am 30. August in Morgenblatte erschien, beweist nichts für das Jahr 1831 als Entstehungszeit. Schurz und Klemm haben ganz recht, wenn sie in dem treubrüchigen Weibe Berta Hauer wiedererkennen, und alles deutet darauf hin, dass das Gedicht bald nach deı Trennung entstanden. Dass es vor 1831 fällt, geht aus einem ungedruckten Briefe von Boloz v. Antoniewiez an Lenau aus Lemberg vom 5. Oktober 1830 hervor, der sich in Privatbesitz zu Wien findet. Hierin bittet Boloz Lenau, ihm das Gedicht zu senden. — Die Vorlesung des Gedichtes auf dem Spaziergange nach Gaissburg warf den Keim der Liebe in die Seele Lotte Gmelins. Sie schrieb es sich aus dem Morgenblatte ab, und als Lenau dies erfuhr, fing auch er Feuer. So wurde sein ergrei- fendstes Klagelied über Bertas Treubruch zum Keim der neuen Liebe. Innig verwandt mit der Waldkapelle ist Robert und der Invalide (+), das wie An die Wolke auch nur ganz äusserlich zur Abteilung Heidebilder gehört. Der Schmerz des um seine Liebe betrogenen Robert ist grösser als der des alten Invaliden, der auf dem Schlachtfelde von Leipzig alles verloren; auf diesen Gedanken, dem wieder der Verlust Bertas zu Grunde liegt, ist das Gedicht zugespitzt. Die meineidige Geliebte steht in beiden Gedichten im Vordergrund. Motive der Liebesgedichte an Berta kehren wieder; unbekümmert um die fremde Liebesqual schmückt sich die Heide mit dem Blütenkleide gerade wie der Baum der Erinnerung. In Roberts Mund legt Lenau die berühmten, für das Verhältnis zu Berta und seine eigene Seele so charakteristischen Verse : Was einmal tief und wahrhaft dich gekränkt, Das bleibt auf ewig dir ins Mark gesenkt, (Vs 72 £.) die er im Briefe an Mayer vom 1. Dezember 1831 anführt (73), NACHKLÄNGE DES BERTA-ERLEBNISSES. 427 um seinen Verzicht auf Lotte Gmelin zu beleuchten, die er seitdem so oft in Prosafassung in Briefen und Gesprächen wiederholte. Wir haben sie zuerst angetroffen im Briefe an Kleyle vom 6. Juni 1828 : « doch einmal bis ins Mark verletzte Seelen bleiben empfindlich auf immer ». Die Quelle alles Unheils ist wie in der Waldkapelle der gebrochene Treuschwur. Die böse Sippe von Nachtgestalten der Vergangenheit (Vs 90 f.) verfolgt den Betrogenen stets, stets spottet sie ihm nach : Du Tor, mit deinem fabelhaften Sehnen! Hast du ’s noch nicht ersäuft mit deinen Tränen? (Vs 94 £.) und reisst damit nur alle seine Wunden wieder auf (Vs 96), lässt nicht rasten ihn von seinem Leide (Vs 100). — Auch kehrt das Motiv des Eroberers hier wieder, wobei Napoleon, das böse Wetter (Vs 53), mit Namen genannt wird, und zum ersten Male fällt hier ein Seitenhieb auf den Aristokraten, dessen Glück sich schwelgend mästet (Vs 57 f.) an den verstümmelten Soldaten. Auch dies Gedicht las Lenau G. Schwab vor beim ersten Besuche am 9. August 1831, und Schwab hebt in seiner Besprechung den Vers hervor, in dem Lenau die Wetternacht sein Schätzel nennt (Vs 32), dazu bemerkend, dass der Dichter überhaupt der Sänger des Gewitters genannt zu werden verdient, das noch keinen solchen Maler im Liede gefunden habe. Er verweist dabei auf die Gedichte Dein Bild, Nächtliche Wanderung, Die Heideschenke und Die Gewitternacht im Romanzenkranze Klara Hebert (t). Der Übergang von der meineidigen zur entehrten Braut, den Lenau in der Ballade Marie und Wilhelm (hsı) vollzieht, war schon angedeutet in der Waldkapelle, wo das schwurbrüchige Mädchen im Freudentaumel lebt. Ein Reiter (!) KLüprFEL, S. 186. 128 NACHKLÄNGE DES BERTA-ERLEBNISSES. kommt zur armen, verwaisten Marie und fleht sie an, ihren fernen Bräutigam Wilhelm und alles Leid zu vergessen und ihm zu folgen : zur Liebesau Voll ewig grüner Freuden ! (Vs 43 £.) Mit treuloser Hand wischt sie sich die Tränen von der Wange und sinkt in den bodenlosen Sumpf der Lüste (Vs 51 f.). Der brave Bräutigam Wilhelm, der wie Bürgers Lenore um ihren 8 8 Wilhelm viel in der Fremde um sie gelitten und ihr treu geblieben, kelırt in die Heimat zurück, sie heimzuführen. Er findet eine treulose, entehrte : « Mir nicht den Kuss ! bin sein nicht wert; Tief sank ich ins Verderben! Bin treulos, Wilhelm, und entehrt ! Zieh fort, und lass mich sterben ! » — Wie also sie zu Wilhelm sprach, Da schied er, schwer beklommen, Ging still hinaus zum Erlenbach, Der ihn mit fortgenommen. i (Vs 89-96.) Es ist der Bach aus Nächtliche Wanderung, der reichen, frischen Tod führt. Augenscheinlicher als der von Reynaud (S. 269) angeführte Einfluss von Goethes Faust in. der Schil- derung der unschuldigen Kindheit Maries ist der von Bürgers Lenore. Schurz datiert die Ballade in einem Exemplar der Lenauschen Gedichte, das er mit handschriftlichen Notizen versehen hat ('). () I. Band der Ausgabe von 1844, S. 270. Vgl. L. Roustan, En marge d’une edition des po6sies de Lenau. (Revue germanique, VI, 314-319.) x a NACHKLÄNGE DES BERTA-ERLEBNISSES. 129 Viele dieser Anmerkungen sind Abschriften derjenigen, die sich Sophie Löwenthal im zweiten Bande eines Exemplars der- selben Ausgabe von 1844 gemacht ('). Schurz bemerkt : « Von diesem Gedichte bekam Lenaus väterlicher Freund, der Dichter Schleifer, eine eigenhändige Abschrift von Niembsch, worunter von diesem geschrieben steht : “ Gedichtet als Schleifer in Wien war '. Schleifer war aber in Wien am 26. und 27. Au- gust 1828. » Die erste Bekanntschaft mit Schleifer fällt in den September 1825, wo Lenau und Schurz den damals kaiserlichen Herrschaftsverwalter in Sierning bei Steyr besuchten. « Schleifer und Niembsch », schreibt Schurz (1, 79), « gewannen sich lieb wie Vater und Sohn ». — « Das war doch einer der besten Augenblicke Deines Lebens, in welchem Dir ’s zum ersten Mal einfiel, den Schleifer in Sierning aufzusuchen », schreibt Lenau an Schurz am 19. Mai 1832 (99). Die genaue Angabe über die Entstehungszeit des einen dieser Gedichte bietet einen Anhalts- punkt für die zeitliche Bestimmung der anderen. (*) H. BiscHorr, Handschriftliche Notizen von Sophie Löwenthal zu Lenaus Gedichten. (Zeitschrift für den deutschen Unterricht, XXIII, 601-623.) xIV Gedichte allgemein-pessimistischen Inhalts. 1. Reihe. — 1829. Der Indifferentist. — Vanitas. — In der Wüste. — Der Selbstmord. — Glauben. Wissen. Handeln. In den bisher besprochenen Dichtungen knüpft sich die Trostlosigkeit des Dichters mittelbar oder unmittelbar an den Verlust Bertas. In einer Reihe von Gedichten ist die Ungetreue unerwähnt gelassen, und der Pessimismus des Dichters erhebt sich objektiv ins Allgemeine. Diese Steigerung von der beson- deren Liebesqual zu allgemeiner Melancholie und Verzweiflung finden wir auch in den Briefen Lenaus an Kleyle wieder. Sie ist übrigens durch das Leben bedingt. Zu Anfang des Jahres 1829 erkrankte Lenaus Mutter am Gebärmutterkrebs, sie litt lange und fürchterliche Qualen, die der bei ihr wohnende Sohn mitansehen musste, bis der Tod sie am 2%. Oktober erlöste. Wie die Jahre 1827 bis 1829 dem arg vom Schicksal mitgenommenen Jünglinge ein stets wachsendes Leid bringen, so nimmt dementsprechend die bis zur völligen Verzweiflung anschwellende Düsterheit in seinen Dichtungen zu. Aus dem Jahre 1829 haben wir nur einen Brief Lenaus, den vom 27. Juli an Kleyle (56). Es ist der traurigste, den er geschrieben : « Teurer Kleyle! Diesen Brief schreib ich mit zerrissnem Geiste und gebroch- nem Herzen. Meine gute liebe Mutter liegt auf ihrem qualvollen Kranken- und Totenlager. Die schrecklichste der Krankheiten, GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 1. REIHE, 481 ein Gebärmutterkrebs, wütet bereits seit mehreren Monaten im Leben der Unglückliehen und zehrt schleichend, unter unsäg- lichen Leiden, an dem kümmerlichen Reste ihrer Kräfte. Das traurige Bild meiner hinschmachtenden Mutter wird mich mein Leben lang nicht verlassen. Sie wird bald sterben, bald wird das treue Mutterherz stille stehn. Mir wird immer bänger, und ich sehe mich ängstlich nach einem Herzen um, das für mich schlagen wird, wenn jenes geliebte stille steht. Freund ! ich klopf an Deine Brust. Mir tat Deine Liebe nie so not wie jetzt. Du bist einer von den wenigen Menschen, die mir wirk- lich gut sind, vielleicht der einzige, wenn meine Mutter tot ist. Schreibe mir bald, wie es Dir geht, denn ich glaube fast, Du seist auch krank, auch ein Sterbender. Das böse Geschick bleibt ja nicht gerne am halben Werke stehn; das meinige scheint mir nehmen zu wollen, was ich liebe, scheint die Lampen nach einander austun zu wollen, die mir mein dunkles Leben bisher beleuchteten, damit ich im Finstern sei, und schlafen gehe. Freund, mir ist schwer, schreibe mir bald. Dein treuer NIENBSCH. » Auch ein Bericht Seidls aus diesem Jahre legt Zeugnis von Lenaus finsterer Seelenstimmung ab. Am 23. April machte er im silbernen Kaffeehause dem Freunde Seidl ernste Vorstellun- gen wegen seiner an diesem Tage festgesetzten Trauung, bis er, überzeugt von seiner Besonnenheit, ihm Glück wünschte mit dem bedeutungsvollen Zusatze : « Für unsereins wäre das nichts » (1). Der Gedanke der Nichtigkeit alles irdischen Strebens, jedoch in der denkbar düstersten Auffassung, liegt den Gedichten Der Indifferentist und Vanitas zu Grunde. Es gehörte ein so seltenes (') Aus den Wiener Sonntagsblättern 1848, Nr 5) abgedruckt bei ScHurz (I, 9) auch bei FRANKL, $. 25. ’ 132 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 1. REIHE, Unglück, eine so hoffnungslose Enttäuschung, wie sie Lenau zu teil wurden, dazu, um den siebenundzwanzigjährigen Jüng- ling in den Versen Der Indifferentist (125) auf den Gedanken zu bringen : man sei ein Sokrates oder ein schnöder, teuflischer Verbrecher, man habe Genie und Güte oder Stumpf- sinn und Schlechtigkeit, das sei alles eins. Es sei just so wichtig, als ob das Aufgusstierchen in seinem Wassertropfen sich nach rechts oder nach links wende. Kein besseres Beispiel des schäd- lichen Menschen findet der Dichter auch hier als den Eroberer (Vs 14 f.). Drastisch drückt er den Stumpfsinn in den Versen aus: Ob nichts dein langes Leben war hienieden, Als fürs Gewürm des Grabes eine Mast; (Vs If.) in einem trefilichen Bilde schildert er das Werk des Genius : Ob dein Genie sein Werk den raschen Zeiten Geschleudert, ein Gebirg, in ihre Bahn, Dass sie an seinem Fuss vorüberschreiten, Und grauend seine Gipfel starren an. (Vs 5-8.) Nicht minder schroff wird der Grundgedanke dieses Gedichtes in Vanitas (135) ausgeführt. Das Beste wäre es vielleicht, sich an Blütenduft und Nachtigallen, Mädehenkuss und Freun- deswort zu betäuben, jedoch will das Schicksal, dass man dies alles verschmähe, um in hartnäckiger Erpichtheit einem uner- reichbaren, stets entweichenden Ziele zuzustreben. So weit geht der Dichter, den stets weiter und höher weisenden Genius des Lebens als eine Dirne zu bezeichnen, die über die Enttäuschung, den Fall des Menschen hohnlächelt (Vs 27 f.). Der Anfang des Gedichtes sticht in seiner Milde vom grellen Schlusse ab : Eitles Trachten, eitles Ringen Frisst dein bisschen Leben auf, Bis die Abendglocken klingen, Still dann steht der tolle Lauf. GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 1. REIHE. 133 Der Gedanke vanitas vanıtatum in Lenaus eigener, schwarz- galliger Auffassung führt zur Todessehnsucht : In der Wüste (17). Man gibt sich viel Mühe, sich durch den Wüsten- sand des Lebens eine Bahn zu wühlen. Es kommt der Sturm, wirbelt den Sand auf und löscht jede Spur unserer Schritte aus. Gleich einer Karawane wandert die Menschheit nach der Rätsel- ferne aus : Doch der Strahl der Wüste zündet Sehnsucht nach dem kühlen Haus; Zündet heisser stets das Sehnen In die Gruft aus diesem Land, Wo, nie satt, nach unsern Tränen Lechzt herauf der dürre Sand. (Vs 15-20.) Der Gedanke des Selbstmordes taucht auf in Einem Kna- ben (120), wenn auch nur in der Form einer Warnung davor. Der Knabe, dem treulos das liebe Vögelein aus dem Käfig entflieht, erinnert an den Unglücklichen, dem die Unschuld, das scheue Vögelein, im Kampfe des Lebens entweicht. Steht er einst trauernd da und weint bitter Um die beste, schönste Habe Des Menschenlebens, (Vs 19 £.) dann soll er sich hüten vor der Versuchung, die sturmerprobte Hand mit wildem Krampfe seinem eigenen Busen einzudrücken. Die leisen Gesänge (Vs 29 f.), die süssen Weisen (Vs 31), die aus der Ferne flüstern, sind die Träume der unschuldsvollen Kindheit, sind die flücht’gen Gäste, das bunte wunderbar singende Gevögel des Gedichtes Die Jugendträume, welche die eisern schweren Schritte der Wirklichkeit verscheuchen. « Ein seltenes Motiv », meint G. Schwab, « stellt sich uns auch in dem vortrefflich ausgeführten Liede Einem Knaben dar, 43% GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 1. REIHE. das wir gar zu gern ganz hersetzen möchten... Das Gedicht wird gewiss dereinst das seltene Glück haben, in Beispielsamm- lungen voll gereimter Moral für die Jugend und in rein ästhe- tischen Anthologien zugleich an einem der ersten Plätze zu stehen » (!). Schwabs Prophezeiung hat sich nicht verwirklicht. Nicht nur als treffende Parallelstelle, sondern auch zum rich- tigen Verständnis des unheilbaren Risses, den die Erschütterung seines Liebesideals in Lenaus Seele hervorgebracht, sind fol- gende Verse aus den Albigensern wichtig : Das sehnlichste, das quälendste Verlangen, Das schuldbewusste Seelen weichrer Art Ergreift auf ihrer dunkeln Erdenfahrt, Ist der Gedanke : hätt ich 's nie begangen ! Der Qualgedanke : wär ich rein geblieben ! Verfinstert ihnen jeden holden Stern, Vergällt der Freude innerlichsten Kern, Hat manchen schon in frühen Tod getrieben. (Vs 1457-1464.) Eine natürliche Steigerung dieser Gedichte allgemein pessi- mistischen Inhalts ist, wenn nicht geradezu eine Verteidigung, so doch eine Entschuldigung des Selbstmordes in Der Selbst- mord (12). Die Schilderung des Schmerzes ist hier eine so packende, dass die eigene, tiefbittere Erfahrung, aus der sie hervorgequollen, dem Leser ergreifend ins Bewusstsein tritt. Das Gedicht ist zugleich eine Selbstverteidigung, eine Recht-. fertigung der weichen, zarten, zagen Seelen, die dem Sturme des Lebens nicht standhalten können und versinken. Die stär- keren, die im Kampfe gesiegt, sollen sich nicht überheben und mit Verachtung und Schimpf auf die schwächeren herabsehen. Diese verdienen nicht den Vorwurf, dass sie aus schlechterem Stoffe seien als die Glücklichen, die dem Sturme entwischt. (1) KLÜPFEL, S. 189. GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 1. REIHE. 1835 Ihnen, die er eindringlich vor dem Höhnen und Zischen (Vs 28) warnt, ruft Lenau die Schlussmahnung zu : Hütet euch, ihr andern, hütet ! Denkt an eurer Fahrten Rest; Denn die Nacht der Zukunft brütet Manchen Sturm im dunkeln Nest. Die Hauptmotive seiner bisherigen Dichtung : Glück der Kindheit, der Jugendträume, der ersten Liebe, Verlust der Unschuld, Enttäuschung des Liebesglückes, Nichtigkeit alles irdischen Strebens, sogar die Verdammung des Eroberers, fasst Lenau zusammen in seinem ausführlichen, allegorischen Traume Glauben. Wissen. Handeln (ss). Stärker betont werden andere Motive, die bisher nur flüchtig angeschlagen waren, so der Verlust des Glaubens : Und all des Herzens fromme Lust verlor ich, Seit ich des Glaubens treue Spur verliess, (Vs: 74,5) das Suchen nach Erkenntnis : Mich aber trieb mein Herz mit lautem Klopfen, Zu suchen der Erkenntnis hohen Baum, (Vs 75 £.) die Vergeblichkeit dieses Suchens : Drum klimme nicht, du pflückst die Früchte nie! (Vs 96.) Ein neues Thema ist das der Nichtigkeit des politischen und patriotischen Kämpfens und Ringens, das seine Erklärung in den damaligen österreichischen Verhältnissen findet. Zu welch 136 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 1. REIHE. hoffnungslosem Ziel die jugendliche Lebensreise den Dichter geführt, sagen erschütternd die Schlussverse : Das Schicksal ging nun finster mir vorüber, Mit Majestät und Schrecken angetan, Und winkte mir, zu wandern meine Bahn Durch Heideland, verlassner stets und trüber. Und dir, mein Leben, warf zur stillen Feier Den Gram das Schicksal um dein Angesicht, Von ihm gewoben dir zum zweiten Schleier, Der fester sich um deine Züge flicht. Erst wenn wir uns zu seligem Vergessen Hinlegen in das traute, dunkle Grab, Löst er von deinem Angesicht sich ab, Und hängt sich an die säuselnden Zypressen. (Vs 451-167.) Zur Zeit, wo sich die Frage aufdrängt, welchen Weg er im Leben einschlagen soll, stellt der Dichter eine Art Gewissens- forschung an. Vollständig verneinend ist das Ergebnis. Den Glauben seiner Kindheit hat er verloren, vergeblich hat er sich an die Wissenschaft gewandt (*), um die Rätsel des Daseins zu lösen, — als letzter Hoffnungsanker bleibt die Tat, für die es ihm wohl nicht so leicht gefallen ist, ein Sinnbild zu finden wie das Paradies für den Glauben, den Baum für die Erkenntnis, die schöne Braut für das Leben. Den Gedanken der Tat, den er nicht den Mut hat zu fassen, vermag er auch nicht in einem Bilde zu erschöpfen. Als Notbehelf wählt er die Germania, die ihm den Beweis der Unerspriesslichkeit des Handelns, indem er es in einem engen Sinne fasst, erleichtert. Der Glaube ist (4) « Ich sah einmal Lenau grimmig vom Buch aufspringen », berichtet Lenaus medizinischer Studien- und Stubengenosse Keiller, « indem wir eben studierten, und da rief er : * Was ist das für eine Wissenschaft, wo es immer heisst : das ist noch nicht klar, oder : über diesen Punkt sind die Meinungen geteilt u. s. w. Ist das Wissen, ist das Können ? Ich will Lieht, Klarheit, Wissen ’ ». (ScHurz, I, 86 f.) GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 1. REIHE. 437 unzureichend, die Wissenschaft unzugänglich, die Tat unnütz. Allerdings dachte der Dichter zunächst nur an die Nichtigkeit des politischen Kampfes. Die allgemeine Mutlosigkeit, sich zu irgend welcher praktischen Tätigkeit aufzuraffen, leuchtet jedoch klar durch, sowie das ganze aufreibende geistige Ringen des Unglückliehen, der uns bereits hier den Kern der Faustdichtung bietet. Der erhabene Stoff und Ton sowie das Versmass führten an und für sich zurück zu Klopstock. Der Dichter der Messiade erscheint wieder in manchen Einzelheiten, aus denen ich den Wonnetumult (Vs 54) und den sein Gebet zitternden Löwen (Vs 58) als die auffallendsten heraushebe. Zittern ist nicht nur ein Lieblingswort Klopstocks im allgemeinen, sondern er gebraucht es auch im Sinne von zifternd sagen : Satan zittert’ es, stammelt’ es. (Messias, 16. Gesang, Vs 619.) Am 28. Oktober 1844 erzählte Schurz den Reinbecks, wie Emma Niendorf (S. 266) berichtet, die Diehtung habe Lenaus Mutter, als der Sohn ihr dieselbe vorlas, sehr gefreut. Demnach ist sie vor dem Tode der Mutter, am wahrscheinlichsten im Jahre 1829, entstanden. Am 2%. Oktober traf Lenau der furchtbare Schlag, dessen Härte aus dem angeführten Briefe an Kleyle zu ermessen ist. Die Mutter starb nicht nur nach langen, schrecklichen Leiden, deren Unheilbarkeit ihr bewusst, sondern auch im grössten Elende. Der vom Sohne mit unterzeichnete Bericht des Gerichtsbeamten lautet in der Spalte Vermögen : « Nichts, nachdem die wenig vorhanden gewesene Leibeskleidung und Wäsche noch bei ihren Lebzeiten verkauft werden musste, um ihr die ärztliche Hülfe und nötige Nahrung verschaffen zu können » (t). (1) Werke V, 309. 138 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 1. REIHE. Nach dem Tode seiner Mutter, berichtet Max Löwenthal (?), trat Lenau aus aller und jeder Verbindung mit Stiefvater und Stiefgeschwistern, überhaupt seiner gesamten Verwandtschaft, mit Ausnahme seiner an Schurz verheirateten Schwester The- rese. Er verlässt die allzu lebhafte schmerzliche Erinnerungen weckende elterliche Wohnung in der Rosengasse der Vorstadt Windmühle und zieht mit dem Polen Boloz von Antoniewiez in die innere Stadt. (1) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 59. xV Gedichte allgemein-pessimistischen Inhalts. 2. Reihe. — Erstes Halbjahr 1830. Der trübe Wanderer. — An die Melancholie. — Zuflucht. — Einst und Jetzt. — Die Felsenplatte. — Die Zweifler. Eine Reihe von Gedichten allgemein pessimistischen Inhalts unterscheiden sich von den vorhin besprochenen durch eine mehr oder weniger deutlich wahrzunehmende Anspielung auf den Tod der Mutter. Mitunter taucht auch wieder die unglück- liche Liebe auf, so im Gedichte Der trübe Wandrer (z), dessen längstverlorne Minnestunden (Vs 6), die die alten Wun- den wieder zum Bluten bringen, auf Berta, dessen Kränze geliebter Toten (Vs 9f.) auf den Tod der Mutter hinweisen. Als dritte Quelle der inneren Zerrissenheit deutet der Dichter hier eindringlich den Verlust des Glaubens an : Das Christuskreuz, vor dem in schönen Tagen Ein Kind ich, selig betend (1), oft gekniet, Es hängt hinab vom Strande nun, zerschlagen, Darüber hin die Todeswelle zieht. (Vs 13-16.) Eine solche Steigerung der düstersten Schwermut wie das Gedicht sie atmet, erfolgte nach dem « bittersten Verluste seines (1) Betend seit der Ausgabe von 1840; früher weinend. S. hierüber Professor J. Waurtzing. (Bull. de ’Acad. roy. de Belgique, Classe des lettres, ete., 1912, Nr 4, S. 167) 440 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISIISCHEN INHALTS. 2. REIHE. Lebens, dem seiner innigst geliebten Mutter » (!\. Wie im Gedichte In der Wüste eine althergebrachte, gemachte, allego- rische Einöde, in Glauben. Wissen. Handeln ein ebensolcher Wald erscheint, so ist hier das Meer in ähnlicher, überbrachter Weise verwendet. Das zu Grunde liegende Bild vom schmerz- zerrissenen, glaubensirren Menschen am Meeresstrande, « die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel » (?), ist vielleicht auf Heineschen Einfluss zurückzuführen. Dass jedoch der Tod der Mutter den Zweifel am Glauben neu anfachte, beweist der Brief an Schurz vom 8. Juli 1833 : « Todbetten Heissgeliebter sind das Furchtbarste. Ich träume noch immer sehr oft vom Todbette meiner Mutter, diese Erinnerung ist am tiefsten in mein Herz geschnitten. Als ich das Lager mit der Leiche darauf verlassen, musste ich mühsam die Trümmer meiner Religion zusammenraffen. So viel Leiden, und so lang! » (126). In der Abschiedsszene des Faust, wo Lenau seinem Schmerz um die Verlorene den unmittelbarsten Ausdruck gibt, heisst es : Wie fabelhaft zerrann Das fröhliche Verheissen Vom ewigen Wiedersehn, Als ich dich sah vergehn ! (Faust, Vs 2275-2278.) Keinen Trost gibt es für solchen Verlust; da bleibt nichts übrig als Verzweiflung : Ein ernster Freund, mein einziges Geleite, Weist stumm hinunter in die dunkle Flut; Stets enger drängt er sich an meine Seite : Umarme mich, du stiller Todesmut! (Vs 31-24.) (4) ScHurz, I, 92. (2) H. HEınE, Die Nordsee, 2. Zyklus, Nr 7 : Fragen, Vs 3. Die Situation des verzweiflungsvoll am Meeresstrande Irrenden findet sich noch bei Heine in Abend- dämmerung, Erklärung, Der Schiffbrüchige, Der Gesang der Okeaniden. GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. 144 Er Der ernste Freund, das einzige Geleite, ist die Melancholie : An die Melancholie (117). Sie geleitet den Dichter durchs Leben und weicht nie von ihm. Sie führt ihn oft in einsame, schaurige Felsenklüfte, die ihm die so oft betonte Furcht- barkeit der Natur lebhäft vergegenwärtigen. Dort ergreift ihn mächtig der Gedanke an seine Toten, an den Jugendfreund Kövesdy, an die für ihn tote Berta, an die Mutter : Meiner Toten dann gedenk ich, Wild hervor die Träne bricht, Und an deinen Busen senk ich Mein umnachtet Angesicht. (Vs 9-19.) Seine beste Trösterin, die Mutter, ist tot. Ihr Faltenkleid bietet ihm kein Versteck mehr gegen die Quäler, und so bleibt nur das Leichentuch, um sich vor den Drängern zu schützen : Zuflucht (129). (Tut man Kindern was zuleide.) Eine treffende Selbsteharakteristik ist der Vers : Weiche Herzen bleiben Kinder All ihr Leben... (Vs5£) Der Wunsch : ... Und es falle Ihnen auch das Los gelinder, Als den Herzen von Metalle (Vs 6 ff.) ist am Dichter nicht in Erfüllung gegangen. Einem ähnlichen Gedanken begegneten wir im Gedichte Der Selbstmord. Welcher Gegensatz zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Einst und Jetzt (2), zwischen der schönen Knabenzeit in Tokay — wo der Knabe im Zusammenleben mit seiner Mutter, dem Freunde Kövesdy und seiner « ersten, leichten Liebe, einer reizenden Freundin seiner Lieblings- 142 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. schwester Therese » (!), so selig war — und dem jetzigen Leben in Wien, wo alles an die unselige Berta und an die tote Mutter erinnert. Der Dichter versetzt sich im Geiste nach Tokay zurück — denn eine wirkliche Wiederkehr ins traute Tal (Vs 10) fand nicht statt — doch wozu diese Wiederkehr? Die Liebste ist fort, der Freund ist tot, und was das Traurigste von allem : Immer schleicht sich noch der Pfad hin Durch das dunkle Waldrevier; Doch er führt die Mutter Abends Nimmermehr entgegen mir, (Vs 17-21.) Inhaltlich reiht sich das Gedicht an die Klage Vergänglich- keit an und fasst diese bestimmter : Blumen fort und Nachtigallen, Und das gute Mädchen auch! Meine Jugend fort mit ihnen; Alles wie ein Frühlingshauch! (Vs 29-33.) Als Beispiel von Jacobis Einfluss auf Lenau führt Schurz (1, 74) dies Gedicht an; es mahnt ihn « in seinem Ausgange etwas an Jacobi ». Jacobis Lied, das Schurz bei dieser Bemer- kung vorgeschwebt hat, ist wohl kein andres als Nach einem alten Liede (?) : Sagt, wo sind die Veilchen hin, Die so freudig glänzten, Und der Blumen-Königin Ihren Weg bekränzten ? « Jüngling, ach! der Lenz entflieht: » Diese Veilchen sind verblüht, » (4) Schurz, I. 21. (2) Jacogı, Werke III, 51-53. GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. 143 Sagt, wo sind die Rosen hin, Die wir singend pflückten, Alssich Hirt und Schäferin Hut und Busen schmückten ? « Mädchen, ach! der Sommer flieht : » Diese Rosen sind verblüht. » Führe denn zum Bächlein mich, Das die Veilchen tränkte, Das mit leisem Murmeln sich, In die Täler senkte. « Luft und Sonne glühten sehr : » Jenes Bächlein ist nicht mehr. » Bringe denn zur Laube mich, Wo die Rosen standen, Wo in treuer Liebe sich Hirt und Mädchen fanden. « Wind und Hagel stürmten sehr : » Jene Laube grünt nicht mehr, » Sagt, wo ist das Mädchen hin, Das, weil ich’s erblickte, Sich mit demutvollem Sinn Zu den Veilchen bückte? « Jüngling! alle Schönheit flieht : » Auch das Mädchen ist verblüht. » Sagt, wo ist der Sänger hin, Der auf bunten Wiesen Veilchen, Ros und Schäferin, Laub und Bach gepriesen ? « Mädchen, unser Leben flieht : » Auch der Sänger ist verblüht. » Nicht nur atmet Lenaus Gedicht dieselbe Stimmung, auch seine Gestalten : die Blumen, das Bächlein und das Liebehen fand er bei Jacobi vor. Tatsächlich gemahnt besonders die 144 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. Schlussstrophe Lenaus an Jacobi. Dieser beklagt das Verblühen der Veilchen und der Rosen, des Mädchens und des Sängers selbst wie Lenau das Verschwinden der Blumen, des guten Mädchens und seiner eigenen Jugend. In bezug auf die Form wiederholt Lenau auch die Jacobischen mit wo eingeleiteten Fragen : Baum, wo sind die Nachtigallen? Und wo, Wiese, deine Blumen? (Vs 93-97.) Auch in der poetischen Vision Die Felsenplatte (s:) lässt der Dichter seine Jugend an sich vorüberziehn. Unter den Spielgenossen seiner Kindheit, mit denen sich die phantastische Felsenplatte belebt, erscheint auch seine Mutter, die der Dichter in poetischer Verallgemeinerung schon lange tot sein lässt : . Auch sein Mütterlein, die gute, Wandelt lächelnd auf dem Stein, Die so manches Jahr schon ruhte In dem öden Totenschrein. (Vs 17-20.) Unter diesen frohen Gestalten sieht der Diehter sein eigenes Jugendbild : Mit den frohen Fremdlingsmienen Auf der Erde Schmerzgefild. (Vs 23.) In prächtiger Natureinrahmung, im dunkeln Hintergrunde der Nacht, auf dem hellen Gefunkel des Steines, unter säuseln- den Blütensträuchern erscheint eine neue Gestalt, ein holdes Mädchenangesicht und : Mit jungfräulichem Erröten Flüstert sie: « bin ewig dein! » Und von allen Zweigen flöten Nachtigallenlieder drein. — (Vs 45-48.) GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. 145 Es ist der bisher so oft besungene Treuschwur der Geliebten, Bertas. Bald endet der schöne Traum, und der Mann, der ihn geträumt, steht einsam in der Verwüstung und Trostlosigkeit des Winters und des Sturmes. Wie bereits im Gedichte Der trübe Wanderer erscheint der Groll gegen Berta versunken in die Trauer über den Tod der Mutter, denn jede Bitterkeit fehlt bei dieser letzten Heraufbeschwörung der Geliebten. Dies Gedicht sowie auch An die Melancholie können ihren äusseren Anlass gefunden haben in Lenaus Ausflug im Mai 1830 nach Gutenstein in Gesellschaft von Schurz und Klemm. Am 16. Mai besuchten sie den « Muekendorfer Wasserfall ». Schurz (I, 99) beschreibt ihn : « Einige Felsen stehen’ zerrissen umher in starrem Schrecken, während die schäumend’ tosende Mira über andere, zertrümmert am Boden liegende, siegjauchzend hinabstürzt ». Sind dies nicht die Felsenklüfte und der donnernd brausende Waldstrom des Gedichtes An: die Melancholie und der am steilen Klippenhange niederschäumende Wildbach der Felsenplatte? Einen logischen Abschluss dieser düsteren Poesie bildet die Phantasie Die Zweifler (55). Es ist ein Gedicht auf die’alles umfassende Herrschaft des Todes. Das einzige Feste und Sichere im Wandel der Erscheinungen ist der Tod. Das ganze Weltall mit all seinen Freuden und Herrlichkeiten ist nur geschaffen seinetwillen. Das Wort des Apostels Paulus’ kehrt‘ der Dichter um in : überall ist sein Stachel, überall ist sein Sieg. In frechem Übermut thront er als Allherrscher. Sehärfer, mächtiger, packen- der als je erklingt wieder das Lied von der Vergänglichkeit, gleichlautend mit einer Stelle des Gedichtes Vergänglichkeit. Wie Blüten hier, so fächelt dort Dein Hauch die welken Sterne fort 10 146 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. lautet der Schluss in den ersten Fassungen (1832-1834) über- einstimmend mit Vers 73-74 der Zweifler : Einst wird vom raschen Flug ihr strahlend Heer, Ein müdes Schwalbenvolk, hinuntersinken. In wildem Takt braust (Vs 61) das Herz des Dichters, den Gipfelpunkt seines Pessimismus bildet die grausige Vision.des sich über das Werk des Todes freuenden Gottes : Dann brütet auf dem Ozean die Nacht, Dann ist des Todes grosses Werk vollbracht ; Dann stockt und starrt zu Eis die grause Flut, Worin der Wunsch des finstern Gottes ruht; Er wandelt auf der Fläche und ermisst, Wie alles nun so still, so dunkel ist; Er lächelt dann voll selbstzufriedner Freude In seine Welt, in seine Nacht hinein, Und es erglänzt des Eises stille Heide Nur noch von seines Lächelns Widerschein! (Vs 75-84.) Und da gibts noch frohe Toren, In ihren Traum « Unsterblichkeit » verloren. (V8 37.8.) Wozu diese Unsterblichkeit, die zweifellos ebensolehe und so viele Qualen in sich birgt wie das Leben auf Erden? Denn glauben kann der Dichter nimmermehr : Es habe sich das ganze Heer Von Qualen, die gebar Natur, “ Gelagert auf die Erde nur. (Vs 99 94.) Die Qualen, die in unsrer Brust voll Wunden So traute Herberg stets gefunden, (Vs 97 £.) GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. 147 wandern mit uns hinüber in eine andere Welt, wenn es ein Jenseits gibt. Das Beste ist das Nirwana, ein Schlaf im Grabe, tiefer als der des Kindes, ein Schlaf, vor dem der Tod sich als Wächter, als Engel vor dem Paradies, hinstellt (Vs 101-108). Überraschend wirkt der Schluss mit der stolzen Ergebung in das Schicksal, welches es auch sei : Doch ist es anders mir beschlossen, Soll drüben neu mein Leben Sprossen ! Werd ich gelassen, ohne Zagen, Auch meine Ewigkeit ertragen. Er deutet auf die nächstfolgende Wandlung des Dichters hin. In etwas verschiedener, spinozistischer Färbung drückt eine Stelle im Briefe an Sophie Schwab vom I1. November 1831 denselben Gedanken aus : « Aus dem Meere der Gottheit steigt die Seele auf und fällt wieder darein zurück. Der Gedanke ist so traurig nicht; was meinen Sie? Sogar etwas Reizendes, Heroisches liegt in dem ruhigen, gefassten Gedanken des Unter- ganges der Individualität, wenigstens für mich. Kann der Mensch ein stolzeres, energischeres Wort sprechen als : Hier fand ich kein Glück, dort find ich keines — denn mein Ich begräbt die Scholle — brauche aber auch keines, hier nicht und dort nicht. Sie sehen, dass auch mir Resignation nicht ganz fremd ist » (72). Die Rede des ersten Zweiflers berührt sich stark mit der- jenigen, die Lamartine im Gedichte L’Immortalite (') den Materialisten in den Mund legt : Insense, diront-ils, que trop d’orgueil abuse, Regarde autour de toi : tout commence et tout s’use, Tout marche vers un terme et tout nait pour mourir : Dans ces pres jaunissants tu vois la fleur languir, () Premieres meditations poetiques. Paris, Hachette, 1833. S. 141. 148 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISIISCHEN INHALTS. 2. REIHE. Tu vois dans ces forets le c&dre au front superbe Sous le poids de ses ans tomber, ramper sous l’herbe; Dans leurs lits dessöches tu vois les mers tarir; Les cieux mö&me, les cieux commencent A pälir; (1) Cet astre dont le temps a cache la naissance, Le soleil, comme nous, marche ä sa decadence, Et dans les cicux deserts les mortels &perdus Le chercheront un jour et ne le verront plus! Tu vois autour de toi dans la nature entiere Les siöcles entasser poussiere sur poussiere, Et le temps, d’un seul pas confondant ton orgueil, De tout ce qu’il produit devenir le cercueil. Et ’homme, et l’'homme seul, 6 sublime folie! Au fond de son tombeau croit retrouver la vie, Et dans le tourbillon au neant emporte, Abattu par le temps, r&ve l’6ternit&! (2) Die Rede des zweiten Zweiflers lässt sich auf: eine Stelle in Lamartines Gedieht La Foi (°) zurückführen : J’ai vecu; j’ai passe ce desert de la vie, (4) Oü toujours sous mes pas chaque fleur s’est fletrie; Oü toujours l’esperance, abusant ma raison, Me montraitle bonheur dans un vague horizon; (4) Ich seh erbleichen die Sterne selbst. (Vs 67 £.) Auch das Bild der « zitternd rückwärts weichenden » Sterne, die « nicht sicher sind aufihren Bahnen » und schliesslich « heruntersinken » (Vs 68, 70, 74) findet sich bei Lamartine.in L’Immortalite (S. 142) : Pour moi, quand je verrais dans les celestes plaines Les astres, s’&cartant de leurs routes certaines, Dans les champs de l’öther l’un par l’autre heurtes, Parcourir au hasard les cieux &pouvant6s. () Doch stehn an deinem Ufer frohe Toren, In ihren Traum « Unsterblichkeit » verloren. (Vs 57 £.) (8) Premieres meditations voetiques, 3.221 f. (*) Solang dies Herz auf Erden schlug, Hab ich erlebt genug, genug, Um ein Vergehen, ein Verschwinden — Ein Los der Sehnsucht wert zu finden. (Vs 99-102.) GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. 149 Oü du vent de la mort les brülantes haleines Sous mes l£vres toujours tarissaient les fontaines. Qu’un autre, s’exhalant en regrets superflus, Redemande au passe ses jours qui ne sont plus, Pleure de son printemps l’aurore Evanouie, Et consente & revivre une seconde vie : Pour moi, quand le destin m’offrirait, A mon choix, Le sceptre du genie ou le tröne des rois, La gloire, la beaut6, les tr&sors, la sagesse, Et joindrait ä ces dons l’eternelle jeunesse ; J’en jure par la mort, dans un monde pareil, Non, je ne voudrais pas rajeunir d’un soleil. Je ne veux pas d’un. monde oü tout change, oü tout passe; Oü, jusqu’au souvenir, toul s’use et tout s’efface ; Oü tout est fugitif, perissable, incertain; Oü le jour du bonheur n’a pas de lendemain. Lenau ist fest überzeugt, dass die Qualen der Erde mit in ein etwaiges Jenseits hinüberwandern. Lamartine stellt in La Foi (S. 223) die Frage: Ame, qui donc es-tu? famme qui me devore, Dois-tu vivre apres moi? dois-tu souffrir encore ? Den finsteren, grausamen Gott, der seine Schöpfung, die Welt, verächtlich von sich stösst, sie dem blinden Schicksal, dem Unglück als Beute überlässt, schildert Lamartine in Le Desespoir (!). Auch in La Foi ruft der Verzweifelnde zum grausamen Gott (S. 224) : Reponds-moi, Dieu eruel! S’il est vrai que tu sois, J’ai done le droit fatal de maudire tes lois! (4) Premieres meditations poetiques, S. 150-155. 150 GEDICHTE ALLGEMEIN-PESSIMISTISCHEN INHALTS. 2. REIHE. In Novissima verba (!) nennt lL.amartine das Leben : Une derision d’un &tre habile A nuire, Qui s’amuse sans but A creer pour detruire, Ou qui de nous tromper se fa.t un divin jeu! und noch : Un sarcasme amer d’une aveugle puissance. Am 1. März 1831 schrieb der damals als Dramaturg des Königstädtischen Theaters in Berlin weilende österreichische Schriftsteller und Freund Lenaus Braun von Braunthal auf dessen Bitte, sich nach einem Verleger für ihn umzusehen : « Schicke mir bald eines der grösseren (Gedichte), ich will es drucken und diesen Herren (Verleger) lesen lassen; d. i. ich will ihnen einen Stein als Probe Deines himmelanstrebenden, herrlichen Liedergebäudes in ihr Rathaus tragen » (?). Am 11. März sendet ihm Lenau die Phantasie Die Zweifler mit der Bitte, sie baldigst drucken zu lassen. « Das Wo bleibt Dir zu bestimmen » (60). Braun von Braunthal übergab das Gedicht dem von Kotzebue gegründeten, damals von W. Häring (Alexis) herausgegebenen Berliner Konversationsblatte Der Freimütige, wo es am 21. April erschien. (1) Harmonies poetiques et religieuses. Paris, Hachette, 1882, S. 388 ff. Allerdings ist das letzterwähnte Gedicht, geschrieben am 3. November 1829, veröffentlicht im Jahre 1830, Lenau wohl nicht vor der Dichtung seiner Zweifler bekannt geworden. (2) Ina KLeın, Kritische Studien. Prag, Calve, 1891. II, 374. Das dort angegebene Datum des Briefes, 1. Mai, kann ebenso wenig stimmen wie das von Schurz (I, 440) und von Castle (Werke III, 66) verzeichnete : 41. Mai für Lenaus Antwort. Wie hat man übersehen können, dass ein am 11. Mai übersandtes Gedicht am 91. April im Druck erschien! Das richtige Datum von Lenaus Brief gibt übrigens Braun von Braunthal im Erstdruck dieses Briefes (Der Wanderer, 1866, Nr 399.) XV Der unheilbare Riss. Bis in das Jahr 1830 hinein steht die Mehrzahl der Lenau- schen Gedichte im Bannkreise der Leidenschaft für Berta Hauer. Nach einer acht- bis zehnjährigen Pause tritt sie im Sonette Palliativ und in einer Stelle der Albigenser (Vs 27-32) wieder vereinzelt zutage. Ich bin ein Mann, und was ich liebe, Lieb ich mit vollem Mannestriebe, Ich lieb's auf Leben und auf Sterben, Auf Heil und ewiges Verderben (Faust, Vs 479-482.) lässt Lenau seinen Faust sagen und noch : ... Doch kann’s mein Stolz nicht tragen, Von einem Weib zu werden abgeschlagen. (Vs 4518 £.) Schurz erzählt (I, 75 f.), dass, als Lenau ihn im Septem- ber 1834 in dem steirischen Dorfe Neuberg besuchte, der Dichter bitter über die noch immer blutende Wunde klagte : die Erinnerung an diese herbe Geschichte mische Wehmut in alle Freuden, und höchst furchtbar seien die noch stets nagenden Zweifel. Zu den schwäbischen Freunden sprach er nicht nur offen in Briefen von seinem kranken, unheilbaren Herzen (74) in dem etwas gerissen, zerschnitten sei, das nie wieder ganz werden könne (75), sondern er machte wenigstens einem von 152 DER UNHEILBARE RISS. ihnen auch vertraute Mitteilungen über seine unglückliche Liebe, wie deutlich aus einem unveröffentlichten Briefe Kerners an Mayer vom 7. Januar 1832 (!) hervorgeht : « Wass soll er (Lenau) denn aber heuraten? und heuraten, da er allem Anscheine nach noch an wunder irgend einer unglücklichen Liebe schmachtet. » Neben Kleyle ward auch der Jugendfreund Klemm Vertrauter seines Herzensgeheimnisses. Lenau schreibt ihm am 47. Februar 1832 : « Mein Innerstes ist durch eine fatale Geschichte, die Du wohl kennst, tief verletzt, und scheint mir darin eine Senne zerrissen zu sein, die wohl nimmermehr ganz wird. Der Dichter Stoll sagt : « Zweimal ist kein Traum zu träumen, noch Zerbrochnes ganz zu leimen » (87). Wir wissen, dass Lenau Max Löwenthal Eröffnungen über Berta machte, auch Sophie Löwenthal ward von ihm im Sommer 1837 eingeweiht. In einem Briefe vom 10. Mai 1838 an sie drückt er seine Rührung über einen Traum Sophies aus, der ihm ein Zeichen ist, wie sie mit zärtlicher Teilnahme in seine traurige Vergangenheit zurückgreift und auch dort mildern und ver- söhnen möchte. « Schon als ich dir im vorigen Sommer zu Penzing zuerst das unglückliche Geheimnis meiner Jugend anvertraute, wurde ich überrascht und gerührt von der schonen- den und höchst zarten Weise, wie du es aufgenommen. Dieser Traum zeigt mir, wie die bittre und verdüsternde Erfahrung meiner unbewachten Jugend in deiner Seele fortwirkt und den Wunsch in dir zurückgelassen, den alten Riss in meinem Leben zu heilen » (449). Dass der Riss noch nicht geheilt, bestätigt ein Satz des folgenden Reisebriefes vom 25. Mai desselben Jahres : « Sie kennen mein Leben in seiner traurigen, mir jede Zukunft verdüsternden Vergangenheit » (614). Schurz (I, 75) weist noch auf den Bericht eines « Augen- und Ohrenzeugen bei Lenaus Brautlauf im Anfange August 1844 » hin. Er meint wohl die Erzählung eines Ungenannten im Pester Lloyd, der mitteilt, (4) Original im Mayerschen Nachlass auf der Kgl. Landesbibliothek in Stuttgart. PB DER UNHEILBARE RISS. 153 wie Lenau einmal im Kleyleschen Familienkreise den Ausspruch tat : Des Lebens Traum ist einmal nur zu träumen, Zerbroch'nes niemals wieder ganz zu leimen! Durch eine Fälschung des Wortlautes (1) weiss Schurz (Hl, 184 f.) diesen Bericht wirkungsvoll anzubringen und in die Zeit der Verlobung mit Marie Behrends zu versetzen. Den richtigen Weg zur Erklärung der unauslöschlichen Wir- kung des Erlebnisses mit Berta hat Grün gewiesen, wenn er, allerdings beherrscht von der Schurzeschen Auffassung Bertas, schreibt : « Es war der allerbitterste Kelch, der dieser zart- besaiteten Seele auf ihren ersten Lebenswegen geboten werden konnte, dass ihr dort, wo sie des Höchsten und Heiligsten sicher schien, als innerster Kern einer blendenden Hülle das Gewöhnliche und Gemeine entgegentrat » (S. 24). Diesen Weg ist unter den modernen Lenauforschern nur einer, L. Greiner, gegangen, der, wenn auch die landläufige Beurteilung Bertas teilend, in dem Erlebnis die « Erschütterung eines erotischen Ideals » erblickt, den « ersten, fürs Leben fortwirkenden Bruch in jener Harmonie zwischen Mann und Weib, die zum Segen beider die Forderungen natürlich bestimmt, die eins ans andere zu stellen berechtigt ist » (S. 39). Ein wichtiger Bestandteil des « überlebensgrossen » Bildes vom Verhältnis zum Weibe, das der junge Lenau im Hirne trug, noch ehe er es in der Wirklichkeit gesehen hatte, ist, wie ein trotz seiner Jugend- lichkeit sehr verständiger Beurteiler (?) bemerkt, das sittlich- religiöse Moment. Schon in Berta verehrt Lenau das « Wahre, Gute und Schöne ». Der Nimbus, mit dem er das Weib als (1) Es heisst im Pester Lloyd (4850, Nr 263) : « Es war mehrere Jahre vor jener Zeit, wo Nikolaus Lenau seinen Brautlauf hielt, der so tragisch enden sollte, als ich... » Daraus macht Schurz : « Es war vor mehreren Jahren zu jener Zeit, wo...» (@ L. W. VIELHABER, Der junge Lenau als Mensch und Dichter. Inauguraldisser- tation der Universität Greifswald, 1907, S. 48 £. 15% DER UNHEILBARE RISS. etwas Göttliches umgibt, tritt auch zutage in seinem Verhältnis zu Lotte Gmelin, erreicht seine höchste und vollste Entfaltung in der Liebe zu Sophie Löwenthal, einen letzten Abglanz in der zu Marie Behrends. Die herben Klagen über den Verlust der Unschuld legen die Vermutung nahe, dass Niembsch sich zu dem Gefühle verstieg, er könne nie mehr als ein Ebenbürtiger ein reines Weib voll Liebe und Treue als Braut umschlingen. Zu der furehtbaren Erschütterung seines hohen Liebesideals, das wir ja genugsam aus Selbstzeugnissen belegt haben, gesellten sich sicher, wie schon das Sonett Palliativ andeutet, Vorwürfe über sich selbst. Ohne Berechtigung waren sie nicht. Verheerend konnte das Reuegefühl infolge seiner reizbaren und erhitzten Phantasie sein Gemüt durchziehen. Dass er mit bangem Schauer an die Zukunft des Kindes gedacht hat, beweist seine Dichtung. Musste es ihn nicht ebenso um die Zukunft der Mutter bangen? Trug er keine Schuld daran, wenn sie auf die Bahn des Lasters geriet? Wenn ausserdem die Zweifel an Berta sechs Jahre nach der Trennung noch so furchtbar in ihm nagten, wie entsetzlich müssen sie in ihrer frischen Wirkung gewesen sein? Wie auf- reizend musste stets diese argwöhnische Ungewissheit wirken? In seiner « erregten Phantasie » fand sein « Feind einen uner- schöpften Vorrat von Dolchen und Pfeilen », wie er selbst gesteht (34). Gar nicht hervorgehoben wird in den bisherigen Erklärungs- versuchen das Ungestüm jugendlicher Leidenschaft, das in dieser Verbindung innig mit der tiefsten Herzensneigung vereint war, besonders die schon erwähnte Tatsache, dass Lenau nie wieder in seinem Leben vollwertigen Ersatz für die Vollständigkeit des Liebesglückes, das Berta ihm drei Jahre lang schenkte, erlangt hat. Lotte Gmelin gab ihm eine flüchtige Hoffnung, Sophie Löwenthal... ihre schöne Seele und die Aussicht auf ein Glück « jenseits des Grabes », wie sie selbst sagt (!). Als nach (1) Lenau und Löwenthal, S. 330. DER UNHEILBARE RISS. 155 sechszehn Jahren aufreibenden Schmachtens, wie wieder Sophie selbst gesteht (*), ein gleiches, volles Glück ihm in Marie Behrends winkte, brach die Nacht des Wahnsinns über ihn herein. Gekränkter Stolz, verletzte Eitelkeit sogar mögen ihren Anteil an dem Schmerze gehabt haben, der Hauptgrund bleibt, dass Lenau sich sein Leben lang in der Sehnsucht nach dem vollen Glück der Liebe, nach Weib und Kind, verzehrte. « Ich könnte auch Kinder haben », äusserte er einmal, « aber die, die ich geliebt, hab ich nicht heiraten können » (?). Aus unserer bisherigen Darstellung geht zur Genüge hervor, dass wir die sehr verbreitete Meinung, das Erlebnis mit Berta sei der Ausgangspunkt von Lenaus Weltschmerz, nicht teilen. Die bittere Enttäuschung fiel auf den fruchtbaren Boden ange- borener, durch die Lebensumstände grossgezogener Melan- cholie, die sich übrigens in der Dichtung schon vor der Krisis äusserte. Noch weniger können wir uns mit der neueren Auffassung befreunden, welche die Berta-Episode als eine « ganz typische Entwickelungskrise » bezeichnet, die Lenau glücklich überstanden, « wenn nicht die Eitelkeit die Narbe immer von neuem aufgerissen, die Wunde immer von neuem vertieft hätte » (?). Diese Auffassung geht auf Röttinger zurück, der in dieser ganz aussergewöhnlichen, furchtbaren Enttäuschung des Lie- benden nur « das lästige Bewusstsein » sieht, « in jungen Jahren von einer sehr minderwertigen Frauensperson betrogen wor- den zu sein ». Die Erinnerung an Berta, meint Röttinger ferner, diente Lenau dazu, im Kreise bewundernder Frauen mit vieldeutiger Geste auf sein blutendes Herz zu weisen. Mit Geschick und Vorliebe habe der « interessante » Mann Pose gestanden. « So wurde er in seiner Umgebung », erörtert Castle weiter, « ein interessanter Mann und, da er das um jeden Preis (1) Lenau und Löwenthal, S. 328. (2) E. NIENDORF, S. 128. (&) CASTLE, N. Lenau, S. 33. 156 DER UNHEILBARE RISS. bleiben wollte, hielt er an seiner Pose fest, bis es ihm endlich mit Weltschmerz und innerer Zerrissenheit heiliger Ernst war » (S. 33). Ganz schliesst sich Reynaud (S. 98) dieser Meinung an, mit dem Zusatz, Ienau habe so gehandelt aus Nachahmungstrieb,... um als deutscher Byron zu gelten. « Il ne faut pas, sans doute, prendre ä la lettre les allusions fre- quentes qu’il fait ä cette liaison dans ses lettres et ses po&mes, car le plus souvent c’est par pose, par un vain souci de ressem- blance de pres ou de loin ä un heros byronien, fatal, miserable, mysterieux, avec quelque chose de monstrueux dans son passe, qu'il agit ainsi. » Noch ausdrucksvoller lautet eine spätere Stelle. « L’infidelit de Berta n’etait pas un sujet in&puisable d’inspi- ration, pas plus qu’un motif de deuil &ternel. Lenau l’eüt assez vite oubliee, si la mode litteraire ne l’avait oblige a conserver son attitude de heros byronien au passe terrible. II va done jouer au Lara dans la poesie comme dans la vie. ... Que serait un poete sans mystere, sans fantömes qui troublent son som- j meil? Il faut bien que la poesie vive, et, si elle a besoin de P vieux restes de douleur pour s’en repaitre, on les lui conservera pieusement. Que dis-je, on les assaisonnera de quelques remords, puisque la faute obseure, irreparable, fait partie du bagage d’un veritable heros A la Byron » (S. 269, 271) (t). Am 7. Oktober 1858 schrieb Sophie Löwenthal ihrem Gatten: « Was deine Bemerkungen über den Schwestermann betrifft, so bin ich ganz deiner Meinung. Den armen Niembsch verfolgt das Unglück bis über das Grab hinaus, denn ein solcher Bio- graph, dem es gelungen ist, über ein solches Leben den Schein der Lächerlichkeit zu werfen, ist ein seltenes Unglück » (?). Trifft dieser Vorwurf nicht eher die neuesten Biographen als ° den Schwestermann, der Lenaus Schmerz um Berta einen « keineswegs geheuchelten, sondern wirklich gefühlten und (1) Angeregt wird Reynaud zu diesem allerdings sehr interessanten Erguss durch ein Bekenntnis des Dichters : — « On demandait un aveu, le voilä» — im Gedichte Das dürre Blatt, das sich nicht auf Berta, sondern auf Sophie Löwenthal bezieht. (*) Ungedruckter Brief im Nachlasse Sophies. DER UNHEILBARE RISS. 157 darum auch uns so ergreifenden » (I, 75) nennt? Zunächst ist es ganz unbegründet, dass Lenau die ihm von Berta geschlagene Wunde überall zur Schau getragen. Nur zu seinen vertrau- testen Freunden : Kleyle, Schurz, Klemm, Kerner, Max Löwen- thal hat er sich darüber geäussert, und von den vielen Frauen, bei denen er sich dadurch hat interessant machen wollen, bleibt nur eine, seine vertrauteste Freundin Sophie Löwenthal, von der es bezeugt ist, dass Lenau ihr ein diesbezügliches Geständ- nis abgelegt. Viele Wunden hat das Schieksal dem Dichter geschlagen, die Liebe zu Sophie war auch eine, die unablässig zwölf Jahre lang geblutet. Selbst wenn man sämtliche Schmerz- ausbrüche Lenaus zusammenstellt und auf Berta bezieht, hat man noch kein Anrecht von einem Gebärdespiel zu reden. Noch viel weniger kann bei Lenau die Rede von irgend einem geheim- nisvollen, grässlichen Verbrechen in der Vergangenheit sein, auf das anzuspielen er sich gefiel. Keine Spur findet sich bei ihm, dass er ein « fanfaron de ses vices » gewesen wäre, dass er « umgekehrter Heuchelei » gehuldigt. Aus der Beschuldigung der Wichtigmacherei zog Reynaud die sich leicht ergebende Schlussfolgerung, Lenau habe für den deutschen Byron gelten wollen und sich diesen in Leben und Dichtung zum Muster genommen. Sein ganzes Buch ist von diesem Gedanken beherrscht, und was muss da nicht alles herhalten, um diesen Leitsatz zu stützen, sogar die schöne, zierliche Perlenschrift Lenaus, die als Beweis gelten soll, dass der ernste Mann ein Zierbengel nach Byronschem Muster gewe- sen. Die Beschuldigung, Nachahmer Byrons zu sein, haben sich ja fast alle Dichter des neunzehnten Jahrhunderts gefallen lassen müssen, und Lenau hätte, wenn sie zu seinen Lebzeiten erhoben worden wäre, mit A. de Musset darauf antworten können : On m’a dit l’an passe que j'imitais Byron. Vous qui me connaissez, vous savez bien que non. Je hais comme la mort l’etat de plagiaire; Mon verre n’est pas grand, mais je bois dans mon verre. 158 DER UNHEILBARE RISS. In Deutschland ist das Schlagwort Byronismus namentlich für Heine und Platen geprägt worden. Wie heute niemand mehr daran denkt, diese mit solchem Ehrentitel zu behaften, so wäre es auch endlich an der Zeit, bezüglich Lenaus mit demselben aufzuräumen. Ganz unabhängig ist der Dichter, vor allem der Lyriker, von Byron, — was wir in der Folge eingehend begründen werden — sehr verschieden sein Wesen von dem Byrons, turmhoch häufen sich die Gegensätze, während das Gemeinsame nur in nebensächlichen Zügen und in dem ganz Allgemeinen des Weltschmerzes besteht, der in seinem innersten Wesen bei beiden wieder ganz anders erscheint. Völlig aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, Lenau habe sich auch im äusseren leben Byron zum Muster genommen, um bei jeder Gelegenheit Aufsehen erregend zu erscheinen. Man lese Reynauds Schilderung (S. 177 ff.) von Lenaus erstem Auftreten in Stutt- gart, ein Musterstück der Parodie. Sein Verhältnis zu Byron, soweit es sich sicher durch Zeugnisse feststellen lässt, beschränkt sich auf ein paar ganz flüchtige Erwähnungen im Briefwechsel und in den Gesprächen mit Max Löwenthal. Lenau hatte es fürwahr nicht nötig, die ihm von Berta geschlagene Wunde als Keim seiner Dichtung sorgfältig zu pflegen, damit sie schöne Blumen der Verzweiflung treibe. Quellen zu seiner dunklen Poesie eröffneten sich ihm in der Folge in reichlicher Fülle, namentlich Quellen seiner melancholischen Liebeslyrik, für welche Sophie Löwenthal vollauf sorgte. Eigentlich ist mit dem Jahre 4830 die Bertaepisode für Lenaus Poesie abgeschlos- sen. Hätte er auch stets darnach gegeizt, Aufsehen zu erregen, so standen ihm dafür andere und bessere Mittel zur Verfügung als die Rolle des unglücklichen, betrogenen Liebhabers, die er doch mindestens nicht aus... Eitelkeit gespielt hat. Auch ist gar nicht die Frage, wie diese Bertageschichte auf einen gesunden, kräftigen, normalen Durchschnittismenschen gewirkt hätte, sondern wie sie auf den zarten, weichen, reizba- ren, gemütvollen, zweilelsüchtigen Ausnahmemenschen Lenau gewirkt hat. Jedoch diese Schwermut im allgemeinen soll ja DER UNHEILBARE RISS. 159 auch nur « Pose » gewesen sein, bis es Lenau später — dies muss man allerdings zugeben — bitterer Ernst damit wurde! Der Komödiant verstrickte sich in sein eigenes Spiel (!). Von schwermütiger Veranlagung soll ja nichts bei ihm zu entdecken sein — das unheilvolle Gestirn, das schon über seiner Geburt stand, der unglückselige Geist der Familie, die wüste Kindheit, die verfehlte Erziehung, die bittere Not, das irregeleitete, zu nichts führende Studium, die quälenden religiösen Zweifel, die Erschütterung der Jugendideale, was konnten diese alltäglichen Dinge soviel Unheil anstiften ! Gewiss, geht man: von der jetzt in der Lenauforschung herrschenden Voraussetzung aus, dass Niembsch — wie eine « gründliche, exakt- wissenschaftliche Untersuchung » festge- stellt, meint Rahmer (S. 23) — ein kerngesunder, frisch- fröhlicher Bursche gewesen, an dem die physischen und mora- lischen Gebrechen der Eltern spurlos vorübergegangen, so bleibt es ein Rätsel, wie diese « typische Studentenliebschaft » so schwer wiegen konnte. (1) Reynaud (S. 181 £.) erklärt Lenaus Irrsinn durch sein Komödiantentum. « Byron n’6tait pas mort fou. On ne lui (Lenau) en demandait pas tant! ». xXVıuI Objektive Dichtung. Zweites Halbjahr 1830, erstes Halbjahr 1831. Abschied von Galizien. — Wanderung im Gebirge. — Einem Freunde ins Stamm- buch. — Der Schifferknecht. — Begräbnis einer alten Bettlerin. — Der Lenz. — Der Gefangene. — Die Heideschenke. — Himmelstrauer. Der Übergang von der vorwiegend subjektiven zur vor- herrschend objektiven Jugendlyrik erfolgte in der Zeit, wo Lenau sich seiner dichterischen Begabung voll’ bewusst ward und auf den Gedanken kam, als Dichter in die Öffentlichkeit zu treten, sein Leben der Dichtkunst zu widmen. Aussere Lebens- umslände trugen viel dazu bei, den Übergang zu vermitteln. Sehr wohltuend, zerstreuend und erheiternd wirkte auf Lenau das Zusammenleben mit dem lebenslustigen Polen Boloz von Antoniewiez, das vom Tode der Mutter bis zum 30. Juli 1830 dauerte. Den Mitteilungen von Boloz an Schurz (l, 94 ff.) über diese Zeit kann ich weitere von Lenau selbst hinzu- fügen, die er am 21. April 1838 seinem Freunde Löwen- thal (*) machte. Niembsch schrieb mehrere Szenen für das Trauerspiel Der Corsar, an dem sein Freund eben arbeitete, und löste ein seit langem gegebenes Versprechen, indem er ihm bei langsamem Hinaufsteigen der Treppe ein Matrosenlied dichtete. Das Wichtigste in dem Berichte von Boloz ist, dass er Lenau oft beim Spielen wehmütiger Melodien auf der Gitarre (4) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 81. OBJEKTIVE DICHTUNG, 161 antraf, wozu ein Text sich sogleich in gereimten oder unge- reimten Versen fand. Sichtlich prahit jedoch der Pole, wenn er versichert, manche dieser vom Dichter unbeachteten poe- tischen Ergüsse aufgeschrieben und somit manches schöne Gedicht, das aus diesen improvisierten wehmütigen Texten entstanden, der Vergessenheit entrissen zu haben. Lenau verdankt Boloz ein neues Motiv seiner Dichtung. Ein Gedicht des polnischen Freundes Abschied von Gali- ziem (475) leitet in Lenaus Übersetzung die Gruppe seiner Polenlieder ein. Da Lenau kein Polnisch verstand, so übertrug er das Gedicht nach einer wortgetreuen deutschen Übersetzung in Prosa (t). Es ist die einzige Übersetzung, die Lenau ver- fasste. Das Übertragen bezeichnete er später als eine « gar tötliche Übung für den Dichter » (*). Wir haben es hier übrigens eher mit einer Bearbeitung zu tun, die dem Dichter erlaubte, persönliche Motive hineinzuflechten wie die uns bekannte Klage : Nun säuselt Wehmut mir aus euren Zweigen, Die Tage meiner Jugend sind dahin! (Vs 4 f.) Auch das Motiv der Werbung kehrt wieder : Schmach, Jüngling, dir! hält dich der Glanz von Tränen Zurück vom ewig hellen Waffenglanz ! (Vs 95 £.) In den gebildeten Kreisen Wiens, meldet Frankl, rief der Aufstand Polens im Jahre 1830, eine starke teilnahmvolle Bewegung hervor. Wenn auch niemand es wagte, öffentlich seine Anteilnahme kundzugeben — denn die Polizei horchte (!) L. A. Frankt, Erinnerungen, hrsg. von STEFAN Hock. (Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen, 29. Band). Prag, Calve, 1910, S. 92. Vgl. ferner S. 90 £. (2) FRANKL, Zur Biographie Lenaus, $. 62. 11 ee es ae ae 162 OBJEKTIVE DICHTUNG. überall umher — wenn auch die grosse Masse der Wiener ohne Kenntnis der Vorgänge blieb, da die amtliche Presse sich in Stillschweigen hüllte, so empfing doch die gebildete Gesell- schaft Nachricht durch die Augsburger Allgemeine Zeitung und begeisterte sich — besonders die Frauen — für die Polen. In mancher Familie lag eine Karte auf, auf der man den Schauplatz der Revolution betrachtete. Zur Kenntnis der Polizei gelangt, meint Frankl, würde ein solches Gedicht Lenau in einen der unterirdischen, nassen Kerker des Spielbergs in Brünn gebracht „haben, aus denen nur wenige Jahre vorher Silvio Pellico krank und elend entlassen worden war. Boloz von Antoniewiez (1804-1855), den Frankl als einen vielbegabten jungen Mann, geistvollen Redner und Schriftsteller schildert, verliess Wien, um für die Freiheit Polens zu kämpfen, musste wegen seiner Teilnahme an der Revolution flüchten, irrte wie Lenaus Polen- flüchtling längere Zeit in der Fremde umher und starb nach mannigfachen Schicksalen als Priester der Gesellschaft Jesu. i Einige Aufmunterung brachte Lenau der von Sehurz (1,98 ff.) beschriebene, in seiner und Klemms Gesellschaft im Monate Mai unternommene dritte Gebirgsausflug, wiederum nach Guten- stein, noch grössere Erholung und Erfrischung die zweite Reise dieses Jahres im Monate August nach Gmunden, wo Lenau in innigem Verkehr mit dem Dichter Schleifer lebte. Vor der letzten medizinischen Prüfung, die Ende Juli zu bestehen war, erzeugte das fieberhafte Studieren eine solche Erschöpfung, dass ein Aufschub notwendig erschien. « Drei selige Wochen », wie Schurz später an K. Mayer schreibt (*), brachten sie bei Schleifer, der kürzlich als Kaiserlicher Salinenherrschaftspfleger nach Gmunden versetzt worden war, zu, das herrliche Salzkam- imergut durchstreifend. Die poetische Frucht dieses Aufenthaltes waren die zehn Gedichte des Zyklus Wanderung im Gebirge (9). Schurz (I, 102) berichtet es, und bestätigt wird (4) K. MAyER, 8. 99. OBJEKTIVE DICHTUNG. 163 seine Behauptung durch die Handschrift, die folgende Schluss- bemerkung Lenaus bringt : « Gediehtet während meines mir unvergesslichen Aufenthaltes bei meinem Freunde Schleifer und ihm zur Erinnerung geschrieben, den 27. August 1830. Niembsch ». Unschwer ist die Landschaft in den Gedichten zu erkennen. Der aus dunkler Felsenpforte stürzende Quell (Ein- samkeit, Vs 5) ist wahrscheinlich der Waldbachstrub bei Hall- stadt, der trotzig in die Tiefe schauende Bergesgipfel (Die Ferne, Vs 1) der Traunstein. Trotzdem ist der Zyklus stark romantisch gefärbt ; der romantischste Zug ist derden Dichter segnende Greis in den Versen Der Schlaf’: Ein Greis trat lächelnd mir entgegen, Bot mir die Hand gedankenvoll, Und hob sie dann empor zum Segen, Der sanft vom Himmel niederquoll. Die Wanderungen in der schönen Natur, das Zusammensein mit lieben, freundlichen Menschen, die Teilnahme an einem glücklichen Familienleben, sogar eine sich anbahnende Liebes- idylie liessen Lenau nach langer Zeit wieder einmal frei und frisch aufatmen, führten ihn zurück zur Lebensfreude und sogar zum Gottesglauben. Das Bächlein flüstert unter Blumen wie das Gebet von einem Kind. Der Eichwald rauscht geheimnisvoll, als möchte er dem Dichter entdecken : Was Gottes Liebe sinnt und will. (Der Eichwald, Vs 10.) In die schauerliche Felsenkluft soll der Atheist treten, um Gott zu erkennen : Komm, Gottesleugner, Gott zu fühlen ; Dein Frevel wird auf diesem Rand Den Todesabgrund tiefer wühlen, Dir steiler türmen diese Wand! (Einsamkeit, Vs 13-16.) 164 OBJEKTIVE DICHTUNG. Der Einfluss des sehr frommgläubigen Schleifer ist hier zu verspüren, dem vielleicht Lenau auch etwas zuliebe getan hat. Merkwürdig nähert sich der Dichter hier schon der schwäbischen Art der Poesie, besonders der Mayers. Es mag sein, dass die Mayerschen Naturidylichen, wovon er Proben in zeitgenössischen Musenalmanachen lesen konnte (1), ihm bei Vierzeilern wie Erinnerung, Die Lerche vorgeschwebt haben. Zu Tränen rührten Scheifer die allerdings sehr schönen Verse : Süss träumt es sich in einer Scheune, Wenn drauf der Regen leise klopft; So mag sich’s ruhn im Totenschreine, Auf den die Freundeszähre tropft. (Der Schlaf, Vs 46-20.) Mit dem Besuche bei Schleifer hängt auch das Gedicht Einem Freunde ins Stammbuch (117) zusammen. Es spielt an auf Schleifers Poetische Versuche, die im Jahre 1830 bei Gerold | in Wien erschienen. Ein Gedicht dieser Sammlung Zuversicht widmet Schleifer Lenau ; es predigt den Glauben an Gott und an ein ewiges Leben. Lenau muss Schleifer, vielleicht schon bei der ersten Begegnung im August 1828, sein von Zweifelsucht und Trübseherei gepeinigtes Herz aufgetan haben, da Schleifer ihm zuruft : So find ihn (d. h. Gott) auch, o Freund! in deinem Herzen! Die Brust hier blutet tief, dies Auge weint; Doch der da weint, der blutet, ist — dein Feind! (2) Einen vom erhabensten Idealismus erfüllten Brief liess Schleifer überdies am 13. November 1830 Lenau zukommen, (4) Er macht Schurz auf diese Gedichte aufmerksam im Briefe vom 8. Novem- ber 41831. (@) M. L. ScHLEIFER, Poetische Versuche, S. 489. OBJEKTIVE DICHTUNG. 165 worin er ihn beschwört, nicht ausschliesslich der Dichtkunst zu leben, sondern nebenbei den praktischen Beruf eines Arztes zu ergreifen, um der notleidenden Menschheit zu helfen ('). Der Mann, der so ergreifend zu Lenau von dem « Göttergefühle des Bewusstseins der (guten) Tat » spricht, ist derselbe, der rüstig die Alpenpfade der Edlen fortwandelt (Vs 1). Den Klop- stockschen Ausdruck die Edlen übernimmt Lenau unmittelbar von Schleifer, der ihn auch in seinem Gedichte an Lenau gebraucht (Vs 22, S. 186). Die Verse : Aber du wandle hinan getrost, un« wäre dein Leben Auch nur Feier des Tods schöner verblichener Zeit (Vs 9 £.) spielen auf Schleifers Glaubensseligkeit an. Die späte, so deut- liche Nachahmung Klopstocks in Lenaus Gedicht ist eine Einstimmung ‘in Schleifers Tonart und nur diesem äusseren Umstande zuzuschreiben. Während seines Aufenthaltes bei Schleifer in Gmunden machte Lenau die Bekanntschaft der Tochter des dortigen Schullehrers, Nanette Wolf. Das ihr gewidmete Lied An ‚meine Rose sowie den Verlauf des Verhältnisses überhaupt untersuchen wir im folgenden Abschnitt. Anfang September 1830 nach Wien zurückgekehrt, nahm Lenau Wohnung beim Schwager Schurz im Schwarzspanierhause, in dem Beethoven gestorben. Eifrig studierte er für seine letzte medizinische Prüfung. Da trat unerwartet am 26. September der Tod der Grossmutter ein, die ihm ein Vermögen von über 10.000 Gulden hinterliess. Nun glaubte er, der Sorgen um das tägliche Brot überhoben, das Studium an den Nagel hängen zu können, tröstete sich und seine Freunde allenfalls mit dem Gedanken einer noch immer möglichen Doktorprüfung in Würzburg oder Heidelberg und schlug alle wohlgemeinten Ratschläge, namentlich die, welche (4) ScHurz, 1, 107. 166 OBJEKTIVE DICHTUNG. ihm Schleifer in einem herrlichen Briefe (?) zukommen liess, sowie die späteren Braun von Braunthals (?) in den Wind. Das romantische Ideal des auf der Höhe der Menschheit wandelnden, nur seiner Kunst lebenden, jeder knechtischen Berufsarbeit über- hobenen Dichters lockte und siegte. Lenaus nächste Sorge galt nun ausschliesslich seinem Auf- treten als Dichter in der Öffentlichkeit. Da eine Herausgabe seiner Gedichte in Österreich unmöglich war, sah er sich nach einem Verleger in Deutschland um. Er wendet sich, wie bereits erwähnt, am 47. Februar 1831 an Braun von Braunthal, schiekt ihm das Gedicht Die Zweifler und drückt den Wunsch aus, seine Sammlung, die er das « Um und Auf seines Lebens » nennt, unter einem Decknamen herauszugeben. Braun von Braunthal antwortet sofort, er habe schon mit zwei Berliner Verlegern Rücksprache genommen, rät aber eher zu Cotta in Stuttgart. « Dann habe ich auch Herrn von Cotta im Auge Deinetwegen nämlich; nur muss man, glaub ich, um von ihm gedruckt zu werden, einige Zeit vorher der schwäbischen Schule ein wenig den Hof machen » (?). Dieser auf das Beispiel von Anastasius Grün fussende Rat, der im Jahre 1829 mit den Schwaben brieflich angeknüpft, und wenn auch nicht bei Cotta, so doch bei Franckh in Stuttgart, den Verleger für seine erste Gedichtsammlung gefunden, bestiminte Lenaus Annäherung an die schwäbische Schule und seine Reise nach Schwaben. Infolge der Befreiung von der drückenden Last des Brotstu- diums und von der heftigen Liebesqual lenkt Lenaus ganzer Sinn sich auf seine Diehterlaufbahn. Sein Liebesleben stockt, Gefühlsstoffe gehen ihm aus. Eigenes Leid beklemmt ihn nicht mehr so stark, dass er unempfindlich bleibt für das der anderen, für menschliches Elend im allgemeinen. Er sucht nach objek- tiven Stoffen aus der Aussenwelt, um seiner Gedichtsammlung Bereicherung und Abwechselung zuzuführen. Wahrscheinlich (4) Bei Schurz, I, 107. (2) Brief vom A. März 4831 in Der Wanderer, 1866, Nr 329. (8) Der Wanderer, 1866. Nr 329. OBJEKTIVE DICHTUNG. 167 weckte die Julirevolution seinen politischen Sinn, der ihm bis dahin, wie die Phantasie Glauben, Wissen, Handeln beweist, abging. Aus dieser Revolution schöpfte A. Grün den Mut zu seinen Spaziergängen eines Wiener Poeten (1831). Sie bewegte mächtig die Gemüter in Wien, auch die belgische blieb nicht unbeachtet. Unter den zeitgenössischen Zeugnissen hebe ich nur die von Grillparzer und Bauernfeld in ihren Tagebüchern her- vor (!). Schurz (I, 71) bezeugt ausdrücklich, dass die Welthän- del ihn selbst, Schleifer und Lenau während des Aufenthaltes in Gmunden oft beschäftigten. Die Politik beherrschte seitdem die Salongespräche in Wien. Unter den Parias der Gesellschaft fing es auch dort an zu brodeln. Wie sich Lenaus Sinn für das Politische regt, bezeugt der Brief vom 17. Februar 1831 an Braun von Braunthal, wo er zum ersten Male bitter der Knechtschaft seines Vaterlandes gedenkt und bedauert, dass das herrliche Land mit seinen ragenden Alpen, stürzenden Bergströmen und donnernden laawinen keine Bewohner mehr besitzt, deren Seelen der Schön- heit und dem Hehren der Landschaft entsprechen ; ihr Herz ist geschwächt, entartet. Ein grosses Krankenhaus ist das Vater- land, dessen Wärterin die Zensur ist. Der Poesie stellt er die Aufgabe : kühn unter den wühlenden, polternden, schweisstrie- fenden Menschenhaufen zu treten und mit starker Stimme zu rufen : « Haltet ein! Wischt euch die Stirne ab, ich werd euch ein Lied singen, das euch erquicken soll und laben ! » (ss). Voll des lebhaftesten politischen Interesses ist der Brief an Schleifer vom 11. März. Eingehend begründet Lenau das « elende Prin- zip der Nichtintervention », wie Österreich es eben gegen Italien anwenden will. Die politische Auseinandersetzung ist jedoch besonders im Hinblick auf die polnische Revolution geschrieben, deren Heldentaten ihn begeistern (59). (!) GRILLPARZER, Tagebuchblätter vom 7. August 1830. Werke XVI, 78. — BAUERN- FELD, Tagebücher 9. April, August, September 1830. (Jahrbuch der Grillparzer Gesellschaft, V, 50 ff.) 168 OBJEKTIVE DICHTUNG. In der sozialen Welt beginnt er denselben Missklang wie im politischen Leben zu fühlen. Sein soziales Mitgefühl hatte der Dichter bereits in seiner Jugend in den Versen Bettlers Klage bekundet, später in Robert und der Invalide. Von seiner Her- zensgüte erzählt Boloz einen hübschen Zug, wie er einem armen Fliekschneider aufzuhelfen versuchte (!). Nicht mehr in sich selbst versunken, sondern sehenden Auges geht er seit der Rückkehr aus Gmunden in Wien umher. Er schildert Nanette Wolf die Kaiserstadt als eine vielbewegte, « wo tausend und abertausend Kräfte im ewigen Kampfe liegen, wo alle Abstufun- gen des menschlichen Loses vom höchsten Glück bis zum tief- sten Elende täglich vor meinen Blicken stehen » (57). Mitleid ergreift ihn mit dem armen Schifferknecht, dem Gefangenen, der Bettlerin. Aus den Erinnerungen seiner Kindheit tauchen nun,-in seiner Sucht nach objektiven Stoffen, die Gestalten anderer Geächteten der Gesellschaft auf : die Pferdehüter- und Händler, die Räuber, die Zigeuner der ungarischen Heide, für die das ungarische Volk die gemeinsame Bezeichnung : arme Teufel, szegeny legenyek, hat. An den diese Stoffe behandeln- den Gedichten arbeitet er zu Ende des Jahres 1830 und in der ersten Hälfte von 1831. Er fühlt, wie sehr seine bisher ganz subjektive, etwas einseitige und deshalb sehr eintönige Gedicht- sammlung der Bereicherung durch objektive Stoffe der Aussen- welt bedarf. Am 11. März schickt er Schleifer das Gedicht Der Schif- ferknecht (160). Zu den Niedrigsten, Bemitleidenswertesten der Gesellschaft gehört gewiss der heimat- und herdlose, vom harten Glück verstossene, arme Donau- Schifferknecht. In kalter Nacht, in brausendem Wind ruht er, gebrochen von harter Arbeit, am Ufer neben seinen müden Rossen. Nur die Donau ist ihm Freundin, sie murmelt ihrem Kind gewohnte Schlum- merlieder. Möge er sanft schlafen, der Arme, möge der Traum (4) ScHurz, 1, 95. OBJEKTIVE DICHTUNG. 169 ihm den Trost und die Labung geben, die die Wirklichkeit ihm versagt. Schön malt der Dichter den Traum aus, der dem Armen ein stilles, trautes Häuschen, eine schöne, junge Braut, die von der Weide heimkehrende Herde vorzaubern soll... Alles um sich her hat er vergessen. Er hört nicht den Pferdehuf, die Geissel des Schiffers, er sieht nicht, wie das Seil des Schiffes reisst und einem armen Kameraden das Wellengrab bereitet. Auch dies Gedicht las Lenau G. Schwab vor an dem denkwürdigen Abend der ersten Zusammenkunft. Schwab führt es in seiner Besprech- ung unter den « objektiveren Gedichten des sonst vorzugsweise Iyrischen Verfassers » an und rühmt, wie der Schifferknecht « so rührend » an den Ufern der Donau träumt (?). Unter den Bildern aus dem Leben der ersten Auflage von 1832 steht auch, nur durch «die Ballade Marie und Wilhelm vom Schifferknecht getrennt, das Begräbnis einer alten Bett- lerin (165). Wenn auch die Verse 11-12: Die Not nur blieb dır treu, solang Von dir noch was auf Er.en auf die eigene Mutter passen, so darf man das Gedicht doch nicht auf das Begräbnis der Mutter beziehen. Wahrscheinlich ist dies Bild aus dem Leben «des Proletariats aus eigener (1) KLürrer, S. 184. — Die letzte Strophe : Er siebt nicht, wie vom Strand hinab Den armen Kameraden Samt seinem Ross ins Wellengrab Fortreisst der arge Faden erklärt sich dadurch, das die damaligen Donauschiffe sämtlich elende, roh zusam- mengenagelte, kaum verpichte Flösse waren, denen die vielen Krümmungen und Klippen des Stromes, besonders die überall lauernden und sich ständig neu bildenden Sandbänke immerwährende Gefahr brachten. Noch im Jahre 1833 war der Gebrauch des Segels auf der Donan fast ganz unbekannt, alle Versuche mit Dampfbooten waren gescheitert. (W. Arexıs, Wiener Bilder, S. 29 ff.) 170 OBJEKTIVE DICHTUNG. Anschauung hervorgegangen. Schreibt der Dichter nicht an Nanette Wolf, dass in Wien Bilder des « tiefsten Elends täglich vor seinen Blicken stehen ». Nicht das Lebensbild ist die Hauptsache, sondern die Gefühlswelt, die es erregt, wie immer bei Lenau. Wie schnell vergessen doch die Menschen! Die alte Bettlerin, die man so schmählich begräbt, dass man ihr sogar ein verstümmeltes Christuskreuz, einen schlechtern Gott (Vs 19) auf den Sarg hettet, war einst jung und schön, umschwärmt von der Jugend des Dorfes. Wo sind ihre einstigen Verehrer ? Ist dem Dichter nicht bei diesem Bilde eine Vorahnung von dem zukünftigen Lose Bertas aufgestiegen, die am 21. März 1868 im Spitale starb, nichts hinterlassend als einen Verpflegungs- rückstand von zwei Gulden zehn Kreuzer? Eine ganz besondere Freude machte Lenau der frühzeitige Frühling des Jahres 1831, weil er in diesem Frühling ein Genesender war, nämlich von der Gelbsucht, die ıhn Ende Februar befallen. « Das Gefühl der Wiedergenesung », schreibt er an Schleifer », trifft bei mir glücklich zusammen mit dem frohen Gefühle des Wiedersehens der lieben Natur... Keiner versteht den Frühling so gut wie ein Genesender. Mein Herz ist voll freundlicher Empfindungen, seit mir die aura vernalis hineingeweht; alles Liebe darin ist wieder aufgefrischt, grüsse Dich Gott! Mein teurer Schleifer! Könnt ich den Frühling mit Dir geniessen! o der Frühling! wer sieht nieht in ihm seine Jugendträume wiederkommen und blühend und singend vor- überziehen? Und in dieser schönen Zeit, wo die Stimme der Liebe täglich lauter ruft und seliger überall in der Natur, gerade jetzt rüsten sich die Menschen zum Kriege... (59) ». Gleich jubelnd äussert er sich an demselben Tage, dem 41. März, zu Braun von Braunthal : « Nun bin ich ein Genesender, und zwar ein Genesender im Frühling! Ich mache nun täglich meinen Spaziergang ins Grüne; wir haben herrliches Wetter, die Bäume schlagen aus, die Vögel sind wieder da mit ihren Gesängen, und mein Herz ist voll süsser Freude, seit mir der Lenz hinein- geweht! » (60). OBJEKTIVE DICHTUNG. 171 Aus dieser ganz aussergewöhnlich fröhlichen Stimmung erwuchs das ebenso aussergewöhnlich freudige, leichte, anmu- tige, ja neckische Frühlingsgedicht Der Lenz (57), das köstlich all die Streiche erzählt, die der hübsche, übermütige Bursche Frühling dem alten Recken Winter und seiner Mutter, der Erde, spielt. Ein verwöhntes Kind ist der Frühling, der wie ehedem der kleine Niki sich alles erlauben darf. Die alte Verkörperung ist neu, in allerlei feinen und eigenartigen Zügen durchgeführt. Vielfachen Anstoss haben die Singraketen, d. h. die Lerchen, erregt, die der Frühling in die Luft schleudert. Man hat das Bild gesucht und geschmacklos gefunden. Sehr mit Unrecht. Es schliesst vorzüglich die Reihe von Lenaus originellen Bildern mit einer hübschen Steigerung ab. Der bestimmten Angabe Braun von Braunthals, Niembsch habe ihm dies Gedicht im Spätsommer 1829 vorgelesen (t), messe ich keinen Glauben bei. « Haben Sie bereits Gedichte veröffentlicht? », soll Braunthal Lenau gefragt haben. « Noch keines », war die Antwort. « Können und wollen Sie mir eines aus dem Gedächtnisse mitteilen ? » — « Das schon », entgegnete Niembsch leuchtenden Blickes und rezitierte sein reizendes Gedicht « Da kommt der Lenz, der holde Junge ». Zweifel erweckt schon die Unrichtigkeit der Angabe, Lenau habe bis 1829 noch kein Gedicht veröffentlicht. In dem schwarzen Jahre 1829 sind diese sonnigen Verse undenkbar. Unrichtig ist auch das Datum 1832, das Castle, wohl fussend auf den Erstdruck im Morgenblatte (11. Juni 1832), angibt (?). Gedruckt war das Gedicht schon vorher in den Aushängebogen der Gedichte 1832. Laut Lenaus Brief an Schurz vom 21. April 1832 lagen ihm an diesem Datum zehn Bogen gedruckt vor, unter den im Jahre 1832 neu hinzugekommenen Gedichten, die Lenau in diesem Briefe angibt, ist Der Lenz nicht erwähnt, (1) Aus den Memoiren von Braun von Braunthal. N. Lenau. (DER WANDERER, 1866, Nr 329.) (2) Im Inhaltsverzeichnis der Ausgabe Hesse, S. ı1. 172 OBJEKTIVE DICHTUNG. er findet sich in der ersten Ausgabe bereits auf dem achten Bogen (S. 126). Den Charakter eines Frühlingsgedichtes hat auch das beschrei- bende Terzinengedicht Der Gefangene (59) so sehr, dass Lenau es seit 1834 in die Abteilung Frühling einreihte. Die erste Anregung zur Behandlung des altmodischen Stoffes verdankt der Dichter dem Gmunder Aufenthalte. Schloss Ort erinnerte Schurz (l, 72) an Chillon im Genfersee « mit seinem so rührenden Gefangenen ». Er hatte um so mehr Grund dazu, als « Schleifer auch gern unseren Lenau mit dem gewaltigen Byron, des ‘ Gefangenen ’ Dichter, zu vergleichen pflegte ». Jedenfalls wurde damals Niembsch von Schurz und Schleifer auf den Stoff aufmerksam gemacht. « Unser Hauptgespräch war natürlich immer die Diehtkunst ; wir fanden desselben fast kein Ende », berichtet Schurz (I, 102). Am 21. Juli 1831 wohnte Lenau in Karlsruhe einer Auf- führung des Fidelio von Beethoven bei, und Beethovens Geist trieb ihn fort « wie ein Sturm auf den bewegten Wogen des Gesanges, vorbei an wilden, erhabenen Felsenklippen, an nächt- lichen Wäldern, an grausen Kerkeryewölben » (64). Die Szenerie des Fidelio, die Rolle Florestans, namentlich seine Worte im zweiten Akt: ' Wahrheit wagt ich kühn zu sagen Und die Ketten sind mein Lohn müssen Niembsch lebhaft an seinen Gefangenen erinnert haben, den er an demselben Tage G. Schwab schickte. Das Gedicht kann nicht, wie allgemein angenommen wird, unter dem unmit- telbaren Eindruck der Aufführung des Fidelio entstanden sein. Undenkbar ist eine so schnelle Ausarbeitung, die noch an demselben Abend fertig war, und Lenau hätte sich wohl gehütet, eine so rasch hingeworfene Arbeit als Probe seines Talentes, von der so viel abhing, an Schwab zu senden. Hätte die Aufführung ihn dichterisch befruchtet, so wäre es auch höchst befremdend, dass er dies nicht Schurz in dem ausführlichen, OBJEKTIVE DICHTUNG. 1183 begeisterungstrunkenen Berichte mitgeteilt, den er ihm über den Theaterabend schickte. Die Sendung an Schwab vom 21. Juli meldet Lenau am 22. Schurz. Er bat Schwab um Aufnahme des Gedichtes in das Morgenblatt, wo es auch bereits am 13. August erschien. Ehe Schwab das Gedicht gelesen, trat Lenau am 9. August bei ihm ein. Ein flüchtiger Einblick in die Verse während des Besuches überzeugte Schwab vollauf, dass er einen unerwarteten Diehterfund gemacht. Diese erste Begeisterung, gerade für dies Gedicht, scheint nicht angehalten zu haben, da der Rezensent dasselbe in seiner Besprechung der Lenauschen Gedichte kaum erwähnt. Begreiflicherweise, denn Lenau hatte viel Besseres in seiner Mappe als diese durch eine langatmige, ganz herkömm- liche Beschreibung des Frühlings eingeleitete antithetische Bemitleidung eines Gefangenen, die auch ganz allgemein und althergebracht gehalten ist und keinen eigenartigen, irgendwie hervorstechenden Zug aufweist. Uber diese Mängel hebt jedoch der vom Dichter bisher nicht erreichte Fluss und Schwung der Rede einigermassen hinweg. Ob es Mangel an Selbstkritik war, die Lenau dahinbrachte, den Gefangenen als Probe seines Talentes einzusenden? Ich glaube nicht. Ein grösseres Gedicht hatte Braun von Braun- thal geraten ins Rathaus der Berliner Verleger zu schicken. Ein grösseres, objeklives, erzählendes sandte Lenau mit Bedacht an, Schwab, wohlwissend, dass er damit seinen Geschmack und seine Richtung besser traf als mit kleinen subjektiven Gedichten. Zum ersten Male leistet er sich hier eine rein äusser- liche, aufzählende, breite Beschreibung, nach dem rythmischen Schema ababebedededefefgfghu.s. w., die min- destens seinen späteren Grundsätzen ganz entgegengesetzt war, die auch der Schilderung des Frühlings im vorigen Gedichte Der Lenz ganz widerspricht. Er wusste wohl, dass er mit dieser Beschreibungsart in Schwaben alles andere als Anstoss erregen würde, und wollte vielleicht eben sein Beschreibungstalent im alten Stile offenbaren. Das Thema war auf das Vaterland des u Zu a ee ae ; \ | } 174 OBJEKTIVE DICHTUNG. Gefangenen, des Dichters Schubart, zugeschnitten, die Marquis Posa- Haltung — und Gesinnung auf die Heimat Schillers. Das Thema des Gefangenen kehrt wieder im Romanzenkranz Klara Hebert, im Savonarola (San Marco) und in den Albigensern (Roger, Vicomte von Beziers). Diese ganze Gefangenendichtung führt Reynaud auf Byrons Prisoner of Chillon zurück. « Et le prisonnier de Chillon n’est-il pas responsable de tous ces captifs que Lenau se plait a nous montrer derriere les verrous de leurs cachots d’un bout A l’autre de son @uvre? » (S. 184.) Diese Bemerkung klingt so, als ob diese ganze Dichtung Lenaus Nachahmung Byrons wäre. Tatsächlich ist sie jedoch ganz verschieden, und keine irgendwie auffallende Übereinstimmung im Inhalte kann zwischen Byrons Prisoner und Lenaus Poesie dieser Art festgestellt werden; namentlich gilt dies für das Gedicht Der Gefangene. Dieser Umstand schliesst nicht aus, dass die Anregung von Byron kommen mag, auch nicht, dass Lenau sich ein paar Einzelheiten aus dem ihm zweifellos bekannten Prisoner zu nutze gemacht haben kann. Eine genaue Untersuchung ergab die beiden folgenden Anklänge : Ob Stunde, Mond und Jahr vorübertloh, Er konnte dessen haben keine Acht (Vs 60 £.) und : Mag dann mein Leichnam auf der Ker- [kerschwelle, 0 Herr, an deinem Lichte noch sich [sonnen! (Vs 79 £.) For years — I cannot count them o’er! I lost their long und heavy score (I, 18 £.) I begg’d them, as a boon, to lay His corse in dust whereon the day Might shine. (VII, 27 £.) Eine Anlehnung, die sich hierauf beschränkt, ist der beste Beweis, dass von Nachahmung, besonders bei durchaus abwei- chendem Inhalt, keine Rede sein kann. Wir erwähnten bereits, dass Lenau in seiner Sucht nach objektiven Stoffen, auch auf die Verstossenen und Geächteten OBJEKTIVE DICHTUNG. 115 seiner ungarischen Heimat trifft, die aus seinen Jugend- erinnerungen auftauchend in der Erzählung Die Heide- schenke (69) poetische Gestaltung finden. Über die Entstehung der berühmten Dichtung ist bisher nichts bekannt geworden. Reynaud (!) meint, sie sei gleichzeitig mit der Werbung. Die Verwandtschaft des Stoffes ist kein Grund, die viel vollendetere Ballade in dieselbe Zeit wie Die Werbung zu versetzen. Es gehörte eine längere Übung, namentlich in der Naturdichtung, dazu, um solche Heidebilder zu schaffen, solche mythische Verkörperung der Naturereignisse, um überhaupt der später von Lenau aufgestellten Theorie der Naturdichtung so nahe zu kommen. Es bedurfte einer langsam und schwer erworbenen Kunstfertigkeit überhaupt, um ein so echt nationales Volksge- mälde, eine so vielfarbige poetische Bilderreihe in den sich den Gegenständen innigst anschmiegenden Stilarten, eine so kunst- volle Tonmalerei und Satzfügung fertig zu bringen. Ein empfindlicher Mangel ist der der Einheitlichkeit. Am losen Faden der Erzählung werden die verschiedenartigsten Bilder aneinandergereiht. In einem Guss ist dies Nachtstück gewiss nicht geschrieben; öfters und zu verschiedenen Zeiten muss der Dichter daran gearbeitet haben. Die neun ersten Strophen mit der Schilderung des Gewitters auf der Heide und der sie belebenden Reiter und Pferdetreiber im Sturmeslauf bilden ein abgeschlossenes Gemälde für sich. Nun bietet sich dem Dichter eine herrliche poetische Idee, eine jener neuartigen Darstellungen der Naturereignisse, wie sie ihm schon in der Wanderung im Gebirge gelungen. Er kann der Versuchung nicht widerstehen, den ihm aufdämmernden Vergleich zwischen dem Toben des Gewitters und dem Dahinjagen der scheuen Rossesherde auszuführen. Da werden ihm die Wolken zu Rossen, ihr Hufschlag ist der Donner, ihr Weidgebiet der Himmelsraum, ihr Hirt ist der Sturm, dessen geschwungene (4) These auiliaire, Nr TT. A er 176 OBJEKTIVE DICHTUNG. Geissel der Blitz, der Schweiss der Rosse ist der Regen. Auf diesen naturbeseelenden Vergleich (Strophe 10 bis 12), der mit einer einleitenden Strophe versehen wieder eine Dichtung für sich bilden könnte, folgt in Strophe 13 und 14 eine dritte, das Gemälde der Ruhe nach dem Sturm. Der zweite Teil der Dichtung malt nun eine Wirtshausszene aus : singende, mit Dirnen tanzende Räuber, denen Zigeuner aufspielen. Zwei Strophen (15-16) dienen als Einleitung, die folgenden (17 bis 20) führen das Bild aus; eine Schlussstrophe könnte aus diesem Gemälde ein in sich abgeschlossenes Gedicht machen, das vierte der Gesamtreihe. Das fünfte zeiehnet ein Einzelbild, das sich vom Hintergrunde des Allgemeinen abhebt : abseits vom Lärm sitzt der Hauptmann, in schwere Gedanken versunken, sinnend seine schöne Tochter betrachtend (Strophe 21 bis 25). Strophe 26 bringt den Abschluss (es allgemeinen Gemäldes, die folgende (27) den des Einzelbildes. Hieran schliesst sich als sechstes Gedicht (Strophe 28) ein Naturbild, die nächtliche, vom Sternenhimmel überstrahlte Heide. Ein sie- bentes Bild, das die beiden folgenden Strophen entwerfen, zeich- net den in die Nacht hinaushorchenden, Gefahren witternden Hauptmann, ein achtes (Strophe 31-32), den zum Sternenhim- mel emporschauenden, reuigen, den Verlust der Unschuld beklagenden Räuber, ein uns bekanntes Motiv. Die neunte Szene, die vollendetste der prächtigen Reihe (Strophe 33-34), schildert die eilige Flucht der Räuber, veranlasst durch die Mahnung des Hauptmanns. Die zehnte Zeichnung (Strophe 35) gilt den mit dem Dichter sitzen gebliebenen, weiter spielenden Zigeunern. Hätte Lenau die Fülle von Stoffen und Bildern, die er hier zusammenschmelzt, einzeln ausgearbeitet — für eine dieser Schilderungen war dies gar nicht, für andere kaum nötig — so wäre eine Gruppe von Heidebildern entstanden, die an Mannig- faltigkeit und Bodenständigkeit die vom Dichter gebildete Abteilung Heidebilder weit übertroffen hätte. Sehr freute es Lenau, als er zu Ende des Jahres 1837 OBJEKTIVE DICHTUNG. 477 Grimms Mythologie lesend, die Entdeckung machte, dass die deutsche Sage die Erscheinung der Tautropfen genau so erkläre wie er sie dargestellt, nämlich als Schweisstropfen der gepeitschten Wolkenmasse ('). An subjektiven Bestandteilen fehlt es in dieser objektiven Dichtung nicht, ebenso wenig wie in der vorhin besprochenen. Dort leuchtet zum Schlusse ein Schimmer von Lenaus Melan- cholie durch, der in dem Musterbilde, das er von seiner Poesie nach Schwaben sandte, nicht fehlen durfte, hier reiht sich zu- nächst alles äusserlich um seine Person, und er zeichnet sich selbst in der des Hauptmanns, der, innerlich zerrissen, über den Verlust der Unschuld trauert, und dem es so bangt vor dem Schicksal seiner Tochter. Wenigstens eine einzelne Ausarbeitung der vielen Stoffe und Bilder der Heideschenke hat Lenau geschaffen. Die zweite Strophe, welche die Stimmung der Heide vor dem Gewitter malt : Die Heide war so still, so leer, Am Abendhimmel zogen Die Wolken hin, gewitterschwer, Und leise Blitze flogen, hat er zu dem Heidebild Himmelstrauer (64) ausgebildet : Am Himmelsantlitz wandelt ein Gedanke, Die düstre Wolke dort, so bang, so schwer ; Ve a u Vom Himmel tönt ein schwermutmattes Grollen, Die dunkle Wimper blinzet manches Mal, SOnS Ban es (4) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 34. 12 178 OBJEKTIVE DICHTUNG. Die stille und leere Heide ist, in allerdings neuer Beleuchtung, in der dritten Strophe geschildert. Auf das Naturbild folgt als Vergleich das entsprechende Seitenstück aus dem Menschen- leben. Wie nahe wird uns die Natur gebracht, indem sie durch den Menschen erklärt wird. In der Wanderung im Gebirge donnert zwar auch der Himmel seinen Hader, der Blitz glüht als Zornesader auf seiner dunklen Stirne, in der Heideschenke erscheinen die verschiedenen Formen des Gewitters in mensch- licher Gestalt, das ist Vermenschlichung der Natur, das ist noch nicht diese intime Verschmelzung der Natur mit dem Menschen, wie sie hier erscheint, diese eigenartige Erklärung der Natur- erscheinungen durch gleichartige Vorgänge im Menschenleben und Empfindungen in der Menschenbrust. Lenau ist auf dem Wege eine neue Mythologie beseelter Naturerscheinungen zu schaffen, die gefühlt und nicht bloss gedacht ist. Kein Wunder, dass er zu seinem berechtigten Stolze in der Götterfehre und Sagenkunde sprechende Einklänge fand. « Aus solcher An- schauung », bemerkt R. M. Meyer (!), « blühten bei den Alten die Mythen von Bakchos, von Silen und den Kentauren hervor und die Bildwerke, die sie darstellten ». Noch gelingt es dem Dichter hier nicht ganz, eine vollkommene Parallele von Anfang bis zu Ende durchzuführen; trotzdem bildet dies Gedicht den Gipfelpunkt der bisher erreichten, schon sehr hohen Kunst der Naturschilderung. Wie recht hatte Lenau, dass er nicht dies oder ein ähn- liches neuwirkendes. Gedicht als verhängnisvolle Talentprobe an G. Schwab sandte. Sogar Uhland fehlte es an Verständnis für diese kühne Neuschöpfung einer organisch belebten, mit ınenschlicher Seele begabten Natur. Er fand die schönen Verse : Der Himmel liess, nachsinnend seiner Trauer, Die Sonne lässig fallen aus der Hand (*) Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts. Berlin, Bondi, 1940. 4. Auflage, S. 173. OBJEKTIVE DICHTUNG. 179 gesucht (') und findet hierin noch Beifall bei modernen Kri- tikern. (?). Bemerkenswert ist auch, dass G. Schwab in seiner Besprechung über die Heidebilder einfach hinweggeht. Wenn je, so trifft hier die allgemeine, auf Lenaus eigene Mitteilung fussende, sehr wichtige Bemerkung von Schwab zu, dass durchgängig der Keim der Lenauschen Gedichte sich lange vorher im stillen ausgebildet, dass nicht selten eine lange Zeit gelegen sein mag zwischen der « Geburt eines Liedes und seiner Empfängnis » (°), zwischen dem Keim und der Gestal- tung. Erst nach langen Jahren — Lenau hatte seit dem März 1823 Ungarn endgültig verlassen — werden die in Ungarn, vielfach noch in der Kindheit auf den Reisen zwischen Pest und Tokay empfangenen Eindrücke poetisch fruchtbar. Noch öfters werden wir diesen langen Zwischenraum zwischen Erlebnis und Darstellung beobachten, ein seltener Fall ist wie bei der Wanderung im Gebirge die sofortige Ausarbeitung poetischer Eindrücke. (!) So äusserte Lenau zu KarL BEcK, Aus meinem Tagebuche. (PESTER LioyD, 1863, Nr 232.) (2) A. BIESE, Lyrische Dichtung und neuere deutsche Lyriker. Berlin, Hertz, 1896, S. 60. (%) KLÜPFEL, S. 178. van de Zah Ai see XV Nanette Wolf. An meine Rose. Das seit 1834 alle Ausgaben der Gedichte eröffnende Lied An meine Rose (»), das Schwab in seiner Besprechung als « köstlich » bezeichnet, beziehen alle Lenauforscher auf das Verhältnis zu Lotte Gmelin. Dieser Ansicht bin ich selbst beigetreten ('). Keine lässt sich auch durch bessere innere Gründe verteidigen. Die beiden Grundgedanken aller Ausse- rungen Lenaus über diese Liebe : ich liebe Lotte sehr, jedoch ich muss ihr entsagen, bringt das Gedicht deutlich zum Aus- druck. Zu der Strophe : Und ich, wie sie, muss immer eilen Mit allem meinem Lieben An dir vorbei, darf nie verweilen, Von Stürmen fortgetrieben (Vs 25-38) lassen sich nieht weniger als sieben Parallelstellen aus Briefen des Dichters beibringen und mehr solcher Stellen noch, genau elf, zu der Strophe : Doch hat, du holde Wunderblume, Mein Herz voll süssen Bebens Dich mir gemalt zum Eigentume Ins Tiefste meines Lebens. (Vs 29-32.) Überdies schloss auch ohnedem der Inhalt einen Bezug auf Y (4) Erlebnis und Dichtung bei Lenau in Melanges God. Kurth. Lüttich, A908. II, 385-396. NANETTE WOLF. 181 Berta Hauer vollständig aus, und da blieb doch nur, da das Gedicht bereits 1832 erschien, Lotte. Ein ungedruckter Brief von Boloz von Antoniewiez an Lenau vom 5. Oktober 1830 mit dem Satze : « Sende mir Im Gebirge, Die Waldkapelle, An meine Rose » lässt keinen Zweifel, dass das Gedicht vor der Bekanntschaft mit Lotte entstanden. Man muss sich also nach einem anderen Verhältnisse umsehen, und da gibt uns schon Schurz einen Fingerzeig, wenn er (l, 102) berichtet, dass Lenau während seines Aufenthaltes bei Schleifer im August 1830 öfters den Schullehrer von Gmunden besuchte, « dessen Tochter, ein in jeder Beziehung wohlgebildetes und hochachtbares Mädchen, mit ebenso viel Gefühl als Kunst sang, wobei sie sich selbst auf den Tasten begleitete ». Gesang öffnete den Weg zum Herzen gerade wie bei Lotte, und wie die Ver- wandten Lottes der Liebschaft ein Ende machten, als Lenau sich zu keinem ernsten Schritte entschloss, so liess auch der Schul- lehrer Wolf in Gmunden Lenau bitten, sein Haus zu meiden, als er zu merken glaubte, dass mehr als die Liebe zur Musik die beiden jungen Leute so oft zusammenführte, und er für seine Tochter eine Enttäuschung zu befürchten meinte wie Lotte sie wirklich erfuhr. Wie gegen die Familie Schwab so erging Lenau sich auch gegen Vater Wolf in heftigen Anklagen. Die spärlichen Nachrichten, die wir über Nanette Wolf besit- zen (t), bin ich in der Lage durch gütige Mitteilungen ihres Sohnes, des Herrn K. K. Landgerichtsrates a. D. D' Albert Böhm in Klosterneuburg, zu ergänzen. Nanette war, nachdem ein Bruder Karl frühzeitig gestorben, das einzige Kind des Joh. Nep. Wolf und der Therese Wolf, geborenen Eigl aus Linz. Der Vater war ein ernster, strenger, nüchterner Mann, der ganz in seinem Berufe als Schullehrer aufging. Das am 13. Juli 1808 in Hallstadt geborene Mädchen genoss die aller- (4) Rapıcs, Lenau in Gmunden. (Reichswehr, Wien, 190%, Nr 3057.) — A. BÖHM, Ein Brief Lenaus. (Neue Freie Presse, Nr 10484.) 182 NANETTE WOLF. beste Erziehung, und ihre ungewöhnliche Begabung ermöglichte es ihr, eine damals seltene Bildungsstufe zu erreichen. Hervorra- gend waren ihre musikalischen Leistungen als Klavierspielerin und Altsängerin. Aber auch die Entwickelung ihres Gemütsle- bens war bei ihrer Mutter, einer sinnigen, stillen Frauennatur, die sich den Eigenheiten ihres Mannes mit Selbstverleugnung anzupassen wusste, in den besten Händen. Es ist begreiflich, dass das begabte und, wie ein erhaltenes Umrissbild aus der Zeit beweist, sehr hübsche Mädchen viel Anziehungskraft auf die gebildete junge Männerwelt ausübte, und dass man darnach trachtete im Hause Wolf Zutritt zu bekommen. Nicht nur Lenau, sondern auch Franz Schubert hat dort eifrig verkehrt, mit Nanette musiziert, besonders vierhändig gespielt, ist sogar mit ihr in grösseren Privatkreisen aufgetreten. Lenau las ihr vor, mit eintöniger Stimme, wie sie sagte, manchmal freie Varianten an dem Gelesenen anbringend und lauschte mit Genuss ihrem Spiele und Gesang. Aber der Schullehrer, der in seiner realistischen Weise einen Dichter nur sehr gering bewertete, und dem das Träumerische, Überreizte in des Dichters Wesen missfiel, sah den häufigen Verkehr Lenaus in seinem Hause nur ungern, und es kam ein Tag, an dem er seiner Tochter auftrug, Lenau zu bedeuten, er möge die Besuche einstellen; er müsste es ihm sonst selbst sagen. Dieses befürchtend, fügte sich das Mädchen. Als sie Lenau hinausbegleitete fing sie nächst der Stiege an : « Herr von Niembsch, der Vater hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen... » Weiter liess er sie nicht sprechen, er wisse schon was der « Tyrann » von ihm wolle. Nach den heftigsten Klagen, die so weit gingen, dass Nanette ihn darauf aufmerksam machen musste, der « Tyrann » sei doch ihr Vater, entfernte er sich und kam nicht wieder. Nur sah man ihn noch häufig vor dem Hause spazieren, zu Nanettes wie später zu Lottes Fenster emporblickend. Der Auftritt, den Nanette ihrem Sohne öfters erzählt, kann erst bei Lenaus zweitem Aufenthalte in Gmunden; im Juli 1831 erfolgt sein. Lenaus Briefan Nanette Wolf aus dem Herbst 1830 NANETTE WOLF. 183 bezeugt, dass er vom ersten Tage der Bekanntschaft an, im August 1830, bis zu seiner Abreise, Anfang September, täglich das Wolfesche Haus besuchte. Auch gedenkt er in diesem Briefe liebend des Vaters, des « ernsten, kräftigen Mannes, voll glühenden Eifers für das Gute » (57), während er in einem anderen, bisher unveröffentlichten an Schleifer vom 7. Februar 1832, in dem er den zweiten Aufenthalt in Gmunden erwähnt, in der Bestellung von Grüssen an die Familie Wolf den Vater übergeht. Hier nennt er Nanette (Nani) das Mädchen « mit dem schönen Ernste », während er im Briefe an sie ihre Bildung hervorhebt und sie, die tüchtige Schubert-Sängerin und Kla- vierspielerin, einer ästhetischen Auseinandersetzung über Zun- steeg und Schubert würdigt, die er mit Schiller und Goethe vergleicht. Bei Lenaus zweitem Aufenthalt in Gmunden trug es sich auch zu, berichtet Schurz (I, 119), dass Schleifer, Lenau ans Fenster führend, und ihm ein Fernrohr in die Hand gebend, sagte : « Siehe dorthin nach Traunkirchen! Du magst die blitzenden Fenster zählen des hervorragenden stattlichen Pflegerhauses, das sich im See widerspiegelt und rings der herrlichsten Aussichten geniesst, Deinem Traunstein gegenüber. Es ist jetzt billig verkäuflich und frohbereit, einen jungen Dichter samt etwaiger Braut aufzunehmen, die sich wohl auch bald ganz in der Nähe finden lassen würde ». — « Schleifer sprach also », meint Schurz, « weil ihn Niembsch noch im Anfang Novem- ber 1830 schriftlich ersucht hatte, ihm irgend ein schöngelege- nes Häuschen am Traunsee anzukaufen. Niembschens Ansichten hatten sich aber binnen weniger Monaten wesentlich verändert ; anstatt sich anzusiedeln, gedachte er jetzt zu reisen. Die Schmä- lerung seines Vermögens rückte Hauskauf und Verehelichung in unbestimmte Fernen ». Zu « Liebe und Vermählung » (') drängte Schleifer, offenbar mit der etwaigen Braut Nanette Wolf meinend ; ähnlich spornte G. Schwab zu einer Verbindung mit Lotte Gmelin an. Schmälerung des Vermögens und Reise- (*) Vgl. das gleichbetitelte Sonett Lenaus. 184 NANETTE WOLF. pläne bildeten in beiden Fällen den Hauptgrund von Lenaus Entsagung. Eine verhaltene Neigung, tiefer Schmerz über die Trennung sind unschwer aus Lenaus Brief an Nanette Wolf herauszulesen. « Doch man wird so leicht schwatzhaft bei jenen, denen man gerne die ganze Seele auftun möchte... Ich versichere Sie, dass ich noch wenige Ihres Geschlechtes so geachtet wie Sie... .Wenn man sich beim Scheiden von dieser Erde so ein Päckchen der besten Erinnerungen mitnehmen könnte, wahrlich, ich würde die Erinnerung an Gmunden nicht zurücklassen... Damals waren wir das erste Mal zusammen und haben den Bund geschlossen für längere Zeit, ich wünsche für immer. Von nun an war ich jeden Tag, den ich noch in Gmunden verlebte, bei Ihnen, und noch immer gemahnt es mich um fünf Uhr, zu Ihnen zu eilen. Aber da liegen viele Meilen zwischen mir und meinen Lieben ('!); und zehn Monate müssen vergehen, ehe wir uns wiedersehen. Könnt ich doch diese trägen zehn Monate im Sturme vorüberjagen und hinüberfliegen über Berg und Tal! » Auf der Rückreise nach Wien « war es aus mit meiner Heiter- keit ». In Erinnerungen versunken, lässt er die schönen Donauge- genden vorüberziehn, ohne sich nach ihnen umzusehn. In Wien schlagen die Herzen kälter, als von wannen er gekom- men ist (57). Unter dem Sinnbild der Rose erscheint dem Dichter das Mädchen, das ihm mit seiner feinen Bildung und seiner Begei- sterung für Kunst in dieser einfachen, ländlichen Umgebung als eine Blume, aus anderen Welten verpflanzt (Vs 8), vorkommt. Er verwünscht die Schranken (Vs 18), die sie von einander trennen : O weilten wir in jenen Lüften, Wo keine Schranke wehrte, (!) Dieser Gedanke kehrt öfters wieder im Briefwechsel mit Sophie Löwentha und ist auch in Lenaus Lyrik vertreten. NANETTE WOLF. 185 sehnt sich innig nach ihr hinüber aus der Grossstadt, wo die Herzen kälter schlagen, möchte mit ihren Zauberdüften die swigkeiten nähren (Vs 19 f.). Jedoch von Stürmen fortgetrieben, (Vs 28) darf er nicht bei ihr verweilen, wenn auch sein Herz die holde Wunderblume (Vs 29) fest und treu in sich ver- schliesst Das einer förmlichen Liebeserklärung gleichkommende Gedicht, welches er wohl kurz nach der Rückkehr in Wien, im September 1830, geschrieben, da Boloz Anfang Okto- ber schon darum wusste, wagte er nicht dem Mädchen zu senden. Er schickte ihr das unverfänglichere auf Berta bezüg- liche Nächtliche Wanderung, das immerhin auch den Schmerz um eine verlorene « tote Braut » ausdrückt, deren Bild, « engel- mild und schmerzlich traut », den « keinen Trost findenden » Dichter auf seinen nächtlichen Wegen begleitet. Wie die flüchtige Neigung, bei der von vornherein der Gedanke der Entsagung vorherrschte, ein Vorspiel zum Ver- hältnis mit Lotte Gmelin ist, so klingt auch das Gedicht wie der Einleitungsakkord zur Lotte-Dichtung. Wie Lotte Gmelin verheiratete Nanette Wolf sich in ihrem 3%. Lebensjahre. Ihr Gatte, der Unterlehrer Albert Böhm, dem sie i. J. 1846 einen Sohn gebar, brachte es im Laufe der Zeit zum Bürgerschuldirektor, Bezirksschulinspektor und Ehrenbür- ger Gmundens. Sie starb in Gmunden am 16. Februar 1878. In der Erinnerung alter Gmundener steht sie als eine kluge, liebenswürdige, herzensgute, kinderliebende Frau. Sie scheint keine Ahnung gehabt zu haben, dass ein Gedicht Lenaus ihr gewidmet sein könnte. Tiefe Zuneigung bewahrte sie dem Diehter durchs ganze Leben, und sein Brief blieb ihr eine wertvolle Reliquie aus der entschwundenen Jugendzeit. XIX Ausfahrt. Ende Juni bis Ende Dezember 1831. Das Posthorn. — Traum. — Der Raubschütz. — In das Stammbuch einer Künst- lerin. — Herbstgefühl. — Herbstklage. — In der Schenke. — Am Grabe eines Ministers. Ende Juni verliess Lenau Wien und wandte sich zunächst nach Gmunden zum Besuche des treuen Freundes Schleifer und der Familie Wolf. Beim « lieben Schleifer » verlebte er « einige Götterstunden », vielmehr Tage, denn er blieb in Gmunden vom 3. bis zum 11. Juni. Einer der «schönsten Tage » seines Lebens, das « Höchste », was er bis jetzt genossen, war die Besteigung des Traunsteins am 7. Juli, die « allerschönste Minute » seines Lebens, die, wo er auf dem äussersten Rand eines senkrechten Abgrundes stand, den Tod bis an die Zehen heraufgreifen sah, trotzig in die, Schrecken eines bodenlosen Abgrundes hinab- und der furchtbar-erhabenen Natur ins Antlitz schaute (62). Am 11. Juli ward die Reise über Salzburg und München nach Karlsruhe fortgesetzt, von wo aus er mit Schwab anknüpfte, am 23. reiste er weiter nach Heidelberg. In Baden-Baden lockte der Spielteufel, der seinen Vater ins Elend gestürzt. Am 9. August traf er bei Schwab in Stuttgart ein. Eine Frucht dieser Reise ist Das Posthorn (15) ; jedenfalls ist es wenn nicht auf, so kurz nach der Reise entstanden, denn am 3. September las Lenau seinem neugewonnenen Freunde K. Mayer « Heidebilder, Reiseempfindungen, Posthorntöne, AUSFAHRT. 187 Werbeworte u. s. w. » vor (1). Am 16. September sandte Lenau das Gedicht an Schleifer mit den Begleitworten : « Hier erhältst du einen Abdruck von dem Gedichte « An den Schmerz » nebst einem Gedichte von mir. Ich habe Deiner sehr lebhaft gedacht, als ich es schrieb, darum schiek ich Dirs » (66). Schurz erhielt das Gedicht in einem Briefe vom 5. Oktober :-« Hier habt ihr ein Gedicht an euch : Das Posthorn... Die letzte Strophe bitte ich der Theres nicht zu lesen » (67). Das Posthorn endet erschüt- ternd, urteilte G. Schwab, und diese Erschütterung wollte der liebende Bruder der empfindsamen Schwester ersparen. Wie grossen Kummer ihr die Abreise des Bruders bereitete, lese man aus dem ergreifenden Trostbrief, den er ihr am Tage des Abschiedes schrieb (61). Auch er verlässt sie « mit schwerem Herzen ». Sie ist ihm eine Schwester, « wie wenige sind », überhaupt « ein Weib, wie es wenige gibt auf Erden ». Auf sie, das Ebenbild ihrer Mutter, übertrug Lenau all die Liebe, die er für diese gehegt, ebenso abgöttisch wie die Mutter liebt die Schwester ‘den Bruder und ist wie sie zu allem und jedem Opfer bereit. In inniger Wehmut gedenkt Lenau der Schwester schon im ersten Reisebriefe aus Gmunden. « Und nun », schreibt er Sehurz, « seien die letzten Zeilen meiner lieben Schwester geschrieben. Sie erscheint auf dem Boden dieses Briefes, wie sie am Boden meines Herzens ruht. Du liebe, gute Schwes- ter! wie oft hab ich an Dich gedacht und Dein weinendes Antlitz gesehen in der Ferne! Bruder, du hast ein edles Weib, bewahre sie wie Dein Auge » (62). Das Gefühl des Heimwehs überschattet die ganze Reise. Auch in Karlsruhe überschleicht es ihn, keine einzige bekannte Seele hat der weichherzige Reisende in der ganzen Stadt, sehr oft denkt er seiner Lieben. Er will arbeiten, dass er wieder zu ihnen komme. Wenn er in Karlsruhe aus dem Hause geht, so ruft ihm niemand nach « Herr Onkel », kein Ton begleitet ihn bis zur Barriere, kommt er abends nach (4) MAYER, S. 3. 188 AUSFAHRT. Hause, so findet er kein trauliches Gespräch mit seiner guten Schwester. Wie gern möchte er all ihre tausend kleinen neugie- rigen Fragen beantworten, wenn sie da wäre oder er dort (64). Auch das Gefühl der Vaterlandsliebe mischt sich in das Heimweh hinein. Er sieht Baden, Württemberg, Bayern, « Das ist nun alles reeht schön Bruder; aber Östreich, besonders Oberöst- reich! » (64). Auch Ungarn streicht er landschaftlich heraus im Gegensatz zu Deutschland. Der nachlässige, unbekümmerte Bauer Pannoniens ist eine poesievollere Gestalt als der fleissige, arbeitsame Deutsche, der « die gute Frau Natur gleich an der Gurgel packt und sie so gewaltig würgt, dass ihr das Blut aus Nas und Ohr hervorquillt » (6%). Man sieht, aus welchen Stimmungen das Posthorn hervorge- gangen ist. Der Schmerz, mit dem der Dichter noch manches Wort zu reden hat (Vs 19 f.), ist das Heimweh. Am Schlage des Postwagens stand mit verweinten Blicken (Vs 31 f.) die Schwes- ter. Wenn der Dichter sich einsam fühlt ohne seine Lieben (Vs 47 f.), so drückt er die Karlsruher Stimmung aus. Ihrer, Die in ferner Heimat mir Sind zurückgeblieben, gedenkt er bang und schwer (Vs Al). Bang und schwer wan- delt auch ein Gedanke am Himmelsantlitz (Himmelstrauer), bang und schwer hängen die Wolken herab (Der schwere Abend). Als ein Missklang in der schönen, sanften Elegie erscheint mir die letzte Strophe mit der grell ausgedrückten Todessehn- sucht, die eine neue Wandlung nicht nur zur melancholischen Dichtung, sondern zur pessimistischen einleitet. Wer von schwermütiger Veranlagung Lenaus nichts wissen will, hat einen schweren Stand, die so heftig hervorbrechende Schwer- mut gerade auf dieser ersten Ausfahrt in die Welt und während der Stuttgarter Jubeltage zu erklären, welche seine schönsten Hoffnungen übertrafen. AUSFAHRT. 189 Selig, seelenvoll, einen Abend aller Abende nennt Lenau den des 9. August, der den Bund mit den Schwaben besiegelte. Ein Frühlingshauch ist über die keimende Saat seiner Gefühle und Gedanken gegangen. Selbstvertrauen gibt ihm die begeisterte Huldigung der so schnell gewonnenen Freunde und Verehrer seiner Muse (65). Es ist ein « ordentlicher Strudel » (!) in Schwabs Hause wegen der Anwesenheit des_« herrlichen Dich- ters und Menschen » (?). In rascher Folge lernt er G. Pfizer, Mayer, Kerner, den Grafen Alexander von Württemberg und Uhland kennen. Von allen, mit Ausnahme des sich um einen Grad kühler verhaltenden Uhland, wird er leidenschaftlich gefeiert. Bereits am 29. August erreicht er das nächste Ziel seiner Reise; der Verlagskontrakt mit Cotta, dem ersten Verleger Deutschlands, wird abgeschlossen. Vom Besuche Lenaus bei Kerner am 28. August berichtet Kerners Sohn Theobald, dass Niembsch am folgenden Tage beim Frühstück erzählte : « Ich träumte von meiner Mutter heute nacht und fühlte beim Erwachen eine selige Ruhe; es steht ein guter Stern über diesem Hause; o, ich komme bald wieder! » (?). Wie oft der Dichter auch von seiner Mutter träumte, so stimmt diese Meldung eines guten, ruhebrin- genden Traumes jedoch auffallend überein mit dem Fragmente Traum (is), das eben einen « guten » Traum erwähnt, bei welchem die Mutter dem Sohne « eine heimlich süsse Kühle zusäuselte », wobei ihn die Ahnung fasste, « dass es würde besser‘ werden », und er sich « himmelwärts von der Erden gehoben fühlte ». Roustan (S. 236), der die Handschrift, die ich nieht einsehen konnte, entdeckt, deutet allerdings an, das Gedicht sei zehn Jahre nach dem Tode der Mutter geschrieben, während Castle (Werke 1, 488) die Verse zu Beginn der Wiener (4) Brief von Sophie Schwab an Lucie Meyer. Ernst, S. 105. (2) Brief von G. Schwab vom 98. August 1831 an Kerner. Kerners Briefwechsel, Nr 376. (%) Tu. KERNER, Das Kernerhaus und seine Gäste, S. 134. 190 AUSFAHRT. Zeit (1833-1838) verlegt. Den Kennern der Handschrift darf ich, wenn sie auch nicht einig sind, nicht widersprechen und hier nur eine Vermutung äussern. Die vorübergehende frohe Stimmung, die das Fragment atmet, erklärt sich auch sehr gut aus der neugewonnenen Freundschaft, worauf unmittelbar der Verlagskontrakt mit Cotta folgte. Die Verse, meint Roustan richtig, genügen zum Beweise, dass Lenaus Verzweiflung nichts gemein hatte mit einer gekünstelten Melancholie. Überraschend genug lautet der erste Brief, den Lenau nach dem unerhörten, ihm von den Schwaben bereiteten Freudenfeste am 16. September an Schleifer schreibt : « Mir ist fürchterlich wehmütig ums Herz. O mein Schleifer! könnte ich Dir jetzt die Hand drücken und diese Träne an Deiner Brust vergiessen ! Vielleicht sehen wir uns nicht mehr! Ich will Dir von meinen Reisen jetzt nichts sagen, ich habe ein paar glückliche Tage verlebt, Tage, mit denen uns das Schicksal öfter futtert und stärkt für den künftigen Kummer. — Ich kenne nun Schurz, Schleifer, Uhland, Schwab, Kerner, Maier, liebe poetische Men- schen, die mir alle gut sind; aber ist halt doch nichts! » (66). Ähnlich äussert er sich später zu Schurz : « Das ganze Leben in Stuttgart, diese Reihe von Wonnetagen, ein ewiges Freu- denfest, das ist mir verdächtig. Ich möchte mir fast einen nahen Tod daraus prophezeien. Das waren vielleicht die Ferialtage des Abschieds und mir vom Schicksal gegeben, dass ich mit einem besseren Begriffe von seiner Gastfreundlichkeit von dannen gehe » (70) (?). Sein erstes persönliches Auftreten, schreibt Mayer (S. 5), machte einen sehr belebenden, heiteren Eindruck. Bald bemerkte Mayer etwas Schwermütiges am Freunde, und Sophie Schwab machte dieselbe Beobachtung (?). « Jedenfalls schien (*) Dasselbe schreibt Lenau fast wörtlich gleich am 4. Dezember an Mayer. Brief Nr 74. (2) ERNST, S. 106. AUSFAHRT. 191 die Not seiner Seele eine wahre und dringende », sagt Mayer (S. 6). Anstoss zu neuen, schwermütigen Grübeleien gab, wie auch Mayer vermutet, die Liebe zu Lotte Gmelin, die bald schwere Herzenskonflikte heraufbeschwor. Um diese Zeit, im Monate September, schreibt Lenau, in einem starken Anfall von Pessimismus, die düstere Ballade Der Raubschütz (169), angeblich « nach einer Sage », die jedoch nichts Volkstümliches hat und in der Form, wie er sie wiedergibt, nur ausgeklügelt ist, um das materialistisch-nihi- listische Schlusswort : « Es ist halt nichts — hier nicht und dort nicht », herbeizuführen. Die genau dem Gedichte entsprechende Prosafassung bringt der Brief an Schleifer vom 16. September, der auch äussere (Quellen des Trübsinns angibt : « In trüberer Zeit hat wohl nie ein Freund dem anderen geschrieben als ich Dir heute. Warschau ist über, die Cholera ist in Österreich und verheert die Menschheit in dem geliebten Lande. ‘ Es ist halt nichts! " muss ich ausrufen wie jener Wilddieb. Es wurde nämlich einmal ein Wilddieb im Walde erschossen. Um Mitternacht erscheint er nach seinem Tode seinem besten Freunde, der in einsamen Gedanken über Zeit und Tod bei einem Glas Wein sitzt. Ganz wie er leibte und lebte, tritt der Wildschütz herein, die Büchse auf der Schulter, und winkt seinem Freunde, ihm hinauszufolgen in den Wald. Der Freund geht mit. Sie streifen durch den Wald, das dürre Laub rauscht unter ihren Tritten. Da sagt der Wilderer : “ Ich will jagen, ich will jagen! ’ Sein erstaunter Freund fragt ihn, wie die schnöde Wilddieberei ihn habe herüberlocken können aus der andern Welt, um sich noch einmal dran zu ergötzen? wie es überhaupt in der andern Welt aussehe? “ Es ist halt nichts! ” murmelt der gespenstische Jäger und rauscht weiter fort im finstern Walde » (66). Es ist nicht, die Sage, die Lenau hier erzählt, es ist sein Gedicht, dessen Inhalt er mit wörtlichen Wiederholungen wi- dergibt. Wie der Freund des Wilddiebs in einsamen Gedanken über Zeit und Tod (Vs 8) — ein subjektiver Zug — bei. einem 192% AUSFAHRT. Glas Wein sitzt (Vs 2), malen die zwei ersten Strophen aus. Den Eintritt des Wildschützen, die Büchse auf der Schulter, Ein Weidmann mit dem Feuerrohr, (Vs 45) schildert die dritte Strophe, die vierte den Eindruck dieser Erscheinung auf den Müller. Der Wildschütz winkt seinem Freunde, ihm hinauszufolgen in den Wald; so winkt (Vs 26), in Strophe fünf der finstre Jäger auf Jakobs Büchse. Nun streifen sie durch den Wald (Vs 31), das dürre Laub (Vs 34) rauscht unter ihren Tritten. Da sagt der Wilderer : Ich will jagen, ich will jagen! (Vs 36). So klingt wörtlich die sechste Strophe an; die siebente ist weitere Ausmalung. Die achte schildert den Ort, wo der Wildschütz erschossen wurde wie eine Sau. Die neunte bringt die Frage: Was ist's in jener Welt? worauf der Jäger die Antwort murmelt (Vs 53) : Es ist halt nichts. Offenbar ist also das Gedicht vor der Prosaerzählung, Anfang September, geschrieben. Es liegt dem Briefe nicht bei, sondern ein anderes Das Posthorn. Lenau wagt es nicht, dem frommen Schleifer die gottlose Ballade mitzuteilen. Deren Schlussfolge- rung mildert er im Briefe so stark, dass er sie fast in das Gegenteil umkehrt : « Es ist halt nichts, sag ich auch, mein lieber Schleifer, wenigstens diesseits nichts ! » Dies « Es ist halt nichts » wurde ein Lieblingsstosseufzer Lenaus, wie Max Löwenthal berichtet (t). « Es ist halt nichts, mein Raubschütz hat schon recht », schreibt er am 8. Mai 1838 an Sophie Löwenthal, kehrt den Satz doch wieder um wie im (1) Lenau und Löwenthal, S. 71. AUSFAHRT. 193 Briefe an Schleifer : Hier ist’s halt nichts; dort muss es was werden » (447) (?). 's ist eitel nichts, wohin mein Aug ich hefte! lautet der Anfangvers von Lenaus Schwanengesang. Wichtige Mitteilungen zur Erklärung von Lenaus Seelen- stimmung während dieser Stuttgarter Zeit macht uns Schwabs Schüler und Biograph K. Klüpfel, der aus unmittelbarer Quelle schöpft. Der Verkehr mit Niembsch meint er, war nicht immer ein ganz leichter; es hing einzig und allein von seiner Stim- mung ab, ob man ihn gesellig heiter oder in sich gekehrt und schweigsam sah. Eine grosse Neigung zur Schwermut zeigte sich schon damals bei ihm, ja sogar ein gewisses Spielen mit der Vorstellung des Wahnsinns erschreckte manchmal die Freunde. In vertrauten Mitteilungen offenbarte sich der tiefge- hende, unheilvolle Zwiespalt seines Geistes, der einerseits dem absoluten Zweifel verfallen war, andererseits das Bedürfnis einer mystischen Befriedigung nicht los werden konnte. Ein solches ruheloses Ringen musste psychisch aufreibend wirken, und die Freunde sahen nach und nach mit Schmerz, dass sie bei allem Anteil auf sein Innerstes keinen Einfluss üben konn- ten (?). Vollkommen stimmt mit diesem Berichte der von K. Mayer (S. 6 f.) überein. Lenaus Stimmung war eine im ganzen sehr trübe und aufgeregte. Oft gab Lenau Mayer gegenüber « mit traurig gesenkten Blicken » seine Zweifel oder vielmehr seine verzweifelnden Sätze preis. Eine grübelnde Philosophie und Geistesschärfe brachten ihn zum Pessimismus. Der gute Mayer, der sich nie viel mit philosophischen Studien (1) Siehe auch den Brief an Sophie Löwenthal vom 42. Juni 14842 (757) und Lenaüs Ausspruch zu Karl Evers. (ScHurz, II, 51.) (©) K. Krüpren, Gustav Schwab. Sein Leben und Wirken, Leipzig, Brockhaus, 1858, S. 232 f. 13 194 AUSFAHRT. abgegeben, verlegte sich mit Eifer auf diese, um Gott, Welt, Leben und Ewigkeit gegen den Skeptiker zu verteidigen. Ahn- lich verfuhr J. Kerner, der auch eifrig bemüht war, den Glauben an Gott und Ewigkeit in Lenaus Seele wiederherzustellen. Was er selbst nicht vermochte, sollte der Mystiker Heinrich Suso bewirken, den er Lenau, um ihn zu bekehren, zu lesen gab ('). Auch .die schwäbischen Frauen mischten sich in dies Bekeh- rungswerk hinein, namentlich Sophie Schwab, die in schönem Feuer Himmel und Ewigkeit gegen den « Unzufriedenen, Ungläubigen » (72), « sieh mit den ärgsten Zweifeln Quälen- den » verfocht, und die er um die Sicherheit ihres Glaubens beneidete (?). Bald fand Sophie Schwab eine Nachfolgerin in Emilie Reinbeck. Diese fortwährenden religiösen Gespräche rüttelten Lenaus quälende Zweifel immer von neuem auf. « Sein Dämon sagt ihm immer teuflisch : Was Gott, was Heiland? » schreibt Kerner an Mayer in einer in Kerners Brief- wechsel unterdrückten Stelle des Briefes vom 11. März 1832 (Nr 392). Die Bekanntschaft mit Emilie Reinbeck, die Lenau Ende August auf einem Spaziergange nach der Solitude machte, zeitigte das Gelegenheitsgedicht In das Stammbuch einer Künstlerin (12). « Der Zufall », meldet der Dichter am 8. November Schurz, « wollte es, dass ich mit einer Frau zu gehen kam, der Hofrätin Reinbeck, einer ausgezeichneten Land- schaftsmalerin. Diese verwickelte mich... in ein interessantes Gespräch über Kunstgegenstände » (70). Ein Brief an Schurz vom 19. Mai 1832 sagt noch deutlicher : « Du findest in meinen Gedichten eines mit der Überschrift : In das Stammbuch einer Künstlerin; das ist die Reinbeck. Ein ganzes Zimmer hat die Frau mit herrlichen Landschaften (Ölgemälden) behängt, alles ist ihre Arbeit » (99). (1) Kerners Briefwechsel, Nr 379. (2) ERNST, S. 144, 118. AUSFAHRT. 195 Am Tage seiner Immatrikulation in Heidelberg, dem 5. No- vember 1831, schreibt Lenau an Schwab, dass der « treue, zähe und hartnäckige Pudel », nämlich die Melancholie, wohl immer hinter ihm her sein werde; « wenn er nur an der Spitalluft krepierte » (69). Schwab antwortet am 8. November in einem ungedruckten Briefe : « Schlag Deinen Pudel tot, Alter, die Hundsmusterung musst Du, um mit den Weinsberger Bauern zu reden, noch vornehmen ». Am Tage, wo diese Mahnung an ihn erging, fühlte er sich « geschlagener als je » (70). Der 11. November ist ein « trüber Tag », und der Regen schlägt an sein einsames Fenster. Er hält sich für « eine fatale Abnor- mität der Menschennatur », und darin mag es liegen, dass er sich seinen Untergang mit einer Art wollüstigen Grauens denkt. Viel grübelt er an diesem Tage über Unsterblichkeit (72). Am 15. November sendet er Kerner das Gedicht Herbst- gefühl (4) (Mürrisch braust...) mit den Begleitworten : « Hier erhalten Sie ein Herbstblatt, das meinem Herzen entfallen ist. Ja, sterben ist das End vom Lied. Und was das heute für ein Regen ist » (75). Der Brief bringt sozusagen wieder die Pro- safassung des Gedichtes. « Wenn Sie aber in Ihren Garten gehn und die welken Blätter, diese säuselnden Elegien des Herbstes, fallen sehen, so denken Sie mein : was Ihnen die Blätter sagen, ist die Sprache meines Herzens » : An den Bäumen, welk und matt, Schwebt des Laubes letzte Neige, Niedertaumelt Blatt auf Blatt Und verhüllt die Waldessteige. (Vs 9-12.) « OÖ Kerner! Kerner! ich bin kein Aszet; aber ich möchte gerne im Grabe liegen. Helfen Sie mir von dieser Schwermut, die sich nicht wegscherzen, nicht wegpredigen, nicht wegflu- ehen lässt! Mir wird oft so schwer, als ob ich einen Toten in mir herumtrüge. Helfen Sie mir, mein Freund! Die Seele hat auch ihre Sehnen, die, einmal zerschnitten, nie wieder ganz 196 AUSFAHRT. werden. Mir ist, als wäre etwas in mir gerissen, zerschnitten. Hilf, Kerner! » Mit der Todessehnsucht, die so düster im Briefe an den Tag tritt, schliesst das Gedicht. « Ja, sterben ist das End vom Lied », schreibt der Dichter noch, nachdem er Kerner die Verse mitgeteilt, hiermit den Schlussvers hervorhebend. Gleichzeitig ist Herbstklage (50), das Anfang 1832 gedruckt war, da am 21. April, laut Lenaus Brief dieses Datums an Schurz, zehn Bogen fertig waren und das Gedicht in der Ausgabe von 1832 auf Seite 64 im vierten Bogen steht. Eine mit Vs 7-8: Sterbeseufzer der Natur Schauern durch die welken Haine verwandte Briefstelle findet sich allerdings erst im Schreiben vom 16. Februar 1832 an Sophie Schwab : « Je näher man sich an die Natur anschliesst, je mehr man sich in Betrachtung ihrer Züge vertieft, desto mehr wird man ergriffen von dem Geiste der Sehnsucht, des schwermütigen Hinsterbens, der durch die ganze Natur (auf Erden) weht. Ja, teure Freundin, unsere Mutter Erde ist im Sterben begriffen » (85). Ein bedeu- tender Unterschied besteht zwischen der ersten und zweiten Gestalt des Gedichtes in der Ausgabe von 1832 und in der von 1834. Mit dem Verse : Hast du sie noch nicht gefunden ? schliesst das Gedicht 1832 ab. Es gewinnt dadurch eine Bezie- hung auf Lotte Gmelin, denn unter sie versteht der Dichter das Mädchen seines Herzens. Verallgemeinert erscheint diese Schlusswendung 1834 : Hat dein Herz sein Glück gefunden! (Vs 19.) Eine vierte, 1834 hinzugefügte Strophe antwortet mit nein auf diese Frage. AUSFAHRT, 197 Den Höhepunkt der Schwermut bezeichnet Lenaus letzter Brief aus dem Jahre 1831, der vom 1. Dezember an K. Mayer. Er ist in « äusserst trüber Stimmung », seine Seelenverstim- mung wird von Tag zu Tag ärger, beginnt auch nun ziemlich merklich auf seinen Körper zurückzuwirken. Er fühlt seine Kräfte schwinden. Möchte es doch damit so fortgehen. — Er mag nun wandern im Gebiete der Poesie oder der Philosophie, so stöbert und schnuppert sein Scharfsinn vor ihm herum, ein unglückseliger Spürhund, und jagt ihm richtig immer das melancholische Sumpfgeflügel der Welt aus seinem Ver- stecke (74). In diesem Briefe sendet Lenau an Mayer das Gedicht In der Schenke (75). « Hier erhältst Du ein Gedicht, welches ich am Jahrestage der unglücklichen Polenrevolution gemacht. Ich sass mit den hiesigen Burschen (eine abgeschlossene Gesellschaft, mitunter sehr tüchtiger Leute) in der Kneipe zum Fässchen; da überfiel mich plötzlich die schmerzliche Erinnerung, ich ging nach Haus und schrieb folgendes » (74). Er teilt nun das Gedicht mit, das er An die Heidelberger Burschen. 29. Novem- ber betitelt. Der 29. November ist der Jahrestag des Ausbruches der Revolution in Warschau. Voll Kraft und hinreissendem Schwung ist dieses Rachege- dieht. Viel schärfer lautete noch die erste Fassung in der Hand- schrift, den Erstdrucken und der Ausgabe von 1832. Eine den vorhergehenden poetisch allerdings nicht ebenbürtige Schluss- strophe, die der Dichter seit 1834 wegliess, erflehte den Weltuntergang im Falle, dass die Schmach der Welt (Vs 16), das "ungeheure Weh (Vs 18), die himmelwärts rauchende Schande (Vs 28) keine Rache finden sollte : Aber kommt die Rache nicht, Mag der Vogel mit dem Halme, Was da lebt im weiten Licht Sterben in des Fluches (Jualme, Und die Sonn ersticke drin, Dass die Erde scheide hin! — 198 AUSFAHRT. In hellster Begeisterung für die Polen traf Lenau die Schwaben an. In Stuttgart bildete sich Ende 1831 ein Polenausschuss. Das radikale Volksblatt für Württemberg Der Hochwächter, schürte die Flamme mit Berichten über die Opferfreudigkeit für die Polen im Auslande und mit Leitartikeln wie : « Die flüchtigen Polen. Ein Wort an das Herz unserer Landsleute » (Nr vom 3-4 Januar 1832). Zahlreiche Bürger in Stuttgart erboten sich « über Tisch und über Nacht flüchtige Polen bei sich aufzuneh- men » (Ebd.). Die Stuttgarter Mädchen schnitten sich als Sym- bol der Klage die Haare ab, wie Lenau selbst erwähnt (85). Manche flüchtige Polen erfreuten sich der Gastfreundschaft Kerners, und dort lernte Lenau mehrere kennen. « Die Polen ! Ja, bester Mayer! mit diesen leb ich seit acht Tagen persönlich, und da fällt einem erst ihr Jammer aufs Herz. Auch dem Niembsch machten diese Bekanntschaften grosse Freude, und die Polen schlossen sich sogleich traulich an den Ungarn an », schreibt Kerner an Mayer ('). Die schwäbischen Dichter über- boten sich in Bezeugungen der Teilnahme und in Gedichten für die Polen. Schwab erschien die Polenflucht als eins der grössten Ereignisse der Zeit (?), Mayer (S. 75) sah in dem Schicksal Polens den Untergang der volkstümlichen Freiheit überhaupt. Kerner möchte Europa überhaupt nicht mehr ansehen, solchen Kummer legten ihm die Polen ans Herz (°). Pathetisch äussert sich Lenau selbst zu Sophie Schwab am 16. Februar 1832 : « Als ich gestern abends im Mondenschein spazieren ging, begegnete mir ein schlechter Leiterwagen, vielmehr ein Mistkarren, von drei Pferden gezogen. Darin sassen acht Männer zusammenge- kauert, frierend und schmerzlich in ihre Mäntel gehüllt. Der Wagen fuhr langsam und knarrend über das Pflaster der Stadt, (1) Kerners Briefwechsel, Nr 392. (2) Ebd., Nr 389. () MAYER, S. 64. Vgl. auch Tu. KERNER, Das Kernerhaus und seine Gäste. Stutt- gart und Leipzig, Deutsche Verlags-Anstalt, 4894 S. 298 ff. AUSFAHRT. 199 und der Mond beschien die Schmach der Erde. Es waren Polen. O, Freundin! Der Tod ist doch besser als das Leben. Auf Mist- karren wird die Freiheit fortgeschafft. O sterbet nur ab, ihr Wälder von Norden herunter, greif nur herunter immer tiefer, du Eis der Gletscher! » (ss). Mit einem flüchtigen Polen, Johann Matuszynski, verband Lenau sich in so inniger Freundschaft, dass er ihn sogar mit nach Amerika nehmen wollte. Die Unterjochung der Polen erinnerte den Dichter an die Unterdrückung der Freiheit in Österreich. Er sah wie seine schwäbischen Freunde in der Polenfrage die Knechtung der Volksfreiheit im allgemeinen, wie sie auch Metternich in seinem Vaterlande betrieb. Achtundzwanzig Jahre vor dem Tode des Staatskanzlers verfasste Lenau ihm die Grabschrift' Am Grabe eines Ministers (122). Sie erschien im Januarheft der Zeit- schrift Mikrokosmus zugleich mit den Versen In der Schenke, was eine ziemlich gleichzeitige Entstehung andeutet. Lenau scheint nicht viel von dem Gedichte gehalten zu haben. In die Ausgabe von 1832 wollte er es zunächst nur bruchstückweise — die vier ersten Strophen — aufnehmen, die er Schwab in einem Briefe vom 12. Januar 1832 sendet (!). Am 24. Januar stellt er Schwab sogar anheim, es aufzunehmen oder nicht; jedoch solle die Unterdrückung nur aus « ästhetischen Grün- den » geschehen (82). Den Mut des Wagnisses, den allgewaltigen Staatskanzler als einen gemeinen Tyrannen zu brandmarken, an dessen Grab das Vaterland einst mit Lachen und Singen (Vs 25) Wache halten werde, wollte der Dichter keinem Verdachte ausgesetzt sehen. Noch in seinem letzten Lebensjahre sprachen « Zorn und Wehmut aus ihm, wenn er auf das Metternichsche Regiment und die tiefgehende, allgemeine Niedertracht und Korruption zu (4) H. BıscHoFF, Ungedruckte Briefe und Briefstellen von Lenau an Gustav und Sophie Schwab. (Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung, A910. Nr 49, 5. 391.) 200 AUSFAHRT. sprechen kam. Da ballte sich seine Faust, sein freiheitglühendes Herz hob sich, und sein Auge loderte helle » ('). Diese zwei politischen Gedichte Lenaus, die auch einzeln als Flugblatt erschienen (?), gaben Anlass zu langen schriftlichen Auseinan- dersetzungen mit den schwäbischen Freunden, sogar zu aller- dings rasch beigelegten Misshelligkeiten Lenau sandte das Flugblatt an 21. Januar an Mayer, dieser übergab es Kerner. In Kerners Hause schrieb der Pfarrer von Neuenstein sich das Gedicht In der Schenke ab und überlieferte es ohne Wissen Kerners und Lenaus dem Schriftleiter des radikalen Volksblattes Der Hochwächter, Rödinger, wo es am 17. Januar erschien, mit der fatalen Bemerkung « von dem edlen Ungarn Lenau ». Hierdurch sah der Dichter seinen Decknamen preisgegeben, er kam sich vor wie « jener vernarrte Ballgast, der eine I arve auf dem Gesichte trug, während ihm ein Schalk seinen Namen auf den Buckel geheftet hat » (sı), und was er davon befürchtete — Untersuchungsprozess, Geldstrafe, Untersagung jeder künf- tigen Reise ins Ausland, strenge Aufsicht der österreichischen Polizei —, setzt er Sophie Schwab im Briefevom 2%. Januar 1832 eingehend auseinander. Mayer und Schwab konnten nicht anders als den braven Kerner der Missetat zu verdächtigen. Dieser wehrte sich energisch : « Derjenige, der dies sagt — ich hätte Niembschs Polenlied den Hochwächtern überantwortet — ist ein infamer Lügner » (®). Diese Hochwächteriade durchzieht die Briefe Lenaus an Schwab vom 2%. Januar und 16. Februar, die (!) AUERBACH, Der letzte Sommer Lenaus. (Deutsches Museum, I, (1851), S. 56.) Schurz (ll, 172), der den Bericht Auerbachs wiedergibt, unterdrückt diese Stelle. (2) Politische Gedichte von Nikolaus Lenau. (Separatabdruck aus Mikrokosmus. Eine polemische Zeitschrift für Staaiskunst und Staatsrechts-Wissenschaft hrsg. von Dr H. Zoepfl.) 4 SS. 8°, () Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung, 1910. Nr 49, S 392. AUSFAHRT. 201 Briefe an Mayer vom 28. Januar “und 5. Februar, die Briefe Mayers an Lenau vom 25. Januar und 3. Februar ('). Eine ergiebige Quelle neuer subjektiver Dichtung, neuer Liebeslyrik eröffnete sich dem Dichter zu Ende des Jahres 1831 in Schwaben. Gepaart gehen die eben besprochenen Herbstlieder und politischen Gedichte mit den ersten Liedern an Lotte Gmelin. (1) Schurz schrieb in dem erwähnten Exemplar der Gedichte Lenaus einige diesbezügliche Briefstellen ab, die Roustan veröffentlicht in der Revue germanique, v1, 315 £. RX Lotte Gmelin. Das Erlebnis. — 1. Teil. Ende August bis Ende Dezember 1831. Am 9. August 1831 war Lenau in Stuttgart eingetroffen, und bereits am: 22. begann der berühmte Liebesroman mit Frau Schwabs Nichte. In der besten Absicht, die Dämonen des Unheils, die kurz nach seiner Ankunft in Schwaben wieder über den Dichter hereinbrachen, auf immer zu bannen, wohl auch weil sie seine Äusserungen ernst nahmen : in Schwaben müsse man Lust bekommen zu heiraten, er wolle sich dort ankaufen (t), führten die Schwabs ihm das « herrliche Mäd- chen » (70) zu. Gegenseitiges Wohlgefallen entwickelte sich schnell zu ernster Liebe. Bereits bei der dritten Zusammen- kunft, Anfang September im Hause Schwabs, ist der leichtent- zündliche, von dem « göttlichen Gesang » (70) Lottes überwäl- tigte Dichter, der kurz vorher seinem Schwager geschrieben, er könne sich schwerlich in eine Schwäbin verlieben (64), ganz Feuer und Flamme. Sobald Sophie Schwab sich von dem Ernste seiner Neigung überzeugt, vermittelt sie häufigere Zusammen- künfte. Sie findet es ganz richtig, dass Lenau Lotte nichts von seiner Neigung äussert, dass er wünscht, sie solle frei bleiben, bis er in der Lage sei, um sie werben zu können. Tatsächlich (1) Brief von Sophie Schwab an Lucie Meier vom 15. September 1831. ERnsT, S. 105. LOTTE GMELIN. — 1. TEIL. 203 verriet Lenau Lotte gegenüber seine Liebe mit keinem Worte. Zwar ist er von vornherein nicht so fest zur Entsagung ent- schlossen, wie er dies in späteren Briefen an Schurz, Mayer, Klemm u. a. angibt, auch ist der Grund dieser Entsagung, nämlich die Schwermut, die er immer wieder in den Vorder- grund rückt, nicht der alleinbestimmende. Schon seine missliche äussere Lage, die er den Schwabs, die ihn für reich hielten, nicht gern offenbaren wollte, verbot ihm einen sofortigen Entschluss. Das Vermögen, das ihm die Gross- mutter hinterlassen, war infolge unglücklicher Spekulationen in Wien vielleicht schon auf die Hälfte zusammengeschmolzen, als er die Kaiserstadt verliess. In Österreich war ihm vorläufig alle Aussicht auf eine Lebensstellung versperrt, und so hatte er schon in Wien mit einem Astronomen und einem Baumeister, denen auch die österreichische Politik unerträglich, den Plan gefasst, nach Amerika auszuwandern (!\. Er dachte sich diese Reise zunächst nicht als poetische Ausbildungsreise, sondern ging von ganz praktischen Gesichtspunkten aus. Er wollte den Rest seines Vermögens auf einen Landkauf in Amerika ver- wenden, der reichliche Zinsen tragen sollte, und eine Professur der Pathologie und Psychologie in Philadelphia erstreben (?). Im Hinblick auf diesen Lehrstuhl wollte er sich eiligst in Würz- burg oder Heidelberg den Doktorgrad erwerben und entschied sich für Heidelberg, um den schwäbischen Freunden näher zu sein. Unter diesen Umständen konnte er sich in Stuttgart nicht voreilig binden, ganz abgesehen davon, dass er sich in seinem Innern nicht glücklich genug fühlte, um Lotte glücklich zu machen (70, 79). Trockene Vernunftgründe für seinen Verzicht auf Lotte anzu- geben, widerstrebt dem Dichter Lenau. Er diehtet in seinen Briefen von dem « höheren Ernst des Lebens », der ihn ergrif- . (4) Brief von Sophie Schwab an Lucie Meier vom 1. November 4831. Ernst, S. 107. (2) Ebd., S. 107. 204 LOTTE .GMELIN. — 1. TEIL. fen, von der tieferen Sehnsucht nach einem höheren Dasein als dem an der Seite eines geliebten Weibes, von dem Mangel an Mut, diese « himmliche Rose an sein nächtliches Herz zu heften » (s7), von dem Dämon des Unglücks, der ihm eine rauhe Pelz- oder Narrenkappe über die Augen werfe, sobald er merke, dass ihm ein schöner Stern aufgehen wolle (9). Auch sein tiefverletztes Innere führt er an, in dem eine Schne zerrissen sei, die wohl nimmermehr ganz werde (87). Von diesen poetischen Gefühlsgründen, die wohl mitbestimmend, jedoch nicht ausschlaggebend gewesen, haben die Biographen meistens nur den letzten festgehalten und erklärt, dass die unglückliche Liebe zu Berta Hauer die entscheidende Ursache seines Ver- zichtes auf Lotte sei. Wie tief auch die Wirkung dieser Jugend- liebschaft gewesen, so war sie doch hier nicht allgewaltig. Neben den zahlreichen Gefühlsgründen, die Lenau nicht müde wird in seinen Briefen zu variieren, steht nur eine schriftliche Ausserung, die den materiellen Hauptgrund der Entsagung angibt : « Meine Lage ist auch zu beschränkt und ungewiss », schreibt er am 8. November 1831 Sehurz (70). Eine münd- liche Ausserung überliefert Th. Kerner (') : Lenau habe Justi- nus Kerner gestanden, er sei auch zu arm, um Lotte dauernd an sich zu heften. Ein zweites gleichlautendes, mündliches oder schriftliches Geständnis machte er dem Freunde J. Klemm, der in seinem Briefe aus Paris vom 6. Januar 1832 hierauf ant- wortet (?). Am Tage seiner Immatrikulation in Heidelberg schreibt er an Schwab, dass die ihm liebsten Frauen auf und leider unter der Erde : seine verstorbene Mutter, seine Schwester Therese, Sophie Schwab und Lentula (Lotte) wohl nie zusammenkom- men werden (69). Zum ersten Male deutet er hier den Verzicht auf Lotte an. In kurzen Zwischenräumen, vom 5. November (1; Das Kernerhaus und seine Gäste, S. 14. (2) ScHurz, I, 137. LOTTE GMELIN. — 1. TEIL. 205 bis zum 19. Mai, erfolgt nun eine Reihe ähnlicher, sich stets schärfender schriftlicher Entsagungen. Am 8. November antwor- tete Schwab auf Lenaus Brief bezüglich Lotte : « Lentula, divina virgo, ist viel bei uns, und schaue sie ganz tuis oculis an; sie ist sehr freundlich und liebenswürdig und wandelt aus und ein mit ihrem elastischen Gang » (*). Ein Brief Lenaus glei- chen Datums an Schurz bringt einen eingehenden Bericht über. den Anfang des Verhältnisses mit der zweiten Andeutung, dass er zur Entsagung entschlossen sei, und dem Geständniss, dass diese ihn hart ankomme (70). Drei Tage später, am I1. Novem- ber, schreibt er einen ausführlichen Brief an Sophie Schwab voll überschwenglicher Verehrung für Lotte. Der Fremde, der ihm einen Brief von Schwab bringt, hat 24 Stunden in Lottes Zauberkreise gestanden, er hat sie singen gehört, ja sie begleitet und ist dadurch geheiligt für das Herz des Dichters. Er beneidet den Mond, der bei einem Abendspaziergange Lottes Gesicht küssen durfte, er sieht sie bei der Einleitung zum Fidelio, wie sie, die Holdselige, ihr liebliches Antlitz neigt und mit seliger Ergebung versinkt im Strome der Wonnen und Schmerzen. Trotzdem betont er wieder die Furcht vor einer Verbindung, und Lotte ist ihm starr, streng und strafend im Traume erschienen (72). Am 41. November antwortete er Schwab auf seinen Brief vom 8. d. M., wie es ihn freue, dass Lentula in die Lücke eingetreten sei, die er im lieben Hause zurückgelassen ; dies sei eine süsse Beziehung, in die sie dadurch zu ihm getreten sei (71). Die tiefste Schwermut atmet der Brief vom 15. November an Kerner; es ist ein verzweifelter Hilferuf aus gequälter Seele (73). Trost spendet Sophie Schwab am 17. und sendet eine Locke von Lottes Zopf : « Aber nun lege ich ein Geschenk bei, dessen Raub mir viel Mühe und Schlauheit gekostet hat, nämlich eine. Locke von Lottes Zopf, die ihr erst heute ganz unver- (4) Ungedruckter Brief in Privatbesitz zu Wien. Siehe H. BisCcHOFF, Lenau und Lotte Gmelin nach neuen (Juellen. (Kölnische Zeitung, A914, Nr 51, 58.) Par Es 206 LOTTE ‚GMELIN. — 4. TEIL. merkt entwendet worden ist. Drehen Sie eine Kette daraus, aber nicht zum Hängen, dazu reicht es nicht. Morgen kommt sie zu mir, da werde ich ihr allerlei von Ihnen erzählen » (!). Erneuten Ausdruck des Verzichtes bringt der Brief an Mayer vom 1. Dezember (74). Wichtige Mitteilungen erhalten wir in einem Briefe Sophie Schwabs an ihre Bremer Freundin vom 25. Dezember (?). Lenaus Verhalten bringt den Schwabs schlaf- lose Nächte. Sie entschliessen sich, die Liebenden nicht mehr zusammenzubringen, wenn Lenau seine Schwermut nicht bemei- stern könne und diese ihm gleichsam über die Liebe gehe. Sophie möchte es vermeiden, dass das Mädchen Hoffnungen nähre, die nicht erfüllt werden können. Sie fürchtet für die (remütsruhe Lottes und gibt damit ein unzweideutiges Zeugnis ab, dass Lotte Lenaus Neigung erwiderte (?), was sie auch einmal mit der Bemerkung andeutet, dass er « etwas ganz Unwidersteh- liches » habe (*). Am Christabend trifft Lenau bei den Schwabs ein und ist sehr betreten, Lotte dort nicht anzutreffen. Er sehnt sich nach ihrem Umgange, ohne gesonnen zu sein, einen Schritt weiter zu tun. Den sachlichen Grund seiner Unentschlossenheit lässt er zum ersten Male den Schwabs gegenüber durchblicken : er fürchtet einen bedeutenden Teil seines Vermögens zu ver- lieren. Den Gefühlsgrund rückt er jedoch wie immer an erste Stelle : er muss in seinem Innern glücklicher werden, um Lotte } glücklich zu machen. Weiteres erfahren wir aus einer von Ernst nicht aufgenommenen Stelle dieses Briefes : « Niembsch und Mayer kamen gestern Abend zurück, er las mir eben ein sehr schönes Gedicht vor von einem Geier, der ein Lamm zerfleischt (°), und meinte, es sei eine Allegorie, die ich wohl (1) Kölnische Zeitung, AY4, Nr 51. (2) Ernst, S. 61 ff. (©) « Ob sie Lenaus Neigung erwiderte, ist nicht zu sagen », meint Castle (S. 43). Reynaud (S. 179) gibt dies zu, mit der Erklärung : « une jeune fille pure s’&prit de lui, pour ses-crimes pass&s, pour les nombreuses vietimes qui marquaient sa route ». (4) ERNST, S. 107. (8) Die MEN, 1. Gesang, Vs 16-30. LOTTE GMELIN!. — 1. TEIL. 207 zu deuten verstehen werde. Es tut mir sehr wehe! — er möchte immer gerne von Lotte reden, und ich vermeide es, da findet er mich kalt und alles ganz verändert, könnte man sich nur manchmal eine kleine Rinde von Eis ums Herz binden, man käme leichter.durchs Leben. Ich will nur sehen, ob er einen Besuch bei meiner Schwägerin macht, oder ob er wieder geht, ohne Lotte zu sehen. — Verzeihe mir, dass ich Dir so viel von der Geschichte vorschwatze, wenn Du aber beide kenntest, so würdest Du es gewiss verzeihen. Dein Ausspruch gilt auch für ihn, viel Licht und viel Schatten, — aber dieser Schatten macht nur ihn unglücklieh — mit seinen herrlichen Gaben, die ihm die Natur verliehen hat, und die ihm alle Herzen gewinnt. Ich sehne mich unbeschreiblich nach meinem lieben Mann, gegen den allein ich mich ganz über diese Sache aussprechen kann. So schwer es uns wieder wird, ihn scheiden zu sehen, so wünsche ich doch nicht, dass er lange hier bleibt, ich glaube unsere allerseitige Gesundheit würde darunter leiden. » In welch peinlicher Verlegenheit die Schwabs sich befanden, geht daraus hervor, dass sie Lenau bei seiner Ankunft zu Weihnachten zunächst einen Besuch bei Lotte widerrieten. Als er sich zu diesem Opfer bereit erklärte, empfanden sie dies als schmerzlich für Lotte und ihre Mutter und befürworteten den Besuch. Bei demselben fiel es Lenau auf, dass Lotte etwas traurig aussah, und dies machte einen solchen Eindruck auf ihn, dass er mehrere Tage gar nichts ass und ganz betrübt war. So meldet Sophie Schwab ihrer Freundin am 15. Januar 1832 ('). Sie hatte auch noch niemand. gesehen, bei dem alle Eindrücke so tief gingen (?), und er gestand ihr, dass die Willenskraft sein schwächstes Vermögen sei (?). Verständnis für seine Seelenstimmung zu dieser Zeit fand Lenau nur bei K. Maver. Von hoher Bedeutung ist sein Zeug- (t) ERNST, S. 64. (2) Ebd., S. 106. () Ebd., S. 118. 208 LOTTE GMELIN. — 1. TEIL. nis: « Mich erfasste damals ein unendliches Mitleid mit seiner weichgeschaffnen Seele. Ich wusste nicht, welcher Wellenschlag sie auch jetzt, in einem so entscheidenden Augenblick, hindre, sich einem für Glück erkannten Ziele zuzuwenden; aber ich sah, die innern Schwankungen konnten mit dem Hindernisse nieht fertig werden; die Kluft zwischen seinem Herzen und seinem Glücke trat mir, ohne dass ich um das Warum ? gefragt hätte, in überwältigender Macht vor die Seele (S. 73 f.). Lotte erscheint in den meisten Darstellungen als das herrlichste Mädchenbild, das dem Dichter auf seinem Lebenspfade begeg- nete. Frisch steht ihr Bild in der Lenauforschung, wie Grün es gezeichnet : « War ein weibliches Wesen je geschaffen, ein irdisches Dasein zu beglücken, so war es dieses herrliche Mäd- chen, welches mit einem blühenden, äusserst anmutigen Aussern die edelsten Vorzüge des Geistes und Gemütes, vielseitige und tiefe Bildung in reichster Frische in sich vereinigte » (S. 30). Von diesem Idealbilde ist nur ein Zug durch die Zeugnisse der Zeitgenossen sicher bestätigt, nämlich « die edelsten Vorzüge des Gemütes ». Eine Schönheit war sie zunächst nicht, das wissen wir von den zuverlässigsten Zeugen, von Sophie Schwab: « Lotte ist ein liebliches Mädchen, ohne eine Schönheit zu sein » (?), und von dem sonst sehr für Lotte schwärmenden J. Klemm : « Sie ist nicht das schönste Mädchen, das ich kenne, und auch in Stuttgart sah ich mehr als ein anderes, das meinen Augen mehr gefiel » (?). Lenaus eigene Beschreibung an Schurz (70) hebt vielmehr das « edle, deutsche, fromme Gesicht » als das schöne hervor. Die « vielseitige und tiefe Bildung » rühmt ihr kein Mitlebender nach. Am besten trifft Lenaus eigene Schilderung mit allen Zeugnissen überein, die wir über sie besitzen. Er betont das Kindliche, Fromme, Edle, Gütige und Liebliche an ihr. Fühlte er nicht instinktiv, dass diese Eigen- schaften an einem Weibe nicht genügten, um seine Seele auszu- (4) ERNST, S. 63. (2) ScHurz, I, 137. LOTTE ‚GMELIN. — 1. TEIL. 209 füllen? Hat nicht die Wirklichkeit den baldigen Beweis gebracht, dass es ganz andere Eigenschaften waren, die einen Lenau dauernd an ein Weib fesselten ? Der ärztlichen Wissenschaft verdanken wir eine neue Lösung des Lotteproblems. Zu Ende des Jahres 1831 soll Lenau an einer geschlechtlichen Ansteckung erkrankt sein, die ihn, wie er als Arzt (!) wusste, für die nächsten Jahre und vielleicht für immer untauglich zur Ehe machte (!)! Schon vor Rahmer war die medi- zinische Forschung über Lönau von dem Gedanken beherrscht, dass er ein Syphilitiker gewesen, nur galt bisher als Zeitpunkt der Ansteckung der kurze Aufenthalt in Bremen, unmittelbar nach der Amerikareise. Rahmer weiss ganz bestimmt, dass die syphilitische Erkrankung gegen Ende 1831 erfolgte. Nun fällt auf einmal ein helles Schlaglicht auf Lenaus ganzes Leben und Dichten, nicht nur auf seine Haltung Lotte gegenüber, sondern auch auf die zu Sophie Löwenthal, auf den Entschluss der Amerikareise, auf Lenaus Schwermut, auf seine melancholische Dichtung und nieht zum mindesten auf sein trauriges Ende, das die unvermeidliche, durchschnittlich nach zwölf Jahren eintre- tende Folge der Lustseuche ist. Über die rein medizinische Beweisführung mag Rahmer sich mit seinen Kollegen vom Fach auseinandersetzen, welche die ausschliesslich syphilitische Natur der Hirnparalyse bestreiten (?). Die zwölfjährige Frist erscheint in des Verfassers eigener Darstellung als höchst zwei- felhaft, noch haltloser ist die psychologische Herleitung, die wir allein berücksichtigen. Rahmer stellt eine Anzahl von Ausse- rungen Lenaus über seelische und körperliche Leiden zusam- men, die sich erstens aus jedem beliebigen Zeitraum von Lenaus leben, und zwar noch viel eindrucksvoller, zusammen- (1) RAHMER, S. 67, 69, 75, 77. (2) J. NEUMANN, Syphilis. (Bd XXIII von NOTNAGELS spezieller Pathologie und . Therapie. Wien, Hölder, 4896, S. 590 ff.) 14 210 LOTTE GMELIN. — 1. TEIL. stellen liessen, die zweitens nicht einmal die Zeit der ver- meintlichen Ansteckung berühren, sondern aus den Jahren 1833-1834 gegriffen sind und folglich vom Verfasser selbst nur auf sekundäre Erscheinungen der Krankheit ‘gedeutet wer- den können, die drittens teilweise geradezu zu einem Gegen- beweis angeführt werden könnten, wie die am 5. Dezember 1834 Emilien von Reinbeck gegebene Erklärung (S. 73 f.), das Ganze sei vielleicht nieht so schlimm, wie es ihm vorkonme. Schlagend ist der Gegenbeweis im allgemeinen aus der Zeit der primären Erscheinungen zu führen, d. h. aus dem Anfange des Jahres 1831. Dies ist gerade, wie wir später sehen werden, die Zeit einer Wandlung Lenaus zu neuem Lebensmut, zur Heiterkeit sogar, zu reger Tätigkeit, und das einzige bezeugte physische Leiden istein « kranker Daumen », der Rahmer wohl entgangen ist, obwohl er leichter für seine These zu verwenden war als der bereits seit drei Jahren gefasste Entschluss der Ame- rikareise. Als Kuriosum sei hier zum Schlusse ein anderes Ergebnis pathologischer und sexualsymbolischer Untersuchung über Lenaus Liebesleben angeführt : « Warum der Dichter sich unfähig fühlte, sein Lottchen zu freien, ist durchaus klar. Ein zweites Mal konnte er der Mutter nieht mehr untreu werden, zumal so kurz nach ihrem Tode, da die erste Untreue (die Liebe zu Berta) noch so heftig brannte » (?). (4) J. SADGER, Aus Lenaus Liebesleben, S. 4. XXI Lotte-Dichtungen. Erste Reihe. November und Dezember 1831. Dein Bild. — Meine Braut. — Das Mondlicht. — Bitte. Wenn Lenau am 11. November an G. Schwab schreibt : « Neues ist nichts hinzugekommen; wird es aber noch, wie ich hoffe » (71), so dachte er an Lotte als neue Quelle seiner Dich- tung. Nach Art der romantischen Dichter pflegte er sorgsam bis zu Ende des Jahres 1833 diese Empfindung seines Gemüts- lebens, als ergiebigen Boden für seine Dichtung. Äusserlich zerfällt die Lotte-Dichtung in drei Abschnitte, deren erster die zwei letzten Monate des Jahres 1831 bilden. Erlebten Empfin- dungsgehalt in erfundenen Situationen bieten noch die Gedichte Dein Bild und Meine Braut, die in dem Althergebrachten der Umrahmung an die Berta-Lieder erinnern. Das Mondlicht und Bitte leiten über zu der-vollendeten Eigenart und dem tieferen Stimmungsgehalt der Schilflieder, die bekanntlich im Januar 1832 entstanden. Bestimmte Anhaltspunkte für die Chronologie dieser den Schilfliedern wahrscheinlich vorangehenden Gedichte haben wir zwar nicht. Ihre geringere Eigenart und Kunstfertig- keit erlaubt jedoch, sie den Schilfliedern voranzustellen, und wenn Lenau dem Freunde Schwab am 11. November eine neue Fruchtbarkeit ankündigt, so wird sich diese schwerlich auf die paar Herbstlieder und Polengedichte beschränkt haben. Zur poetischen Arbeit gab ihm auch der mit Cotta abgeschlossene Vertrag einen Sporn. Wir haben gesehen, wie Lenaus Briefe 242 LOTTE-DICHTUNGEN. — 1. REIHE. aus dem November und Dezember von Beteuerungen seiner Liebe zu Lotte überströmen, wie die Schwabs ihm ihre Nichte « Lentula » in den lieblichsten Farben malen, sogar zu kleinen Künsten wie die Sendung von Haarlocken greifen, um das Feuer zu schüren, und was sie mit ihren Mahnungen, den Pudel Melancholie totzuschlagen, eigentlich meinten. Das Gedicht Dein Bild (») klingt an berühmte Muster an, von denen ich nur Goethes Jägers Abschiedslied und Heines Erklärung (*) erwähnen will. Ein lichtes, liebes, süsses Bild schwebt dem Goetheschen Jäger bei seinen Streifzügen im Felde vor, innere Unruhe quält ihn, während die Geliebte davon verschont ist. Dieser Gegensatz ist auch aus Lenaus Gedicht ‚herauszulesen, dem das Bild der Geliebten schön, süss und hold lächelt, während er von tiefer Leidenschaft (Vs 19) “ gequält, hoffnungs- und freudelos, sich nach dem tödlichen Abgrunde sehnt. Heine sitzt am Meerestrand, seine Brust schwillt auf wie das Meer Und sehnend ergriff mich ein tiefes Heimweh Nach dir, du holdes Bild, Das überall mich umschwebt Und überall mich ruft, Überall, überall, Im Sausen des Windes, im Brausen des Meers, Und im Seufzen der eigenen Brust. So umschwebt auch Lottes Bild Lenau überall, in der Abend- dämmerung, in der sternhellen Nacht, in den Wellen des Baches, im Gewitterhimmel. « In die Wetter hin » malt er des . Mädchens Züge, wie Heine an die dunkle Himmelsdecke schreibt: « Agnes, ich liebe dich! » Im wörtlichen wie im sinnbildlichen Sinne strahlt dem Dichter in Heidelberg Lottes Bild, so ferne, ihm, dem Hoffnungslosen (Vs 4), der trotz seiner tiefen Leiden- (4) Die Nordsee, 1. Zyklus, Nr 6. LOTTE-DICHTUNGEN. — 1. REIHE. 213 schaft nicht daran denken darf, es festzuhalten. Es ist der Gedanke der Entsagung, der die Briefe sowie die Gedichte vom Jahresende 1831 durchdringt. Die Erwähnung des gähnenden Abgrundes, in den das Bild den Dichter hinunterwinken will, leitet über zu dem tief melan- cholischen Gedichte Meine Braut (16). Sieht der Dichter die leichtgeschürzten Abendwolken im Strahlengold an der duftver- lorenen Grenze ferner Berge tanzen, scheint es ihm, als ob seine Braut dort in Schmerz seiner harre. Er möchte sie ereilen. Jedoch tritt die Dunkelheit ein, und die harte, durch den Sturm verkörperte Stimme der Natur ruft ihm zu : Heisser Narr, wohin? verzeuch ! Deine Braut heisst Qual, — den Segen Spricht das Unglück über euch! Es ist der Gedanke der Entsagung mit der besonderen pessi- “ mistischen Begründung, man fühle so wenig Glück in sich, dass man anderen keins abgeben könne, wie er uns entgegentritt in den Briefen an Schurz vom 8. November, an Sophie Schwab vom 12., an K. Mayer vom 1. Dezember und 15. Januar 1832, an Klemm vom 17. Februar, an Mayer Ende April und in einem Gespräche mit Sophie Schwab (t). « Düster und verwil- dert » war Lenau von Heidelberg gekommen, schreibt Mayer an Kerner am 18. Januar 1832 (?), und Kerner äusserte um dieselbe Zeit : « Wenn ein Meer mitten im Sturme mit haus- hohen Wogen plötzlich zu Stein erstarrte, könnte es nicht schauerlicher aussehen, als es in Niembschs Seele aussieht » (?). Wir wissen, wie die Not von Lenaus Seele dem Freunde Mayer um dieselbe Zeit als eine « wahre und dringende » vorkam. Durch eine mehr zurückgehaltene Empfindung, Sanftheit des (4) ERNST, S. 63. (2) Kerners Briefwechsel, Nr 386. (5) Tu. KERNER, Das Kernerhaus und seine Gäste, S. 149. 214 LOTTE-DICHTUNGEN. — 1. REIHE. Tones, Harmonie und feinere dichterische Verklärung zeichnet sich Das Mondlicht (11) aus, das Schwab sich nicht scheute neben Goethes leuchtendes Mondlied zu stellen. Die Szenerie hat auch nichts Herkömmliches mehr, der Mond, der mit seinem Strahlenspiel eine Brücke « stromhinüber » baut, der abwech- selnd lichtvolle und dunkle Fluss, jenachdem er vom Mondlicht erhellt wird oder nicht, sind nicht gemachte, sondern geschaute Naturerscheinungen. Lottes gedenkend, irrt der Dichter in Heidelberg einsam den Strom, den Neckar, entlang. Sehnsüchtig lechzt er nach einem Blicke von ihr, dem « süssen Mondlicht seiner Nächte » (Vs 23). Vielleicht erinnerte er sich dabei jener Szene, die er Sophie Schwab beschreibt : « Das waren die zwei Momente, wo ich Lotte am schönsten sah : als bei der Zumsteeg Beethovens Trauermarsch gespielt wurde, und als auf unserer Heimfahrt vom Bergheimer Hof ihr der Mond das schöne Gesicht küsste; dessen Küsse aber so leicht und kalt waren, dass ich das liebe Mädchen in ihren Mantel wickeln musste. Wär ich der Mond gewesen! ich hätte Lotte und das ganze Land so heiss geküsst, hätte in jener einen Nacht einen solchen Lenz und Sommer hervorgeküsst, dass die Sonne am andern Morgen erstaunt und beschämt hätte umkehren müssen und Lotte ihren Mantel zum Wagen hinausgeworfen hätte » (72). Auch die dunkle Bitte (15) an die Nacht : Weil auf mir, du dunkles Auge, Übe deine ganze Macht, Ernste, milde, träumerische, Unergründlich süsse Nacht! « wird gewöhnlich auf Lotte bezogen, trotzdem ihr allgemeiner Charakter keine besondere Beziehung erheischt. Immerhin liegt in dieser Meinung die andere zweifellos richtige, dass das Gedicht in der Lotte-Zeit entstanden. Lieder von solcher Form- vollendung und besonders von so tiefem Stimmungsgehalte, dass es nicht weniger als 152 Tondichter zum Tonsatz ange- LOTTE-DICHTUNGEN. — 1. REIHE. 245 regt (1), gelingen Lenau nicht früher. Das Lied klingt wie ein Vorspiel zu der sanften, geheimnissvollen Klage der Schilflieder. Die Todessehnsucht, die Lenau nie so poetisch und empfin- dungsvoll ausgedrückt : Nimm mit deinem Zauberdunkel Diese Welt von hinnen mir, Dass du über meinem Leben Einsam schwebest für und für. harmoniert namentlich mit Lenaus Brief an Mayer vom 1. De- zember. Seine Seelenverstimmung wird von Tag zu Tag ärger, er fühlt seine Kräfte schwinden. « Möchte es doch damit so fortgehen! » (74). Neue Nahrung erhielt die düstere Stimmung durch den Besuch bei Schwabs und bei Lotte um Weihnachten. Wenn eine solche Trauer lange gedauert hätte, schreibt er am 24. Januar 1832 an Sophie Schwab, so müsste er ja schon tot sein. « Mir war damals zu Mute, als würde ich aus dem Paradies — dem durch meine eigene Schuld verwirkten — gestossen auf ewig » (81). Die Weihnachtsnacht oder auch, wie wir gleich erfahren werden, die Neujahrsnacht dieser Zeit vereinigte in sich alle die Empfängnis eines solchen Gedichtes befruchtenden Reime. Der deutsch-böhmische Diehter Moritz Hartmann (1821-1872) erzählt, wie er einmal über Feld gegangen, als ein Windstoss ihm ein bedrucktes Blättchen Papier zutrieb, das Fragmente des Lenauschen Gedichtes An die Wolke enthielt. Diese machten einen so gewaltigen Eindruck auf ihn, dass er nicht ruhte, bis er, im Besitze eines Bandes Lenau, die erwachte Lust befriedi- gen konnte. Seitdem ward Lenau der Anreger und das Vorbild (4) ErnsT CHaLLıer, Grosser Liederkatalog. Berlin, E. Challier’s Selbstverlag, 1885-1910. Die Tondichtung seines Freundes K. Evers spielte Lenau fast täglich auf der Geige. 9316 LOTTE-DICHTUNGEN. — 41. REIHE. seiner eigenen Dichtung (!). Dass mindestens der letzte Zug dieses romantischen Berichtes wahr, beweisen seine Dichtungen. Das sechste Lied des Zyklus Die Flucht umschreibt Lenaus Bitte : Umhülle mich mit deinen dichten Schleiern Und drücke mich an deine Brust, o Nacht! Ich, der ich liebend oft mit dir gewacht, Ich bin von deinen allertreusten Freiern. Nicht Schlaf beschere mir, der schwer und bleiern, Nur in das Moos hier lass mich fallen sacht ; Dann lass sie wirken, deine ganze Macht, Mit Traum und Wahn, den sanften Schmerzbefreiern. Was ich von dir, begehr ich auch vom Leben. Nicht tatenloser Frieden, tote Ruh Sei jetzt mir und in Zukunft ınir gegeben. Es soll mich, schliess ich auch das Auge zu, Des Wachens ganze Fülle stets umschweben : Mein Leben sei, bildreiche Nacht, wie du. (Werke I, 339.) Bildreich erscheint die Nacht wirklich in Lenaus Gedicht. . Nachahmung ist auch das Lied von Betty Paoli : O dunkles Auge! zaubervolle Nacht, So reich an wunderbaren Wonneträumen! Du hast mein stürmisch Herz zur Ruh gebracht, Es sanft entführt zu klaren Himmelsräumen. Beglänzt von deiner ernsten, milden Pracht Schwebt es nun hin auf Ätherwolkensäumen Und hat nur einen Wunsch mehr noch zu wagen, Den einen nur: O mög es nimmer tagen! (2) (') Oskar DoNATH, Siegfried Klappers Leben und Wirken. (Archiv für slavische Philologie, XXX, 416.) Die Quelle des Berichtes gibt der Verfasser nicht an, er findet sich nicht in Moritz Hartmanns Gesammelten Werken, 40 Bde. Stuttgart, Cotta, 1874. (©) Berry Paouı, Gedichte. Stuttgart, Cotta, 1895, S. 40. - LOTTE-DICHTUNGEN. — 1. REIHE. 217 Im Briefe an Mayer vom 1. Dezember sandte Lenau ihm zugleich mit dem Gedichte In der Schenke, den ersten Gesang des Nachtstückes Die Marionetten. « Ein längeres Gedicht hab ich jetzt in der Arbeit, wovon die erste Abteilung fertig ist » (74). Am Weihnachtsabend las er diesen Gesang, Der Gang zum Eremiten, Sophie Schwab vor und bemerkte dazu, der ein Lamm zerfleischende Geier sei eine Allegorie, die Sophie wohl zu deuten verstehen . werde. Im Traum erschien ihm einmal Lotte, sah ihn starr an, so fest und streng und strafend, dass er erschrak und erwachte (72). Ein anderes Mal tritt sie zu ihm, Goethes Lied Vanitas! Vanitatum vanitas! singend, um Abschied zu nehmen. Er meint sterben. zu müssen vor Schmerz, und lässt sie doch gehen (79). In überzarter Gewissenhaftigkeit macht er sich, der nie ein Wort von Liebe zu Lotte geäussert, Selbstvor- würfe, dass er ihre Ruhe gestört. Er kommt sich vor wie ein Geier, der ein schuldloses Lamm aus seinem Jugendglück fort- reisst : Auf grüner Trift, erquickt vom Sommertage, Schuldloses Lamm, wie fröhlich irrtest du Mit deiner Weide friedlichen Genossen, Indes auf dich aus heitrer Lüfte Ruh Vormordend Geierblicke niederschossen ! Der Geier, stürzend sich in seinen Blick, Kommt plötzlich auf das Lamm herabgestossen Und reisst es fort aus seinem Jugendglück. (Die Marionetten, 1, Vs 18-25.) Die Trauer nach verlorenen Paradiesen (Vs 40) und die Melancholei (Vs 33) werden in diesem. ersten Gesang, der nur die Einleitung zur grausigen Dichtung ist, erwähnt. In der Folge will der Dichter, wie er am 16. Februar an G. Schwab schreibt, sich bemühen, « das Gemüt des Lesers allmählich hinauf- oder herunterzustimmen bis zur Empfänglichkeit für das Grässliche » (86). Übergenug grässlich ist in der Tat der Stoff, die Ausführung, der Grundgedanke. Zum Pessimismus gesellt 218 LOTTE-DICHTUNGEN. — 1. REIHE. sich der entsetzlichste Fatalismus. Die Menschen sind keine Wesen, nur tote Puppen in der Hand des Schicksals; die Drähte bewegt. kein freies, denkendes Wesen, sondern ein verrückter, greulicher Hanswurst. Einen Sohn des Grausens nannte G. Rein- beck Lenau (147) nach dem Eindrucke dieses schauderhaften Nachtstückes, das auf der Überfahrt nach Amerika vollendet wurde. Sophie Löwenthals Bemerkung von den « schlimmen Tagen in Heidelberg », Tagen, « die keinen Vertrauten hatten », und die Lenau stets als ein « Schreckbild » vor Augen standen ('), bezieht sich auf diese zwei letzten Monate des Jahres 1831, auch Lenaus Ausspruch zum Irrenarzt. Zeller von dem « Jammer » in Heidelberg, den er mit seinen Wahnsinnsausbrüchen ver- glich (?2). Als dem Wahnsinn nachgefühlt, erschien Mayer (S. 17) die unheimliche Einmischung der Marionetten in die tragische Handlung. Gewiss lag in der Liebschaft zu Lotte Gmelin ein äusserer Anlass zu gequälter Seelenstimmung vor. Er reicht jedoch nicht aus zur Erklärung von Lenaus Seelenjammer, um so weniger als die Trostlosigkeit bereits im Januar 1832 plötzlich in Lebens- und Arbeitslust umschlug, ohne dass eine wesent- liche Änderung im Liebesverhältnis eingetreten wäre. « Eine Stimmung wie die, welche sich hier ausspricht », bemerkt Betty Paoli bezüglich Grillparzers Gedicht Incubus, « wird durch keine äusseren Erlebnisse, und seien es die schmerzlichsten, hervorgerufen, sie erzeugt sich nur in den Tiefen der eignen Brust » (?). Wie treffend führt Grillparzer im genannten, Wort für Wort Lenau mitkennzeichnenden Gedichte dessen Satz vom unglückseligen Spürhund aus, der ihm richtig immer das melancholische Sumpfgeflügel der Welt aus seinem Verstecke jage (ra). Und wie genau passt auch auf Lenau alles, was Betty (1) Schurz, II, 34. (2) NIENDORF, S. 276. &) Berry Paouı, Studie über Grillparzer in : A. Sauer, Grillparzer Gespräche. (Schriften des Literarischen Vereins in Wien, I, 1904, S. 263-266.) LOTTE-DICHTUNGEN. — 1. REIHE. 219 Paoli von Grillparzer sagt. « Diesen Schmerz, der nichts anderes ist als das durch keine irdische Tröstung zu beschwich- tigende Verlangen nach dem Ideal, hatte Grillparzer mit zur Welt gebracht, und er blieb das ganze Leben hindurch sein untrennbarer Begleiter. Von den meisten wird sein Pessimis- mus auf Rechnung der schweren Unglücksschläge gesetzt, die ihn schon in seiner Jugend trafen. Unzweifelhaft haben sie dazu beigetragen, die Keime der Melancholie, die tief in seiner Seele lagen, rascher zu entwickeln; aber meint man etwa, dass sie unter glücklicheren Verhältnissen nicht gleichfalls, wenn auch später, zur Reife gelangt wären? Wer dies glaubt, kennt die menschliche Natur nicht. Alles uns Angeborene ist unverlilgbar; es kann eine Weile hindurch unterdrückt werden, doch immer und immer wieder bricht es hervor. Was uns widerfährt, ist nicht mehr als Material, das wir unserer Individualität gemäss verarbeiten, nur diese ist unser Schicksal — Schicksal schon deshalb, weil sie, als das notwendige Ergebnis bestimmter physiologischer und genetischer Vorbedingungen, durch keinen Willen und keine Einsicht umgestaltet werden kann. » a ; XXI Lotte Gmelin. Das Erlebnis. — 2. Teil. Januar bis Ende Mai 1832. Die Spannung, in welche die Liebesgeschichte die Schwabs versetzte, entlud sich am Neujahrstage 1832. Schwab machte Lenau bittere Vorwürfe über seine Haltung und beschuldigte ihn der « Liebelei ». Mit edler Ruhe konnte Lenau diesen Vor- wurf abweisen, den Schwab auch zurücknahm. Bei dieser pein- lichen Auseinandersetzung betonte der Dichter nochmals, dass er Lotte mehr als alles in der Welt liebe und verehre. Beim Abschiedsbesuche bei Lotte am 5. Januar, konnte er sich gar nicht losreissen und nahm von ihr « einen Eindruck mit, der sein ganzes Wesen durchdrang auf ewig » (75). Am Tage seiner durch Schwabs Zutun verspäteten Abreise, am 6. Januar, schrieb ihm Klemm aus Paris und empfahl die Heirat mit Lotte aufs wärmste an. Gewiss hat Lenau sich zum Freunde über sein geringes Einkommen als Hindernis der Heirat geäussert, da Klemm diesen Einwand zu widerlegen sucht (t). Am 7. Januar 1832 schreibt Kerner an Mayer : « Niembsch ist freilich auch ein grosser neuer Genius. Seine Stuttgarter Lie- beshändel kann ich gar nicht begreifen. Man sagt, die Schwabin habe ihm mit der singenden Nixe (?) keine Ruhe gelassen und (4) ScHurz, I, 138. (2) Nixe oder Nichte. Das Wort ist undeutlich geschrieben. LOTTE GMELIN. — 2, TEIL. 2941 eben gemeint, er müsse de facto einheuraten. Was soll er denn aber heuraten? und heuraten, da er allem nach noch an wunder irgendeiner unglücklichen Liebe schmachtet » (*). Am 13. Januar rät Kerner Lenau, er solle ledig bleiben wie der Mystiker Suso. Am 12. Januar bittet Lenau Schwab um Nachricht von der, die ihm « das Liebste ist auf Erden » (78). Gleichen Datums meldet er Schurz, der Roman sei etwas traurig geworden, so gäbe es kein Mädehen mehr, sie habe eine durchaus ideale Richtung, sei anbetungswürdig, er werde sie ewig lieben, wenn er anders ewig lebe. « Mein liebes Lottehen! o dass ich ihr nicht entsagen müsste! » (77). Ähnlich lautet seine Äusserung am 13. Januar zu Mayer : er habe versucht, die Neigung niederzukämpfen, es sei ihm jedoch bis jetzt schlecht gelungen, er liebe das Mädchen unendlich, aber sein innerstes Wesen sei Trauer und seine Liebe schmerzliches Entsagen (79). Am selben Tage sandte Sophie Schwab einen ausführlichen Bericht an ihre Bremer Freundin. Sophie meldet, Lotte sei alles sehr zu Herzen gegangen, sie wolle jedoch alle Hoffnung nicht aufgeben, so lange sie wisse, dass Lenau sie liebe. Schwabs, die jede Aussicht auf eine Heirat verloren, betrachteten es als ihre hauptsächlichste Sorge, Lotte nach und nach abzubringen, ohne dass ihr eine Bitterkeit zurückbliebe. Lenau selbst deutet auf eine Gegenliebe Lottes hin, wenn er am 21. Januar an Mayer schreibt, die Ruhe des Mädchens sei doch nicht durch seine stille Liebe gestört, er brauche Lotte nicht vor seinem Herzen freizugeben, er wolle diese Liebe bewahren, sie solle ihm sein Leben verschönen für alle Zeit. Derselbe Brief enthält eine von Mayer (S. 30) unterdrückte Stelle. « Schwab hat über die fatale Angelegenheit mit Uhlands gesprochen, und Uhlands Frau soll sich ziemlich hart über mich geäussert haben » (80). Bemerkenswert ist, dass zwei ausführliche Briefe Lenaus an (4) Der Brief, jedoch mit Unterdrückung der angeführten Stelle, bei K. Mayer, Ludwig Uhland, seine Freunde und Zeitgenossen. Stuttgart, Krabbe 1867, II, 418 f. — Original im Mayerschen Nachlass auf der Kgl. Landesbibiothek in Stuttgart. 222 LOTTE GMELIN. — 2. TEIL. Schwab und seine Gattin vom 24. Januar ganz über Lotte schweigen. Am 29. Januar reiste Lenau von Heidelberg nach Weinsberg zum Besuche Kerners und lebte dort « sehr glück- lich » (84) bis zum 10. Februar; darauf ging er wieder nach Heidelberg, wo er bis zum 1. März verblieb. Das Urteil von Emma Uhland ist wohl nicht so hart gewesen, als Lenau meinte. Es lässt sich als ein ziemlich sachliches vorausahnen aus dem Bruchstücke eines Briefes von Uhlands Gattin an Mayer, der vom 9. Februar 1832 datiert ist. Leider fehlt der zweite Bogen des Briefes im Mayerschen Nachlasse. Nachdem Emma Uhland ausgeführt, dass ihr Mann sich nicht gern in fremde Angelegenheiten einmische, fährt sie fort : « Überdies sind wir viel zu wenig über das Innere des Verhält- nisses mit L. G. unterrichtet, um ein bestimmt missbilligendes Urteil uns erlauben zu dürfen. Hat Niembsch, wie es scheint, (ich spreche nur für mich,. bin auch als Frau neugieriger, viel- leicht auch eben deshalb weniger unparteiisch als Uhland) gefehlt, indem er seiner Stimmung folgend Verhältnisse weni- ger berücksichtigte, die er ernster hätte wägen und prüfen sollen, und hat er durch das Kundgeben seiner Empfindungen, die... » (?). Hier bricht der Brief ab. Eine feine Zurückhaltung beobachtete Lenaus bester Freund, K. Mayer, in der Angelegenheit. Lenaus Familie in Wien, so meldet Sophie Schwab am 25. Dezember 1831 ihrer Freundin, sei von seinem ganzen Leben unterrichtet und wäre sehr erfreut, wenn er sich zur Heirat entschlösse (?). Der Schwager A. Schurz fand den Roman « köstlich », wie Lenau selbst im Briefe vom 12. Januar 1832 an ihn erwähnt. Am 47. Februar antwortet Lenau ausführlich auf Klemms Brief vom 6. Januar. Ein Leben an der Seite eines solchen Weibes sei freilich das Beste, das man wünschen könne; er sei (1) Mayer (S. 95) veröffentlicht ein Bruchstück des Briefes, das gerade vor dieser Stelle abbricht. (2) ERNST, S. 63 LOTTE GMELIN. — 2. TEIL. 223 jedoch dafür verloren. Es mangle ihm an Freudigkeit des Her- zens, um zu heiraten. Sein Innerstes sei durch die Klemm bekannte « fatale Geschichte » tief verletzt, bei ihm sei die Zeit der Liebe vorüber, weil der Ernst des höheren Lebens ihn ergriffen und die tiefere Sehnsucht nach einem anderen Dasein. « Versuchen wir es aber, uns einzuschliessen in die Hütte der Liebe, so wird jener Ernst an die Türe kommen und pochen, und wir werden uns losreissen aus den Armen des liebenden Weibes, das seinen süssen Traum noch nicht ausgeträumt hat, und sie wird weinen und unglücklich sein » (87). Er will sich abwenden von dem sehönen Bilde oder es lieber mit dunklem Flor behängen. Nirgendwo hat der Dichter die poetischen Gefühlsgründe stärker, einseitiger betont als hier. Den Monat März bringt Lenau grösstenteils bei Kerner in Weinsberg zu. Am 11. März schreibt Kerner an Mayer : « Nach Stuttgart wird er bald auch kommen, obgleich man ihm dieses durch die dumme Mädchengeschichte sehr verhasst machte » ('). Sehr auffallend erscheint es nun, dass Lenau, der, vom 17. Fe- bruar an, Lotte in seinen Briefen mit keiner Silbe mehr erwähnt, der vom 5. November bis zum 17. Februar siebenmal ausdrück- lich betont, er sei entschlossen, ihr zu entsagen, sofort nach seiner Ankunft in Stuttgart, Ende März, den Versuch macht, den abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen. Der Umschwung bestand darin, dass er sich sagte, er sei zu weit gegangen mit seinem endgültigen Verzichte auf Lotte. Er gewann um diese Zeit 1200 Gulden durch glückliche Spekulation mit Staats- papieren. Er liess sich mit einem Eintrag von 5000 Gulden in eine in Ulm gebildete Aktiengesellschaft zum Auswandern einschreiben, wofür er auf dem Papiere 1000 Morgen Land zum Anbau erhielt. Hiervon versprach er sich goldene Berge, nach einer « sicheren Berechnung » eine jährliche Rente von 3000 Gulden. (4) Die Stelle ist in den Drucken, in Kerners Briefwechsel (Nr 392) und bei MAYER (S. 57 f.) ausgelassen. 294 LOTTE GMELIN. — 2, TEIL. Sophie Schwab, welche die Amerikareise ebenso endgültig begraben glaubte wie die Liebschaft, war nicht wenig erstaunt, als Lenau ihr Ende März wieder von beiden vorschwärmte. Er beteuerte ihr nicht nur, dass seine Neigung für Lotte noch immer dieselbe sei, sondern auch, dass er sich jetzt « ganz besondere Hoffnungen » auf sie mache. Das einmal erschütterte Vertrauen der Schwabs wiederherzustellen gelang ihm jedoch nicht. Sie glaubten nicht an die Verwirklichung dieser Hoffnun- gen und blieben dabei, dass er Lotte nicht wiedersehen solle. « Die Geschichte hat uns viel Herzeleid gemacht, weil uns Lotte sehr dabei dauert, er darf sie auch nicht sehen, sie will es selbst nicht. Aber es ist sehr peinlich für sie, dass er auch wieder hier ist », schreibt Sophie am 27. März an Lucie Meier (AR; Während dieses neuen Stuttgarter Aufenthaltes von Ende März bis zum 22. Mai, dem Tage seiner Abreise nach Amerika, wohnte Lenau nicht mehr wie früher als Gast in Schwabs Hause, sondern im Gasthofe zum König von England. Lottes wegen war ihm dies lieb. Denn er konnte nun ungestört in der Nacht ihr Haus um- schleichen, unbemerkt unter ihrem Fenster stehn, hinaufblicken, wo sie schlief, und ihr heimlich seine ganze Seele zum Fenster hineinschütten. So schreibt er an Mayer in einem undatierten Briefe aus dieser Zeit und bricht in den Ausruf aus : « Freund, ich liebe das Mädchen unaussprechlich. » Eine neue Erklärung des Lotte-Erlebnisses bringt dieser Brief. Ihn, den Schreiber, « regiert eine Art Gravitation nach dem Unglücke » wie den Wahnsinnigen, den Schwab vergeblich zu heilen versuchte von seiner fixen Idee, von seinem Dämon. Auch er glaubt einen Dämon in sich zu beherbergen, sozusagen einen Dämon des Unglücks. « Merkt dieser Kerl je, dass mir ein schöner Stern aufgehen wolle, flugs wirft er mir seine rauhe Pelz- oder Nar- renkappe über die Augen. Du wirst mich verstehen. Halte Dich (4) ERNST, S. 74. LOTTE GMELIN. — 2. TEIL. 225 an diese Worte, und Du hast, glaub ich, den Schlüssel gefunden zur Erklärung einer gewissen Geschichte » (96). Nicht minder wichtig als diese Ausserung ist die Erklärung, die der abgebro- chene Schluss des Briefes bringt. Ein anderer Geist als der Dämon des Unglücks treibt ihn nach Amerika. « Ich will mir dort eine bessere Existenz schaffen und dann Lotten abholen, oder ihr hört nie mehr etwas von mir. » Die letzte halbe Zeile ist dick mit Tinte durchstrichen. Während Lenau den Brief im Gasthofe schrieb, trat Mayer bei ihm ein und verursachte die bedauerliche Unterbrechung. Klar geht Lenaus Umsehwung aus diesem Briefe hervor, ein ähnlicher trat um dieselbe Zeit bei Kerner ein. Der von der Heirat Abratende wird zum dringlichen Mahner. Am 23. April schreibt er an Lenau, er solle doch die « äusserst liebe Lotte » keinem Herrn aus Stuttgart lassen, er solle ihr seine Liebe gestehen, sie in Amerika im Herzen behalten und nach der Rückkehr einen Herd mit ihr bauen (). Merkwürdig traf Kerner damit Lenaus eigene Neigung. In seiner Antwort vom /. Mai ist keine Rede mehr von Entsagung : « Du hast mir viel Schönes von Lotte geschrieben, mich freut es, dass sie Dir so wohlgefällt. Sie gefällt mir auch wohl. Kaum aber zurückge- kommen von Tübingen, hat man sie mir wieder aufgegriffen und auf eine Blütenreise fortgenommen. Ja, sie ist wieder fort; und ich humple in Stuttgart herum, brummig und verdriesslich, manchmal auch wütig wie ein angeschossner Bär, und kratze mich sehr oft nach Art der wilden Tiere » (97). Der humoristisch scheinende Schlusssatz ist bitterer Ernst. Lenau, der wenigstens vorläufig den Gedanken der Entsagung überwunden und nun einen freien Verkehr mit der Geliebten wünschte, um sich gegenseitig besser kennen zu lernen und zu ergründen, geriet in förmliche Wut über das Verhalten der (4) Kerners Briefwechsel, Nr 396. 226 LOTTE GMELIN. 2. TEIL. Familie Lottes und lässt diese in einer von Mayer (S. 72) unter- drückten Stelle eines Briefes an ihn aus dem Monat Mai aus. Es ist nicht Lotte, die ihn hindert, zu Mayer nach Waiblingen zu kommen. « O man räumt sie mir ja aus den Zähnen, wie dem Hunde den Braten. Wenn nur nicht die Würmer drüber kommen, ich meine die Grabeswürmer. Sie sieht übel aus. Man ist mit rohen, fremden Tatzen hineingefahren unter die stillen Keime unserer Liebe. Ehe wir uns gegeneinander selbst geäus- sert hatten, sollte ich schon die Heiratsverträge schreiben. Einen ruhigen, absichtslosen Umgang der Liebe hat man uns nicht gestattet. Was sich am Ende von selbst gegeben haben würde, das wollte man mir vorhinein abnötigen. Alles Ideale wird von solchen Menschen totgeschlagen; vor den Eingang der Liebe, der doch so heilig und geheimnisvoll sein soll, wollen sie das Ehebett aufschlagen, und das Mädchen soll bereits an der Kinds- wäsche arbeiten, ehe sie ihrem künftigen Mann noch frei ins Auge gesehen hat. Die Lotte muss oder ist schon nach Tübin- gen. Wahrlich, Leute, die in ihrem Privatleben so despotisch sind, sollten weniger von Freiheit sprechen, oder gilt das ein- seitige Gefasel bloss für sie selbst? während sie mit ihrer moralischen Knute : Legalität, Sittlichkeit, deeorum, Familien- rücksicht, oder wie sie die Karbatsche sonst nennen, einen ehrlichen Kerl getrost hinaufknuten ? Ich muss abbrechen, sonst müsst ich in abscheuliche Deklamationen gegen das Volk losbrechen » (98). Ein ganzer Kulturgegensatz tritt hier auf- fällig zu tage. Man möge nun nicht aus diesem Briefe den Schluss ziehen, dass die Heirat sicher zu stande gekommen wäre, wenn Lottes Familie einen « ruhigen, absichtslosen Umgang der Liebe » gestattet hätte. Der Brief ist eben in einem vorübergehenden Anfalle übler Laune und gekränkter Eigenliebe geschrieben. Bereits am 19. Mai findet Lenau eine Entschuldigung für das hier so schroff verurteilte Verhalten. « Von meiner Lotte bin ich getrennt », schreibt er Schurz. « Das Mädchen hat die Sache sehr ernst genommen; und da ich keine Aussichten auf Heiraten LOTTE GMELIN. — 2. TEIL. 231 geben kann, jetzt gar nach Amerika gehe, ist die Mutter um die Gesundheit des sehr gefühlvollen Mädchens bekümmert und hält uns auseinander. Hilft aber nichts. Wir lieben uns doch und werden es immer tun, obwohl wir nie ein Wort davon gesprochen » (99). Wahrlich konnte Lenau seine Darstellung des Erlebnisses mit dem Schlusswort schliessen : « Das ist ein ganz eigenes Verhältnis » (9). Am 22. Mai verlässt Lenau Stuttgart. Lotte erwähnt er flüchtig in den Reisebriefen an Sophie Schwab vom 27. Juni und 25. Juli und bittet G. Schwab, ihn in seinem Herzen « in integrum zu restituieren » und allen Verdruss, den er ihm gemacht, zu vergessen, ganz und gar (113). Dass er Lotte in Amerika im Herzen behielt, bezeugt der Brief an Schurz vom 16. Oktober aus Baltimore : « Unter den Mäd- chen steht mein’ Lottchen immer noch obenan, wenn ich auch keine Hoffnung habe, dies je geltend machen zu können » (118). Dies war ihm um so leichter, da er das amerikanische schöne Geschlecht, wie er am 6. März 1833 dem Freunde Klemm mit- teilt, von einer fürchterlichen inneren Hohlheit fand und es nur darum loben kann, weil es seiner Ruhe niemals gefährlich werden könne (122). Schwabs erfahren, dass die Neigung zu Lotte sich in Amerika bei Lenau erhalten. Mit neuer Beklemmung sehen sie deshalb seiner Rückkehr entgegen. Aufs neue beginnt das Spiel mit Lotte. Sie wird jetzt bei Lenaus bevorstehender Rückkehr nach Ulm geschickt, damit sie nichts von ihm erfahre. Leicht über- zeugten sich Schwabs, wie Sophie am 29. April 1833 ihrer Bremer Freundin mitteilt, dass Lenaus unstätes Leben trotz seiner herrlichen Eigenschaften doch gar nicht geeignet sei, um ein einfaches Mädchen, wie Lotte es sei, glücklich zu machen (!). Von einem Versuche Lenaus, Lotte nach seiner Rückkehr wie- derzusehen, ist nichts berichtet. Wahrscheinlich ist ein solcher (4) ERNST, S. 126. 228 LOTTE GMELIN. — 2. TEIL. nicht, da seine Briefe aus dem Juli und August 1833 über das Verhältnis schweigen und seine letzte Mitteilung an Schurz wiederum einem Verzichte sehr ähnlich klingt. Auch war seine materielle Lage nach der Amerikareise ebenso « beschränkt und ungewiss » wie vorher. So endete das Erlebnis, das in der Dichtung bis zu Ende des Jahres 1833 fortwirkte. XXI Lotte-Dichtungen. Zweite Reihe. — Januar 1832. Schilflieder. — Winternacht. — Mein Stern. — Zu spät! — Nie zurück ! — Reiseempfindung. — Nach Süden. In etwas aufgeheiterter Stimmung verliess Lenau Stuttgart am 6. Januar 1832, um nach Heidelberg zurückzukehren. Nach dem heftigen Auftritt am Neujahrstage hatte Schwab, der sein Unrecht einsah, alles getan, dies wieder gut zu machen. Eine herzliche Versöhnung wurde am Abschiedsabende gefeiert, und der :« tiefe, warme Himmel der Freundschaft » (s1) leuchtete wieder. Das tiefste Verständnis für seine zartbesaitete Seele hatte Lenau bei seinem Freunde Mayer gefunden. Namentlich seine Schwermut, für welche die Schwabs nur ein Heilmittel : die Ehe mit Lotte, wussten, fand bei Mayer die innigste Teilnahme. « Das ist ein wunderbarer Mensch », schreibt Lenau am 12. Januar an Schurz, « einer der liebenswürdigsten, herrlichsten Menschen auf Gottes weiter Erde. Gleich bei unserem ersten Zusammentreffen hat er eine wahrhaft leidenschaftliche Liebe zu mir gefasst, welche ihm von meiner Seite getreulich erwidert wird » (77). Wir erwähnten, wie Mayer es auf sich nahm, den Kampf nicht nur gegen die schwermütige Gemütsstimmung Lenaus, sondern auch gegen seine zersetzende Philosophie und grübelnde Geistesschärfe zu führen, die er als die Quellen seiner Melancholie ansah, und dass er sich zu diesem Zwecke sogar 330 LOTTE DICHTUNGEN. — 2, REIHE. auf ein ihm bis dahin fremdes Gebiet, das der Philosophie, warf, um zugleich mit Vernunfts- wie mit Gefühlsgründen Lenaus Dämon bekämpfen zu können. Mayer allein verstand (‘) auch sein anscheinend so seltsames Verhalten in dem Liebesverhältnis zu Lotte. Heilend wirkte Mayer schon auf Lenau in dem kurzen Verkehr um Weihnachten und Neujahr 1831-1832. Er war, wie er Kerner mitteilt, so glücklich, Lenau mit ganz erheitertem Herzen, ja verschönerten Gesichtszügen scheiden zu sehen [?\, « Ich verspreche Dir », schreibt Lenau ihm aus Heilbronn am 6. Januar, « recht eifrig zu arbeiten an meiner Wiederherstel- lung, die Du zuerst in Gang gebracht hast » (75). Eine gleich milde, ruhige Stimmung wie diesen Brief durchweht den vom 12. Januar an G. Schwab und hier erfahren wir wiederum, dass diesmal das Lesen von Mayers Gedichten diese Stimmung beeinflusst : « Mayer hat mir einen Teil seiner Gedichte über- sendet. Es quillt ein so milder Balsam aus diesem Gemüte, so heilkräftig fliessen mir seine Worte in die Seele, dass ich mich ordentlich gestärkt fühle durch diese Lektüre. Ich lese mir diese Gedichte laut vor » (78). Lenau findet Freude an der Arbeit, er tut alles, um sich zu einem erträglichen Menschen zu machen, (!) Den Lenaupsychologen, die in seinem Komödiantentum den Schlüssel für die Erklärung seines Lebens und Dichtens gefunden zu haben glauben, möchte ich Mayers Zeugnis ($. 14) zur Prüfung empfehlen : « Man konnte sich am besten in dem Umgange mit dem Dichter selbst überzeugen, dass auch seine poetischen Klagen nicht auf erdichteter Trauer, nicht auf der Anheuchelung eines nicht vor- handenen Weltschmerzes beruhten. Er, in der Mitte seiner Erzeugnisse, konnte oft wirklich wie Laokoon den umstriekenden Schlangen eines schmerzlichen Nach- grübelns nicht wehren, daher wir auch diese von seinem ergreifenden Bild in Leben und Dichtung nicht hinwegdenken können und an dem uns eingeprägten Gesamteindruck seiner Erscheinung nicht verwischen möchten. Jene oben bezeich- neten Tage in Waiblingen (September 4831) waren mir Bürge für die Tiefe und die ernste Wahrheit der in Lenaus Dichtungen ausgedrückten Empfindungen, wenn es auch nach diesen poetischen Kundgebungen selbst noch einer solehen Bürgschaft bedürfte. » (2) Kerners Briefwechsel, Nr 386. LOTTE DICHTUNGEN. — 2. REIHE. 231 und bedauert, dass die Schwabs ihn zu Weihnachten in seiner « sauertöpfischen Qualität » zu geniessen hatten. Von seiner regen Tätigkeit, namentlich von der Arbeit an einem Operntext, der ihm einige hundert Gulden tragen soll, schreibt er gleich- zeitig an Schurz (77), in einem Briefe, dem auch nur der Schat- ten irgend welcher Gedrücktheit fremd ist. Eines solehen Aufatmens von lastendem Drucke brauchte Lenau, um die Schilflieder (1s) dichten zu können. Es bedurfte jedoch auch einer gewissen, wenn auch nur eingebil- deten Klärung des Verhältnisses zu Lotte selbst. Diese ward zunächst durch den Auftritt mit Schwab am Neujahrstage herbeigeführt, der mit Lenaus Erklärung endete : « Ich habe dich viel zu lieb, um von dir beleidigt zu sein, und deine Heftigkeit ist mir viel lieber als das drückende Schweigen, so hätte ich es nicht länger ausgehalten » (*). Von nun an, bemerkt Sophie Schwab, die dies in ihrem Briefe vom 15. Januar 1832 an Lucie Meier berichtet, « kehrte ein Friede in uns alle zurück ». Der letzte Besuch, den Lenau bei Lotte am Tage vor seinem Abschiede, am 5. Januar Nachmittags, machte, rief eine ganz andere Wirkung hervor als der Besuch zu Weihnachten. Lotte begnügte sich einstweilen mit der Versicherung, dass Niembsch eine wahre Liebe zu ihr empfinde. So lange sie dies wusste, wollte sie auch die Hoffnung nicht sinken lassen, meldet Sophie Schwab ihrer Freundin im eben angeführten Briefe. So ward dem letzten Besuche die Befangenheit und Gedrücktheit des ersten genommen. Die Schilflieder sandte Lenau am 15. Januar an Mayer « Hier erhältst Du, was ich seit meiner Ankunft aus Stuttgart gemacht » (79). Nun folgen, bemerkt Mayer (S. 25), die fünf Schilflieder und die Winternacht. Drei Tage vorher, am 12., schrieb Lenau an Schwab : « Hier übersende ich Dir noch einen kleinen Nachtrag in die Sammlung meiner Gedichte, mit der (1) ERNST. S. 64. 232. LOTTE DICHTUNGEN. — 2. REIHE, Bitte, solehen einzureihen nach Deinem Ermessen » (78). Dieser Nachtrag sind wohl auch die Schilflieder. Somit wären sie in der Zeit vom 7. bis zum 12. Januar in Heidelberg entstanden. Den Eindruck der Sendung schildert Mayer (S. 36) : « Man denke sich, welehen Eindruck die dem obigen Briefe angeschlos- sene Gabe der fünf Schilflieder auf mich machen musste ! War es Schmerz, Liebe, Naturgefühl, was sie ausklingen? Sie waren mir eine Musik, in der diese alle zu bezauberndem Wohlklang in einander fliessen ! » Jedoch machten die Lieder Mayer für de Gemütszustand Lenaus neu besorgt. Am 18. Januar schreibt er Kerner : « Ein Brief und wunderschöne Lieder, die er mir ganz kürzlich von Heidelberg sandte, lassen mich nur zu sehr befürchten, dass die alte Trauer und Mutlosigkeit sich wieder bei ihm einnisten, und ich‘ lebe um den Teuren in neuen Sor- gen » (*). Es waren jedoch viel mehr Lenaus Brief und das Gedicht Winternacht als die Schilflieder, die Mayer beunruhigten. Der Traum in der Nacht vom 14. Januar, in dem Lotte Lenau lachend und singend erschien, um Abschied zu nehmen (79), hat einen Hüchtigen Schleier auf sein Gemüt geworfen. Am 17. Februar sandte er die Schilflieder seinem Freunde Klemm in Paris. Das Verhältnis zu Lotte erreicht in den Schilfliedern den Höhepunkt der dichterischen Verklärung, die desto wahrer ist, je deutlicher die realen Unterlagen hervorschauen. Der Dichter « muss sein Liebstes meiden », Lotte, die Ferne (I, 10), strahlt hell und mild in sein stilles, tiefes Leiden, nimmer lächelt ihre Liebe nieder in sein tiefes Weh (ll, 7), sogar ihr « lieblicher Gesang » (III, 12), der den ersten Keim der Liebe in sein Herz gesenkt, und ihr « langes Haar » (IV, 11) werden mit einge- flochten. Unmittelbar wirkte die Diehtung Mayers auf die Schilflieder ein. Ein feines Ohr für die tausend geheimnisvollen Stimmen (!) Kerners Briefwechsel, Nr 386. LOTTE DICHTUNGEN. — 2. PEIHE. 233 des Lebens in der Natur kann ihm nicht abgesprochen werden. Seine Lyrik lebt von kleinen Naturbildern;. deutlich zeigt sich bei ihm die Richtung auf das Kleine, Zarte und Feine. Lenau nennt ihn im Briefe vom 1. Dezember 1831 « die Volksstimme der Natur », und seine Muse erscheint ihm wie « ein singendes Blatt » (74). Im Briefe an Schurz vom 12. Januar lobt Lenau Mayers liebliche Waldszenen, sanfte Naturhauche und hebt besonders die am stillen Weiher herumirrenden Rehe hervor, die er selbst im fünften Schilfliede auftreten lässt. Das Bild der am Hügel wandelnden Hirsche ist Mayer entnommen, der gern seine Naturbildchen mit einem badenden, durehs Grüne schlüp- fenden, voll Scheu um sieh blickenden Reh belebt, so in Wald- friede, Zurückhaltung, Des Waldes Tiere, Aufstörung (!). Ein häufig bei Mayer wiederkehrendes Bild ist auch das eines mondbeschienenen Waldsees. Er besingt « des Mondes Strahl im Waldesteich » (S. 83), « des Vollmonds Licht auf blauer Wellen Silberschaum » (S. 79), den « im Kreis von Wald und Binsen ruhenden kleinen See » (S. 56), den « regengrauen » See (S. 132, 133, 136), ein rauschendes Lüftchen im Rohr (S. 128), ein Schilfgespräch (S. 131) (?), die stille Weide (S. 146), den sonnigen See im Mairegen (S. 147), den klaren, abgrundsblauen Alpensee (S. 174). Auf manche dieser Gedicht- lein, die nach Lenaus Schilfliedern entstanden, mögen diese eingewirkt haben. Es sind jedoch genug dieser poetischen Genrebildehen vorhanden, die den Schilfliedern vorausgingen, und die Lenau vorgeschwebt haben können. Das Gemeinsame berührt allerdings nur einzelne Bilder, das ganz Ausserliche, das Innere ist grundverschieden. Bei Mayer ist die Einzel- erscheinung der Natur alles, bei Lenau nur Mittel zur Darstel- lung einer poetischen Idee. () K. Mayer, Gedichte, 3. Auflage, Stuttgart, Cotta, 1864, S. 56, 86, 104. (2) Ein ungarisches Volkslied beginnt, in der Übersetzung von M. Farkas (Unga- rische Volkslieder, Meyers Volksbücher Nr 843-844, S. 7) mit dem Verse : Am Teiche flüstern Schilf und Rohr. 234 LOTTE DICHTUNGEN. — 2. REIHE. Den Unterschied zwischen seiner und Mayers Naturdiehtung stellt Lenau selbst in einem späteren Briefe an Schurz (165) fest. Er tadelt dieses Herumspionieren, ob die Natur nicht irgendwo einen poetischen Anhaltspunkt biete, gleichsam eine Blösse gebe, wo ihr beizukommen sei. Bei dieser Manier lebe der Dichter gar zu sehr in der Aussenwelt, laure beständig auf Naturerscheinungen, an denen er am Ende bloss herumdeutle. Der Dichter müsse seine Gebilde im Innern und aus seinem Innern hervorschaffen, und die äussere Natur solle ihm nur aus der Erinnerung, die im Augenblicke der dichterischen Tätigkeit freilich zur fruchtbaren Anschauung werden müsse, gewisse Mittel « suppeditieren ». Die angeschaute und zum Symbol gewandelte Naturerscheinung solle nie Zweck, sondern nur Mittel sein zur Darstellung einer poetischen Idee. Der äussere Rahmen der Schilflieder ist nicht der Umgebung Heidelbergs entnommen, sondern er tauchte auf aus Erinnerun- gen an Lenaus Aufenthalt in Gmunden bei Schleifer. Unter den Seen des Salzkammergutes bietet der Laudachsee die meiste Ähnlichkeit mit der poetischen Schilderung. Die Landschaft wird dem Dichter in einer ihrem Charakter entsprechenden Gemütsstimmung zur « fruchtbaren Anschauung » in seiner « spelunca », einem « finsteren Hofzimmer » (s0) des Gasthofes « König von Portugal » in Heidelberg. Er « schafft » die Natur- bilder aus seinem « Innern » hervor. So schuf er auch seine Heidebilder in Wien, lange nachdem er sie gesehen, so schuf er die eigenartigsten seiner Amerikabilder nach der Rückkehr in Europa. Mayer (S. 37) bezeugt, dass Lenau seine Gedichte « nieht unmittelbar in der Natur, sondern im Zimmer unter Büchern, Schriften und Tabakspfeifen, oder wenigstens in den vier Wänden des dahinziehenden Reisewagens gemacht ». In den Schilfliedern erreicht Lenau die vollkommene Einheit zwischen Naturbild und menschlicher Empfindung, zwischen dem objektiven Symbol und der subjektiven Stimmung. « Das Menschenleben ist ohnehin nur ein Bild der Natur, wie es sich malt in den bewegten Wellen unserer Triebe », schrieb er am LOTTE DICHTUNGEN. — 2, REIHE. 235 8. November an Schurz (70). Die Betrachtung der Natur, meint Lenau, soll der des Menschenlebens vorangehen; so versteht er das menschliche Leben auch nur in enger Wechselbeziehung auf die Natur. Das Menschliche soll nicht in die Natur hinein- getragen werden. Es ist schon in der Natur, es ist naturgemäss, natureins. Die Grösse, die Eigentümlichkeit der Lenauschen Natursymbolik, wie sie in den Schilfliedern verwirklicht ist, liegt in der Unmittelbarkeit der Verbindung seiner Seele mit der Natur. « Niembsch », schrieb Sehurz an Mayer (S. 140), « will nicht das Ausdeuteln der Naturerscheinungen ; diese sollen nur Mittel, nie Zweck oder Gegenstand des Gedichtes sein. Der Dichter deutelt nicht aus wie der Naturforscher; er hat kein Mikroskop und Seziermesser; er rät und grübelt nicht; sei die Naturerscheinung, woher und was sie wolle, — ihm gleich, — er haucht ihr seine Seele ein, und sie ist ein Mensch, ein Wesen, ein Leben und keine Naturerscheinung mehr ». Zur Klärung von Lenaus Gemütszustand, wie er sich in den Schilfliedern ausspricht, trug auch viel das Studium Spinozas bei, das er in Heidelberg eifrig betrieb. Er erwähnt das Lesen Spinozas in den Briefen an Schwab vom 41. November 1831, an Sophie Schwab gleichen Datums, an Kerner vom 15. Novem- ber, an Mayer vom 1. Dezember (1), und seine Äusserungen über bessere Seelenstimmung in den Briefen aus dem Anfange des Jahres 1832 lehnen sich an Spinozas Lehre an. Trost, gerade für seinen Gemütszustand, konnte der Dichter in einer. Ethik finden, die auf die Beherrschung der Affekte hinzielt. Gut, lehrt Spinoza, im vierten Buche der Ethik, sind die positiven, das heisst die freudigen Affekte, schlecht die negativen, d. h. die traurigen. Die Gemütsheiterkeit ist eine fähige Stimmung und deshalb stets gut, wogegen die gedrückte und schwermütige Stimmung unfähig macht und deshalb immer (1) Werke IIl, S. 90, 92. 97, 99 236 LOTTE DICHTUNGEN. — 2, REIHE. schlecht ist. Unsere Macht ist die Herrschaft über die Leiden- schaften, unsere Ohnmacht die Herrschaft der Leidenschaften über uns, Daher muss der Wille den freudigen Affekten zustim- men und sie zu erhalten streben, er muss sie verewigen, den Schmerz hingegen vernichten. Die Verewigung des freudigen Affekts geschieht durch die Erkenntnis, dass alles in der Welt notwendig aus dem Wesen der göttlichen Natur folgt, durch die Erkenntnis der Einheit unseres Geistes mit dem Universum. Die Widersprüche der Affekte lösen sich auf in dem grossen und dauernden Einklang des menschlichen Geistes mit dem Weltall. Dies ist die philosophische Grundlage von Lenaus vorüber- gehender Ergebung in das Schicksal. Er begründet sie selbst mit spinozistischen Sätzen wie : « Aus dem Meere der Gottheit steigt die Seele auf und fällt wieder darein zurück. Der Gedanke ist so traurig nicht » (r2) oder « Der Tod wird uns alle wieder eintreten und kneten in den grossen Teig (der ewigen Substanz nach Spinoza), in den grossen Osterkuchen der Welt » (7). Er gesteht ausdrücklich, dass das einzige « Palliativmittel » gegen seine Schwermut Vertiefung in ein geistreiches Werk ist, und führt unmittelbar darauf Spinozas Schriften als solches an (74). Hier schöpft er den Entschluss, « eifrig zu arbeiten an seiner Wiederherstellung » (75), alles zu tun, um sich « zu einem erträglichen Menschen zu machen » (78), sich « aufzurafien, zu leben, zu arbeiten, zu handeln » (80). Wenigstens teil- weise auf den Trost, den ihm das Lesen Spinozas gewährte, ist auch die bei ihm so seltene Gemütsheiterkeit zurückzuführen, die er in der kurzen Zeit vom 21. Januar bis zum 16. Februar viermal erwähnt (8, 81, 85). Wie in den heiteren, ja mitunter humoristisch gefärbten Briefen aus dieser Zeit. ein einziger, der vom 15. Januar an Mayer, traurig klingt, so ertönt auch in Lenaus Dichtung der- selben Zeit, unmittelbar nach den milden Schilfliedern ein wilder Klageschrei, der Lenaus jähen Stimmungswechsel veranschau- licht, den er selbst so oft zugegeben, und den alle, die ihm nahestanden, so einmütig bekräftigen, LOTTE DICHTUNGEN. — 2. REIHE. 237 Das Gedicht Winternacht (20) sandte Lenau auch am 15. Januar an Mayer. Eine hübsche Erklärung würde die Annahme abgeben, dass die Verse noch im Dunstkreis des trüben Traumes geschrieben, in dem ihm Lotte erschien, singend : « Ich hab mein Sach auf nichts gestellt; juchhe! », und Abschied von ihm nahm. Der Traum in der Nacht des 1%. Januar erschütterte seine Seele heftig (79). Dann hätte Lenau jedoch das Gedicht am 15. Januar schreiben müssen, am selben Tage wie den Brief, und es nicht dem an Schwab vom 12. bei- gelegt, sondern ihm noch nachträglich geschickt ; bereits am 24. Januar erwähnt er es als Schwab zugesandt (s1). Die allge- meine Stimmung, aus der es hervorgegangen, ist jedoch ohnedies in den Briefen an Mayer vom 15. und 21. Januar genügend belegt, besonders in letzterem, wo Lenau mit Rück- blick auf eine bereits überstandene flüchtige Anwandlung von Schwermut schreibt : « Gemütskrankheiten lassen sich nicht plötzlich abschneiden; auch im Stadium der Rekonvaleszenz kommen noch kleine Zufälle, die aber vorübergehen; nur durch Schwankungen, die freilich immer schwächer werden, setzt sich die empörte Flut zur Ruhe. Verzweifle nicht an mir, mein teurer Freund ! » (80). Der Gegensatz zwischen dem « heissen, wildbewegten Her- zen » und der « vor Kälte erstarrten, feierlich schweigenden Natur » ist einer jener « Konflikte » zwischen Natur und Menschenleben, wie Lenau sie dem Dichter empfahl. Er tadelte deren Mangel an Feuchtersleben (*), während hingegen Feuch- tersleben, mit einem Stich gegen Lenau in einem Briefe an Mayer diesen lobte, weil er stets die Harmonie zwischen Natur und Menschengeist darstelle und der Natur nicht die vergängliche Farbe von dem Grübeln und der Leidenschaft des Dichters aufstreiche (?). (4) FRANKL, S. 60. (2) Mayer, L. Uhland, II, 166. 238 LOTTE DICHTUNGEN. — 2. REIHE. G. Schwab, der auf Lenaus Melancholie nicht gut zu sprechen war, da diese doch mit einem Schlage durch die Heirat mit Lotte geheilt werden konnte, tadelt den Schluss des Gedichtes, die « unbestimmte, ungeheure Herzensqual », die der Dichter zur Schau trage, eine Qual, « die wir nicht mitempfinden können, weil er sie uns nicht näher bezeichnet ». Die Melancholie rührt Schwab nur, wenn der Dichter sie « mit der Natur in Verbindung setzt ». Die « allgemeine, verschwim- mende Klage » der Lottedichtungen lässt ihn kalt (3, Wie für die Winternacht so kommen auch für zwei andere Gedichte Mein Stern und Zu spät vornehmlich die Briefe an Mayer vom 15. und 21: Januar in Betracht. Mein Stern (125) ist eine ganz getreue Widerspiegelung der Natur des Verhält- nisses zu Lotte Gmelin. Um meine wunde Brust geschlagen Den Mantel der Melancholei, Flog ich, vom Lebenssturm getragen, An dir, du Herrliche, vorbei. Blitzartig leuchtet eine Hoffnung auf Heilung, auf Glück auf : Im süss empörten Busen standen Die alten Götter wieder auf. Doch der Sturm reisst ihn wieder fort in die wüste Nacht, ihr holdes, gesegnetes Bild will er jedoch auf immer in seinem Herzen bewahren, ja es dem Tode abringen, wie später sein Faust mit dem Teufel um Marias Bild ringt (?). Diesen Gedan- ken sowie den des Friedens, der nach dem Sturme über ihn gekommen : Doch strahlt nun Frieden auf mich nieder Ein Stern mit ewig heller Pracht, (4) KLÜPFEL, S. 185 f. (2) Faust, Der Mord, Vs 2000-2017. LOTTE DICHTUNGEN. — 2. REIHE. 239 umschliessen die Sätze an Mayer : « Niederkämpfen werd ich die Liebe nicht; das war nur eine eingebildete Pflicht der Melancholie, die Pflicht, ein Mädchen, welches zu heiraten ich nicht entschlossen bin, nicht nur vor der Welt, sondern auch vor meinem Herzen freizugeben, gleich als würde die Ruhe des Mädchens schon durch eine stille Liebe gestört. Nein, ich will diese Liebe bewahren, sie soll mir mein Leben verschönen für alle Zeit » (80). Im Gedichte Zu spät! (26) schildert Lenau, wie Lottes Bild noch hier und dort aus Kampfeswogen herauftaucht (Vs 12), wie im Briefe an Mayer vom 15. Januar, sechs Tage später meldet er ihm, dass : Die holden Träume, seligen Gefühle Erstarben in der bangen Sommerschwüle, Mit der das Tatenleben angedrungen. Neben den Gedanken der Entsagung tritt hier der des opti- mistischen Tatendranges : « Das Ross gespornt! Die Wehre frisch geschwungen! » So heisst es nun im heissen Kampfgewühle, ganz wie im Briefe an Mayer vom 21. Januar, in dem der Dichter so zuversichtlich äussert, er wolle leben, arbeiten, handeln, er gehe mit kühnen Entwürfen um, er wolle noch etwas Tüchtiges leisten in der Kunst, arbeiten für die Welt. Klar ist dem Gedichte der Charakter des Abschiedsliedes aufge- drückt. Zu spät hat er das Mädchen gefunden, als die holden Träume und seligen Gefühle (Vs 2) der Jugend bereits in seiner Brust erstorben. Ihr in seinen Blütentagen (Vs 9) zu begegnen, als seine Sehnsucht sie suchte, war ihm versagt. Nun muss ihr Bild im Kampfe des Lebens wieder schwinden. Das Gedicht eröffnet die Reihe der Abschiedslieder an Lotte, die Lenau nach der Amerikareise fortsetzte. 340 LOITE DICHTUNGEN. — 2. REIHE. Ein zweites Abschiedslied Nie Zurück ! (185), das Lenau nicht veröffentlichte (?), vielleicht weil er sich sagte, dass er das Thema des notwendigen Verzichtes schon genügend behan- delt (?), scheint sich auf den Abschiedsbesuch vom 5. Januar bei Lotte zu beziehen. Das zu Grunde liegende Gleichnis vom verlorenen Paradiese findet sich nämlich im Briefe an Sophie Schwab vom 24. Januar : « Mir war damals zu Mute », schreibt Lenau in bezug auf die Trennung, « als würde ich aus dem Paradies — dem durch meine eigene Schuld verwirkten — gestossen auf ewig » (s1). Reynaud (?) bezieht das Gedicht auf den Abschied von Sophie Löwenthal im September 1844. Diesen dachte Lenau sich jedoch nicht als einen Abschied auf immer (Vs 12). Abschiedsstimmung liegt nicht in den Briefen an Sophie Löwenthal aus dem September und Oktober 1844, Lenau träumt vielmehr von einer Fortsetzung des Umgangs mit ihr trotz und nach der Heirat mit Marie Behrends und von einem Bunde zu Dreien (872). Sicheren Aufschluss könnten nur die Schriftzüge der Handschrift geben, die von 1832 bis 1844 einen merklichen Unterschied aufweisen. Aus Klemms Brief vom 6. Januar an Lenau und aus dessen Antwort vom 47. Februar erklärt sich das Gedicht Reiseempfindung (5). Auf das hier besungene Hüttenideal machte Klemm den Dichter aufmerksam, indem er ihm riet, zu promovieren, sich ein kleines Gütchen bei Stuttgart zu kaufen, sich eine kleine Praxis zu suchen und Lotte, die Klemm kurz vorher kennen gelernt, zur Frau zu begehren. « Das Glück ist ein Weib, lieber Alter, von dem am leichtesten angezogen, der es am wenigsten sucht, aber mit unersättlichem Hasse den ver- folgend, der seine Gunst einmal verschmähte » (*). Darauf ant- (4) Es erschien erst im Nachlass, 4851. (2) Einer gewissen Eintönigkeit seiner Gedichte war sich Lenau wohl bewusst, und er gab Schwab, der ihn derselben beschuldigte, recht. Werke III, 433 f. () These auziliaire, Nr 310. (4) SCHURZ, I, 138. LOTTE-DICHTUNGEN. — 2. REIHE. 241 wortet Lenau am 17. Februar — wir haben den Inhalt des Briefes bereits wiedergegeben — die Zeit sei vorüber, wo die ganze Sehnsucht unserer Seele von einem lieben Weibe gefesselt werde, wo wir uns mit ihr einschlössen « in eine Hütte in seliger Genügsamkeit ». Zweimal gebraucht er wörtlich diesen Ausdruck in besagtem Briefe (87). Ihm entspricht die siebente Strophe des Gedichtes : Du seligste der Phantasein ! Ach, wär es mir beschieden, Mit ihr zu leben hier allein Im süssen Waldesfrieden ! In weiteren Strophen malt der Dichter dieses Glück, ein Herz und eine Hütte zu besitzen, je nach den Jahreszeiten aus und erwähnt u. a. als Hauptfreude des Winters den Gesang der Geliebten, der ihn bei Lotte so tief ergriffen ('), und den auch Klemm so lobt (?) : Wenn dann in rauher Winterzeit Ein Lied mein Liebchen sänge, Und aller Himmel Seligkeit Mir in die Stube dränge! (Vs 37-40.) Ein aus der Hütte hervortretender Jägersmann, die rauhe Wirklichkeit versinnbildlichend, zerstört den Zauber des schönen Bildes. Im Briefe an Klemm ist es der « Ernst des höheren Lebens », der den Dichter zwingt, sich von der idyllischen Vision abzuwenden. Auch das Hinaufspähen zum Fenster der Geliebten (Vs 21-24) ist aus dem Lotte-Erlebnis bezeugt. Nur eilt bezüglich dieses Zuges die Dichtung der Wirklichkeit voraus. (4) Vgl. Werke III, S. 86, 95. (2) SCHURZ, I, 437. 16 242 LOTTE-DICHTUNGEN. — 2. REIHE. Die Landschaftschilderung entbehrt wie in Lenaus Jugend- gediehten der Lokalfarbe. Die Rebe (Vs 13), die Rosen (Vs 12), die Nachtigallen (Vs 32) lassen jedoch vermuten, dass eher ungarische, namentlich Tokayer, als wienerische oder schwä- bische Umgebung dem Dichter vorgeschwebt hat. Wohl mit Unrecht bezieht Frankl (S. 43%) das hübsche Eingangsbild : Ich sah in bleicher Silbertracht Die Birkenstämme prangen, Als wäre dran aus heller Nacht Das Mondlicht blieben hangen auf einen späteren Lieblingsplatz des Dichters, nämlich auf ein Erlen- und Birkenwäldchen in der Nähe des Dorfes Weidling bei Wien, wo ihm die Waldlieder aufgingen. Eine zufällige Übereinstimmung mit Mayers Gedicht An die Lerche, das in den Jahren 1825-1827 entstand, stellt Lenau selbst in seinen Observatiunculae criticae zu Mayers Gedichten fest. Mayer singt : Ä O Lerche, könnt ich mit dir dringen In jenes lichte Blau, So froh wie du, so innig singen Zur blütenvollen Au! Vom Sänger wäre nichts zu schauen, Man horchte seinem Lied, Als ob’s unsichtbar diesen Auen Der Himmel selbst beschied. (Gedichte, S. 10.) « Hier triffst du », bemerkt Lenau, « merkwürdig mit mir zusammen. In meinem Gedichte Reiseempfindung heisst es : Die Lerche sang und schwand dahin Auf morgenfrohen Schwingen, So dass der blaue Himmel schien Ins Tal herabzusingen. LOTTE-DICHTUNGEN. — 2. REIHE. 243 Mich freut es, dass wir uns im blauen Himmel so schön getroffen ! » (83). Diese Bemerkung findet sich in der Beilage zu einem Briefe Lenaus an Mayer von Ende Januar 1832 und beweist somit die Entstehung des Gedichtes im Januar. Wenn folglich Lenau am 17. Februar zu Klemm vom Hüttenideal spricht, so ist es in Erinnerung an das Gedicht. Als neuentstanden meldete er es seinem Schwager im Briefe vom 21. April (9). Schwab führt es teilweise in seiner Besprechung an und findet es « höchst lieblieh, ein Lied von Hölty oder Salis, aber in Verklä- rung » (!). Eng, sehr eng, schliesst sich das auch in allen Ausgaben unmittelbar auf Reiseempfindung folgende Gedicht Nach Süden (7) an ersteres an. Hier verpflanzt Lenau das baumbe- schattete und umschlungene Hüttlein mit dem Liebehen mit aller Bestimmtheit nach dem fernen Ungarland, an den Saum eines freundlichen, schmucken, stillen Dörfleins, nämlich Tokay. Diesmal ist die Schilderung von Tokay so lokalfarbig, wie man es nur wünschen kann : Dort im fernen Ungarlande Freundlich schmuck ein Dörfchen steht, Rings umrauscht von Waldesrande, Mild von Segen rings umweht. Die ersten Strophen, meint Reynaud (S. 307), sind wahr und voll Frische, die Schilderung des Mädchens hingegen, der Lilla, die am Fenster der Hütte sitzend, in stillem, bang- gerührtem Sinnen die Wasser niederrinnen und die welken Blätter fortwehen sieht, ist literarische Überlieferung , wie übrigens der Name Lilla andeutet. Diese Lilla ist jedoch niemand anders als Lotte Gmelin, die infolge des Verzichtes auf Lenau einsam, ohne Liebe, ihren Lebenslenz vertrauert. (4) KLÜPFEL, S. 186 f. a a a A a ta a ee DA LOTTE-DICHTUNGEN. — 2. REIHE, Hier ist getreuste Wirklichkeitsschilderung in erfundenem Rahmen, der so täuschend ist, dass meines Wissens bis heute niemand den wirklichen Untergrund entdeckt hat. Wie tief Lotte unter dem Erlebnis gelitten, besagen schon genugsam die beigebrachten Zeugnisse und die Haltung ihrer Familie, die nur in ihrer Gefühlstiefe und Empfindsamkeit eine Erklärung findet. Lenau fand sie so übel aussehend, dass er ihren Tod befürchtete (98). Aus guten Gründen, eben weil er die Beziehung auf Lotte nicht verraten wollte noch konnte, schweigt Lenau über das Gedicht in seinem Briefwechsel. Durch den herkömmlichen Mädchennamen Lilla irregeführt, sieht Reynaud in seinem Hauptwerk hier ein Jugendgedicht, während er in seiner these auxiliaire (Nr 13) die Entstehung richtig nach Schwaben ver- setzt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Gedicht ganz gleichzeitig mit dem vorigen; beide wurden durch Klemms Brief vom 6. Januar angeregt. Emilie Reinbeck malte die Lillaszene; sehr oft gedenkt Lenau in seinem Briefwechsel dieses Bildes, das ihm das liebste unter den Gemälden der Freundin war. Der enge Zusammenhang aller dieser Lotte-Dichtungen untereinander und mit den Briefen aus dem Januar 1832 legt die Vermutung nahe, dass sie sämtlich im Januar entstanden sind. Viel später können sie übrigens nicht eingereiht werden, weil sie, mit Ausnahme von Nie zurück!, alle in der ersten Ausgabe des Jahres 1832 erschienen, deren Druck schon im Monate März begann. Die gesamte bisher besprochene Lotte- Dichtung drängt sich in kaum mehr als zwei Monaten zusam- men : Dezember 1831 und Januar 1832. Nach einer langen Unterbrechung lebt sie zu Ende des Jahres 1833, nach der Amerikareise, wieder auf. XXIV Ein ungedruckter Brief Lenaus. An einen Langweiligen. — Die Wurmlinger Kapelle. Ausser den Liedern an Lotte Gmelin fallen noch in den Januar 1832 die Gedichte An einen Langweiligen und Die Wurmlinger Kapelle. Für beide sind wir in der Lage das genaue Tagesdatum anzugeben. Das lustige Gelegenheitsgedicht An einen Langweiligen (14) schrieb der Diehter am I1. Januar im Postwagen, der ihn von Mannheim nach Heidel- berg fuhr. Am 12. meldet er darüber an Schurz : « Was macht der langweilige...? Auf diesen hab ich erst gestern ein Sonett gemacht. Ich fuhr mit zwei fürchterlich langweiligen Philistern von Mannheim nach Heidelberg. Ich wusste mich nicht zu retten ; da half ich mir endlich in der Verzweiflung damit, dass ich im stillen eine Untersuchung anstellte, welcher von beiden der Langweiligere sei; doch umsonst! Da dacht ich an..., der sie beide übertrifft, und machte ein Sonett, und das half mir hinüber über diese zwei Gebirge von Langweile » (77). Die Bezeichnung Sonett rechtfertigt sich einigermassen durch die Reimverschränkung abbace. Mit dem Verse 7: Doch Tyrannei ist Mutter der Empörung stimmen drei spätere Aussprüche Lenaus überein. Zu Kerner und Emma Niendorf sagte er am 31. Junr 1840 : « Die Phili- sterei ist dem Diehter noch verderblicher als die Despotie. Diese he a a ee alle, fi 246 EIN UNGEDRUCKTER BRIEF LENAUS. reizt ihn auf, jene mergelt ihn aus », und am 4. August dessel- ben Jahres zu denselben : « Die Despotie ist nicht so schädlich wie das Philistertum, das immer langsam an einem nestelt » (!). Am 20. September 1844 äusserte-er zu Max l,öwenthal : « Nicht die Despotie ist das grösste Hindernis der Poesie, denn sie regt auf und in der Zornesaufwallung kann man gute Gedanken haben, aber das Philistertum und seine Pedanterie ist es, was die Poesie nicht aufkommen lässt » (?). Die Wurmlinger Kapelle (5ı) sah Lenau Ende August gelegentlich des ersten Besuches, den er in Gesellschaft Schwabs bei Uhland in Tübingen machte. In der Stubenluft zu Heidelberg verarbeitet er die damals empfangenen Eindrücke. Die Empfängnis des Gedichtes schildert Mayer. Niembsch, so berichtet er (S. 37), « war nämlich mit Uhland und andern auf der Kapelle gewesen, hatte die Freunde voraus nach Tübingen zurückgehen lassen und war einsam, mit einem Gedicht umge- hend, bis nach untergegangener Sonne in dem stillen Berg- kirchhofe zurückgeblieben. Daher rührt auch wohl der Eindruck der Unmittelbarkeit, der von dem schönen Liede ausgeht ». Diesen Eindruck der Unmittelbarkeit kann Mayer sich nicht anders erklären als durch die irrige Annahme, dass Lenau das Gedicht angesichts der Kapelle geschrieben; er bringt es sogar in einen Gegensatz zu den Gedichten, die Lenau nicht unmit- telbar in der Natur, sondern im Zimmer geschrieben. Derselben Meinung wie Mayer war Uhland, was aus dem Briefe hervorgeht, den er am 16. November 1844 dem geisteskranken Lenau schrieb : « Wir zeigten Deinem Schwager, wenn auch nur aus der Ferne, die Bergkapelle, wo Du in der Abendstille das schöne Lied dichtetest » (?). Wir wissen aus einem Briefe Lenaus an Sophie Schwab aus Heidelberg vom 2%. Januar, dass er das Gedicht am 22. Januar, (4) NIENDORF, S. 119, 131. (2) Lenau und Löwenthal, S. 29. (%) ScHurz, II, 260 f. EIN UNGEDRUCKTER BRIEF LENAUS,. also in dem dunkeln Hofzimmer seines Gasthofes, schrieb. Das Bild des kleinen Ludwig, des Sohnes von Schwab, schreibt er, « hat sich mir sehr eingeprägt und ist mir so geläufig worden, dass ich beim Diehten unwillkürlich manchmal ein Gleichnis aus dem Kinderleben hole. So geschah mir’s in der Winternacht, so geschah mir’s vorgestern in der Wurmlinger Kapelle. Ich übersende Ihnen hier dieses Gedicht, mit der Bitte an meinen lieben Schwab, es einzuschalten in meine Sammlung, doch in einiger Entfernung von der Winternacht, weil, wie gesagt, in beiden Gedichten Kindergleichnisse vorkommen und Kritiker meinen könnten, « der Herr Poet scheint sich viel in - Kinderstuben herumgetrieben zu haben » (sı) ('). Am 28. Januar schickte Lenau die Verse an Mayer in einem Briefe, der die gleiche Entsagung wie das Gedicht atmet, eine Ergebung in das Schicksal, zu der auch, wie wir gesehen, die gleichzeitige Lektüre Spinozas beitrug. Die Geschichte mit dem Hochwächter, meldet er Mayer, kümmere ihn weniger als die Herzenssachen. Die stünden jetzt gut, « also alles gut ». Er belustigt sich über die tüchtigen Wurfspiesse, die Mayer dem verabschiedeten Griesgram, dem in die Flucht geschlagenen Hypochonder, nachsandte, um ihm ja jede Lust zur Wiederkehr zu vertreiben (85). Auch der Brief an Mayer vom 21. Januar, geschrieben einen Tag vor der Abfassung des Gedichtes, ist (4) Die erwähnten Kinder-Gleichnisse sind : Dort heult im tiefen Waldesraum Ein Wolf; — wie ’s Kind aufweckt die Mutter, Schreit er die Nacht aus ihrem Traum, (Winternacht, 1, 1-3.) Und der Baum im Abendwind Lässt sein Laub zu Boden wallen, Wie ein schlafergriffnes Kind Lässt sein buntes Spielzeug fallen. (Die Wurmlinger Kapelle, Vs 33-36.) J48 EIN UNGEDRUCKTER BRIEF LENAUS, heranzuziehen. Lenau ist « heiter, wie er es seit Jahren nicht gewesen » : Hier ist all mein Erdenleid Wie ein trüber Duft zerflossen, (Vs 37 £.) Die « Todesmüdigkeit » (Vs 39) im Gedichte steht hingegen im Gegensatz zu dem Lebensmut, der Arbeitsfreude, wovon der Brief so beredt spricht. Auch im Schreiben an Sophie Schwab vom 24. Januar (s1) meldet Lenau, er sei nicht mehr so traurig wie am Morgen der Trennung, er lebe jetzt viel geselliger in Heidelberg, seine Heiterkeit sei ungestört. An Schleifer sandte er die Kapelle in dem unten mitgeteilten Briefe vom 7. Februar. an Klemm am 17., am 21. April erwähnt er in einem Schreiben an Schurz eine « Bergkapelle » als neuentstanden (9). An Sophie Schwab schickte er sie, « mehr um ein Ver- sprechen zu erfüllen, als dass ich glaubte etwas Rechtes geleistet zu haben. Es ist ein missliches Geschäft, einen Gegen- stand zu besingen, über welchen schon zwei so vortreflliche Gedichte vorhanden sind (sı). Zu Mayer (S. 26) hingegen tat er öfters die Äusserung, die Schilflieder und die Wurmlinger Kapelle seien ihm die liebsten seiner damaligen Arbeiten. Wie grosse Stücke er auf das Gedicht hielt, beweist der Umstand, dass er fast seine sämtlichen Freunde mit der Sendung bedachte. Uhland hatte im Jahre 1805 die Kapelle in dem allbekannten Liede Droben stehet die Kapelle besungen, Schwab hatte die Legende ihrer Entstehung behandelt (1). Eine ausführliche Beschreibung der Kapelle gibt Mayer (S, 38 ff.) und teilt (S. 41) ein Gedicht auf sie mit, das an Uhland und Lenau anknüpft. Aus einem Briefe Lenaus an Schwab vom 16. Februar geht hervor, dass Schwab in einem bisher nieht aufgetauchten Briefe an Lenau den Mangel an Übersichtlichkeit des Gedichtes tadelte (1) 6. SCHWAB, Gedichte. Stuttgart, Cotta, 1838, S. 287. EIN UNGEDRUCKTER BRIEF LENAUS. 249 und einige Verse überflüssig fand. Lenau kann sich von der Überflüssigkeit der bewussten Verse — ich vermute Vs.29-36, Strophe 8 und 9 — nicht überzeugen; « lokal » seien sie freilich, dies sei ja auch gewissermassen das ganze Gedicht (86) Hier deutet I,enau schon auf eine Theorie der Naturpoesie hin, die er kurz darauf in einem Briefe an Schurz vom 19. Mai 1832 entwickelte. Die Naturerscheinungen müssten einerseits ideali- siert, andererseits popularisiert sein, d. h. die Auffassung der Naturerscheinung und die Gestaltung derselben zum Symbole müssten ganz ideal sein; die Darstellung dieses Symbols hin- gegen lokal (99). Unter dem nicht ganz klaren Ausdrucke « popularisiert » versteht Lenau, wie aus dem Zusammenhange hervorgeht : individualisiert. Er meint, dass der Zauber der Wirklichkeit, die Wahrheit des Besonderen mit der allgemeinen Naturwahrheit vereinigt sein müsse. Gleichzeitig entwickeln sich bei Lenau der Dichter und der Kritiker. Aus den Schwächen und Irrungen seiner Jugendlyrik bildet sich die endgültige Satzung seiner Kunst. Wahrlich konnte Lenau zwölfJahrespäter, am 17. April 1844, aus Heidelberg mit einem Rückblick auf diese Zeit an Sophie Löwenthal schreiben : « Hier war mir die Muse hold. Die Winternacht, Wurmlinger Kapelle, die Schilf- und andere Lieder sind hier entstanden » (826). Am 29. Januar reiste Lenau von Heidelberg zum Besuche Kerners nach Weinsberg und verbrachte dort, wie er am 5. Februar Mayer mitteilt, sehr glückliche Tage, traulich zusammenlebend mit dem « unergründlich seelenguten » Kerner, dem lieben und guten Rickele, der Gattin Kerners, und den lieben Kindern. Am 7. Februar sandte er an Schleifer folgenden ungedruckten Brief (1) mit dem Wortlaut der Wurmlinger Kapelle, den die (4) Handschrift ein halber Bogen 4°, Konzeptpapier, 4 Seiten beschrieben. Der mit Lenaus Siegel versehene Umschlag hat die Adresse : « An den K. K. Bergrath Schleiffer zu Gmunden ». Lenaus Schreibweise ist im Druck beibehalten. EIN UNGEDRUCKTER BRIEF LENAUS. Besitzerin, Fräulein Marie Thuma in Wien, die Güte hatte, mir in einer Abschrift mitzuteilen : « Weinsberg, 7 Febr. 832. Geliebter Freund ! Ich schreibe Dir diesen Brief im Hause des Dichters, Psycho- logen u Öberamtsarztes von Weinsberg, Justinius Kerner. Hundert Schritte von meinem Schreibtische ist die Ruine der Burg von Weinsberg, die Weibertreue genannt. Du siehst also, dasz ich auf klassischem Grund u Boden sitze. Ad vocem klassisch fallen mir immer die alten Klassiker, u der Klas- siker katexochen, Cicero, ein. Dieser hat aber an seinen Attieus u seine sonstigen familiares fleisziger geschrieben, als ich an Dich, obwohl ich glaube, dasz er die Herren weniger geliebt hat als ich meinen Schleifer liebe. Das Gewissen ist nun einmal plötzlich u schrecklich in mir erwacht, u Alles mahnt mich an meine Schuld. Also praeviam veniam bitt’ ich mir von Dir aus, mein theurer Freund, und nun erst fahr’ ich fort in meinem Briefe. Du hast mir Deinen lezten Brief nach Stuttgart geschrieben. Das war ein herrlicher Brief voll feuriger Freundschaft; ich habe jedes Wort in mein Herz gedrückt, — u doch bisher nicht beantwortet — wirst Du denken. Das thut nichts, mein Schleifer ! ich habe jeden Tag an Dich gedacht, u tausendmal von Dir gesprochen. Du hast auch im Würtembergerlande Freunde. Ich führe Deine Gedichte mit mir, und habe manchem Edlen daraus vorgelesen und das Herz damit erwärmt. Nächstens wird in den Blättern für literarische Unterhaltung (Leipzig bei Brockhaus) eine Recension darüber erscheinen von einem der geachtetsten Männer der deutschen Literatur. Man kennt unsere Österreicher hier viel zu wenig. Nahmen wie Leitner, Weissenbach ete. sind ganz unbekannt. Darum hab’ ich vor, in den Heidelberger literarischen Jahr- büchern eine Reihe von charakterisirenden Aufsätzen über EIN UNGEDRUCKTER BRIEF LENAUS. 251 österreichische Dichter erscheinen zu lassen; in der Folge aber wäre ich geneigt, den von Seidl einmal flüchtig geäuszerten Plan einer östreich. Anthologie aufzugreifen u auszuführen. Meine Gedichte werden eben gedruckt, u binnen einigen Wochen fertig. Ich hoffe Dir Dein Exemplar zum Osterei zu schicken, oder am Ende selbst zu bringen. Ich weisz vor der Hand nichts von meiner Zukunft, rein nichts; das hängt ab von den Verhältnissen, die sich in meinem nun sehr bewegten Leben täglich anders gestalten können. Ich bin überhäuft mit literarischen Arbeiten. Die Leute haben mich hier gerne und wünschen von mir zu lesen. Reisen ins Ausland ist für jeden Dichter nothwendig, wie ich glaube; da lernt man sich am besten selbst kennen; für einen Östreicher aber ist es das dringendste Bedürfnisz. Diese meine Reise hat mir für mein ganzes Leben eine feste Haltung in meinen litera- rischen Bestrebungen gegeben. Verbindungen mit mehreren Buchhändlern und Zeitungsredaktionen hab’ ich geschlossen, u mir auf diese Weise mehrere Wege bereitet, mein Wort in die Welt wandern zu lassen. Lezteres ist von grosser Wich- tigkeit für jeden der da schreibt. In Östreich ist man in dieser Hinsicht leider ganz verlassen. Die Östreicher (a potiori) glauben nicht, dasz einer ihrer Landsleute was kann, wenn es nicht die Ausländer früher gesagt haben. Läszt aber dieser ihr Landsmann sein Werk in Östreich drucken, so nehmen die Ausländer keine Notiz davon, sagen also auch nichts darüber, u die Sache bleibt beim Alten, u. die Talente verkümmern. Hätt’ ich Deine Gedichte nicht mitherausgebracht, man wüszte noch kein Wort davon. Selbst Männer wie Uhland, Schwab ete. erfahren nichts von uns. Darum ist das Reisen gut. Schieke mir doch auch wieder Gedichte von Dir. Der vordem Went-sche Musenalmanach wird nun von Schwab und Chamisso gemein- schaftlich herausgegeben. Ich bin um Beiträge ersucht von mir u. meinen poetischen Freunden. Ich wende mich also an Dich, lieber Schleifer, u durch Dich an meinen lieben Schwager. Ich glaube nänlich dasz Du ihm eher schreiben wirst, als 252 EIN UNGEDRUCKTER BRIEF LENAUS. ich, denn ieh will vorerst eine Antwort von ihm abwarten. Lasset also was ihr in diesen Almanach geben wollt so bald als möglich in Wien die Censur passiren, und sendet mir es nach Heidelberg. Bis Ende März oder Anfang April musz ich die Beiträge haben. Sollte die Zeit zur Censirung zu kurz seyn, so schieket es anonim oder pseudonim. Nun naht der Frühling. Da wird es wieder schön in Deinen Bergen, und ich hätte gar grosse Lust, einige Wochen bei Dir zu leben. Wir haben uns schon so lange nicht gesehen. O Schleifer, wie kurz ist das Leben! Die Zeit seit unserer Trennung scheint ınir kaum ein Tag, so schnell ist sie dahin gefahren, und doch ist sie so lang, ein bedeutender Theil unseres Lebens. Wenn ich das recht bedenke, so möchte ich alle Literatur zum Teufel werfen und Tag u Nacht forteilen nach Gmunden zu Dir, Geliebter! Ich sehe Dich noch vor mir stehen, als wäre es gestern, mit Deinem ernsten warmen Freundesblick, der mir mit stillen Segnungen folgte als ich Dich verliesz, und den Nachen bestieg, der mich über den lieben Traunsee fuhr auf lange, lange! und Deine liebe, gute Frau wie sie mir das lezte Frühstück gab, den Kaffe mit ihrer unendlichen Gutmütigkeit einschenkte, und stille Wünsche für meine glückliche Wanderschaft aus vollem Herzen dazugosz. Wär’ ich doch jetzt schon bei Euch! Was machen Deine lieben Kinder? Was machen meine Freundinnen in Gmunden? Die gute Frau Wolf, ihre Nani mit dem schönen Ernste; die arme (wie Du mir schriebst bleiche) Resi? Denken sie Alle noch meiner? Des unsteten Menschen ohne Hütt’ und Herd, aber nicht ohne warme Erinnerung an die, so ihm ein- mal im Leben mit Liebe begegnet. Grüsse mir die Guten recht herzlich. War Schurz im Herbste nicht bei Euch? Doch hätt’ er mir das wohl geschrieben. — Nächstens, das heiszt im Monat Mai, will ich nach München gehen. Justinius Kerner ist ein enger Freund des berühmten Naturforschers Schubert (Prof. in München) und gibt mir Empfehlung an ihn. Ich habe da wieder eigene, ganz kuriose Plane, und von dort aus komm’ ich vielleicht zu Dir, mein EIN UNGEDRUCKTER BRIEF LENAUS, 253 Schleifer, auf einige Wochen. Dann wollen wir wieder schöne Tage verleben am Gestade des Traunsees. Gmunden ist mir doch die liebste Gegend auf Erden, und dasz ich in dieser Gegend diesen Freund habe, dafür danke ich den Göttern, die sonst mit solchen Combinationen neidisch sind. Sollt’ ich Dir nicht ein Gedicht von mir zum lebewohl geben? Hier hast Du’s. Die Wurmlinger Kapelle (bei Tübingen) (?). Ich habe Dir gerade dieses Gedicht geschrieben, weil die Jungfrau Maria von jeher deine liebe Patronin ist. Mit ewiger Liebe Dein Niembsch. Tausend Herzensgrüsse an Deine liebe Frau, lieben Kinder. » (4) Die Varianten geben wir im zweiten Bande : Textkritik, an. bb: TERN “| | | . i i $) XXV Letzte Lyrik für die erste Ausgabe. Februar-März 1832. Die Tränen. — Abschied. — Der Maskenball. — Liebesfeier. — Der Greis. Die Gedichte verschiedenen Inhalts, die wir unter dieser Überschrift einreihen, erschienen noch in der ersten Ausgabe von 1832. Sie sind kurz vor dem Druck, der Ende März 1832 begann und am 19. Mai fertig war, entstanden. « Was ich an Gedichten bis Ende März zusammenbringe », schreibt Lenau am 16. Februar an Schwab, der die Sorge um die Herausgabe auf sich genommen hatte, « ist Dein mit Stumpf und Stiel » (s6). Dein heisst hier : bestimmt zur Aufnahme in die erste Samm- lung. Und nun meldet Lenau, dass er noch einige andere Gedichte vorhabe, mit denen er bis Ende März fertig zu werden hoffe. Die genaueren Angaben, die er darüber macht : « Das eine : Sehnsucht nach Offenbarung; das andere eine Szene aus dem Leben der Zigeuner und Edelleute in Ungarn; dann Mondlieder u. s. w. » decken sich nieht mit seiner wirklichen dichterischen Tätigkeit. Ein Fragment in Prosa Sehnsucht nach Offenbarung veröffentlichte M. Koch (!). Den Plan eines Operntextes, wozu ein Kapellmeister ihn aufgefordert, liess Lenau nach einigen Versuchen liegen, weil die Gestalten sich zu voll und ernst hervordrängten, so, dass (1) Lenaus Werke in Kürschners deutscher Nationalliteratur, I, A44 f. Be LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. 255 sie nicht wohl singen könnten (86), weil sie zu derb und heftig ausfielen (s7). Gleichzeitig macht er den zweiten — und nicht den letzten Versuch — zu einem Trauerspiele, das er noch während des Sommers fertig zu bringen hoffte (s7). Daneben ging die Arbeit an dem Nachtstück Die Marionetten und am Romanzenzyklus Klara Hebert, der noch rechtzeitig vollendet wurde zur Aufnahme in die erste Sammlung. Die Gemütsruhe und Ergebung Lenaus zu Beginn des Jahres 1832 spiegelt das Gedicht Die Tränen (114) deutlicher als jedes andere wider. Das Lied quillt ihm sanfter (Vs 8), linde ward ihm die Verzweiflung fortgespült (Vs 12), Friedens- boten nahen dem Wildumdrohten von Orkan und Wetterschein (Vs 13-15), sein Herz, war’s auch gequält, verlernte doch nicht zu klopfen dieser schönen Gotteswelt (Vs 22-24). Das Loblied auf die Tränen von Julius Kraus, das am 1. August 1831 im Morgenblatt erschien, mag Lenau auf den Stoff aufmerksam gemacht haben. Mayer (S. 168) teilt mit, dass Lenau das Gedicht Uhland vorlas. Reynaud (!) versetzt es in das Jahr 1831. In die trostlose Stimmung zu Ende 1831 passt es nicht hinein, vorzüglich jedoch in den Seelenzustand zu Anfang des Jahres 1832. Besuche bei Uhland sind nicht nur aus dem Jahre 1831 berichtet — Ende August und um Weihnachten — sondern auch aus dem folgenden. So schreibt am 15. April der Pole Matuszinski an Kerner : « Niembsch fährt übermorgen nach Tübingen » (?). Es war dies vielleicht Lenaus Abschieds- besuch bei Uhland vor der Amerikareise. Bei der Vorlesung des Gedichtes äusserte Uhland, Lenau unterbrechend, er sei begierig zu wissen, was für ein Reim auf das Wort Ölung : Weint ich ihm die letzte Ölung (Vs 4) (1) These auzxiliaire, Nr 4, (2) Kerners Briefwechsel, Nr 395. 256 LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. kommen werde. Die Lösung : Doch in seines Auges Höhlung (Vs 48) überraschte ihn angenehm. Trotzdem war Lenau sehr unge- halten, weil Uhland den Eindruck des Ganzen ausser Acht lassend, seine Aufmerksamkeit auf einen solchen Nebenpunkt gelenkt hatte (t). Ein Vorklang der Amerikareise ist das politische Gedicht Abschied (121), das in den Ausgaben von 1832 und 183% den Untertitel Lied eines auswandernden Portugiesen trug. Dadurch wird ihm ein Bezug auf die Knechtung Portugals durch Don Miguel, die eine massenhafte Auswanderung nach Amerika veranlasste, gegeben. Persönliches liegt nicht nur in dem Reisebeschluss, sondern auch in der Schilderung der Metter- nichschen Gewaltherrschaft in Österreich. Eine Stelle aus dem Briefe an Braun von Braunthal vom 17. Februar 1831 setzt Lenau hier in Diehtung um : « Ja das Land! das Land ist göttlich, noch göttlicher durch den Kontrast der Menschen. Mögen hier die Alpen ragen, Bergströme stürzen, Lawinen donnern; das geschwächte Herz des Menschen zuckt im Staube und kann an den kühnen Felsen nicht hinaufklettern zu hohen Gedanken und Empfindungen » (58). Grün (S. 22) bemerkt, dass man dies Abschiedslied eines: Auswandernden schon in Lenaus Studentenzeit, nur in etwas derberen Kraftausdrücken, durch seine mündlichen Äusserungen vorklingen hörte, und dass schon damals sein idealer Republikanismus in den Verei- nigten Staaten Nordamerikas das Land der Verheissung erblickte. Ausdrücklich sagt Grün bei derselben Gelegenheit, dass Lenau sich schon als Student in Wien mit Auswanderungsplänen trug. Dasselbe weiss auch Schurz (I, 11%), der dem Plane die prak- tische Absicht unterlegt, ein gutes Geschäftsunternehmen zu (1) MAYER, S. 168. LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE, 257 machen. Bestätigt wird Grüns Mitteilung durch Lenaus Äus- serung zu den Schwabs, die er ihnen gleich nach seiner Ankunft tat, er habe mit einigen guten Freunden, denen die österreichische Politik unerträglich, beschlossen, in die neue Welt hinüberzugehen. Die neueren Biographen übersehen fast sämtlich die Mitteilung von Schurz und Grün und verlegen den Entschluss zur Amerikareise in die schwäbische Zeit. Manche können sich nicht genug über diese « kuriose » Idee wundern. Diese « Zwangsidee », meint Rahmer (S. 76), « mag wenigstens zum Teil auch auf die Krankheit zu schieben sein ». Als einen « Zwangstrieb » fasst auch Sadger den Gedanken auf. Lenau muss nach Amerika hin, weil er den Grünejungentraum seines Freundes Kövesdy, der als dreizehnjähriger Bursche den Plan gefasst und auszuführen begonnen, verwirklichen wollte ®). In Wirklichkeit tat Lenau nur, was vor ihm tausend und aber- tausend seiner Zeitgenossen getan; er folgte einer allgemeinen Zeitströmung, die gerade in Schwaben mächtiger war als anderswo. Auch in den Kreisen der Heidelberger Studenten waren Auswanderungspläne an der Tagesordnung. Im Gedichte Abschied berührt Lenau nur die politischen Motive der Reise : Du neue Welt, du freie Welt, An deren blütenreichem Strand Die Flut der Tyrannei zerschellt, Ich grüsse dich, mein Vaterland ! (Vs 4-94.) (*) «Ein zwölfjähriger Schulknabe, dessen Einbildungskraft durch grellkolorierte Indianergeschichten bis zur Siedehitze entflammt ist, hätte kaum unvorsichtiger, phantastischer, blauer und unvernünftiger handeln können als der doch sonst so scharf sehende Dichter. » SADGER ($. 43). Auch GREINER ($. 64) sieht in dem Plane « unglaubliche Kindlichkeit ». CastıE (S. 46) führt ihn auf den ungünstigen Ein- fluss der Schwaben zurück. 17 258 LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. Die poetischen Motive streift er neben den politischen in dem Polengedicht Der Maskenball (so), das er dem Schwager Schurz im Briefe vom 21. April als neuentstanden bezeich- net (94). Die Veranlassung dazu gab einer der Bälle in Öhringen, denen Lenau während seines Aufenthaltes bei Kerner in Weins- berg beiwohnte. Das Mädchen, das ihm als die Polonia erschien, war Hannchen Griesselich, Schwägerin des Darmstädter Advo- katen und Schriftstellers K. Buchner, die im Jahre 1840 einen tragischen Tod fand. Wir erfahren dies aus einem Briefe Lenaus vom 6. April 1840 an den Dichter und Geschichtsschreiber Ed. Duller : « Empfehlen Sie mich schönstens Ihrem von mir herzlich hochgeachteten Freunde K. Buchner. Das schreckliche Ende seiner liebenswürdigen Schwägerin wurde mir in Stuttgart erzählt. Hannchen Griesselich war das in meinem Gedichte Der Maskenball geschilderte Polenmädehen. Sie erschien mir, unter den Tänzern verschwindend, als die Polonia, wie sie aus dem historischen Weltreigen verschwunden. Nunmehr hat die Unglückliche meine Symbolik auf eine mich erschütternde Weise vollendet. Polen starb wie sie » (670). Der Schluss des Gedichtes legt Zeugnis ab von der Umwand- lung, die sich inzwischen bei Lenau bezüglich des amerika- nischen Reiseplanes vollzogen hatte. Je materieller die Unter- lage der Amerikareise wurde, desto diehterischer gestaltete sich in seiner Phantasie der Zweck. Wir erwähnten, dass Lenau sich mit einem Eintrag von 5000 Gulden in eine Aktiengesellschaft einschreiben liess, die ihm tausend Morgen amerikanischen Landes sicherte. Er braucht jetzt nicht mehr zum Lebensunter- halte an eine Professur zu denken. Fortan will er nur noch seine Phantasie in die Schule der Urwälder schieken, den ungeheuren Vorrat der herrlichsten Naturbilder dichterisch ausbeuten, Niagaralieder singen u. s. w. Er berauscht sich an dem Gedan- ken, dass ihm mit der neuen Welt zugleich eine neue Welt der Poesie aufgehen werde, dass der Ruf des Niagara alle in ihm schlummernden Kräfte wecken werde. Er überzeugt sich, dass die Reise notwendig zu seiner poetischen Ausbildung gehöre. LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE, 259 « Künstlerische Ausbildung ist mein höchster Lebenszweck, alle Kräfte meines Geistes, das Glück meines Gemütes betracht ich als Mittel dazu » (89). Der amerikanische Aufenthalt wird ihm auch das Mittel geben, sein « Herz durch und durch in Schmerz zu mazerieren, in Sehnsucht nach den Geliebten » (8). Diese eigenwillige Selbstmarterung soll schöne Blumen der Diehtung erzeugen. Eins der wichtigsten Selbstbekenntnisse Lenaus ist eben dieses, das er im Briefe vom 13. März 1832 an Mayer in die drastische Form fasst : « Erinnerst Du Dich an das Gedicht von Chamisso, wo der Maler einen Jüngling ans Kreuz nagelt, um ein Bild vom Todesschmerze zu haben ? Ich will mich selber ans Kreuz schlagen, wenns nur ein gutes Gedicht gibt. Und wer nicht alles andere gerne in die Schanze schlägt, der Kunst zuliebe, der meint es nieht/aufrichtig mit ihr » (89). Wichtig ist diese Wandlung zunächst im Verhältnis zu Lotte, weil sie viel zur Erklärung beiträgt, dass er die Geliebte in Amerika im Herzen behielt, und dass die Lotte-Dichtung nach der Amerika- reise von neuem zu blühen begann. Alle bisher veröffentlichten Zeugnisse zeigen uns die schwä- bischen Kreise allereifrigst bemüht, Lenau den Gedanken der Amerikareise auszureden. Dem stehen andere, bisher unbekannte, gegenüber. Am 15. September 1831 schreibt Sophie Schwab an Lucie Meier, sie hätte gar grosse Lust, mit ihren Kindern englische Stunden zu nehmen, « denn wenn es uns schon nicht ganz Ernst ist mit Amerika, so kann man doch eben nicht “wissen, welche Zeiten kommen, und es ist gut, wenn man für den Notfall eine Zuflucht hätte » (!). Kerner, der so viel über Lenaus « amerikanischen Dämon » redet, der diesen sogar gesehen haben will, « einen haarigen Kerl, mit einem langen Wickelschwanz und einem faltigen Beutel am Bauch » (89), der Lenau immer von den Urwäldern zuflüstere und ihm keine Ruhe lasse, Kerner schreibt zu gleicher Zeit (März 1832) an n= (!) Eine im Drucke bei Ernst (S. 104 ff.) ausgelassene Stelle. iur 360 LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. Mayer : « Es ist sehr wahrscheinlich, dıss ich auf das nächste Frühjahr auch dahin abgehen werde », wes Mayer im Drucke (S. 64) ändert in : « wer weiss, ob ich richt... ». Den Gegensatz zwischen dem unter dem Joche der Tyrannei seufzenden Europa und dem freien Amerika drückt Lenau nur in.der Poesie aus. J. Minor hat darauf hingewiesen ('), dass die Betrachtung der jungdeutschen Aufrufe von Heine und Börne zum historischen Verständnis dieser Anfhssung gehört, und dass sogar die Vorstellungen von der amerikanischen Natur, ihrer exotischen Farbenpracht zum Teil auf Börne zurückge- hen, der in seinen Fragmenten und Aphorismen (Nr 13%) von len Riesenströmen und Urwäldern Amerikas schwärmt. Der eigentliche Begründer der Auswanderungsidee in Deutsch- land war jedoch der Bonner Arzt Gottfried Duden, dessen phan- tastische Reisebeschreibung (?) Lenau seinen Verwandten in Wien zum Lesen anempfahl, wenn sie ihn in Gedanken auf der Reise begleiten wollten (e1). Seine Ansichten über Amerika holte sich 'Lenau bei Duden und nicht nur diese, sondern fast alle Einzelheiten seiner Schilderungen in den Briefen aus jener Zeit. Sogar seine Dichtung hat Duden beeinflusst. Fast wört- lich ist, wie Mulfinger bemerkt, eine Stelle der Schilderung Amerikas im Maskenball, wie die erste Fassung in der Ausgabe von 1832 sie aufweist, Duden entnonmen. Duden erwähnt (S. 110) die von Schlingpflanzen umschmeegten Blumenbäume und schreibt : « Am Fusse des Berges enpfingen uns die Wäl- der, und hier waren wir alsbald von Myraden fliegender Leucht- (4) Göttinger Gelehrte Anzeigen, Jahrg. 158, 1, 664 (2) Bericht über eine Reise nach den westlichen Steater Nordamerikas Elberfeld, 1829. Die Schrift des österreichischen Vermittles zwischen Deutschland und Amerika SEALSFIELD-PoSTL, Die Vereinigten Staaten van Nordamerika nach ihren politischen, religiösen und gesellschaftlichen Verhiltrissen betrachtet, die 1828 erschien, las Lenau vielleicht noch in Wien. LETZTE L'RIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. 261 käfer umglänzt, die dis Licht des nächtlichen Himmels ganz entbehrlich machten ». Lenau singt : Wo Leucıtkäfer, Miriaden, Um die S:hlingeblumen fliegen, Die sich on die Bäume schmiegen. (1) Die Verquiekung le: Themas Polen mit dem Motive Amerika im Maskenball ist niet ohne Untergrund in der Wirklichkeit. Den polnischen Flühtling Matuszynski, der wie mancher andere bei Kerner Unterkunft gefunden, wollte Lenau mitneh- men nach Amerika, ınd der Umgang mit den Polen trug mit dazu bei, ihm Europa zu verleiden. Nach einer von Mayer (S. 58) wiedergegebenen, in Kerners Briefwechsel (Nr 392) unterdrückten Stelle eines Briefes von Kerner an Mayer vom 11. März 1832 diehtete Lenau gar nichts während seines Weinsserger Aufenthaltes in der ersten Hälfte des Monates März; auch seine Tragödie liess er liegen, schreibt Kerner. Vom 4%. bis 18. war er wieder in Heidelberg und schreibt von dort an 16. März an Schurz : « Bei uns regt sich der Frühling schon gevaltig » (#1). Dieser frühzeitige Frühling zeitigte das Gedicht, las in der ersten Ausgabe /m Frühling überschrieben ist, von 1834 an jedoch Liebesfeier (58) beti- telt ward. Es ist ein würdigs Seitenstück zum Gedichte Der Lenz. Wieder sind die urspringlichen Bilder gesucht gescholten wor- den : die Lieder der Lerche, die bunt und eine Leiter sind, ihr Flug ein Klettern, ih’ Lied ein Schmettern, Wald und Flur Altäre der Freude, di? Freude der Herzen ein Festgeläute, die Rosen angezündete Kerzen, die Natur ein Dom, der grüne Laub- und Grasschnuck Smaragdleuchter, das Frühlingsleben und die Lebenslust in Opferstrom. Wir bewundern, wie treff- () Nach Vs 104 im Erstiruck (Morgenblatt, 1832, Nr 442) und in der Ausgabe 1832. — Siehe MULFINGER, Anericana-Germanica, I, Nr 2, S. 24. sa. ir int. „utsintsswn. hi een ne 262 LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. lich die sinnige Darstellung des Frühlings als eine Liebesfeier durehgeführt, wie alles in Beziehung zu dem Feste gebracht, wie die Natur beseelt und verklärt wird. Reynaud (!) meint, das Gedicht sei in Neustädtle bei Waib- lingen entstanden, wo Lenau im Frühling ein paar Tage in Mayers Gesellschaft weilte, und wo ihm, wie er am 2. Juli an Emilie Reinbeck schreibt, manches Bild, mancher Einfall zuge- flogen (106). Vor dem 49. April war das Gedicht jedoch bereits in der ersten Ausgabe gedruckt; der Besuch bei Mayer fällt später. Ein intimer Verkehr bahnte sich während Lenaus Aufenthalt in Stuttgart, von Ende März bis zum 22. Mai 1832, mit der Familie Hartmann-Reinbeck an. Am A. Mai schreibt er an Kerner : « Bei Reinbecks und Hartmanns bin ich täglich. Das sind herrliche Leute, mir ist unendlich wohl unter ihnen » (97). Das Oberhaupt der Familie, den Geheimen Rat Georg August von Hartmann (1764-1849), schildert er am 19. Mai seinem Schwager als einen « grossen, stattlichen, sehr ernsten und ebenso gutmütigen Mann » (99). Ihm widmet er das philoso- phische Gelegenheitsgedicht Der Greis (150), das auch bereits vor dem 19. April in der ersten Auflage der Gedichte gedruckt war. Grundverschieden ist hier die Weltanschauung von dem es ist halt nichts. Im Garten geniesst der Greis des Tages süsse Neige (Vs 4). Seine Enkel umspielen ihn wie selige Jugend- träume (Vs 16). Ein Knabe bringt ihm eine Blume. Ernstes Sinnen (Vs 27) überfällt ihn beim Betrachten derselben : Er hält die Blume so inniglich, Die ihm das Kind erkoren, Als hätte seine Seele sich Ganz in die Blume verloren. (Vs 99-39.) (t) These auziliaire, Nr 54, LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. 268 Es ist Spinozas Körperlehre im zweiten Teile der Ethik, die hier poetisch wiedergegeben ist. Alle Dinge sind Modi der einen Substanz, sie drücken alle dasselbe eine Wesen aus. Jedes Ding ist zugleich Seele und Körper. Beseelt ist nicht nur der Mensch, sondern alle Wesen, wenn auch in verschiedenem Grade. Als fühlt er sich gar nah verwandt Der Blume, erdentsprossen, Als hätte die Blum ihn leise genannt Ihren lieben, trauten Genossen. (Vs 33-36.) Diese Verse spiegeln, im Zusammenhange mit der Körper- lehre, Spinozas Lehre von der Ordnung der Dinge wider. Wie auch die Dinge beschaffen sein mögen, es gibt in ihnen nur einen Zusammenhang, nur eine Ordnung : die der wirkenden Ursächlichkeit. Jedes einzelne Ding, auch der Mensch, ist nur ein Glied in der Kette der Dinge. Ganz spinozistisch gedacht ist auch die Schlussstrophe : Schon spürt er im Innern keimen wohl Das stille Pflanzenleben, \ Das bald aus seinem Hügel soll In Blumen sich erheben. Vom menschlichen Körper unterscheidet sich die Blume nur in Ansehung der Bewegung und Ruhe, nicht in Ansehung der Substanz. Das stille Pflanzenleben entspricht den spino- zistischen nicht bewegten Körpern. Der Greis ahnt, dass das Band, welches die vielfachen corpora simplicissima zusammen- hält, aus denen nach Spinoza der menschliche Körper zusam- mengesetzt ist, sich bald lösen wird, und dass nach seinem ) Tode diese einfachen Körper in neuen Verbindungen andere - Körper erzeugen werden. Es ist die Lehre Spinozas von der fortschreitenden Zusammensetzung und der wechselseitigen Kausalität der Körper. 264 LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. Aufden Gedanken des Gedichtes mögen Lenau Jacobis, wenn auch sehr abweichende Verse Der Alte an die Rose (') gebracht haben. Ein Greis wünscht der Rose ein pochendes Herz mit allgewaltiger Liebe in die Brust. Belebt würde die Rose sich wohl vom alten Manne abwenden, denn nur ein jugendlich- blühendes Angesicht könnte ihr gefallen. Jedoch entehrt der Lobgesang des Alten die Blume nicht, entehrt sie nicht : Wenn sich dann der ersten-Spiele Unter Blumen, dann der seligsten Gefühle Süsses Angedenken ihm erneut. Die Rose möge fortblühen, und findet sie ein Jüngling, so möge er sie mit der zartesten Sorge pflegen. Ihm, dem Greise, gewähre sie nur noch, dass er vor dem letzten Dämmerscheine sein Auge an ihr weide, dass er, neben ihr stehend, nicht sein nahes Grab, nur seinen Himmel sehe. Vielleicht sind ausser dem Lobgesang auf die Tränen sämt- liche in diesem Kapitel angeführten Gedichte in der zweiten Hälfte des Monates März gediehtet. Im Februar ist sicher für die Lyrik wenig abgefallen. Der Dichter arbeitete an seinem Operntext, an seinem Trauerspiel, an den Marionetten, an Klara Hebert. Das Trauerspiel, Barbara Radziwill, beschäftigte ihn bis zu seiner Abreise. Wie er den Polenaufstand Iyrisch verherrlicht, so wollte er dem unglücklichen Volke auch ein dramatisches Denkmal setzen; später griff er den Plan wieder auf, und seine Freundin Emilie Reinbeck musste ihm zu diesem Zwecke manche alte Chroniken durchlesen und ausziehen. Nach einem polnischen Stoffe sah er sich auch in den Romanen von Ferd. von Oppeln-Bronikowski um, dessen Werk « Der gallische (4) JacoBı, Werke VI, 205. LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. 265 Kerker » (Dresden, 1827) ihm Motive zu Klara Hebert lieferte und wohl die Anregung zur Behandlung des Stoffes gab (!). Auch dieser Romanzenkranz ist eine Apologie des polnischen Heldentums im Gegensatz zur kleinlichen, heuchlerischen Tyran- nei des Vaterlandes Österreich. Züge von Lotte Gmelin hat der Diehter für die Gestalt der Klara Hebert verwertet. Sie ist weit gepriesen im Lande, nicht nur ihrer Schönheit wegen, auch : Ob des Herzens Wundergüte (Vs 184). Still und einsam (Vs 739) wandelt sie Ihres Grams geheime Pfade (Vs 740). Froh und freundlich erscheint sie tagsüber gegen jeden : Wenn sie endlich kann allein sein, Ist sie abends um so trüber. Istihr auch das Glück der Liebe Wie ein Traum vorübergangen, Werden doch in stiller Sehnsucht Täglich blässer ihre Wangen. (Vs 723-729.) An persönlichen Zügen ist auch kein Mangel. Der Seemann, der in Klaras Gasthof einkehrt, wird ergriffen : Schmerzlich von der Liebe Ahnen, Die für immer er verloren Auf den sturmbewegten Bahnen. (Vs 198-200.) (1) Dieser weist auch vielfache Verwandtschaft auf mit dem Textbuch von Beet- hovens Fidelio (1805). Wie Richelieu Johann Kasimir hasst und ins Gefängnis werfen lässt, so hasst Dolkarre Ferdinand und lässt ihn gefangen nehmen. Wie Klara Hebert so verkleidet sich Ellinore (Fidelio) als Mann. Johann Kasimir soll auf Befehl Richelieus im Gefängnis ermordet werden ; denselben Befehl gibt Dolkarre bezüglich Ferdinands. Klara Hebert erscheint mit einem Gewehre und rettet vorläufig ihren Geliebten; ganz dasselbe tut kllinore. König Ludwig befiehlt, Johann Kasimir in Freiheit zu setzen; der, Minister des Textbuches ordnet die Befreiung Ferdinands an, 266 LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. Die Züge des fremden Fürsten sprechen : Tiefen Ernst und süsse Schwermut (Vs 43, schüchtern, still beklommen (Vs 208 f.) empfängt ihn das Mädchen. Lange wandeln die Liebenden nebeneinander stumm (Vs 224): Mit verschwiegenem Gefühle. (Vs 296.) Auch der Grundgedanke der Lotte-Lieder, der der Entsagung, findet sich wieder in den zwei Eingangsstrophen der Romanze Die Sehnsucht (Ns 669-676), die mit dem Verse schliessen : Träume müssen ja verblühen. Lenaus damalige Zweifelsucht, über die das Zureden der Schwaben nur wenig vermochte, beleuchtet scharf die vierte Strophe der Romanze Der nächtliche Gang : Ein Verrauschen, ein Verschwinden Alles Leben ! — doch von wannen ? — Doch wohin? — die Sterne schweigen, Und die Welle rauscht von dannen. (Vs 81-84.) In der zweiten Ausgabe von 183% setzte der Dichter diese | Verse als Motto zu der Abteilung Leben und Traum. Sie erin- nern stark an Heines Gedicht Fragen, dem siebenten des zweiten Zyklus der Nordsee : Sagt mir, was bedeutet der Mensch? Woher ist er kommen? Wo geht er hin? | Es murmeln die Wogen ihr ew’ges Gemurmel, . . . . . Es blinken die Sterne gleichgültig und-kalt. LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. 367 * ck Unsere bisherige Darstellung unfasst sämtliche Gedichte, die in der ersten Ausgabe des Jahres 1832 erschienen, darüber hinaus vier Gedichte der zweiten Auflage von 1834, zwei aus dem Nachlass, elf aus der Nachlese und ein bisher unbekannt gebliebenes. Der Druck der ersten Ausgabe begann Ende März nicht, wie Schurz (l, 124) mitteilt, infolge verspäteter Lieferung der Handschrift, sondern wegen Krankheit des Cottaschen Faktors. Unrichtig ist Lenaus Mitteilung an Schurz vom 12. Januar 1832, die Gedichte seien unter der Presse, sowie die ähnliche an Schleifer vom 7. Februar. Sehr ungehalten war Lenau über die Verzögerung des Druckes. Am 16. Februar beklagt er sich bitter Schwab gegenüber, will von dem Vertrage abstehen und das Manuskript zurückziehen. Den Beginn des Druckes meldet er Schurz erst am 1. April; am 21. April waren zehn Bogen fertig, am 19. Mai war der Druck beendet : « 450 Exem- plare auf Prachtpapier, 600 auf schönem Druckpapier » (94). Da der Zeitpunkt der Ostermesse, auf den der Verfasser gerech- net, verstrichen war, gab Cotta den Band erst zur Michaölismesse heraus, als der Dichter schon auf hoher See schwamm. Schwab fand die 272 Seiten 8° umfassende Sammlung sehr mässig (1). Ohne den Romanzenkranz Klara Hebert sind 23 Gedichte des Bandes erst in Schwaben, in der kurzen Zeit vom August 1831 bis April 1832, entstanden. Dem Umfange nach ist fast die Hälfte des Bandes in Schwaben geschrieben, das literarische Reisegut, das der Dichter aus Wien mitbrachte, reichte zu einer ansehnlichen Sammlung nieht aus. Nur die Abschnitte Heidebilder und Oden bringen ausschliesslich in Österreich entstandene Gedichte. Grösstenteils in Schwaben ver- fasste Dichtung ist die zweite Abteilung, Lieder der Sehnsucht. (4) KLÜrrEL, S. 176. 268 LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. Von chronologischer Ordnung ist fast keine Spur in der Sammlung zu entdecken. Sie beginnt mit dem Gefangenen aus dem Jahre 1831, darauf folgen die jugendlichen Fragmente, und so geht es weiter in einem die Zeitfolge verdeckenden Durch- einander bis zum letzten Gedichte /n der Nacht, das aus dem Jahre 1825 stammt. Nur ganz vereinzelt, wie in der Nachein- anderstellung von Schilflieder und Winternacht, Reiseempfin- dung und Nach Süden, ist die chronologische Reihenfolge gewahrt. Kunterbunt durcheinandergeworfen erscheinen die Liebesge- = dichte. Die an die Pressburgerin sind auf zwei Abschnitte, die an die künftige Geliebte auf drei, die an Berta auf vier, die an Lotte Gmelin auf drei Gruppen verteilt. | In der Anordnung zeigt sich die künstlerische Absicht, | Gedichte eines gleichen oder ähnlichen Stimmungsgehaltes zusam- | men zu stellen und innerhalb derselben eine Steigerung der Wir- kung zu erzielen. Darum beschliessen z. B. die Schilflieder und Winternacht die Lieder der Sehnsucht, Die Heideschenke die Heidebilder, In der Nacht die Oden. Von einem hohen Kunst- werke der Komposition, wie man sie genannt, scheint mir jedoch die erste Ausgabe ziemlich weit entfernt. Die umfang- reichste Abteilung ist die mit der nichtssagenden Überschrift Vermischte Gedichte, und schwer ist es wohl, einen künstle- rischen Grundsatz zu entdecken für die dortige Einreihung von Frühlingsliedern und Liebesgedichten. Am besten ist dem Dich- ter noch eine künstlerische Gliederung in den auch glücklich überschriebenen Liedern der Sehnsucht und Liedern der Ver- gangenheit gelungen. Ein Vergleich der in Österreich geschriebenen mit den in Schwaben verfassten Dichtungen berechtigt nicht zudem Schluss, dass der Einfluss der schwäbischen Dichter auf Lenau ein ungünstiger war. Schon allein die Lottedichtungen, namentlich die Schilflieder, verglichen mit den Gedichten an Berta, führen zu einem ganz entgegengesetzten Ergebnis. Heilsam für den Menschen und Dichter war der Verkehr mit Uhland, Mayer, LETZTE LYRIK FÜR DIE ERSTE AUSGABE. 269 Schwab, weniger allerdings der vertrauliche Umgang mit dem Melancholiker und Geisterseher J. Kerner. Tonangebend für die Verunglimpfung der Schwaben ward Grillparzers Nachruf (An Nikolaus Lenau) ('), worin die Schwaben als Treibhaus- dichter, die unter Glas bleiche Pflanzen zogen, als alte Sparren und Narren, sogar als Opiumtrinker gebrandmarkt werden, die den armen Mann Lenau berauscht und schliesslich vergiftet haben. Die richtige Antwort auf diese Auffassung, die wenn auch in milderer Form ausgedrückt, die österreichische Lenau- forschung beherrscht (?), hat soeben R. M. Meyer (?) gegeben, dem ich voll und ganz beistimme, ausgenommen in der Meinung, dass die Schwaben Lenau dahin brachten, in seiner « virtuosen Pose zu verharren ». Dieser Ansicht tritt sogar der so stark gegen Lenau voreingenommene Grillparzer entgegen, der im genannten Gedichte ausführt, wie Lenau in alter österreichischer Treue zu ehrlich war, um das Übermass der schwäbischen Bewunderung ohne weiteres einzustreichen und ruhig zu geniessen, sondern alles dransetzte, dieses Lob wirklich zu verdienen : Dass du ein Ehrenmann, hat dich getötet, Dass du kein Tor, war deines Wahnsinns Grund. (1) GRILLPARZER, Werke I, 196 f. (2) S. CASTLE, $. 46. } () Grillparzer über Lenau in den Philologischen Beiträgen zur Geschichte der ungarisch deutschen Beziehungen hrsg. von R. Gragger. — Festschrift für Prof. Gustav Heinrich. Budapest, 1912, S. 182-185. XXVI Auf der Reise nach Amerika. Mai-Oktober 1832. Mit unaufgeblühten Blumen. — Mit Orangen. — Theismus und Offenbarung. — Scharade. Auf ein Fass zu Öhringen. — Frühlings Tod. — Die Seejungfrauen. — Meeresstille. — An mein Vaterland. — Wandrer und Wind. Unmittelbar vor seiner Abreise aus Stuttgart am 22. Mai 1832 sandte Lenau zwei Gelegenheitsgedichte an Emilie Reinbeck, die die neueste Nachlese vermehren. Das Frühlingsgedicht Mit unaufgeblühten Blumen (ıs1) ist ein poetisches Begleitschreiben zu einem der Freundin überreichten Blu- menstrausse, in dem er ihr, der leichterkrankten, und ihrer Mutter, der schwerkranken, die am 22. Mai starb, baldige Genesung wünscht. Ein ähnliches Gedicht Mit Orangen (179) legte er einer Sendung dieser Früchte bei. Sie sollen Emilien : Den freien Blick erschliessen In weite Länderfern. Dies tut der Dichter durch eine Schilderung südlicher Flora und Landschaft, die viel mehr Lokalfarbe hat, trotzdem er sie nie gesehen, als die der amerikanischen Natur, die ihm nichts Bodenständiges ablockt, weil sie ihm eben nicht zusagte. Am 20. Mai besuchte Lenau Mayer in Waiblingen und am 1. machte er mit dem Freunde und dessen Sohne einen Spaziergang nach Esslingen. Auf demselben machte Mayer die Bemerkung, dass die Lerche sich nicht leicht auf einen Baum AUF DER REISE NACH AMERIKA. 274 oder Busch niederlasse, sondern unmittelbar vom Felde auf und unmittelbar wieder auf dieses zurückfliege. Hieraus bildete lenau das Gleichnis Theismus und Offenbarung (136). Er schrieb die Verse nicht später, wie Mayer(S. 77) meint, sondern wahrscheinlich am 23. Mai in eins der eben fertig gedruckten Exemplare seiner Gedichte, das er dem Freunde mit den Begleitworten verehrte : « Erinnerung an unsern schönen Spaziergang von Waiblingen nach Esslingen im Mai 1832 Geschrieben in. Waiblingen am Tage meines Abschiedes. » Schurz gibt in seinem Exemplar die Erklärung : « Etwa Sonntag den 21. An diesem Tage war Niembsch noch von Esslingen nach Stuttgart zurückgekehrt und dann von dort am 22. abgereist. » Lenaus Bemerkung « geschrieben in Waib- lingen » deutet hin auf den 23. Mai, wo Lenau bei seiner Ausfahrt Mayer nochmals besuchte, der ihm aufdem Wege nach Weinsberg zu Kerner bis Besigheim das Geleit gab (!). Die Reise von Stuttgart nach Amsterdam dauerte zwei Monate, weil der Dichter überall von Stuttgart bis Mannheim, wo er am 25. Juni das Schiff bestieg, noch eine « kleine Freundschafts- quarantäne » (102) hielt. In Weinsberg bei Kerner blieb er bis zum 5. Juni, von dort zog er nach Heidelberg, den Weinsberger Aufenthalt abkürzend, weil er rechtzeitig in Heidelberg zu einer Hochzeit im Hause seines Freundes, des Bankiers Zimmern, des « lieben, ehrwürdigen, alten Juden » (90), dem er bis zu seinem Lebensende treue Anhänglichkeit bewahrte, eintreffen wollte. Noch einen guten Freund, seinen Tischgenossen den Juristen Zöpfl, dem er gleichfalls bis zu seinem Tode treu blieb, hatte er dort. Der Frau Zimmern schrieb er bei seinem Abschiede am 13. Juni das einzige von ihm verfasste Rätsel Scharade (4s2) ins Stammbuch, dessen Auflösung Neckarsteinach ist. In Heidelberg beschäftigte ihn das angefangene Trauerspiel, das, wie er am 9. Juni an Mayer schreibt, täglich weiter reifte (4) Mayer, S. 79. 272 AUF DER REISE NACH AMERIKA, « gleichsam sponte sua in meinem Innern » (102). Dort denkt er auch nach über die « geheimnisvollen Gesetze der Kunst, und wieviel Gattungen der Poesie noch zu finden wären, so zum Beispiel einzelne Züge der Natur, wie sie uns vorliegen, ohne Versifikation, ohne Ausführung ins Genaue, bloss nebeneinander hingeworfen, gleichsam in poetischer Situationszeichnung » (101). Auf diese Weise entwarf er später manche Konzepte seiner Dichtungen. In Heidelberg waren die letzten Vorposten der Liebe, drüber hinaus schon das ungeheure Lager der Gleichgültigkeit (102). In Mannheim (14. bis 23. Juni) schrieb er das Zechlied Auf ein Fass zu Öhringen (105), das er am 23. Juni Kerner, am 27. Juni Schwab schickte. Die Sendung an Kerner begleitet | er mit den Worten : « Hier erhältst Du das Gedicht für meinen Herrn Onkel. Möchte es ihm doch gefallen ! » (105). Aufklärung gibt Kerner in einem Briefe an Schurz vom 2%. Oktober 1850 : « Von Weinsberg kam Lenau mit mir und dem Polen Matus- zynski oft nach Öhringen, wo ich einen Schwager hatte, den Rentamtmann Ehemann ; da war er immer sehr vergnügt, auch auf Bällen. Mein Schwager bewog ihn, ein Gedicht auf den Keller des Fürsten Hohenlohe-Öhringen zu verfertigen. Es steht in seiner Sammlung, wurde auf eine Tafel geschrieben und hängt an einem Fass des Einganges zu diesem grossen Keller, in dem die Weine auch für einen Ungar herrlich mundeten, und wo wir uns oft ergötzten. Er schrieb zu diesem Gedicht noch einen merkwürdigen Brief an meinen Schwager, den er nur i < Herr Onkel ’ hiess, welcher Brief mir aber (es ist mir arg!) verloren ging. Merkwürdig war mir, dass er in diesem Brief schrieb : “ er werde auf dem Meere, so oft er einen Vogel vom Lande herfliegen sehe, ‘ Herr Onkel! Herr Onkel!’ rufen; dann würden ihn die Matrosen für wahnsinnig halten und über Bord werfen » (!\. Einen Besuch in Öhringen am 30. Mai (1) Kerners Briefwechsel, Nr 673. AUF DER REISE NACH AMERIKA. 213 beschreibt Lenau Emilie Reinbeck im Briefe aus Heidelberg vom 8. Juni 1832 (102). Emma Niendorf (S. 124) berichtet von einem Besuche des Öhringer Schlosses und Kellers am 22. Juli 1840, an dem Lenau teilnahm, und wiederholt dabei die Entstehungsgeschichte des Gedichtes. Gleichzeitig mit dem Trinkliede sandte I,enau an Schwab Frühlings Tod (:s) mit den Worten : « Hier send ich Dir zwei Gedichte, die auf meiner Reise entstanden sind. Das grössere hab ich in Mannheim geschrieben, das kleinere in meiner Kajüte. Mache damit, was du willst. Gib sie dem Mor- genblatte oder Deinem Almanach; oder, wenn sie Dir nicht gefallen, lass sie liegen oder schicke sie vielmehr an den lieben Mayer, dass er sie auch lese, und begleite sie diesenfalls mit meinen herzlichen Grüssen » (104). Der Brief ist datiert : Auf dem Rhein, vor Mainz, 27. Juni 1832. Lenau schrieb folglich das Gedicht während der Fahrt von Mannheim nach Mainz. Emilien Reinbeck schickte er es am 2. Juli : « Ich wollt nicht schreiben, ohne Ihnen ein Gedicht zu senden, Hier haben Sie nun eines, mir das liebste, das ich je gemaeht habe, und darum Ihnen geweiht, meine unvergessliche Freundin! » (106). Am 27. Juli ging es aus Amsterdam an Schurz ab : « Muss Dir wieder einmal ein Gedicht schicken : ‘ Frühlings Tod ’. Dieses Gedicht sei mein letzter Gruss aus Europa an Dich, lieber Bruder, und an Dich, Du meine liebste, liebste Schwester » (114). Nochmals erwähnt Lenau es im Briefe an Emilie vom 14, Januar 1842 : « Wenn die Rosen fallen, so lesen Sie Ihrem Liebling unter den Rosensträuchen das Gedicht vor : Frühlings Tod » (148). Wie lieb ihm das Lied war, geht genugsam aus diesen Selbstäus- serungen hervor trotz der scheinbaren Gleichgültigkeit, die er Schwab gegenüber zeigte. Lenau fühlte wohl, dass er hier etwas Neues in der Naturpoesie gab, eine eigenartige poetische Durchdringung unıl Vergeistigung der Natur, die er zwei Jahre 18 974% AUF DER REISE NACH AMERIKA. später, gelegentlich einer Besprechung des Buches Lyra und Harfe von Georg Keil in der Halleschen Allgemeinen Literatur- zeitung (!), theoretisch auseinandersetzte : « Die Naturpoesie unserer Dichter des vorigen Jahrhunderts besteht wohl grösstenteils darin, dass sie entweder eine Reihe von Naturerscheinungen aufzählen, welche weder durch Empfin- dung noch durch Situation in einen lebendigen Verband gebracht sind, oder sie ziehen eine Parallele zwischen irgend- einer Erscheinung aus der Natur. Aber weder jene sterile Enumeration, noch dieser bloss verständige Parallelismus dürfte, streng genommen, künstlerische Darstellung zu nennen sein. Die wahre Naturpoesie muss unsers Bedünkens die Natur und das Menschenleben in einen innigen Konflikt bringen und aus diesem Konflikt ein drittes Organischlebendiges resultieren lassen, welches ein Symbol darstelle jener höheren geistigen Einheit, worunter Natur und Menschenleben begriffen sind. Diese Gestaltung der Naturpoesie scheint unserer Zeit vorbe- halten und auf eine merkwürdige Weise mit der charakte- ristischen Ironie der neuesten Poesie überhaupt zusammenzu- hängen. Scheint es doch, als ob gerade die ironische Auffassung des Menschenlebens und ihre schmerzliche Nichtbefriedigung das Herz des Dichters näher zur Natur drängt, um in einem innigeren Verkehre mit derselben die ideale Befriedigung zu suchen, welche in der einseitigen Dissonanz der Ironie nimmer zu finden ist ». Wirklich drängt in Frühlings Tod die im romantischen Sinne ironische Auffassung des Menschenlebens das Herz des Dichters zur Natur. Der Mensch hat sein Paradies verloren. Das Vergehen des Frühlings ist nicht nur als ein menschlicher Vorgang gedacht, sondern erlebt. So wird die Naturerscheinung etwas Organisch-Lebendiges, sie wird zum Sinnbild für eine höhere geistige Einheit, die Natur- und Menschenleben in sich schliesst. (4) II Bd (1834), S. 294. Auch bei ScHurz, I, 261. AUF DER REISE NACH AMERIKA. 975 Auf der Seereise, die er am 1. August antrat, versprach sich der Dichter, fleissig zu sein, seine Augen allerwärts herum- schweifen zu lassen, um keinen Wink zu verlieren, den ihm seine Herzensfreundin, die Natur, zur Poesie gebe. Er spürt im voraus den Reichtum von poetischen Ideen, welche die Natur ihm auf der Reise entgegenstreuen wird, und ahnt nament- lich, dass er eine leidenschaftliche Liebe zum Meere fassen werde (115, 115). In der Tat meldet er Schurz am 16. Oktober 1832 aus Balti- more, er sei jetzt um ein Gutes reicher, da er das Meer kennen gelernt habe. Das Meer sei ihm zu Herzen gegangen, es sei neben den österreichischen Alpen das zweite Hauptmoment, das ihn gebildet, auch auf sein Gemüt habe es die nachhaltigste und beste Wirkung ausgeübt (118). Über Lenaus Arbeit auf der Reise bringt derselbe Brief die Mitteilung : « Neues hab ich nicht viel gemacht. Die Mario- netten, deren ersten Gesang ich Dir unter der Aufschrift Der Gang zum Eremiten mitgeteilt, sind nun in drei Gesängen, ungefähr fünfhundert Versen, fertig; ausserdem einige kleinere Gedichte. Eines der letzteren folgt hier zum Angebinde für meinen lieben Namenstag ('). Es ist mir schwerlich gelungen, die sonderbare Sehnsucht nach der Tiefe des Meeres hinein- zulegen, wie ich sie empfunden. Dass es Seejungfrauen gibt, halt ich für kein Märchen. Glaubwürdige Seeleute haben versichert, solche erblickt zu haben. Vide : Schuberts Ansich- ten von der Nachtseite der Natur » (118). Unter der Überschrift Atlantikum I teilt Lenau nun dem Schwager das Gedicht Die Seejungfrauen (14) mit. Er deutet damit an, dass die « kleineren Gedichte », die er auf der Reise geschrieben, weitere Atlantika sind. Den Einfluss des Naturphilosophen G. H. von Schubert (1780-1860) auf das Gedicht stellt also Lenau selbst fest. Schu- (!) Der von Lenaus Schwester Therese. 276 AUF DER PEISE NACH AMERIKA. bert war ein Freund und Gesinnungsgenosse Kerners. Im Februar sehwankte Lenau noch, ob er nach Amerika reisen oder Kerners Rat befolgen und nach München gehen solle, um Schuberts Vorlesungen zu hören. Die ersten Schriften Schuberts stehen unter dem Einfluss der Schellingschen Naturphilosophie, die späteren unter dem einer mystisch-pietistischen Asketik. Seine im Jahre 1808 erschienenen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, die ja auch einen bedeutenden Einfluss auf die Dichtung H. von Kleists ausgeübt, beruhen auf den Grund- gedanken, dass alle Naturen, welchem Reiche sie auch angehören mögen, nach steter Vervollkommnung streben, eine ununter- brochene Richtung fortschreitender Ausbildung unvollendeterer Formen zu immer vollkommeneren aufweisen (S. 245), mit ihren tiefsten Kräften dahin ringen, das « höhere, göttliche Ideal » immer inniger anzuschauen, immer reiner und höher in sich auszusprechen, des « heiligen Einflusses von oben » immer unmittelbarer teilhaftig zu werden (S. 382 f.). In der ganzen Natur greift ein höheres, künftiges Dasein in das vorhergehende unvollkommene ein, bald als Vorahnung, bald schon deutlich in seinem ersten lebendigen Beginnen sich regend (S. 8309). Namentlich scheint sich durch ein stetes Vorwärtsstreben das Leben des ganzen Tierreichs nach dem des Menschen hinzu- drängen (S. 268), und auch beim Menschen greift nur zu offenbar in das jetzige unvollkommene Dasein schon die Anlage eines künftigen, höheren ein ($. 318). Auf Schubert beruht zunächst auch Lenaus Natursymbolik; wörtlich klingt mitunter die Rezension in der Halleschen Literaturzeitung an Schubertan. Von einer Lektüre Sehellings, auf dessen Identitätsphilosophie _ Lenaus Ansichten zurückgeführt werden könnten, verlautet bis zu dieser Zeit nichts. Wenn Lenau später, in einem Gesp ‚äche mit Max Löwenthal (*), besonders hervorhebt, dass er das Ringen der Natur nach dem Geiste poetisch dargestellt habe wie (1) Gespräch vom 42. November 1839. Lenau und Löwenthal, S. 105. AUF DER REISE NACH AMERIKA. 971 kein Dichter vor ihm, so geht diese Ausserung unmittelbar auf Sehubert zurück. Mit den Augen Schuberts starrt der Dichter sinnend : nach dem hellen, Grenzenlosen Meere, Nach des Mondes und der Wellen Heimlichem Verkehre. (Vs 9-42.) Die Wogen kommen und bringen ihm einen Gruss : [>) {>) Ist’s ein Gruss von Tiefverbannten An die Sternenlichter ? Gilt das Grüssen dem verwandten Ahnungsvollen Dichter? (Vs 17-20.) Die Tiefverbannten sind die Seejungfrauen, die sich nach einem höheren, menschlichen Dasein sehnen, die in den ewig trüben Meeresdämmerungen (Vs 43 f.) über ihr Dasein hinaus- streben, denen im Korallenhage ahnend eine Kunde (Vs 29 f.) wird, dass ihnen zur Stunde ein warmes Herz vorüberschlägt (Vs 31 f.), das ihnen Erlösung bringen möchte. Was besonders auf ihnen lastet, ist die Dunkelheit und die Stummheit ihres Daseins; sie sehnen sich nach den Sternenlichtern und nach Aussprache ihrer Gefühle, was der Dichter in dem einen Worte schweigend (Vs 43) andeutet. Die Sehnsucht des Menschen nach der Tiefe des Meeres erscheint nur als Nebenzug, und wollte der Dichter gerade diese als Hauptmoment in das Gedicht hineinlegen, so ist ihm das allerdings nicht gelungen. Schubert tritt in der zweiten Auflage seines Werkes (Dresden, 1818, S. 286) für die wirkliche Existenz menschenähnlicher, seebewohnender Wesen ein. Durch glaubwürdige Berichte werde 278 AUF DER REISE NACH AMERIKA. die Sage von den Sirenen und Seemenschen noch immer von Zeit zu Zeit aufgefrischt und erneuert. Im grossen weiten Meere befinde sich tatsächlich noch eine ganze kleine Welt von sehr vollkommen organisierten Wesen, die sich dem mensch- lichen Auge zu entziehen wisse. — Ganz übereinstimmend mit Lenaus Schilderung der Seejungfrauen ist übrigens, was | Schubert von den Delphinen zu berichten weiss. Es seien menschen- und musikliebende Tiere mit einem tiefen, sinnigen Blick, in deren Innern die Vorahnung eines künftigen, höheren, d. h. menschlichen Lebens dämmere. Sie seien ein vom festen Lande verbanntes Geschlecht, das sich in seiner « öden, nur von einer unvollkommenen Natur bewohnten Heimat » nach Verwandlung sehne (!). Auch Emilie Reinbeck erhielt das Gedicht unter gleicher Überschrift Atlantikum 1 im Briefe aus Ohio vom 5. März 1833 und als zweites Atlantikum Meeresstille (147) (Sülle! — jedes Lüftehen schweigei), das gleichfalls während der Überfahrt entstand, weil die Prosafassung sich bereits im Briefe an Schurz vom 16. Oktober in der Schilderung der Reise findet. « Ich kann Dir nieht beschreiben, wie mir zu Mute war, wenn auf der See | jedes Lüftchen schwieg, jede Welle ruhte, der müde Himmel | sich aufs Meer legte, und jedes Leben, jede Bewegung sich von unserm Schiffe zurückgezogen hatte, in dieser tiefen, gren- zenlosen Einsamkeit; mit welcher Sehnsucht ich da zurück- dachte an meine lieben Berge, meine lieben Menschen in der Ferne. Ich möchte fast behaupten, das stille Meer ist grösser | als das bewegte, wie es denn schon den Auge ausgedehnter | erscheint » (118). | Ein Vergleich lehrt, dass die Prosafassung den Versen nach- (4) A. Auflage, $. 289 f. 2. Auflage, S. 284 f. AUF DER REISE NACH AMERIKA. 279 geschrieben ist, was wir auch beim Gedichte Der Raubschütz bemerkt haben. ... jedes Lüftchen schwieg, Stille! — jedes Lüftehen schweiget, jede Welle ruhte, Jede Welle sank in Ruh, der müde Himmel sich aufs Re Be ee Meer legte, Leget sich der Himmel, müde, jede Bewegung sich von uns- Nieder auf das weiche Meer. rem Schiffe zurückge- Und vergessend seiner Bahnen, zogen hatte, in dieser Seines Zieles, noch so weit! tiefen, grenzenlosen Ruht das Schiff mit schlaffen Fahnen Einsamkeit. In der tiefen Einsamkeit. (Brief an Schurz.) (Meeresstille, Vs 1-12.) Die Sehnsucht, die den Dichter mitten im weiten Meere nach der Heimat erfasst, ist in einem anderen Seegedichte aus- gedrückt; im Verlaufe von Meeresstille lenkt Lenau in den Gedankengang der Seejungfrauen ein. Er fragt sich, ob es unten im Meere auch so trübe, auch so stille sei wie an der Oberfläche? Und nun kommt wieder der Schubertsche Gedanke von der Sehnsucht, von dem grossen, ewigen Schmerz (Vs 26), der die ganze Natur durchzittert. Das Meer muss auch seine Vertrauten haben, denen es sein Leid klagen kann, die mit ihm empfinden. Gewiss lebt im Schosse der Wellennacht (Vs 30) ein Geschlecht von Menschen. Was Lenaus Faust nur leise, dunkel auf dem Lande empfand, das rauscht ihm auf dem Meere « unbestreitbar in die Seele » : Dass die Natur auch ew’ge Sehnsucht quäle Nach einem Glücke, das sie nie gewinnt. (Faust, Vs 9854 f.) Die erwähnte Sehnsucht nach der Heimat legt Lenau in das Gedicht An mein Vaterland (14), das er Emilien Rein- beck im Briefe vom 5. März als drittes Atlantikum sendet. Die Schilderung des Vaterlandes — das Eichenlaub, der Felsen- 280 AUF DER REISE NACH AMERIKA. bach, der Glockenschall der Herden, das Alpenlied — passt auf Deutsch-Österreich, merkwürdigerweise erinnert kein Zug an Ungarn. « Ich bin ein deutscher Dichter », sagte Lenau, wenn man ihn an sein vermeintliches Ungartum erinnerte (!). Ihm, dem grossen deutschen Vaterlande, gelobt er : die ew’ge Treu In meinem Herzen tief. (Vs 35 £.) Da Childe Harold seinem Vaterlande auch ein Abschiedslied singt, so kann natürlich Lenau nicht anders als dieses nach- geahmt haben! Einstimmig wird hier sogar ein « starker » Einfluss Byrons auf Lenau festgestellt. Der eine schreibt’s dem anderen nach, geprüft, ob dies stimmt, hat niemand. Es ist Wissenschaft, die sich mit der Zusammenstellung von Gedicht- überschriften begnügt. Ebenso gut könnte man Goethes Meeres Stille und Glückliche Fahrt als Vorbilder von Lenaus Meeres- stille und Seemorgen anführen; jedoch das verhilft zu keinem Schlagwort wie das vom Byronismus. Byrons Gedicht ist grundverschieden vom Lenauschen. Sehnsuchtschwer (Vs 37) gedenkt Lenau des Vaterlandes, Byron freut sich, dass er sein Vaterland verlässt : But I will laugh to flee away. Lebendig ist beim deutschen Dichter die Erinnerung an alle 8 Reize des Vaterlandes, jedes Blatt an seinem Baume klingt 8 ıhm in der Ferne nach Und ruft : gedenke mein! (Vs 38) (1) FRANKL, S. 58. AUF DER REISE NACH AMERIKA. 281 Gleichgültig, kalt äussert sich der englische Dichter, nichts fesselt ihn an sein Vaterland : My greatest grief is that I leave No thing that claims a tear. Erst beim Verlassen der Heimat fühlt Lenau, wie teuer sie ihm ist, er gelobt ihr ewige Treue. Mögen die Wogen ihn hintragen, wohin sie wollen, singt Byron, wenns nur nicht zurück ist ıns Vaterland : No care what land thou bear’st me to, So not again to mine. Wie im Grundgedanken so weichen beide Gedichte auch im Plane ganz voneinander ab. Nur in der bei beiden Dichtern ganz knappen Seeschilderung, die bei Lenau in ein paar Verse zusammengedrängt ist, findet sich ein gemeinsamer Punkt des Planes, sonst nichts. Übereinstimmungen im Ausdruck sind nur scheinbar. Byrons : And now I’m in the world alone heisst etwas ganz andres als Lenaus : Ich steh allein, nämlich auf dem Verdeck. — Das Motiv des Gedichtes kehrt wieder im Faust (Vs 2675-2680). Ein viertes Atlantikum hatte nicht mehr Platz auf dem Brief- bogen, den Lenau am 5. März 1833 Emilien Reinbeck sandte, und musste, wie der Dichter am selben Tage Georg Reinbeck schreibt, « seine Begierde, in die Hände Ihrer lieben Emilie und die Ihrigen zu kommen, unterdrücken und in meinem 282 AUF DER REISE NACH AMERIKA. Pugille stecken bleiben » (121). Reynaud (?) meint, dies vierte Atlantikum sei Seemorgen, das Gegenstück zu Meeresstille. Dafür spricht der Brief an Schurz vom 16. Oktober, in dem das vom Sturme bewegte Meer dem stillen entgegengestellt und tatsächlich ein Sturm beschrieben wird. Die briefliche Beschrei- bung des bewegten Meeres weist jedoch nicht wie die des stillen wörtliche Anklänge an das entsprechende Gedicht auf, was hier allein entscheidend wäre. Auch deutet kein Zug auf die Hin- reise nach Amerika, während das Gedicht Wandrer und Wind (277) diese Hinreise in seiner Schlussstrophe deutlich in den Worten des Windes verrät : Weil alter Liebesbande Das Schifflein müd und matt, Jag ich’s vom Mutterstrande Dahin, ein welkes Blatt! (Vs 21-24.) Auch lehnt sich dieses Gedicht an Meeresstille an und zugleich an das Abschiedslied An mein Vaterland. Die erste Strophe bringt wieder eine Schilderung des stillen Meeres : Fünf Tage lag das Meer So still, so bang beklommen, Kein Lüftchen zog daher. Froh begrüsst der Dichter den Wind, der endlich das Schiff vorwärts treibt. Dieser Wind ist ein Herbstwind, wie er dem Wanderer auf der Hinreise, nicht auf der Heimreise wehte. Nachdem er die Wälder am frischen Neckarfluss (Vs 10) und die heimatlichen Felder (Vs 19) (Ungarn) entlaubt, kommt er, nach den Reisenden im Emigrantenschiff zu schauen. Er jagt (1) These ausiliaire, Nr 128. AUF DER REISE NACH AMERIKA. 283 das Schiff vom Mutterstrande wie ein welkes Blatt (Vs 24), weil die Fahrgäste der Liebe zur Heimat abgeschworen haben. Als ein welkes Blatt am Baume des Lebens beschreibt Lenau die Auswanderungsgesellschaft : « Ein kurioser Trupp, manches Gesindel darunter », das es sehr nötig hat, sich « moralisch zu akklimatisieren », Menschen, « arme, müssige Schelme », die sich ihre Langeweile durch schlechte Witze und zotige Spässe vertreiben, und die der von ihnen gesondert in eigener Kajüte hausende Dichter öfters mit seiner Geige zur Ruhe spielen muss (104). In der endgültigen Fassung erweist der Dichter dem Schwa- benlande die Ehre, es als eine zweite Heimat zu bezeichnen : Wie geht es meinen Wäldern Am frischen Neckarfluss? Den heimatlichen Feldern ? Bringst du mir keinen Gruss? Die erste, nur Österreich erwähnende Fassung setzt die Donau an Stelle des Neckars : Wie geht es meinen Wäldern Am frischen Donaufluss? Auffallend ist es, dass Lenau das Gedicht nicht in die Atlantika der zweiten Ausgabe (1834), sondern erst in die Reiseblätter der Neueren Gedichte (1838) aufnahm, dass ferner der Erstdruck zwei Jahre später erfolgte als der der drei vorher- gehenden Seegedichte. Auch eine Handschrift ist aus späterer Zeit, und es fehlt in der Abschrift der Seegedichte, die Sophie Löwenthal im Jahre 1833 in ihre Lesefrüchte eintrug. Trotz dieser Umstände füllt dieses vom Dichter so seltsam zurück- gehaltene Gedicht am besten die Lücke aus, die er im Briefe an Emilie Reinbeck gelassen. XXVII In Amerika. Oktober 1832 bis Mai 1833. Die Heidelberger Ruine. — Die Rose der Erinnerung. — Der Postillion. — Warnung und Wunsch. — Abmahnung. — Die Sennin. — Die schöne Sennin. — Protest. — Waldestrost. — Der Unentbehrliche. — Ein Heimatbruder. — Ahasver, der ewige Jude — Primula veris. — An einem Baum. Schon vor der Einschiffung in Amsterdam hatte Lenau den Plan eines längeren Aufenthaltes in Amerika aufgegeben. In den zahlreichen Briefen, die er aus Amsterdam an seine Freunde schreibt, spricht er von einem drei-, vier-, sechs-, höchstens achtwöchentlichen Aufenthalte. Die Enttäuschungen während der Rheinreise, die « schmähliche » Auflösung der Aktien- gesellschaft noch vor der Seereise bestimmten ihn, nur den Niagara zu besuchen, allenfalls noch ein Stück Land anzukaufen, einen Pächter daraufzusetzen, den er schon in dem Zimmer- meister Ludwig Häberle aus Württemberg gefunden, und dann schleunigst wieder heimzukehren. Von Baltimore aus begab er sich über Bedford und Pittsburg zum Sitz des Ländereiamtes in New-Lisbon und kaufte bereits am 26. Oktober 400 Morgen Kongressland in Crawford County. Der Aufenthalt in Amerika verzögerte sich, weil er die mit dem Regierungssiegel ver- sehene Verkaufsurkunde abwarten musste, sonst wäre er schon früher heimgekehrt. Die zwei letzten Monate des Jahres 1832 verbrachte er in der Harmonistenkolonie Economy. Er beschloss das Jahr 1832 mit einer abenteuerlichen Schlittenfahrt durch den frostigen Urwald von Economy nach der weit entfernten IN AMERIKA. 385 Farm in Crawford County. Die nüchternste, nackteste Wirklich- keit empfing den nur Poesie suchenden Dichter bei den ernsten Arbeitsmenschen der Kolonie. In einer geistigen Vereinsamung, wie er sie noch nie empfunden, überfiel ihn wieder der Dämon der Melancholie. Von dieser sind nun auch wieder die in Amerika entstandenen Gedichte durchtränkt, die. fast nur aus Heimaterinnerungen bestehen. Lenau zählt diese Gedichte selbst auf im Briefe an Emilie Reinbeck vom 5. März 1833. « Ich war die Zeit über auch nicht ohne poetische Stunden; ich will Ihnen sagen, was ich geschrieben habe. Der Gang zum Eremiten (!) ist fertig in drei Gesängen. — Die Heidelberger Ruine. — Die Abschiedsrose (2). — Der Postknecht (?). — Warnung und Wunsch. — Abmah- nung. — Die schöne Sennerin in vier Gedichten. — An die Ultraliberalen in Deutschland (*) — Waldestrost. — Der Unentbehrliche. — Primula veris. — Ahasverus, der ewige Jude. — und vier Atlantica » (120). Die Atlantika erwähnt er zuletzt, weil er der Freundin drei davon mitteilt. Ob er sonst die chronologische Ordnung in dieser Anführung wahrt, ist nicht sicher zu bestimmen. Dafür spricht, dass das sicher dem Frühjahr 1833 angehörende Frühlingsgedicht Primula veris erst zum Schlusse genannt ist. K. Knortz (°) überliefert uns ein Zeugnis von Vater Henrici, einem der Leiter der Harmonistenkolonie, dass Lenau während seines dortigen Aufenthaltes « zahlreiche Gedichte » machte. Ist dies auch eine Übertreibung, so waren doch die zwei Monate ruhigen Lebens, November und Dezember 1832, bei den Har- monisten der Dichtung wenigstens von vornherein nicht ungün- (1) Die Maronietten. (2) Die Rose der Erinnerung. (°) Der Postillon. (4) Protest. (#) Aus der transatlantischen Gesellschaft, Nordamerikanische Kulturbilder. Leipzig, 1882, 5. 184. 286 IN AMERIKA. stig. Auch für den Monat Januar 1833, den Lenau auf seiner Farm in der Wildnis Ohios zubrachte, bringt Mulfinger (S. 51) das Zeugnis eines alten Ansiedlers, dass Lenau, durch den harten Winter in die Stube gebannt, im Hause eines englischen Nach- bars abgeschieden von aller Welt lebte und « immerfort schrieb, kaum ein Wort sprach ». Ruhe zur Arbeit gewährten ihm die Monate November, Dezember, Januar, mit Ausnahme der Sehlittenreise zu Weihnachten. Sehr bewegt waren hingegen die Monate Februar und März. Schon Anfang Februar fährt der Dichter zurück nach Pittsburg, eilt von dort nach Economy, wo er drei Wochen krank daniederliegt. Anfang März ist er | wieder auf dem Ländereiamt in New-Lisbon, dann reist er zurück nach Economy. Von dort reitet er am 15. März dem Niagara zu. | Das Gedicht Die Heidelberger Ruine (98) beruht auf einer Erinnerung, die Lenau erst am 4. Juni 1844 seinem Schwager berichtete. An einem klaren Maiabend des Jahres 1844 geniesst er freudig einen Sonnenuntergang auf der Heidelberger Schlossruine, was er als einen Naturgenuss ersten Ranges bezeichnet. « Vor zwölf Jahren hab ich an derselben Stelle geweint vor elegischem Übermass der Empfindung » (s32). Ähnliche Gefühle weckte früher, zu Anfang des Jahres 1830, der Anblick einer Burgruine. Sie kam dem Dichter vor « wie k eine versteinerte, bittere Lache der Zeit, die vom grauen Gestein herabgrinst » (58). Der Gedanke an den Tod wirft einen düste- ren Schatten über alles Leben, alle Schönheit. Herzlos sind die Naturkräfte. Von diesen Gefühlen ist das Gedicht beherrscht. \ Nicht nur alles, was Lenau in Amerika sieht, auch fast alles, { was in seiner Erinnerung aus der Heimat auftaucht, wird ihm | zum Sinnbilde des Untergangs. Über alle Pracht der Natur | | Weht des Todes leiser Flügel. SR ee REN Er (Vs 4.) Mag der Hügel noch so grünen; Was dort die Ruine spricht Mit verstörtem Angesicht, Kann er nimmer doch versühnen. (Vs 9-12.) IN AMERIKA. 287 Kalt und roh (Vs 20) ist die Natur in ihren schönsten, hol- desten Reizen, in allen ihren Kräften. Gleichgültig blühen die Blumen über den Leichen ihrer Schwestern, jedes Mitge- fühles bar eilen die Naturkräfte fort im Kampfgewühle. Bitter winkt die Ruine hinab auf die so viel buntes Leben einschlies- senden Häuser der Stadt, bitter lacht sie des menschlichen Treibens zu ihren Füssen. Die zehn ersten Strophen bilden ein abgeschlossenes Gedicht, das wirkungsvoll das Thema der Härte der Natur, ein Lieblings- motiv Lenaus, behandelt. Die Stimme der Nachtigall, die einen Klagegesang anhebt, verleitet zu einer langen Abschweifung, welche die Einheitlichkeit des Gedichtes zerstört und die Wir- kung abschwächt, um so mehr als der Diehter vom ursprüngli- chen Grundgedanken weit ablenkt, bis er fast mit einem Widerruf schliesst. Auf diesen öfters bei Lenau hervortretenden Fehler der Komposition machte Auerbach im Sommer 1844 den Dichter aufmerksam. « Die neuösterreichische Iyrische Poesie hat in einer Fülle von Überkraft sich von der mustergültigen Goethischen Einfachkeit entfernt, in welcher jeder Einzelge- danke des Gedichts dem Verlaufe des Ganzen untertan ist und nicht eine Aufmerksamkeit für sich beanspruchen darf. Auch Lenau schien mir nicht frei davon, in einzelne Zeilen und Wortfügungen einen selbständigen Gehalt einzuknüpfen, wodurch ein Abirren und statt der einfach und wie orga- nisch notwendig sich fortentwickelnden Melodie ein figurierter Gesang entsteht, der oft kunstvoll, aber dem reinen Geschmacke minder entspricht. Er (Lenau) liess nicht ab, bis ich ihm dies an einzelnen Gedichten nachwies. Ich wählte dazu das sonst so schön- melancholische Gedicht Die Heidelberger Schlossruinen, die er * der Zeit steinern stilles Hohngelächter ’ nennt, und so noch einige andere. Manchmal sagte er schnell : “ Hast recht, hast recht, Brüderl ’ und, jede fernere Erörterung abschneidend, setzte er hinzu : “ Red nicht, brauchst weiter gar nichts zu sagen! ’ Bei anderen Stellen sagte er wieder : Red ch 288 i IN AMERIKA. nichts, red nichts, kannst tausendmal recht haben, es bleibt doch ’ » (?). Das ausgeklügelte Gedicht verrät deutlich die wahrscheinlich auf der Reise vorgenommene Beschäftigung mit Schuberts gele- senstem Werke Geschichte der Seele (?). Zunächst fällt Lenaus sonderbare Beschwörung einer « Schar geschiedner Seelen », eines « Geisterschwalles », auf, den das mächtige Wort des Früh- lings zurückruft zum schönen Ort ihrer frühverlassnen Freuden. Dort halten sie den stillen Reigen, müssen jedoch bald wieder in das öde Schattenreich zurückeilen (Vs 57-80). Die Geschichte des Scheintodes, meint Schubert (I, 641), lehrt uns, dass die Seele noch einige Zeit, ja vielleicht noch lange nach dem Tode, mit dem starren Leichname durch ein Band vereint ist. Dieses Band gleichet dem Zuge des Heimwehes nach der so lange in Freud und Leid bewohnten Hütte oder der lebhaften Erinnerung an diese. Eine mit neubelebender Kraft ausgestattete weckende Stimme kann den toten Leib wieder zu einem hörenden Ohre der Seele machen. « Sind schon in dem Zuge des Heimwehes nach der verlassenen Wohnstätte der ersten Jahre, in dem Zuge des lebhaften Erinnerns an ein fernes, teures Gut Kräfte von wundervoller Art, so lange wir noch in diesem schwerbeweg- lichen Leibe wallen, welche Macht wird dann erst einem solchen Zuge an der gedankenschnellen und gedankenkräftigen Seele sein, wenn dieselbe, des Leibes ledig, ganz das ist, was sie in der vorherrschenden, eigentümlichen Kraft und Weise für sich und an sich selber zu sein vermag ». — Die « geschiednen Seelen », dichtet Lenau, wohnen in « öden Schattenheiden » (Vs 61). So schildert Schubert (I, 645 f.) nach den Schriften des alten Bundes das « Reich der absgeschiednen Seelen » als « das Land der Schatten, grauenvoll und ohne nahen Trost ». Es ist ein schein- und freudenloseres als das Fortleben des entlaubten Baumes im Winter. — Selber können die leiblosen Seelen (1) Aus Auerbach, Der letzte Sommer Lenaus, abgedruckt bei ScHurz, II, 169 £. (2) Stuttgart und Tübingen, Cotta, 4830. 2. Bde. IN AMERIKA. 289 Lenaus ihren nächtlichen Besuch der treugeliebten Erde nicht künden, sie müssen wieder eilen in « das öde Schattenreich » (Vs 73-78). Als hoffnungslos schildert Schubert den Zug der abgeschiedenen Seele herniederwärts, nach der ersehnten Leiblichkeit und ihren Freuden. Nach unten ist ihnen die Aussicht gehemmt, der Zugang zur niedren Welt der Sichtbar- keit auf ewig verschlossen. « Das heisse Sehnen, tränenlos, starret in eine dunkle Öde, welch ohne Wechsel immer dieselbe ist. » (I, 644 f.) — « Dringend weich » ruft die Lenausche Nachtigall den Seelen nach, sie möchten weilen (Vs 79 f.), auch klagt sie « tief und laut » über die aus allen Blüten schauende kalte Todesmiene (Vs 46-48). « Tief und klagend » nennt Schubert den Gesang der Nachtigall, weil das Bild der aufge- henden Sonne, dem ihre Töne gelten, so vergänglich, so vor- übereilend ist (1, 239). Selbständig und eigentümlich wohnet im Tiere jene obere Lichtwelt, deren sammelnder Brennpunkt für uns die Sonne ist, und wecket aus der singenden Nachtigall mitten in finstrer Nacht das Sehnen der sie hörenden Wesen. Aus der Brust des singenden Vogels ertönet « jene Harmonie, nach deren Lauten der Gang der Welten geordnet worden » (1, 36). Der Ton des singenden Vogels ist « nur eine Überklei- dung der belebenden, irdischen Naturkraft » (1, 658). — Klingt ferner nicht in Lenaus Versen von den bewegten Naturkräften, die im Kampfgewühl forteilen (Vs 25 f.), und von dem frohen Drängen der Blüten, sich bald zu mengen mit denen, die dahin (Vs 85 ff.), Schuberts Einleitungssatz zum Kapitel Der Sabbath nach : « Es ist in der Natur ein beständiges Bewegen, welches keine Ruhe hat Tag und Nacht. Denn schneller als ein Weber- spul fleucht es von der Geburt zum Tode und eilet vom Tode wieder zur neuen Geburt; nach kaum genommenem Anfange suchet es schon das Ende und kann dies nirgends finden, denn das scheinbare Ende ist nur der verhüllte Anfang eines neuen Ausgehens und Suchens nach dem Ende » (I, 39). Die pessimistischen Motive früherer Dichtung nimmt Lenau 19 290 , IN AMERIKA. in Amerika wieder auf, das der Vergänglichkeit auch in Die Rose der Erinnerung (107). Treulos hat er das teure Heimatland verlassen, wo ihm, Wie nirgend sonst, die Freude blühte, er hat sich selbst verstossen aus dem Paradies Voll Freundesliebe, holder Frauengüte, womit er Schwaben meint. Mit Tränen netzt er die Rose, die ein heimatlicher Blütenzweig ihm zum Lebewohl geboten. Jetzt ist sie verwelkt, Sie ruht so blass und starr in meiner Hand, Des Unverwelklichen ein welkes Zeichen. (Vs 23 £.) Unmittelbar folgt hierauf ein nachdrücklicherer Widerruf als im vorigen Gedichte. Die duftlose, verblasste Rose ist kein welkes Zeichen des Unverwelklichen, vielmehr ist das bange Rauschen ihrer Blätter ein prophetisch trüber Klang, Ein leises Schreiten der Vergänglichkeit, Hörbar geworden plötzlich meinem Lauschen! Im Lande der « himmelanstinkenden Krämerseelen », die für alles geistige Leben, ja für jedes schönere Gefühl, « maustot » sind (118), inmitten dieser widerlich rauhen Menschen, in der grossen, langen Einsamkeit, ohne Freund, ohne Natur, ohne irgendeine Freude (120) erscheint die Heimat dem Dichter als ‘das verlorene Paradies. Hier hebt er besonders die heimatliche Freundesliebe und Frauengüte hervor. Die amerikanische Gegenseite dazu bringen die Briefe. Man braucht die Amerika- ner nur im Wirtshause zu sehen, um die Kerle auf immer zu hassen. Wenn die « Fressglocke » erschallt, stürzen sie herein, keiner sieht den anderen an, keiner spricht ein Wort, jeder IN AMERIKA. 291 stürzt auf eine Schüssel, frisst hastig hinein, springt dann auf, wirft den Stuhl hin und eilt davon, Dollars zu verdienen (118). In dem grossen Nebelbade Amerikas werden der Liebe leise die Adern geöffnet, und sie verblutet sich unbemerkt. Die Ameri- kaner sind ausgebrannte Menschen (120). Der « holden Frauen- güte » stellt Lenau die « fürchterliche innere Hohlheit » der Amerikanerinnen gegenüber (122). Denselben Gegensatz wie zwischen den Menschen bildet Lenau zwischen der europäischen und der amerikanischen Landschaft heraus. Eine seiner lieblichsten Schilderungen hei- matlicher Erde bringt Der Postillion (105) : eine stille, milde Maiennacht in einer anmutigen Hügellandschaft, der bleiche Mond als einziger Wächter auf den stillen Strassen, der leise flüsternde, warme Nachtwind, der sanft murmelnde Bach, die duftenden, träumenden Blüten, die sich über Berg und Tal schlingende, weiss schimmernde Landstrasse, die stillen, fried- lichen, schier in Blüten begrabenen Dörfer, der von weissen Mauern umhegte, vom Mondlieht überstrahlte Kirchhof mit dem in stummer Trauer emporragenden Kreuzbilde, der sich über das Gesamtbild spannende blaue, mit leichten, silberfarbigen Wölkehen geschmückte Himmel. Abstechend von der ameri- kanischen Natur, wie Lenau sie in seiner argen Enttäuschung sah, ist das Bild in den anmutigsten Farben gemalt. In Amerika ist die Natur entsetzlich matt, die Natur selbst ist kalt wie .die Menschen. Die Gestaltung der Berge, die Einbuchtungen der Täler, alles ist gleichförmig und unphantastisch. Unbehaglich, ungemütlich sind die amerikanischen Strassen. Die Vögel kön- nen nicht singen, sie zwitschern nur. Der Natur wird es nie so wohl ums Herz oder so weh, dass sie singen müsste. Sie hat kein Gemüt und keine Phantasie und kann darum ihren Geschöp- fen auch nichts dergleichen geben. Ein poetischer Fluch liegt auf dem ganzen Lande (120, 122). Diese Landschaft durchklingen keine Posthorntöne, auch gibts dort keine Menschen, die in rauher Schale einen so erquicklichen, milden Kern brüderlicher Liebe und unveränderlicher Treue bergen wie der Postillon. 399 IN AMERIKA. Undenkbar wäre dort ein solcher Dienst der Liebe, eine so ergreifende Totenfeier. Offenbar geht das Gedicht auf eine nächtliche Reiseerin- nerung aus der Heimat (Österreich oder Schwaben) zurück. Eine starke poetische Ausschmückung des Erlebnisses ist vorauszusetzen. Mayer, der nicht wusste, dass das Gedicht in Amerika entstanden, führt es (S. 38) als ein Beispiel derjenigen | Lieder an, die im Postwagen geschrieben. Eine Anekdote bezüg- lich der Entstehung machte im Jubiläumsjahre 1902 die Runde durch die Zeitungen und findet sich auch in den Schulbüchern und Erläuterungsschriften. In einer mondhellen Mainacht zu Anfang der dreissiger Jahre (!) sei Lenau mit einem D’ Fraas aus Balingen im Postwagen von Stuttgart über Tübingen und Hechingen nach Balingen gefahren. Unterwegs, in Steinhofen, habe der Postkutscher seinem toten Kameraden sein Leiblied geblasen. In Balingen angekommen, habe Lenau in Der alten Post den Entwurf des Gedichtes niedergeschrieben. Wir wissen von Friedhöfen, die einen tiefen Eindruck auf den Dichter gemacht, jedoch sind es österreichische. Der Starhem- berger « mit geneigten, vom Monde übersilberten Kreuzen » (!) fesselte Lenaus Aufmerksamkeit schon im August 1827, auf seiner zweiten Reise in die österreichischen Alpen. Beim Ausflug | ins Salzkammergut im August 1830 wirkte der « an Bergesrand hingelehnte » Hallstadter Kirchhof mächtig auf ihn (?). Diesen, | nicht etwa einen schwäbischen Friedhof, traf Emilie Reinbeck | nach Lenaus Schilderung in ihrem Gemälde so ähnlich, dass | sie selbst bei einem späteren Besuche von dem Zusammen- | treffen überrascht war (?). | Als « neuentstanden » erwähnt Lenau den Postillon im Briefe | an Schurz vom 22. September 1833 zugleich mit den Mario- netten und dem Ahasver, also bald dreiviertel Jahr nach der (4) ScHurz, I, 88. (2) Ebd., S. 404. (°) E. NIENDORF, S. 162. IN AMERIKA. 293 Niederschrift; bezüglich der Marionetten dehnt sich dieser Zeitraum auf ein volles Jahr aus. Eine Handschrift des Postil- lons verehrte Lenau der jüngsten Schwester Emiliens, Charlotte von Hartmann (1808-1871), gelegentlich einer von ihr unter- nommenen Reise. Diese Handschrift, die nicht die erste Fassung bietet, weist viele Varianten auf, die von Lenaus sorgfältiger Arbeit an seinem berühmtesten Gedichte, von der mühsam erworbenen Formvollendung Zeugnis ablegen. Die Warnung : Lebe nicht so schnell und stürmisch, womit das Gedicht Warnung und Wunsch (157) anhebt, mag dem Dichter in der Harmonisten-Kolonie in Econemy zugegangen sein. Recht bezeichnend für seine Gemütsstim- mung in Amerika sowie für seine Charakteranlage überhaupt ist die Antwort : Könnt ich leben also innig, Feurig, rasch und ungebunden, Wie das Leben jenes Blitzes, Der dort im Gebirg verschwunden ! Der Vers : Sieh-den holden Frühling prangen hätte keine Veranlassung geben sollen, das Gedicht in den Frühling zu verlegen; es war sicher vor dem 5. März fertig. Überhaupt sind fast alle amerikanischen Gedichte, wenn man sie nach der darin erwähnten Jahreszeit bezeichen will, Früh- lingsgedichte : Die Heidelberger Ruine : Freundlich grünen diese Hügel, (Vs 1.) x 294 IN AMERIKA. Der Postillon : Lieblich war die Maiennacht, (Vs 4) die schöne Sennin : Und der Frühling nahte sich, (IL, Vs 9.) Ahasver, der ewige Jude : Die Linde säuselt, blütenreich. (Vs 17.) Die Sennin ist, wenn kein Frühlings-, so doch ein Sommer- lied : Schöne Sennin, noch einmal Singe deinen Ruf ins Tal, (Vs 41-9.) Waldestrost ein Herbstgedicht : Den Bäumen nimmt der Herbst das Laub. (Vs 9.) Keins der, mit Ausnahme von Primula veris, vielleicht sämt- lich im amerikanischen Winter geschriebenen Gedichte ist ein Winterlied. Zu trostlos war dieser Winter, als dass er dem Dichter, wenigstens unmittelbar, eine poetische Seite hätte bieten können. Dies vermochte die amerikanische Natur ja überhaupt nicht. Befruchtend wirkte nur der Gegensatz zwischen ihr und der heimatlichen, den Lenau auf die Spitze trieb, indem er letztere fast ausschliesslich im Frühlings- schmucke schilderte. Auch der äussere Anlass des Gedichtes Abmahnung (156) ist eher in einer Erinnerung oder in einer Nachricht aus der Heimat als in Amerika zu suchen. Die so stark vom Dichter IN AMERIKA. 295 gehassten und verachteten Amerikaner hat er wohl der Mah- nung, die Stelle heilig zu achten, Wo spielend sich des Städtchens Jugend freute In seines Glückes Nücht'gem Morgenschimmer, nicht für würdig gehalten, um so weniger, als sie dieselbe in ihrer gänzlichen Entblös stheit alles Gefühls doch nicht verstan- den hätten. Überraschend führt das Gedicht zum ewigen Grund- satz der pessimistischen Lebensanschauung, das Beste im Menschenleben sei die Jugend und das Grab. Der Umstand, dass diese Abmahnung im Erstdruck in der Wiener Zeitschrift erschien, legt die Vermutung nahe, sie richte sich an Österrei- cher. Aus vaterländischen Eindrücken gingen auch die beiden Gedichte an die Sennin hervor. Auf Die Sennin (230) weist Schurz (1, 104) bei der Erzählung hin, wie bei der Feier von Lenaus Geburtstag, am 13. August 1830 auf dem Traunstein. eine Sennin sich vernehmen liess, « welche die eigene Kunst verstand, so eigentümlich abgebrochen zu jauchzen, dass der vielfache Widerhall der zerrissenen Felsen jenseits des Sees nieht sowohl ihre Töne wiederzugeben, als vielmehr solche zu einem mehrstimmigen, fast abenteuerlichen, aber zugleich höchst schönen Liede zu verflechten und zu ergänzen schien. Die Felsen belebten sich ordentlich an der Maid ». Ein ähnli- ches Erlebnis aus dem Jahre 1834 erzählte Lenau im Mai 1843 in einer Gesellschaft bei den Reinbecks ('). Zwar führt Lenau unter den amerikanischen Gedichten Die schöne Sen- nin (11) an, fügt jedoch hinzu « in vier Gedichten ». Eine Zusammenstellung der Verse Die Sennin und Die schöne Sen- nin ergibt nur drei Gedichte, das vierte hat er entweder nicht veröffentlicht oder er hat ursprünglich die beiden « Reiseblät- ter » in zwei Abteilungen geteilt, was um so wahrscheinlicher (4) NıENDORF, S. 451. 296 IN AMERIKA. ist, als Die Sennin in den Erstdrucken eine Strophe mehr hat. Jedenfalls beweist Lenaus Bemerkung « in vier Gedichten », dass die beiden Gedichte zeitlich zusammenzustellen sind. In beiden schlägt übrigens der Dichter das Thema der Vergäng- lichkeit an, sie gehören inhaltlich innig zusammen, und ein Band verknüpft sie auch mit den Gedichten Die Heidelberger Ruine und Die Rose der Erinnerung. In. letzterem (Vs 25) widerruft der Diehter unmittelbar einen Ausspruch und leitet die Verneinung durch einen in Frageform ausgedrückten Zweifel ein. Dieselbe Stilfigur, denselben Gedanken ausdrückend, findet sich im Gedichte Die schöne Sennin. Der Himmel sandte ihr einen warmen Blick, der Geblieben ist und scheidet nimmer, (I, Vs 45.) Darauf folgt die Frage : Ö Sennin, sterblich ! scheidet nimmer? — Bis in solche Besonderheiten hinein ist der amerikanischen Dichtung der Stempel des Gegensatzes aufgedrückt. Auch die Sennin ist eine Verkörperung der poetischen Frauengestalt der Heimat im Gegensatz zu der amerikanischen. Wie singen die amerikanischen Damen? « Ihr Ton war in Wahrheit jenem zu vergleichen, den man hervorbringt, wenn man mit nassen Fingern an dem Rande eines mit Wasser gefüllten Glases herumfährt, ein sonderbares Geschrille, das höchstens dem einer Möwe ähnlich kommt. Ich hörte mit vielem Grausen zu, denn ich vernahm in jeder Note die Resonanz einer fürchterlichen inneren Hohlheit » (122). Die Sennin singt, dass ihr Ruf den Bergen in die Brust dringt, dass die Felsenseelen ihr Wort freudig fort und fort erzählen, dass sie stumm stehen vor Trauer, wenn sie scheidet mit ihrem Lied (Die Sennin). — Die Amerikanerinnen blicken nicht, sie schauen nur; es klaffen nur zwei Kellerfenster (122). Das blaue Auge des Alpenkindes strahlt IN AMERIKA. 297 mild und klar, der warme Blick des Himmels ist in dies holde Auge hineingebannt als Lohn für ihre Frömmigkeit. Sie hat Sinn für ein höheres Leben (Die schöne Sennin I), während das Atlantische Meer « der isolierende Gürtel für den Geist und alles höhere Leben ist » (121). Schön ist die Sennin. Der Frühling hat ihr seinen goldenen Abendschein aufs weiche Haar gegossen, leise ein Rosenpaar auf ihre Lilienwangen gelegt. (Die schöne Sennin II). Das amerikanische schöne Geschlecht kann der Dichter nur darum loben, weil es seiner Ruhe niemals gefährlich werden könnte (122). Es bedurfte wirklich des weiten räumlichen und zeitlichen Abstandes und des starken Kontrastgefühles, das den Dichter in Amerika beherrschte, damit ihm das Bild der Sennin in solcher poetischen Verklärung erscheinen konnte. Wie die Senninnen in Wirklichkeit aussahen, und weshalb Lenau nach seiner Rück- kehr keine Gedichte mehr auf Senninnen geschrieben, sagt der Brief vom 11. Juli 1835 an Max Löwenthal, worin er dem Freunde eine Sennerwirtschaft auf der Neuberger Schneealpe beschreibt : « Der Anblick dieser Kolonie ist hübsch. Nur schade, dass das Vieh so schlecht ist und dass die Senninnen nicht poetisch sind. Garstig und unrein, sind sie für den Dichter völlig unbrauchbar, ganz und gar nicht zu besingen, so unflä- tig, dass auch auf dem ganzen Leibe einer solehen Schwagerin nicht ein sauberes Fleckehen zu finden ist, wo man einen Vers applizieren könnte. Pfui Teufel! » (216). Zu Frl. von Hünersdorff, der Begleiterin der Gräfin Marie j ! von Württemberg, äusserte Lenau am 13. August 1833, dass % | sein Aufenthalt in der neuen Welt ihn von dem Traumbild der Freiheit und Unabhängigkeit, für das er mit jugendlicher Begeisterung geschwärmt, geheilt habe; er habe sich dort über- | zeugt, dass die wahre Freiheit nur in unserer eigenen Brust, in unserem Wollen und Denken, Fühlen und Handeln ruhe ('). (4) ScHurz, I, 294. 298 IN AMERIKA. Auch die amerikanische Freiheit, die er in dem Gedichte Abschied so schön besungen, liess ihn kalt. Einen scharfen Gegensatz zu Abschied bezeichnet das politische Gedicht Protest (1s+), das er im Briefe an Emilie Reinbeck An die Ultraliberalen in Deutschland betitelt. Hier nennt er das europäische Königtum eine Himmelsgabe, das Vaterhaus und den Hort verlassener Völker, wenn er darum auch nicht sofort liebt : Was jetzt und hier an Königen wir haben. (Vs. 8.) Die individuelle Freiheit in Amerika erscheint ihm als Selbst- sucht. Die gesellschaftliche Gleichheit lief seinem romantischen Ideal von der Sonderstellung des genialen Menschen und von der Bedeutung der Kunst stracks entgegen. Den republika- nischen Verband bezeichnet er als eine blosse « Vermögens- assekuranz », als eine « materielle Konvention », der jedes geistige und sittliche Band fehle, und für die sich kein Mensch, am allerwenigsten der Amerikaner selbst, erwärmen könne. Mit dem Ausdrucke « Bodenlosigkeit » glaubt er den Charakter aller amerikanischen Institute, auch der politischen, bezeichnen zu können (122). Man braucht das Gedicht nicht unmittelbar auf politische Ereignisse in der Heimat, wie das Hambacher Fest und das Frankfurter Attentat, zu beziehen. Letzteres ist schon ganz verfehlt, denn das Ereignis (3. April 1833) fällt später als das Gedicht. Unter dem Bilde des alten Mannes in Waldestrost (157), der allein mit seinem Leide, ein Fremdling unter den Menschen, im Walde herumschleicht, hat Lenau sich selbst gezeichnet und das Gefühl der Schwermut in der Einsamkeit nirgendwo ergrei- fender ausgedrückt als hier. Wir wissen von solchem einsamen Herumstreifen, von solchem stundenlangen Starren, von diesen Gefühlen des Fremd- und Alleinseins aus der Erzählung Geläutert von Luise Zehnder-Weil (*), die auf Mitteilungen (4) Stuttgart, Verlag von D. Gundert, 4891 IN AMERIKA. 299 beruht, welche der Verfasserin Katharina Becker, die Schwester eines Leiters der Harmonistengemeinde, machte. Ein inneres Weh, kein äusseres über seine Armut, drückt den alten Mann, der in seiner ärmlichen Kleidung (Vs 3) an den Bettler in bettlers Klage erinnert, zu dem er sonst einen Gegensatz bildet. Das Motiv der Sympathie zwischen Mensch und Tierreich (Vs 13-20) geht auf Schubert zurück, der auch in seiner Geschichte der Seele (1, 30-39) ausführt, wie sich ein dunkles Sehnen im Tierreich immer mehr und näher nach der Gesell- schaft, nach dem Umgang des Menschen hindrängt, und wie das Tier die geisterhafte Tiefe des menschlichen Wesens, wo nicht versteht, doch ahnt. « Denn das Tier erkennet Gott nicht; es fraget nicht nach einem ewigen Jenseits. Wohl aber ahndet es im Menschen, dem Ebenbilde Gottes, eine wärmende, belebende Flamme, welche aufwärts nach Gott strebet, und wie die tierische Form nachbildend immer mehr dem Mittelpunkte, der Menschenähnlichkeit sich nahet; so drängt sich ein dunkles Sehnen im Tierreich immer mehr und näher nach der Gesell- schaft, nach dem Umgange des Menschen hin, um an seiner belebenden Flamme sich zu sonnen » (1, 36 f.). Vater Henriei berichtet (!), er habe an Lenau eine starke satirische Ader bemerkt und ihm geraten, ihr nicht zu grossen Spielraum zu lassen, da er dadurch leicht Unheil anstiften könne, ohne es zu beabsichtigen. Was Lenau zu satirischen Ausfällen reizte, war vielleicht der scharfe Widerspruch zwischen seinem romantischen Lebensideal und dem der nüchternen Wirk- lichkeitsmenschen der Harmonistengemeinde. Lokale ameri- kanische Satiren hat Lenau, wenn er sie gedichtet, nicht veröffentlicht. Mulfinger vermutet, dass manche polemischen Gedichte des Nachlasses in Amerika entstanden, nennt jedoch nur Des Teufels Lied vom Aristokraten. Auf Amerika hat keins (4) K. Knortz, Aus der iransatlantischen Gesellschaft, S. 184. ie SEEN BREI 300 IN AMERIKA. dieser polemischen Nachlassgedichte Bezug, keines führt Lenau an in dem Briefe an Emilie, wo er die in Amerika entstandenen Gedichte nennt. Am unwahrscheinlichsten ist der amerikanische Ursprung gerade für die Satire auf den Adel. Man darf nicht satirische Ausfälle auf europäische Zustände nach Amerika ver- legen, wo der Dichter alles Europäische im Glorienscheine der Poesie sah. Nur die launige Selbstsatire Der Unent- behrliche (138), die er im Briefe an Emilie anführt, ist in Amerika geschrieben. Daneben wohl auch das Gediehtchen Ein Heimatbruder (is), das er in der Aufzählung an Emilie Reinbeck übergeht, und das erst im Nachlass erschien. Einen engeren Heimatbruder, den Wiener Schriftsteller W. R. Riedlen, traf Lenau Anfang Februar 1833 in Pittsburg. Er reiste mit ihm von Pittsburg nach Economy, um ihm die Niederlassung der Harmonisten zu zeigen. Die getreuste und ergreifendste Selbstschilderung seiner Gemütsstimmung in Amerika gibt Lenau in Ahasver, der ewige Jude (7). Wer könnte in dem unstäten, rastlos umherirrenden, fluchgetriebenen, sogar den Tod suchenden Wanderer den Dichter selbst verkennen? Dass er wie sein Held in Amerika von Todessehnsucht gequält war und sogar Anstal- ten getroffen, sich sterben zu lassen, geht aus der Erzählung Gelaütert von Zehnder-Weil (S. 247 f.) hervor, die wegen ihres schlichten, den Eindruck der Wahrhaftigkeit weckenden Tones als Quelle nicht ohne weiteres abzulehnen ist. Er verschwand einmal plötzlich, und nach drei Tagen fand man ihn an einem jähen Abhange liegend; nur mit Mühe rief man ihn ins Leben zurück. Auf die Vorwürfe von Katharine Becker wegen dieses gesuchten Hungertodes soll er geantwortet haben : « Liebe Katharine, es war sehr unreeht, mich wieder ins Leben zurück- zurufen, aus dem ich so gerne geschieden wäre, da es mir so gar keine Befriedigung gewährt. Ich war lange umhergestreift und hatte endlich jenes traute Ruheplätzehen gefunden, wo ich in die weite, weite Ferne blicken und süss träumen konnte von anderen, besseren Welten. Dann schlief ich ein, und es war IN AMERIKA. 301 grausam, mich wieder in diese schlimme Welt zurückzurufen, an welche mich nichts fesselt, und in der ich ein armer Fremd- ling bin. Ihr meintet es gut, aber besser wäre es gewesen, ich wäre hienieden nimmer aufgewacht. Ja, könnte ich den Frieden erringen, der aus Deinen Augen leuchtet, dann wäre es anders. » So sehnt sich auch Ahasver nach dem ewigen Frieden : O süsser Schlaf! o süsser Todesschlaf! Könnt ich mich rastend in die Grube schmiegen ! Könnt ich, wie der in deinen Armen liegen, Den schon so früh dein milder Segen traf! Den Staub nicht schütteln mehr vom müden Fusse ! Wie tiefbehaglich ist die Todesmusse ! Das Auge festverschlossen, ohne Tränen; Die Brust so still, so lach und ohne Sehnen; Die Lippen bleich, versunken, ohne Klage, Verschwunden von der Stirn die bange Frage. (Vs 61-70.) So spricht er zu den erschrockenen Hirten : ‘So! betet still, dass ihr ihn nicht erweckt ! Hemmt eurer Tränen undankbare Flut! Sein Schlaf ist gut, o dieser Schlaf ist gut! Wenn er auch Toren eures Gleichen schreckt. (Vs 57-60.) Stimmt der angeführte Bericht mit der Wirklichkeit überein, so hat Lenau das ganze Gedicht erlebt bis zur Vorempfindung, wie balsamisch die frische Kühle des Todes durch das Gebein und des Hirnes Schwüle rieselt (Vs 113 £.). Kaum ein paar Züge erinnern mehr oder weniger an den amerikanischen Aufenthalt, so die Vers 9 erwähnte Öde und Einsamkeit und die friedliche Gemeinde von Hirten (Vs 15), bei der man an die Harmonistenkolonie denken mag. Die Land- schaft ist wieder eine heimatliche, diesmal die ungarische Steppe, was einen nur ganz äusseren Grund abgab, das Gedicht den Heidebildern einzureihen. Sie treten in Amerika alle in die dichterische Darstellung, die dem Dichter bekannt- und lieb- 302 IN AMERIKA. gewordenen Landschaften Europas : Schwaben, Österreich, Ungarn. Im Ahasver ist die Naturschilderung Nebensache, eine wirklich bodenständige Schilderung der Steppe war hier nicht dringend geboten. Um die dem Innersten entquollene Gestalt sind die Haupt- motive der Lenauschen Dichtung zusammengedrängt. Dies schliesst nicht die Weitschweifigkeit der Darstellung aus, die wiederum nicht hindert, dass einzelne Motive, wie das des « Es ist eitel nichts », hier den knappsten und drastischsten Ausdruck gefunden : Noch immer, Erde, den uralten Tand Von Blütentreiben und zerstören, immer? Verdriesst, Natur, das öde Spiel dich nimmer? Ergreift nicht Schläfrigkeit die müde Hand? (Vs 95-98.) Nicht sicher zu bestimmen ist, ob das Gedicht Ende 1832 oder Anfang 1833 geschrieben. Ich neige eher dem Datum Anfang 1833 zu, weil es die getreuste Selbstschilderung von Lenaus Gemütsleben in Amerika gibt, weil es Erlebnisse vom Ende des Jahres 1832 verwebt, und weil der Dichter es unter den amerikanischen Gedichten an letzter Stelle nennt. Die nötige Musse und die beste Stimmung zu dieser ausführlichen Schilderung fand Lenau im Monate Januar in Crawford County, wo er, von jedem Verkehr abgeschlossen, immer zu Hause blieb und « immerfort schrieb ». Des öftern erwähnt er den Ahasver in den Briefen. Seinem Schwager kündigt er am 12. Juli 1833 den Druck im Morgen- blatte an (128), das in seiner Nummer vom 22. Juli die Notiz brachte : « Mit diesem Gedichte begrüsst der edle Sänger, der seine Phantasie mit den Bildern einer neuen Welt genährt hat und vor wenig Monaten am Niagarafalle gestanden ist, seine europäische Heimat zum ersten Male wieder ». Vorgedruckt sind im Morgenblatte Verse von Schubart, mit dessen Ahasver - der Lenausche das Gemeinsame hat, dass er den Tod umsonst IN AMERIKA. 303 in Feuer und Wasser, im Zahn des Tigers und der Schlange sucht. Im Juli 1833 sandte Lenau das Gedicht dem Grafen Alexander von Württemberg, oder vielmehr seiner Gemahlin, mit der Bitte, sie möge dem Ahasver sein grobes, altväterisch jüdisches Wesen verzeihen; sie sei ja eine viel zu gebildete Leserin, als dass sie von dem lebensmüden, ärgerlichen Hebräer eine feine Salonsprache fordern würde (129). Kurz.vor dem 5. März, an dem Lenau Emilien Reinbeck u. a. die Dichtung von Primula veris (91) meldet, muss dieses Frühlingsgedicht entstanden sein. Mulfinger (S. 52) vermutet mit Recht, dass Lenau es infolge eines Spazierganges auf der Wiese bei Economy gedichtet, nachdem er die Krankheit, die er sich auf seiner langen Reise durch den eisigen Urwald zuge- zogen, überstanden. Zur Deutung des Inhaltes führt Mulfinger an, dass sich anfangs März oft in den mittleren Staaten, zu denen Ohio gehört, laues, warmes Frühlingswetter einstellt, die Primeln hervorspriessen, die jedoch leicht durch ein schweres Schneegestöber, das den Frühling plötzlich unter- bricht, geknickt werden. Es ist ganz überflüssig, eine Beziehung des Gedichtes fest- zustellen und es auf Lenaus Pflegerin, Katharine Becker, zu deuten. Triftiger ist der Bezug auf Jacobi, dessen Gedicht An ein Veilchen (!) Lenau vorgeschwebt hat. Liebliche Blume Das arme Veilchen ! Sieh, o sieh ! Bist du so früh schon Da lebt’s in totem Moos! Wiedergekommen ? Kommst, armes Veilchen! kommst zu Sei mir gegrüsset, [früh Primula veris! Aus deiner Mutter Schooss! Blume, du glaubst es, Dass der ersehnte Göttliche Frühling Endlich gekommen. (4) Jacopı, Werke III, 16. 304 IN AMERIKA. Öffnest die Brust ihm; Lebst Einen Morgen, jammerst mich; Aber es dringen Siehst weder Laub noch Gras; Lauernde Fröste Mit seinem Filtig mordet dich Tödlich ins Herz dir. Der Mörder Boreas. Mag es verwelken! Ging doch der Blume Gläubige Seele Stirbst, Veilchen! gehst zu dem zurück, Nimmer verloren. Der dir das Leben gab. (Primula Veris, I, Vs 4-4, 1], Vs 13-24.) (Das arme Veilchen, Vs 4-8, 15-16.) Weiter erörtert Jacobi den Schlussgedanken Lenaus, den spinozistischen, dass die Seele der Blume nicht verloren geht. Das Veilehen duftet seinen Geist in klare Winterluft und bleibt ein Wesen, gleichviel ob in der Form des Duftes, ‚der Monas, der Milbe oder sogar des Engels. In Schöpfers Hand ist es wohl aufgehoben, so gut wie der Mensch, der auch bei seinem Tode zuversichtlich ausrufen kann : Genug! wir gehn zu dem zurück, Der uns das Leben gab. Zu den heimatlichen Erinnerungen gesellen sich heimatliche Einflüsse, um den Quell der Diehtung in Amerika nicht ver- sickern zu lassen. Im Gegensatz zu den herrlichen Frühlings- gedichten, die der Lenz der Jahre 1830 bis 1832 zeitigte, bringt der amerikanische Frühling nur eine, wenn auch gut gelungene, Nachbildung hervor. Am 15. März schliesst Lenau mit Ludwig Häberle den Pacht- vertrag über seine Ländereien ab und reitet in seiner Begleitung dem Niagara zu. Auf dem 200 Meilen langen Ritt kam er, bemerkt Schurz (I, 211), an einem Baum, morsch und hohl, mit einem frohen Bienenschwarm im Busen, vorüber. Der Baum erinnerte ihn an seinen alten, ehrwürdigen Freund, den Geheimrat A. Hartmann, der damals im 79. Lebensjahre stand. « Der alte Herr, der Vater so herrlicher Töchter », schreibt er am 9. Juni 1832 an Mayer, gehöre unter die Menschen, die er sich am besten vergegenwärtigen könne, er sehe ihn vor sich IN AMERIKA, 305 stehen mit seinem schönen Ernst und seinem wirtlichen Schatten der Augenbrauen (102). « Wie freue ich mich », meldet er am 5. März 1833 Emilien Reinbeck, « auf Ihren lieben Vater, bei dem es mir immer ist, als ob er der meinige auch wäre, so innig verehre ich ihn » (120). Trotzdem das Gedicht An einem Baum (270) erst in den Reiseblättern der Neueren Gedichte (1838) erschien, so belegt doch die Strophe 3 nicht nur die Empfängnis, sondern auch die Entstehung in Amerika : O0 Baum, du mahnst mein Herz so schwer An einen lieben alten Mann; Gott gebe, kehr ich übers Meer, Dass ich ihn noch umarmen kann! Die Handschrift ist mit « Amerikanische Erinnerungen » überschrieben. Das sinnige, vorzüglich durchgeführte Gleichnis endigt wie Primula veris mit der Erwähnung des « Frühlings- hauches der Ewigkeit ». Eine neue Wendung zu optimi- stischerer Lebensanschauung bringt der Frühling, der mit eintretender Wiedergenesung und dem Gedanken an die Heim- kehr verbunden war, nachdem wenigstens ein Teil des Reise- zieles, nämlich der Landankauf, erreicht. Nach Besichtigung des Niagarafalles fuhr Lenau auf dem Eriekanal von Buffalo nach Albany und dann den Hudson abwärts nach New-York. Er traf dort Mitte April ein und trat nach einem etwa vierzehntägigen Aufenthalte die Heimreise auf einem Segelschiffe an. 20 XXVIN Die Heimreise. Mai-Juli 1833. Der Urwald. — Das Blockhaus. — Der Indianerzug. — Die drei Indianer. — Seemorgen. — Der Schiffsjunge. — Die Rache. — Warnung im Traume. Die eigentliche, mehr oder weniger unmittelbare poetische Frucht der Heimreise sind die später zu besprechenden Seege- dichte Seemorgen, Der Schiffsjunge und vielleicht noch Die Rache. Sehr wahrscheinlich ist es jedoch, dass Lenau auf der Rückfahrt auch Eindrücke des amerikanischen Aufenthaltes diehterisch verarbeitet hat. War er auf der Heimreise so fleissig wie auf der Hinfahrt, wo er ja ausser mehreren Iyrischen Gedich- ten das lange Nachtstück Die Marionetten vollendete, so fallen eben in die Zeit der Meerfahrt mehrere der auf Amerika Bezug nehmenden Gedichte. Leider besitzen wir keine Zeile von Lenau über die Rückreise ; der Brief, den er aus Bremen an Schurz schrieb, ein Seitenstück zu dem aus Baltimore, gelangte nicht an seine Adresse. Amerikanische Eindrücke verwertete Lenau in den Gedichten auf die Indianer, auf den Urwald und auf das Blockhaus. Die Gedichte Der Urwald und Das Blockhaus haben beide ihren äusseren Anlass in der Schlittenreise, die Lenau Weihnachten 1832 durch den Urwald machte. Sie sind sicherlich nicht vor dem 3. März 1833 gedichtet, sonst hätte Lenau sie im Briefe dieses Tages an Emilie Reinbeck erwähnt. Ganz unwahrschein- lieh ist auch ihre Entstehung in der kurzen, bewegten Reisezeit DIE HEIMREISE. . 307 in Amerika vom 5. März bis Ende Mai. Die erste Musse zu so ausführlicher poetischer Schilderung fand Lenau auf der Seefahrt. Es kann hier jedoch nur eine Vermutung ausgespro- chen werden. Der späte Erstdruck dieser Gedichte, der sich für das erstgenannte bis zum Jahre 1836, für das zweite sogar bis zum Jahre 1838 hinausschob, hat eine viel spätere Abfassung mutmassen lassen. Mit Rücksicht auf den Erstdruck im Frühlingsalmanach 1836 versetzt Reynaud (!) das Gedicht Der Urwald in das Jahr 1835 und meint, dass Das Blockhaus noch später entstanden (?). So lange hat wohl eine poetisch fruchtbare Erinnerung an Amerika nicht angehalten, wenn es auch bezeugt ist (?), dass die Niagaragedichte und zwei Atlan- tika erst Ende 1833, wahrscheinlicher noch Anfang 1834, gedichtet wurden. Der späte Erstdruck, namentlich die Nicht-Aufnahme in die zweite Auflage der Gedichte vom Jahre 183%, kann nicht als Gegenbeweis für die Entstehung im Jahre 1833 gelten. Auch das Gedicht An einem Baum erschien erst in den Neueren Gedichten 1838, sowie die Niagara- und die Seegedichte, die doch noch zeitig genug zur Aufnahme in die zweite Ausgabe fertig wurden. Einen. Urwald sah Lenau schon bei seinem im Jahre 1827 unternommenen Ausflug in die österreichischen Alpen. Zu Mayer (S. 106) äusserte er, nur drei Dinge hätten in Amerika einen bedeutenden Eindruck auf ihn gemacht : ein fast erstor- bener Urwald in den westlicheren Gegenden, das Hudsonstal von New-York hinauf und der Fall des Niagara. Es ist dieser erstorbene Urwald, den Lenau im Gedichte Der Urwald (268) besingt, und wie alles, was der Dichter in Amerika sieht, dient er ihm nur als Symbol für den Gedanken der Vergänglichkeit. () These auiliaire, Nr 145, 149. (2) Ebd., Nr 149. () Aus dem Brief an Schurz vom 7. Mai 1834, worin Atlantika und Niagarage- dichte als « Ausbeute meiner letzten Zeit » bezeichnet sind. e + ee BPEN 4 1 308 DIE HEIMREISE. Eine Schilderung des Urwaldes mit siehtlichem lokalem Hinter- grund ist Lenau nicht gelungen, die Wirklichkeit tritt eher in der Erzählung als in der Beschreibung hervor. Wieder ist hier, wie im Ahasver Lenaus Flucht aus der Harmonistengemeinde und seine Auffindung in einem todesähnliehen Zustande hinein- geflochten. Er empfand : Im Wind das Fächeln schon der Todeshand Und fühlt es kühler schon im Herzen fliessen. Und lange lag ich auf des Waldes Grund, Das Haupt gedrückt ins alte, tiefe Laub, Und starrte, trauriger Gedanken Raub, Dem Weltgeheimnis in den finstern Schlund. (Vs 33-38.) | So sitzt auch Faust in « eines Urwalds nie durchdrungener Nacht » auf einem bemoosten, vermoderten Stamm. « Wild- hastig gräbt sein Geist im labyrinthischen Gedankenschacht » nach dem Geheimnis der Schöpfung. Aufspringend verflucht er die Natur ob ihrer verstockten Schweigsamkeit (Faust, Vs 227 ff.). F Sein treues Ross weckt den Dichter auf, und an dieses richtet er die Frage, die er Katharina Becker gestellt haben soll : So lag ich auf dem Grunde schwer beklommen, Dem Tode nah, wie nie zuvor, gekommen; Bis ich die dürren Blätter rauschen hörte, Und mich der Huftritt meines Rosses störte ; Es schritt heran zu mir, als wollt es mahnen Mich an die Dämmerung und unsre Bahnen; Ich aber rief : « ist's auch der Mühe wert, Noch einmal zu beschreiten dich, mein Pferd? » (') (Vs 59-66.) (*) In seinem Pferde, schreibt Schunz (I, 202), salı der gemütreiche Diehter auch wirklich einen Menschen, einen teuren Freund, seinen geliebten Boloz im fernen Galizien vor sich. Niembseh schrieb es nach seiner Zurückkunft.aus Amerika im Jahre 1833 dem Freunde selbst : « Ich kaufte mir einen Schimmel, den ich Boloz DIE HEIMREISE. 309 Die Schilderung Amerikas, mit welcher das Gedicht anhebt, beruht auf einer Stelle des Briefes vom 5. März 1833 an Emilie Reinbeck. Es ist ein Land voll träumerischem Trug, Auf das die Freiheit im Vorüberflug Bezaubernd ihren Schatten fallen lässt, Und das ihn hält in tausend Bildern fest; Wohin das Unglück flüchtet ferneher, Und das Verbrechen zittert übers Meer; Das Land, bei dessen lockendem Verheissen Die Hoffnung oft vom Sterbelager sprang, Und ihr Panier durch alle Stürme schwang, Um es am fremden Strande zu zerreissen, Und dort den zwiefach bittern Tod zu haben ; Die Heimat hätte weicher sie begraben! « Besonders », schreibt Lenau seiner Freundin, « haben die eingewanderten Deutschen einen fatalen Eindruck auf mich [gemacht] (!). Wenn sie einige Jahre hiergewesen, hat sich alles Feuer, das sieausder Heimat herübergebracht, aufden letzten Funken verloren, Das bekennen sie selbst... Die schlimmste Frucht der übeln Verhältnisse in Deutschland ist meiner Über- zeugung die Auswanderung nach Amerika. Da kommen die armen, gedrängten Menschen herüber, und den letzten himm- lischen Sparpfennig, den ihnen Gott ins Herz gelegt, werfen sie hin für ein Stück Brot. Anfangs dünkt ihnen das fremde (furchtbar fremde!) Land unerträglich, und sie werden ergriffen von einem heftigen Heimweh. Aber wie bald ist dieses Heimweh nannte, weil es ein braves edles und unternehmendes Tier war. Und wenn ich so auf meinem Schimmel ritt, mir einen Magyarenmarsch pfiff und dem Schimmel ein « Vorwärts, Boloz ! » rief, wobei ich an Dein edles « Vorwärts! » in mancher blu- tigen Sehlacht daelıte, so glotzte mieh der amerikanische Urwald befremdet an über diese fremden Namen und Töne ». Der Brief scheint verloren. Die Werke (Insel- Verlag) bringen ihn nicht . (4) Das Wort ist im Original ausgelassen. 310 DIE HEIMREISE, verloren! Ich muss eilen über Hals und Kopf hinaus, hinaus, sonst verlier ich das meinige auch noch. Hier sind tückische Lüfte, schleichender Tod » (120). Der gewaltige, jungfräulich und unberührt daliegende Urwald, der dem Dichter einen ungeheuren Vorrat der herrlichsten Bilder, eine Fülle göttlicher Auftritte bieten sollte (91), ist eine finstere (Vs 14), grauenvolle Stätte (Vs 20). Keinen gewaltig wachsenden, herrlich blühenden, auch keinen im Winterschmuck prangenden schildert er, sondern einen aussterbenden, vermo- dernden, wo alles, namentlich die mit dürren Todesfingern (Vs 28) verglichenen Moderstämme, ihn an die übergenug besungene Vergänglichkeit, die Allgewalt des Todes erinnert. Kein Vogel singt dort (Vs 16), wie in Amerika überhaupt nicht, was er mehrfach in den Briefen als poetischen Fluch des Landes bezeichnet (118, 120, ı22). Ein solches Land ist wirk- lich darnach angetan, auch Die schönen Ahndungsblumen im Gemüt (Vs 44) verdorren zu lassen. Er müsse hinauseilen aus Amerika, schreibt Niembsch Emilien Reinbeck, denn sonst verliere er wie die ein- gewanderten Deutschen auch dort noch die Gefühle der Liebe, die sich hier unbemerkt verbluteten (120). Eilen müsse er, über Hals und Kopf hinaus, weil hier, wie er dem Freunde Klemm mitteilt, die heftigsten Gefühle so schnell erkalteten; er sei auf der Hut gegen die « vampirischen Dämonen », die in diesen Lüften schwebten (122). Sie haben ihn doch erfasst, denn wenn sein treuer Begleiter, das Pferd, dessen stille Lebenslust ihm wärmend und ruhebringend in die Brust dringt (Vs 67 f.), ihn auch dem todessehnsüchtigen Brüten entreisst, wenn er auch getrost der nächsten Nacht entgegenreitet (Vs 71), so weiss er doch, dass sie nur die geheimnisvolle Todesnacht (Vs 72) ist. Im amerikanischen Blockhause, in dem Lenau auf der Schlit- tenfahrt durch den Urwald einkehrte, ergriffen ihn ähnliche DIE HEIMREISE. 311 Gedanken von der Hinfälligkeit des Menschen und alles Irdischen. Gegenständlicher als im vorigen Gedichte ist in der Erzählung Das Blockhaus (275) ‚lie Beschreibung der Hinterwäldler- herberge, des infolge der amerikanischen Zustände gebotenen, stark von der überschwenglichen Freundschaft der Schwaben abstechenden kühlen Empfangs durch den Wirt, der verzeih- lichen Neugierde des Sohnes über das riesige Gepäck, das Lenau bekanntlich stets mit sich schleppte (?). Von allen ameri- kanischen Gedichten ist dieses noch das urwüchsigste. Es ist das einzige, das den amerikanischen Winter erwähnt : Winter war’s, ich starrte vom Urwaldfroste. (Vs 17.) Traurig war ihm da und finster zu Mut (Vs 59). In dieser « grossen, langen Einsamkeit » (120) wirft er die spitzfindige Frage auf: Gibt es vielleicht gar keine Einsamkeit? (Vs 67.) Führt jeder Mensch nicht einen unsichtbaren Gast mit sich, der sich heimlich an seiner lebensflamme wärmt und daran zehrt, der die « Gedankenhast » schürt und facht? (Vs-70-73). Auf solche geisterseherische Gedanken hatte der Verkehr mit Kerner den Dichter gebracht. Weniger ist diese Stelle jedoch in Verbindung zu bringen mit Kerners und Lenaus eigenen Ausserungen über den Dämon, den er beherberge (s9, 96), als mit einer Bemerkung im Briefe vom 9. Juni 1832 an Mayer : « Ein Menschenleben ist leicht zerrissen. Unser Körper ist ein falscher Freund, er tut lange gut, auf einmal verrät er uns an (4) Auch nach Amerika. Seines « grossen Gepäckes » wegen hatte er sich entschlossen, die Rheinfahrt mit der ganzen Auswanderergesellschaft zu machen. (Brief Nr 404). 54,194 DIE HEIMREISE, den Tod, man weiss nicht wie und warum; doch hole den Lumpen der Teufel » (102). Die « männlichen Hausgenossen » im Blockhaus schwatzen vom Geschäft und Betrieb (Vs 25). In den Briefen schildert Lenau die Bildung der Amerikaner als eine bloss « merkantile, eine technische ». Hier entfalte sich der praktische Mensch in seiner furchtbarsten Nüchternheit. Der Amerikaner kennt nichts, er sucht nichts als Geld; er hat keine Idee (122). Eine Niagara- stimme gehört dazu, um diesen « Schuften » zu predigen, dass es noch höhere Götter gebe, als die im Münzhause geschlagen werden (118). — Die Mahlzeit wird rasch gehalten (Vs 22). Die Amerikaner stürzen sich auf ihre Schüssel und fressen hastig hinein (118). — Der Dichter greift Zur weit gewanderten deutschen Flasche (Vs 37), er trinkt Noch eine Flasche vom lieben Rhein. (Vs 35.) Der Amerikaner hat keinen Wein. « Man kredenzte uns sofort Cider (ich mag den Namen des matten Gesöffs nieht mit deutschen Buchstaben schreiben)... der Cider {sprich : Seider) reimt sich auf leider... Mag der Amerikaner bei einem Glase Cider seine Spottdrossel behorchen, mit seinen Dollars in der Tasche, ich setze mich lieber zum Deutschen und höre bei seinem Wein die liebe Nachtigall, wenn auch die Tasche ärmer ist » (118). — Schweigend lässt der Dichter im Blockhause die Reden von Geschäft und Betrieb an sich vorüberziehn (Vs 32), und als das « englische Talergelispel » schwieg (Vs 36), greift er, in Ermangelung eines deutschen Gesprächs, zu den auch mitgeführten Gedichten Uhlands. Laut liest er den herrlichen Held Harold (Vs 40), der wie Lenau allein durch den weiten, wilden Wald reiten muss, in grosser Trauer, weil die Elfen ihm seine Genossen entrückt, und der schliesslich, auch von den LIE IE MREISE. 31 Geistern gebannt, zu ewigem Schlafe auf hartem Felsen verur- teilt ist, einem Schlafe, wie Lenau sich ihn ersehnt. Über Wälder und Meer sendet er Uhland, « der Freiheit herrlichem Sänger » (Vs 54), die Frage : Uhland! wie steht’s mit der Freiheit daheim ? (Vs 47.) In finsteren Unmut wirft ihn die traurige Antwort, dass noch immer « Völkerschmerz sich an Despotenfreude bricht » (Vs 36), die ganze bewegte Menschengeschichte erscheint ihm In des Kummers zweifelflackerndem Lichte. (Vs 62.) Wahrscheinlich findet sich hier eine Anspielung auf das Frank- furter Attentat. Als Seitenstück zu dem Gedichte kommt vor allem der Brief an Schurz aus Baltimore vom 16. Oktober 1832 in Betracht, also gerade die frühzeitigsten Aufzeichnungen aus Amerika. Dort gedenkt Lenau auch eines « ziemlich artigen » Empfanges von seiten der ersten amerikanischen Familie, die er antraf. Dies entspricht dem Lobe der amerikanischen Gastfreundschaft (Vs 4 ff.) im Gedichte, während das Lob der Wahrhaftigkeit (Vs 10 f.) keinen Beleg in den Briefen findet. Das « emsige Schalten » der Weiber (Vs 21) sieht man nur in den abge- legenen, einfachen Blockhäusern, in den Städten wiegen sich die Frauen sehr behaglich und sehr müssig auf eigens dazu eingerichteten Schaukelstühlen hin und her und lassen die Männer die Hausarbeit besorgen (122). Immerhin erscheinen hier, in grellem Abstich von den in Amerika geschriebenen Gedichten, das amerikanische Blockhaus und seine Bewohner in einem poetischen Lichte. Auch bricht der Dichter mit der unbedingten Idealisierung Europas, wo die Tyrannei noch’ immer siegreich ihr Haupt erhebt (Vs 55 ff.). 314 DIE HEIMREISE. Ein merkwürdiges Motto, das auf das « englische Talergelispel » (Vs 35) in Amerika und die « Despotenfreude » (Vs 56) in Europa anspielt, dieses vor jenem herausstreichend, bringt eine Handschrift des Gedichtes : Mag poetischer sein Europas Kettengeklirre, Aber tröstlicher ist Amerikas Thalergeschwirre. Eine Stelle aus einem späteren Briefe an Sophie Löwenthal vom 26. Juli 1836 : « Wie Unrecht du mir immer tust, wenn du meinen Gedanken vom Blockhaus nicht glauben willst » (20), “hat niehts mit dem Gedichte zu tun, bezieht sich auf das Hütten- ideal im allgemeinen und kann nicht als Beweis gelten, dass das Gedicht erst 1836 entstanden. Eindrücke und Empfindungen, welche der Anblick des Niaga- rafalles weckte, hat Lenau erst fast ein Jahr später in der Dichtung wiedergegeben. Beim Besuche des Falles sah er auch Chippeway-Indianer, die auf der Niagara-Insel Goats-Island allerlei Schmucksachen an die Besucher verkauften. Die India- nergedichte erschienen bereits in der zweiten Auflage des Jahres 1834, die Niagaragedichte erst in den Neueren Gedich- ten 1838. Glaubhaft ist die Arbeit an den Indianerliedern während der Heimreise, jedenfalls sind sie sicher kurz nach derselben fertig geworden. Die Verachtung, mit der die französische Lenauforschung auf diese Indianergedichte herabblickt (), hat auch die deutsche (4) Roustan (S. 192) meint : « Lenau est tomb& dans la convention quand il a voulu montrer les premiers habitants de ces solitudes. Ses po6sies, la Marche des Indiens et les Trois Indiens ne sortent pas du portrait banal que depuis Chateau- briand les poötes avaient trac& des indigenes. ... Ges plaidoiries declamatoires sentent la rhetorique et ne sont guere sincöres. « Noch schärfer geht Reynaud (S. 330) vor : « On sent qu’il veut ä tout prix retirer un profit queleonque de son voyage et ne pas revenir les mains vides de ce Nouveau-Monde qu'il avait tant eslöbre avant de le connaitre. Tout est bon A sa Muse aux abois, qui n’arrive pas ä deeouyrir un sujet f6cond... Ni les priöres, ni les menaces n’y font. Elle se d6tourne DIE HEIMREISE. std beeinflusst. « Deklamationen im Geschmacke einer verflossenen Epoche » nennt sie Castle (S. 52) nach dem Vorgange Roustans. Eine solche Beurteilung stellt diese Gedichte, welche die natür- liche Weiterentwickelung von Lenaus freiheitlicher Diehtung sind, und die sich den Polenliedern in jeder Hinsicht würdig an die Seite stellen, auf gleiche Stufe mit den jugendlichen Oden an die Eroberer und Tyrannen. Sämtliche Beurteiler, auch der sonst so gut unterrichtete Mulfinger, stimmen in der Auffassung überein, Lenau hätte wohl wissen müssen, dass diese Indianer die Tränen, die er über ihr hartes Los vergiesse, nicht verdien- ten, dass schon Duden ihn belehren konnte, diese Tyrannen- und Freiheitsdichtung entbehre jedes Untergrundes in der Wirklichkeit. Eben der amerikanische Aufenthalt hat Lenau überzeugt, dass Dudens Darstellung eitel Schönfärberei war, namentlich auch in dem hier berührten Punkte. Er konnte leicht erfahren, dass die vom Kongress der Vereinigten Staaten zugunsten der Indianer erlassenen Gesetze selten ausgeführt wurden, dass die Zeiten der schmählichen Behandlung durch die Weissen, der gewaltsamen Verpflanzung auf bestimmte, ihnen gewährleistete Gebiete und der Wiedervertreibung aus diesen Besitzungen noch lange nicht vorüber waren. Im Jahre 1825 wurde unter dem Präsidenten Monroe der Beschluss gefasst, die im Osten des Mississippi wohnenden Indianer nach dem . Westen zu verpflanzen. Die Seminolen in Florida wichen erst nach hartnäckigem Widerstande, und erst im Jahre 1838 gelang es nach langer Misshandlung die Tscherokesen in Georgia zu überwältigen. Jahrzehnte nach der Abfassung von Lenaus Gedichten spielten sich in Amerika noch Szenen ab, wie Lenau sie schildert. Im Jahre der grossen Metzelei in Minnesota, 1863, maussadement des Indiens coiff6s de plumes de coq et arm&s de tomahawks qui se glissent sur le sentier de la guerre, et si, ä force d’insistance, le po&te arrache enfin ä son Pegase enrhum& et chagrin deux longues m&lop&es, le r6sultat est si piteux qu’on vondrait pouvoir le supprimer. « Les blanes mandits », « Pavide charrue » qui &ventre les bois seeulaires, laissent le noble animal aussi froid que possible. » > SENIRESENEES TER TUNG 316 DIE HEIMREISE. tritt Sitting Bull auf, führt fast zwei Jahrzehnte lang einen verzweifelten Kampf gegen die Weissen. Seine Aussprüche und Reden sowie die anderer Indianerhäuptlinge bieten manches mit Lenans Gedichten Übereinstimmende ('). Wenn gleiche Ereig- nisse um drei Jahrhunderte zurücklagen, so ändert dies nichts an dem Zeitgemässen von Lenaus Gedichten, die sich wie die Polenlieder an Gegenständliches anschlossen. Ihm erschienen die Rothäute, wie sie ihm nicht anders erscheinen konnten, nämlich als die Doppelgänger der armen ungarischen Steppen- bewohner und der Polenflüchtlinge. Er ringt ihnen die poetische Seite ab, die sie eben boten. Es sind unglückliche, bemitleidenswerte heroische Verbannte, die eine ihnen nur Verderben bringende Kultur zurückdrängt und vernichtet, die in heftigen, leidenschaftlichen Ausbrüchen die schonungslose Grausamkeit der Weissen verfluchen, die sogar den verzwei- felten Entschluss fassen, ihrem schmachvollen Leben ein Ende zu machen durch einen heldenhaften Tod im Wasserfalle des Niagara. So hat Chateaubriand sie auch gesehen, Lenau idealisiert sie in der herkömmlichen Weise, ganz müssig sind die Auseinandersetzungen, ob dies ldealbild der Wirklichkeit entsprach oder nicht. Einwendungen dieser Art liessen sich ebensowohl gegen die poetische Idealisierung der ungarischen Räuber und Zigeuner sowie der Polen machen. Auch bot sich dem Dichter eine willkommene Gelegenheit, seine von den Zeit- genossen so hochgeschätzte Freiheitsdiehtung in neuem Lichte zu zeigen und seiner Abneigung gegen die amerikanische Repu- blik Ausdruck zu geben. Die Behauptung, dass die Begeisterung für die Indianer, der Schmerz über den Untergang auch dieses Volkes, unaufrichtig und gemacht seien, widerspricht nicht nur dem innersten Wesen Lenaus im allgemeinen, sondern auch seinem leidenschaftlichen Freiheitsdrang im besonderen. Sie lässt sich auch mit dem Schwung und der Wärme dieser (*) G. Kurth, Sitting Bull. Brüssel, Administration de la Revue generale, A879. DIE HEIMREISE. 317 Gedichte, in denen nur eine scharfe Voreingenommenheit hohlen Wortschwall erblicken kann, nicht vereinbaren. In Rousseauscher Beleuchtung, wie sie auch die Natschez von Chateaubriand aufweisen, stellt Der Indianerzug (10s) die Neue Welt der Alten, den Natur- dem Kulturmenschen entgegen. Das verklärende Licht, in dem Amerika dem Dichter, wenigstens in seinen ursprünglichen Bewohnern, erscheint, deutet auch auf eine Dichtung hin, die erst entstand, als er den amerikanischen Boden hinter sich hatte. Nichts ist dem Kulturmenschen heilig, kein Glaube, kein Grab, keine Natur, kein Gefühl, kein lebendes Wesen. Unerbittlich reisst er den Naturmenschen von der Mut- tererde und von den alten Göttern fort, die heilige Asche der Väter muss ihm seine Saaten düngen, froh zündet und mordet er in den Wäldern, frech « empört er die Nacht vom Schlafe », Dass sie sich mit dem Flammenkleide schürzet. (II, Vs 30.) Solehe Bilder müssten das Gedicht vor dem Vorwurf hohlen Redeschwalles retten und, neben manchen anderen Strophen, die Mahnung des alten Häuptlings an ein stamm- und pflichtver- gessenes Volk : < Naht ihr den Gräbern euch von euren Ahnen, Sei still von euch die Hügelschar beschlichen, Die Toten nicht zu wecken und zu mahnen, Dass wir von ihrem Glauben sind gewichen. - (I, Vs 1-94.) Die drei Indianer (112) sind, abgesehen vom hoch- poetischen Inhalte, ein Glanzstück markiger, hinreissender Rede, ein Gemälde des Schreckens allerdings, ein Nachtstück voll leidenschaftlicher Wildheit, die glühendste Sturmweise, die Lenau geschrieben. Das Gedieht gehört bis heute zum festen Bestande deutscher Schullektüre. Besänge es ein näher liegen- des, uns stärker bewegendes Ereignis als den Tod der so übel 318 DIE HEIMREISE. beleumdeten Indianer, so würde es zu einem der beliebtesten Vortragsstücke deutscher Dichtung. Die eigentliche poetische Frucht der Rückfahrt nach Europa sind die Gedichte : Seemorgen, Der Schiffsjunge und Die Rache. Sie haben das Gemeinsame, dass in allen das bewegte Meer im Gegensatze zum stillen erscheint, dass der Sehnsucht oder der Freude über die Landung in der Heimat Ausdruck gegeben ist, und dass bestimmte Ereignisse, die nachweisbar auf der Heim- reise vorfielen, darin verwoben sind. : Im Gedichte Seemorgen (14s) sieht Reynaud (!) das vierte Atlantikum, das Lenau im Briefe an Emilie Reinbeck vom 5. März 1833 aus Platzmangel nicht mitteilte; somit bezöge es sich, wie auch manche Lenauforscher glauben, auf die Hinreise; andere versetzen es in das Frühjahr 1834, im Glauben, es sei eins der Atlantika, die Lenau im Briefe an Schurz vom 7. Mai 1834 als neuentstanden erwähnt. Das « ungeduldige Sehnen », das den Diehter nach « Berg, Wiese, Laub und Blüte » (Vs 22) mitten auf dem Meere ergreift, weist eher auf die Heim- als auf die Hinreise, eher auf Europa als auf Amerika. Übrigens beglei- tete den Dichter auf der Heimreise der aus Bremen stammende Kaufmann Heinrich von Post, den er in New-York kennen gelernt, Das Kind, das seinen Morgengruss aus der Kajüte lächelt (Vs 33 f.) und zu der Empfindung Anlass gibt : Wo fremd die Luft, das Himmelslicht, Im kalten Wogenlärme, Wie wohl tut Menschenangesicht Mit seiner stillen Wärme, (Vs 25-28) war des genannten Kaufmanns zweijährige Tochter Henriette, die, wie Ernst (S. 124 f.) mitteilt, im Jahre 1852 die Gattin von Ch.-Th. Schwab, dem zweitältesten Sohne G. Schwabs, wurde. (1) These auxiliaire, Nr 198. DIE HEIMREISE. 319 Als ein Bild von Lenaus Heimreise bezeichnet Schurz (I, 213) das Gedicht Der Schiffsjunge (151). Ein Schiffsjunge fiel wirklich vor Lenaus Augen vom Mast ins Meer: Wie hungernde Bestien stürzen die Wellen Dem Opfer entgegen, sie schnauben und bellen; Schon hat ihn die eine wütend verschlungen, Und über sie kommen die andern gesprungen, Die um die Gierige neidisch schwärmen Mit schäumendem Rachen und wildem Lärmen. (Vs 39-44.) Das Meer ist wie alle anderen furchtbaren Mächte der Natur ganz Anmut wie in Seemorgen, ganz Boshaftigkeit wie hier. Es kennt kein Mitleid. Der Kampf der Wellen legt sich, die Sonne scheint, die Winde ruhn, Klar blickt der alte Mörder Ozean Dem Himmel zu, als hätt er nichts getan. (Vs 49 £.) « Der alte Mörder Ozean blickt dem Himmel ruhig ins Antlitz, als hätt er nichts getan; — gewissenlos ist die Natur — der Wind, der trägt den Jammerlaut davon wie einen Jubel- klang », heisst es im Fragment Sehnsucht nach Offenbarung (') und ferner ebenda : « In die Ferne sticht ein Schiff in die See? "ahre Glücklieher. — Dich umbraust bald die wilde Hand der Naturkräfte, die empörten zerschlagen mit starken Fäusten das Schifflein des Menschen, das draussen, die ganze Bemannung sinkt unter; dort will sich ein kühner Schwimmer retten, eine gierige Welle verschlingt ihn, da stürzen die andern herbei und brausen neidisch herum um die Verschlingerin, der letzte Schrei der Verzweiflung, es wird still ». Auf die Erfindung der Segelnamen : « Lüftefänger, Wol- (1) Ausgabe Koch, I, 445. Un 320 DIE HEIMREISE, kenraser, Mondespflücker, Sternengraser » (Vs 31 f.), sagt Schurz (I, 213), tat sich Lenau etwas zu gute. Der zweite Teil des Gedichtes greift wieder zum Thema der Seejungfrauen. Um den toten Jüngling sammeln sie sich Froherstaunt, in der Korallenauen Stillem, trübe dämmerndem Verliess. (Ns 41,) Sie flechten dem schönen Fremdling, den die Natur ihnen als Kunde von einer besseren und höheren Welt zugesandt, Muscheln zum weissen Rosenkranz in die nassen Locken. Mit noch deutlicherem Anschluss an Schubert als Die Seejungfrauen schliesst Der Schiffsjunge : Werden sie in ihren Felsenriffen Nicht von dunkler Sehnsucht schon ergriffen Nach des Erdenfrühlings heiterm Glanz? Über den Zusammenhang des Nachlassgedichtes Die Rache (519) mit der Heimreise unterrichtet deutlich genug der Inhalt und Lenau selbst in einem Gespräche vom 1. Dezem- ber 1842 mit Max Löwenthal : « Auf der Meerfahrt hatten die Matrosen mit einer grossen Angel einen Haifisch gefangen, den sie triumphierend an Bord zogen und vollends töteten. Ich steckte dem schon abgehauenen Kopfe meinen Stock in den Mund, und der Kopf biss so heftig hinein, dass ich ihn an dem Stocke emporhob » (t). Castle (?) vermutet in diesem Berichte den Keim zum Gedichte, das folglich Ende 1842 in später Rückerinnerung an die Reise entstanden wäre. Unmöglich ist dies nicht. Einen Grund der Nichtveröffentlichung deutet uns die Handschrift an mit ihren zahlreichen Strichen und Varianten, (1) Lenau und Löwenthal, S. 238. (2) Ebd., S. 574. DIE HEIMREISE. 3al Spuren der grossen Mühe, die das Gedicht kostete und den Verfasser doch nicht befriedigte. Besondere Schwierigkeiten verursachten die Verse : Der Hai an ihm vorübersinkt, Doch aus dem Schlund die Wut noch blinkt, (Vs 71 £.) die drei vorhergehende Fassungen aufweisen. Wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, zeigt die Handschrift die kleinen zierlichen Züge von Lenaus Schrift aus den dreissiger Jahren, die seit den vierziger durchgängig grösser und gröber wurden. Selbstverständlich ist dies Strandlied, das eine neue Beschrei- bung des windstillen Meeres bringt, erst nach der Ankunft in Bremen geschrieben. . Ebenso verhält es sich mit der Warnung im Traume (ır1), die der kurze Aufenthalt in Bremen, Ende Juni 1833, wo der Dichter in den Matrosenkneipen Studien zum Faust machte, zeitigte, Die Gestalt der Matrosendirne taucht bereits in den beiden vorigen Gedichten auf. Der Steuermann hört am Strande die Fiedel klingen : Wo blühende, lustige Dirnen springen, Die gerne dem Seemann sind zu Willen. (Der Schiffsjunge, Vs 19.) Die Matrosen singen ein irisch Lied des Inhaltes : Wie dem Matrosen wohl geschieht, Wenn er die Fahrt mit Müh vollbracht, Die Münze rollt, die Dirne lacht. (Die Rache, Vs 20-23.) Wenn auch Lenaus Brief aus Bremen an Schurz verloren ging, so ist, meint Schurz (I, 214), doch bekannt, dass « ihm die 21 323 DIE HEIMREISE. wohlgebildeten runden Arme der Bremerinnen besonders gefie- len... Von dem wilden, lustig überschäumenden Strandjubel der Matschaft bei Becher, Fiedel und Dirnen hatte Niembsch wohl Gelegenheit, sich mit eigenen Augen und Ohren zu über- zeugen » (1, 213). Von ähnlichen Szenen auf der Hinreise berichtet Lenau aus Amsterdam, wo die jungen Leute der Aus- wanderergesellschaft in der ungeheuren, verführerischen Stadt wie verlorene Schafe herumirrten und ihre Nächte zum Teil in verdächtigen Häusern durchschwelgten (112). Vor der Einschif- fung in Mannheim teilte er Mayer seinen Entschluss mit, in Amsterdam in den Matrosenkneipen herumzuschleichen und einige Studien zu machen in der Menschenkenntnis (102). Auf solehen beruhen die mit Görg überschriebenen Auftritte im Faust. Eine wichtige Ausserung Lenaus bezüglich des Bremer Aufenthaltes überliefert uns Frankl : « Ich habe vor meiner Abreise nach Amerika bis zu meiner Rückkehr kein Weib geküsst, bis mich in Bremen der alte Adam wieder fasste » ('). Mit den Empfindungen, die er später seinem Faust in der Matrosenschenke verlieh, schildert der Dichter die nächtliche Szene, wie der lustentbrannte Jüngling der Dirne nacheilt, die ihn zuletzt, wie Wilhelm die Lenore, auf einen Kirchhof führt, wo ihn die Verwesung umarmt. Sichtlich ist der Einfluss der Bürgerschen Ballade. Im tiefsten Auge der Dirne sieht Lenaus Faust den trüben Schatten, Den mir kein Lächeln täuschend lichtet. (Vs 3189.) Es hausiert die Natur Mit Liebeslust als Krämerweib, (Vs 3237) () Der Wanderer, April, 1851. In der Buchausgabe seiner Erinnerungen unter- drückt Frankl (S. 80) den letzten Teil seiner Mitteilung. DIE HEIMREISE. 323 und wer ihr diese Lust nicht unverdrossen Heimzahlt in treuer Sorge für die Sprossen, Hat sie geprellt und muss bezahlen Die Mahnerin mit Herzensqualen. (Vs 3293-3227.) Das Gedicht ist jedoch nur ein Traum, es ist die Mutter, die dem Sohne im Traume erscheint und warnt, und somit zieht sich ein Faden von hier zu den Traumgedichten an Lenaus ' Mutter. Tiefinnerstes Gefühl tritt zutage in der ergreifenden Schilderung ihres Todes und der Macht ihrer Liebe : Der Mutterliebe ew’ge Macht Hält sie dem Sohn vereinet, Wie mildes Mondlicht in der Nacht Des Wandrers Pfad bescheinet. (Vs 13-16.) Bemerkenswert ist eine spätere Äusserung Lenaus, das Gedicht dürfe in Wien nicht gedruckt werden (134). Seine Absicht, es dem Musenalmanach von Schwab und Chamisso zu geben (134), führte er nicht aus, sondern nahm es unmittelbar in die zweite Auflage von 183% auf, wo es die neue Abteilung Leben und Traum beschliesst. Kaum in Stuttgart angelangt, schrieb Lenau im Anklang an das Gedicht Der Schiffsjunge den 8. Julian Schurz : « Die Natur ist furchtbar » (126). Die Folge des Briefes bezieht sich wie Die Warnung im Traume auf den Tod der Mutter : « Was Abgründe und Meerestoben! Das ist nichts, aber Todbetten Heissgeliebter sind etwas, sind das Furchtbarste. Ich träume noch immer sehr oft vom Todbette meiner Mutter, diese Erinne- rung ist am tiefsten in mein Herz geschnitten. Als ich das Lager mit der Leiche darauf verlassen, musste ich mühsam die Trümmer meiner Religion zusammenraffen. So viel Leiden und so lang! Diese Todbetten sind schrecklich für mich; wenn ich 324 DIE HEIMREISE. nur an keins 'mehr treten müsste, ich möchte ja gerne lieber gleich selber sterben! » (*). Liegt hierin kein deutlicher Hin- weis, dass Die Warnung im Traume dureh einen wirklichen Traum veranlasst ist, der den Dichter Ende Juni oder Anfang Juli heimsuchte? Hat die Nachwirkung eines solehen Traumes auch nicht den « fatalen Gemütszustand » verursacht, dem er einige Tage vorher in Heidelberg, beim Besuche seines Freun- des David Zimmern, in « die Klauen fiel », und worüber er am 16. September 1833 dem Freunde schreibt : « Mit Heidelberg ist mir etwas Kurioses passiert. Lächeln Sie nicht über meine Phantasterei, aber den letzten Tag meines Dortseins überfiel mich eine unbegreifliche, unausstehliche Bangigkeit, lag es ın der Luftstimmung oder in meiner eigenen. Kurz, der Eindruck war in der Tat infernal; das kann nur eine vorübergehende Raserei gewesen sein, aber beim Teufel, in solchen Augen- blicken könnt ich mich erschiessen » (139). Die Schuld schiebt er nun auf seinen « temporär verfangenen Verstand » und auf « die Neckerei des bösen Dämons, der mir schon öfter und gerade unter den freundlichsten Verhältnissen über meine Lebensstrasse gelaufen ist » (159). Unter den freundlichsten Verhältnissen allerdings : der herz- ; liehste Empfang war ihm eben in Heidelberg bereitet, sehn- süchtig warteten auf ihn die Freunde in Stuttgart und die (4) Wie fabelhaft zerrann | Das fröhliche Verheissen Vom ewigen Wiedersehn, Als ich dich sah vergehn ! | Als sie den Sarg verschlugen | Und dich begraben trugen, Da hatt’st du ausgelitten;; Mir ward im Herzen eben, Ob sie mein junges Leben Von seiner Wurzel schnitten! (Faust, Vs 2275-2284.) DIE HEIMREISE. 325 Verwandten in Wien, er fand sich sogleich nach seiner Rück- kehr als Dichter gefeiert, ihm fiel, wie Schurz (I, 214) mitteilt, Menzels Literaturblatt mit seinem Namen im Lorbeerkranze in die Hand, wohl auch unter den vielen lobenden Besprechungen die in der eben von H. Laube übernommenen Zeitung für die elegante Welt ('), welche ihn als einen poetischen Cäsar verherrlichte, der kam, sah und siegte. Die begeisterte Auf- nahme seiner Gedichte erwähnt er mit dem trockenen Satze : « Meine Gedichte sind sehr gut aufgenommen worden » (128), die Freude auf das Wiedersehen seines liebsten Freundes Mayer war ihm « recht getrübt » (126). Allerdings erschien er allen gealtert; sein Auge hatte an Glanz verloren, sein Gesicht war mit tiefen Furchen umzogen (?). Sein erstes Wort zu Kerner auf die Frage : « Wie gings? » war : « Das sind verschweinte, nicht vereinte amerikanische Staaten ». Geflissentlich vermied er es, über Amerika zu sprechen (?). Auf eine fleissige Arbeit in letzter Zeit, die auch die Vermu- tung stärkt, dass er auf der Heimreise nicht untätig war, deutet die am 12. Juli Schurz gemachte Mitteilung : « Ich habe ziem- lich viel Neues » (138). (4) Jahrgang 1833, Nr 22. Siehe U. LauBE, Moderne Charakteristiken (Werke, XLIX, 958). ’ (2) SCHURZ, ], 214. () Ebd., S. 214. NER, XXX Lotte-Dichtungen. Dritte Reihe. — August-Dezember 1833. Frühlingsblick. — Frühlingsgedränge. — Trauer. — Asyl. — Liebe und Vermäh- lung. — Herbstentschluss. — Herbst. — Waldgang. — Scheiden. — Stille Sieher- heit. — Ohne Wunsch. — Scheideblick. — Lebewohl an Eugenie. — Aus! Nach Abschluss der Reise und der Ankunft in Schwaben, wo der Dichter von Anfang Juli bis Mitte September verblieb, gilt seine dichterische Arbeit zunächst bewusst zwei neuen Gruppen von ‚Gedichten, mit denen er die zweite Auflage ausstatten wollte. Er erfuhr bald in Stuttgart, dass, wie er am 12. Juli seinem Schwager meldet, eine zweite Auflage nicht mehr fern sei. Es kam ihm der Gedanke, diese zunächst durch zwei neue Abteilungen, Frühling und Herbst, zu bereichern. Seine in der ersten Ausgabe unter verschiedenen Überschriften verteilten Frühlings- und Herbstgedichte hatten durch Frühlings Tod einen Zuwachs erhalten, andere, Der Baum der Erinnerung und Sommerfäden, harrten noch der Veröffentlichung, durch einige weitere Arbeit konnten selbständige Abteilungen zu stande kommen. Nur so kann ich mir die sehr auffallende Tatsache erklären, dass Lenau nachweisbar im Spätsommer 1833, mit Ausnahme eines einzigen Gelegenheitsgedichtes, ausschliess- lich in sehr kurzer Zeit und bunt durcheinander Frühlings- und Herbstgedichte schreibt. Am 24. August sendet er Kerner ein Herbstgedicht, am 1. September Emilien Reinbeck ein Früh- lingsgedicht, derselben am 6. September ein weiteres Frühlings- lied. Am selben Tage meldet er der Freundin, es vergehe fast kein Tag, wo er nicht ein Gedicht schreibe (138). Die Bemer- LOTTE-DICHTUNGEN. — 5. REIHE. 327 kung bezieht sich allerdings nur auf eine ganz kurze Zeit, gilt jedoch eben deshalb vornehmlich den Frühlings- und Herbstge- diehten. Eben weil diese als eine bewusste Arbeit mit bestimmt vorgestrecktem Ziele erscheinen, ist es auch schwer, ja unmög- lich, sie aus den Lebensumständen und Gemütsstimmungen des Dichters zu erklären. Tiefe Trauer durchdringt die einen, jubelnde Freude die anderen. Die Zeit, in der sie verfasst sind, war wieder eine der schön- sten in Lenaus Leben. Eine neue Reihe von Freudentagen, ähnlich der, die ihm bei seiner ersten Ankunft in Schwaben zuteil ward, eröffnet sich ihm wieder. Von Glückwünschen und Huldi- gungen überschüttet, hält er neue « Freundschaftsquarantänen » bei seinen schwäbischen Freunden, bei Mayer in Waiblingen, bei Kerner in Weinsberg, beim Grafen Alexander in Esslingen und findet herzlichste und dauernde Gastfreundschaft bei der Familie Reinbeek in Stuttgart. Es ist ihm dort so « gemüt- lich », dass er die Sehnsucht, die Seinigen in Wien wieder- zusehen, unterdrückt und Schurz bittet, ihm die Verlängerung seines Passes zu besorgen (128). Als « freudevoll » (150) bezeichnet er seinen Aufenthalt bei Mayer, bei Kerner sah er « das gedie- gene Gold der Freundschaft leuchten » (132) und wird oft zurückdenken an die « lange Reihe genussreicher schöner Tage », die ihm dort bereitet wurden (135). Übertroffen wurden sie jedoch von denen, die Lenau im Hause des Grafen Alexander in Serach verlebte, in « einer der schönsten Gegenden Würt- tembergs, im Hause eines ganz fidelen Freundes, im Umgange einer jungen, schönen, geistreichen Dame, mit allen Bequem- lichkeiten eines üppigen Magnatenlebens versehen », wo es, wie er weiter schreibt, seiner « bequemhaftiglichen faulen Dichterhaut nicht übel behagte » (142). Eine noch anziehendere Bekanntschaft machte Lenau dort, die der schönen, siebzehn- jährigen Schwester des Grafen, der Gräfin Marie, die das Urbild der Königstochter Marie im Faust wurde : Der Tugend und der Schönheit Morgenschein. (Faust, Vs 1742.) 328 LOTTE-DICHTUNGEN. — 35. REIHE. « Es war eine herrliche Zeit, reich an Poesie und hohem geistigen Genusse », schreibt eine Zeugin, Fräulein Marie von Hünersdorff (!). Das Gedicht Frühlingsblick (4) sandte Lenau am 1. Sep- tember (?) (?) an Emilie Reinbeck. Ziemlich allgemein wird das herrliche Frühlingslied mit Rücksicht auf die Schlussstrophe als ein Liebesgedicht aufgefasst : Also in den Winterharm, Der die Seele hielt bezwungen, Ist ein Blick mir, still und warm, Frühlingsmächtig eingedrungen. Der Blick, der dem Dichter, allerdings früher, so still und warm in die Seele eingedrungen, soll der Lotte Gmelins sein. Sehr unwahrscheinlich ist es, dass Lenau Lotte nach seiner “Rückkehr aus Amerika wiedergesehen, die Verwandten hatten sie wieder fortgeschickt, auch erwähnt er sie mit keinem Worte mehr. Dass er sie trotzdem im Herzen behielt, bis eine neue Liebe die alte verdrängte, beweisen die Abschiedslieder, die er noch zu Ende des Jahres 1833 an sie richtete. Zur Erklärung des Gedichtes in der endgültigen Fassung reicht der dasselbe begleitende Brief an Emilie vollkommen aus. Dieser Brief erwähnt namentlich einen warmen Blick, der die Beziehung auf die Freundin näher zu legen scheint als die auf die Geliebte. An die bei seiner Ankunft in Stuttgart kranke Emilie, die er unter wenigen mit einem langen Briefe aus Amerika ausgezeichnet hatte, schloss er sich in tiefer Anhänglichkeit an. « Ich liebe die Frau unaussprechlich », schreibt er am 8. Juli an Schurz, « mir ist sehr weh ums Herz. Man besorgt die Wassersucht. OÖ Bruder, kenntest Du dieses göttliche Weib, Du würdest weinen wie ein Kind bei dieser Nachricht » (126). Am 12. Juli (4) SCHURZ, I, 226. (©) Der Brief ist undatiert, stammt jedoch aus den letzten Tagen des August oder den ersten des September. LOTTE-DICHTUNGEN. — 5. REIHE, 329 ist er ruhiger, weil das Ubel der Freundin keine ernsthafte Wendung zu nehmen scheint (128). Am 1. September (?) schreibt er ihr : « Mit dem Verdrusse der Resignation ergreife ich die Feder; es ist unmöglich. Kein Wort kann sie nennen, und der wärmste Blick ist nur eine schwach schimmernde, vergäng- liche Spur der Verehrung, mit welcher Ihnen mein Herz ergeben ist. Oft versicherte ich Sie, ich sei besser geworden durch Ihren Umgang; ich füge nur hinzu, dass auch meine Aussicht über diese Erde hinaus durch Sie heller und schöner geworden ist. Ich habe eine Verehrung für Sie gefasst, deren Trägerin, meine Seele, nicht vergehen kann. Sie haben sehr viel für mich getan. Allen Segen Gottes über Ihr liebes, herrliches Gemüt. Ich bitte Sie, dass Sie auch aus der Ferne Ihren wohl- tätigen Einfluss auf mein Leben üben, indem Sie mir schrei- ben » (135). Schwerer wird es jedoch, die Beziehung auf Emilie Reinbeck aufrecht zu erhalten, wenn man die erste Fassung im Briefe genauer betrachtet. Drei weitere Strophen (?) führen aus, dass einst eine holde Stunde kam, die den Gram des Herzens ver- klärte, den Schmerz in linde Tränen löste, das Herz zu Wunsch und Hoffnung schwellte, die Gedanken wieder aufblühen liess und dem dunklen Wald der Seele sehnsuchtsvolle Lieder ent- lockte. Hierbei tritt offenbar die Gestalt Lottes in den Vor- dergrund. Die endgültige Fassung zeigt das Bestreben, den Zusammenhang zu verwischen, das Persönliche abzustreifen, das Gedicht mehr ins Allgemeine zu erheben. Schliesslich erhellt es doch, dass es nicht ein tiefer, warmer Blick der Freundschaft, sondern einer der Liebe gewesen, der den « Winterharm » der Seele beschworen, wie auch nur ein stummer, warmer Blick der Natur all die Lenzesfreude und Lenzesherrlichkeit entzündet hat. R Ziemlich gleichzeitig mit diesem wird wohl das zweite Lenz- (1) S. I. Band dieses Werkes : Textkritik. 330 LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. gedicht Frühlingsgedränge (ss) sein, das Lenau in der Ausgabe von 183% ersterem nachstellte. Auch inhaltlich stim- men die Gedichte überein, besonders im Schlusse, der feinsinnig als geheimen Untergrund der Frühlingsseligkeit eine « heim- liche, selige » Liebe andeutet, eine stille, verklärte Liebe, als welche Lenau die zu Lotte so manchmal in seinen Briefen schildert. Der ruhige, harmonische Seelenzustand des Dichters zeigt sich im starken Überwiegen der Situation in beiden Gedichten. Das Subjektive, Seelische tritt erst zu Ende ein, bis dahin walten die objektiven, anschaulichen Momente. Viel stärker war die subjektive Erregung bei der ersten Niederschrift des Gedichtes Frühlingsblick. Die erste Fassung weist ein Gleich- gewicht zwischen Aussen- und Innenwelt, zwischen rein anschaulichen und rein seelischen Bestandteilen, zwischen Situa- tion und Subjekt auf; in der zweiten überwiegt das Sachliche so sehr, dass das Persönliche nur in der letzten Strophe zutage tritt. Das Umgekehrte ist der Fall in dem dritten, melancholischen, Frühlingsliede Trauer (4). Eine tiefe seelische Erregung drängt das Gegenständliche zurück. Die Aussenwelt tritt nur in der ersten Strophe und in zwei Versen der letzten auf. Ursache “ der Erregtheit ist jedoch nicht die Liebe, sondern ein Schwer- mutsanfall, eine allgemeine innere Gegenwirkung wider die schöne frohe Aussenwelt. Ein äusserer Umstand verschärft diesen Widerstreit. Was hat der Dichter nicht alles gelitten seit | dem letzten Frühling, den er genossen : die unglückliche Liebe zu Lotte, die unselige Amerikafahrt! Den Frühling des | Jahres 1832 und eigentlich auch den des Jahres 1833 hat er ja auf seiner Seefahrt versäumt. Deutlich merkt man den Versen an, dass sie in gewolltem Gegensatz zu den vorigen gedichtet | sind. Innigen Anteil nahm der Diehter am Wiedererwachen | der Natur; mit ihm freute sich die Geliebte; nun fühlt er sich | einsam, die Vögel und Blumen verschärfen dies Gefühl des Alleinseins, mahnen ihn nur, Dass ich alleine Bin vom Frühling ausgeschlossen. LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE, 331 Eine Parallelstelle zur Schlussstrophe bietet Faust : Der Frühling ist der Flur erschienen, Um seine vollen Lebensfreuden An Berg und Tale zu vergeuden, Doch mir mit fremd verstörten Mienen. Ich bin allein vom Lenz verstossen. (Vs 2154-2158.) Den zwei heiteren Frühlingsgedichten stehen zwei traurige gegenüber, die zu gleicher Zeit in der Ausgabe von 1834 erschienen. Das zweite melancholische, Asyl (45), schildert eine einsame, düstere Landschaft, eine österreichische Alpenland- schaft, die als der rechte Ort erscheint : Wo ausweinen kann verborgen Eine unglückliche Liebe. (Vs 23 f.) Nur eine Anspielung auf den Frühling (Vs 5 f.) erlaubt dem Verfasser, das Gedicht in die Abteilung der Frühlingslieder ein- zureihen. Es ist das gemachteste und schwächste der Lenzge- dichte dieser Zeit, wie überhaupt die traurigen den heiteren nachstehen. Asyl bildet ein fast reines Naturbild; nur die beiden angeführten Schlussverse bringen etwas Subjektives und auch dies nur in einer allgemeinen Wendung, die einen unmittel- baren Bezug auf ein Liebesverhältnis nicht dringend gebietet. Wie das Gedicht kein ausgesprochenes Frühlingslied ist, so ist es auch kein unzweideutiges Liebeslied. Will man jedoch der « unglücklichen Liebe » einen persönlichen Belang geben, so kann hier nur Lotte genannt werden, nicht, wie vielfach ange- nommen wurde, Berta. Der jubelnden Frühlingsnatur des Gedichtes Trauer ist hier die trauernde entgegengestellt. Die Föhren sind « trübe flü- sternde Genossen » der einsamen Klippen. Hier verstummt der Gesang der Vögel. Das Moos sehnt sich nach den Tränen der Wolke. Die Winde hauchen leise, « Rätselstimmen tiefer 332 LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. Trauer ». Tief empfindet Lenau (!), die Natur leidet, sie leidet wie die Menschen, dasselbe Leid wie sie. So empfand auch Schubert : « Eine Stimme des Klagens, wie um etwas Verlo- renes, geht durch die ganze Natur, und der Gesang der Vögel wie die natürliche Weise der singenden Menschenstimme lautet wie Töne des Traurerns » (2). Ehe der Dichter Schubert kannte, ertönt schon bei ihm diese Klagestimme der Natur. Nur das « melancholische Temperament », meint Schubert, hört sie. Am 6. September schiekte Lenau das Gedicht Emilien Rein- beck mit den einleitenden Worten : « In Erwartung eines baldigen Briefes von Ihrer lieben Hand sende ich Ihnen hier wieder etwas von meiner Muse » (138). So allgemein, jeder näheren Andeutung entbehrend, lauten fast alle seine Mittei- lungen über seine Poesie. Derselbe Brief bringt die bereits erwähnte Nachricht : « Es vergeht fast kein Tag, wo ich "nicht ein Gedicht schreibe. Ich habe schon einen ziemlichen Vorrat neuer Lieder. Jeder Brief soll Ihnen eins davon überbringen. » Dies Versprechen hielt Lenau nicht. In der Abteilung Frühling der zweiten Auflage erschien auch das Doppelsonett Liebe und Vermählung (ss). Im sinnigen Bilde des durstigen Berges, der die erquickungsreiche Wolke mit seinem Felsenarm umfängt und sie hinab in seinen heissen Busen trinkt, worauf alles, was an schönen Blüten in ihm schlief, in wonniger Beseelung auferblühet, singt die erste Stimme das Lob der Liebe und Vermählung. Unter dem Bilde der Waldesrose und des Baches, der die Blume umschmei- chelt, zu ihren Füssen weint, ihr immer naht, ihr immer doch zu fehlen, und sie endlich, des schönen Spieles müde, welk davonträgt ins Verderben (?), erzählt die zweite Stimme, . getreuer viel als Berg und Wolke, vom Lieben und Vermählen : Die wandelbaren, täuschungsvollen Lose. (1) Vgl. die Gedichte Himmelstrauer, Frühlings Tod, Herbstklage, Meeresstille. (2) Geschichte der Seele, I, 483. (©) Vgl. Die Zweifler, Vs 33-40. LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. 333 Der Gegensatz, der diese Frühlingslieder kennzeichnet, ist hier in ein- und demselben Gedichte veranschaulicht. Wie die erste Stimme hatten die schwäbischen Kreise zu Liebe und Vermählung gelockt. Die Antwort des Dichters bringt die zweite Stimme. Nur eine Zeit lang treibt die Liebe ihr schönes Spiel, die Vermählung schliesst in sich die Entzauberung, tötet die Schönheit. An der ernüchternden Enge und Härte des Wirklichen verblutet sich die Phantasie, der unermesslich reichen, dunkel wogenden Innenwelt kann keine Aussenwelt genügen, stets zeigt die Wirklichkeit einen nackten Fels, wo die güldene Phantasie ein Blumenbeet sah. Nirgends ist der innere Grund des Verzichtes auf Liebe und Vermählung deut- licher ausgedrückt als hier. Nicht nur reihen sich die Herbstlieder des Jahres 1833 unmit- telbar an die Frühlingslieder, sondern es ist sogar wahrschein- lich, dass sie während des Dichtens an diesen entstanden sind, Herbstentschluss (54) sandte Lenau Kerner bereits am 2%. August mit den Begleitworten : « Hier noch ein melancho- liches Herbstblatt von mir, ist aber nichts als vorübergehende Stimmung und längst widerlegt durch die Strophe : Süss träumt es sich in einer Scheune, Wenn drauf der Regen leise klopft, So mag sich’s ruhn im Totenschreine, Auf den die Freundeszähre tropft. » Es ist die Schlussstrophe des Gedichtes Schlaf (135) aus Wanderung im Gebirge, welche die letzte Strophe von Herbst- entschluss widerlegt : Dass wir unsern letzten Gang Schweigsam wandeln und alleine, Dass auf unsern Grabeshang Niemand als der Regen weine! Fräulein von Hünersdorff versetzt in ihrem Berichte an 334 LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. Schurz (1, 226 f.) das Gedicht in den Esslinger Aufenthalt beim Grafen Alexander. Lenau war dort vom 6. bis etwa zum 10. August, am 16. August, zuletzt wieder vom 26. August bis etwa zum 10. September. Die Entstehung fällt in den Stutt- garter Aufenthalt vom 17. bis zum 24. August, immerhin früh genug für ein Herbstgedicht. Es war gerade die Zeit, wo der Himmel der Freundschaft im Reinbeckschen Hause so hell über dem Dichter leuchtete, wo die Aussicht über diese Erde hinaus heller und schöner ward. Allerdings plagte ihn ein « fatales Seitenstechen » und zwang ihn, die auf den 13. August fest- gesetzte Heimreise nach Wien aufzuschieben. Fräulein von Hünersdorff ward von « dem Schmerz, der tiefen Trauer », die der Inhalt des Gedichtes atmete, so « erschüttert », dass sie dem Dichter, mit Tränen im Auge, sanfte Vorwürfe darüber machte. Lenau sah sie, ohne ein Wort zu erwidern, wehmütig lächelnd an und übergab ihr kurz darauf einige Verse für ihr Album ('). Wiederum leuchtet der Zusammenhang mit dem Verhältnis zu Lotte klar durch. Der Dichter wandelt einsam seine Strassen (Vs 2); Lotte ist ihm ja wieder entzogen. Oft hat er sich selbst und andern wehgetan : Weil du hast geliebt, gehofft; Nun ist’s aus, wir müssen wandern! (Vs 19 f.) Fest will er fortan sein empfindsames, leichtentzündliches Herz « einschliessen und verwahren » (Vs 22), damit es so bald nicht mehr ihm und anderen so viel Leid bringe. Reynaud (?) stellt eine Verwandtschaft des Gedichtes mit Jacobis An die Natur fest. Jedoch kommt nur die erste Strophe (1) Schurz, I, 227. (2) S. 264, Fussnote. LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. 335 des langen Jacobischen Ergusses als mögliche, leise Erinnerung bei Lenau in Betracht :. Blätter fallen, Nebel steigen, Und zum Winterschlafe neigen Sich die Bäume schon auf welker Flur: Ehe Flocken sie umhüllen, Rede du mit mir im Stillen Einmal noch, befreundete Natur! (f) Die Entstehung eines zweiten Herbstliedes, Herbst (55), in dieser Zeit beweist nicht nur die Aufnahme in die zweite Auflage, sondern auch der Hinweis auf den durch die Seefahrt versäumten Frühling : Den Lenz und seine Nachtigallen Versäumt ich auf der wüsten See, ferner die Erwähnung des baldigen Abschiedes von den schwä- bischen Freunden : Der Herbst durchweht mich trennungschaurig. Schwer fiel Lenau dieser Abschied : « Ich verlasse euch jetzt schwerer, als da es nach Amerika ging. So bald werde ich nicht wiederkehren », schreibt er Kerner am 24. August (135) und am 6. September Emilien von Reinbeck : « Ich habe genug an dem einen Abschied. Mir ist in meinem Leben noch keiner so schwer geworden » (138). Gewaltsam musste er sich aus « den Armen der Freundschaft, die mich so lang in Württemberg festhiel- ten » (140), losreissen. Empfindlicher ward der Trennungs- schauer durch den endgültigen Abschluss des Verhältnisses zu Lotte. Eine noch schärfere Fassung erfuhr der melancholische (4) Jacogı, Werke VI, 31. 336 LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. Schluss im Jahre 1837, wo der Dichter den auf den Herbst bezüglichen Endvers : Der schon dem Tod entgegenträumt, unter der Einwirkung der Liebe zu Sophie Löwenthal umän- derte in: Mein Herz dem Tod entgegenträumt. Das Motiv: Den Lenz und seine Nachtigallen | Versäumt ich auf der wüsten See, Es blühte nicht die Meereswelle, Die rohen Winde sangen nicht kehrt wieder im Faust : Das Waldesgrün, der Vogelsang Und all der süsse Frühlingsdrang Blieb mir verloren und versäumt, Wo nur die kalte Woge schäumt Und Sterbelieder singt der Wind, (Vs 3024-3028.) Die Dichtung von Herbstliedern erwähnt Lenau im Briefe e vom 22. September an Schurz. Dort fasst er auch das Ergebnis | der zwei letzten Jahre, seiner Ausfahrt, zusammen, und wir | hören wie in den Frühlings- und Herbstliedern die Klage, dass er sein Lebensglück durch den Verzicht auf die Liebe verfehlt. « Gewiss die prägnantesten Jahre meines Lebens waren die zwei letzten. Vieles hab ich erreicht, manches eingesehen, dass es nicht für mich zu erreichen ist. Meine kühnsten Hoffnungen der Dichterehre hab ich übertroffen gefunden, meine beschei- densten Wünsche des Menschenglücks, seh ich wohl, sind uner- LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. 337 reichbar. Ich fühle nämlich manchmal sehr deutlich, dass man doch Weib und Kind haben müsse, um glücklich zu sein ; das ist für mich verloren. » Und nun brüstet er sich wieder mit dem stolzen Gedanken, dass man der Poesie alles, auch sein eigenes Glück, aufopfern müsse : « Aber glaube nicht, dass mich dies drückt. Ich wäre der geringsten Gunst der unsterblichen Muse nicht wert, wenn ich nicht im stande wäre, ihrem Dienste all mein Glück mit Freuden zu opfern. Hat doch mancher Ritter seiner irdischen, verweslichen Dame alles geopfert, sollte die Göttin weniger verdienen? » (140). Lenaus Heimreise nach Wien, die er am 17. September antrat, dauerte fast einen Monat. Nach dem poetisch so frucht- baren Aufenthalte beim Grafen Alexander in Esslingen, ver- weilte er einige Tage in Mergelstetten bei Emiliens Schwester Mariette Zöppritz, besuchte auf der Weiterreise auch den alten Freund Schleifer in Gmunden, wo er vierzehn Tage blieb, und traf erst am 12. Oktober in Wien ein. Eine neue Blüte der Lotte-Dichtung kennzeichnet das letzte Vierteljahr 1833. Ein Brief aus Wien vom 11. November an Emilie Reinbeck bringt das Gedicht Waldgang (12). Es ist ein Rückgedenken an das Liebesverhältnis zu Lotte und aus verschiedenen Erinnerungen, wie der Dichter sie seiner Familie in Wien erzählt haben mag, zusammengestellt. Den mündlichen Bericht, den er seinen Verwandten versprochen : « erzählen will ich euch einst » (77), setzte er in Poesie um. Dichterisch verwertet ist bier ein Spaziergang auf die Solitude, wobei er sich Lotte gern genähert hätte, woran ihn jedoch Emilie Rein- beck hinderte, die ihn in ein interessantes Gespräch über Kunst- gegenstände verwickelte : Ein störendes Geleite Liess nimmer uns alleine, Scharf blickte er einigemal auf Lotte hin..., sagte ihr aber nichts, berichtet er Schurz (70). Mayer (S. 31) versicherte er, 22 338 LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. dass er sich nie gegen die Geliebte selbst erklärt. « Wir lieben uns und werden es immer tun, obwohl wir nie ein Wort davon gesprochen », schreibt er Schurz (99) : Und mussten wir zurücke Ins Herz die Worte pressen, Uns sagten unsre Blicke, Dass wir uns nicht vergessen. Diese Liebe will er bewahren, sie soll sein Leben verschönen für alle Zeit, eröffnet er Mayer (80) : Und sehn wir uns nicht wieder In diesem Erdenleben, Dich werden meine Lieder Verherrlichend umschweben. Er hat von Lotte einen Eindruck mitgenommen, der, er fühlt es wohl, sein ganzes Wesen durchdrungen hat auf ewig, beich- tet er demselben Freunde (75) und gesteht übereinstimmend seinem Schwager, er werde sie ewig lieben, wenn er anders ewig lebe (77) : Doch aus des Walds Verdüstern, Den Stimmen des Vergehens, Hört ich die Hoffnung flüstern Des ew’gen Wiedersehens. Schurz schreibt in seinem Exemplar die Bemerkung Emiliens in einem Briefe an Lenau ab : « Wie lieb der Waldgang. » Einem Briefe an Georg Reinbeck, auch vom 11. November, legte Lenau das späte Herbstlied Scheiden (50) bei. Es ist zugleich ein Abschiedslied an Lotte, in der uralten Form eines Zwiegesprächs, das der Dichter vor die Amerikareise versetzt, denn der « schlangenkrumme, kalte Pfad », der den Geliebten « locket mit Gewalt » (Vs 10 f.), ist die Seefahrt. Sophie Löwenthal kannte Lenau damals noch nicht, sie kann LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. 339 nicht, wie Reynaud (') meint, für das Gedicht in Betracht kommen. Es gab Anlass zu einer interessanten Auseinander- setzung mit Emilie, wodurch wir einen letzten Einblick in Lenaus Seele zu dieser Zeit gewinnen. Emilie drückt in ihrer Antwort auf Lenaus Brief (?) ihr Missfallen über den kalten Trost des Geliebten aus, der mit dem Verse endet : Und deine Klagen werden bald versiegen. « Aber so sind die Männer, so empfinden sie », fügt sie empfindsam hinzu. Lenau antwortet am 4. Dezember : der kalte Trost sei mehr eine mit etwas Bitterkeit versetzte Klage. Er lässt hier durchblicken, dass noch ein Stachel in seinem Herzen zurückgeblieben war, weil er meinte, Lotten sei die Entsagung nicht schwer gefallen. Und nun brüstet er sich : « Ja, so sind die Männer, so em pfinden sie. Etwas rauh ist diese Empfindung allerdings; aber sie ist gut für den Mann, der nicht zum Weibling verschwimmen will. Der grosse Naturforscher Burdach sagt : Ein wahrer Mann stirbt nie an langsamem Grame; entweder er schiesst sich auf der Stelle tot, oder er bleibt frisch und gesund. In diesen Worten liegt die ganze Naturgeschichte des männlichen Herzens » (150). An Lenau hat sich diese Naturgeschichte schlecht bewährt; es liegt eine tragische Ironie in diesem, kurz vor der Bekanntschaft mit Sophie Löwenthal getanen Ausspruche, wie auch in dem Entschluss, sein Herz fürderhin « fest einzuschliessen und zu verwahren » (Herbstentschluss). Das Gegenstück zu Waldgang bildet Stille Sicher- heit (141). Dort getrübtes, hier ungestörtes Zusammensein mit der Geliebten ; dort wortlose, hier sich aussprechende Liebe. Übereinstimmend ist die Versicherung ewiger Liebe. Ich ver- mute, dass das Gedicht, welches in der Ausgabe von 1834 dem (1) These auxiliaire, Nr 97. (2) Aufgezeichnet von Schurz in seinem Exemplar der Gedichte, 340 _ LOTTE-DICHTUNGEN. — 3. REIHE. Liede Waldgang vorangeht, aus der Absicht ein Gegenstück zu diesem zu schaffen, hervorgegangen ist. Es ist nämlich gemacht in dem Sinne, als es keinen Untergrund in einem Erlebnis hat. Mit Lotte ist Lenau nie « im dunkeln Hain, sicher und allein » gewesen. Er hat ihr auch nie gesagt, dass sein Herz ewig ihr gehöre. « Einen ruhigen, absiehtslosen Umgang der Liebe hat man uns nicht gestattet. Was sich am Ende von selbst gegeben haben würde, das wollte man mir vorhinein abnötigen » (98). Bezeichnend für die Lotte-Dichtung ist die Anrede « Mädchen », welche die Sophie-Dichtung bis auf eine Ausnahme nicht kennt. Der Zusammenhang mit Waldgang, der gleichzeitige und beide Gedichte zusammenstellende Druck weisen auf eine gleiche Entstehungszeit hin. Trotzdem das Gedieht Ohne Wunsch (527) erst in den Neueren Gedichten (1838) erschien, muss es wegen seiner augen- scheinlichen Anspielung auf das Verhältnis zu Lotte auf diese bezogen werden. Vielleicht veranlasste gerade diese auffallende Beziehung den Dichter, die Veröffentlichung aufzuschieben. Trotzdem der Gedanke der Verzichtleistung auf den Besitz der Geliebten auch auf Sophie passt, trotzdem eine Stelle aus einem Briefe an Sophie vom 29. Oktober 1837 : « Könnte ich machen, dass ich durch dein Leben nur so wie ein Zugwind gestrichen wäre » (416), für Strophe 2 herangezogen werden könnte, so ist doch hier in Strophe 3 und % der Grundgedanke aller Briefe Lenaus aus der Zeit der Lotte-Liebschaft so klar ausgedrückt, dass kein Zweifel obwalten kann und Sophie selbst das Lied in einer Anmerkung ihres Exemplars der Lenauschen Gedichte als an Lotte gerichtet bezeichnet. Das Gefühl : « Ich werde diesem Mädchen entsagen, denn ich fühle so wenig Glück in mir, dass ich anderen keines abgeben kann » (70) — « Diese Freude am Unglück habe ich noch jetzt, daher meine Furcht, jene himm- lische Rose an mein nächtliches Herz zu heften » (72) — « Ich liebe das Mädchen unendlich, aber mein innerstes Wesen ist Trauer, und meine Liebe schmerzliches Entsagen » (79) — « Nur der freudige Mensch hat Lust und Liebe, das Leben rasch und LOTTE-DICHTUNGEN. — 5. REIHE, 341 glücklich zu erfassen, mein Innerstes ist tief verletzt » (87) — dieses Gefühl hat in Ohne Wunsch seine ergreifendste 0 poetische Gestaltung gefunden : [>] Meine Freuden starben mir In der Brust, bestürmt, gespalten, An den Bahren könnten wir Nur mit Grauen Hochzeit halten. 5 Ein zu trüber Lebensgang Führte mich an steile Ränder, Kind, mir würde um dich bang, Flieh, es krachen die Geländer! Der Resignierte ist bezeichnenderweise das Gedicht in einer Handschrift überschrieben. Vor Jahresende dichtete Lenau noch drei Abschiedslieder an Lotte, die alle nacheinander in der zweiten Auflage (1834) erschienen. Den « göttlichen Blick », den Klemm an Lotte rühmt (!), die « tiefen blauen Augen mit unbeschreiblichem Liebreiz der Brauen », die Lenau selbst an ihr hervorhebt (70), konnten erst Sophies « ganze Fülle des Göttlichen » strahlende Augen (262) aus des Dichters Erinnerung verdrängen. Bis nach Wien verfolgte ihn der tiefe Seelenblick Lottes, ein unergründlich Wonnemeer, in das er scheidend all sein Glück still versenkt : Scheideblick (142). Dies Gedicht, das viel inniger und empfindungsvoller ist als Scheiden, entlockte Lenau noch am 14. Juni 1841 beim musikalischen Vortrage Tränen. « Niemals sah ich ihn so ergriffen », berichtet E. Niendorf (8.48). Nur eine Variation von Scheideblick ist Lebewohl an Eugenie (14), dem wieder der seelentiefe Bliek Lottes zu (4) Schurz, 1, 137. 342 LOTTE-DICHTUNGEN. — 5. REIHE. grunde liegt, und in dem Eugenie nur ein Deekname für Lotte ist : Lebewohl! kein räuberisch Geschicke Meinem Herzen rauben kann, Wie in deinem seelentiefen Blicke Auf mein Glück der Himmel sann. Stund und Welle rauschten nieder, . Und wir sehen uns nicht wieder! Mit dem Schlussgedichte Aus! (1) begräbt Lenau die Liebschaft endgültig in Poesie und Wirklichkeit. Noch einmal greift er das Leitmotiv des ihn verfolgenden Unglücks auf : Ob jeder Freude seh ich schweben Den Geier bald, der sie bedroht, und schliesst im Dämmern eines neuen, verhängnisvollen Liebes- traumes mit den tragisch ergreifenden Versen : Hab aus den Augen mir gewaschen Mit Tränen scharf den letzten Traum. XXX Gelegentliches. September-Dezember 1833, An Fräulein Charlotte von Bauer. — An Wilhelm Kirehhoff. — Frl. von Hünersdorff ins Album. — Zeiger. — Der Polenflüchtling. — Bestattung. — Frage. — Schwärmer. — Frau von Reinbeck. Der äussert fruchtbare Herbst und Winter des Jahres 1833 zeitigte noch manche vermischte Gedichte, meistens Gelegen- heitsverse. Die Widmung An Fräulein Charlotte von Bauer (150) schrieb Lenau in ein Exemplar seiner Gedichte, das er am 6. September Emilien Reinbeek sandte, mit der Bitte um Überreichung an die genannte Dame. « Ich konnte mir das Vergnügen nicht versagen, der verehrten Dame ein Zeichen meiner Ergebenheit zu senden » (158). Frl. Charlotte von Bawr (nicht Bauer), Tochter eines russischen Generals, eine treffliche Klavierspielerin sowie begabte Malerin, war Hofdame bei der Königin Katharina von Württemberg und eine intime Freundin des Hartmann-Reinbeckschen Hauses. Lenau erwähnt sie sehr oft in seinem Briefwechsel, nennt sie « die gewandte Hofdame », die « alte liebenswürdige », die « liebe, flüsternde Freundin » und schreibt über ihren im Jahre 1841 erfolgten Tod an Emilie : « Sie war ein lieber und lebendiger Bestandteil unseres Hauses, es ist betrübt, sehr betrübt, dass der trauliche Kreis anbrüchig geworden ist, und wenn ich wieder am Sonntagstische meines väterlichen Freundes sitze, werde ich nur mit grosser Wehmut auf die Stelle hinblicken können, wo die Verewigte zu sitzen 31% GELEGENTLICHES. pflegte » (745). Wir erklären uns, dass Lenau die Hofdame mit einem so ausführlichen Widmungsgedichte, das eine treflliche Selbstcharakteristik bildet, beehrte, wenn wir in den Aufzeich- nungen (t) von Emiliens Schwester Mariette Zöppritz lesen, dass Frl. von Bawr der Verfasserin als « ein Wesen höherer Art » erschien. « Ihre grosse und doch so zarte Gestalt, ihre edlen, feinen Züge, der Ausdruck des reinsten Wohlwollens und dazu in früherer Zeit die weisse Kleidung, der fremde Dialekt gaben ihrer Erscheinung etwas Aussergewöhnliches, und gründete in meinem jugendlichen Herzen eine Verehrung, die in späteren Jahren, da ich ihren ganzen Wert recht erkennen lernte, immer fester wurzelte ». Auch einem sonst von ihm nicht genannten Wilhelm Kireh- hoff widmete Lenau ein Exemplar seiner Gedichte, in das er zwei Verse, ein Wortspiel auf den Namen, hineinschrieb : An Wilhelm Kirchhoff (45). Bereits erwähnt haben wir die Albumverse, die Lenau Anfang September Frl. von Hünersdorff übergab. Sie bilden, mit geringfügigen Änderungen, die fünfte Strophe des Ge- dichtes An einen Jugendfreund. Frankl (S. 130) veröffent- lichte sie, als in den Gesamtausgaben fehlend, unter dem verschriebenen Titel An Frl. Maria von Hennersdorff, den die neueren Ausgaben beibehielten. Die richtige Überschrift ist Frl. von Hünersdorff ins Album (5). Lenaus Brief aus Wien vom 17. Oktober an Mayer bringt die Prosafassung des Gelegenheitsgedichtes Zeiger (312). « Meine Schwester hat nicht weit zu ihrer. sechsten Entbindung. Ihre fünf Kinder sind sehr gewachsen. Namentlich die Buben.’ Der kleinere (Pepi) ist ganz in die Natur des grössern (Toni) gewachsen, wie dieser vor zwei Jahren war, so, dass ich die Kerle verwechselte, den Pepi für den Toni hielt. Die Kinder . sind recht eigentlich unsre Lebenszeiger mit ihrem Vorrücken. (') Lithographiertes Manuskript im Besitze der Familie Zöppritz, Stuttgart. GELEGENTLICHES. 345 Abendschatten und Kinder, je länger sie werden, desto tiefer neigt sich unsre Sonne » (145) : Kinderwuchs und Abendschatten Zeigt dem Wandrer auf dem Steige Abgemähter Blumenmatten, Wie sich ihm die Sonne neige. Wieder lehrt ein Vergleich, dass das Gedicht vor der Fassung in Prosa fertig war, also gleich nach der Ankunft in Wien, in den Tagen vom 13. bis zum 17. Oktober, entstanden ist. Gute Gesundheit, Gleichmut der Seele, Heiterkeit sogar melden und atmen dıe Briefe Lenaus an die Schwaben aus dem letzten Vierteljahr 1833. Auch in Wien wurde der inzwischen so berühmt gewordene Dichter mit Huldigungen überschüttet, ein Kreis begeisterter Verehrer bildete sich um ihn. Zu den Wiener Literaten, die ihn « ehrend empfingen » (145), gehörte auch Max Löwenthal. Er lud ihn in sein Haus, wo er im Umgange mit der « gepriesenen Unwiderstehlichen » (173) glückliche Stunden genoss. Zunächst, etwa bis zum Jahresende, herrschte jedoch noch Lotte in seiner Seele, deren Bild er « heimlich und selig » mit nach Wien trug, und dessen Glanz durch die Erzählungen im Schurzeschen Familienkreise wieder neu aufgefrischt wurde. In froher Schaffensfreude beginnt er auch im November die Arbeit am Faust und bringt noch im Jahre 1833 vier Szenen fertig. Vier Gedichte legte Lenau den Briefen an Georg und Emilie Reinbeck vom 11. November bei, worunter Der Polen- flüchtling (s«) an erster Stelle steht. « Ihrem Wunsche gemäss schick ich Ihnen hier einige Gedichte meiner neusten Ar- beit » (147), schreibt er der Freundin und gleichen Datums ihrem Gatten : « Das Polengedicht wäre vielleicht fürs Morgenblatt recht » (148). Die Antwort Emiliens verzeichnet Schurz in seinem Exemplar : « Wie schön und ergreifend ist der Polen- flüchtling, der bald das Morgenblatt schmücken wird ». Am 346 GELEGENTLICHES. 30. November meldet sie Kerner, sie habe schöne Gedichte von Lenau erhalten, worunter das bedeutendste Der Polenflüchtling sei ('). Die Anregung zum Gedichte mag von Boloz Antoniewiez ausgegangen sein, der im Sommer 1833 wieder nach Wien gekommen war. Ob eine Begegnung mit Lenau stattgefunden, steht allerdings nicht fest, « Grüsse mir meinen Boloz », schreibt Niembsch am 8. Juli Schurz. « Mich hat es sehr gefreut, dass er in Wien ist. Wenn ich ihn nur noch antreffe! » (16). Auch der Pole Mattuszinski hatte ihm um diese Zeit geschrie- ben (148). Eine Veranlassung mag auch in einem ganz äusseren Umstande liegen. Für die zweite Auflage der Gedichte plante Lenau nämlich einen besonderen Abschnitt Polenlieder. Die bisherigen Polengedichte, Abschied von Galizien, In der Schenke, Der Maskenball, sind in der ersten Ausgabe in den Abteilungen Bilder aus dem Leben und Vermischte Gedichte untergebracht. Die zweite Auflage stellt sie als Polenlieder zusammen, und Der Polenflüchtling bildet hier eine erwünschte Ausfüllung. Reinbeck übergab das Gedicht dem Morgenblatt, wo es am 16. Dezember erschien. Auch einen Heldenjüngling besingt Lenau in dem Gelegen- ‚heitsgedicht Bestattung (135), das er dem Briefe an Georg Reinbeck vom 11. November als Werk seiner « jüngsten Feder » beilegte. Glücklicher als der Polenheld, der still grollet, Dass noch sein Herz nicht brechen will, ist der als Held gefallene schöne Jüngling, dem in seiner letzten Stunde Sieg und Ruhm die heisse Todeswunde fächeln. Herrlich und neu fand Emilie die Vergleichung des Heldenjünglings mit dem Frühling, was Schurz in sein Exemplar aus einem Briefe Emiliens an Lenau einträgt. An Kerner sandte Emilie am (4) Kerners Briefwechsel, Nr 419. GELEGENTLICHES. 347 30. November eine Abschrift mit der Bemerkung, dies scheine ihr das schönste von den kleineren am 11. November erhaltenen Gedichten zu sein (!). Es gefiel ihr somit besser als die Liebes- gedichte Waldgang und Scheiden. Mit der so oft bei Lenau wiederkehrenden Klage über die Empfindungslosigkeit der Natur, die er auch im Gedichte Aus ! wiederholt : Das Menschenherz hat keine Stimme Im finstern Rate der Natur, sowie mit der Lotte-Diehtung überhaupt lässt sich das Sinnge- dieht Frage (125) in Verbindung bringen, das übrigens auch gleichzeitig in der zweiten Auflage erschien. In Ermangelung jedes anderen Anhaltspunktes als den des ersten Druckes dürften auch die Verse Schwärmer- (140) hier einzureihen sein, über deren Veranlassung bisher nichts bekannt geworden. In geschiekter Liebhaberarbeit malte Emilie Reinbeck Bilder nach Lenaus Gedichten, zunächst zwei Bilder nach der Wald- kapelle und darauf eins nach dem Gedichte Nach Süden. Am 12. Juli 1833 rühmt Lenau in einem Briefe an Schurz den « unaussprechlichen » Zauber des warmen Kolorits; er kann nicht ohne süssen Herzschlag vor diesen Bildern, die sein Zimmer in Stuttgart schmücken, stehen (128). Das Gemälde Lilla nahm Lenau mit nach Wien, und es bildet dort den angenehmen Zauber, der ihn gerne in seinem Zimmer verweilen und arbeiten macht (145). Am 11. November ermuntert er seine Freundin eifrig zu weiterer Arbeit (177) und am 1. Dezember versteigt er sich so hoch im Lobe ihres Talentes, dass er es als den schönsten Erfolg seiner Poesie bezeichnet, dass Emilie einige seiner Gedichte würdig befunden habe, ihren Pinsel zu beschäftigen (150). Das Gedicht Frau von Reinbeck (1s), (!) Kerners Briefwechsel, Nr 419. 348 GELEGENTLICHES. das diesen Umständen seine Entstehung verdankt, ist wohl mit Rücksicht auf die Verse : Hast mich gewiegt in Frühlingstraum, Trotz Schnee und strenger Winterszeit (Vs5 f.) in den Winter zu versetzen. Die angeführten Briefstellen deuten auf den des Jahres 1833 hin und die Beschreibung des Bildes auf die Lilla, die Lenau in seinem Arbeitszimmer in Wien aufgehängt hatte und so gern seinen Besuchern zeigte (145, 177). Wie Emilie Reinbeck « Sonne, Lieb und Trost » (Vs 24) in Lenaus leben gebracht, ist genugsam hervorgehoben worden und die tiefe Anhänglichkeit und Hingebung, welche diese Treueste aller Treuen ihm bezeugt, kann nicht hoch genug ein- geschätzt werden. Viel weniger geltend gemacht ist, was Lenau ihr gewesen. Auf das Drängen ihrer Eltern (') hatte sie fünfzehn Jahre vor Lenaus Bekanntschaft einem ungeliebten Manne die Hand gereicht. Die äusserlich glücklich scheinende Ehe an der Seite eines seelenguten, jedoch etwas oberflächlichen und eitlen Mannes, der 28 Jahre älter war als sie, litt nicht nur an der Nichterfüllung ihres sehnlichen Wunsches nach Kindern. « Sonne und Trost » brachte erst Lenau in ihr dumpfes, unbe- friedigtes Leben. Zunächst gab er ihr neuen Mut zur Betätigung ihrer lange vernachlässigten Kunst und somit einen Lebens- inhalt. Die Anerkennung, lebendige Anregung und zielbe- wusste Förderung ihres weit über das Dilettantenhafte hinaus- ragenden Talentes erfuhr sie erst durch Lenau. Die Sonne, die ihr Dasein erleuchtete, war die hohe Wertschätzung ihrer Persönlichkeit, die stete Huldigung, die ihr der berühmte (4) Siehe Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 58. GELEGENTLICHES. 349 Dichter entgegenbrachte. Die unablässige Fürsorge für das seelische und leibliche Gedeihen des um acht Jahre jüngeren Niembsch ward ihr neben ihrer Kunst zum Lebensberuf, und sie gesteht selbst, dass ihr ungestilltes Muttergefühl hierin eine gewisse Befriedigung fand. Viel Leid brachten ihr allerdings die düsteren Stimmungen und oft rücksiehtslosen Launen ihres Lieblings und das Gefühl ihrer Ohnmacht, ihn zu retten. * * * In diesem Winter beabsichtigte Lenau, das vor der Ameri- kareise begonnene Trauerspiel, Barbara Radziwill, zu vol- lenden. Am 41. November meldet er Georg Reinbeck, die Tragödie sei jetzt durch eine Rhapsodie Faust « suspendiert »; er habe grosse Freude an dieser Arbeit, die bald fertig sein werde. Mit besonderer Lust arbeitete er die Gestalt des Mephi- stopheles aus, wie er am 27. November Kerner und am 10. De- zember dem Grafen Alexander schreibt. Er erwähnt im Briefe an Kerner nur die « Szene im Seziersaal » (Der Besuch), doch weiss Schurz (I, 240), dass er vor Jahresende noch Die Ver- schreibung, Der Tanz und Das arme Pfäfflein vollendete. Auf den Mephistopheles lagert er nur seinen « Höllenstoff » ab (149, 131), er lacht selbst über das, was er dem Teufel aus dem Herzen schreibt. Innere Seelenbekenntnisse legt er seinem Faust in den Mund. Zum Thema der Unempfindlichkeit, der Grausamkeit der Natur gesellt sich das ihrer Undurchdringlichkeit, ihres unheim- lichen Schweigens (') : Sie spricht kein Wort auf alle meine Fragen, Gleichgültig meinem Fluchen und Verzagen, Stosst sie mich weiter durch des Lebens Nächte. (Vs 459-154). () Ich führe den Wortlaut der ersten Auflage (Stuttgart, Gotta 1836) an. Die Verszahl ist zum bequemeren Auffinden durch den Leser die der letzten Fassung von 1840. 350 GELEGENTLICHES. Schweigsam verstockt ist alle Kreatur, Sie weiset und verschlingt der Wahrheit Spur. (Vs 261 £.) Unbefriedigt bleibt der Flammenwunsch des Herzens : Warum doch muss in meiner Seele brennen Die unlöschbare Sehnsucht nach Erkennen ! Nichts ist die Wissenschaft; doch wo ist Rettung Aus meiner Zweifel peinlicher Verkettung? (Vs 187-190 ) Sein tiefster Schmerz ist: Die unglücklichste, ewig hoffnungslose, Die Liebe für die Wahrheit... (Vs 359 £.) Ein Quell, aus welchem Lenaus angeborene Melancholie stets neue Nahrung schöpfte, war das ihm so unheimliche Schweigen über die Frage nach dem Woher, Wohin und Wozu des Lebens. Max Löwenthal bezeugt « seine fast wilde Sehnsucht nach Lösung der unlöslichen Rätsel » (!). Wie viel ergreifender noch dichtet er vom brennenden Wissensdurst und der « antwort- losen Totenstille » (Vs 277) der Natur in der endgültigen Fassung des Faust! (4) Lenau und Löwenthal, S. 99. xXXI Lyrik in Verbindung mit dem Faust. 1834. Der Schmetterling. — Lied eines Schmiedes. — Meeresstille. — Sturmesmythe. — Zwei Polen. — Niagara. — Verschiedene Deutung. — An Fräulein Julie zu ihrem Geburtstage. — Der Laudachsee. — Das Lied vom armen Finken. — Zuflucht. — Einsamkeit. Die Arbeit am Faust beherrscht das ganze Jahr 1834. Die Dichtung wurde vor Jahresende grösstenteils fertig, und die Mehrzahl der lyrischen Gedichte dieser Zeit weisen einen Zusam- menhang mit dem Faust auf. Ende Januar 1834 trifft Lenau wieder in Stuttgart ein, später, als Graf Alexander von Würt- temberg und Emilie Reinbeck, denen er die Rückkehr vor Weihnachten versprochen, es gehofft. Um Weihnachten nahm Lenau auch förmliehen Abschied von seinen Wiener Bekannten, blieb jedoch noch einen vollen Monat. Was ihn in Wien zurück- hielt, war die eben gemachte Bekanntschaft mit Sophie Löwen- thal. Im ersten Briefe aus Stuttgart vom 9. Februar 1834 an Schurz, meldet er die Vollendung von zwei weiteren Faust- szenen, « Faust im Gebirge » und « Mephistopheles in einer Residenz ». Mit ersterer ist nicht, wie bisher angenommen wurde, die Szene Der Morgengang, sondern Der Abendgang gemeint, mit letzterer Die Lektion. Als lyrisches Stück löst sich 352 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST. im Gesange Der Abendgang des Dichters zweite Anrede an die Wolke (') aus, die « prophetisch » sein Schicksal voraussagt : 0 Wolke dort im Untergang! Ich segne dir dein Wandelspiel, Von dem ein Trost ins Herz mir fiel, So hoffnungsfroh, so sehnsuchtsbang : Du, Wolke, zeigest meinem Blick Vielleicht prophetisch mein Geschick. Erst hast du hell und klar geblüht, Vom Sonnenstrahle überglüht ; — Dann wardst du schwarz, es liess der Schein Versunkner Sonne. dich allein ; — Und nun zerfliesset und vergeht Dein Bild, vom Abendhauch verweht! Mir ist ein Trost die Hoffnung nur, Dass einst, im kühlen Abendhauch, Vergehn wird meine Seele auch, Ein finstres Traumbild der Natur. (Vs 46-44.) Derselbe Faustische Gesang bringt, in der schönen Schilde- rung der im Abendscheine ruhenden Alpenlandschaft, ein frühzeitiges Frühlingsgedicht Lenaus : Tiefschweigend ruhn die Alpenwiesenhänge, Die Blume schliesst den Tau in ihren Schoss, Und freut sich still an ihrem Frühlingslos ; Die Vögel sinnen schweigend auf Gesänge. Fern unten tönt im Tal ein leiser Bronnen, Als träumte dem Gebirg von einem Quell; Es glüht im Abendscheine purpurhell Der Wald, verloren in sprachlose Wonnen. (1) Vgl. das Gedicht An die Wolke. LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, Wie freudesinnend steht die Lämmerherde, Vergessend nun das frische Alpenkraut; Sull hält der lichte Wolkenzug und schaut Herunter nach der schönen Frühlingserde. Nur manchesmal die blühenden Gestalten Der Bäume selig rauschend sich verneigen, Ein Windhauch, überschwellend, bricht das Schweigen, Wie Wonneseufzer nimmer festzuhalten. (Vs 2030-2045.) Die episodenhafte Szene Die Lektion leitet mit ihrer scharfen politischen Satire auf österreichische Zustände, namentlich auf die Zensur, Lenaus polemische Dichtung ein. Im Briefe an Schurz vom 28. März 1834 (152) führt der Dichter die bis dahin entstandenen Faustszenen an (1), an erster Stelle das Einleitungsgedicht Der Schmetterling (256), das er in der zweiten Auflage des Faust (1840) fortliess, weil er es in die Neueren Gedichte (1838), in die Abteilung Gestalten, aufgenommen. Das in seinem Gedächtnisse ruhende innere Bild, das vielleicht zu dem Vergleiche Fausts mit einem Schmetter- linge den Anlass gab, malt er seiner Freundin Emilie in einem Briefe aus Heidelberg vom 8. Juni 1832 : « Als ich aus Stutt- gart fortfuhr, war die erste Erscheinung, welche mir auffiel, ein wunderschöner Schmetterling, der lange, lange unsern Wagen verfolgte, so dass der Kutscher selbst sich darüber verstaunte. War es,nicht ein mich begleitender Gedanke meiner Emilie, der die schöne Hülle angenommen hatte? Mir wurde ordentlich schwer ums Herz, als diese liebe Begleitung ver- schwand, denn ich hatte mir fest eingebildet, der Schmetterling (') Der Schmetterling (Prolog zur ersten Au flage 1836), Der Besuch, Die Verschrei- bung, Der Tanz, Das arme Pfäfflein (als « niederländiseher Anhang » bezeichnet), Der Abendgang (« Faust im Gebirge nach seinem ersten Morde »), Die Lektion, Die Schmiede. 23 354 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, sei ein Emiliengedanke, der nun von mir scheide » (101). In dieser Stelle hat die Erscheinung des Schmetterlings bereits diehterische Form angenommen, die schöpferische Stimmung war jedoch nicht stark genug oder die Reise liess es an der nötigen Sammlung fehlen, um die Entstehung eines Gedichtes zu ermöglichen. Den ersten Keim fand Lenau in der Natur, ein zweiter gesellte sich später hinzu. Lenau las während seiner Anwesenheit in Stuttgart H. Mayers, Ende 1833 entstandenes, kleines Bodenseebildchen Am Seegestade ('), das ihn an das anderthalb Jahr vorher in der Natur gefundene Motiv erinnerte : O Schmetterling, hinaus dem Wind Folgst du ins blaue Meer; Hinaus trägt er dich sanft und lind, Doch auch zum Ufer her? Nach Mayers eigenem Geständnis (?) erweiterte Lenau das Liedehen zu dem grösseren Gedichte Der Schmetterling, indem er mit den zwei ihm bisher durch die Natur und durch Mayer gegebenen Iyrischen Keimen noch zwei andere vereinigte : den dazwischen liegenden Keim der Amerikareise und den des ihn eben beschäftigenden Faustthemas. So musste das ursprünglich Iyrische Motiv in epische Form gekleidet werden. Die dichte- rische Ausgestaltung ist eine ganz andere geworden als die im Briefe an Emilie angedeutete. Die drei zuletzt hinzugekommenen Keime wiesen den Dichter auf einen anderen Weg; einer hätte dazu genügt. Es ist nicht der poetischere Weg, den Lenau hier eingeschlagen hat. In der angeführten Prosastelle, deren poetische Ausführung ein besseres Gedicht abgegeben hätte, ist der Schmetterling Symbol, im Gedichte ist er Allegorie. Mühsam ist diese aufgebaut. Wir können hier das scharfe Urteil bewundern, das Lenau als ein unerlässliches Erfordernis des (4) Mayers Gedichte, S. 12T. (2) MAYER, L. Uhland, Il, 265. LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST. 355 wahren Dichters hinstellt. Der « verständige Parallelismus », den Lenau aus der Naturdichtung verbannt, ist hier streng durchgeführt. Er hat mehrere Gedichte geschrieben, in denen neben die Natur der Mensch gestellt und die Parallele ausge- führt wird. Auf diese passt natürlich nicht seine Theorie der Naturdichtung (!). Der Herausgeber der Lenauschen Werke in der Sammlung des Bibliographischen Instituts (?) weist in der Einleitung zum Savonarola darauf hin, dass dem Schmetterling eine Idee zu grunde liege, die sich in einer Predigt Savonarolas vom 17. Februar 4496 finde. Die Übereinstimmung ist allerdings merkwürdig genug : « Da ist es mir », sagt Savonarola, « ergan- gen wie dem Schmetterling, der sich die Flügel verbrennt aus Sehnsucht nach dem Licht... Ich habe mich auf ein wogendes Meer begeben, wo widrige Winde mich von allen Seiten umstürmen. Ich sehne mich nach dem Hafen zurück und finde den Weg nicht. Ich möchte mich ausruhen und finde keine Stätte. » Der Gedanke zum Savonarola kam Lenau jedoch erst im Jahre 1836, und so waltet hier vielleicht nur ein Zufall ob. An den Schmetterling reiht sich das andere Faustlied, das Lenau in seine Lyrik aufgenommen hat, nämlich das Lied eines Schmiedes (52). Es ist kein eigentliches Handwerks- lied, sondern ein frommer Segensspruch, den der brave, goltesfürchtige Schmied Faust, beim Beschlagen seines Pferdes, mit aufden Weg gibt. Der Auftritt Die Schmiede war auch fertig am 28. März, laut Lenaus Brief von diesem Tage an Schurz. Ein Vergleich der Briefe an Schurz vom 9. Februar und vom 28. März belehrt uns, dass beide Faustgedichte zwischen diesen Daten entstanden sein müssen. Wichtig für die Chronologie der Gedichte im Frühjahr 183% ist der Brief an Schurz vom 7. Mai, in dem Lenau als « einzige (!) Eingehend vergleicht das Mayersche Gedicht mit dem Lenauschen R.M. Werner in Lyrik und Lyriker. Hamburg, L. Voss, 1900, S. 353 ff. (2) Ältere Ausgabe, II, 185, 0. J. 356 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST. Ausbente seiner letzten Zeit » ausser den Faustszenen « Atlan- tika, Niagara, ein paar Erotika » erwähnt (139). Die Atlantika sind die Gedichte Meeresstille und Sturmesmythe, die Niagara- lieder Niagara und Verschiedene Deutung, die Erotika Wandel der Sehnsucht und Stumme Liebe. Das Zurückgehen Lenaus auf amerikanische Reiseeindrücke und namentlich auf die Poesie des Meeres erklärt sich durch die damalige Vorarbeit an den Reise- und Meeresszenen im Faust. So weist das Gedicht Meeresstille (275) (Sturm mit seinen Donnerschlägen) eine merk- würdige Übereinstimmung auf mit den Versen 2610-2622 aus Faust, die den Gegensatz zwischen dem stillen und dem bewegten Meere ausmalen, wie die auch hier wieder heran- zuziehende Stelle aus dem Briefe an Schurz vom 16. Oktober ("). In der Faustszene Die Reise spricht Mephistopheles : Der Sturm ist weniger bedenklich mir. Wenn’s heult und brüllt, wenn alles wankt und kracht, Ein kriegrisch Wesen bald in dir erwacht, Das dem Tumult und allen Todesschlägen Mannstrotzig und frohlockend zieht entgegen. Bedenklich aber ist das stille Meer; Dagegen hält dein Trotz und Stolz sich schwer. Wenn Welle ruht und jedes Luftgeflüster, Wenn Meer und Himmel schweigend sich umschlingen Und fromm, fast wie betende Geschwister, Das könnte, sorg ich, meinen Faust bezwingen, Da fürcht ich Schwärmerei an meinem Faust, Hat auch der Sturm vergebens ihn gezaust... So kann auch in Meeresstille der « Sturm mit seinen Don- nerschlägen » dem Dichter nicht so das « tiefste Herz bewe- gen » wie die « tiefe Meeresruh ». Schwärmerei ergreift ihn, die Seele hört « ihr eigen Träumen klingen », sie erweicht und (4) Siehe S. 278 dieses Werkes. LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST. 831 löst sich, so dass sie « das Geheimnis heil’gen Bundes » bald preisgegeben hätte. Deutlich spielt Lenau hier auf das Verhältnis zu Sophie Löwenthal an, das vor der Welt ein Geheimnis bleiben sollte. « Süssen Bundes » steht in der Handschrift. Erst später (!) lernt Lenau, in Sophie die « Fülle alles Göttlichen » sehen und ihren Bund als einen heiligen betrachten. Auf die eben aus dem Faust angeführte Stelle folgen die Verse : Indessen ist die Nacht hereingebrochen, Die Wogen brausend an die Klippen pochen, Von Winden wird die Felsenbucht durchpfiffen, Die Wetterwolken laut und lauter kommen, (Vs 2623-2626) die auf das Atlantikum Sturmesmythe (276) hinweisen. Der Erstdruck in der Wiener Zeitschrift am 30. September 1834 bestätigt die aus dem Briefe an Schurz vom 7. Mai geschöpfte Vermutung und entkräftet einen Gegenbeweis, den man aus der Tatsache holen könnte, dass laut Briefen Lenaus vom 21. Oktober 1834 an Mariette Zöppritz und Emilie Reinbeck die Faustszene Die Reise erst Ende Oktober fertig war. Schurz (I, 212) meint, der Langeneilandstrand bei New-York sei wohl die ursprüngliche Wiege der Sturmesmythe. Für diese Ansicht spreche, schreibt Mulfinger (S. 57), der lokale Hintergrund. « Am Meeresstrand sah Lenau wohl, wie am Abend sich plötzlich ein schweres Frühlingsgewitter, wie ‚sie in jener Gegend besonders häufig vorkommen, über das Meer lagerte und es aufwühlte ». Gewiss hat Lenau den Keim zum Gedicht in Amerika empfangen. Das Naturbild ist hier, Lenaus Theorie entgegen, Selbstzweck. Das hindert es nicht, eins der gross- artigsten Naturbilder zu sein, die er geschaffen, und eins der herrlichsten Meereslieder der Weltliteratur. Wenn auf eins seiner Gedichte, so trifft auf dieses Lenaus Wort zu, es erscheine () Der Erstdruck erfolgte 1838 in den Neueren Gedichten. 358 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, ihm als Kennzeichen eines Dichters, wenn er Mythen und Legenden erfinde, die so tiefsinnig oder naiv oder gewaltig seien, als hätte sie ein Volk — dieser grösste aller Poeten — erfunden (?). R. M. Werner (?) zieht aus der Tatsache, dass hier die Natur Selbstzweck ist, die Vermutung, das Gedicht sei vor Meeresstille (Stille! — jedes Lüftchen schweigt) und vor IVandrer und Wind entstanden, weil in diesen Gedichten, Lenaus Theorie entsprechend, die Natur nur Mittel zur Darstellung einer poetischen Idee sei. Der Brief, in dem Lenan den Unterschied zwischen der Naturerscheinung als Zweck und als Mittel fest- stellt, datiert vom 28. Juni 1834, ist folglich nach den erwähnten Gedichten geschrieben. Er sagt darin übrigens selbst : « Ich weiss recht gut, .dass ich selbst gar oft gegen diese Ansicht verfahren bin, allein ich glaube, die Ansicht ist richtig » (165). Späterhin verstösst er übrigens noch öfters dagegen, ich möchte fast sagen, in richtigem poetischen Instinkt, denn welches von beiden: die Natur als Selbstzweck oder als Mittel zur Darstellung einer poetischen Idee das poetischere sei, ist grundsätzlich nicht auszumachen. Dies schmälert übrigens in nichts die Bedeutung der theoretischen und praktischen Neuerung Lenaus. Bei seinem diesmaligen Aufenthalte in Schwaben verkehrte Lenau wieder häufig mit dem polnischen Flüchtling Joh. Mat- tuszinski (155). Dieser Verkehr mag mitbestimmend auf die Entstehung des Zwiegesprächs Zwei Polen (215) gewirkt haben. Das Gedicht trägt den Doppelcharakter eines Polen- und Seeliedes. Es deckt sich mit dem Begriffe Atlantika. An die Seegedichte und an die Meeresszenen im Faust schliesst sich dies kernige, wuchtige Polenlied eng an. Wieder malt es den Gegensatz zwischen dem stillen und dem stürmischen Meere aus. Eine neue Schilderung der Meeresstille bringen die Verse 69-72. (1) FRANKL, S. 49. (©) Lyrik und Lyriker, S. 362. Pe} LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, 359 Auf das Meer flüchtet der Polenheld Bodeslaw wie Faust, um seinen Schmerz zu betäuben : Hier leb ich mit den Wellen Und mit den freien Winden Und seh dahin die Tage, Die hoffnungslosen, schwinden (Vs 57-60) ruft er aus wie Faust : Ich will nun fort, hinaus ins Meer ! Das ist so einsam, wild und leer, Das blüht nicht auf, das welkt nicht ab, Ein ungeschmücktes, ew’ges Grab. Dort zwischen Wogen, zwischen Winden Soll mir der kleine Kummer schwinden. {Vs 2471-2476.) Diese Faustverse beschliessen in der ersten Ausgabe den Gesang Der Abendgang. Des « einsamen, wilden und leeren » Meeres ist auch in dem Polenliede gedacht (Vs 17 f., 68 ff.), ferner kehrt der Vergleich des Meeres mit einem Grabe wieder (Vs 79 £.). Sieben Jahre hat sich Bodeslaw nach dem Falle Warschaus (8. September 1831) auf der See herumgetrieben (Vs 34 f.). Diese Sieben ist jedoch eine poetische Zahl, weil der Erstdruck des Gedichtes bereits im Jahre 1835, in Lenaus Frühlingsalma- nach für 1836, erfolgte. In den Niagaraliedern, die Lenau am 7. Mai nach den Seege- dichten als neuentstanden anführt, sieht die Kritik durchgängig nur kalte Gleichnisse, frostige Allegorien über die Gedanken : Gegenwart und Zukunft, Ich und All (*). Demgegenüber hebt () U. a. Reynaup : « Le Niagara lui-meme a beau enfler la voix, il n’obtient qu’une banale allögorie et quelques reflexions philosophiques superflues comme reponse. Ce n’etait vraiment pas la peine d’aller si loin pour ramasser ces fleurs lä... @’stait la banqueroute totale » (S. 330). 360 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, Mulfinger (S. 55 f.) die sehr genaue Naturbeobachtung hervor, zunächst in dem Gedichte Niagara (272). Er bemerkt, wie anschaulich und naturwahr Lenau das sanfte Gewoge des Stromes, das den Abgrund nicht ahnen lässt, geschildert, ferner das dumpfe Getöse, das schon in einer Entfernung von drei Meilen den Sturz andeutet, die kleineren Wasserfälle, die eine Meile vom Fall ihren Anfang nehmen, den lauten Wogenschall, der bewirkt, dass man den Fall, den man in grosser Entfernung hört, in der Nähe nicht vernimmt. Nur die vier Verse der Schlussstrophe : Und so mag vergebens lauschen, Wer dem Sturze näher geht; Doch die Zukunft hörte rauschen In der Ferne der Prophet bringen das Gleichnis, das eigentlich erst durch die zwei letzten Verse sinnfällig wird. Nicht frostig und gesucht erscheint mir die Allegorie, sondern sinnig und ungekünstelt, ja ergreifend, wenn man an die Leidenschaft, an das Schicksal (!) denkt, das bereits seine Netze um den Dichter geschlungen, dessen schwere Folgen und schauriges Ende er nicht ahnte. Auch das andere Niagaragedicht, Verschiedene Deu- tung (271), beruht, schreibt Mulfinger, auf einer Naturerschei- nung, « die sich darbietet, wenn man die hölzerne Brücke hinabsteigt, wo die Sonne auf den feinen Wasserstaub scheint, in den die Wassermassen durch das Herabfallen zerstoben sind, und den prächtigen Regenbogen bildet, worin ein jeder Tropfen Einsam, ein armes Ich, des Bogens Farbenharmonie widerstrahlt ». Wir stellen dieses Gedicht nach Niagara, weil es in einer Handschrift und im Erstdruck letzterem folgt. Auch zeigen eine (!) Schicksal steht im Erstdruck anstatt Sturz (Vs 30). (Wiener Zeitschrift 1837, Nr 76.) LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST. 361 Handsehrift und der Erstdruck, dass der Dichter sich die beiden Abteilungen von Verschiedene Deutung als zwei verschiedene Stimmen deutete. Die beste Erläuterung bringt eine Hand- schrift, welche den ersten Teil mit Pantheist, den zweiten mit Individualist überschreibt. Die so lebhaft empfangenen inneren Bilder ruhen im Gedächt- nisse des Dichters bis sie nach längerer Zeit durch irgend eine Gedankenverbindung in fruchtbarer Stimmung wieder- gegeben werden. Diese Verknüpfung bilden die Diehtung der Meereslieder und die Arbeit am Faust. Eben durch die gleich- zeitige Faustdichtung erklärt sich die allegorische Färbung der Niagaralieder. Lenaus Theorie der Naturdichtung ist hier wieder in auffällig deutlicher Weise in die poetische Praxis umgesetzt. Ausser den mit diesen lyrischen Gedichten gleichzeitigen Faustszenen, Der Abendgang, Die Lektion, Die Schmiede, diehtete Lenau am 26. und 27. März eine vierte, Der nächtliche Zug. Er sandte sie am 28. März an Schurz mit der Bemerkung, er habe sie gestern und vorgestern geschrieben. Alle Leser müssen die grosse Freude teilen, die Uhland daran hatte, als Lenau sie ihm, gerade in der Johannisnacht, vorlas (165). Auch hier erscheint wieder die Naturschilderung mit Betrachtung und Gleichnissen durchsetzt. Zwei herrliche Schilderungen heben sich ab, die der Johannisprozession (Vs 1648-1666) und die des im Frühlingshauch erwachenden Waldes, die ein prächtiges Seitenstück zum Gedichte Frühlingsblick bildet : Am Himmel schwere dunkle Wolken hangen (1) Und harrend schon zum Walde niederlauschen. Tiefnacht; doch weht ein süsses Frühlingsbangen Im Wald, ein warmes, seelenvolles Rauschen. (4) Vgl. das spätere Gedicht Der schwere Abend : Die dunkeln Wolken hingen Herab so bang und schwer. DY=o) Fe : = en 362 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, Die blütentrunknen Lüfte schwinden, schwellen, Und hörbar rieseln alle Lebensquellen (1) 0 Nachtigall, du teure, rufe, singe! Dein Wonnelied ein jedes Blatt durchdringe ! Du willst des Frühlings flüchtige Gestalten Auch nachts in Lieb und Sehnsucht wach erhalten, Dass sie, solang die holden Stunden säumen, Vom Glücke nichts verschlafen und verträumen. (Vs 1609 1620.) Es ist dies Lenaus zweites Frühlingsgedicht des Jahres 1834, das sich an das genannte aus dem Jahre 1833 anlehnt. Lenaus Iyrische Dichtung stockt in den Monaten Mai, Juni und Juli. Seine Arbeit gilt ausschliesslich dem Faust. Bis Ende Juni hielt ihn auch die Herausgabe der zweiten Auflage seiner Gedichte in Atem. Im Juli beschäftigte er sich mit der Druck- berichtigung der Gedichte Kerners, ein heikler und überflüssiger Dienst, den er allen seinen Freunden erwies, und wozu er sich stets anbot. Der lange schwäbische Aufenthalt des Jahres 1834 vom Februar bis August ging erst am 6. August zu Ende. An diesem Tage trat Lenau von Esslingen aus die Heimreise an, in Gesellschaft Emiliens und ihres Gatten, die ihn bis ins Salzkam- mergut begleiteten (?). Am 14. August sandte der Dichter von Salzburg aus an die « ungeheuer gebildete » (99) älteste Schwester Emiliens, Julie von Hartmann (°), die sinnige Huldi- gung An Fräulein Julie zu ihrem Geburtstage (1s5), die in der Handschrift mit « Salzburg, 14. August 1834 » datiert ist. (1) Vgl. Waldlied V: Rieseln hört er, springend schäumen Lebensfluten in den Bäumen. (2) Vgl. G. REINBECK, Reiseplaudereien, Stuttgart, 1837. 1, 215 ff. (%) Geboren am 14. August 1795 in Stuttgart, gestorben daselbst unvermählt am 23. Februar 1869. ‘ [3 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, 363 Am 19. August besuchten die Reisenden den Laudachsee bei Gmunden. Lenau war wieder glückselig bei seinem lieben, alten Freunde Schleifer, bei dem er früher, im August 1830, im Juli 1831, im Oktober 1833, so herrliche Tage verlebt. Der « schönsten Stunden », Die mir das Erdenleben durfte schenken, (Vs 3) gedenkt er in dem Bruchstücke Der Laudachsee (is). Die eine schöne Stunde, die er besonders hervorhebt (Vs 20 f.), ist vielleicht die Feier seines neunundzwanzigsten Geburtstages, die am 13. August 1830 am Laudachsee stattfand und durch den Gesang der Sennin verklärt wurde, der so vielfachen Widerhall in den zerrissenen Felsen jenseits des Sees weckte. Komm du auch, meine Freundin Phantasie, Erweck mir Echos Geisterchöre. (Vs 40 £.) Besonders teuer war dem Dichter dieser See im stillen Felsentale, Von Schilf und Wald die Wer rings umsäumt, (Vs 6 t.) der ihm den äusseren Rahmen zu den Schilfliedern gegeben. Wiederhören möchte der Dichter, Was damals wie aus schönern Welten mir erklang Und in die tiefste Seele drang, (Vs 14 f.) begraben auch in des Sees Gruft Und ihrer Dunkelheit vertrauen meine Leiden. (Vs 17.) 364 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST. So hofft auch Faust, dass ihm auf dem ewigen Grabe des Meeres sein Kummer schwinden werde. Am 3). August trennten sich die Freunde, Reinbecks fuhren in die Heimat, Lenau eilte nach Steiermark, wo ihn, in Neuberg, der Schwager Schurz erwartete. Auf der Reise dorthin erfasste ihn ein Vorgefühl des in Wien auf ihn lauernden Schicksals, es drängte sich ihm der Vergleich auf zwischen der in schwindelnder Tiefe brausenden, eng von Felsen einge- klemmten Salzach und einem Leben, das sich ganz « zusam- mendrängt in eine tiefe, heftige Leidenschaft » (172). Gewohnt, die Landschaft stets in einem seelischen Zustande zu sehen, erscheint ihm eine enge Sehlucht in den sogenannten Öfen auf dem Wege von Golling nach Werfen, ein durch die Felsen hinunterklaffender Riss, wie eine « tiefe, finstre, ewige Wunde » (172). Wenn er während seines kurzen Neuberger Aufenthaltes, vom 5. bis zum 11. September, seinem Schwager über die noch immer brennende Wunde klagte, die ihm Berta geschlagen, so liegt diesem sentimentalen Ergusse dieselbe Ahnung der « tiefen, heftigen Leidenschaft » zu grunde, die ihn bald erfassen sollte. Diesem Neuberger Aufenthalte, meint Schurz (1, 273 f.), verdankt Das Lied vom armen Finken (55) seine Entstehung. Es soll angeregt worden ‚sein durch ein Gespräch mit dem dortigen Kassierer des kaiserlichen Eisenwerkes, den Schurz einen feinen, klugen, alten Herrn, einen leidenschaft- liehen und durchtriebenen Vogelfänger nennt, welcher für Lenau, der in seiner Jugend dem Vogelfange leidenschaftlich obgelegen, ein « wahrer Fund » gewesen. Gleichen Gefallen fand er noch zehn Jahre später, bei einer seiner Reisen nach Stuttgart, an einem Postillon, der sich als einen « passionierten und erfahrenen Vogelfänger » zu erkennen gab und seine « vogelstellerischen Sympathien erregte (sı9). Ein prächtiges Tierschutzlied ist hier dem Dichter gelungen. Rührend wie hier äussert sich seine Tierliebe auch in Briefen an Emilie Reinbeck und Sophie Löwenthal aus dem Dezember 1836, in denen er LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST. 365 eine kindlieh-näive Freude über ein in seiner Stube in Wien frei herumfliegendes Rotkehlchen ausdrückt (268, 395). Die letzte, eine politische Anspielung enthaltende Strophe : Doch wird’s dann wieder heller Nach trüben Winternissen, Wenn einst dem Vogelsteller Sein altes Garn zerrissen, mag spätere Zutat sein, denn sie fehlt im Erstdruck in der Zeitschrift Phönix (19. März 1836). Sie erinnert an die Faust- szene Die Lektion. Eilig hatte es Lenau, nach Wien zu kommen. Die Sehnsucht nach seiner Schwester, meint Schurz (l, 273), « und vielleicht auch noch nach sonst Jemand liess ihn nicht länger rasten », trotzdem er wusste, dass er in Wien das « etwas düstre, klösterliche » Quartier im Schwarzspanierhause allein beziehen musste, weil die Schwester noch auf dem Lande weilte. Auch fühlte der in Stuttgart Verwöhnte sich dort nicht behaglich, die Poesie wollte nicht kommen, wiederum, wie einstens in Heidelberg, flüchtete er sich in ein ernsthaftes Studium, ver- senkte sich eifrig in die philosophischen Schriften Herbarts (175). Freudig ergriff er eine Einladung des Schwagers auf eine Gem- senjagd in Steiermark, die trotz ihrer kurzen Dauer (27. Sep- tember bis 4. Oktober) ungemein fruchtbar für die Dichtung werden .sollte. Dort schrieb er die Faustszenen Das Lied und Der Abschied und ausserdem, wie er am 5. Oktober seiner Stuttgarter Freundin mitteilt, ein kleines Iyrisches Gedicht (177). Dieses Gedicht Zuflucht (511) (Armes Wild) sandte er, als das seiner « letzten Muse », am 21. Oktober Marietten Zöp- pritz (180). Auf der Jagd war Lenau so glücklich, wenigstens Gemsen zu sehen und sogar auf einen Gemsbock zu schiessen. Dieser war aber sehr entfernt und in voller Flucht, so dass er dem herrlichen Wild vergebens nachschoss (177). Das Gedicht schildert nun, wie das verwundete Wild zur tiefsten Stelle, zur 366 LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, geheimsten Quelle des Waldes flüchtet, dort Linderung für seine Wunde suchend. Die gleichzeitige Diehtung des Fausti- schen Monologes am Grabe der Mutter brachte den Dichter auf den Vergleich des wunden Tieres mit einem leidgequälten Menschen, der im Mutterherzen Trost für seine Leiden sucht : Mensch, du flieh mit deinem Schmerz An die heimatlichste Stelle, An des Trostes reinste Quelle, Flüchte an das Mutterherz. Doch die Mütter sterben bald; Hat man dir begraben deine, Flüchte in den tiefsten Wald Mit dem wunden Reh — und weine! Bevor Faust sich auf die Meerfahrt begibt, will er zum letzten Male das heimatliche Tal, das Grab der Mutter sehn und bricht am Grabe in eine erschütternde Klage aus, die in herrlichen Versen den Gefühlsinhalt von Zuflucht entfaltet und vertieft. An einen Trauernden ist das Gedicht in der Handschrift im Briefe an Mariette Zöppritz überschrieben. Emma Niendorf (S. 133) will wissen, dass es ursprünglich An einen Jungen Freund betitelt war, dass Lenau es in Kerners Gartenhaus geschrieben, dass es Kerners Sohn Theobald gewidmet war. « Es sollte diesem gleichsam eine Mitgabe auf die Universität, in das bewegte Leben hinaus, sein; zugleich eine Huldigung für die Hausfrau; ein Denkmal für zwei Mütter : für die von Lenau und für das Rickele » (Kerners Gattin). Das Gedicht ist in Steiermark, nicht in Kerners Gartenhaus geschrieben, es eignet sich auch gar nicht als Mitgabe an einen Jüngling auf die Universität, in das bewegte Leben. Jedoch beweist die erste Fassung im Briefe und im Erstdruck (Morgenblatt, 1835, Nr 10), dass es ursprünglich einem Freunde galt, der seine Mutter verloren. LYRIK IN VERBINDUNG MIT DEM FAUST, 367 In Anlehnung an dasselbe beschliesst Betty Paoli ihr Gedicht Rückblick mit den Versen : O könnt ich unvermisst und einsam sterben, Ein wundes Reh im tiefen Waldesgrund ! Gleich lauten ihre Tagebuchverse : Das wunde Reh flieht hin zum dunkeln Waldessee, Still zu verbluten dort; — mein Herz, sei du das Reh! (4) Im Herbste 1834 sah L. A. Frankl zum ersten Male Lenau im silbernen Kaffeehause. Auf die Frage, wie es ihm auf der Gemsenjagd ergangen, antwortete der Dichter mit Versen, welche die neueren Ausgaben in der Nachlese unter der Über- schrift Einsamkeit (ss (?) bringen : O Einsamkeit! wie trink ich gerne Aus deiner frischen Waldzisterne! (1) Betty Paoli, Gedichte, S. 13, 33. (2) Von CASTLE, Impromptu betitelt. XXX Erste Gedichte an Sophie Löwenthal. Februar-April 1834. Wandel der Sehnsucht. — Stumme Liebe. Die « paar Erotika », die Lenau im Briefe an Schurz vom 7. Mai an letzter Stelle als « Ausbeute seiner letzten Zeit » erwähnt, können keine anderen als Wandel der Sehnsucht und Stumme Liebe sein, weil sie noch in der Ausgabe von 1834 erschienen, deren Druck bereits mit dem Monate Mai begann. In Wandel der Sehnsucht (2) gibt der Dichter das « Geheimnis heiligen Bundes », das er in Meerestille « im Schutz geschlossnen Mundes fester an sich drückt », preis. Das Gedicht bringt das klare Geständnis einer neuen Liebe, die kurz nach der « langen Fahrt » und der Landung des Dichters erfolgte : Doch, da fand ich dich, und — todesschwank Jede Freude dir zu Füssen sank, Und mir ist im Herzen nur geblieben Grenzenloses, hoffnungsloses Lieben. Allerdings zwingt der Ausdruck « grenzenloses, hoffnungsloses ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL, 369 Lieben » nicht an sieh allein das Gedicht auf Sophie Löwenthal zu beziehen, wenn es sich auch zur Überfülle in den Zetteln Lenaus an Sophie nachweisen lässt ('). Wen fand jedoch Lenau nach seiner Amerikafahrt? Doch nicht Lotte, die er nicht wie- dersah, sondern Sophie. Die entscheidende Wichtigkeit, die diese Bekanntschaft für sein Leben haben wird, ist hier ebenso klar vorempfunden wie ausgedrückt. Von « heftigen Empfin- dungen » redet er zu Schurz im Briefe vom 28. März 183% (154) und am 7. Mai gibt er als Ursache eines Unwohlseins « Gemüts- bewegungen » an, die er « soviel möglich mässigen » will (150). Mit gleichen Wendungen verrät er später Emilien in Briefen aus Wien einen Seelenzustand, über dessen Urheberin er sorg- fältig bemüht ist, die Freundin im Dunkeln zu lassen. Den Wandel der Sehnsucht von der Heimat nach dem Meere, um dort einsam mit dem Bilde der Geliebten zu verkehren, konnte doch nicht ein in der Wirklichkeit wie in der Poesie begrabenes Verhältnis, sondern nur die neue « hoffnungslose » Liebe bewirken. Hoffnungslos im vollen Sinne des Wortes war auch nur die Liebe zu Sophie, weil sie bereits einem anderen gehörte. Keine Parallele findet das Gedicht in den Lotte-Dichtungen, während es, sich dem Motive nach den (!) Der Ausdruck : « ich liebe dich grenzenlos » findet sich wörtlich in den Briefen an Sophie aus dem April und vom 22. Oktober 1836, vom 24. Mai 1840, vom 42. und 14 Mai 1841 (Briefe Nr 243, 26%, 496, 534, 536); häufig. sind ähnliche Ausdrücke wie ungemessen (295), unaussprechlich (22), namenlos (554), über alles (ss7), unbe- dingt (85); ähnliche Wendungen wie : « Ich bin dein bis ins Äusserste meiner Lebensdauer hinaus und bis ins Innerste meines Wesens » (485) erforderten ein Ausschreiben des ganzen Briefwechsels. — Zu der Bezeichnung hoffnungslos wären die vielen Stellen anzuführen, in denen Lenau über das Unglück seiner Liebe klagt, über die Qual, dass Sophie nie sein werden kann, und vielfache Äusserungen wie z.B. : « das stachelvolle Diekicht ohne Ausgang (50); jenes Aufgeben aller Hoffnung für die Zukunft » (ses). 24 370 ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. beiden Sophiegediehten Wunsch sehr nahe stellt, besonders dem zweiten : Fort möcht ich reisen Weit, weit in die See, O0 meine Geliebte, Mit dir allein ! Ein merkwürdiges Seitenstück hat auch der Wunsch des Liebenden : Möchte immer auf den wilden Meeren Einsam nur mit deinem Bild verkehren ! (Vs 19 £.), in der Mordszene des Faust, wo der Held in Betrachtung des von ihm gemalten Bildes der Maria ausruft : Wie dieses sanfte, schöne Bild Auf wildem Meeresgrunde ruht, So ruht es ewig, klar und mild, Auf meines Herzens wilder Flut, (Vs 1868-1874) wo er, nach Ermordung des Herzogs Hubert, nicht von dem Bilde lassen will : Doch kann ich nicht zurück ihr Bildnis lassen, (Vs 2001) es mit « heisser Hast » ergreift, mit dem Teufel darum ringt, bis dieser es ihm entreisst und ins Meer hinabschleudert. In ähnlicher Weise stimmen die Verse des Gedichtes : Doch, da fand ich dich, und — todesschwank Jede Freude dir zu Füssen sank, (Vs 13 £.) ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. 371 überein mit Fausts Worten an Maria in derselben Szene : Wenn ihr mein glühend Herz verstosst, Bleibt mir auch nicht der karge Trost, Dass ich auf meinem Trauerwege Euch doch ein Opfer noch geweiht, Entsagend, meine Seligkeit Auf eure Schwelle niederlege. (Vs 1890-1897.) Die Faustische Mordszene war laut eines Briefes Lenaus an den Grafen Alexander von Württemberg (167) vor dem Monate August fertig. Ebenso enge Beziehungen wie Wandel der Sehnsucht hat Stumme Liebe (21) zum Faust. Vergebens preist Fausts bettelhaft Geklimper : Wie tief dies Auge mit der Schattenwiınper In süsse Einsamkeit das Herz entreisst Und alle Welt umher vergessen heisst. (Vs 1748-1750.) Beim Betrachten der wunderbaren Züge Marias überlässt er frei seine Seele In tiefer Schönheit ihrem Untergang. (Vs 1798.) Hier schaut er sich das Herz todeswund (Vs 1804), des Wunsches Leidenschaft flammt auf, wird jedoch- in Banden gehalten durch die Ehrfurcht vor so reiner Frauenschönheit (Vs 1823 f.). Er sieht das Ewige, das Himmlische an dieser Zauberfülle, und scheu schriekt der sündige Wunsch zusammen (Vs 1833 f.). Blickt er ihr ins Angesicht, so hat die Hölle ihre Macht an ihm verloren (Vs 1900-1903). Die gleiche Verherrli- chung « holder Macht wahrer Frauenschönheit » (Vs 1807), ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL, 372 das gleiche Entsagen, das nur ein stilles « Verglühen und Vergehen » im « Wonneblick » der Geliebten wünscht, atmet das Gedieht. Es ist dieselbe Stimmung, die Faust ausdrückt, als er vor Maria auf die Kniee fällt (Vs 1912-1915). Die Szenen Maria und Der Maler arbeitete Lenau im Monate Mai aus (*). Ein Hauptkennzeichen des Verhältnisses zu Sophie ist die schon hier zu tage tretende Verschmelzung von Liebe und Religion, der sich vordrängende Mystizismus. Der Vergleich Sophies mit einer Madonna findet sich übrigens in einem Briefe an sie vom 6. August 1837 (604). Auch die Bezeichnung stumme Liebe passt auf ein Verhältnis, das sich vor der Welt verbergen musste, was Lenau so oft in seinen Liebesbriefen beklagt. Die beiden Gedichte Wandel der Sehnsucht und Stumme Liebe finden keine Erklärung, wenn man sie mit Prof. Castle auf Lotte bezieht, die vollste und klarste hingegen, wenn man sie für Sophie beansprucht; es stimmt dann jedes Wort. Vor- züglich veranschaulichen sie — wie auch die gleichklingenden Stellen im Faust, denen gerade eine starke Beweiskraft für unsere Ansicht inneliegt — die Seelenstimmung Lenaus im Frühjahr 183% nach der Bekanntschaft mit Sophie und in der Trennung von ihr und spiegeln die Gemütsbewegungen, von denen er selbst spricht, wider. Auffallend muss es erscheinen, dass Castle einzelne der angeführten und ähnliche Stellen aus dem Faust und die Schlussstrophe des Gedichtes Meeresstille, wo der Dichter vom « Geheimnis heiligen Bundes » spricht, ausdrücklich auf Sophie bezieht (?) und ihr die nachweisbar vorher entstandenen Liebes- (1) ScHurz, I, 263. — MAYER, S. 1924. (2) Einleitung zu Lenau und Löwenthal ıxıx. « Wort und Bliek mussten in pein- liehe Hut genommen werden. » Siehe ferner S. xVIr, XVII, xX, LVI, LXVIN. Die angeführten Stellen sind aus den Szenen Der Tanz, der bereits 1833 fertig war, und aus Maria, Der Maler, der Mord, die im Mai und Juli 4834 geschrieben wurden. ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. 31: gedichte abspricht (‘). Es liegt ein offenbarer Widerspruch darin, bestimmt im Frühling und Sommer 1834 entstandene Stellen aus dem Faust auf Sophie zu deuten und die erste Bekanntschaft mit ihr zu En:le desselben Jahres anzusetzen. Mit trefllichen Gründen ist bereits Reynaud (S. 112 f.) diesem Irrtum entgegengetreten, ich habe selbst einen gleichen Versuch gemacht (?) und die Schurzesche Datierung (Il, 243) der ersten Bekanntschaft mit Sophie : Ende 1833, verteidigt. Zahlreiche, mannigfaltige Gründe sprechen dafür, dagegen nur eine Stelle im Briefe an Emilie Reinbeck vom 20. September 183%. Der Freundin, die Lenau stets bemüht war, über das Verhältnis zu Sophie zu täuschen, schreibt er: « Auf nächsten Mittwoch bin ich nach Penzing geladen, wo ich jene Unwiderstehliche im hellen Tageslichte werde zu sehen bekommen. Neulich war mir dies Glück nur im Dämmerlichte des Abends zu teil geworden » (173). Bei dieser Unaufrichtigkeit verwickelt er sich in Widersprüche. Er bezeichnet an derselben Stelle das Löwenthalsche Haus als eines der ihm « befreundeten », Sophie scheint ihm « noch immer das interessanteste Glied dieser sehr zahlreichen Hausge- nossenschaft » (?). Deutet nicht schon allein der Ausdruck « jene gepriesene Unwiderstehliche », mit dem Lenau Sophie bezeichnet, ohne sie vorher genannt zu haben, darauf hin, dass er Emilien bereits von ihr erzählt? Entscheidend ist das « noch immer ». Die Verstellung und ihre Ursache, die Furcht Emiliens Dreinreden und Eifersucht zu erwecken, tritt jedoch deutlich zu tage in den Worten : « Ich glaube, ich werde (1) Ebd , S. xv1, auch Zeitschrift für den deutschen Unterricht, 2% Jahrg. 1. Heft, S. 63. (2) Melanges God. Kurth, 11, 391 f. Gegen Reynaud wendet sich Castle in Lenau und Löwenthal, S. xvı u. 586, gegen mich in einer Antwort auf meinen Aufsatz in der ebengenannten Zeitschrift, XXIV, 61-63. (5) Castle bestreitet jeden Widerspruch im Briefe an Emilie und gibt die Erklä- rung : «Man merke wohl, Lenau hat Sophie nur nicht gesehen ; dass er mit ihr nicht gesprochen habe, behauptet er keineswegs : daher kann er sie auch ganz gut sogleich als “ das interessanteste Glied der sehr zahlreichen Hausgenossenschaft ’ erkannt haben. » 374 ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. bald wegbleiben. Es sind halt keine Hartmanns ». Auf eine oftenbare Bemäntelung des wahren Sachverhaltes läuft auch die Stelle im Briefe an Emilie vom 21. Oktober hinaus : « Mit der Unwiderstehlichkeit ist's nicht so arg » (179). Wiederum muss Lenau in demselben Briefe seinen wahren Gemülszustand durch- blicken lassen, indem er von « heftigen Gemütsbewegungen » spricht, die ihn immer häufiger heimsuchten. Nach dem Wort- laut der Briefe an Emilie blieb Sophie bis zum 21. Oktober Lenau gleichgültig. Am 8. November überreichte er ihr drei glühende Liebesgedichte, die in dem Wunsche gipfeln, die Geliebte wild und warm ans Herz zu drücken. Den wahren Sachverhalt schildert ein gleichzeitiger Brief Lenaus an Schurz vom 22. September, der die Angaben des Schreibens an Emilie vollständig entkräftet. « Mittwoch hab ich in Penzing bei Max (!) gespeist. Er und, sie sind mir sehr zugetan. Recht gute, feine Menschen. Sonntag darauf hab ich mit ihnen eine Partie nach Nussdorf gemacht. Mondhelle Nacht; Fahrt auf der Donau; fröhliches Nachtessen auf dem Balkon; Heimfahrt um zwölf Uhr. Das war nicht übel » (175). Am 17. September hat Lenau mit Sophie und ihrem Gatten in ihrem Hause gespeist. In der Meldung an Emilie erfolgt die Einladung genau eine Woche später. Am Vorabende des geplanten Ausfluges nach Nussdorf will Lenau « bald: wegblei- ben » aus einem Hause, das er sofort und ausschliesslich nach seiner Ankunft in Wien besucht, das von Menschen bewohnt ist, die recht gut und fein und ihm sehr zugetan sind. Auf den bereits von mir hervorgehobenen Widerspruch zwischen der Mitteilung an Emilie und der an Schurz geht Castle in seiner Entgegnung nicht ein. Emilie, die so genau über Lenaus äusseres und inneres Leben (!) Max bei Scnurz, I, 275, Löwenthal statt Max bei Castle (Werke III, 287). Da mir die Einsicht in die Handschrift nicht gestattet wurde, kann ich nicht entscheiden, wer hier recht hat. Der Unterschied ist von sichtlicher Bedeutung, denn Max deutet auf eine bereits erfolgte grosse Vertraulichkeit hin. ERSTE GEDICHTE AN SOPIHE LÖWENTHAL. 375 unterrichtet war, hat sich gewiss gefragt, wem die Liebesgedichte Wandel der Sehnsucht und Stumme Liebe gelten mochten, und dabei mag ihr Lenau aus zarter Rücksicht und mannigfaltigen anderen Gründen jede Beziehung auf die Wirklichkeit ausgere- det haben. Das Geheimnis dieser Liebe hat er übrigens zwölf Jahre lang ihr gegenüber streng gehütet, und erst der Wahnsinn löste ihm am 16. Oktober 1844 die Zunge. Die Dauer der Bekanntschaft gab er bei diesen Enthüllungen auf zwölf Jahre an und schrieb am 15. Oktober vor dem Wahnsinnsausbruch an Sophie : « Wir kennen uns seit zwölf Jahren » (872). Frühere Angaben stehen hiermit, Castles Meinung entgegen, nicht in Widerspruch. Wenn Lenau am 28. Januar 1838 an Sophie schreibt : « Seit drei Jahren steht mein Herz für dich in Flammen », so bezieht sich diese Äusse- rung ja offenbar nicht auf die Zeit des ersten Bekanntwerdens, sondern auf die des am 8. November 1834 erfolgten Lie- besgeständnisses. So kann man auch das Bekenntnis vom 10. Mai 1838 : « Hier steht mein Unglück seit vier Jahren mir unverrückbar gegenüber », und vom 5. Juli 1839 : « In Ihnen hat es (das Göttliche) mir seit fünf Jahren still geleuchtet », auf die Zeit deuten, wo Lenau Sophie die Gedichte Wunsch, Ein- samkeit, Meine Furcht übergab und sie dieselben als Zeichen der Gegenliehe annahm. Eben die Tatsache, dass die genannten Gedichte die ersten waren, die der Dichter Sophie als ausdrückliche Liebeserklä- rungen überreichte, deutet einen Umstand, über welchen Castle erklärt nicht hinwegkommen zu können, den nämlich, dass Sophie weder Wandel der Sehnsucht noch Stumme Liebe jemals für sich beanspruchte. Unsere Darstellung wird übrigens ergeben, dass Sophie bei weitem nicht alle an sie gerichteten Liebesgedichte auf sich bezogen und in ihre Abschrift der Liebesbriefe Lenaus eingereiht hat. Es lohnte sich nicht der Mühe, so lange bei dieser an sich nebensächlichen Frage stehen zu bleiben, wenn die Datierung Castles nicht, trotz Reynauds und meiner Einwendungen, 376 ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. als feststehende Tatsache angenommen wäre und eine völlige Verwirrung hervorgerufen hätte. So dürfen z. B. neueste Herausgeber wie C. Schaeffer sich nicht mehr getrauen, eine Beziehung der Gedichte Wandel der Sehnsucht und Stumme Liebe festzustellen. Da bisher niemand folgerichtig wie Castle die Gedichte für Lotte zu beanspruchen wagt, so beginnt bereits das Suchen nach neuen Anlässen. Hierbei ist man auf den Einfall gekommen, als Gegenstand der « grenzenlosen, hoff- nungslosen Liebe » die kaum den Kinderjahren entwachsene Gräfin Marie von Württemberg zu bezeichnen (!). Allerdings hat später die Schwester des Grafen Alexander Sophies Eifersucht erweckt, allerdings hat Lenau ihr die äusseren Züge für die Königstochter Maria im Faust entlehnt, was er eben nicht so deutlich getan hätte, wenn die Liebe irgendwie in seinem Verkehre mit ihr mitgesprochen. Klar genug spricht übrigens Lenaus Äusserung zu Sophie : er betrachte ihr gegenüber die Gräfin Marie mit einem ganz ruhigen Vergnügen, denn selbst wenn er zu jedem einzelnen Zuge ihrer Liebenswürdigkeit die Vollendung hinzuphantasiere, so überstrahle Sophie in ihrer (demütigen Hoheit die Marie tausend- und tausendmal (299). Zu dem Schönsten, was Lenaus Dichtung hervorgebracht, gehören die im Monate Mai gedichteten Faustszenen Maria und Der Maler. Voll bestrickender Anmut sind namentlich die Verse, in denen der Dichter die Frauenschönheit preist, wozu ihm die Wirklichkeit in den Gestalten der Gräfin Marie und Sophie Löwenthals zwei glänzende Vorbilder bot, die sich in seiner Phantasie verschmolzen. In « stummer Wonnetrunken- heit » (Vs 1787) sitzt Faust vor der holden Königstochter, wie Lenau vor Sophie gesessen. Hier sollte er « schmerzlich inne werden » : Der wahren Frauenschönheit holder Macht Kann widerstehen keine Macht auf Erden. (Vs 1807 f.) (!) A. FRIEDBERGER, Die Schwermut in Lenaus Leben, Inauguraldissertation, Greifswald 4912, S. 96. ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. BL Heftig ergreift ihn die Sehnsucht, « das süsse Urbild zu umarmen » ! Doch, wie auch lammt des Wunsches Leidenschaft, Die Ehrfurcht hält ihn fest in scheuer Haft. O Frauenschönheit! Vieles ist zu preisen An dir, in ewig unerschöpften Weisen ; Das ist dein Schönstes : dass in deiner Nähe Auch wilde Sünderherzen weicher schlagen, Dass ein Gefühl sie fasst mit dunklem Wehe Aus ihrer Unschuld längst verlornen Tagen. Mag auch des Sünders Herz zur Lust entflammen, Wenn er in deine Zauberfülle blickt, Doch sieht er auch dein Ewiges und schrickt An dir, du Himmelsabgrund! scheu zusammen. (Vs 1823-1834.) So preist auch Don Juan als besonderen Reiz der Frauen- sehönheit den Duft von Ewigkeit, Der über einem Frauenherzen schwebt. (Don Juan, Vs 505 f.) Genau entspricht dieser Zug dem Lamartinschen « parfum de vie immortelle », den allein die Frau über das Menschen- leben ausströmt : „ Ce que la vie humaine a d’amer et de doux, Ce qui la fait brüler, ce qui trahit en elle Je ne sais quel parfum de vie immortelle, C'est vous seules! (f) (1) Novissima Verba (Harmonies poetiques et religieuses). Paris, Hachette, 188%, 5. 394. 378 ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. Eine ähnliche Schilderung der Frauenschönheit in Lamartines « Harmonie » L’Humanite hat Lenau beim Gedichte Die schöne Sennin vorgeschwebt, welcher der Himmel einen warmen Blick “ins holde Auge senkt, der, sich in seinen Schimmer vertiefend, geblieben ist, und nimmer scheidet. A la pourpre qui teint sa joue, On dirait que l’aurore s’y joue, Ou quelle a fix& pour toujours, Au moment qui la voit eclore, Un rayon glissant de l’aurore Sur un marbre aux divins contours? (1) Man vergleiche hiermit noch die Verse aus Lenaus Preislied auf Maria : Wie diese sanftgehauchte Jugendglut, Ein Traum von Rosen, auf den Wangen ruht, Vom Morgenrot ein fernes Widerscheinen, Das einst gestrahlt den Paradieseshainen. (Faust, Vs 1755-1758.) Wie die Königstochter Faust, dem Maler ihres Bildnisses, so hat Sophie es dem Dichter ‚bereits angetan. Ehe er ihr in Wirklichkeit ein Geständnis abgelegt, fleht er sie in der Dich- tung um erbarmende Gegenliebe an : OÖ lächelt, holde Königstochter, Herab voll Mitleid auf mein Weh, Der ich vor euch, ein Unterjochter, In meiner bittern Armut steh; Wenn ihr mein glühend Herz verstosst, Bleibt mir auch nicht der karge Trost, Dass ich mit einem stolzen Leide Von eurem lieben Antlitz scheide, (4) Harmonies poetiques et religieuses, S. 1489. ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. Dass ich auf meinem Trauerwege Euch doch ein Opfer noch geweiht, Entsagend, meine Seligkeit Auf eure Schwelle niederlege : Hab keine zu verlieren mehr, Das drückt das Herz mir doppelt schwer. Doch, blick ich wieder euch ins Angesicht, So hat die Hölle, der ich zugeschworen, Mit einmal ihre Macht an mir verloren, Mir strahlt ein wunderbares Hoffnungslicht. Ö nein! ich kann, ich will euch nicht entsagen, Ich will’s noch einmal mit dem Himmel wagen! (Vs 1886-1905.) Bauend auf das « innige Bedauern », das die Prinzessin für Fausts Unglück, für sein « tiefes Trauern » bewegt, fällt der Liebende vor ihr auf die Kniee und fleht ungestümer : Ach, nur ein leises Wort, ein Hauch, ein Blick, — Und wär es nur ein mitleidsvoller Trug, — Dass du mich liebst, es ist genug, genug, Auf immer zu verwandeln mein Geschick. Mag dann der Hölle tiefes Qualenmeer Mit seinen Wogen rauschen um mich her, Ich werde nicht darin zu Grunde gehn, Mir wird aus deinem holden Liebeszeichen Ein ewig grünes Eiland auferstehn, Verzweifelnd muss die Hölle rückwärts weichen; Vergebens werden dann Erinnerungen Aus meinen wüsten, schuldgetrübten Tagen Ans heil’ge Ufer meiner Liebe schlagen, Ich bin gerettet, hab ich dich errungen ! (Vs 192-4985.) * 2: Sämtliche Gedichte, die in der zweiten Auflage des Jahres 1834 erschienen, haben wir bisher untersucht, ausserdem 14 Gedichte 380 ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. der neuen Sammlung des Jahres 1838. Die « zweite, ver- mehrte Auflage » bildet einen stattlichen Band von 383 Seiten und bringt 45 Gedichte mehr als.die erste. Die epische Dichtung ist durch das Nachtstück Die Marionetten erweitert. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Amerika eröffnete sich dem Dichter die Hoffnung auf eine zweite Auflage (128). Angaben über dieselbe macht er in vielen Briefen vom Juli 1833 bis Juni 183% (1). Der Vertrag mit Gotta vom 29. April 1834 stellt die Stärke der Auflage auf 1200 Exemplare, das Honorar auf 1000 Gulden fest. Die Versendung erfolgte erst zur Herbst- messe, nicht, wie Lenau gehofft, zu Ostern. Der Druck dauerte von Anfang Mai bis Ende Juni 183%. Während einer kurzen Abwesenheit Lenaus aus Stuttgart besorgte Reinbeck die Korrektur. Dass Druckfehler stehen geblieben, bezeugt Lenau selbst (169). Der Dichter unternahm auch eine vollständige Umwälzung in der äusseren Einteilung und in der inneren Einreihung. Die Abteilungen sind in beiden Ausgaben folgende : 1834 1832 Erstes Buch. Lyrische Gedichte. Bilder aus dem Leben Lieder der Sehnsucht Lieder der Sehnsucht Lieder der Vergangenheit Lieder der Vergangenheit Frühling Vermischte Gedichte Herbst Fantasieen Fantasieen Heidebilder Haidebilder Oden Polenlieder Klara Hebert Oden Reiseblätter Vermischte Gedichte Atlantica Zweites Buch. Lyrisch epische Gedichte. Leben und Traum Klara Hebert Die Marionetten (!) Werke III, 210, 214 f. 229, 234, 236 f., 245, 250, 254, 260, 263, 269, 274. ERSTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. 381 Die Gliederung der zweiten Auflage, die Lenau in allen späteren Ausgaben beibehielt, weist im Vergleiche mit der ersten Ausgabe einen bedeutenden Fortschritt auf. Die Bilder aus dem Leben, die in der eigentlichen Bedeutung des Wortes keine waren, verschwinden als solche und werden glücklich anderswo untergebracht, Frühlings- und Herbstlieder werden in besonderen Abschnitten vorgeführt, die politischen Gedichte als Polenlieder in ein besonderes Fach gebracht, neuentstaändene Gedichte unter den sprechenden Überschriften Reiseblätter und Atlantika vorgelegt. Auch manche Gedichte des Kapitels Vermischte Gedichte finden eine passendere Einreihung, wie Wanderung im Gebirge unter Reiseblätter, Der Maskenball unter Polenlieder. Der neue Abschnitt Leben und Traum ergibt eine treflliche Einordnung für mehrere mehr oder weniger unschicklich untergebrachte Gedichte der ersten Sammlung und ist wie geschaffen für das neue Gedicht Warnung im Traume. Weniger glücklich ist die Einreihung von Liebesgedichten in die Folge Vermischte Gedichte ; oder wollte Lenau die Bezie- hungen auf die Wirklichkeit verdecken, indem er die Lotte- gedichte auf verschiedene Gruppen verteilte ? Einer sehr sorgfäl- tigen Durchsicht ward der Text unterworfen. An 25 Gedichten brachte Lenau Textänderungen an, die fast sämtlich glückliche Verbesserungen sind. XXX Sophiegedichte. 2. Reihe. — Oktober-November 1834. Einsamkeit. — Wunsch. — Meine Fureht. — Wunsch. — Heimatklang. Sehr fruchtbar wie der Aufenthalt in Steiermark war die unmittelbar darauf folgende Zeit. Zunächst dichtet Lenau einen neuen Faustgesang, Die Reise, dessen Vollendung er am 21. Oktober Emilien Reinbeck und Marietten Zöppritz meldet. Den Zusammenhang der Szene mit früheren Gedichten haben wir dargelegt. Mephistopheles’ Beschreibung der inneren Aus- stattung des Schiffes birgt drei skizzenhafte Jahreszeitgedichte : ein Frühlingslied : Du hörst allein die Weste Melodisch säuseln durch die grünen Aste, Du bist umwürzt von süssem Waldesduft, Du hörst die Nachtigall, die ferne ruft. (Vs 2515-2518) ein Herbstlied : Du siehst am Felde schöne Schnitterinnen Im Abendrote stehn — und Liebe sinnen; Du hörst die Wachtel schlagen im Getreide, Du siehst den Jäger still den Wald beschleichen, Zugvögel wandernd durch die Lüfte streichen, Die Herden kehren von der Alpenweide. (Vs 34-256) SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE. ein Winterlied : Die sturmverwehten Blätter rauschend fallen, Dicht stöbert Schnee : nun starren alle Bäche, Die erst geplätschert, auf gefrorner Fläche Ziehn lust’ge Schlitten hin mit Peitschenknallen. (Vs 2529-2532.) Die ersten Tage des Wiener Aufenthaltes vor der Gemsenjagd in Steiermark (11. bis 26. September) standen unter dem Zeichen einer Schwermut, « die nahe an Hypochondrie grenzt » (173). Trotz des herzlichen Empfangs bei Löwenthals, trotz der Lenau von Sophie erwiesenen Zuneigung schlägt die « Hypochondrie immer tiefere Wurzeln. Es hilft alles nichts. Der gewisse innere Riss wird immer tiefer und weiter » (175). Er unternimmt den Ausflug nach Steiermark, um sich einem « gewissen, schwer- mütigen Dahinbrüten », seinem « fatalen Unmut » zu entreissen. Kaum ist er jedoch zur Rückreise nach Wien in den Wagen gestiegen, so fällt er auch wieder in den « alten Trübsinn » zurück (177). Den Hauptgrund dieser Stimmung verrät das Gedicht Einsamkeit (27) : Wild verwachsne dunkle Fichten, Leise klagt die Quelle fort; Herz, das ist der rechte Ort Für dein schmerzliches Verzichten ! Gemeint ist das schmerzliche Verzichten im besonderen auf den Besitz Sophies, im allgemeinen auf ein frohes, glückliches Familienleben überhaupt. Dieser Mangel ward Lenau durch sein Alleinsein in den ersten Tagen des Wiener Aufenthaltes und durch den Verkehr in einem geselligen, heiteren Familienkreise wie der Löwenthalsche lebhaft fühlbar und schuf das Gefühl « der Leere und des Unbehagens », über welches er der Stutt- garter Freundin klagt (173). Eine einsame, düstere Stelle ist der äussere Rahmen des Gedichtes wie in Asyl. Eine solche sah Lenau auf der Reise, 384 SOPHIEGEDICHIE. — 2. REIHE, die bereits erwähnten Öfen, ‚auf dem Wege von Golling nach Werfen. Eine ganz poetische Schilderung derselben in Prosa steht im Briefe vom 6. September 1834 an Emilie Reinbeck, und wir wissen, dass der Dichter an die Schilderung einer Schlucht den Vergleich knüpft von einem Leben, das sich in eine tiefe, heftige Leidenschaft zusammendrängt (12). Ein einsamer mit Fichten bepflanzter Berg in der nächsten Umge- bung von Neuberg, wo Lenau oft lag, dem « einsamen, schwer- mütigen Rufe eines dort sich aufhaltenden Gimpels lauschend », erinnert Schurz (I, 27%) lebhaft an die im Gedichte geschilderte Stelle. Das erneute Geständnis « tiefer, hoffnungsloser Liebe » (Vs 16) macht die Beziehung des Gedichtes klar. Auch bezeichnet es Sophie (!) als ein ihr im November 183% zugleich mit zwei anderen, Wunsch (Urwald...) und Meine Furcht, übergebenes. Später strich sie in ihrer Bemerkung Einsamkeit aus und setzte darüber Neid der Sehnsucht. Dadurch wollte sie einen Wider- spruch ausgleichen zwischen diesem Vermerk und dem, womit sie das Gedicht Einsamkeit versieht, nämlich : « In Penzing an meinem Tische im Jahr 1836 ». Diese Notiz übernimmt Schurz in sein Exemplar, ändert jedoch die Jahreszahl 1836 in 1834. Sophies Datum kann nicht stimmen, weil die Verse bereits 1835, ‘im Deutschen Musenalmanach für 1836, gedruckt wurden. Auch verdient die erste Niederschrift mehr Zutrauen als die viel spätere Berichtigung (?). Überdies schliesst sich das Gedicht zunächst an Wandel der Sehnsucht: an. Der dortigen « hoff- nungslosen Liebe » entspricht genau hier : Herz, das ist der rechte Ort Für dein schmerzliches Verzichten ! (1) Anmerkung in ihrem Exemplar der Gedichte zu den Versen Wunsch (Urwald...) : « Erstes Gedicht an mich, welehes mir Niembsch mit Meine Furcht und Einsamkeit im November 1834 gab ». (2) « Viel spätere », weil die Überschrift Neid der Sehnsucht eine viel ältere Hand verrät. SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE. 385 dem « schmerzlichen Vermissen » das « schmerzliche Verzich- ten », dem Schwund jeder Freude (!) das « heimliche Weinen », das die Handschrift ein « heisses » nennt, dem « grenzenlosen, hoffnungslosen Lieben » die Sehlussverse : Deine Liebe Gott versteht, Deine tiefe, hoffnungslose ! Zwei Jahre später schreibt er Sophie, dass niemand seine Liebe kenne und verstehe als « Gott, du und ich » (257). Am 21. Oktober meldet er Emilien Reinbeck : « Meine Gesundheit ist nicht gehörig, aber doch leidlich. Das beste Mittel ist, dass ich meine heftigen Gemütsbewegungen, von denen ich immer häufiger heimgesucht werde, in (?) Gedichte entlade ». Diese Gedichte sind neben Einsamkeit die beiden Wunschgedichte Wunsch und Meine Furcht. Das eine Gedicht Wunsch (as) (Urwald...) datiert Sophie in einer Abschrift : « Wien, 8. November 1834 ». Diesbezüglich ist eine Stelle aus dem Schreiben an Sophie vom 22. Juni 1838 heranzuziehen . « Die Türe ist hinter dir geschlossen seit jenem 8. Novem- ber » (430), aus welcher hervorgeht, dass Lenau die Annahme der Gedichte als Abschluss des Bündnisses zwischen ihm und Sophie betrachtete. Auf dieses Datum sind auch die von Castle für die Zeit der ersten Bekanntschaft beanspruchten Äusserun- gen Lenaus zurückzubeziehen. Sophie bemerkt zu dem Gedichte in ihrem Exemplar : « Erstes Gedicht an mich, welches mir Lenau im November 1834 gab ». Sophie sagt doch hier nur, dass Wunsch das erste Gedicht sei, das Lenau ihr überreicht, ey ... todesschwank Jede Freude dir zu Füssen sank. (Neid der Sehnsucht, Vs 43.) (2) in nicht im, wie Schlossar (S. 67) und Castle (Werke III, 295) drucken. 386 SOPHIEGEDICHTE. 2. REIHE. zugleich mit dem früher geschriebenen Einsamkeit und mit dem gleichzeitig verfassten Meine Furcht. Die zwei ersten durch die Neigung zu ihr hervorgerufenen Gedichte waren bereits in der zweiten Auflage erschienen. Der dem Gedichte zu grunde liegende Wunsch des Allein- wohnens mit der Geliebten in einem Walde, auf einer Insel, in einer Hütte kehrt später öfters im Briefwechsel mit Sophie wieder. So schreibt Lenau ihr am 26. Juli 1836 : « Wie unrecht du mir immer tust, wenn du meinen Gedanken vom Blockhaus nicht glauben willst, das war mir zwar immer gewiss, hier aber (1) wird es mir sonnenklar, denn mir geht hier gar nichts ab’als du, und mit dir möchte ich mein Leben beschliessen zwischen diesen Felsen » (250) ; am 9. Dezember 1836 : « Wären wir nicht glücklicher, wenn wir unten im sichern Tale unser Feld bestellen könnten und unsere Kinder pflegen? » (270); am 18. Juni 1837 : « Wär ich hingegen einmal mit dir in einem Walde ganz ungestört, ich würde die Natur verstehn und lieben wie nie zuvor » (507); am 8. August 1837 : « Heute spazierten wir abends mit Reinbecks und kamen an einem Minimum von Hütte vorüber. Reinbeck bemerkte, wie genügsam der Mensch doch sein könne, in solcher Hütte wohnen zu können. O! rief ich aus, unter gewissen Umständen möcht ich gleich da drin wohnen!:Ich fühlte, als es heraus war, dass ich’s mit einer verräterischen Lebhaftigkeit gesagt hatte » (559); am 23. Au- gust 1837 : « Wär ich ein Hufschmied und du mein Weib, und ich wüsste doch, dass ich nieht umsonst gelebt » (574); auf einem datumlosen Zettel : « Könnt ich nur dich herausfangen aus dem Schwarm und mit dir leben wie der Graf Albert mit seiner Helene im Waldschloss » (407). Die bezeichnendste Stelle ist jedoch ein undatiertes Blatt vielleicht aus dem Jahre 1837 : « Als ich heute abend in unserm lieben Winkel zwischen Schrank und Ofen lag mit geschlossnen Augen, hatte ich eine angenehme (1) In Reichenau bei Wien. SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE, 387 Einbildung, die sich mir zur lebhaftesten Täuschung steigerte. Ich war mit dir weit weg im Gebirg in einer dichtverwachsenen Schlucht. Ich hatte dir aus Moos einen recht weichen Sitz bereitet. Ich sass an dir in einem langen, langen seligen Kusse » (288) : Ich legte Moosgebreite Weich unter ihren Schritt, Und meine Liebe streute Ich unter ihren Tritt. (Vs 9-12.) Wir sehen, wie Lenau in seinen Gedichten die Gedanken, Gefühle und Bilder, welche die Briefe und Zettel an Sophie beherrschen, vorwegnimmt. Von Anfang an weist die Sophie- dichtung ein merkwürdiges Vorausahnen alles Kommenden auf. Die ganze Gedanken- und Gefühlswelt der Liebesklänge spiegelt sich in den Liebeszetteln wider, die Verhältnisse lassen sich sämtlich als erlebt erweisen. Häufig lässt sich eine wortgetreue Übereinstimmung feststellen, die jedoch nur mit grosser Vorsicht für die Datierung der Gedichte verwandt werden kann. Die Parallelstellen, wie ähnlich sie auch sein mögen, beweisen an und für sich wenig für eine gleichzeitige Entstehung, der poetische Ausdruck gleicher Motive geht dem prosaischen voraus oder folgt ihm nach. Gleichzeitigkeit findet allerdings auch statt. Zum Glück besitzen wir für die Chrono- logie der Liebesklänge vielfach andere Anhaltspunkte als den Zusammenklang mit dem Briefwechsel. Am 8. November übergab Lenau Sophie ausser Einsamkeit und Wunsch das Gedicht Meine Furcht (2%). Er trotzt wie Faust allen Naturmächten, nur vor einer Stimme erzittert ihm, wie Faust vor Maria, das Herz, Wenn die Geliebte spräche : Ich liebe dich nicht mehr! (Vs 194.) 388 - SOPHIEGEDICHTE. 2. REIHE. Am 21. Oktober schreibt er Emilien, seine Abreise nach Stuttgart hänge von einer Entscheidung ab, der er täglich entgegensehe (179). Vielleicht ist es die, ob das erwartete « holde Liebeszeichen » (!) ihm zu teil werde oder nicht. Seitenstücke in Prosa zu dem Gedichte weist der spätere Brief- wechsel wieder genug auf. So schreibt Niembsch im Februar 1837 Sophie : « Das Ungewisse, Zitternde meines Glückes haben mir deine letzten Zeilen wieder recht vors Auge gebracht. Ich konnte den ganzen Abend nichts denken als dich und die schreckende Möglichkeit, deinen Umgang zu verlieren. Die vielen Menschen kamen mir vor, als wären sie zusammen- gekommen, um mir recht schmerzlich zu zeigen, wie mir die ganze Welt so gar nichts wäre, müsste ich von dir scheiden... Die ganze Welt wird mir zu deinem Rahmen, und würde mir dein Anblick entrissen, so wäre mir der Rahmen leer und nichts » (284) ; am 28. Januar 1838 : « Wie wird doch all mein Trotz und Stolz so gar zu nichte, wenn die Furcht in mir erwacht, dass du mich weniger liebest. Dein Herz ist das Beste, was ich habe, und solche Gedanken lehren mich zittern » (437) ; am 5. März 1838 : « Mein ganzes Wesen befestigt sich in dir. Darum lief es mir heute abend so kalt über den Rücken bei deinem drohenden Lächeln. Aus diesem Besitze hinausge- schlagen zu werden, wäre die Vollendung eines ewigen Kum- mers für mich » (442). Die drei Gedichte finden sich in Sophies Nachlass in Rein- schrift auf halbem Briefbogen mit Goldschnitt, ein äusseres Zeichen der Überreichung. Das « heisse » Weinen der Hand- schrift von Einsamkeit (Vs 14) wird in der endgültigen Fassung zu einem « heimlichen », das « wilde » Umarmen der Hand- schrift von Wunsch (Vs 28) zu einem « festen ». So milderte Lenau später den unmittelbaren Gefühlsausdruck. Dieenge Verwandtschaft des zweiten Gedichtes Wunsch (a1) (4) Faust, \s 1919. 2. REIHE. 389 SOPHIEGEDICHTE. (Fort möcht ich reisen) mit dem ersten, die neue Verwendung des Seemotivs, die es inhaltlich in die Umgebung der Seelieder und des Faust bringt, namentlich des im Oktober gedichteten Auftritts Die Reise, legen die Vermutung einer zusammentref- fenden oder mindestens nicht weit getrennten Entstehungszeit nahe. Dies zweite Wunschgedicht ist nur eine Umschreibung des ersten. Dort ist es der Urwald, in dem der Dichter allein mit der Geliebten hausen, hier das Meer, auf dem er allein mit ihr fahren möchte. Der beiderseitige Bezug auf die Amerikareise sowie auf die amerikanischen Gedichte und auf den Faust stellt einen Zusammenhang zwischen den beiden Liebesklängen her. Eine Rückerinnerung an das Gedicht ist die Stelle im Briefe an Sophie vom 5. März 1838 : « Wäre ich mit dir allein auf einer öden Insel, ich würde mit dem gleichen Eifer arbeiten wie jetzt, du würdest mich ja hören. Du könntest mir alles ersetzen » (442). Wieder wird hier, diesmal in freiem Klopstockischem Silben- mass, der Gegensatz zwischen dem sturmgepeitschten und dem ruhigen Meere ausgemalt, wie noch kurz vorher in der Faust- szene Die Reise. Das Gedicht ahmte M. Hartmann nach : Wie gerne mit dir auf einsamem Kahne Fortzög ich hinaus — wie gerne, wie gerne! — Allein auf leuchtendem Ozeane, Geleitet nur von dem Liebessterne ! (Intermezzo XVII, Schlussstrophe.) Werke I, 210.) Dasselbe Motiv verwendet er im Gedichte /m Kahn (ll, 468), auch den Gedanken von Lenaus erstem Wunschgedicht in An L*** (1, 341). . Zum ersten und letzten Male bringt Lenau hier das Motiv der mittelalterlichen merkaere an, der « Dränger, Lauscher, der kalten Störer » oder der « Späher », wie es in der Handschrift heisst. Wie oft beklagt sich der Dichter später über die « Störungen » seiner Liebe. So im Januar 1837 : « Wüssten die Menschen, wie glücklich wir sind in unsrer Liebe, so hätten 390 SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE. sie nicht den Mut, uns zu stören » (275); Ende April 1837 : « Der gestrige Abend war vielleicht der letzte schöne für die lange, lange Zeit von Störungen unserer nächsten Zukunft » (291); am 12. Jüni 1837 mit Bezug auf Max Löwenthal : « Man spielt ein gefährliches Spiel, wenn man es wagt, ein Verhältnis, das man bisher geduldet und gewissermassen selbst veranlasst hat, zu stören, zu hemmen » (300). Auch andere Störer als der Gatte werden öfters erwähnt, so in Briefen vom 10. und 11. Juni 1837, am 12. Mai 1841, und Lenau freut sich, dass Sophies Liebe « aus allen Störungen ungeschwächt und sieghaft herausge- kommen » (144). Die drei Gedichte werden gnädig angenommen, das erste « holde Liebeszeichen » erteilt. Seelenverwandtschaft hat dabei eine grössere Rolle gespielt als die Sophie so oft zur Last gelegte Gefallsucht und Eitelkeit, wenn auch Lenau sie selbst dieser verzeihlichen, weiblichen Untugenden, die sie in min- derem Masse als jedes Durchschnittsweib besass, anklagt. Manche Parallelstelle zu Lenaus Jugendbriefen könnte aus den ihrigen und ihrem Mädchentagebuche hervorgeholt werden. Mit dem jungen Lenau gemeinsam hat sie den Hang zum Grübeln und zur Schwärmerei, das altkluge und wandelbare Wesen, Anwandlungen stoischen Stolzes, und insbesondere die Neigung zur Melancholie. Wie Lenau beklagt sie ihre trüben Erfahrun- gen, ihre vergifteten Tage, ihre zerütteten Sinne, ihr zerrissenes und umnachtetes Innere (') und hat mitunter ganz verzweifelte Stunden, in denen eine mächtige Todessehnsucht sie ergreift (?). (4) Lenau und Löwenthal, S. xLVvT. (2) « Ich bin 45 Jahre alt », schreibt sie, « ich habe gute, edle Eltern, liebe Geschwister, einen teuren Freund, ieh lebe ein höchst angenehmes Leben, meine Zeit ist geteilt zwischen Arbeit und Ruhen, zwischen Wirtschaft und Kunst; Gott gab mir einen Geist, fähig zu denken, ein Herz, das Schöne und Gute zu lieben, ‚ieh geniesse den reinen, herrlichen Anblick der Natur ungetrübt, ich atme die erquickende Landluft, ich wohne mit einer Schwester, die mein zweites besseres Selbst ist, in der niedlichsten Zelle des Weltalls, ich habe keine grosse Sünde auf meinem Gewissen, und doch bin ich oft sehr unglücklich. Woher das kommt, er SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE. 391 Auch sie hat eine unglückliche Jugendliebe dahin gebracht. Kaum neunzehnjährig reichte sie nach längerem Zaudern und ohne besondere Zuneigung einem ihr von den Eltern als gute Partie eindringlich empfohlenen jungen Manne die Hand. Eine äusserlich glückliche Ehe, der bereits, ehe sie Lenau kennen lernte, zwei Kinder entsprossen, gab keine innere Befriedigung. Ein Satz aus einem ihrer Mädchenbriefe, « Aussen bin ich hell und heiter und innen voll Nacht » (*), passt auch auf ihren Seelenzustand zur Zeit der Bekanntschaft mit Lenau. Betäubung sucht sie in dem Streben nach sieghafter Geltung in den Gesellschaften, und ein hoher Triumpf muss es ihr gewesen sein, als der gefeierte, von ihr besonders hochgeschätzte Dichter ihr in berauschenden, leidenschaftlichen Versen seine Huldigung darbrachte und seine Liebe gestand. Wir bedürfen nieht der wiehtigen Zeugnisse hervorragender Zeitgenossen, wie Martensen (?) und Grün (°), um von ihrer ungewöhnlichen Begabung, ihrer Verstandesschärfe, ihrem hoch entwickelten Sinn für Natur, Poesie und Kunst überzeugt zu werden. Diese Eigenschaften leuchten klar genug schon allein aus ihrem Mädehentagebuche hervor, das überdies ein seltenes schriftstellerisches Talent verrät. In ihren Zügen wird nicht ein jeder sein Ideal weiblicher Sehönheit verwirklicht finden, weiss ich nieht; ieh könnte stundenlang vor mich hinstarren, unempfindlich für alles, was um mich vorgeht, und weinen. Dann sehne ich mich ins Grab, denke mir den Schlummer in kühler Erde so wonnig, dass ieh gleich hinabsteigen und allen Farbenelanz und alle Herrlichkeit der Erde für das finstre Kämmerchen geben möchte. » Lenau und Löwenthal, S. xXXVlls (1) Ebd. S. xuvı. — Innere « Leere und Unbehagen », wie bei Lenau, atmen ihre Lesefrüchte (4833/1837), drei Heftehen, in denen sie sich mit Vorliebe pessi- mistische Sätze, namentlich über die Ehe, von Karoline von Woltmann und F. Jacobi abschreibt. (@) « Der klarste Verstand und ein tiefes Gefühl für walıre Poesie leuchteten aus ihrer Unterhaltung hervor ». MARTENSEN, Aus meinem Leben. Deutsch von A. Michel- sen. Heidelberg, 1883, I, 234. (%) Grün ($. 79) bezeichnet sie als eine « anmulige, durch Bildung und Kunst- sinn, diehterische Anlage und überaus klaren Verstand ausgezeichnete Frau ». 392 SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE. ein sehr einnehmendes, anmutiges Äussere, das besonders durch die Schönheit der Augen bestrickte, gab jedoch ihrem Wesen etwas süss Verwirrendes, Blendendes. Lenaus Antwort auf Sophies Liebeszeichen ist das Gedicht Heimatklang (510). Dies kann man allerdings nur aus dem Zusatz zweier Schlussverse erkennen, die Sophie in ihrem Exemplar verzeichnet : Mir hat dies Lied ins tiefste Herz gesungen Dein Wort der Liebe, himmlische Sophie. Dies Wort der Liebe hat bewirkt, dass die « wunderbare Heimatmelodie » (Vs 14), die jeder Seele, Als sie vom Paradiese ward gezwungen, Zum Lebewohl süss schmerzlich nachgeklungen, dem Dichter einmal « klar und voll geklungen » (Vs 13) ist. Bald wäre ihm in den « Schütterungen » (Vs 7) des Lebens der letzte Hauch dieser Melodie entflohen, nun kann er es wieder wagen, zu jenen Sphären zu streben, woher die holde Nachricht tönt. Sophies Geständnis der Gegenliebe bewirkt nicht, dass Das Blut in seinen Adern stürmisch wallt, Und seine ganze Flammenseele zückt Auf ihre schöne, reizende Gestalt, (Faust, Vs 154 ff.) sondern dass aus dem holden Liebeszeichen ein « ewig, grünes Eiland » aufersteht, dass die Hölle rückwärts weichen muss, dass ihn ein Gefühl aus seiner « Unschuld längst verlornen Tagen » fasst, dass ihm ein « wunderbares Hoffnungslicht » strahlt ('). « Die süsse Heimat seiner Seele » nennt Lenau Sophie in einem. Briefe vom 11. Juni 1837 (299). Mehr wollte sie ihm nicht sein, mehr verlangte er nicht von ihr. (1) Faust, Vs 1830, 1903, 1990 f. SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE. 393 Vorzüglich erläutert Fr. Dingelstedt das Gedicht, indem er ausführt, wie kein deutscher Dichter den Ton einer innerlich wunden, ihres Zieles bei sich selbst kaum klaren Sehnsucht besser getroffen habe als Lenau. « Es ist, wie er selbst in einem seiner besten Lieder gesagt, als ob seine Seele nach jenem Tone suchte, der bei ihrer Trennung von der allgemeinen Weltseele als Stimme der ewigen Heimat ihr‘ nachklang. » Jedes Lied Lenaus, meint Dingelstedt, sei ein Versuch, eine Frage, ein Ausruf voll Wehmut und Verzweiflung, dass diese Einheit sich immer noch nicht habe erfüllen wollen. Lenaus Leid sei ein angestammtes, seine Wunde eine natürliche, erbliche, dies alles ganz im Gegensatz zu Heine (t). Lenaus Heimatklang, wovon des Morgenlandes süsse Poesie ein Nachhall (Vs 9 f.), ist Schuberts Klage, « die uns noch aus den alten Mysterien herauftönt » (2). Die älteste Geschichte, meint der Naturphilosoph, sagt uns nur dunkle Worte von dem ursprünglichen Verhältnis des Menschen zur Natur. « In den Mysterien und der heiligen Weihe jener Völker, welche dem Urvolk der Welt noch am nächsten verwandt gewesen, vernimmt die Seele einige halbverständliche Töne, welche tief aus der Natur unseres Wesens gekommen, dieses tief erschüttern, und wir fühlen bald von den Klagetönen des ersten Menschen- geschlechts und der Natur unser Herz zerschnitten, bald den Geist von einer hohen Naturandacht bewegt, und von dein Wehen einer ewigen Begeisterung durehdrungen. Aus dem Tempel der Isis, von den redenden Säulen der Thot, in den Gesängen der egyptischen Priester werden wir jenen dunklen Laut vernehmen » (°). Gleich in der ersten Zeit ihres Bundes war, so schreibt (1) Fr. DinGELSTEDT, Die Poesie in Österreich. Aus dem Frankfurter Telegraf 1837 (3. Quartal, Nr 46-48, 4. (Quartal, Nr 22, 23, 25, 26) neu herausgegeben von K. GLossy im Grullparzer-Jahrbuch IX, 301. (2) Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, A818, S. 74. () Ebd., 1808, S. 5 1. 394 SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE. später Lenau selbst an Sophie, der Gedanke, ihn zu heilen von seinen « trostlos nächtlichen Grübeleien », der herrschende in ihrer Seele (25). Nieht nur fast alle Frauen, die der Dichter kennen lernte, auch Freunde haben bis an sein Lebensende den gleichen vergeblichen Versuch gemacht. Immer rührte diese Absicht Lenau tief, und wer sich in sein Herz schleichen wollte, brauchte nur davon zu reden. Kurz nach dem verhängnisvollsten Tage seines Lebens, dem 8. November 1834, riefen dringende Verlagsgeschäfte Lenau nach Stuttgart. Er hatte Eile, den Faust, den er am 19. Oktober bei Löwenthals, in einem Kreise von Dichtern, unter denen Grillparzer sich befand, vorgelesen, unter die Presse zu bringen. Der Druck wurde um ein Jahr verschoben, weil die Versendung vor der Ostermesse nicht möglich war. So ent- schloss Lenau sich zu einer weiteren Arbeit an der Dichtung, ‘die ihn während seines Stuttgarter Aufenthaltes stark in Anspruch nahm. Bis zum 8. Dezember hatte er bereits an vierhundert Verse gemacht (182). Es waren die Szenen Der Mor- gengang, Der Jugendfreund und wahrscheinlich Der See. Der Morgengang ist ein Nachklang des Ausfluges nach Steiermark. Mit dem « Flammenwunsch im Herzen », Der Sehöpfung ihr Geheimnis abzufodern, (Vs 16) irrt Faust im Gebirge umher, vergeblich Pflanzen, Steine, Insekten um dies Geheimnis befragend. Der Glockenklang aus dem Tale mahnt ihn nur daran, dass Des Glaubens letzter Faden reisst. (Vs 39.) Hoch erhaben steht der Gesang über einer blossen Nachahmung SOPHIEGEDICHTE. — 2. REIHE. 395 der Alpenjägerszene im Manfred, ‚als welche er durchgängig nach Reynauds (!) Vorgang bezeichnet wird. Wie Sophie will der Jugendfreund Isenburg Faust von seinem « finsteren Wesen » heilen : Wie sehn ich mich, o dass er käme! Dass ich ihn schliess in meine Arme, Und ihn entreisse seinem Harme, Ihr werdet sehn, mir wird’s gelingen, Die Freude wieder in sein Herz zu bringen. (Vs 607-614.) Wirklich kehrte zu dieser Zeit die Freude wieder in des Dichters Herz ein und mit ihr die starke Schaffenslust. « Man wundert sich hier », schreibt er am 29. November Max Löwenthal, « über mein aufgeheitertes Wesen und, wie man sagt, gutes Aussehen. Das erstere, und darum vielleicht mittelbar auch das letztere dank ich euch, ihr lieben Freunde! Ihr habt mir wie einem eingeschlagenen Bilde, das lange an einer melancholischen verlassnen Klosterwand gehangen, einen frischen heitern Firnis gegeben, so, dass jetzt wieder alte Farben an mir hervortreten, die ich längst für immer erloschen wähnte » (181). Musst wieder dich erheben, tröstet Isenburg, Und freuen dich am schönen Leben. OÖ Freund, du kennst die Liebe nicht, Sie soll dir bringen Trost und Licht. (1) Reynaup, S. 186. Es stimmt schon gar nicht, wie Reynaud behauptet, dass Manfred wie Faust den Bergesgipfel besteigt, um das Geheimnis der Schöpfung zu ergründen. Manfred sucht nur Ruhe vor seinen Gewissensbissen, und weil die Natur ihm diese nicht gewährt, so fleht er um den Tod. Er will in den Abgrund hineinspringen, während Faust unfreiwillig stürzt. Das Motiv des Gemsenjägers brauchte Lenau, der eben von der Gemsenjagd kam, sich wirklich nicht bei Byron zu holen. 396 SOPHIEGEDICHTE. 2. REIHE. Ist an der Welt dein Herz erkrankt, Und wenn dein guter Glaube wankt, Blick einem Weibe, (das dich liebt, Ins Auge, und dein Gram zerstiebt, Die Welt wird sich dir freundlich zeigen, Es werden all die Stimmen schweigen, Die dich zum Abgrund lockend riefen, Du blickst in heitre Gottestiefen. (Vs 654-667.) Deutlicher noch spiegeln die Verse : das kurz zurückliegende Liebesgeständnis ab. Erst dieses setzte den Dichter in den Stand, eine seit langem klaffende Lücke in Du hast das Leben mir gerettet, Ich rette dir den Lebensfrieden, So ist dein Glück und meins entschieden, Wir sind auf ewig festverkettet. Wie freundlich mir die Zukunft glänzet ! (Vs 716-720) seinem Faust auszufüllen. In einem späteren Gedichte an Sophie, Heloise, erscheint Sophie als klagende Nonne, und so mag auch der Gedanke, Faust als Verführer eines durch ein Weibes einzuführen (Der See), vielleicht nicht ohne Zusam- menhang mit dem Liebeserlebnis sein. Der Gesang Der See hebt an mit einem der schönsten Seegedichte Lenaus : An Klostermauern, alten, einsam düstern, Ist weit ein stiller See hinausgegossen ; Am Saume Bins und Weide heimlich ffüstern, Und sanftgewiegte Wasserblumen sprossen. Hell scheint der Mond, es spielen, leisen Bebens, Die Strahlen lieblich auf dem tiefen See, Wie über den Geheimnissen des Lebens, Und seiner Tiefe ungeahntem Weh, Die Kinderseelen lieblich zitternd spielen, Die rein und klar vom Himmel niederfielen. (Vs 1681-1690.) selübde gebundenen SOPHIEGEDICHTE. 2. REIHE, 397 Im Briefe vom 8. Dezember an Schurz, vor dem er auch sein Herzensgeheimnis verwahrte, schiebt Lenau seine gute Stim- mung, seinen « trefllichen Appetit » und die Schaffensfreude auf die Reise von Wien nach Stuttgart, die ihn sehr erfrischt und gestärkt habe (182), « Flink » ging ihm allerdings, wie er Schurz schreibt, « die Arbeit von der Hand », denn im Dezem- ber vollendete er noch den ersten Teil, Mischka an der Theiss, der ungarischen Romanze Mischka. Man merkt den Versen an, dass sie in leichter, froher, ja übermütiger Arbeitslust geschrie- ben. Sie bilden eine der verhältnismässig seltenen ganz’ gegenständlichen Dichtungen : Lenaus. In seinem Glücke geht die Erinnerung zurück auf die glücklichste Zeit seiner Jugend, auf die herrliche Gegend von Tokay mit ihren poetischen Fischern, Husaren und Zigeunern, die so urgewaltig die Geige streichen. In noch packenderer Weise, als er hier die Wirkung des Zigeunerspiels schildert, hatte er ein Jahr vorher im unvergleichlichen Mephistowalzer des Faust (Vs 826-875) die unwiderstehliche Macht der Musik in kongenialer Dichtung ausgemalt. Nicolaus Niembsch Hungarus konnte Lenau wirklich nach diesem so echt ungarischem Gedichte den übermütigsten Brief unterzeichnen, den er je geschrieben, den vom 24. Dezem- ber an Kerner (184). XXXIV Gelegenheitsdichtung des Jahres 1835. Januar-August. Unberufen. — Mein Türkenkopf. — An Luise. — An die medisierenden Damen. — Schlaflose Nacht. — An die Biologen. — Der Jäger. Bereits am 8. Dezember 1834 hatte Lenau seinem Schwager baldige Rückkehr nach Wien verheissen, am 20. Dezember wollte er abreisen. Die Verhandlungen bezüglich eines neuen literarischen Unternehmens, das seines Frühlingsalmanaches, veranlassten ihn zum Bleiben. Seine Absicht, am 2. Januar abzureisen, ward vereitelt durch sein altes Übel des Seiten- stechens, das ihn sehr heftig in der Neujahrsnacht befiel, die Abreise Ende Januar durch den eben begonnenen Druck des Frühlingsalmanaches, dessen Korrektur er. selbst besorgen wollte, weil die Manuskripte zum Teil undeutlich geschrieben. Vorbei war es wieder mit der guten Laune und der Schaffens- freude. Er sitzt, wie er am 13. Februar Sophie schreibt, fast den ganzen Tag allein auf seinem Zimmer, liest, redigiert, korrigiert, raucht, ärgert sich und dichtet gar nichts. Die paar Faust- szenen (!) und die ungarische Romanze sind sein « Umund- auf ». Seit sechs Wochen hat er keine Zeile gedichtet. Jeder Schriftleiter eines literarischen Blattes müsste eine Frau haben wie sie, schmeichelt er. « Das wäre aber nicht genug, er müsste (!) Wohl Der Teufel und Die Warnung, die noch im Frülingsalmanach 1835 erschienen. GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1835. 399 zugleich unter dem Pantoffel stehn oder vielmehr liegen » (189). Dieser Wunsch ward ihm erfüllt. Die Herrschaft über ihn tritt Sophie schon gleich in den ersten Briefen, die sie ihm schreibt, an, erlaubt sich kleine Unfreundlichkeiten und spitze Worte, hat für seine ästhetischen Betrachtungen über ihre Blumen- malerei nur Spott (195). Dass trotzdem der Funke auch bei ihr gezündet, zeigt ihre schon jetzt hervorbrechende Eifersucht auf die Gräfin Marie. Offenbar pass! es ihr nicht, dass Lenau so lange in Stuttgart bleibt. Sie bestimmt ihren Gatten, den Dichter zum Einwohnen in ihrer Familie einzuladen, was er vorläufig ablehnt, indem er sich auf seine Unerträglichkeit und seine Furcht, zur Last zu fallen, beruft (196). Ihn hält es jetzt nicht länger und, ohne die Korrektur des Frühlingsalmanaches beendet zu haben, eilt er am 20. März nach Wien. Auf der Heimreise war er in seinem Gemüte « recht ruhig, heiter und voll gesegneter Gedanken ». Auch ein paar Entwürfe zu Iyrischen Gedichten gingen ihm auf (201). Manchen Wahn vernichtete die Tatsache, dass er beim ersten Wiedersehen Sophie guter Hoffnung traf. Er fühlt ein dringendes Bedürfnis, allein zu sein; es ekelt ihn vor aller Gesellschaft. Er will sich in die Einsamkeit zurückziehen, damit diese sichte und ordne, was die Gesellschaft an allerlei Material in seinem Innern aufge- häuft, damit Zusammenhang und Überblick in sein Leben komme. Wiederum, wie in der traurigen Heidelberger Zeit, sucht er geistigen Frieden und Trost im Umgange mit einem ruhigen, klaren Geiste, nämlich Herbart. Mit dem Dichten ist es nichts; er hofft, dass es auf dem Lande wieder gehen werde (202). Um diese Zeit las Lenau in den Blättern für Literatur, Kunst und Kritik (1835, Ni 7) einen Aufsatz Kritik und Kritiker von Bauernfeld, den er in die Verse Unberufen (506) umsetzte. « Wie oft », schreibt Bauernfeld, « muss der Tadler irgendeiner Sache hören : “ Mach es besser, wenn du kannst ! ’ Ein andermal heisst es : ‘ Dem Manne traut! Der versteht die Sache, er ist vom Fach '. — So sprechen die Leute, wenn es sich darum handelt, 400 GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1855. einen Stiefel oder einen Rock zu machen. Sie meinen der Schuster und der Schneider verstünden das am besten. Aber wie man ein Gedicht machen soll, das glaubt ein jeder zu verstehen. Da ist jeder Tadel erlaubt, erwünscht, willkommen. Die Maler und Musiker haben es besser. An die Werke dieser Künstler wagt sich der Unverstand nicht so leicht, weil ihre Beurteilung gewisse Kenntnisse der Technik voraussetzt, deren Mangel sich nicht wohl verbergen lässt. Aber die Poesie ist leider keine Kunst, wie Malerei und Musik. Der Dichter gibt seine Gedanken und Gefühle in Worten. Aber die ganze Welt denkt, fühlt, spricht und schreibt. Darum glaubt auch jeder einzelne den Dichter übersehen und beurteilen zu können » (!). — Über « kritischen Unverstand und gemeine Gehässigkeitsklatscherei » der kritischen Journale sowie über die « Publizität », welche « als Viehmagd die Himmelsfrüchte der Poesie in den Sautrog der Rezensenten » schüttet, beklagt sich Lenau in Briefen an Max und Sophie Löwenthal aus dem Februar (189, 190). Die stolze Überhebung : Dieser Pöbel fasst es nie, Dass er über Poesie, Als die höchste Kunst von allen, Hat kein Urteil hinzulallen, (Vs 17-20) erscheint in einem späteren Ausspruche Lenaus vom 13. Okto- ber 1844 zu dem bekannten Irrtume zugespitzt, dass nur der Dichter über Dichtkunst urteilen könne. « Nur der Dichter, behauptete er, könne den Dichter in seinen Werken ganz geniessen, erfassen », berichtet Emma Niendorf (S. 222). Schlagend erwiderte sie : Lenau verstehe doch Beethoven so gut wie einer, ohne Tonsetzer zu sein, was der Dichter zuge- () Siehe auch Bauernfelds gesammelte Aufsätze in Auswahl hrsg. von STEFAN Hock in Schriften des Literarischen Vereins in Wien, Bd IV (1905), S. 182 £. GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1855. 401 stand. Man begreift leicht, weshalb Lenau die stolzen Verse, die eine so tiefe Verachtung des Publikums bezeugen, nicht drucken liess. Sie erschienen erst im Nachlass. Am 2. Mai sendet er G. Schwab, dem er sich während seines Stuttgarter Aufenthaltes wieder genähert hatte, in einem Zuge die für den Deutschen Musenalmanach 1836 bestimmten Ge- dichte, nämlich : Mischka, Die Sennin, Einsamkeit (Wild ver- wachsne...), Wunsch (Urwald...), Meine Furcht, Heimatklang, Zeiger und Mein Türkenkopf. « Hier übersende ich Dir meinen Beitrag für den Musenalmanach mit einem schönen Gruss an Chamisso und der Bitte, diese Gedichte alle, und in der Ord- nung, wie ich sie gelegt, aufzunehmen » (206). Die äussere Veranlassung zum Gedichte Mein Türken- Kopf {s27) war eine Meldung Emiliens, dass sie ihrem Freunde Tabak angeschafft habe. Er antwortet darauf am 27. April 1835: « Ihre freundliche Sorgfalt in betreff des Knasters hat mich gerührt. Es ist schön von Ihnen und höchst weise, dass Sie mich mit Tabak bekränzen. Ein solcher narkotischer Kranz, in wel- chem süsse Kräfte des Vergessens schlummern, passt für meine Stirne trefllich. Dieser Rauch ist Nebel, der vom Lethe kommt, darum schlürf ich ihn so gerne ein. Bewahren Sie mir nur den köstlichen Kranz Varinasknaster. Zu Herbst will ich mir ihn schmecken lassen » (204). Seinem Rauchfreunde dem Geheimen Rat A. von Hartmann sandte er das Gedicht in einem Briefe vom 18. Juni mit den Begleitworten : « Zu diesem Briefe habe ich mir meine Pfeife mit Knaster gestopft. Von den zwei Pfunden, die ich in Stuttgart kaufte und an der Grenze mit 9 fl. C. M. vermautete, ist noch ein kleines, heiliges Restchen da, und ich rauche es jetzt in Ihrer Gesellschaft. Die liebe Emilie hat auch Knaster für mich angeschafft und mich mit dieser Nachricht zu folgendem Gedichte begeistert, das ich Ihnen schicke und erst bei Ihrem Nachmittagspfeifchen zu lesen bitte » (211). Das Gedicht ist geschrieben zwischen dem 27. April und dem 2. Mai, an dem Lenau es der poetischen Sendung an Schwab beilegte. Folglich irren sich sowohl Schurz (l, 304) 26 ’ 402 GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1855. der es in den Hütteldorfer Aufenthalt versetzt, wie Sophie, die in ihrem Exemplar das Datum : Johannisgasse 1830, beifügt. Vielfach wird von Lenau selbst und von seinen Bekannten seine Vorliebe für das Rauchen bestätigt. Die Pfeife nannte er die Schwester der Muse und gestand, er vermöchte keine Zeile zu schreiben ohne die Pfeife im Mund; nur beim Rauchen kämen ihm die Gedanken ('):: Und wenn dein blauer Wolkenzug Die Stirne mir umsponnen, Umkreist mich gern der rasche Flug Von dichterischen Wonnen. (Vs 47-20.) Die Briefe sind voll des Lobes über das köstliche Kraut (2). Zahlreich sind auch die Zeugnisse der Zeitgenossen (*). Das Gedicht gab Anlass zu einem witzigen Epigramm, Des Dichters Vorliebe, von Grillparzer (*), zu einer Satire von Saphir (°) und zu einer ironischen Erläuterung von A. Stein (?). Sobald das hässliche Aprilwetter sich zum klaren Frühling durchgeschlagen, zog Lenau sich am 9. Mai aufs Land zurück und wohnte bis Ende Juni in Hütteldorf bei Wien. In den ersten Tagen des Landaufenthaltes schrieb er die herrliche poetische Grabrede An Luise (515), auf den am 8. Mai erfolgten Tod von Luise Sommaruga, der Tochter des Justiz- rates Freiherrn von Sommaruga, die ihn so oft durch ihr Spiel Beethovens entzückt hatte. Er schreibt Emilien : « Auch eine andere Freundin, Luise Sommaruga, ein 21 jähriges Mädchen, (4) E. NIENDORF, S. 104. (2, Nr 135, 147, 189, 211, 606, ‚697. (5) BAUERNFELD, Werke IV, 103; MARTENSEN, Aus meinem Leben, I, 241; Mayen, 8.173; FranKt, S. 6. (#) GRILLPARZER, Werke II, 150. (#) Der Humorist, 1842, Nr 219. ı®) A. Stein, Gedichte. Wien, 1843, S. 185. GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1835. 403 ist gestorben. Ich habe einige elegische Verse an sie gedich- tet » (220). Das Gedicht ist ein Vorklang zu der poetischen Verherrlichung Beethovens in Beethovens Büste. Das Löwen- thalsche Haus war Lenau besonders lieb, weil er dort so oft den seiner Dichtung verwandten Tönen lauschen konnte, den Tönen des Geistes : dem seliges Verderben Das Erdenleben sich entlauscht, In dessen Lied viel süsses Sterben Und Harmonie des Todes rauscht. (Vs 29-32.) Hörte er diese Töne, schreibt er am 27. April Emilien, so schaffte er sich im Tumulte einer zahlreichen Gesellschaft eine Einsamkeit, war gesellschaftlich emanzipiert und mit dem grossen Geist allein (204) : Sein Herz, von Sehnsuchtsqual zerklüftet, Zieht dich hinab in seinen Brand, Und deine trunkne Seele lüftet Der Erdenhülle leichtes Band. (Vs 33-36.) Das Bild der Beethovenspielerin ist auch das des andäch- tigen, berauschten Zuhörers Lenau : Ich schau dein Angesicht, dein bleiches, Das tiefe Schwermut überzieht, Ich schau dein Aug, dein dunkles, weiches, Wie es in andre Welten sieht. (Vs 17-20.) Zu den Versen : Doch denk ich hier im Waldesdämmern (Vs 3), Du bist mir nah im Waldesgrunde (1) (Vs 43), () Erstdruck : « Ich seh dich hier im Waldesgrunde ». 40% GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1855. ist die Mitteilung an Georg Reinbeck heranzuziehen, das Zimmer in Hütteldorf habe Aussicht auf einen schönen Park, der sich unmittelbar in die herrlichsten Wälder verliere (207). Von Castelli um einen. Beitrag angegangen für den 14. Jahr- gang (1836) seines Almanachs Huldigung der Frauen, sandte Lenau ihm um diese Zeit das satirische Gedicht An die medisierenden Damen (48). Diesbezüglich schreibt er später Sophie : « Bei meiner nächsten Zusammenkunft mit Ihrer Erlaucht (!) will ich mir die Freiheit nehmen, derselben mein Gedicht vorzulesen, das in Castellis Almanach steht » (224). Die Vorlesung begründet er dadurch, dass diese Dame, über die manche ungünstige Zeugnisse in Lenaus Briefen und Gesprächen mit Max Löwenthal fallen, « wieder ein gutes Stück Arbeit gesponnen, gestrickt, genestelt und geknüpft. Ich habe viel zu hören bekommen ». Lenau nahm das Gedicht nicht auf, es erschien auch nieht im Nachlass. Frankl druckte es wieder ab in der ersten Auflage seines Werkes Zur Biographie N. Lenaus (S. 91 ff.) mit der Einleitung : « Das folgende Gedicht ist vom Dichter selbst in die Sammlung seiner Gedichte nicht aufge- nommen worden, und dem Herausgeber des Nachlasses wahr- scheinlich unbekannt geblieben, verdient aber wegen seiner der. Richtung des Dichters sonst fremden Weise, die ihn doch wieder in seinen Eigentümlichkeiten erkennen lässt, aufbe- wahrt zu werden ». In einem Briefe an Emilie Reinbeck aus Hütteldorf betont Lenau seine Naturveranlagung zur Schweig- samkeit gegenüber der in Gesellschaften üblichen Redselig- keit (212). Für den Faust war der Hütteldorfer Aufenthalt im Früh- ling 4835 nicht minder einträglich als der Lenz des vorigen Jahres in Neustädtle. Laut des Briefes vom 18. Juni an G. A. von Hartmann entstanden in Hütteldorf die Seeszenen Der Traum und Der Sturm. Den äusseren Rahmen bilden wieder (1) Gräfin Helene Festetics, Gattin des Grafen Alexander von Württemberg. GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1855. 405 einerseits das stille, andrerseits das sturmbewegte Meer, wie zuletzt im Wunschgedichte (Fort möcht ich...) an Sophie. Zwei neue Schilderungen der Meeresstille bringt der Gesang Der Traum, die eine (Vs 2657-2666) geht fast ganz in Vergleichen auf, rein lyrisch ist die zweite : Das Meer ist still, nicht eine Welle ruft, Und lauschend stehn geblieben ist die Luft; So still die Nacht, man hört des Herzens Klopfen, Und schier den Tau vom Himmel niedertropfen, Und schier den Mondstrahl auf das Wasser fallen, Und schier das Trauerlied der Zeit verhallen. (Vs 2803-2808.) Nachdem Faust nun so weit gekommen, sich Gott gleich zu stellen und seine « Kreaturschaft » zu verfluchen, ist er, wie der Dichter selbst dem Geheimrat Hartmann schreibt, « nicht mehr zu retten aus den Klauen Mefistels. Er hat ihn schon » (211). In der Zeit, wo die Sehnsucht seines Herzens dem Dichter zum Kerne der Schöpfung wird (1), gewinnt das Motiv des Gedichtes Die Seejungfrauen in der Faustischen Sturmszene (Vs 2851-2860) den empfindungsvollsten Ausdruck. Der Zusammenhang der Faustischen Traumszene mit dem Gedichte Schlaflose Nacht (320) sowie der Erstdruck dieser Verse in Lenaus Frühlingsalmanach für 1836 weisen auf die Entstehung im Jahre 1835. Die Prosafassung hat Roustan entdeckt in einem Notizbuche Lenaus im Besitze der Familie Schurz in Wien, über welches er keine weiteren Angaben macht, und worin ich keine Einsicht erhalten konnte. So muss ich die französische Übertragung Roustans (S. 237) ins Deut- sche zurückübersetzen : « Wer weiss », soll Lenau schreiben, « wohin die Stürme der Einbildungskraft ihn (d. h. den Schlaf) drängen. Das Boot des Schlafes verlässt leichtbefrachtet das (1) Vgl. das Gedicht Heimatklang. 406 GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1855. Gestade des Lebens und führt uns vielleicht an verhasste Küsten, — das dem Schlaf vorangehende Gefühl gleicht dem Eindruck einer Abreise — der Traum nähert uns Feinden, an die wir nicht denken mögen, um den Stachel nicht tiefer ins Herz zu senken ». Roustan erwähnt das Gedicht im Zusammen- hange mit dem Fragment Traum und deutet (S. 236) an, dass es im Winter 1837-1838 entstanden, eine Meinung, die der Erstdruck widerlegt. Auch Sophie Löwenthal und Schurz irren sich in der Datierung, wenn sie in ihren Exemplaren die Verse mit der Anmerkung versehen : « In der Johannis- gasse 1838 ». Es liegt hier eine Verwechslung mit dem späteren Gedichte Traumgewalten vor. « Mit dem Dichten ging’s die letzte Zeit ziemlich », bekennt Lenau am 19. Juni Emilien (212). Sehr wahrscheinlich ist es, dass er bis zum 28. Juni, dem Tage, wo er einen Ausflug ins Hochschwabgebiet antrat, weiter am Faust arbeitete und etwa die auf die Seegesänge folgende Szene Görg in Angriff nahm. Vielleicht ist sie in diesen Tagen oder doch nach der Rückkehr von der Reise, Ende Juli oder Anfang August, vollendet, denn am 15. August war laut des Briefes von diesem Tage an Mayer Fausts Tod schon erfolgt (218). Auch meldet der Dichter am 40. Juli seinem Freunde Auersperg (A. Grün), dass er bereits einige Faustische Szenen weiter gemacht habe (215) ; einbegriffen sind hier die Auftritte aus dem Seeleben. Wohlgefallen findet Faust an dem « starken » Görg : Ein voller Mann! er steht so fest, Ob Gott ihn und Natur verlässt, (Vs 3933 £.) er erschlägt den « Jammerbalg Reue » (Vs 3231), er entsagt dem Glauben : Ein Herz hat Ruh, das nie geglaubt, (Vs 3148) GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1855. 407 und der Hoffnung : Der Seligste von allen ist, Wer schon als Kind die Augen schliesst, (Vs 3168 f.) der Teufel hat ihn schon. An Sophie dachte wohl der Dichter beim Wunsche des Matrosen Kurt, der Liebe Ewigkeit zu verleihen, mit seinen « schönen, süssen Kinde » : Zusammenzuschmelzen zu einem Sterne, Der freudestrahlend durch die Himmelsweiten Hinraste tanzend alle Ewigkeiten ! (Vs 3265-3267.) Seine « Wallfahrt » nach Obersteiermark galt der « Madonna Einsamkeit, dieser wahren Mutter Gottes im Menschen ». Ihm ist es auf der Reise « unaussprechlich wohl zu Mut ». Nichts kann ihm jedoch, selbst der Himmel nicht, Penzing ersetzen, Sophies Sommeraufenthalt (216). Trotz der gehobenen Stim- mung sieht es « mit dem Dichten übel aus ». Alle Geistestä- tigkeit auf dieser Reise, die am 28. Juni anhob und am 15. Juli endete, ist eine mehr empfangende als gestaltende (214). Eine Menge Entwürfe fahren ihm auf, doch kommt es zu keiner Ausführung, die Gedanken rollen ihm gleich wieder ab, wie das Steingerölle zu seinen Füssen (216). Kurz nach der Rückkehr von der Reise dichtete Lenau, vielleicht in Hütteldorf, wohin er wieder zurückgekehrt, Fausts Tod. « Der Schluss », schreibt er Emilien, « hat eine Wendung genommen, die Sie überraschen wird » (21). Die spirituali- stische Schlusswendung der pantheistisch-skeptischen Dichtung ist Vorbote eines Umschwunges, den nun auch Lenaus Lyrik nahm. Sie zeigt sich zunächst in dem Gedicht An die Biolo- gen (509), das am 17. Oktober 1835 in der Wiener Zeitschrift 408 GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1853, im Erstdruck erschien. Lenau spottet aller Wissenschaft, die sich anmasst, für sich allein das Rätsel des Daseins : die Kunde Vom tiefen Lebensgrunde, zu lösen. Der Einfluss Sophie Löwenthals auf diese Wen- dung war nur unmittelbar, mittelbar ermüdete. die viel gläubigere und frömmere Stuttgarter Freundin nie, in reli- giösem Sinne auf Lenau einzuwirken. Ihr schreibt er bereits am 27. April 1835 den bezeichnenden Satz : « Leben Sie wohl, Freundin meines Herzens, und wenn ihr schöner Glaube wahr ist, wie ich selbst glaube, Freundin meiner Ewigkeit » (204). Am 23. Mai beichtet er ihr von einer Gärungsperiode, die durchaus nicht allein eine poetische sei. « Das wogt und treibt und braust in meinem Innern durch- und übereinander, ich weiss nicht, was daraus wird » (209). Der entscheidende Einfluss ist dem Studium Herbarts zuzuschreiben, das Lenau im Sep- tember 183% begann (173), im Oktober fortsetzte (177), und zu welchem er im Frühjahr 1833 zurückkehrte (202). Ein Grundsatz der Herbartschen Lehre ist eben, dass das streng exakte Wissen, rein als solches, eine Weltanschauung nicht begründet. Das Gedicht An die Biologen bildet den Beitrag Lenaus zu Schillers Album, Eigentum des Denkmals Schillers in Stuttgart. Von Reinbeck zu diesem Beitrag aufgefordert, schrieb er am 11. März 1835 Schurz : « Das Album wird sehr langweilig, weil fast jeder Einsender glaubt, er müsse darin Schiller sein Kompliment machen. Ich weiss auch nicht, was ich sagen soll. Einen allgemeinen Satz oder dergleichen » (197). Am 19. Juni meldet er Reinbeck : « Für Schillers Album hab ich noch nichts; will aber meiner Muse schon das Kinn streicheln, dass sie was hergibt » (215). Am 15. Oktober hatte die Muse noch nichts hergegeben. « Wenn ich nur etwas für das Album hätte », erklärt er Reinbeck. « Wähle irgend etwas aus meinen Versen oder lass Emilie wählen. Neulich fand ich folgendes in einem GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1835. 409 uralten Stammbuch (!), wenn du willst, so nimm es, ein tiefer Sinn liegt darin verborgen : Wer stirbt, bevor er stirbt, Der stirbt nicht, wann er stirbt » (222). Noch im Juli des Jahres 1836 wusste er immer nichts und wollte lieber ganz wegbleiben, wenn er zum Eiweiss des Albums oder. « Albumens » nicht etwas Dotter liefern könne (583). Schliesslich gab Lenau für das Album nur das bereits gedruckte (?) An die Biologen. Ein Irrtum von Schurz (I, 315) ist, dass das Gedicht Gutenberg lenaus Beitrag zum Album sei. Die magere Abspeisung hat keinen Grund in einer Missachtung oder Abnei- gung gegen Schiller. Eifrig kümmerte sich Lenau in Wien um Sammlung von Beiträgen für das Album und von Geld für das Stuttgarter Schiller-Denkmal. — Bemerkenswert ist, dass das Gedicht sich auch in den von Kaltenbrunner im Jahre 1847 herausgegebenen Gedichten Schleifers (S. 405) findet, der wohl eine Abschrift davon genommen, die der Herausgeber als gei- stiges Eigentum Schleifers angesehen. Eine Antwort Schleifers auf die Verse veröffentlicht der neueste Herausgeber seiner Werke (?). Ganz kurz nach der Rückkehr von- Steiermark muss das Gedicht Der Jäger (325) entstanden sein. Deutlich offenbart es den Charakter der Gelegenheitsdichtung und schliesst sich eng zwei Stellen aus Lenaus Reisebriefen an. Am 10. Juli schreibt er Schurz : « Mein Feldmann (t) ist sehr brav. Beson- (4) J. W. ZincGREF, Der Teutschen Scharpfsinnige kluge Sprüch., A. Auflage, Strassburg, 1626. (2, Wiener Zeitschrift, 1835. Nr 125, 17. Oktober. (5) M. L. ScHLEIFERS sämtliche Werke hrsg. von Dr H. Badstüber. Wien, C. Kone- gen, 191, S. MT. (4) Lenaus Jagdhund. 410 GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1855. ders hat er sich auf der Schneealpe ausgezeichnet durch fleissiges Suchen » (214) : Der Hund will mir was liefern Noch heute vor’s Gewehr, Der kleine Todeskuppler Sucht überall umher. (Vs 5-9.) Am 41. Juli meldet er übereinstimmend Max Löwenthal « Auch mein Feldmann war, ohne seine Penzinger Fidel, fidel. Es ist eine wahre Lust zu sehen, wie der Kerl über alle Hecken und Zäune springt » (216). Über den Ankauf des « schönen Jagdhundes » sowie über seinen bevorstehenden Tod benach- richtigt er Emilie (202, 220). Das pessimistische Gedicht : Umsonst! ist nichts zu finden, Mein Waldmann, als Verdruss, (Vs 9£.) sticht scharf ab von den später gereiften, frommen, innigen, auf dieser Reise im Keime empfangenen Gedichten. Reynaud (!) sieht in dem Gedichte ein politisches Lied, besonders der Schlussstrophe halber : Und schiess ich morgen nimmer, Weil krank ich oder tot, So wird ein andrer schiessen, Dem’s Weidmannsheil sich bot. Eher neige ich zu einer rein literarischen Deutung. Am 15. August schreibt Lenau Emilien, er sei wirklich angewidert von dem literarischen Skandal in Deutschland (220), und am 15. Oktober an dieselbe : « Ich habe auch von dem Übermute (1) These auxiliaire, Nr 201. Er versetzt das Gedicht in das Jahr 1838. GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1835. 414 meiner Gegner Anlass und Stachel genommen, mich zu wappnen mit allem Rüstzeug der Theorie, und ich werde seiner Zeit mit diesen dünkeldummen oder geradezu schlechten Kerlen einen Kampf eröffnen auf Leben und Tod. — Mag auch das Talent dieser Menschen, mich zu insultieren, gross sein; mein Talent, sie zu verachten, ist auf alle Fälle grösser. Mithin können sie mich im Gange meiner Produktionen nicht stören, mithin wären sie es an sich auch gar nicht wert, dass man sich mit ihnen abgebe; aber das deutsche Volk ist es wert, dass man sein Scherflein beitrage um ihm die freie Aussicht in die Regionen der Kunst herzustellen » (221) : Will nicht die Flint ausschiessen Missmütig in die Luft, (Vs 13 £.) Auf Morgen will ich sparen Den-Sehuss.. 4.2.05 (Vs 47 £.) Ursache dieses Missmuts, dieser Kampfstimmung, die das Gedicht so deutlich atmet, war die schlechte Aufnahme des Lenauschen Frühlingsalmanaches durch die Kritik und insbe- sondere des darin enthaltenen Faustfragments. « Der Almanach freut mich nicht mehr », schreibt Lenau Mayer am 15. August, « man hat ihn und namentlich meinen Faust angespien. Das kann mich nicht beirren in meinem Streben als Dichter; aber es vergällt mir die Lust, den Leuten etwas vorzusetzen » (218). An demselben Tage erfährt der Geheimrat Hartmann : « Da bin ich z. B. in Steiermark, und es schreibt mir ein ebenso ungeschickter als bereitwilliger Freund einen Brief, worin ich die Menzelsche Rezension (!) zu lesen kriege. Man ist auch in (4) Literaturblatt des Morgenblattes 1835, 10. Juli, Nr 70. Hier wird das Faust- fragment als eine fast peinliche, sklavische Nachahmung des Goetheschen, als eine unfruchtbare Künstelei bezeichnet. An allen Szenen übt Menzel Kritik, nur die In der Schmiede lässt er gelten. Obschon er auch den Goetheschen Faust verurteilt, 442 GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1835. den Bergen nicht sicher vor feindlichen Anfällen » (219). Wenn Lenau nun auch hinzufügt : « aber man ist sicher vor jeder nachteiligen Wirkung derselben auf die Stimmung des Gemüts », so zeigt der ebenfalls am 15. August geschriebene Brief an Emilie, wie sehı « die Lieblosigkeit, mit der mein Almanach von den Rezensenten aufgenommen worden » ihn missstimmte und sogar auf den Gedanken brachte, sich « von der Sphäre der belletristischen Öffentlichkeit wegzubegeben und in jene der Wissenschaft (t) zurückzugehen ». Er hat überhaupt die Freude an der Bekanntmachung seiner Arbeiten ziemlich verloren, vollends den Redakteur eines Almanachs, einen literarischen Tafeldecker, abzugeben, ist ihm bei einem so unartigen Volk von Gästen nicht mehr angenehm (220). Besondere Umstände steigerten Lenaus Unmut : leidige Geldsorgen und die Befürchtung, dass Cotta, durch die bösen Rezensionen verstimmt, die Verlagsnahme des Faust ablehnen würde. Auch das Erscheinen eines zweiten Jahrganges des Frühlingsalmanachs war in Frage gestellt. Trotz seiner mate- riellen Not schrieb Lenau an den Verleger Brodhag, er wolle findet er jedoch alles bei Goethe besser. Entweder musste Lenau sich ganz an Goethe anschmiegen und das Gedicht als « Supplement » zum Goetheschen heraus- geben oder etwas ganz Neues geben. — Ein ganz anderes Urteil fällte derselbe Menzel über den fertigen Faust, als er sah, dass dieser eine der Goetheschen entge- gengesetzte Richtung hatte, und er schreibt diese in den Denkwürdigkeiten aus meinem Leben seinem persönlichen Einflusse auf Lenau zu. Der nur um fünf Szenen erweiterte neue Faust erscheint Menzel in den wesentlichsten Punkten originell, zwingt zur Anerkennung des hier waltenden eignen, schönen und kräftigen Geistes. Nachdem er fast jeder einzelnen Szene Lob gespendet, hebt Menzel besonders den glücklichen Schluss hervor, der von grosser psychologischer Wahr- heit und ganz im Geiste des Gedichtes sei (Literaturblatt, 4836, 8. Juni, Nr 58). — Auch die Literarische Zeitung, hrsg. von Büchner und Brandes (1835, 2. Juli) meint, das Faustfragment sei ohne sonderliche Originalität und Neuheit in der Erfindung. Auf die scharfe Verurteilung von Gutzkow, die auch nur das Faust- fragment in Betracht zieht, kommen wir noch zurück. (4) Die Wissenschaft der Ästhetik als Vorbereitung zu einem Lehrstuhl an der Theresianischen Ritterakademie in Wien. GELEGENHEITSDICHTUNG DES JAHRES 1833. 413 nicht auf dem Vertrag bestehen, wenn Brodhag durch den Almanach Schaden habe. Nicht minder edelmütig sandte der Verleger ihm das Honorar im voraus, wodurch ihm Mitte November die Reise nach Schwaben ermöglicht wurde, die eben die Herausgabe des Faust und des Almanachs zum Zwecke hatte. XXXV Wandlung. Alpengedichte des Jahres 1835. Oktober-Dezember. Weib und Kind. — Der Steyrertanz. — Auf dem Hochberg. Von dem Ende August erfolgten Abschlusse des Faust bis zum 15. Oktober 1835 dichtete Lenau nichts, wie er an diesem Tage G. Reinbeck schreibt (222). Neue Arbeitslust gab ihm das gesicherte Erscheinen eines zweiten Jahrganges des Frühlingsalmanaches, zu dessen persönlicher Leitung der Ver- leger Brodhag ihn nach Stuttgart lud, und der nun seine Haupt- sorge ward. Nach Stuttgart brachte Lenau, wie Emilie Reinbeck am 8. Dezember Kerner meldet, « wieder sehr schöne neue Gedichte mit » (!), die folglich noch vor der Abreise, von Mitte Oktober bis Mitte November, geschrieben sind. Zu den Gedichten, die der frommen Emilie so gut gefielen, gehören wahrscheinlich die von tiefer Glaubensinnigkeit dureh- drungenen poetischen Früchte des Ausfluges in Steiermark. Als « später gereifte » Früchte dieser Pilgerfahrt zur « Madonna Einsamkeit, dieser wahren Mutter Gottes im Menschen » (216), bezeichnet Schurz (I, 307, 312) die Gedichte Weib und Kind und Der Steyrertanz; hinzu kommt ein von mir in Stuttgart aufgefundenes, Auf dem Hochberg. (4) Schlossar, S. 14. WANDLUNG. 415 Das innige, fromme Gedicht Weib und Kind (3) führt Schurz (I, 307) auf ein Erlebnis der Reise zurück. « Es war, glaub ich, auf der langgestreckten stillen Hochstrasse zwischen der Ramsau und Rohr, mit dem Hinabblicke in ernste Täler, wo ihm das Weib mit dem Kind und dem “ Kalberl ’ begeg- nete ». An einem schwülen Sommerabend trifft der Dichter im Gebirge ein armes Bauernweib, das ihn mit dem christlichen Grusse « Gelobt sei Jesus Christus » begrüsst. « In Ewigkeit! » so dankt ich freundlich ihr; Es ist der beste Gruss auf dunklen Wegen. (Vs 1 £.) Die Frau und das ihr folgende, ein zögerndes Kälblein heimlockende Mädchen rühren tief die Seele des Dichters und zeigen ihm den Weg der Wahrheit : Lang blickt ich ihnen nach, bis sie verschwunden. Und dass ein Leben schön und glücklich nur, Wenn es sich schmiegt an Gott und die Natur, Hab ich auf jenem Berge tief empfunden. (Vs 21-94.) Manchen Berührungspunkt mit diesem Gedichte bietet die Dichtung in Prosa Wie ich Christ wurde, die uns Frankl (S. 55 f.) übermittelt. Auf die Frage, wie er « von der in alle Welt ausgegossenen Gottheit zu der geoffenbarten hinüber- gedrängt worden sei? », habe Lenau nach einer bedeutungs- vollen Pause erzählt, wie folgt (!) : « Ich ritt einmal über eine Heide; sie war schneebedeckt, aufflatternde Raben nur waren die schwarzen Gedanken der Heide. Ich fühlte mich mit meinem innern warmen Leben so allein in der weiten kalten Welt. (!) Frankl versetzt die Erzählung in die Zeit nach dem Erscheinen des Savona- rola, in den Winter 1837. 416 WANDLUNG. Es kam mir lächerlich vor, mit dem kleinen Lebensfunken Trotz bieten zu wollen dem alles starr machenden Winterozeane. Endlich musste er doch siegen. Ich fühlte mich sehr einsam in der weiten Welt, und tief traurig. So war ich, mich meinem Pferde überlassend, in einen Wald gekommen; jenseits des- selben in einem Dorfe war ich von Freunden erwartet. Plötzlich spielte ein Lichtschimmer über die schneebedeckten Tannen- zweige, und bald sah ich mir zur Linken ein Jägerhaus, durch die Fenster leuchtete es hell heraus, mich lockte ein seltsamer Zug, ich möchte es nicht Neugierde nennen, das Tun in dem einsamen Jägerhause zu belauschen. Ich stieg vom Pferde, band es an einen Baum und schritt leise, um die Bewohner nicht zu stören, zum Fenster. Drin brannte ein lustiger Weihnachts- baum, glückliche Kinder, halb fröhlich halb erschrocken, liessen sich von ihren freudig bewegten Eltern Gaben herabreichen, die an den Zweigen hingen. Ich konnte die Worte nicht hören, die sie sprachen, aber ich konnte sehen, dass Kinder und Eltern warm und selig bewegt waren, und ich fühlte mit ihnen, und die Tränen hingen als Reifperlen an meinen Wimpern. Ich kehrte zurück zu meinem Pferde, bestieg es und ritt weiter. Aber es war eine andere Stimmung in mich gekommen. Ich fühlte, dass die Kluft zwischen dem Leben des Menschen und der ihm kalt gegenüber trotzenden Natur eine unausfüllbare sei, und dass die Kreatur eines Mittlers bedürfe, damit sie nicht verzweifle und untergehe. Die Feier der Weihnacht in dem einsamen Jägerhause war ein Leuchten der Erkenntnis für mich, ich fühlte mich nicht mehr einsam; eine heitere, selige Stim- mung goss sich, wie Wellen eines warmen Bades, um meine erstarrte Seele, und so bin ich Christ geworden! » Eine kluge Erläuterung dieser Dichtung gibt Grün (S. 55 f.). Die scharf gefasste Frage wird nicht gleich scharf beantwortet, nicht mit dem Verstande, sondern mit dem Gemüte, nicht unmittelbar, sondern auf einem Umwege, mittelst eines Bildes. Die erzählten äusseren Erlebnisse können nur als eine Sym- bolisierung innerer Durchgangsperioden gelten und nur als WANDLUNG. 447 solcher kann man ihnen geschichtliche Wahrheit und Bedeutung zugestehen. Allerdings enthält die Erzählung ein beiläufiges Glaubensbekenntnis, aber zugleich auch das Geständnis, dass dieses mehr auf dem überwallenden Gefühle als auf fester Überzeugung beruhe. Lenau ist vom Christentume angezogen, gefesselt; aber erst das Gefühl hat gesiegt, die Überzeugung ist von dem darnach ringenden Verstande noch nicht gewonnen. — Die letzten Sätze erläutern die Dichtung in Versen (Weib und Kind) ebenso trefilich wie die in Prosa. Sie passen auch auf einen Bericht Lenaus an Max Löwenthal, der zeitlich gerade in die Mitte fällt zwischen dem Gedichte und dem Frankl Erzählten. Am Weihnachtstage des Jahres 1836 besuchte der Dichter die Mitternachtsmesse und ging dann einsam in seine entfernte Vorstadtwohnung. « Dieser Gang war einer der wichtigsten Momente seines Lebens; er war in diesem Augenblick von Religion so sehr durchdrungen, so von der Idee des Christentums erfüllt, gewissermassen so in dasselbe hineinbliekend, wie weder früher noch seitdem jemals » (). Vielsagend und echt kennzeichnend für den wandelbaren Stimmungsmenschen Lenau ist der Schluss dieses Berichtes. « So konnte », schliesst Grün seinen Kommentar, « jenes Glaubensbekenntnis keine lange Dauer versprechen ». In ein Jägerhaus führt uns Lenau auch in seinem dem vori- gen so eng verwandten Gedichte Der Steyrertanz (25), den er in erhabener Weise auszulegen weiss. Nicht das Weih- nachtsfest, sondern eine Hochzeit wird in der Jägerhütte gefeiert. Dieser Hochzeit, dem Tanz gewinnt er jedoch eine ähnliche symbolische Deutung ab wie der Weihnachtsfeier in der Erzählung Wie ich Christ geworden. Auch der Steyrertanz ist für ihn ein Leuchten der Erkenntnis, der Zuversicht auf ein ewiges Leben. Auf dieser Wanderung ins Hochgebirge hat er (1) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 42. 418 WANDLUNG. Gedanken gepflückt, die « Blumen Gottes » sind und ihm freudig duften werden durchs ganze Leben (Vs 29-32). Von einer echt christlichen ist seine Auffassung des ewigen Lebens jedoch noch weit entfernt, sie beruht nur auf dem Gefühl, dass das Beste in uns den Tod überlebt : Wohl bin ich nur ein Ton Im schönen Liede Gottes; Doch wie das schöne Lied Wird nimmermehr verklingen, So wird der Ton im Liede Auch nimmer gehn verloren, Nicht brechen sich am Grabe : Und was im Erdenleben Mitihm zusammenklang, Wird einst mit ihm erklingen Zu freudigen Akkorden Im Strom des ew’gen Liedes. (*) (Vs 149-161. Das Zwiegespräch der Freunde, des skeptischen Heinrich und des gläubigen Robert, ist ein Seitenstück zu dem der beiden Zweifler. Sogar ein wörtlicher Anklang kehrt wieder : Denn glauben kann ich nimmermehr Das glaub ich nimmermehr (Die Zweifler, Vs 91) (Der Steyrertanz, Vs 127), der Dialog führt jedoch zu einem entgegengesetzten Ergebnis. Erst in der Zeit, wo der Ewigkeitsgedanke des Dichters Fühlen beherrschte, ward ein Keim fruchtbar, der bereits in einem Briefe an Mayer vom 28. Januar 1832 liegt : « Also meine (1) Vgl. Betty Paolis Tagebuchverse, Nr 28. Verklingen wird mein Sein, als einz’ler Laut, verwehen; — Als Ton von Gottes Lied wird’s ewig fortbestehen. (Gedichte, 8. 27.) WANDLUNG. 419 steirischen Ländler möchtest Du hören? ja, die sind wahrhaftig schön! Hörst Du einen wahren Steirerländler, so hörst Du mitten aus dem Getümmel der irdischen Freude die allmächtige Stimme der Sehnsucht heraustönen, der Sehnsucht nach dem Heimatlichen, Göttlichen. Ja, gewiss liegt ein gewisses gött- liches Heimweh in diesen Gebirgsmelodien » (85). Ganz ähnlich äusserte der Dichter sich später zu Frankl (S. 47). Aus diesem Keime entstand auch das Gedicht Heimatklang. Zu Lenaus Mitteilung bemerkt Mayer (S. 37) : « Wenn hier Niembsch der Steyrer Ländler gedenkt, so werden seine Leser sich gern an eine seiner späteren schönsten Idyllen, den Steyrer- tanz erinnern, der uns aus der graziösesten Schilderung der Tanzbewegungen in die ihm so gern wiederkehrenden Gedanken von Tod und Unsterblichkeit einführt. Seine Freunde aber werden sich ins Gedächtnis zurückrufen, wie meisterhaft er solehe Ländler und andere Musiken auch mit dem Munde zu pfeifen, wie er auch mit dem Hauche der Lippen köstlich zu phantasieren wusste. » Klar leuchtet die Liebe zu Sophie Löwenthal in dem Gedichte durch. Auf diese zugespitzt sind die Verse : Und flammend blickt sein Auge Der Liebsten in das Auge, Unsterblichkeitsgewiss : « Wir haben uns auf ewig!» — Die Blicke dieser Beiden Sind mir gewisse Bürgschaft Für mein unsterblich Leben. Was sich geliebt auf Erden, Muss dort sich wiederfinden. (Vs 118-196.) Diesen Versen wären die vielen späteren Äusserungen Lenaus über das « heilige », « göttliche » Auge der Geliebten gegen- überzustellen, in dem er die « ganze Fülle des Göttlichen » erblickt, das uns wie in einer prophetischen Hieroglyphe den 420 WANDLUNG. Stoff zeigt, aus welchem einst unser ewiger Leib gemacht sein wird (262). Auch das Bild : Als wollt er sich umzirken Rings um und um mit Liebe, (Vs 91 £.) kehrt wieder in einem Liebeszettel vom 15. Mai 1841. « Es ist rings um uns herum alles zugewachsen, eine recht dichte und. wilde Paradieseshecke, heilig, still und sicher » (358), und wie oft wiederholt Lenau in den Liebesbriefen das Bekenntnis : Du schliessest mir den Kreis Von allen meinen Freuden! (Vs 94 f.) und das andere : Wir haben uns auf ewig! Der Erstdruck des Gedichtes im Frühlingsalmanach für 1836 bestärkt die Vermutung von Schurz (I, 312), dass es auf den Ausflug in Steiermark zurückgeht. Den Steyrertanz sah Lenau zum erstenmal am 7. September 1834, bei seiner vorjährigen Reise in Steiermark. In den Briefen aus Steiermark vom Juli 1835 erwähnt Lenau mehrmals seine Absicht, den Hochschwab zu besteigen. Über die Ausführung erfährt Emilie Reinbeck am 15. August : « An sieben Stunden dauerte das Ansteigen, welches mir aber durch die herrliche Luft und Aussicht, durch den Anbliek vieler Gemsen, die mir im Klettern mit bestem Beispiel vorangingen und deren ich 135 zählte, und durch die Gesellschaft zweier Jäger zu einem höchst ergötzlichen Spaziergang gemacht wurde » (220). Auf diese Besteigung beziehen sich folgende WANDLUNG. 424 Verse, die ich in den nachgelassenen Papieren von Emilie Reinbeck in Stuttgart vorfand : Auf dem Hochberg (12. Juli) (!). An Agnes. Die Gletscher glühen in dem goldnen Lichte Und röthlich glänzt die Felsenwand, Um diese Gipfel wehen Traumgesichte, Aus frühen Tagen mir bekannt. Im Purpurmeer seh ich den Nachen treiben : Die Sonne spiegelt sich im weiten See. Am fernen Kloster zähl ich alle Scheiben, Im Herzen wird mirs wohl und weh. Es locken Thäler hinter Felsenthoren, Ein Sehnen fasst mich im Gemüth, Nach Glück, besessen — nie — und nie verloren, Verwelkt und niemals doch erblüht ! Den Blick lass in die blaue Ferne tauchen — Dort ist es nicht, nur Trug und Pein! Da unten wo die stillen Hütten rauchen, Da muss es oder nirgend seyn! Auf Alpenhöhe mit Dir, Seelenschwester, Im Abendschein ich schweigend stand, Nicht reden konnt’ ich, drückte fest und fester Nur Deine liebe, treue Hand. (4) Das Datum stimmt nicht mit den Briefen überein. Allerdings wollte Lenau am 12. Juli den Hochsehwab besteigen, wurde jedoch durch Regenwetter abgehalten und konnte erst an einem der folgenden Tage die Besteigung antreten. 4232 WANDLUNG. Die Glocken riefen zum Gebet die Müden, Und aller Zauber der Natur Kam über uns mit seinem tiefen Frieden, Doch blieb auch eine Wehmuthspur. Wann stehen wir wie jezt so eng verbunden Wohl wieder in dem Abendstrahl, Wann bringen späte Jahre solche Stunden, Verein im grünen Alpenthal? Bald wird der Abschied mir die Brust zerschneiden Vom Vaterland, vom Vaterhaus. ’ Getrennt von Dir, muss Herzensfrost ich leiden, Zur Fremde treibt es mich hinaus. Du bist mir mehr als meine Heimatschwelle, Dein Herz ist mir ein Heilgenschrein, Mir wie dem müden Pilgrim die Kapelle; Ich legte Wonn’ und Schmerz hinein! Wir werden oft uns, einst gewiss ach! trennen, Vereint doch seyn in Lieb, Gebet. Wir werden wieder sehen uns, erkennen : Ein Trost ist dies, der fest besteht. Wäre Lenau, meint Schurz (I, 311), nicht so bald nach Wien zurückgekehrt, wir hätten uns wohl einer eben so köstlichen Beschreibung dieser Besteigung zu erfreuen wie jener des Traunsteins am 9. Juli 1831 (e2). Ein glücklicher Zufall hat uns Besseres als eine Schilderung in Prosa des Aufstiegs aufbe- wahrt. Auffallende Anklänge bietet das Gedicht an die beiden vorigen. Zunächst kehrt der Gedanke aus Weib und Kind WANDLUNG. 493 wieder, dass das Glück nur in einem stillen, bescheidenen, sich an Gott und die Natur anschmiegenden Leben zu finden : Den Blick lass in die blaue Ferne tauchen — Dort ist es nicht, nur Trug und Pein! Da unten wo die stillen Hütten rauchen, Da muss es oder nirgend sein! Das Glück in der stillen Hütte hatte der Dichter vielleicht beim Waldhüter in der « Höll » am Fusse des Berges, wo er freundliche Aufnahme gefunden, beobachten können (?). Wir werden wieder an das Hüttenideal, an den « Gedanken vom Blockhaus » erinnert, den er Sophie mehrfach vorspiegelte. Lenaus Begleiterin beim Aufstieg soll nach Schurz das « hübsche Waldhütertöchterlein » gewesen sein, von dem der Dichter im Berichte an Emilie schweigt. In ihr werden wir jedoch gewiss nicht die « Seelenschwester » erkennen wollen, die dem Dichter « mehr als die Heimatschwelle », deren Herz ihm ein « Heiligenschrein » ist. Zweifellos ist hiermit Sophie Löwenthal gemeint, die eine Erdichtung ihm auf dem Gipfel des Berges beigesellte, wie er sie in Wirklichkeit so oft in der Trennung herbeisehnte. In ihr Herz, das ihm « wie dem müden Pilgrim die Kapelle », legt er « Wonn und Schmerz hinein », von ihr getrennt, muss er den in den Briefen an sie so oft geklagten « Herzensfrost » leiden. Wie herrlich die erdichtete Stunde mit ihr auf dem Gipfel des Berges, umgeben von Glockenklang, von allem Zauber der Natur und ihrem über sie kommenden tiefen Frieden auch ist, so bleibt doch eine « Weh- mutspur », die, dass die Liebenden sich nie werden ganz ange- hören können. Der Strophe 8 erwähnte Abschied vom « Vaterland, vom Vaterhaus » ist die Reise nach Schwaben, und wir wissen, was (1) ScHurz, I, 311. 424 WANDLUNG. den Dichter « zur Fremde hinaustrieb ». Über den Bezug auf Sophie darf die Überschrift An Agnes nicht wegtäuschen. Eine Agnes, Agnes von Galatin, die jüngere Schwester der Emma von Suckow (E. Niendorf), lernte Lenau erst im Jahre 1840 kennen. Der Deckname Agnes hat ein Seitenstück in Eugenie für Lotte. Stärker noch als dem Gedicht Der Steyrertanz ist diesem der Glaube an ewiges Leben der Liebe eingeprägt : Wir werden oft uns, einst gewiss ach! trennen, Vereint doch sein in Lieb, Gebet. Wir werden wieder sehen uns, erkennen : Ein Trost ist dies, der fest besteht. Weil es für diese Liebe keine Erfüllung auf Erden gibt, muss sie in der Ewigkeit, im Himmel gestillt werden. Von diesem Gefühle aus entwickelt der Liebende später, vom Ende des Jahres 1836 an und besonders in den Liebesklängen in Prosa des Jahres 1837, seine mystische Liebestheorie. « Wenn ich dich liebe, steh ich bei Gott, denn er ist in dir » (284). Gott ist in Sophie, weil doch nur er, « ein persönlicher, liebender » Gott, unmöglich die « starren herzlosen Naturkräfte » ein Wesen wie Sophie schaffen konnten. Dieses Bewusstsein dringt ihm tief ins Herz und ist der « feste und geweihte Boden », auf dem seine Liebe steht (285). In ihr geht er unter wie in Gott zur Zeit des Gebets (259). Er kann nicht an Gott denken, ohne an Sophie zu denken (235). In ihrem Umgang hat er mehr Bürg- schaft eines ewigen Lebens gefunden als in allem Forschen und Betrachten der Welt (262). Fest glaubt er, dass dieser Liebe eine Ewigkeit vorbehalten ist, wo sie sich frei und ganz wird ausbreiten können, wo sie gilt in ihrem ewigen Recht (2s1). Diese Liebe wurzelt durch sein Herz hindurch in Gott, der ihn und Sophie halten wird (416). Stets will er bei Gott und seiner Sophie bleiben, die ihn zu Gott geführt hat. Seine Liebe hängt durchaus mit seiner Religion zusammen, er WANDLUNG. 425 kann die eine nicht aufgeben ohne die andere (452). Sophie ist das, worin er fühlt, dass ein lebendiger Gott ihn liebt (500). Immer grösser und ernster wird diese Liebe. Sie ist nicht mehr in ihm, sondern er ist in ihr. Sie ist sein Gott. Gottes starke Hand drückt ihn so fest an Sophie, dass er seufzen muss und ringen mit erdrückender Wonne (554). In der Ewigkeit wird ihr Auge sein Licht sein, ihre Luft sein Atem, ihr Wort sein Trank, ihr Kuss seine Speise, ihr Herz sein Lager, sein Wan- del das Reich Gottes mit ihr (298). Dort. wird er mit ihr zu Füssen Gottes sitzen und sie festhalten (434) : Sie träumte süss, ich liess es gar geschehen, Wenn sie mir sprach von Jenseitswiedersehen, Denn was den Reiz des Schönen noch erhebt, Was sie zu tieferen Genüssen weiht, Ist solcher Wahn, ein Duft von Ewigkeit, Der über einern Frauenherzen schwebt. (Don Juan, Vs 501-506.) Es ist möglich, dass Emilie Reinbeck, die das Gedicht auf- bewahrte, der Meinung gewesen, es sei an sie gerichtet. Eine « Seelenschwester » war ja auch sie dem Dichter, und die Verei- nigung in Liebe und Gebet entspricht brieflichen Äusserungen Lenaus an sie. Die Rückwendung zur geoffenbarten Religion, die sich so deutlich in diesen Alpengedichten kundgibt, hat ihren dichte- rischen Ausgangspunkt in der letzten Faustszene, namentlich in den sechs letzten Versen, die eine so deutliche Verurteilung des Pantheismus ausdrücken. Ein scharfer Gegner des pantheistischen Monismus war Her- bart. Seine Naturphilosophie beruht auf dem Grundsatze der Zweckmässigkeit, die nur durch die Annahme einer höheren Intel- ligenz erklärt werden könne, seine Religionsphilosophie auf dem Gedanken des allgemeinen menschlichen Bedürfnisses nach Religion. Das ethische Motiv zur Religion liegt in dem religiösen 426 WANDLUNG. Bedürfnis, während ihre allgemein objektive Grundlage, wodurch ihre Wahrheit die Bestätigung erhält, durch die teleologische Naturbetrachtung gebildet wird. Diese führt im Gegensatz zum strengen Pantheismus und Atheismus zum strengen Theismus. Keine Lehre der Welt vermag es, den Menschen vor Leiden, Übertretungen und vor innerem Verderben zu sichern. Selbster- lösung gibt es für den Erdenbürger, der ein Fremdling auf dieser Erde ist, nicht. Der Mensch kann sich nicht selbst helfen; er braucht höhere Hülfe (Werke II, 57). In jedem nur etwas zartfühlenden und nicht ganz roh aufgewachsenen Menschen erzeugt das allgemeine Religionsbedürfnis die religiöse Gesin- nung (1, 247). Aus einem Bedürfnis des Lebens verwandelt sich die Religion in ein Bedürfnis des Herzens (IV, 611). Ganz unentbehrlich ist sie zunächst den Leidenden, die sie tröstet, den geistig Kranken und Zerrütteten, die sie heilt, den Verirrten, die sie zurechtweist, den Sündern, die sie bessert und beruhigt (I, 57 ff.). Jeden Menschen wirft jedoch die Unruhe des Lebens hin und her; aus dieser krankhaften Unruhe kann nur die Religion retten, die auch den Gesunden notwendig (II, 60 ff.). Dem Zeitlichen setzt sie das Ewige entgegen. So schneidet sie die Sorgen ab, zeigt eine höhere Ordnung der Dinge (II, 57), « erhebt das Gemüt in einen höhern Gedankenkreis. Sie gewährt Feierstunden, in welchen der Arbeiter sich erholt; sie beschäf- tigt und erheitert. Hier trifft sie zusammen mit den schönen Künsten, die von jeher dem Aufschauen zum Höheren ihre edelsten Erzeugnisse widmeten » (I, 159). Ganz besonderen Nachdruck legt Herbart auf den Begriff der göttlichen Vorsehung. « Man redet Worte ohne allen Sinn, wenn man von Gott spricht, ohne ihn sogleich in demselben Augen- blicke zu denken als den Heiligen, dessen Wille zur Einsicht stimmt; als den Erhabenen, dessen Macht sich am Sternenhim- mel und in dem Wurm offenbart; als den Gütigen, welchen das Christentum schildert; als den Gerechten, der schon in den mosaischen Gesetzen erkannt wird; als den Vergelter, vor wel- chem der Sünder sich fürchtet, so lange ihm nicht Gnade WANDLUNG. 437 verkündigt wird. Hier, und sonst nirgends, ist der Sitz der Religion » (II, 30% f.). Versucht man diese göttlichen Eigen- schaften aus der Idee von Gott herauszunehmen, so bleibt nichts übrig als ein nackter, gleichgültiger, theoretischer Begriff, wo nicht offenbare Schwärmerei (1, 158 f.). « Es muss der Begriff von Gott als dem Vater der Menschen festgehalten werden. Ein bloss theoretischer Begriff ist ohne Wert. Eine blosse Idee ohne Trost » (IV, 614). Auch in der Natur sieht Herbart überall den Finger Gottes. Um von der Philosophie aus zu den religiösen Begriffen zu gelangen, muss man von der Naturbetrachtung ausgehen und sich Schritt für Schritt zu dem Übernatürlichen, Göttlichen erheben « Über alle reale Lebenskraft in den Elementen geht hinaus die bloss ideale, künstlerische Einheit der lebenden Wesen; ihre Schönheit und Zweckmässigkeit. Diese existiert nur für den Beschauer; sie weiset aber denselben hinauf zu dem höchsten der Künstler, der durch die erhabenste Weisheit die Bildungsfähigkeit der Elemente benutzend, ihr zuerst und allein einen Wert erteilte. Ohne religiöse Betrachtungen kann die Naturforschung zwar wohl angefangen, aber nicht vollendet werden; und die letztere wird zu allen Zeiten die Stütze der Religion sein und bleiben, während alles, was auf schwärme- rischen innern Anschauungen beruht, sich samt diesen Schwär- mereien selbst zum Spielwerk für die wandelbaren Meinungen hergeben wird » (VI, 392 f.). Auf das heftigste bekämpt Herbart den Spinozismus, dem Lenau bisher angehangen. Spinoza erklärt zuviel und folglich nichts ; nirgends ist er in die Eigentümlichkeit der Natur einge- drungen (Ill, 200). Der Leichtfertigkeit, Dreistigkeit, theolo- gischer Anmassung u. s. w. zeiht Herbart Spinoza vielfach. Nach gehöriger Prüfung findet sich, dass seine Grundlage — das absolute Werden — ein « Unding » ist, « das selbst für ein Hirngespinst zu schlecht » (Il, 155). Als « seinen » Herbart (202) bezeichnet der Dichter den Phi- losophen, dessen Schriften ihn « den ganzen Tag beschäf- 428 WANDLUNG. tigen » (175). « Ich finde immer einen gewissen intellektuellen Frieden und Trost im Umgange dieses ruhigen, klaren Geistes » (202). Herbart befreite ihn zeitweilig von den bran- denden Wogen des Zweifels und eröffnete ihm den Blick in die Inseln der Seligen. Die Wandlung Lenaus berührt auch Sophie in einem Schrei- ben an Schurz (t). Sie setzt ihren Anfang in die Zeit, wo Faust « sein letztes Wort gesprochen », bezeichnet sie als Heimkehr zum Kinderglauben und schreibt sie einem « geringfügigen Umstande » zu, einem « stümperhaften Gedichte » von ihr an Lenau, in dem sie « tiefen Kummer über den Grund seiner unseligen Verstimmung und den Wunsch ihn zu heilen » aussprach. Zu entschuldigen ist diese Überhebung dadurch, dass Sophie hier nur wiederholt, was der Dichter selbst ihr am 23. Februar 1837 mit Anspielung auf ihr Gedicht schreibt : « Diesem Liede verdanke ich meinen Savonarola. Wer weiss, ob und wie spät mir das Licht gekommen wäre ohne dich » (285). Der Ausspruch gehört zu den zahllosen überschwenglichen Liebeshuldigungen Lenaus. (1) ScHurz, II, 340 f. XXXVI Lyrik der Savonarolazeit. 1. Teil. — 1836. Das Wiedersehen. — Der Seelenkranke. — An den Tod. — Kruzifix. — Der Schmerz. — Scheu. — Täuschung. — Der ewige Jude. — Der traurige Mönch. — Einklang. — Das Wetter hat geschlagen. — Herbstlied. Hypochonders Mondlied. — Während eines Gewitterregens. In Stuttgart, zu Ende des Jahres 1835, ging es « gar nicht mit dem Dichten ». Auch « regte sich wieder der Hypochonder », zu dem ein trübsinniger Brief von Sophie beitrug (22%). Am 29 Januar 1836 reiste Lenau nach Wien ab. « Was ihn (in Stuttgart) aufhielt », meint Castle (t), « können wir nur ver- muten; wie er die Zeit verlebte, was in ihm vorging, ist uns völlig unbekannt ». Sieben Briefe Lenaus aus der Zeit dieses schwäbischen Aufenthaltes (Ende November bis Ende Januar) berichten genau über sein äusseres und inneres Leben, über die Gründe des längeren Bleibens, über seine Beschäftigungen, seinen Verkehr, seine Lektüre. Die Sehnsucht nach Sophie, der Wunsch, den Geburtstag seiner Schwester Therese (5. Februar) in Wien mitzufeiern, die Hoffnung auf einen Lehrstuhl an der Theresianischen Ritterakademie in Wien drängten zur Abreise, ehe die Stuttgarter Geschäfte, die Korrektur des Faust und des Frühlingsalmanaches für 1836, beendigt waren. Zwei erschütternde Nachrichten trafen Lenau bei seiner (1) Lenau und Löwenthal, S. vi. 430 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. Ankunft in Wien am 4. Februar : der Tod seines ältesten Jugendfreundes Fr. Kleyle und die Schande seiner Schwester Magdalena, die als Verbrecherin mit Kerker bestraft worden war. Zu nichte ward auch die Hofinung auf eine Anstellung an der Ritterakademie, die ihn leidiger Geldsorgen enthoben und ihm eine grössere gesellschaftliche Geltung verschafft hätte. Stolz und stoisch will er sich gegen das Unglück aufrichten; es soll ihn nicht hinunterkriegen, schreibt er an Emilie (250). Eilig greift sein Erhaltungstrieb nach dem Heilmittel der Kunst. Die Erschütterungen seiner Stimmung beruhigen sich im Dichten, das ihm, wie er am 22. Februar Emilien berichtet, jetzt besonders von statten geht (251). Übereinstimmend teilt er Georg Reinbeck mit, das Schreibbuch seiner lieben Freundinnen fülle sich von Tag zu Tag (22). Seine nächste Sorge gilt dem Frühlingsalmanach, dessent- wegen er sich an Auersperg und Grillparzer um Beiträge wen- det. Jedoch hat er indessen selbst so viel gemacht, dass er in Ermangelung seiner Freunde die Lücke füllen kann (22). Zunächst ist hier das Gedicht Das Wiedersehen (27s) ein- zusetzen, das noch im zweiten Jahrgange des Frühlingsalma- nachs (1836) erschien und den Tod Kleyles beklagt. « Ich habe halb und halb im Sinn », schreibt Lenau am 22. Februar Emilien, « nächstens wieder einmal nach Ungarn zu reisen. Ein kleiner Ausflug nach Pressburg, wo der Landtag noch beisam- men ist, wäre keine üble Zerstreuung. Auch ist dort eben wegen des zahlreich versammelten Adels jetzt gewiss ein Zusammen- fluss der besten Zigeuner. Es zieht mich an, die langentbehrten heimatlichen Jugendeindrücke wieder einmal aufzufrischen. Auch habe ich dort einen Freund, namens Keiller, Dr medi- einae, dem ich gerne noch ein paar Stunden meines Lebens schenken möchte. Man muss eilen, seine Freunde noch einmal zu sehen » (251). Was die Wirklichkeit ihm nicht vergönnte, malt Lenau in der Dichtung aus. Freund Keiller hatte ihn, wie Schurz (I, 304) meldet, Ende Juni i835 besucht und die Erin- nerung an die Jugendjahre wiedergeweckt. Mit dem « heimat- LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. - A431 lichen Tal » (Vs 1) hat der Dichter folglich nicht die Gegend von Tockay, sondern die von Pressburg gemeint, wie auch der Vs 43 f. erwähnte verstorbene Freund nicht Kövesdy, sondern der eben verschiedene Kleyle ist. « Er war mein ältester Jugend- freund », eröffnet Lenau Emilien, « mit ihm ist viel Rechtschaffen- heit und Seelengüte von dieser Welt gegangen. Sie, meine Freunde, haben ihn nur erst kennen gelernt, um seinen Tod zu betrauern » (230). Lenaus Brief aus Wien an Emilie vom 1%. März bringt die Gedichte Kruzifix, An den Tod und Der Seelenkranke. Das Sonett Der Seelenkranke (500) ist in zwei Handschriften : 19. Februar 1836 datiert, und auch Sophie bemerkt in ihrem Exemplare : « 19. Februar 1836 im Schwarzspanierhause ». Den verzweifelten Schmerzensschrei des Seelenkranken : Ich trag im Herzen eine tiefe Wunde, Und will sie stumm bis an mein Ende tragen, Ich fühl ihr rastlos immer tiefres Nagen, Und wie das Leben bricht von Stund zu Stunde, der im Briefe an Emilie An meine Mutter, in einer Handschrift Todeswunsch überschrieben, entlockten dem Dichter die Schick- salsschläge, die ihn zu Anfang des Jahres 1836 trafen. Zu diesen gesellte sich eine Spannung im Verhältnis zu Sophie Löwenthal, die vielleicht der Hauptgrund seiner aufgeregten, finsteren Stimmung ist. « Von der sehr leidenden, und daher auch leicht verletzbaren Stimmung Lenaus zu jener Zeit », meint Schurz (I, 323), « gibt das damals entstandene, ebenso schöne als schmerzvolle Gedicht an seine verstorbene Mutter das sprechendste Zeugnis ». Die « leicht verletzbare Stim- mung », die Schurz bemerkt, deutet schon auf ein Liebesleid hin, auch die Äusserungen zu Emilie Reinbeck im Briefe vom 5. Februar. « Hätte ich nicht einen eisernen Panzer um mein Herz geschlagen, es wäre längst gebrochen. Sie wissen noch nicht alles, was mich im Leben getroffen hat. Aber ich bin hart 432 LYRIK DER SAVONAKOLAZEIT. — 1. TEIL. und stolz genug, das Unglück zu verachten. Wäre ich es nicht, ich müsste Tag und Nacht heulen wie ein misshandelter Hund » (250). Offenbar spielt auf des Dichters unglückliche Liebe der Satz an, Emilie wisse noch nicht alles, was ihn im Leben getroffen. Mindestens ein kühler Empfang von seiten Sophies, der ihm auch später öfters zu teil ward, gerade wenn er den wärmsten erwartete, trug wohl zur Heftigkeit seiner Klage bei. Jedenfalls ist die unglückliche Liebe die Wunde, die er tief im Herzen trägt. Er muss sie stumm bis an sein Ende tragen, schreibt er zunächst in vier Handschriften des Gedichtes; in einer fünften streicht er das muss und ersetzt es durch will, nachdem er Sophies im April an ihn ergangenes Wort « Freudig kämpfen und entsagen » (212) zu dem seinigen gemacht. Auch der Trotz, den er seinem Unglücke entgegen- setzt : « mein Widerstand ist nicht der eines ruhigen Weisen, sondern hat viel Trotziges an sich » (250), weist auf eine innere Quelle des Leidens hin und wird beleuchtet durch eine Bemer- kung Lenaus in einem Zettel an Sophie aus dem April : sie nenne es Hohn, wenn er seinen brennenden Schmerz, zumal in Gesellschaft, verberge. In demselben Zettel bezeichnet er übri- gens seine Liebe als seine Wunde (2). Sichtlich haben die Verse Heinrich Leuthold vorgeschwebt bei seinem Sonett An die Grossmutter, dessen zwei letzte Strophen lauten : Einst liebtest du mich; o lass dich bewegen, Gib einmal noch in stiller Abendstunde Mir des Gebetes frommen Kindessegen ! Doch, ach! zu tief ist meines Herzens Wunde; Das schöne Land der Kindheit zu entlegen, Und du — liegst längst verscharrt im kühlen Grunde! (4) (4) H. LEUTHOLD, Gedichte, Frauenfeld, Huber 1906. 5. Auflage, S 150. .LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. 433 Hell beleuchten die Verse An den Tod (525) das vorige Sonett. Die Furcht, dass « der Liebe Brand verlodert » (Vs 3), ist die Hauptquelle der Todessehnsucht, in der beide Gedichte gipfeln. Lieber sofort sterben als mit « der Asche der Gefühle » (Vs 8) vorliebnehmen müssen. Sonderlich bestätigt das Gedicht die ‚Annahme, dass neben dem Tode Kleyles, der Schande der Schwester ein drittes Unglück damals den Dichter traf, nämlich eine, wenn auch bald wieder beigelegte, Entfrem- dung von Sophie. Zugleich mit dem Seelenkranken teilte Lenau die Verse im Briefe vom 14. März der Stuttgarter Freundin mit. Sophie bemerkt dazu : « Im Jahre 1836 nach dem Format des Blattes, auf dem es steht, zu schliessen ». In ihrer Erinnerung blieb dieses erste Zerwürfnis, dem bald so viele folgten, nicht haften. E. Geibel hat das Gedicht nachgeahmt in Drei Bitten (!) : Zum dritten, wenn das letzte Lied verhallt, Und wenn der Quell der Liebe leiser wallt, Dass dann der Tod mich schnell mit sanfter Hand Hinüberführ in jenes bess’re Land, Wo ewig ungetrübt die Liebe quillt Und wo das Lied als einz’ge Sprache gilt. Am 21. Februar schrieb Lenau das Gedicht Kruzifix (510), das er in einer Handschrift datiert. Er sandte es auch Emi- lien im Briefe vom 14. März und bemerkte dazu, es sei am 21. Februar geschrieben. In einem Briefe von Anfang März an Lenau äusserte Emilie sich apologetisch über ein Christusbild an einer Felswand, wohl auf ein Gespräch mit dem Freunde über dieses Kruzifix zurückgreifend. Darauf antwortet Lenau : « Ihr Brief und namentlich die feine, gemütvolle Art, wie Sie (4) E. GEIBELS, Gesammelte Werke. Stuttgart, Cotta, 3. Auflage, 1893, I, 3. 28 43% LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. das Kruzifix an Ihrer Felswand verteidigen, hat mir grosse Freude gemacht. Ich gebe mich überwunden. Ihr Gefühl hat meine ästhetische Grille zum Schweigen gebracht. Das ist wieder ein schöner Zug Ihrer schönen Seele, dieses Bedauern des Kreuzbildes, wenn es auf der Strasse oder dem Felde so preisgegeben dasteht. Ich möchte Sie küssen für dieses Gefühl. Es ist merkwürdig, dass wir beide uns zugleich mit dem Kreuze beschäftigten » (255). Diese lange Vorbemerkung bringt keine Aufklärung über die Entstehung. Die erste Strophe : Hält ein (') Mensch die Blicke himmelwärts, Und die Arme liebend ausgebreitet, Um die Welt zu drücken an sein Herz, Hat er sich zur Kreuzigung bereitet, legt die Vermutung nahe, dass die Gestalt eines Märtyrers dem Dichter vorgeschwebt hat. Der Brief vom 14. März an Georg Reinbeck bringt die erste Kunde von der Arbeit an zwei grös- seren epischen Gedichten: Huss und Hutten. An den böhmischen Reformator, der standhaft den Feuertod erlitt, mag Lenau gedacht haben. Als die « höchste Liebe » bezeichnet er das « göttliche Kind » in einem späteren Schreiben vom 9. Dezember dieses Jahres an Sophie (270). Wollte er ihr dies erhabenste Beispiel wahrer Liebe entgegenhalten ? Fast gleichzeitig mit den beiden vorigen zweistrophigen Gedichten erschien in der Wiener Zeitschrift (20. Juni 1837), unter der Überschrift Wahrheit im Schmerze, der Achtzeiler Der Schmerz (350), für den wir keine anderen Anhalts- punkte als den Erstdruck und die Tatsache haben, dass er sich in Form und Inhalt den Erzeugnissen dieser Zeit anschliesst. Letzteres gilt auch für das gleich kurze Gedicht Scheu (510), das in den Neueren Gedichten auf Kruzifix folgt. Ich kann mich (4) ein statt der in drei Handschriften und im Erstdruck. LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 4. TEIL. 435 nieht der Meinung von Ida Klein (1) anschliessen, dass die Verse sich auf Lenaus Jugendfreund Braun von Braunthal beziehen, der im März 1837 seine Gattin verlor und zugleich eine schwere Krankheit zu bestehen hatte. Bis in den Anfang des Jahres 1837 dauerte das freundschaftliche Verhältnis zu diesem Schriftsteller nicht an. Ein Brief Lenaus vom 5. Dezem- ber 1836 an Grün (894) lässt eine wohlverdiente Verachtung des Jugendfreundes durchblicken, die sich mit der Tatsache, dass er ihn kurz darauf besungen haben soll, nicht verein- baren lässt. Gelegentlich eines Ehrenhandels mit A. Grün nannte Lenau, im Oktober 1837, Braun von Braunthal einen « Hund, der sein eigenes Gespeie auffrisst » (?). Eingehend begründet er seine Verachtung in einem Gespräche mit Max Löwenthal vom 17. Januar 1839 (°) und äussert sie noch einmal in einem Briefe an Sophie Löwenthal vom 7. September 1840. Sichtlich beeinflusst von Lenaus Gedicht ist G. Herwegs Sonett Nr XXI: Sei mir gesegnet, frommes Volk der Alten, Dem unglückselig sein hiess : selig sein, Das jedes Haus, in das der Blitz schlug ein, Für ein dem Zeus geweihetes gehalten ! Du fühltest wohl, des Himmels heimlich Walten Enthüll’ sich den Geschlagenen allein, Und da leucht’ erst der Wahrheit voller Schein, Wo sich das Herz, der Wolke gleich, gespalten. (4) Auf denselben Gedanken, der den Versen Scheu zu grunde liegt, ist das Gedicht Täuschung (316) zugespitzt : Trotz allem Freundeswort’ und Mitgefühlsgeberden, Bleibt jeder tiefe Schmerz ein Eremit auf Erden. (Vs 98 £.) (1) Kritische Studien. Prag, Calve, 4891, II, 306. (2) Aus Bauernfelds Tagebüchern (Grillparzer Jahrbuch, \V, 80). (%) Lenau und Löwenthal, S. 72. (*) Gedichte eines Lebendigen, Zürich u. Winterthür 1842, 5. Auflage, S. 155, 436 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. Die hier geschilderte stürmische Nacht ist dieselbe, die Lenau in einem Briefe vom 15. August 1835 an Emilie Reinbeck beschreibt, mit der Bemerkung, er werde diese Nacht noch ein- mal in einem Gedichte ausmalen. Die Übereinstimmungen sind mitunter wörtlich : « Die Blitze gossen sich wie Ströme auf die steilen, grauen Kalkfelsen herab. Der Donner, der Sturmwind, der sich in den Klippen wie in einer Riesentuba verfing und nicht brauste, sondern eigentlich klang, das Rauschen des Wassers, und das von Zeit zu Zeit ertönende Geschrei einer Eule, das alles drang die ganze Nacht auf mich ein und erhielt mich in der Spannung eines schauerlichen Entzückens » (220) : Das Käuzlein traurig ruft in öder Felsenritze Und grüsst mit seinem Lied des Himmels wilde Blitze. Verfangen in der Schlucht, die lauten Winde rasen, Die zu der Wolkenschlacht die Riesentuba blasen. Mit Stimmen mannigfalt hör ich den Giessbach klingen, Wie Donner, Kauz und Wind scheint er zugleich zu singen. (Vs 4 f., 9-19.) Die Betrachtungen, die Lenau an diese stürmische Nacht knüpft, beruhen auf Schuberts Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften (1. Aufl. 1808). Eine Zeit seligen Friedens und paradiesischer Freuden, meint Schubert, war jene urgeschichtliche, wo der Mensch sich im innigsten Einklange, in tiefer Harmonie mit der ganzen äusseren Natur befand. Übertreten ward dieser alte Bund des Menschen mit der Natur, zerstört die lebendige Harmonie des Einzelnen mit dem Ganzen (S. 7 ff.). Dies eben beklagt Lenau : Einsame Klagen sind’s, weiss keine von der andern, Wenn sie zusammen auch im wilden Chore wandern. Drum ist die Erde ja ums Paradies betrogen, Dass ihre Luft ertönt von dunklen Monologen. (Vs 19-22.) LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 41. TEIL. 4837 In aller Naturwissenschaft will Schubert nun den ewigen Bund, die Beziehung des Einzelnen auf das Ganze wiederfinden, und « wenn sich hierdurch », so beschliesst er seine erste Vorlesung, « auf einen Moment der allgemeine Sinn und Geist der Natur vor der Seele verklärt, möge das Gemüt lernen, dass die Kräfte des Einzelnen nur für das Ganze, nur in Harmonie mit diesem sind, und dass es das höchste Ziel, der höchste Beruf des Lebens sei, dass das Einzelne sich selber und sein ganzes Streben dem allgemeinen heiligen Werke des Guten und Wahren zum Opfer bringe » (S. 23): Wenn alle Klagen einst in diesen Erdengründen, Was jede heimlich meint, einander sich verstünden : Dann wäre ja zurück das Paradies gewonnen, In einen Freudenschrei das Klagg.wirr zerronnen. (Vs 23-26.) Das tief pessimistische Gedicht, das so finster über das Leid aller Kreatur klagt, versetzt Reynaud (!) zu früh in den August oder September 1835. Schurz bemerkt in seinem Exemplar der Gedichte : « 1836 oder 1837 ». Der Erstdruck in der Wiener Zeitschrift (30. November 1837) erlaubt nicht, dem Jahre 1837 den Vorzug zu geben. Täuschung gehört in die Zeit « perma- nenter Verstimmung », in der, wie der Dichter im Juni 1836 Emilien schreibt, « widerliche Vorfälle in’ meinen Privatver- hältnissen, noch widerlichere in meinen öffentlichen, verbunden mit körperlichen Störungen dahin zusammengewirkt, mich in einen Zustand dumpfen Verdrusses zu setzen » (582). Einen tiefen Eindruck machte die Schlusswendung, der Gedanke, dass jeder tiefe Schmerz ein Eremit auf Erden bleibt, (1) These auxiliaire Nr AA. 438 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. auf Moritz von Hartmann, der in seinem Intermezzo (XXVI), Lenaus Täuschung zusammenfassend, singt : So muss ich auch durch die Natur Daran erinnert werden, Dass ich mit meinem Schmerze nur Ein Eremit auf Erden, und später im Gedichte Herbst das Bild wieder aufgreift : Sitz am Kamin und starre in die Flammen! Des Herzens Eremit wird gleich erwachen. (1) Eine zweite poetische Schilderung der erwähnten stürmischen Nacht flocht Lenau in Der ewige Jude (22) ein, der offenbar auf das Erlebnis zurückgeht, das Lenau Emilien im Briefe vom 15. August 1835 berichtet. Alle Bestandteile des- selben : das Jägerhaus, die Gemsen, das öde, von hohen Bergen eingeschlossene Felsental, das Gewitter, die schluchtverfangenen Sturmwinde finden sich im Gedichte wieder. Andere Motive liegen weiter zurück, wie der Vergleich von kahlen Felsenrissen mit Trümmern ausgetobter Leidenschaften (Vs 10 ff.), den ein Brief an Emilie vom 6. September 183% bringt : « Ungeheure Felsen liegen umher, als einzelne Ausbrüche, in denen sich ein grollender Geist Luft machte, und so starr und stumm sie auch daliegen, man spürt, wenn man sie betrachtet, noch etwas von der Erschütterung, mit welcher sie einst geschleudert „wurden » (172). Der ewige Jude verbindet den gläubigen Zug der älteren Früchte des Ausflugs in Steiermark mit dem pessi- mistischen von Täuschung. Den inneren Zusammenhang dieser Reiseerinnerungen andeutend, kehrt der Gedanke aus Weib und (4) HARTMANN, Werke I, 47 £., 296. LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 41. TEIL. 439 Kind und Auf dem Hochberg wieder, dass das Glück nur in der Bescheidenheit zu finden : Und ich empfand, als ich das Bild betrachtet : Ein Herz, das Lieb und Sorge dicht umhegen, Ist glücklich; und ein Herz auf stolzen Wegen, Auf Irrfahrt grosser Wünsche — herb verschmachtet. (Vs 61-64.) Reich ist das Gedicht an erlebten Versen, die unmittelbar aus Lenaus düsterer Seelenstimmung fliessen : « Dahin, dahin des Lebens helle Stunden ! Mir nachtet’s, Tal, wie dir! ich wollt ich wäre Versunken, eh mein, Licht versank, im Meere! » Ich rief’s und liess aufbluten meine Wunden. (Vs 4-94.) Es ist das Thema des Gedichtes An den Tod, das Lenau hier in auffallendem Gleichklang wieder aufgreift. Dem Innersten entquillt auch der Vergleich : Und heft’ger regnet’s; von erwachten Winden Ward Wolk an Wolke brausend zugetragen ; Wie zu des Herzens jüngsten Tränen, Klagen Sich alter Schmerzen ferne Quellen finden (Vs 25-98) sowie die Wehklagen, die der Dichter seinem Helden in den Mund legt, namentlich die Verse : Ich bin. aa So ran u ee Ein Halm, auf den es ewig niederhagelt (Vs 463) und: ige ig Nurich von Alten Kann unglückselig nie die Ruhe finden! (Vs 457 £.) Von « Todeswünschen » (Vs 40) ist die Lyrik des Jahres 1836 AAO LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. durchdrungen, der Dichter « liess aufbluten seine Wunden » (Vs 24). Der Geliebten ruft er zu : Wach auf, blüh auf aus deinen Todeshaften, O Liebe ! süsses Quälen! Hoffen! Sehnen ! (Vs 15 £.) Dem Verlodern des Liebesbrandes, der Asche der Gefühle im Gedichte An den Tod entsprechen hier die « Trümmer ausge- tobter Leidenschaften » (Vs 14). Vom Monate April dieses Jahres datiert der erste Liebeszettel an Sophie. Sie missversteht und betrübt den Liebenden. Als « brennenden Schmerz » fühlt er oft diese Liebe. Dann sehnt er sich fort von der Geliebten, von der ganzen Welt, in den Tod, und ausdrücklich bemerkt er; dass er dieser Sehnsucht « in den letzten Tagen recht nachhing » (245). So erklärt es sich vielleicht, dass Lenau in ein ursprünglich wohl nur als Reiseschilderung gedachtes Gedicht die Gestalt des ewigen Juden einführte. Das der einheitlichen Komposition so fühlbar ermangelnde Gedicht, das überdies an Weitschweifigkeit leidet, ist gewiss nicht aus einem Gusse. Es mag sein, dass die Reise- beschreibung, die ganz im Sinne derjenigen aus dem Jahre 1835 gehalten ist, früher entstanden als die Vision des ewigen Juden. Auch Reynaud (!) vermutet eine gleichartige Entstehung. Seiner Meinung, dass die endgültige Überarbeitung Ende August oder Anfang September 1838 erfolgt sei, widerspricht der Erstdruck in der Wiener Zeitschrift vom 3. Dezember 1836. Wie der ewige Jude muss auch der Reiter in der Ballade Der traurige Mönch (219) « nur den Tod sinnen » (Vs 64), nachdem - Der grosse und geheime Schmerz, Der die Natur durchzittert, Den ahnen mag ein blutend Herz, Den die Verzweiflung wittert, Doch nicht erreicht, (Vs 49-53) (4) These auziliaire, Nr 132. LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. AAN ihn durchschauert. Es ist wieder der « tiefe Schmerz », der « trotz allem Freundeswort und Mitgefühlsgebärden ein Eremit auf Erden bleibt ». Von Mitleid mit dem traurigen Mönche wird der Reiter übermannt (Vs 48), er weint über ihn (Vs 54), und als der Mönch auf seine flehende Bitte endlich Das Ungeheure sagen will : Ruft er entsetzt : « Sei still! sei still! » (Vs 59 £.) Von nun an winkt dem Reiter der Mönch aus jedem Strauche, Und alle Blätter klagen, Die ganze Luft ist wund und weh. (Vs 70 £.) Die Anregung zu dieser Ballade gab der Schwede Hagberg im Oktober 1835. Nach dem Berichte von Frankl (S. 41) kam er an einem Abende Lenaus Aufforderung nach, schauerliche Geschichten aus dem Norden zu erzählen. Schurz (1, 329) und Grün (S. 24) bestätigen die Angabe von Frankl. Es ist ein Irrtum Sophies, wenn sie in ihrem Exemplare bemerkt : « nach einer Erzählung von Martensen ». Sie irrt sich auch wohl in ihrer Bemerkung über die Entstehungszeit : « In Penzing, glaube ich, im Kleyleischen Hause in der Schmidgasse ». Dort wohnte Lenau im Sommer 1837, während aller Wahrschein- lichkeit nach die Bearbeitung im ersten Halbjahre 1836 erfolgte. Offenbar ist der innere Zusammenhang mit den Gedichten dieser Zeit, die sämtlich das Motiv des Schmerzes so stark in den Vordergrund rücken. Wir wissen vom trübseligen Briefe, den Lenau im Juni an Emilie schrieb. Diesem steht ein nicht minder missmutiger Zettel an Sophie aus derselben Zeit zur Seite. Es betrübt ihn, dass Sophie ihn immer wieder fühlen lässt, wie grossmütig sie sich darüber hinwegsetzt, dass er ihr zu alt ist. Sie hat sein Herz 442 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. zurückgeschüchtert, und fortan wird er sein Gefühl verschlies- sen in seine herbstliche Einsamkeit (246) (*). Zu der Spannung mit Sophie Löwenthal gesellte sich eine mit A. Grün, die plötzlich eine eben sehr zutraulich und intim gewordene Freundschaft verschüttete. Wenn Lenau im Berichte an Emilie über dieses Zerwürfnis (581) den Satz fallen lässt, er wolle das Herz nicht behandeln wie einen Hund, den man mit Püffen dressiert, so liegt hierin wohl ein Seitenstich auf die Geliebte. Der 17. Juni dieses Jahres eröffnete die « widerlichen Vorfälle » im öffentlichen Leben des Dichters, die endlosen Plackereien von seiten der Polizeioberdirektion wegen Zensur- vergehen. Als Motto zu Der traurige Mönch erschienen im Erstdruck (im « Album zum Besten der Verunglückten in Pest und Ofen » herausgegeben von Fr. Witthauer) die Verse Einklang (?), die uns sagen, dass die Ballade um Mitternacht entstand, und dass ihre zwölf Strophen den zwölf Glockenschlägen entspra- chen. Irrtümlich bringt Schurz (%) das Motto in Verbindung mit dem Gedichte Am Sarge eines Schwermütigen. Wahrscheinlich schrieb Lenau auch im Juni den mit allen diesen Schmerzgedichten zusammenhängenden, in keine Ausgabe aufgenommenen Vierzeiler Das Wetter hat geschla- gen (‘): Das Wetter hat geschlagen Der Erde bis ins Herz, Und leichter kann ich tragen | Im Sturme meinen Schmerz. | (1) Die Rückseite dieses Zettels (siehe Lenau und Löwenthal, S. 593) bringt einen Vermerk, der als der Keim des dramatischen Bruchstückes Helena anzusehen ist, das folglich am wahrscheinlichsten in dieses Jahr zu versetzen ist. Die Liebe zu Sophie beeinflusste die Wahl des Stoffes, und bezeichnend ist u. a. der Vers: Die Liebe ist das ältste Recht auf Erden. (Vs 64.) (@) Nachtass, 1851. Nicht in der Ausgabe des Insel-Verlags. (3) ScHURZ, 11, 60 (Fussnote). (4) Erstdruck in Lenau und Löwenthal, S. 593. LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. 443 Er erinnert an das Gedicht Scheu, auch an Vs 61 f. des Savo- narola : Der Himmel mit den Lenzgewittern Der Erde wohl zum Herzen drang und findet sich auf der Rückseite des erwähnten Zettels an Sophie, der auch die Notiz zu Helena bringt. Ausser in den Sophiegedichten dieses Jahres, die wir im folgenden Abschnitt zusammenfassend betrachten, kehrt das die ganze Lyrik dieser Zeit beherrschende Motiv des Schmerzes wie- der in Herbstlied (325) (Ja, ja, ihr lauten Raben). Sophie datiert es falsch in ihrem Exemplar mit : « In Penzing in unserm Garten im Herbst 1838 in der Schmiedgasse ». Der Erstdruck erfolgte ein Jahr vorher, und sogar die Aufnahme in die Neueren Gedichte hätte Sophie vor dieser Zeitbestimmung warnen müssen. Am 29. Oktober 1836 schreibt ihr Lenau : « Auch standst du immer in deinem schwarzen Anzug vor mir, und ich wünschte fast, du trügest ihn für mich. Doch nein. Ich will mein Bündel noch eine Strecke tragen, muss ich auch damit an deinem Grabe vorbei. Vorbei nicht, aber vielleicht bis hin. Ich weiss es nicht » (265). Das Bild des Bündeltragens stammt wahrscheinlich aus dem kurz vorher geschriebenen Gedichte : Auch mir ist Herbst, und leiser Trag ich den Berg hinab Mein Bündel dürre Reiser, Die mir das Leben gab. (Vs 13 ff.) Wie im Gedichte so klagt Lenau auch in den Zetteln von Ende Oktober den Freuden des Zusammenseins mit Sophie nach sowie über seine Einsamkeit und über die traurigen Gedanken, denen er nachhängt. Am 23. Oktober scheiden die Liebenden in Penzing voneinander, in die Entfernung der Wohnungen in Wien kann Lenau sich nicht finden. Vorüber, stöhnt er, ist die schöne Zeit, vorüber die schönen, vielleicht nie wiederkehrenden Abende in Penzing. Das heitere Wetter des 25. Oktober tut Ak LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. ihm fast weh, weil’ er nicht mehr bei ihr ist, am 27. erwacht er mit dem Gefühle ihrer unmittelbaren Gegenwart, glaubt sie in seinen Armen zu halten, und es währte lange, « bis ich wieder wusste, wo und dass ich allein war » (364) : Ich wandre hin und stiere In diese trübe Ruh, Ich bin allein und friere Und hör euch Raben zu. (Vs 9-12.) Das Lied liegt handschriftlich in einer Reinschrift vor, die Lenau Sophie überreichte. Frei von der herben Wehmut der Gedichte des Jahres 1837 ist nur Hypochonders Mondlied (355), das der Dichter, laut einer gütigen Mitteilung der Gottaschen Buchhandlung an mich, seinem Verleger am 25. September mit der Bemerkung sandte : « Beiliegend folgt das bewusste Mondlied fürs Morgen- blatt ». Dort erschien es bereits am 6. Oktober. Ausnahms- weise können wir hier nur einen kurzen Abstand zwischen Abfassung und Erstdruck annehmen. Wahrscheinlich fällt die Entstehung in den September, während der kurzen Reise, die Niembsch in Gesellschaft des Grafen Alexander von Württem- berg nach Schwaben unternahm. Die Reise entriss den Dichter, wenn auch nur auf kurze Zeit, der dumpfen Schwüle der Lei- denschaft, seine Gesundheit erfuhr die wohltätigste Wirkung von der beinahe ununterbrochenen Bewegung in freier Luft (591), auch bot sich ihm reichliche Gelegenheit zur Naturbetrachtung. Das Lied, das sich in Gegensatz zur deutschen sentimentalen | Monddichtung stellt, bildet eine reiche Fundgrube für die | Sagenkunde vom Mond. Wieder datiert Sophie es falsch : « In der Johannisgasse », wo Lenau erst seit dem November 1837 wohnte. Gepaart geht diese Lyrik des Jahres 1836 mit der Arbeit am Savonarola. « Meine poetische Aufgabe », schreibt Lenau am 29. April Emilien Reinbeck, « ist eine grosse epische Trilogie : Huss, Savonarola, Hutten. Ich mache den Anfang mit dem LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 1. TEIL. 445 zweiten. Geben Sie mir Ihren freundlichen Segen zu dieser Arbeit. Sie macht mir viel Freude » (581). Bereits am 14. Juni kündigt er Martensen, den er im März kennen gelernt, und gleichzeitig Emilien die Vollendung von sechs Romanzen an (582, 584). Allem Anscheine nach sind diese sechs Romanzen die sechs ersten des Epos. Von der siebenten an stiess der Dichter auf die Schwierigkeit, Savonarola predigend einzu- führen, auf eine dramatische Ader, die er zunächst für unver- einbar mit der epischen Form des Gedichtes hielt. Verwandte Motive mit der Lyrik der Zeit haben wir bereits angemerkt, ein weiteres sind die Gewitterbeschreibungen ('), ähnlich denen in Täuschung und Der ewige Jude. Am 30. Juli schrieb Lenau unter dem Titel Während eines Gewitterregens (?) in das Fremdenbuch des Gasthauses Wassnix bei Reichenau den Vierzeiler : Der Himmel badet voll Erbarmen Die Wurzel jedem Baum und Busch, Wie Jesus einst den Müden, Armen Herabgebeugt die Füsse wusch. Die Verse bilden mit einigen Abweichungen die vierte Strophe des ersten Gesanges des Savonarola und sind nachträglich in das Epos aufgenommen. Lenaus Wandlung kündigt sich in der Lyrik (1836) nur in den Gedichten Kruzifix und Der ewige Jude an. Desto heller leuchtet sie bereits aus den sechs ersten Gesängen des Savona- rola hervor. Mein Geist in schlummerlosen Nächten Durch diese Welt zu Gott sich rang, O zeige mir den Weg, den rechten! Fleht ich zu Jesu heiss und bang. (Vs 141-144.) (@) Vs 2, 7,14, 17£, 2, 51 f., 59, 146 f., 153. Zweimal (Vs 10 f., 453) wird ein blitzgetroffener Baum erwähnt, wie der blitzgetroftene Hain im Gedichte Scheu. (2) Erstdruck in Werke hrsg. von Grün. Stuttgart, Cotta, 1880, unter Lyrische Nachlese. Wie das vorige nicht in der Ausgabe des Insel-Verlags. AA6 LYRIK- DER SAVONAROLAZEIT. — 4. TEIL. Die Schrift des Herrn, die Bibel, ist ein « Wald voll Balsam- kühle und ewig grün », Wohin aus banger Lebensschwüle Gekränkte Wandrer flüchten gern. (Vs 4-44.) Von vornherein ist der Dichter bestrebt, den Duft religiöser Anschauung durch das Ganze zu erhalten, dass er nirgends ver- fliege (582). Dieser Duft setzt freilich einen « religiös organi- sierten Geruch » voraus. Es kann den Eifer des Verfassers nicht schwächen, dass dieser Geruch so selten ist (584), dass nur wenige Leser dem « ganz innerlichen » Gedichte (ss2) Ver- ständnis entgegenbringen werden. Die Bekanntschaft des jungen dänischen Theologen Hans Lassen Martensen, die Lenau Ende März 1836 machte, wirkte nur bestärkend auf die seit anderthalb Jahren erfolgte Rückwen- dung zur geoffenbarten Religion. Ein Gespräch mit Martensen war ihm ein wahres Vernunftbad. Nie hatte er einen so speku- lativen Kopf gefunden, kaum einen Menschen, dessen ganzes Leben so unverrückbar aufs Ideale gerichtet, mit der kind- lichsten Frömmigkeit und einer bezaubernden Herzensreinheit eine so sieghafte Gedankenmacht vereinigte (ss1). Vortrefllich fand er, was Martensen ihm sagte von der positiven Religion als einer absoluten Voraussetzung und von der Begründung alles Lebensorganismus durch diese Voraussetzung (584). Dasselbe hatte er schon bei Herbart gelesen, und was er im Briefe vom 14. Juli 1836 an Martensen über das Böse in der Welt und die Unterordnung der einzelnen Organe zum grossen Werke des Geistes schreibt, lehnt sich eng an Herbarts Lehre an. XXXVI Sophiegedichte. 3. Reihe. — 1836. Tod und Trennung. — Jugend und Liebe. — Frage. — Neid der Sehnsucht. — Meine Rose. — Der schwere Abend. — Mit einem Edelmardermuf. Den Spuren der Entfremdung von Sophie Löwenthal im ersten Halbjahre 1836 sind wir bereits nachgegangen. Deut- licher als in den allgemeinen Schmerzgedichten zeigt sich dieser Riss in Gedichten, die einen mehr oder weniger unmittelbaren Bezug auf Sophie aufweisen. Sophie selbst deutet die Spannung an, wenn sie die Verse Tod und Trennung (317) mit der Bemerkung versieht : « Während eines Zerwürfnisses mit Sophie ». Die Möglichkeit eines Bruches mit der Geliebten bringt den Dichter auf eine Berichtigung des Gedankens « Todbetten Heissgeliebter sind das Furchtbarste » (126). Wie furchtbar sie sind, führen die drei ersten Strophen aus, es gibt jedoch etwas Schreklicheres als den Tod, das ist die Trennung zweier Herzen : Doch ein Anblick tiefrer Trauer, Bänger als des Sterbens Schauer, Wär es, könnt ein Aug es fassen, Wie zwei Herzen sich verlassen. Der Erstdruck in der Wiener Zeitschrift vom 8. Juni 1837 ver- bietet, das Gedicht auf ein späteres Zerwürfnis, das vom Okto- ber 1837, zu beziehen. 448 SOPHIEGEDICHTE. — 3. REIHE, Diesen Irrtum begeht Reynaud (!) bezüglich des Sonetts Jugend und Liebe (297). Richtig weist er auf eine Liebes- enttäuschung als Anlass hin, die er in den Oktober 1837 ver- setzt. Wieder belehrt uns der Erstdruck im Österreichischen Musenalmanach für 1837, dass das Gedicht früher entstanden. Von der Sendung desselben, nebst dem Sonette Frage, an den Herausgeber des Almanachs, Braun von Braunthal, benachrichtigt Lenau am 5. Dezember 1836 A. Grün. Braun von Braunthal hat Lenau « entsetzlich zum Beitritt geschraubt », indem er behauptete, an seiner Weigerung müsse das Unternehmen scheitern. Da Braun sich auch nicht als Herausgeber nennen wollie, liess Niembsch sich bewegen, ihm einen kleinen Beitrag zu geben, um nicht den gehässigen Schein auf sich zu ziehen, als hätte er ein vaterländisches Institut hintertrieben (894). Im Motive ist das Sonett mit den Gedichten Tod und Trennung, An den Tod und stellenweise mit Der ewige Jude verwandt. Es erwähnt das Erkalten eines Herzens, das geliebt (Vs 6), die leichte Flucht der Liebe (Vs 10), den « herben Tod des Schönen » (Vs 12). An diesen Kann sich das Herz auch sterbend nicht gewöhnen (Vs 14), immer sucht es, « noch den Traum zu halten » (Vs 7), sich an den Trost zu klammern, das Erkalten sei nur ein stiller gewor- denes Empfinden (Vs 8), im « treuen Wahne » zu beharren, das Schöne bliebe ihm noch (Vs 13). Treuer Wahn war das Sonett im Erstdruck überschrieben. Das Erkalten Sophies deutet der Liebende in dem Sonette Frage (297) (Bist du...), das in einer Handschrift Nachwirkung überschrieben, als eine Schuld. Wie der verschwommene und beklommene Eindruck, den ein böser Traum beim Erwachen hinterlässt, kann eine hienieden begangene Schuld uns folgen (1) These auziliaire, Nr 170, SOPHIEGEDICHTE. — 3. REIHE. 449 ins Jenseits, dort nachwirken als eine dunkle Klage und der Seele ihren Frieden stören. Wenn auch der Dichter das Sonett erst am 16. Januar 1837 Emilien Reinbeck mitteilte, so bezeugt doch die frühere Sendung an Braun von Braunthal, dass es im Jahre 1836 entstanden. Die späte Übergabe an Emilie kann auch nicht als ein Anhaltspunkt gelten für eine Entstehung zu Ende des Jahres 1836. Bessere Stimmung brachte der Sommer, den Lenau in Sophies Nähe, in Penzing im gräflich Christalniggschen Hause zubrachte. Ende Juli reiste er wieder ins Hochgebirge nach Reichenau und schrieb in dem kurzen einwöchigen Aufenthalte dort täglich Liebeszettel an Sophie. Sie unterscheiden sich merklich von den früheren aus dem April und Juni. Jede Spur von Missverständnis ist verschwunden. Im Glorienscheine der reinsten Verklärung erscheint ihm die ferne Geliebte. Sie ist ihm die « wunderbare Vereinigung, die lebendige Fülle alles Wahren und Schönen », das ihn warm und unmittelbar anweht in ihrer Nähe. Seine Schuld an sie ist unermesslich wie die Welt, die einst verlorene, die sie seinem Herzen wiederge- schenkt (249). i Heftige Sehnsucht nach der Geliebten durchbebt fast jede Feile dieser Zettel wie die Verse Neid der Sehnsucht (x), die Sophie in einer Abschrift 1836 datiert. Das Gedicht scheint während einer Trennung von Sophie geschrieben zu sein : Und ich muss trauern, Denn nimmer strahlt mir Dein Aug, o Geliebte! (Vs 8-10.) Nun bist du ferne. (Vs 34.) « Nie war mir die Trennung von dir so schwer gefallen », schreibt Lenau am 24. Juli (238); am 25. : « Einsam bin ich hier, ganz einsam. Aber ich vermisse in meiner Einsamkeit nur 29 450 SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. dich. Nur du bist mir unersetzlich » (249); am 26. : « Wenn du nur da wärst, liebe Sophie!... mir geht hier gar nichts ab als du » (250); am 27. : « Es ist mir doch jeder Tag aus dem Leben gestohlen, den ich ohne dich verlebe » (251); am 28. : « Wenn die Abendstunde kommt, dann genügt mir nichts mehr, und ich möchte nur bei dir sein » (252). — Auch die Verherr- liehung des Auges der Geliebten, auf welche das Gedicht gestimmt ist, findet sich bereits in den Bekenntnissen aus Reichenau, so im Zettel vom 24. Juli abends, wo der Dichter der Morgenstunden mit Sophie gedenkt, « von Zeit zu Zeit angestrahlt von deinem Blicke » (248), und in dem vom 27., der knapp das Grundmotiv aussprieht : « So schön hat noch kein Sterblicher Verse gemacht, dass sie einen Blick von dir ersetzen könnten » (251). Eine Fülle von Lobpreisungen des Auges der Geliebten bringen die Schreiben aus folgender Zeit bis in das Jahr 1842 hinein, von denen eins der bezeichnendsten Sophie zugleich als Übung im Lateinischen dienen sollte : « Vellem esse teeum incarceratus, o duleissima, solus et solummodo tan- tum lueis in earcerem venire, quantum sufficeret ad videndum oculos tuos, in quibus totum mundum omnesque ejus delicias conspicerem refulgenter » (568). Das in den Schlussversen ausgedrückte Neidgefühl : Und bitter beneiden Muss jeden Stein ich, Und jede Blume, Beneiden die kalten Menschen und Sterne, An die du vergeudest Die süssen Blicke kehrt auch in späteren Liebesbriefen wieder : « Ich beneide alle, die in deinem Zimmer liegen und schlafen, jeden Stuhl beneid ich, der an deinem Bett steht oder auf den du dein Kleid geworfen hast, ich beneide die Luft in deinem Zimmer, die deinen Hauch aufnimmt » (er1). — « Ich beneide die Taglöhner ° SOPHIEGEDICHTE. — 3. REIHE. 451 in eurem Garten, die dich täglich sehn und grüssen kön- nen » (525). — « Wer weiss, wer jetzt an meiner langentbehrten Quelle sitzt, ... wer weiss, welcher Wicht dabei sitzt und ihrer nicht froh werdend sein Bier trinkt » (559). In Reichenau arbeitete Lenau, wie er Sophie mitteilt, weiter am Savonarola. Einem Briefe an Max Löwenthal vom 11. August ist zu entnehmen, dass er dort die 15. und 19. Romanze schrieb. Es tritt also wieder dieselbe sprunghafte Arbeitsweise wie beim Faust ein. Den Monat August brachte der Dichter wieder bei Sophie in Penzing zu. Das Gedicht Meine Rose (a9:) ist vom Verfasser in der Handschrift August 1836 datiert. Es bezieht sich auf ein Unwohlsein Sophies, dessen Lenau am 10. August. gedenkt « Ist sie nicht krank? Das ist der Gedanke, der einzige, dessen ich fähig bin, seit ich dich im Vorüberfahren an deinem Fenster stehen sah. Als du so müde und schwach zusammenbrachest auf deinen Sofa und mich mit einem Blicke tiefsten Leidens ansahst, ward mir im Herzen, als ob mein ganzer Himmel zusammenbräche, ich fühlte mich im Innersten geschlagen und gebeugt. Es zog mich heftig, zu deinen Füssen zu sinken, da sagtest du, ich solle gehen, und ich ging » (235). Schurz über- liefert uns in seinem Exemplar eine Bemerkung von Sophie, die in ihrem Exemplar fehlt, aus dem die Seiten 99 bis 110 herausgenommen sind (t) : « In Penzing 1836 im August. Niembsch sagte mir, es war bei einem Gang im Garten. » Der innere Anlass war das schmerzliche Zusammenbrechen Sophies, der äussere das Begiessen einer Rose gelegentlich eines Spazier- ganges im Garten des Löwenthalschen Landhauses. Wenige Tage später sind die berühmten Verse Der schwere Abend (2) geschrieben. Sophie datiert sie in der Handschrift « Penzing, August 1836 » und übereinstim- (1) Die fehlenden Seiten enthalten die Liebesklänge : Wunsch, An den Wind, An die Enifernte, Meine Rose, An *, Kommen und Scheiden, Liebesfrühling, Frage nicht. A 452 SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. mend in ihrem Exemplar : « In Penzing im Kristallniggischen Hause im August 1836 ». Die gewohnten Spaziergänge im Löwenthalschen Garten in Penzing erwähnt Lenau bereits in einem Zettel aus Reichenau : « Bald ist die Stunde unseres gewohnten Spaziergangs. Denk an mich, wenn du an unsre Bank kommst. Dieses Brett möchte ich einst zu meinem Sarge haben » (2,7). Ein Tag galt ihm als beschlossen, wenn er im Garten von ihr ging (262). Ein Regen freut ihn, weil er dem Garten für den nächsten Sommer mehr Schatten gibt (273). Träume versetzen ihn in diesen Garten (312). Oft sitzt er lange allein darin, Sophies gedenkend (300). Ungeduldig erwartet er sie öfters dort, immer nach ihr umblickend, alle die gewohnten Wege versuchend (304). Von ganz ähnlichen Gefühlen wie die im Gediehte ausgedrückten ward Lenau im September in Stuttgart heimgesucht : « Ich denke immer nur an dich und an den Tod. Mir ist oft sehr ernstlich zu Mute, als ob meine Zeit abgelaufen sei. Ich kann nicht dichten, ich kann mich an nichts freuen, nichts hoffen, ich kann nur an dich denken und an den Tod » (256). Auch könnten noch die zahllosen Stellen heran- gezogen werden, in denen der Dichter selbst seine Liebe als eine unglückliche bezeichnet. Das Gedicht bietet die genaueste Kennzeichnung der Liebe zu Sophie, die als eine « traurige, bange, schwere, heisse und stumme, trübe und sternlose, zu Tränen nur gemachte » bezeichnet wird. Brachten die Gedichte an Lotte und, wenn auch in minderem Masse, die an Berta dem Dichter eine wirkliche diehterische Befreiung, so gab er nach seinem eigenen Zeugnis mit « jedem Gedicht » an Sophie « ein Stück Leben dahin », « opferte seinem Dichterstreben sein Herzblut » (27). Wie wenig Befreiung die Diehtung ihm hier bot, sagt er selbst : « Ich möchte meine Schriften mit Füssen treten, wenn sie sich einbilden wollen, mich darüber zu trösten, dass du nieht mein bist » (455). Als Lenau am 13. März 1832 an Mayer schrieb, er wolle sein Herz durch und durch in Schmerz « mazerieren » in Sehnsucht nach den Geliebten, er wolle sich selbst ans Kreuz SOPHIEGEDICHTE. — 3. REIHE, 453 schlagen, wenn’s nur ein gutes Gedicht gäbe, da ahnte er nicht, in welch beispielloser Vollgiltigkeit sich diese Worte an ihm bewahrheiten sollten. Die Melancholie verband sich bei ihm mit dem Willen zum Schmerz. Dieser ist die treibende Kraft in seinem Leben und Dichten, gewiss nicht als bewusste Absicht- lichkeit, sondern als dunkler Drang, der ihm sagte, dass er des Schmerzes als Quelle seiner dunklen Poesie bedurfte. Ein helles Licht auf seine Diehtung wirft sein Ausspruch zu Karl Beck : « Nimm mir meine Krankheit und du nimmst mir meine Poesie » (!). Der Schmerz war sein Erbteil, seine Lebens- erfahrung, sein Lebenselement; er wurde auch sein Lebens- zweck. Er betrieb ihn wie einen Beruf und entwickelte eine unvergleichliche Fertigkeit in der Pflege desselben, er schwelgte darin bis zur Verzückung. Den glänzendsten Beweis dafür liefern die Briefe an Sophie, einen viel einleuchtenderen noch als die Gedichte; sie sind ein Hohelied auf die Wollust des Schmerzes. « Es ist mir doch sehr wohl dabei, so heimlich für dich zu bluten. O du liebes, gewaltiges Weib! » beichtet er (364) und : « Wenn ich bei Nacht erwache, so greift meine Seele gleich nach ihrem Schmerze wie die Mutter nach ihrem Kinde » (645). Er gesteht Sophie, dass er ein Melancholiker sei, dass der Kompass seiner Seele immer wieder zurückzittere nach dem Schmerze, dass alle Religion und Liebe ihm vielleicht nicht weiter helfen können, als diesen Schmerz zu verklären (260). In Sophie, die immer sein Herz hämmern hören musste, dass es zu zerspringen drohte (276), fand er die Frau, die er für seine Selbstzerfleischung und für seine Poesie brauchte. Es war ihm eine Lust, sich auf den ungestümsten Wogen der Leidenschaft herumtreiben zu lassen (466), sein Unglück war ihm sein Liebstes, weil es von ihr kam, und er betrachtete es gern im verklärenden Lichte eines allgemeinen Verhängnisses (435). « Der Dichter muss unglücklich sein », bekennt er am 7. Oktober 1837 seinem (1) Pester Lloyd, 1863, Nr 296. 454 SOPHIEGEDICHTE. — 3. REIHE. Freunde Max. « Das Organ, welches er besitzt, ist antizipiert, es gehört einem anderen Leben an, worin es erst seine volle Entfaltung findet, daher die Disharmonie mit dem jetzigen und der Schmerz darüber » (!). Von diesem Standpunkte aus erscheint eine Brandmarkung der Liebschaft ebenso müssig wie eine Verherrlichung derselben. Wie trefflich passt auf sie Feuchterslebens Ausspruch über den Dichter J. Mayrhofer « Wie hätte sie (die Liebe) im Leben dieses Dichters anders erscheinen können, als in Gestalt des Schmerzes? » (?) Aufschlussreich ist die Handschrift des Gedichtes, ein in die Zettel an Sophie eingereihtes kleines Blättehen, mit Bleistift ohne irgend welche Streichung geschrieben, die kleinen, zier- lichen Schriftzüge leicht auf das Papier hingeworfen, eine Dichtung im Stegreif und in einem Zuge verratend, die Über- schrift nachträglich in Tinte hinzugefügt. So dichtete Lenau die Perle seiner Liebesklänge, in der jedes Wort als die Frucht einer lange überlegten, fein gemeisselten, ausgereiften künst- lerischen Arbeit erscheint. Lenaus Zusammensein mit Sophie in Penzing wurde Anfang September unterbrochen durch eine kurze Reise nach Schwaben, die den alleinigen Zweck hatte, dem damals in Wien weilenden Grafen Alexander von Württemberg bei einem Säbelzweikampf mit einem gewissen Leutnant Lebret, dem Liebhaber der Gräfin Helene, in Ulm als Zeuge zu dienen. Lenau kam bis nach Stuttgart und brachte einige Tage bei der Familie Reinbeck zu. Anfang Oktober war er.wieder in Penzing, wie die mit dem 4. Oktober anhebenden Briefehen an Sophie erweisen, blieb dort bis gegen Ende Oktober und bezog dann wieder seine Wohnung in der Stadt bei Schurz. Die Liebesbriefe an Sophie nehmen um diese Zeit eine (1) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 11. (2) E. v. FEUCHTERSLEBEN, Ausgewählte Werke, S. 346. SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. 455 mystische Färbung an. Gott, Sophie und er müssen recht fest zusammenhalten und ihre Liebe, die weinende Waise, schützend in ihre Mitte nehmen. Der Liebende träumt sich in eine Welt,. wo diese Liebe gilt in ihrem ewigen Rechte (257). Aber auch auf Erden muss alles zu Schanden werden, was gegen sie ankämpft. Sophie ist seine Offenbarung, er dankt ihr seine Versöhnung hier und seinen Frieden dort (239). Martensen ward nach Kerner sein Lehrer in der Mystik. In Erwartung des Werkes, das der Däne über die Mystik vorbereitete, las er zu dieser Zeit das klassische Werk von Görres, das ihm eine neue Kräftigung der Anschauungen brachte, die Martensen ihm vor- getragen. In der Liebe gibt es nur einen Teufel, den hat er abgetan. Vor gewissen Gedankenreihen hat er jetzt einen Abseheu, dass er gewaltsam abspränge, wenn sie sich ein- stellen wollten (260). Sie stellen sich ein, und dann ist von dem gewaltsamen Abspringen nichts zu bemerken : « Es wäre fast eine Versündigung an deiner Seele, wenn mir dein körperlicher Besitz unentbehrlich wäre; und doch ist dein Leib so schön und seelenvoll in jedem Teile, dass ich wieder meinen muss, ich hätte deine Seele noch mehr inne, wenn auch dein Leib mir zufallen dürfte » (269). Alle Mystik half jedoch nur dazu, den Schmerz zu verklären. Dieser übertönt die Freudenklänge, wie laut mitunter diese auch erklingen. Die Prosa der sechszehn Zettel an Sophie aus dem letzten Vierteljahr 1836 reicht zum Ausdruck der Liebesempfindungen aus. Die dichterische Arbeit gilt ausschliesslich dem Savonarola. Der Dichter wagt sich nun an die schwierige Arbeit, die klaffende Lücke auszufüllen, an die Ausarbeitung der Predigten. « Das unvermeidliche Dogmatisieren in vierfüssigen doppeltgereimten Jamben » ging ihm, wie er am 5. Dezember Auersperg mitteilt, trotz seiner Schwierigkeit leidlich von statten (594). Hiermit sind wohl die Reden Savonarolas (Romanze 7 und 9) und die Antwort .Marianos (Romanze 8) gemeint. Auch die zehnte Romanze, Der Tod Lorenzos, war, wie aus einem Briefe Schur- 456 SOPHIEGEDICHTE. — 35. REIHE. zens vom %. Dezember an Mayer hervorgeht, zu dieser Zeit fertig (!). « Die Geschichte des reformatorischen Märtyrers », schreibt Sophie, « war ein würdiger Rahmen für des Dichters neuer- wachte Liebe zu einem persönlichen Gott, und in die Weih- nachtspredigt legte er sein Glaubensbekenntnis : Dann kehrt zu seinem Heiligtume Das sturmverschlagne Herz — und glaubt; Dann richtet die geknickte Blume Der Liebe auf ihr müdes Haupt. (Savonarola, Vs 489-492.) Das war vielleicht die glücklichste Zeit des Dichters. Es war seine Weihnachtszeit » (?). Merkwürdig stimmt die Erinnerung Sophies überein mit Lenaus bereits angeführtem, M. Löwenthal gemachtem Geständnis, er sei von Religion so sehr durch- drungen, so von der Iılee des Christentums erfüllt gewesen, gewissermassen so in dasselbe hineirblickend, wie weder früher noch seitdem jemals (?). Ein beredtes Zeugnis für dies Geständnis legen die um das Jahresende gedichteten Romanzen des Savonarola ab. Nicht Savonarolasche sondern Lenausche Gedanken werden hier vorge- tragen. Apologetisch und polemisch tritt er für das zur Zeit so hart und allseitig angefochtene Christentum ein. Er verteidigt es, wie Herbart, gegen die Naturphilosophie und den Pantheismus, gegen die Hegelsche Philosophie, gegen die Evangelienkritik von Strauss, gegen den Sensualismus Heines und der Antike. (1) « Niembsch ist gegenwärtig höchst wacker und springt von einer Savonaro- laschen Romanze auf die andere wie ein Eichhörnchen. Zumal die letzte fertig gewordene, Lorenzos Tod, comme il faut zum Küssen. Mir zittert die Hand schon freudig dem ganzen Savonarola zum Willkomm entgegen. » Original in Mayers Nachlass auf der Kgl Landesbibliothek in Stuligart. (2) ScHurz, II, 341; auch Lenau und Löwenthal, S 612. (%$) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 42. SOPHIEGEDICHTE. — 35. REIHE. 457 Er verherrlicht das Christentum als die Religion des Schmerzes, die Schmerz und Tod verklärt, geweiht und geheiligt. Andere Weltanschauungen als die christliche, die : Haben nichts für deine Klagen, Kein Strahl versöhnt die schwarze Kluft, Sie haben nichts für dein Verzagen, Und schaudernd sinkst du in die Gruft! (Savonarola, Vs 1109-1112.) Alle Bestandteile und Gedanken der Lenauschen Schutzrede finden wir bei Herbart wieder, namentlich den, dass allein die Religion dem trostbedürftigen Menschen den erhabenen Punkt bietet, von dem wahre Tröstung ausgehen kann und wirklich ausgeht, unter der Bedingung jedoch, dass die religiösen Vorstellungen nicht‘ theoretisch bleiben, sondern innerlich angeeignet werden. Ganz gleich sagt Lenau : Das alles aber ist verloren, Wenn’s nicht in euch lebendig lebt. (Vs 1137 £.) Auch die Stelle über das Gebet (Vs 1160-1172) geht auf Herbartsche Anschauung zurück. Als das grösste aller Übel bezeichnet Herbart die Herrschaft einer bestimmten Klasse oder Kaste in der religiösen Gemeinde; gerade das Eielste, die Religion, verwandelt sich, wenn es verzerrt wird, in das Abscheulichste und Verderblichste (II, 59, 69, 307). Dies ist einer der Grundgedanken des Savonarola, der in der 7. und 9. Romanze ausführliche Behandlung erfährt Auf Grund seiner Abneigung gegen die Priesterherrschaft erweist sich Herbart in seiner Lehre von der Religion als ein entschiedener Anhänger des Protestantismus. Des katholischen Dichters Bekehrung zur positiven Religion ist ganz protestantisch gefärbt. Ketzer sind die Helden, die er für die Diehtung ins Auge fasst, vielmehr Verfechter des freien Gedankens als des Glaubens, der Savona- 458 SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. rola ist eine Rechtfertigung der Reformation, zu der nicht, wie fast allgemein behauptet, Sophie Löwenthal den « mächtigsten Anstoss » gegeben, sondern Herbart und Martensen, wenn Lenau auch in den Liebesergüssen die Geliebte öfters als die Urheberin des Savonarola preist. Starken Nachklang findet in den zu Jahresende 1836 gedich- teten Gesängen des Savonarola die Schmerzdiehtung dieses Jahres überhaupt. Mariano will den « heiligen Schmerz » in Ruhe lullen (Vs 982), verschleiern die, Wunde, Die durch das Herz der Menschheit brennt. (Vs 994.) Unser tiefstes Fühlen ist der Schmerz, unser innerster Gedanke der Tod (Vs 1123 f.), nur das Christentum lehrt uns, dass sie der schwarze Untergrund zu der Blütenwelt der Liebe sind (Vs 1131 f.). Zu trösten wusste die Antike den Schmerz nicht, sie konnte'nur mild an ihm vorüberführen (Vs 1501 ff.). Einen starken lyrischen Einschlag zeigen sogar diese dogma- tischen Gesänge; hervorzuheben ist die Parallele zwischen der « stillen kühlen Nacht, der Zeit des Mitleids und der Güte » und der « längstvergangnen Nacht, die einst auf Judäa nieder- sank » (Vs 477-536), ferner die Verse über das Gebet (1161- 1176). Mit dem Vergleiche von Sophies Angesicht mit einem stillen Liede Gottes, mit dem Ausdruck « unaussprechlicher » Liebe schliessen die Liebesergüsse des Jahres 1836 (275). In so glück- licher Stimmung, wie zu Ende des Jahres 1836, feierte Lenau kein Weihnachtsfest mehr : O0 Weihnacht! Weihnacht! höchste Feier! Wir fassen ihre Wonne nicht, Sie hüllt in ihren heil’gen Schleier Das seligste Geheimnis dicht. (Savonarola, Vs 529-532.) SOPHIEGEDICHTE. — 3. REIHE. 459 Sein Weihnachtsgeschenk an Sophie begleitete er mit den sinnigen Versen Mit einem Edelmardermuft (1), in denen er mit den « blumenschöpferischen Händen » (Vs 7) auf Sophies Kunst der Blumenmalerei anspielt, die er, in einem Briefe an sie vom 14. Dezember 1834, so beredt und geistreich verteidigt, und zu welcher er sie so warm ermuntert. XXXVIN Lyrik der Savonarolazeit. 2. Teil. — 1. Halbjahr 1837. Freundschaft. — Auf eine goldene Hochzeit. — An den Frühling. — Auf meinen ausgebälgten Geier I. — Zweierlei Vögel. — An einen Tadler. — Einem Theater- dichter. — Albumblatt. Lenaus Iyrische Muse verstummt fast völlig in der ersten Hälfte des Jahres 1837. Savonarola, « der geistliche Herr », nimmt ihn ganz in Anspruch. « Die Schwierigkeiten der Ausfüh- rung sind oft unglaublich », kündet er am 16. Januar Emilien. « Doch es freut mich, Dinge poetisch durchzusetzen, an deren poetischer Darstellbarkeit wohl die meisten Menschen a priori verzweifeln » (596). Gleichzeitig berichtet er, die Arbeit stünde jetzt im letzten Drittel des Ganzen. Etwa siebzehn Gesänge waren folglich bis Mitte Januar fertig, was eine sehr fruchtbare Arbeit im Monate Dezember voraussetzt. In dieser findet Lenaus Gläubigkeit stets kräftigere Nahrung. Es gereicht ihm zum besonderen Vergnügen, mit diesem Werke gegen den herrschen- den Geschmack des Tages anzukämpfen. Dieser Geschmack, erfährt Emilie, sei ein schlechter Bastard der französischen Revolution. Die höchsten Interessen der Menschheit würden noch immer durch die trübe Brille der französischen Enzyklo- pädisten betrachtet, eine Brille, die durch den Blutdampf der Guillotine und der Napoleonischen Schlachten nicht durch- siehtiger geworden sei, als da sie noch auf Voltaires Nase gesessen (59). Auch das Selbstbewusstsein schwoll bei der Dichtung des Savonarola. Hier fühlte Lenau sich erst recht als der wahre Dichter, der, wie er zu Martensen äusserte, dem unwahren zeitlichen Bewusstsein der Menschen ein wahres Ewigkeits- hewusstsein entgegensetzen, richtende und freimachende Worte LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 2. TEIL. A461 in seine Zeit hineinsprechen müsse (!). Kerner wird am 23. Januar mit der Nachricht erfreut, dass « der alte Dämon, das pantheistische Luder », dahingeschickt sei, von wannen er gekommen, d. h. « zum Teufel ». Der Dichter hat in seinem Herzen scharfe Musterung gehalten, viel Gesindel daraus fort- gejagt und es umgeschaffen zur Herberge für gute, freundliche Gäste, wie Kerner sie liebte und hegte. Als Menschheitsideal schwebt ihm der mittelalterliche Mystiker vor mit dem « glü- henden, durchsichtigen Herzen » (897). Dementsprechend erreicht die Mystik in der Liebe zu Sophie im Anfange dieses Jahres ihren Höhepunkt (?). Es ist die Zeit, wo der Liebende tief zu empfinden glaubt, dass seine Liebe eine Übung für die Ewigkeit ist, dass die Liebe überhaupt nicht bloss da ist zur Fortpflanzung der Gattung, sondern gewiss und haupt- sächlich fürs ewige Leben der Individuen. Das Zeichen soll verabredet werden, dass die Liebenden sich im Jenseits geben wollen, um sich wiederzufinden (289). In einer Nacht, in der er mit schönen seligen Gedanken an Sophie erwacht, wird es ihm auf einmal sonnenklar, was « Gott mit unsrer Liebe will. Sie ist ein Teil seiner eignen Liebe. Ich werde dir das einmal erklären. Jetzt kann ich nicht, es ist zuviel » (290). Solchen Gefühlen entsprechen die gleichzeitigen Verse: Der-Bund allein wird lange dauern : Wenn froh in Gottes Angesicht Zwei Herzen aneinander schauern ; Der überwährt das Sternenlicht. Sie bilden die sechste Strophe der fünften Romanze Die Novizen des Savonarola und zugleich die Schlussverse eines eigenen Gedichts, das Lenau in. der Handschrift « Wien, 2%. März 1837 » datiert und Freundschaft überschreibt. Es entspricht genau den Versen 257-280 des Savonarola. Einen Freundschaftsbund, wie er hier geschildert, schlossen Savona- rola und der Novize Domenico, ging Lenau mit Martensen ein. (4, ScHurz, I, 360. (2) Vgl. S. 424 f. dieses Werkes. 462 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. --— 2. TEIL. Am wahrscheinlichsten sind die Verse nachträglich in den Savonarola eingeschoben ; sehr leicht lösen sie sich aus dem Epos los. Castle (t) fasst sie als eine Antwort auf einen Brief Martensens auf, den Lenau in einem Zettel an Sophie aus dem Februar 1837 (284) erwähnt. Das « Bündnis guter Herzen » feiert Lenau auch in dem Gelegenheitsgedicht Auf eine goldene Hochzeit (52), von dem uns Sophie in ihrem Exemplar mitteilt, es sei an die Eltern Sommaruga gerichtet, zur Feier ihrer silbernen Hoch- zeit. Tatsächlich findet sich das Wort silbern in der Überschrift der Handschrift. Die Handschrift belehrt uns auch, dass das Gedicht als Epilog zu dieser Hochzeit gedacht ist. Diesen Cha- rakter verraten deutlich eine Einleitungsstrophe und zwei Schluss- strophen, die in der endgültigen Fassung fehlen. Diesen Epilog sprach, wie uns wieder Sophie belehrt, die Schauspielerin Julie Rettich bei Sophies Eltern in der Annagasse. Einer freundlichen Mitteilung der Familie Sommaruga verdanke ich die Datierung des Gedichtes. Die Hochzeit fand statt am 7. April 1837. Ein « Bündnis guter Herzen » (Vs 29), ein « Asyl vor winter- lichem Leide » (Vs 12), eine « warme Quelle » (Vs 28), eine _ von der Liebe geschützte Oase (Vs 27) fand der Dichter in der Familie Löwenthal. Dort sammelte die Seele im stillen einen ganzen Schatz von Liebe, schreibt er später an Sophie (#1). Sie konnte ihr Lob aus den Versen heraushören (?). (4) CASTLE, N. Lenaus Savonarola (Euphorion, II, 87). (2) Irrtümlich ist das Gedicht auf die silberne Hochzeit von Sophies Eltern bezo- gen worden. Diese fand statt am %1. April 1833. Auf sie dichtete Max Löwenthal ein Karmen (Wien, gedruckt bei den Edlen von Ghelenschen Erben), in dem sich fol- gende Verse auf Sophie vorfinden : Und der Tochter holde Jugend Froh errötend vor Euch stehet, Um die Stirne Hauch der Jugend, Hauch bescheid’ner Anmut wehet, Himmelslicht im Auge wach. Ja, ihr habt sie mir gegeben Diese Treue, diese Milde, Dass sie schmücke mir das Leben, Gattin nach der Mutter Bilde, Und sie hält, was sie versprach. LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 2. TEIL. 463 Lenaus Quelle ist eine Stelle aus Schuberts Geschichte der Seele (S. 738). « Nach einer alten Erzählung des Bleskenius hatte sich vor Zeiten der Menschenfleiss an der nun ganz von Eis umschlossenen Ostküste von Grönland, mitten in die Wild- nis des Winters hinein, das Klima eines wärmeren Landes erschaffen. Ein Kloster, von Gärten umgeben, war an dem Fuss eines erloschenen Vulkanes erbaut, da wo dem verödeten Grunde beständig ein Strom und Dämpfe des heissen Gewässers entstiegen. Durch die Küche wie durch die Fussböden und Wände der Zellen, durch die Höfe wie durch die Gärten, war der wärmende (Quell hindurchgeleitet und verbreitet, und sein Aushauch gab mitten in dieser Heimat des Winters den Bäumen und (Gemüsen einer gemässigten Zone ihr Gedeihen ; machte selbst in der Zeit der Polarnacht den lebendigen Bewohnern den Aufenthalt im ewigen Eislande behaglich. » Ein Frühlingslied des Jahres 1837, das eine südländische Lenznacht schildert, bringt der Savonarola : Die Frühlingslülte flüstern, scherzen Und halten in den Lauben dicht Glühwürmer, ihre schwanken Kerzen, Versteckten Rosen ins Gesicht. Die muntern Frühlingswinde stehlen Den Blumen ihr Geheimnis bald, Das süsse Duften, und erzählen Frohlockend es im ganzen Wald. Im Busche singen Nachtigallen Ihr ungestörtes Wonnelied, Springbrunnen mondbeflimmert schallen, Die Wolk am Himmel lustig zieht. 3 (Vs 2585-2596.) Auf den Frühling des Jahres 1837 freute sich der Dichter nicht, weil er für die Wünsche der Liebe ein Winter war (289), weil er ihm diesmal wie ein schöner Räuber nahte (391). Er zerstörte die reiche, innere Welt des winterlichen Zusam- 464 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 2. TEIL. menlebens. « Was helfen mir die Blüten und Vögel, wenn ich dich nicht küssen kann » (291). Das Klagelied über den verspä- teten Lenz, das sich durch reine Naturschilderung auszeichnet, An den Frühling (546), gehört am wahrscheinlichsten in das Frühjahr 1837. Reynaud (!) versetzt es in das Jahr 1838 und bringt es in Verbindung mit dem erst Ende Juli 1838 entstan- denen Gedichte An den Ischler Himmel, das sich nicht auf einen verregneten Frühling, sondern auf einen regennassen Sommer bezieht. Das gleichbetitelte Frühlingsgedicht des Jahres 1838 unterscheidet übrigens der Dichter selbst von dem des Jahres 1837, indem er in der Überschrift die Jahreszahl hinzufügt. Im Mai zog Lenau nach Penzing « ganz in die Nähe seiner Freundin, nämlich in das kleine Nebengebäude zu ihres Vaters Hause in der Schmidgasse » (2). Dort brachte er den Savona- rola mindestens zu einem vorläufigen Abschluss, wie wir aus einem Briefe Schurzens an Mayer vom 8. Juni erfahren (°). « Penzing, Juni 1837 » ist in der Handschrift der erste Teil des Gedichtes Auf meinen ausgebälgten Geier (s) datiert. Hinfällig wird hierdurch Sophies Bemerkung : « In der Johannisgasse als Zimmermieter bei Löwenthals ». Dort wohnte Lenau erst vom November 1837 ab. Allerdings meldet Frankl (S. 43), auf der Kommode in dieser Wohnung habe ein ausgebälgter Geier gestanden, und Schurz (l, 372) berichtet, dass ein solcher dort auf einem Hängekasten gethront. Den Zimmerschmuck muss Lenau also von Penzing in seine Stadt- wohnung hinübergebracht haben. Zur Erklärung des Gedichtes ist zunächst der am 19. Mai 1837 erfolgte Tod der ältesten zwölfjährigen Tochter von Schurz heranzuziehen, die nach 23tägigem Leiden am Nerventieber starb. Niembsch, sonst kein Freund vom allmählig Sterben- ei (1) These auziliaire, Nr 214. (2) ScHURZz, I, 344, (8) MAYER, S. 457. LYRIK DER SAVONARÖLAZEIT. — 2. TEIL. 465 sehen, besuchte sie täglich. Mit vorgeschlagenen Händen warf er sich über die Leiche hin, so heftig weinend und schluchzend, berichtet Schurz (I, 344), wie die alte Magd in ihrem langen Leben noch keinen Mann je hatte weinen sehen, ja gar nicht gedacht hätte, dass einer weinen könnte : Mehr als ein blut’ger Tod macht es mein Herz erbeben, Wenn unsichtbarer Hauch verweht ein Menschenleben; Wenn übers Angesicht das Spiel vom letzten Schmerze Hinzittert wie der Rauch der ausgelöschten Kerze. (Vs 4-44.) Die « Weinenden am Sarg » (Vs 21) sind die Verwandten des Dichters. Er tröstet sie mit dem Gedanken der Unsterblich- keit, den ihn der ausgebälgte Geier gelehrt. Es lebt noch der Geist, der ihm einst die Schwingen gab, den konnte der Jäger Tod nicht treffen, das blutdürstige Kreischen des Raubvogels ist für die Seele ein süsser Klang, der Geist, der ihn so heiss nach Blut schmachten liess, ist zugleich der starke Geist der Völkerschlachten, es ist das Leben, das der Seele ihren Kerker, den Leib, aufsprengt; aus einem Becher trinken Leben und Tod. Auch ein Mensch, dem wie dem Dichter « ein Glück zunichte ward » (Vs 27), findet Trost in dem Gedanken, dass der Tod nur ein vorübergehender Zustand, ein unbeträcht- licher Zerfall in der allgemeinen Lebensentwickelung ist. So tröstete er gleichzeitig Sophie mit dem Gedanken, dass ihr Glück unantastbar, unnahbar jeder Macht auf Erden sei (500), und dass die Ewigkeit als sicher und bleibend gestalten werde, was hier unsicher und flüchtig (298). Reynaud (S. 366) führt das Gedicht auf Hegels Philosophie zurück. Auffallend ist namentlich die Übereinstimmung mit Hegels Auffassung vom Tode. Der Tod, lehrt Hegel, ist « das Aufheben des Einzelnen und damit das Hervorgehen der Gat- tung, des Geistes... Über diesem Tode der Natur, aus dieser toten Hülle geht eine schönere Natur, geht der Geist hervor », 30 466 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 2. TEIL. den Hegel « ewig und unsterblich » nennt. « Das Ziel der Natur ist, sich selbst zu töten, ünd ihre Rinde des Unmittel- baren, Sinnlichen zu durchbrechen, sich als Phönix zu verbren- nen, um aus dieser Ausserlichkeit verjüngt als Geist hervorzu- treten » (*). Reynaud geht zu weit, wenn er das Gedicht als ein hegelianisches Glaubensbekenntnis auffasst. Aus den Gesprä- chen mit Max Löwenthal ist zu ersehen, dass der Dichter erst im Jahre 1840 das Studium Hegels begann. Zu einem entschie- denen Anhänger der Hegelschen Philosophie ward er im Spätjahre 1841, bis dahin bezeichnet er sich selbst als einen der heftigsten Gegner Hegels (?), dessen Lehre ihm verdächtig, weil sie für die Naturkunde nichts und auch nichts für die Poesie war (?). Auch ist es gar nicht notwendig, Hegel zur Erklärung heran- zuziehen ; Schubert reicht hierzu vollkommen aus. Den Grund- gedanken, dass der Tod Beginn eines neuen Lebens, dass das höchste Leben dem Tode am nächsten ist, drückt Schubert folgendermassen aus : « Es ist ein ewiges Naturgesetz, das so klar da liegt, dass es sich dem Geist des Menschen zuerst aufdringen müssen, dass die vergängliche Form der Dinge untergeht, wenn ein neues, höheres Streben in ihnen erwacht, und dass nicht die Zeit, nieht die Aussenwelt, sondern die Psyche selber ihre Hülle zerstört, wenn die Schwingen eines neuen, freieren Daseins sich in ihr entfalten. Ich habe in dem ersten Teil meiner schon angeführten Schrift ('), da wo ich von einem scheinbaren Streben der Dinge nach ihrer eignen Vernichtung gehandelt, in vielen Beispielen gezeigt, dass gerade in der Glut der seligsten (4) HEGEL, Naturphilosophie, Zweiter Teil. Werke VII, 692-695. (2) Lenau und Löwenthal, 457, 217, 231. (3, NIENDORF, S. 130. (4) Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens. Leipzig, Reclam, 1806- 482, 2. Bd. Abschnitt 4. Gleiche Gedanken entwickelt Schubert noch in seiner Symbolik des Traumes. Bamberg bei (. Fr. Kunz, 2. Auflage 4821, S. 39 f. LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 2, TEIL. 467 und am meisten erstrebten Augenblicke des Daseins, dieses sich selber auflöset und zerstört. Es welkt die Blume sogleich, wenn der höchste Augenblick des Blühens vorüber ist, und das bunte Insekt sucht in der einen Stunde der Liebe zugleich die seines Todes, und empfängt in dem Tempel der Hochzeit selber sein Grab. Ja es sind bei dem Menschen gerade die seligsten und geistigsten Augenblicke des Lebens für dieses selber die zerstörendsten, und wir finden öfters in dem höchsten und heiligsten Streben unsres Wesens einen seligen Untergang. Die erhabensten und göttlichsten Blüten in der Geschichte unsres Geschlechts sind am schnellsten vergangen, am schnell- sten von dem Andrange ihrer Zeit, oder vielmehr von ihrem eignen Streben zerstört worden, obwohl das Werk selber, das sie getan, für alle Zeiten getan ist. So wird, wenn die Wesen mit allen Kräften gerungen, dass sie den Geist einer höheren Vollendung ergreifen möchten, der Genuss selber der Tod, und nur das Streben nach jenem höchsten Moment hat das Leben aufrecht erhalten. Jedoch ist jenes Streben nicht vergeblich gewesen, und eben die Glut jener zerstörenden Augenblicke, für die bisherige Form des Daseins zu erhaben, erzeugt den Keim eines neuen höheren Lebens in der Asche des untergegangenen vorigen, und das Vergängliche wird (berührt und verzehrt von dem Ewigen) aus diesem von neuem wieder verjüngt. Auf diese Weise wird uns eine der künftigen Vorlesungen in vielen Tatsachen, die aus der Natur selber geschöpft sind, zeigen, wie gerade in den höchsten Augenblieken des jetzigen Daseins der Dinge die Anlagen zu einem künftigen höheren erzeugt werden, und oft in diesen selber, oder bald nachher sichtbar werden. Aus diesem Grunde sind jene höchsten Augenblicke zerstörend, weil ein neuaufgehendes höheres Streben das alte verdrängt, weil von nun an die Empfänglichkeit für die Einflüsse des jetzigen Daseins sich vermindert » (t). (1) Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, 1808, S. 69 ff. 468 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 2. TEIL. Der Gedanke der ewigen Wiedergeburt des Lebens dureh den Tod findet verwandten, kräftigeren Ausdruck im Nachtge- sang der Albigenser : Wenn der Tiger schlau im Dickicht lauscht, Vorspringt und ein Menschenbild zerreisst, Blut trinkt, hat er sich in Gottes Geist, Den er spüret, alnungsvoll berauscht. (Albigenser, \s A11-114.) Zugleich ein Nachklang aus dem Savonarola, in seiner Ver- wendung des Bildes vom Geier (') wie in seiner Schilderung der Pest, und ein Vorspiel zu den blutigen Schlachtgesängen der Albigenser ist dies Geierlied. Am Vorabend seiner Abreise nach Stuttgart schrieb Lenau ein mit dem Datum 47. Juni 1837 versehenes Stammbuchblatt, das die Prosafassung des Gedichtes Zweierlei Vögel (571) bildet. « Die Reflexion ist ein Strichvogel, der von Ast zu Ast hüpft, und höchstens in die Nachbarlande wandert, sein liebster Wahlspruch bleibt immer : bleib im Land und nähre dieh redlich. Dieser bornierte Vogel hält den Zugvogel, die Spekulation, für einen Narrn, dass er sich von der Ahnung übers Meer tragen lässt. Bist du ein Strichvogel, so picke deine Nuss auf deinem Zweiglein in Frieden, mache dich aber nieht lustig über den Vogel höherer Gattung » (398) (?). Von der unten mitgeteilten Fassung unterscheidet sich diese durch einen engeren wörtlichen Anschluss an das Gedicht. Lenau verteidigt die spekulative Philosophie, wohl eher im mystischen Sinne der - (4) Savonarola, Vs 4702, 2427 f. (2) Eine andere Fassung, wahrscheinlich der Prosaentwurf, lautet:« Die Reflexion ist ein Strichvogel. der im Lande bleibt oder höchstens in die Nachbarprovinz wandert; die Spekulation ein Zugvogel, den die Ahnung übers Meer trägt. Der Strichvogel weiss von einer solchen Ahnung nichts und will nıchts wissen, und er pfeift gerne ein Spoltlied über den armen Narrn, den Zugvogel. Das « bleibe im Lande und nähre dieh redlich » ist auch der Wahlspruch der keflexionisten. (Lenau und Löwenthal, S. 524.) LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 2. TEIL. 469 Neuplatoniker und Schellings als im rationalistischen Sinne Hegels. Geschrieben im Augenblicke einer neuen Reise nach Schwaben, mag das Gedicht auch eine Antwort sein auf Vorstel- lungen, wie Grillparzer sie in seinem Nachrufan Lenau andeutet : Bestimmt, ein blühend grüner Ast zu sein An deines Vaterlandes Künstlerbaume, Fandst du’s zu eng in. dem beengten Raume, Und, selbst als Baum zu gelten, lud’s dich ein. Also entrückt der vaterländ’schen Erde, Verpflanztest du, was so versprechend schien, Hin, wo im Treibhaus am geheizten Herde Und unter Glas sie bleiche Pflanzen ziehn, Auch Lenaus Beschäftigung mit der Philosophie nennt Grill- parzer « Torenweisheit alt und neue », die Lenau « rasch in seines Ruhmes schwellend Kleid aufnahm », « Taumelsäfte », in denen er sich den Tod trank. Gleicher Ansicht war Bauern- feld. Lenaus Lieblingslektüre, berichtet er, « war übrigens mehr eine philosophisch - theologische als historische oder poetische. Ich zweifle beinahe, ob er Shakespeare und Goethe genau und in allen ihren Werken kannte. Zu Savonarola machte er wohl ziemlich ausführliche historische Studien, aber auch theologische, die ihn überwältigten, so dass ihm die geschichtlichen Gestalten in ein gewisses mystisches Dunkel gehüllt, wie im Hohlspiegel, vors Auge traten. Er wurde ernst- lich böse, als ich ihn vor der gefährlichen Mystik und insbeson- dere vor dem Umgang mit einem schwedischen Theologen warnte, mit welchem er sich in die Irrgänge der Scholastik zu vertiefen liebte. ‘ Das verstehst du nicht ” — brauste er auf — ‘“ dafür bist du zu leichtsinnig! " — ‘ Und du, lieber Freund, etwas zu schwerfällig, um das helle Leben der Medizeer natur- getreu zu schildern. Du hast nur deine Symbole im Kopfe, dir fehlt der eigentliche historische Blick und Sinn, wie er zum Beispiel unserem Freunde Auersperg innewohnt ’. — Lenau sah mich gross an. “ Du magst recht haben, Bruder ’, sagte er 470 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. 2. TEIL. nach einigem Nachdenken, ‘ aber ein jeder Vogel singt nach seinem Schnabel’ » (t). Strichvogel Reflexion, Zugvogel Poesie, Singt jeder andern Ton, Und andre Melodie. Auf die Einwendungen : Es wagt um Fabeltand Ein Narr nur weiter sich (Vs 10 £.), Die Sehnsucht ist Betrug, Hier picke deinen Kern (Vs 15) antwortet der Dichter mit wörtlicher Wiederholung seiner Entgegnung zu Bauernfeld, und mit einer Bezeichnung, die vorzüglich auf letzteren passt : Du Flatirer, meinen Flug Und Zug verstehst du nicht. Eine beredte Selbstverteidigung auch zunächst gegen Bauern- feld bilden die Verse An einen Tadler (s»). Das « ver- gnügte Blut » (Vs 7) kennzeichnet den Lustspieldichter, auch Frankl (S. 40) deutet das Gedicht auf ihn. Lenau, bemerkt Bauernfeld (?), duldete keinen Einspruch gegen irgend eine sei- ner Schöpfungen, verteidigte seine poetischen Kinder, auch die minder geratenen, wie die Löwin ihr Junges. Naturanlage und Neigung zogen Bauernfeld mehr zu dem lebenskräftigen Auersperg als zu dem grübelnden Lenau (?). An Einsprüchen (1) BAUERNFELD, Aus Alt- und Neu- Wien. Werke IV, 401 f. (2) BAUERNFELD, Werke IV, 103. (3) Ebd., S. 100. LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. — 2. TEIL: 47 gegen den schwermütigen Charakter der Lenauschen Poesie, gegen seine « melancholischen Lyraklänge », wie er die Dich- tungen nennt, hat Bauernfeld es gewiss nicht fehlen lassen, während Lenau ihm hingegen seine « Leichtfertigkeit und Frivolität » vorwarf (t). Im Jahre 1837 erschien Fr. Halms Schauspiel Griseldis im Druck. Von seiner ersten Aufführung am 30. Dezember 1835 im Burgtheater an hatte es einen Triumpfzug über die deut- schen Hofbühnen angetreten. « Es gab Enthusiasten », schreibt Fr. Dingelstedt in einem bereits erwähnten Aufsatze (?), «welche, bestochen durch das moderne Kolorit der Halmschen Diktion, diese über Schillers weit hinaussetzten ; ihnen werden die Augen aufgegangen sein, wenn sie dureh die Ohren sich betören liessen ». Ergänzend bemerkt Dingelstedt, dass die äussere Form schon im Drucke merklich abblühe gegen den lebendigen Vortrag, dass die Mängel und Lücken im gedruckten Gewande des Stückes durchscheinender geworden als in seinem theatra- lischen Aufputz. Das der psychologischen Wahrheit, der drasti- schen Kraft, der scharfen Charakteristik entbehrende Stück sei ganz für eine sentimentale, nervenkranke Zeit berechnet, die hoher Reizmittel und Spannungen bedürfe (?). Das Rührselige der Griseldis hebt auch Lenau in seinem Epigramm Einem Theaterdichter (505) hervor : \ Ob der Schwarm in Tränen steh Über all dein Breites, und schliesst sich damit eng an das Urteil von J. Seidli'z (Jeitteles) an, der in seinem Lenau gewidmeten, zu Anfang 1837 erschienenen Werke über die Poesie in Österreich die Griseldis als das « tränenüberströmende Auge der Romantik bezeichnete und auch das « Breite » und « nicht Gescheite » .des Lenauschen (1) Lenau und Löwenthal, S. 367. (2) Die Poesie in Österreich, siehe S. 393 dieses Werkes. (%) Grillparzer-Jahrbuch, IX. 314. 472 LYRIK DER SAVONAROLAZEIT. 2. TEIL. Epigramms eingehend begründet (!). Gleich ablehnend verhielt sieh Grillparzer (?). lenaus Angriff gegen Halm hinderte nicht, dass sich seit dem Jahre 1838 ein reger, freundschaftlicher Verkehr mit dem « recht lieben, treuherzigen Menschen » (°) entwickelte, den Lenau jedoch als Dichter nie hochschätzen lernte. Mit harten Urteilen über den Camoens und den Sohn der Wildnis hielt er dem Verfasser selbst gegenüber nicht zurück (*). An Halms dramatische Werke anknüpfend spricht er sein schärfstes Wort über das zeitgenössische Drama über- haupt : es sei gar nichts damit, es schwebe wie ein Gespenst, mit blossem Scheinleib über die Bretter (°). So tröstete er sich über das Misslingen seiner hartnäckig wiederholten Versuche, ein Drama zu schaffen. Für die polemische Dichtung hatte sich Lenau durch den Savonarola geschult. Ein in sich abgeschlossenes polemisches Gedicht bringt die dreiundzwanzigste Romanze des Epos : Die Tortur, welche der Dichter mit den Versen einleitet : Viel Frevel gibt's, wer kann’s verneinen? Viel Greuel lebt im Sonnenlicht; Doch jämmerlichern gibt es keinen, Als Schurken sitzend zu Gericht. Ein Wandrer trägt auf Waldeswegen Ein Schwert zu seinem Schutz; da raubt Rücklings ein Strauchdieb ihm den Degen Und spaltet ihm damit das Haupt. Gesetz ! wie gleichst du solchem Stahle ! Gericht, wie manchmal bist du gleich Dem Räuber, der im dunklen Tale Dem Wandrer schlägt den Todesstreich ! (Savonarola, Vs 3281-3292.) (d) J. SEipLırz (Deckname für I. Jeitteles), Die Poesie und die Poeten in Österreich in Jahre 1856. Verlag von J. M. Gebhardt, Grimma, 1837. I, 98. (2) Studien zur deutschen Literatur. Werke XIV, 135. (®) Lenau und Löwenthal, S. 85. (4) Ebd., S. 412, 222, 23% (®) Lenau und Löwenthal, S. 222. LYRIK DER SAVONAPOLAZEIT. 2. TEIL. 413 Die 29. Strophe der Romanze Die Entscheidung (Savona- rola, Vs 1925-1929) verdankt wahrscheinlich ihren Ursprung einem selbständigen Albumblatt (1), das Prof. Castle in der Ausgabe des Insel-Verlags zuerst veröffentlicht und den Gedichten einreiht : Bedenk, wenn Undank herb dich kränket, Dass dankbar bis zum letzten Hauch Der Mensch nur danri der Huld gedenket, Wenn Wobhltat ihn gebessert auch. Genaues über den Fortgang der Arbeit am Savonarola erfahren wir aus den Briefen des ersten Halbjahres 1837 nicht. Den Abschluss meldet Schurz an Mayer (S. 157) in einem Briefe vom 8. Juni. In Stuttgart, wo Lenau am 25. Juni eintraf, begann er sofort die Durchsicht der Dichtung, säuberte, feilte, bürstete seinem geistlichen Herrn noch ein wenig die Kutte (601), ja sprengte glücklicherweise einige der Felsen, die historisch hineinragten in den Strom seiner Poesie (602). So erstreckte sich die Arbeit am Epos vielleicht bis zum Beginn des Druckes, Anfang August. Der Stuttgarter Aufenthalt vom 25. Juni bis zum 40. September zeitigte eine neue Blüte der Sophiedich- tung. XXXIX Sophiegedichte. 4. Reihe. — Juni-August 1837. Traurıge Wege. — An den Wind. — An die Entfernte. — 0 dass die Erd! — Ant. Die nächste Diehtung Lenaus wendet sich wieder der Liebe zu. In Penzing macht sich der drückende Zwang des Verhält- nisses zu Sophie wieder geltend, trotz des Zusammenlebens, eben wegen dieses Zusammenwohnens mit ihr. Die bevorste- hende, durch die Herausgabe des Savonarola und der dritten Auflage der Gedichte (1857) gebotene Reise nach Stuttgart wirft ihre Schatten voraus. Sophie ist sehr traurig darüber (29), und der einzige Trost Lenaus ist, dass er werde zeigen können, wie er in der Ferne mit ihr lebt (504). Max Löwenthal scheint die Abreise sehr zu wünschen, er gibt mitunter « ein wenig üble Laune » zu fühlen. « Er ist wohl überzeugt, dass wir nicht zu weit gehn; aber es wurmt ihn, dass du mir mehr bist, dass ich dir mehr bin als er. Zurücksetzung schmerzt an sich, wenn auch kein tieferes Interesse dabei verletzt ist, wie hier offen- bar » (500). Die Furcht einer Hemmung des Bundes durch den Gatten taucht in Lenaus Seele auf. Sie gerät in eine krankhafte Spannung durch den plötzlichen Wechsel der Stimmungen von der höchsten Freude zur tiefsten Düsterkeit. Er hat Augen- blicke, in welchen er vergehen möchte vor Schmerz über sein und der Geliebten Los, andere, wo ihm beider Unglück teuer ist. « Unsere Liebe », bekennt er am 14. Juni, « ist einmal gewissermassen eine unglückliche, und wir wollen unverdrossen SOPHIEGEDICHTE. — 4. REIHE. 475 und mutig die stille heimliche Tragödie, in der niemand spielt und zuschaut als unsere blutenden Herzen, bis an unser Ende fortführen » (502) und am 15. : « Dein letztes Briefchen spricht traurig. Peinlich ist auch mir, was dir so ist. Ich will darüber nicht schreiben und meine Seele in das stachelvolle Diekicht ohne Ausgang hineinstürzen » (304). Was er nicht schreibt, dichtet er in Traurige Wege (28), einem Liede, das ganz aus den Stimmungen und Gefühlen dieser Zeit herausgewachsen ist. Es folgt im Drucke unmittelbar auf Der schwere Abend, und dies ist wohl künstlerische Absicht. Hier wie dort hängen die grauen oder dunklen Wolken hernieder, gehen die Liebenden schweigsam, traurig im Garten oder durch den Wald, Todes- gedanken in der Seele. Traurige Wege fesselt durch die Ausma- lung von Gegensätzen, die um so gefälliger wirken, als sie dem vorangehenden Gedichte fehlen. Das Nebenmotiv : Unsre Liebe schwieg und sann, Wie mit jedem Schlag der Wellen Zeit und Glück vorüberrann (Vs 14-46 ) findet sich auch im Zettel an Sophie vom 10. Juni : « Glaubst du, mir liegt nichts an der Neige unsrer Zeit? Ich möchte jeden Augenblick festhalten und streicheln und bitten, dass er nicht 'so schnell an unsrem Glück vorübereile » (298). Am 18. Juni trat Lenau die Reise nach Stuttgart an. Es machte einen tiefen, unvergesslichen Eindruck auf ihn, dass Sophie beim Fortfahren des Wagens mit ihren Kindern auf ihn wartete, ihn zärtlich grüsste, bis er sie aus den Augen verlor, und eine Strecke dem Wagen nacheilte. « Mir war », schreibt er ihr am 18. im Kaffeehaus zu Linz, « als deine liebe Gestalt immer weiter zurückblieb, ob. ich meinem Glück entflöhe, das mir vergebens nachstrebte » (307). In Briefen aus Stuttgart vom Juni, Juli und August kommt er auf den « unver- gänglichen Eindruck » dieser Abschiedsszene zurück, die er in dem Gedichte An den Wind (29) festgehalten. Dies Bild 476 SOPHIEGEDICHIE. — 4. REIHE. kann er « bis zu visionärer Deutlichkeit » in sich zurückru- fen (307), es verlässt ihn nicht (308). Am 21. Juni, in München, sieht er Sophie wieder mit ihren Kindern bei der Schmied-. gasse (310), am 30., in Stuttgart, schwebt ihm das Bild wieder lebendig vor, und er bittet Sophie, das Kleid nie wegzugeben, welches sie anhatte, als sie mit ihren lieben Kindern auf ihn wartete. Er hat sich die Farbe gemerkt, « es war grün- licht » (320), am 7. Juli wünscht er sich eine Handvoll von dem Staub, den sie trat, als sie bei Penzing seinem Wagen nach- ging (327), am 8. August sieht er Sophie wieder recht klar und schön, wie sie mit den Kindern seinem Wagen folgte (559). Sogar in einem der Freundschaftsbriefe an Sophie, die der Gatte mitlesen konnte, kann L.enau nicht umhin seine Freude auszudrücken, dass er sie und die lieben Kinder an der Schmield- gasse noch einmal gesehen (602). Bereits während der Reise oder kurz nach Lenaus Ankunft in Stuttgart muss das Gedicht verfasst sein. Schon in einem Zettel vom 24. Juni aus Ulm klagt Lenau über das Peinigende des Gedankens, dass eine Strecke von achtzig Meilen sich zwischen Sophie und ihm « breitlümmele » und sie auseinander halte (513). Den Gedanken greift er wieder auf am 27. : « Ich darf mir die Strecke Erde gar nicht vorstellen, die zwischen uns liegt, so wird mir bang. Die absolute Unmög- lichkeit, sich in einer Stunde zu sehn, hat etwas Grauenhaftes. Und wie lang kann eine Stunde werden ! So aber brauch ich fünf Tage wenigstens. Stuttgart liegt ekelhaft von Wien weg » (516). Wird man hierbei schon gleich an die « vielen, weiten Meilen » des Gedichtes An die Entfernte I (25) erinnert, so folgt unmittelbar, in demselben Zettel, die Umschreibung des genannten Liedes in Prosa : « In unserm Garten (!) blühen sehr schöne Rosen. Ich könnte dir unmöglich (4) Es ist der Reinbecksche Garten in Stuttgart gemeint, der noch erhalten ist (Friedrichstrasse 16). SOPHIEGEDICHTE. — %. REIHE. 4717 eine blühende bringen. Zwei Liebende sollten nie so weit getrennt sein, dass sie sich nicht eine Rose frisch und blühend bringen können » (516). Ein Zettel vom 29. Juni meldet weiter : « Der Abend war heute sehr hübsch im Garten. Die Rosen blühn da herrlich. Niehts aber mahnt mich so mächtig und schmerzlich an dich wie Blumen. Ich bin ihrer jetzt mehr empfänglieh als jemals. Du malst sie ja » (319). Zu An die Entfernte II bemerkt Schurz in seinem Exemplar : « In Ischl ». Demnach fiele der zweite Teil des Liedes in den Juli oder Anfang August des Jahres 1838. Nichts berechtigt zu dieser Annahme. Es steht ihr viel mehr entgegen, dass Lenau in Ischl mit Sophie lebte und folglich keinen Anlass zu einem Sehnsuchtsgediehte wie dieses hatte, zu klagen, dass er seinen Himmel geräumt, einen Blick verloren, einen Hauch versäumt, zu dem Wunsche, die Geliebte umarmen zu dürfen, Seitenstücke zu dem Gediehte sind übrigens gerade in den Liebesklängen in Prosa aus dem diesmaligen Stuttgarter Aufent- halte zahlreich vorhanden. So zu Strophe zwei : 0, dassiich, ein Tor, ein Tor, Meinen Himmel räumte! Dass ich einen Blick verlor, Einen Hauch versäumte! der Zettel vom 7. Juli : « Wie lange hab ich nieht mehr in dein Auge geblickt! O diese Versäumnis kann mir nie wieder gut gemacht werden » (327); vom 20. Juli : « Jeder Ton schien mich zu verklagen, dass ich dich verlassen habe. Schon über vier Wochen weg von dir... » (340); vom 91. Juli: « Diesen Augenblick hör ich die Turmuhr schlagen und mir wieder zehn Stunden vorzählen unwiederbringlichen Verlusts » (511); vom 17. August : « Mein Lebenselement ist einmal dort, wo du bist, o du Kern der ganzen Welt und alle Sehnsucht meines Herzens » (368); vom 26. August : « Was helfen diese Kritze- h78 SOPHIEGEDICHTE. — %. REIHE. leien, wenn ich dich nicht sehn kann? » (377); vom 6. Septem- ber : « O ein Wort aus deinem süssen Munde ist mir mehr als alles Geschriebne der Erde. Könnt ich nur schon bei dir sein » (388). Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser zweite Teil, der, wie schön er auch an sich ist, doch die mächtige poetische Wirkung des ersten abschwächt, — wie auch schon die letzte Strophe des ersten Teiles — später gedichtet ist. Jedenfalls fällt jedoch die Entstehung in den Stuttgarter Aufenthalt vom 24. Juni bis zum 10. September. Erklärlich ist, dass man vor der Veröffent- lichung der Briefe an Sophie das Gedieht auf Lotte Gmelin bezog, die sich so hübsch als das « liebe Mädchen » ausnahm, für das der Dichter in der « fremden Ferne», d. h. in Amerika, eine Rose pflückte, obgleich der winterliche Aufenthalt in Amerika, der späte Druck im Jahre 1838 und auch der sonstige Inhalt des Gedichtes Bedenken hätten erregen sollen. Bereits im Jahre 1891 wies R. M. Werner (‘) darauf hin, dass in dem gerade in Frankls Buch Lenau und Sophie Löwenthal veröffent- liehten Zettel vom 27. Juni 1837 der Keim des Gedichtes liege. Unverantwortlich ist, dass trotzdem die Entstehung in Amerika und die Beziehung auf Lotte Gmelin weiterhin behauptet wurde, namentlich von Ernst (S. 93) und Reynaud (2). An die « vielen weiten Meilen » (I, Vs 6) dachte Sophie, als sie ihrem Vater Kleyle in einem unveröffentlichten Briefe schrieb : « Der Raum ist das einzige wahre Unglück der Liebe, die gedehnten starren Meilen, die zwischen denen liegen, die doch allein zusammengehören ».' Die Warnung an Liebende, sich nicht weit von einander zu wagen, wiederholt M. von Hartmann in einem gleichbetitelten Gedichte (II, 456). Während des diesjährigen Aufenthaltes in Stuttgart (25. Juni (t) National-Zeitung, 4894, Nr 483. (©) These auxiliaire, Nr 165. SOPHIEGEDICHTE. — 4. REIHE. 479 bis 10. September) stiess Lenau auch den Stossseufzer O dass die Erd! aus : O dass die Erd, die zwischen dir und mir Sich dehnt, einstürzen möchte, dass dieser Baum, An dem ich weinend steh, und jener Ort, Wo du vielleicht in Tränen stehst, Zusammenrückten und die Schmachtenden beglückten ! Prof. Castle, der diese Verse zuerst veröffentlicht (?), reiht sie in den Oktober 1837 ein, was unmöglich, weil Lenau zu der Zeit wieder in Wien war. Den äusseren Anlass, der ihm dort fehlte, bot die Stuttgarter Trennung zur Genüge. Tatsäch- lich finden sich in den Zetteln aus Stuttgart, neben den bereits angeführten, noch manche Stellen, die über die weite Entfer- nung seufzen, ausser den fast in jedem Schreiben wieder- kehrenden Klagen über die Trennung. « Herz, liebes Herz, wo neunzig Meilen zwischen uns liegen » (345), ruft Lenau Ende Juli aus, « die verdammte Ferne » (347). « Wenn ich an die neunzig Meilen denke, graust mir », klagt er Anfang Septem- ber (588). Schon am 25. Juli treibt es ihn « mit aller Gewalt heimwärts » (347), und am 28. macht er « ernsthafte Anstalten » zur Abreise (349). Mit dem Vers : Wo du vielleicht in Tränen stehst, ist der Satz vom 10. Juli zu vergleichen : « Dieses schreibe ich, während du vielleicht auch an mich denkst und traurig bist » (350). Das Gedichtehen stammt wohl aus dem Juli. Anfang Juli beschäftigt Lenau ausser dem Savonarola die Durchsicht seiner Gedichte für die dritte Auflage. Manches findet er drin zu feilen, schreibt er Sophie am 17. Juli (357). In der Tat feilte Lenau bei dieser Ausgabe mehr als bei den (!) Lenau und Löwenthal, S. 514, Werke IV, 119. 480 SOPHIEGEDICHTE. — 4. REIHE. vorigen. Lästiges Warten auf den verreisten Cotta, das seine Trennung von Sophie in die Länge zieht, verstimmt ihn sehr. Mit dem Dichten im Juli geht es schlecht (357). Im August ist seine « Plackerei endlos » (572). Es wimmelt ihm im Kopf vor lauter Buchstaben; er sieht zugleich die Gedichte, den Savona- rola, Schwabs Gedichte und Auerspergs Letzten Ritter durch, verbessert die Gedichte Mayers in der Handschrift, macht histo- rische Studien zum geplanten Epos über den Hussitenkrieg. Es bedarf eines äusseren Anstosses, um ihm in diesem Monat ein Gedicht zu entlocken. Bereits im Juli hatte ıhn ein « kurzer, trockener » Brief Sophies (345) so aufgeregt, dass er alle seine Arbeiten, die er doch nur als « blutige Fetzen eines schlechten Verbandes » (557) ansieht, liegen lassen und abreisen wollte. Am 48. August erhält er wieder einen Brief von Sophie, in dem er nur Verstimmung und schmerzliche Spannung findet, der ihm das Glück der Sehnsucht verkümmert, weil er meint, es sei der Geliebten unmöglich, « den Zustand innersten Ein- verständnisses festzuhalten, wenn es an den äussern Zeichen fehlt » (369). Diese « Ohnmächtigkeit » der Liebe Sophies ist ihm störend. Aus dieser Stimmung heraus dichtet er am 20. August, 11 Uhr, wie die Handschrift angibt, das ergreifende Klagelied An* (285) : Ach wärst du mein, es wär ein schönes Leben ! dem er in der Handschrift die Worte beifügt : « Du wünschest mir in deinem Brief, ich soll fortan vergnügt leben? Meinst du, ich lebe vergnügt? ohne dich? OÖ meine Sophie! mein Alles! » (571). Schon am 9. August hatte er in gleichem Seelen- drang ausgerufen : « Mein Schmerz um dich ist absolut, da gibt's keinen Trost, das ist hin, du bist nicht mein Weib, das ist eine recht tiefe, ehrliche Wunde, die blutet fort, solang noch ein Blut in mir geht » (560). Und es folgt unmittelbar ein Satz, der einen hellen Lichtstrahl auf das Verhältnis wirft : « Ein untröst- licher Kummer ist aber deiner und meiner Natur angemessen, wir SOPHIEGEDICHTE. — 4; REIHE. 481 mussten darein verfallen. O ich sehe den Leidenszug an deinem Munde. Lass uns leiden, lass uns aber lieben, ewig ». Die endgültige Fassung bedeutet eine Milderung und Ver- klärung gegenüber der ersten. In dieser nannte Lenau das Verhältnis ein Kämpfen (statt Entsagen, Vs 2) und die Leichen seiner Lieben Freudenbilder (statt gelinder Gram, Vs 7) im Vergleiche zum Schmerze, dass er die Geliebte nie besitzen werde. Wenn Sophie in ihrem Exemplar zu dem Gedichte bemerkt : « Weisst du an wen! ‘An meinen Stern’, sagte er, als er es mir gab », so verwechselt sie diese Verse mit dem gleichlautenden An* (0 wages nicht), deren Handschrift sie mit derselben Glosse versieht. Ein Vers von Byron im Gedichte To a lady in Hours of idleness : I£ thou wert mine, had all been hush’d wird allgemein angeführt, um Lenau als Nachahmer Byrons zu stempeln. Tatsächlich haben die beiden Gedichte nichts mit einander zu tun. Am 7. September war Lenau mit seinen Arbeiten fertig, die dritte Auflage der Gedichte und der Savonarola waren gedruckt; am 10. September reist er von Stuttgart ab, hält sich in München beim « philosophischen Zauberer », Fr. von Baader auf, der ihn gerade wie Martensen zur philosophisch-theolo- gischen Diehtung anfeuert, und trifft am 19. abends in Wien ein. Die dritte Auflage der Gedichte erschien zugleich mit dem Savonarola zur Herbstmesse 1837. Die, wie bereits erwähnt, sehr sorgsame Korrektur, bei welcher der Dichter namentlich auch die Unmenge der Apostrophen der zweiten Auflage tilgte, die Grün wieder einführte, dauerte von Ende Juli bis zum 4. September. Die Ausgabe blieb unvermehrt; vielmehr strich 31 482 SOPHIEGEDICHIE. — 4. REIHE. Lenau seine Übersetzung Abschied aus Galazien und die sieben Jugendgedichte : Abendbild N’ 3, König und Dichter, An Seneca, In der Nacht, Trias harmonica, An Mathilde, An die Hoffnung. Die Abteilung Lieder der Vergangenheit erhielt die Überschrift Erinnerung. Einteilung und Rangordnung der Gedichte blieben dieselben. Die seit 1834 entstandenen neuen Iyrischen Gedichte behielt Lenau zurück, bis sie im Laufe des folgenden Jahres zu einem Bande angewachsen. XL Ausklänge der Savonarolastimmung. September-Oktober 1837. Der Salzburger Kirchhof. — Nachhall. — Die Asketen. — Der Hagestolz. — Herbst- lied. — Stimme des Windes. — Stimme des Regens. — Stimme der Glocken. — Stimme des Kindes. — Doppelheimweh. Auf der Heimreise nach Wien machte Lenau am 13. Septem- ber in München die Bekanntschaft des Theosophen F. X. von Baader, auf den Martensen seine Aufmerksamkeit gelenkt. Wie Herbart die Vereinigung der protestantischen Theologie mit der Philosophie, so strebte Baader die Verschmelzung der katho- lischen Gottesgelehrtheit mit der Philosophie an. Im Gemein- samen der christlichen Weltanschauung und namentlich in dem Grundsatze von der Notwendigkeit und vom Bedürfnis der Religion stimmte er (Werke VII, 135 f.; IX, 361-370) mit Herbart überein. Gleich Herbart tritt er scharf dem Spino- zismus und Pantheismus entgegen, dessen « grässlicher Gott oder Ungott », gleichviel in Zorn oder Liebe seine Kreatur wieder aufspeise (Il, 285). Eigentlich sei es der Teufel, der im Paradiese zuerst den Pantheismus gelehrt (V, 273), der « Jude Spinoza » habe denselben aus einem bereits verdor- benen Kabbalismus geschöpft, in der Hegelschen Philosophie habe die Lehre vom « indifferenten Grundbrei oder Urschleim » (XI, 232), so Gott wolle, ihre « letzte Auflage » erhalten (X, 84). « Was wäre Gott der gesamten Menschheit, wenn sie Ihn nicht als Vater in ihrem Herzen erkenneten » (XI, 64). 484% AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. Lenaus Ausspruch, dass Baader « ein grosser und gewaltiger Denker » sei (595), deckt sich mit der Meinung der Zeitge- nossen. Sogar ein jungdeutsches Blatt (t) pries ihn als einen « Haupt- und Grundphilosophen », als « einen der ersten Heroen unserer geistigen Macht, eine der ausgezeichnetsten Erscheinun- gen unsres gerade in solcher Art so reichen Vaterlandes ». Baader erschien dem Dichter als ein philosophischer Zauberer, dessen Geistesblitze sich zu einem beständigen Wetterleuchten steigerten (606). Gleich bei der ersten Zusammenkunft packte Lenau ihn beim Kopf und gab ihm einen tüchtigen Kuss ob seines Ausspruchs : « Das Dichten ist eine grosse Sache. Diehten Sie fort im guten Geiste. Gott selbst ist ja ein Dichter... Die Wahrheit kann er uns nicht preisgeben. Da gibt er uns seine Gebilde » (?). Baader äusserte seine Überzeugung, dass Lenau seinem Lieblingswunsche gewachsen sei, endlich einmal einen Dichter zu finden, der im stande wäre, seine « spekula- tiven Ideen zu inkarnieren » (606). Lenau, meinte Baader noch, sei in seinem Faust tiefer gegangen als alle anderen Dichter, besonders weil er den Teufel nicht als den Geist dargestellt habe, der bloss verneint, sondern als positiv (?). Gerade arbei- tete Baader an einer Abhandlung über das « Wechselverhältnis der Sophia, des Logos und des Satans », die er bald darauf als Sendschreiben an Lenau diesem schickte (*). Unter steter Beru- fung auf Jakob Böhme und die mittelalterliche Philosophie überhaupt wendet er sich hier gegen die moderne Philosophie, die einerseits die Heimlichkeiten in natürlichen und übernatür- (4) Mitternachtzeitung, 4836, Nr 75/76. (2) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 12. Vgl. auch den Brief an Emilie Reinbeck vom 46. September 1837 (Nr 606). (%) Tagebuch von M. löwenthal, Nr 5. (4) In den Werken (IX, 457-288) zu Vorlesungen ausgearbeitet unter dem Titel : Über mehrere in der Philosophie noch geltende unphilosophische Begriffe oder- Vorstellungen mit Berücksichtigung älterer Philosopheme, besonders des Philosophus Teutonicus, aus einem Sendschreiben an Herrn Niembsch von Strehlenau, genannt Lenau. AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. 485 lichen Dingen als ganz unerforschbar darstelle, andrerseits allen Glauben an jene Mysterien als vernunftwidrig ausrede. Als das erste Erfordernis zur wahren Kunst stellt Baader das religiöse oder mit Gott versöhnte Gemüt hin (IV, 169). Jeder wahrhafte Dichter und Künstler ist ein Seher (IV, 138). Alle höhere Kunst ist religiösen Ursprungs und hat somit oder soll haben religiösen Zweck (l, 121). Unter den Aufgaben des Künstlers bezeichnet Baader namentlich die, das Gefühl der Wehmut über ein verlorenes Paradies zu erwecken und uns ein Vorbild einer künftigen, unauflöslichen Wiedervereinigung der Dreiheit des Guten, Schönen und Angenehmen zu geben und somit die Hoffnung eines wiedergewinnbaren Paradieses in uns zu beleben (II, 431). In mehreren Gedichten, die kurz nach der Bekanntschaft mit Baader geschrieben, erscheint wieder das Motiv des verlorenen Paradieses (t), die Klage, die auch Schuberts Schriften durchtönt, und die Lenau wahrscheinlich bei Platon wiederfand, als er im Sommer 1836 diesen Philo- sophen « fleissig » las (249). Was ist diese Sehnsucht und Wehmut nach dem verlorenen Paradies anders als Platons philo- sophischer Trieb, als die platonische Liebe, das Heimweh der Seele nach ihrem überirdischen Ursprung, nach dem gött- lichen Leben, das ihr dereinst zu teil wurde? Auf der Heimreise nach Wien besuchte Lenau den Salzburger Kirchhof, vielmehr die beiden Kirchhöfe von S' Peter und S' Sebastian, « im Interesse », meldet er Emilien, « meines sehr lieben und werten Freundes Liesching » (606), des Stuttgarter Buchhändlers. Bei diesem Besuche empfing er das Sonett Der Salzburger Kirchhof. (2), das er wohl kurz darauf ausarbeitete. Er selbst ist Der fremde Wandrer, kommend aus der Ferne (Vs 9.), der angezogen durch die Schönheit des Ortes, hier gerne weilt, (4) Siehe hierüber Baaders Werke, Il, 271, XII, 181. 480 AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. trotzdem ihm hier « kein Glück vermodert » (Vs 10). Die verschiedenen Fassungen der Schlussstrophe kennzeichnen Lenaus Entwickelungsgang von 1837 bis 1844. Positiv gläubig lautet die Fassung der Handschrift : Sie schlafen tief und sanft in ihren Armen, Bis sie zu neuem Leben einst erwarmen, Wenn die Posaunen sie vor Gott entboten! In den Ausgaben von 1838 bis 1843 tritt an die Stelle der Posaunen des jüngsten Gerichtes der allgemeinere Morgenruf': Wann sie der Morgenruf vor Gott entboten. Ganz pantheistisch lautet die Fassung der letzten Ausgabe von 1844 : Die Blumen winken’s, ihre stillen Boten. Hiermit zu vergleichen ist das spinozistische Gedicht An einen (reis. Eine poetische Frucht der Heimreise mag auch das Sonett Nachhall (2») sein; der Zusammenhang mit dem vorherge- henden ist jedenfalls offenbar. Der Friedhof mag Lenau an seinen verstorbenen Freund Fr. Kleyle erinnert haben, dem er diesen wehmütigen Nachruf widmet : Mehr als des Menschen Tod will mich’s erfassen, Wenn ihn bereits nach wenig 'Tagesneigen Hier, dort noch einer nennt — bis alle schweigen. (Vs 19-14.) Sophie bemerkt in ihrem Exemplar, das Gedicht sei « durch Mikschiks Tod veranlasst ». Dies ist unmöglich, weil der Pianist Eduard Mikschik, Bräutigam von Sophies Schwester Johanna, am 3. Oktober 1838 starb und Lenau bereits am 11. September den letzten (21!) Bogen Korrektur der neueren AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. 487 Gedichte, worin das Sonett (S. 158, Bogen 10) erschien, absandte. Auch der Erstdruck in Witthauers Album (1838) widerspricht der Datierung Sophies. Ein Trauergedicht auf Mikschik, /m Vorfrühling, ist vorhanden. Entwürfe dazu bringt das Einschreibbüchel vom Jahre 1838 ('). Gleich nach seiner Ankunft in Wien am 19. September eilte Lenau nach Penzing in die Schmiedgasse zu Sophie und blieb dort bis Mitte Oktober. Das in den Ausgaben auf Nachhall folgende Sonett Die Asketen (299) datiert Sophie « Penzing, 28° September, 1837 ». Damit mag es seine Richtigkeit haben. In einem Zettel vom 22. September mahnt Lenau Sophie, die « Verlassenheit und den brennenden Durst » (399) zu verschmerzen. Asketische Entsagung atmet auch das Schrei- ben vom 24. September. Sophies hohe Meinung von ihm ist ihm ein dringendes Gebot, sich « ernstlich zu veredeln ». Der grösste Lohn für alles, was er noch erstreben mag, blüht ihm in ihrer schönen Seele. Sie ist ihm ein rettender und ver- söhnender Engel geworden, auch ein strafender. Überall, wo er Gottes starke Hand fühlt, spürt er auch ihre liebe Hand, und er kann oft beide nicht voneinander unterscheiden (400). Ein Zettel vom 28. September, dem Tage der Entstehung des Gedichtes, rügt Auersperg, weil ihm der geistige Halt, die geistige Heimat fehle, und weil er vor den Stimmen des Ernstes ins Fleisch flüchte, « dieses schlechte, verwesliche Asyl » (41). Ebenso bezeichnend ist der Ausspruch vom 7. Oktober « Deine Schwelle ist die letzte, an der ich was begehre » (405). Es ist eine schöne Zeit, dies dreiwöchentliche Zusammensein mit Sophie in Penzing, eine seltene Gemütsruhe, eine innere Zufriedenheit, ein inniges, vom Gedanken der Entsagung ver- klärtes Glück atmen die vier Liebeszettel aus dieser Zeit. In einem Briefe an Schurz vom 8. November 1844 gesteht Sophie, dass sie und Lenau gewohnt waren, ihr Glück jenseits (1) Lenau und Löwenthal, S. 528, 540. 488 AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. des Grabes zu suchen, dass Niembsch als Asket lebte, seit sie sich liebten, dass dieses Bekämpfen des sinnlichen Triebes grossen Teil an der Verstimmung seiner Nerven gehabt haben mag (!). Es war für Lenau ein schweres Opfer : «O Weib! ich möchte weinen, wenn ich denke, wie ich so zerfalle, ohne dass wir uns ganz umarmen durften », beichtet er ihr bereits am 7. August 1837 (558). Das Glück der Entsagung war von kurzer Dauer, ein « wildes Tier aus der Wüste » naht sich bald dem « friedlichen Hause seiner Liebe » und schreit nach ihm {432). Oft tut sich uns in der Folge der « schwarze Rand des Abgrunds » (452) auf, in den die Leidenschaft den mitunter wild Rasenden werfen konnte. Über den hier verherrlichten Asketismus spottet er in einem Briefe an J. Kerner vom 15. November 1831. Damals fand er, dass in diesem « Abzapfen der Menschlichkeit » etwas « Feiges » liege (75). Sophie erzog ihn zu dem Gedanken der Entsagung. Er lag in ihrer Natur begründet, nicht in der Lenaus. « Zum Aszeten hab ich verflucht wenig Talent », bekennt er in dem erwähnten Briefe an Kerner. Er hat seinen Feind gefangen genommen, nie ihn erschlagen. Er achtete es auch als männ- licher, sein aufrührerisches, schlimmes Fleisch zu bändigen als sein sieches, zahmes Aszetenfleisch (75). Schwärmerei und Leidenschaft waren gleich starke Hebel in seinem Verhältnis zu Sophie, während bei ihr erstere obwaltete. Ihre anästhesische Natur (?) hat gewiss keinen schweren Kampf mit den Sinnen zu bestehen gehabt, während Lenau sich nach ihrem eigenen Geständnis in diesem Kampfe aufrieb. Der anfängliche Spott (1) Lenau und Löwenthal, S. 328. (2) In ihren Lesefrüchten lehnt sie sich mit Karoline von Woltmann gegen die Verpflichtung der Ehe auf, « Kinder zu erzeugen ». Nach der Geburt ihres dritten Kindes, Arthur (1835), hat sie bei ihrem Gatten den Verzicht auf diese Verpflichtung durchgesetzt, am 8. November 1844 schreibt sie Schurz, Niembsch habe als starker und gesunder Mann ein Bedürfnis gehabt, « welches einem Weibe unbekannt bleibt als solches ». (Lenau und Löwenthal, S. 328.) AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. 489 über den Asketismus geht beim Ende seiner Laufbahn in leiden- schaftlichen Hass über. Die Mahnung Diegos im Don Juan : Ein ewiges Gesetz, den Frevel richtend, Gebeut : willst du dein Erdenlos bestehen, Musst du geschlossnen Auges un. verzichtend An manchem Paradies vorübergehn (Vs 37-60), weist er, mit seinem Helden sprechend, spöttisch, schroff zurück und legt diesem genug leidenschaftliche Ausfälle in den Mund : 0 finstrer Wahnsinn! blutendes Entsagen, Wo rings des Gottes warme Pulse schlagen (Vs 145 £.), oder : Verrücktres hat die Erde nie getreten, Als Stoiker und darbende Asketen. (Vs 847 f. Vgl. Die Albigenser Vs 1363-66). Was die Asketen vom « lauten Freudenmarkt » zurückhält, ist das Gefühl « Wir sind gefallen » (Vs 9). Baader weist alle Lehren ab, welche den Fall des Menschen nicht anerkennen wollen (VI, 46 f). Mit Lenaus damaligem Begriff vom Asketen deckt sich seiner vom Menschen als Mikrotheos, als Bild Gottes in der Welt und für die Welt. Durch den Fall des Menschen, durch seine Abkehr von Gott und Zukehr zur Welt sei eine Entstellung und Verdüsterung des Gottesspiegels in ihm eingetreten (VIII, 226). Ein Asket ist auch Der Hagestolz (528), der sich « vor allzu heissem Wunsch » (Vs 15) mit dem Gedanken an den Tod verschanzt. Die « 13. Oktober 1837 » datierte Handschrift ist überschrieben : Der pantheistische Junggeselle. Ursprünglich ist das Lied also aus einer bestimmten Relle heraus gedichtet und wandte sich satirisch gegen den Pantheismus, den Niembsch 490 AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. gerade um diese Zeit an Rückert tadelte (*). Der Pantheist wird in der endgültigen Fassung neben dem Rauch der Pfeife und dem Totenschädel zum « dritten Kameraden » (Vs 19), der « wildkalt » (?) in ihm spricht von Pan, « dem grossen Unbe- kannten » (Vs 28). Als Lenau dem Liede den Charakter eines Rollengedichtes entnahm, fügte er die in der Handschrift fehlende Strophe ein : Den Rauch betrachtend, Rad an Rad, Und dort den bleichen Knochen, Hat noch ein dritter Kamerad Wildkalt in mir gesprochen. (Vs 17-20.) Die handschriftliche Fassung weist die Spur einer eben einge- tretenen Spannung mit Sophie auf. Die Verse 49-50 : Das Lebensglück ist nicht geglückt, Die Menschen mir’s zertraten lauten in der Handschrift : Das Liebesglück ist nicht geglückt, Schicksale mir’s zertraten. Auch der « allzu heisse Wunsch » deutet auf Sophie hin. (1) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 14. (2) Diese Bezeichnung sowie die Schilderung Pans überhaupt entspricht der Schubertschen : « Der Pantheisten Gott kennt kein Erbarmen... Nicht schnell tötet der Pan seine Opfer, sondern öfters unter Jange dauernden Martern; unter Schmer- zen, welche die Elenden von der Wiege bis zum Grabe begleiten... Doch dieses Nachtgespenst des allverschlingenden Gottes verschwindet, sobald die Seele es näher und schärfer betrachten will, wie ein wunderliches Traumbild ; unstatthafter und. lächerlicher zusammengeuichtei als jene phantastischen Gestalten, welche zum teil Fisch und Frosch, zum teil Vogel sind und Jungfrau » (Geschichte der Seele, S. 350). — Kalt, bemerkt l.enau in den Entwürfen, weht es dem Menschen aus dem Abgrunde des Pantheismus zu. Den Pantheisten lässt er sagen : « Was ich denke, ist so garstig, dass ich froh bin und wünsche. dass es nur einmal gedacht wird. » Weshalb dies garstig ist, seizt er ebenda auseinander. (Lenau und l.öwenthal, $. 522, 528, 542.) AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. 49 Die Erwähnung der « öden Stube » (Vs 2) verleitet Rey- naud (?) und die nachfolgenden Erläuterer, das Gedicht in die Zeit des Aufenthaltes bei Max Löwenthal in der Johannisgasse, vom 25. Oktober 1837 bis zum 21. Mai 1838, zu versetzen. Dort bewohnte Lenau in der Tat ein Zimmer, das Schurz (I, 372) als lichtarm bezeichnet, das Lenau selbst ein dunk- les (609), ödes (449), trauriges (?), einsam düsteres (?) nennt. Überdies weiss Schurz (I, 372), dass neben dem ausgebälgten Geier ein Totenschädel in diesem Zimmer stand, was der Dichter selbst bestätigt : . Du toter Geier stehst noch immer wild und edel, Und neben dich gestellt hab ich den bleichen Schädel. (Auf meinen ausgebülgten Geier, II, Vs 1 f.). In dieser « düsteren, kleinen Stube » besuchte ihn im Win- ter (1837-1838) Frankl und erzählt (S. 44), dass Lenau ihm an jenem düsteren Wintermorgen den Eindruck eines mittelal- terlichen, asketischen Mönches in einsam dunkler Zelle machte. Dass das Zimmer teilweise an seinem mürrischen Unbehagen schuld sei, schreibt Lenau Emilien (609). Irreführend genug war folglich die « öde Stube », wie auch die Bemerkung des Dich- ters zu Max Löwenthal am 26. Januar 1838, das Herz des Hagestolzen sei ohne Hülle dem Froste des Alters preisgegeben, während Kinder das Herz einwickelten, erwärmten und ver- jüngten (*). Die Motive der öden Stube und der Trost spen- denden Zigarre verwendet M. von Hartmann im Gedichte Jung- gesellenstube (1, 167). Ein Herbstlied (319) (Rings trauern die Entlaubten) schliesst sich an die beiden Herbstgedichte Das dürre Blatt und Vorwurf 4) These auxiliaire, Nr 205. (2) Vs 49 des Gedichtes Am Rhein. (%) Vs 2 des Gedichtes Beethovens Büste. (*#) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 47. 492 AUSKLÄNGE DER SAVONAPOLASTIMMUNG. an, die wir in die Liebesgedichte an Sophie einreihen. Die Handschrift im Nachlasse Sophies befindet sich auf der Rückseite derjenigen des Sonettes Stimme des Windes, und Sophie datiert sie « 18. Oktober 1837 in Penzing ». Genauer noch bemerkt sie in ihrem Exemplar : « Penzing in unserem Garten in der Schmiedgasse im Jahr 1837 den 18. Oktober ». Auch ohne diese bestimmten Angaben würde der offenbare Einklang mit den eben genannten Herbstgedichten zu dieser Datierung führen. Das « dürre Blatt » hat die Buche des Penzinger Gartens den Winden hingeworfen. Der immergrünen Eiche zieht der Dichter die Buche vor, als Sinnbild seiner « Seele Trauer » (Vs 13), und weil sie, wie er, sich « den Winterschauer so zu Herzen nimmt » (Vs 15 f.). Die Spannung mit Sophie wirft ein eigen- tümliches Licht auf die letzte Strophe. Den « Winterschauer » nahm der Dichter sich so zu Herzen, dass er am 20. Oktober der Geliebten bekennt : « Sophie! ich könnte in diesem Augen- blick das Traurigste tun » (409). Ein liebloses Wort von ihr konnte ihn in den « tobendsten Schmerz jagen » (450). Sehr fruchtbar in der Sonettendichtung waren die letzten Oktobertage. Seit Ende Oktober wohnte Lenau bei Max Löwen- thal in der Stadt, wo er auch, wie er der Stuttgarter Freundin meldet, « mit Kost und Bedienung trefilich versorgt war » (609). Bisher unbekannte Aufschlüsse über Leben, Denken und Dichten dieser Zeit bringt das Tagebuch von Max Löwenthal. So äusserte Lenau am 18. Oktober : « Ein wachendes Kind ist schon etwas sehr Tiefes, eines das schläft, angenehm träumt und in diesem Traume spricht, ist vollends etwas höchst Ergreifendes. Dieser Ton klingt wie der aus einer schönen verlornen Welt. Etwas Verwandtes ist der Herdenglockenton, der auf dem Hochge- birge durch weite, feierliche Stille der Natur dringt. Ich möchte diese beiden Erscheinungen in ein Sonett bringen, aber ich fürchte es nicht zu treffen. Es gibt Gedanken so zarter Art, dass jedes Wort für sie zu plump und schwerfällig erscheint » (?). (1) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 19. AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. 493 — « Wir wissen nicht », sagt Schubert, « welcher tiefe Reiz über der ersten Kindheit ruhet. Sei es, dass ein Nachklang jenes unbekannten Traumes, aus welchem wir kamen, oder dass jener Abglanz des Göttlichen sie verherrlicht, weleher am reinsten über dem Stillen und Kindlichen schwebet. » ('). In der Seele des Kindes, schlummert das « Ahnden eines höheren, unsicht- baren Geisterreiches, das neugierige Forschen darnach, ver- bunden mit den Unruhen der Furcht oder des hoffenden Sehnens » (?2). — Auch Baader fragt sich : « Warum zieht uns das geschlechtslose Kind so sehr an und weckt uns die Erin- nerung oder den Wunsch des paradiesischen Zustandes der äusseren Natur? » (Il, 271). Lenaus so gleichlautende Ausserung lehrt uns, dass die Anre- gung zu den vier Sonettien Stimme des Windes (1), Stimme des Regens (01), Stimme der Glocken (502), Stimme des Kindes (505), die der Dichter in der Hand- schrift 25. Oktober 1837 datiert, von dem Gedanken an ein schlafendes Kind ausgegangen, der umgekehrt in der Dichtung als Ausgangspunkt des Soneltenzyklus erscheint. Dem Plane folgte unmittelbar die Ausführung. Ein Schreiben an Sophie vom 20. Oktober : « Nach einer guten Weile entliess ich mein kleines Auditorium und machte noch ein Sonett » (408), meldet, dass die Arbeit bereits begonnen. Das schlafende Kind besang der Dichter in Stimme des Kindes, den Herdenglockenton in Stimme der Glocken. Die Stimme des Regens und die Stimme des Windes bildeten eine so bald erfolgte Ergänzung, dass Lenau die vier Sonette am 25. Oktober Sophie überreichen konnte. Er überschrieb sie in der Handschrift mit den Worten : Zur Versöhnung und Begrüssung in der Stadt, zur Versöhnung nach einem im Oktober stattgefundenen Zerwürfnis mit Sophie, auf das wir noch zürückkommen, zur Begrüssung in der Stadt, infolge von Lenaus Übersiedelung in das Löwenthalsche Haus. (4) Ansichten von der Nachtseite der Natur, 1. Auflage, S. 303. (2) Geschichte der Seele, S. 34. 49% AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. in der Johannisgasse. « Diese vier Sonette », bemerkt Sophie in ihrem Exemplar, « machte Niembsch im Spätherbst 1837 in meines Vaters Hause », d. h. in Penzing. Am 30. Oktober sandte der Dichter sie Emilien Reinbeeck, mit dem Vermerk : « Hier folgen vier Sonette. Eine meiner jüngsten Produk- tionen » (607). Derselbe Brief bringt das bemerkenswerte Geständnis : « Dass die Poesie den profanen Schmutz wieder abwaschen müsse, den ihr Göthe dureh fünfzig Jahre mit klassischer Hand gründ- lich einzureiben bemüht war; dass die Freiheitsgedanken, wie sie jetzt gesungen werden, nichts seien als ein konventioneller Trödel; dass eine Zeit kommen werde, wo das jetzt für Unsinn Geltende sich als Tiefsinn erweisen soll : davon haben nur wenige eine Ahnung. Die Morgenstrahlen einer wahrhaft geweihten Kunst werden immer nur die Bergesgipfel empfan- gen, in den Schluchten aber werden sie nie popular werden, weil die Sonne in die letztern erst hinabscheint, wann der Morgen bereits vorüber ist ». Sein Missfallen an Rückerts Diehtung begründete er dadurch, dass dieser ein Jenseits weder kenne noch Sehnsucht darnach empfinde, sich in der Gegen- wart vollkommen befriedigt fühle (t). In Goethes 1836 erschie- nenen Gesprächen mit Eckermann fühlte er den Mangel des « intuitiven und spekulativen Charakters » (?). Zu Grunde liegen Anschauungen Baaders, der die « profane » Poesie der (!) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 14. (2) Ebd. Nr 25. Vgl. auch ebenda Nr 97. « Auf die Bemerkung », berichtet Frankl (S. 63), « dass Eekermann Goethen im Sehlafrocke, im Neglige seines Herzens gezeigt und trotz aller Bewunderung für Goethe ihm geschadet habe, erwiderte Lenau : « Eekermann und Goethe, Blaserohr und Flöte. » M. Koch nimmt den Ausspruch in Lenaus Lyrik (I, 357) auf. Noch eine ungedruckte Äusserung Lenaus über Goethes Gespräche mit Eekermann findet sich in einem Berichte des Koadjutors J. L. Jockell an Sehurz : « Sie können sich nicht denken, wie mir vor den gedruckten goethischen Nachtisch-Rülpsern ekelt, die Eekermann in seinen dickleibigen Büchern der Welt aufschliesst, sagte er mir einmal bei Neuner mit der Queue in der Hand. » (Ergänzung zu Schurz, II, 197 £.) AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG, A495 Zeit in Bausch und Bogen verurteilte, weil die neueren Lite- raten alle gründlich über die « mystische Dimension » hinweg- gingen ('), und der namentlich schlecht auf Goethe zu sprechen war (?). In bewusstem und gewolltem Gegensatz zu dieser profanen Poesie dichtet Lenau in den Stimmen von einer schönen, ver- lorenen Welt, vom Heimweh nach dem entschwundenen Para- diese der Kindesunschuld und des Friedens, von Glockentönen, Segenssprüchen, Engelchören u. s. w. Die innere, subjektive Stimmung, aus welcher diese Friedensdichtung erwuchs, verrät der nach einer neuen Versöhnung mit Sophie geschriebene Zettel vom 21. Oktober : « Deine Worte von heut abend sind wie Balsam in mein Herz geflossen. Ja, du liebes, edles, süsses Weib, unser gemeinsames Leiden soll uns heilig sein. Ich schmähe diese Stunden nicht, und ich bereue nicht, dich gefunden zu haben. Solche Stunden bestürmen das Herz zugleich mit einem Übermass von Lust und Leid, dass das ver- wirrte nicht weiss, ob es bluten soll oder lachen, und verzwei- feln möchte in seinem Himmel ; aber sie sind die besten meines Lebens. — Hätt ich dich nicht gefunden, so hätt ich auch nie erfahren, was es heisst, von einem Weibe geliebt zu werden, die es wert ist, dass mir mein Unglück das Liebste ist, was ich habe. Ich habe mir nie ein Glück geträumt, wogegen ich dieses Unglück vertauschen möchte. Ein Blick in deine Seele ist nicht zu teuer erkauft mit dem schmerzlichsten, bis an meinen Tod fortgekämpften Entsagen » (410). Dem Satze : « unser gemein- sames Leiden soll uns heilig sein » entspricht der Vergleich : Und Erd und Himmel haben keine Scheide, In eins gefallen sind die nebelgrauen, Zwei Freunden gleich, die sich ihr Leid vertrauen, Und Mein und Dein vergessen traurig beide. (Stimme des Regens Vs 5-8 £.) (!) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 5. (2) Baaper Werke, Il, 504, Ill, 307, 310, IV, 252, VII, 201, VIII, 158, 261, X, 417, XII, 408. 496 AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. Die « erste Paradiesesfrühe », die Lenau im Schlussvers von Stimme der Glocken erwähnt, schildert Schubert ausführlich in den Ansichten (S. 308 f.). Die Stelle schliesst sich unmittelbar an die eben erwähnte über das schlafende Kind an ('). Zu dem Ausklang des schönen Sonettenzyklus, dem Gedan- ken, dass das schlafende Kind ein tieferes Heimweh erwecke als des Baumes Rauschen im stillen Wald, der Regen auf der stillen Heide, die fernen Glocken im Gebirg (?), wären die vielen Zeugnisse von Lenaus Bekannten und von ihm selbst über seine Kinderliebe und seine Sehnsucht nach Weib und Kind anzuführen. Die schwäbischen Freunde entzückte er durch seine Artigkeiten gegen die Kinder, seine Briefe sind voll von kindlich-naiven Zügen und lieben Erinnerungen an Kinder. Max Löwenthal beneidete er um die seinigen und äusserte u. a., einen « konkreten » Buben wie dessen Sohn Artur müsse man haben, alles andere sei nur glänzendes Elend, so ein Produkt wie Artur sei mehr als jedes Trauerspiel und Epos und genüge, um das Glück des Menschen zu sichern. Er klagte, (') « Wir finden uns da, wo wir aus jenem Traum erwachen, wie in der Morgen- röte eines beständigen Frülhlingstages, dessen heitres Grün keine Spur eines sehon vorübergegangnen Illerbstes unterbricht. Am klaren Quell des Lebens, in welchem sich der ewige Himmel noch in der ersten Reinheit abspiegelt, unter Blumen erwachen wir. Noch strebt der Sinn nicht über den Saum der nahen Hügel hinaus, wir suchen und erkennen in der Natur nur die Blüten, und das Leben erscheint uns noch unter dem Bild der spielenden, unschuldigen Lämmer. Da berührt ein frühe aufblühendes Gemüt der erste Stralıl jenes Sehnens, das uns von der Wiege bis zum Grabe führt, und unbewusst der unendlichen Ferne, die uns von dem ewigen Quell des Lichtes trennt, breiten sich die kindlichen Arme aus, das nalıe Geglaubte zu umfassen. Doch schon die ersten Schritte sind ein Irrtum, und wir eilen von dem einsamen Hügel der kindlichen Träume, auf dem wir die ersten aufgehenden Strahlen empfingen, hinabwärts, in das tiefe Gewühl des Lebens, wo uns neue Dämmerung umfängt. » (2) Vgl. Hamerlings Gedieht Das Paradies. Unmittelbareren Einfluss Lenaus weist Hamerlings Gedicht Sag nichts den Leuten auf, mit seiner fast wörtlichen Entlehnung der zwei letzten Verse aus Zuflucht (Armes Wild...). (Hamerlings Werke, Volksausgabe, hrsg. von M. M. Rabenlechner, Hamburg, Verlagsanstalt und Drucke- rei A. G. 2. Auflage, 0. J. Bd. III, S. 218, 316). AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. 497 dass Sophies Kinder nicht seine Kinder seien, eröffnete Emma Niendorf (S. 128), er könnte auch Kinder- haben, aber die, welche er geliebt, habe er nicht heiraten können. Als bedauer- lichste Folge der Lähmung, die ihn am 29. September 1844 traf, erachtete er den Verzicht auf häusliches Glück und auf Kinder, die er sich so lang und so sehr gewünscht (!). Deutlicher noch als in den Stimmen ragt die Spekulation in die Dichtung hinein im Sonette Doppelheimweh (505). Die beiden Welten, die himmlische wie die irdische, halten uns gefangen, kommen wir an den Rand des Grabes, so erfasst uns das Doppelheimweh : nach Erdenlust und Leid, nach himm- lischer Morgenluft. Die Sehnsucht nach dem Jenseits, das « Himmelsheimweh », das Lenau bei Goethe und Rückert ver- misste, betont er in einem Gespräche mit Max Löwenthal vom 7. Oktober 1837 als den Grundcharakter des Dichters über- haupt, dessen Organ « antizipiert » sei, einem anderen Leben angehöre, worin es erst seine volle Entfaltung finden sölle (2). Savonarola auf dem Scheiterhaufen lauscht nach dem Heimatliede, Das tröstend ihm herüberweht. (Vs 3791 £.) Eine heftige Sehnsucht nach dem anderen Leben erfasste den Dichter am 20. Oktober : « Sophie! ich könnte in diesem Augenblicke das Traurigste tun... Ich möchte gleich sterben jetzt. Mir ist ganz so zu Mut, als wär ich reif dazu. In mir ist ein Aufruhr... Ein Anlauf, ein rasender, um hinüberzuspringen, und am tiefen schwarzen Graben wieder umkehren, und wieder ein Anlauf und wieder umkehren » (409) : Zwiefaches Heimweh hält das Herz befangen, Wenn wir am Rand des steilen Abgrunds stehn Und in die Grabesnacht hinuntersehn, Mit trüben Augen, todeshohlen Wangen. (1) Lenau und Löwenthal, S. 209, 234, 290, 313, 434, 445, 543. (2) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 11. 498 AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. Die Schlussverse : Vielleicht ist unser unerforschtes Ich Vor scharfen Augen nur ein dunkler Strich, In dem sich wunderbar zwei Welten schneiden erklärt eine Stelle aus Schuberts Geschichte der Seele (S. 42) : « Der Mensch ist ein Gebirge an der Grenze zweier Welten; sein Fuss stehet in der einen, der Gipfel raget hinauf in die andere. Es werden von da die ganze Mannigfaltigkeit und die Erquiekungen der zurückgelegten Bahn des Vergangenen und Vergänglichen überblieket, und zugleich wird im Aufgang der Morgenglanz der Ewigkeit bemerkt. In diesem Tempel der Höhe beginnet die Feier eines Sabbathes, der nie aufhört; es ist hier ein Bleiben, eine Ruhe der Herrlichkeit des Gottes, noch diessseits des Grabes... So werden sich uns denn in der Natur des Menschen beide Welten : die des Endliehen und jene des Ewigen abspiegeln. » Ausnahmsweise liess Lenau den Sonettenkranz- Stimmen sofort nach der Entstehung in der Wiener Zeitschrift, 2. No- vember 1837, im Druck erscheinen. Am 18. November erfolgte ebenda der Erstdruck von Doppelheimweh. Während er an diesen Sonetten arbeitete, ging Lenau der Gedanke zu dem optimistischen Trostgedichte Der gute Gesell (21) auf. « Es ist ein Geist in der Natur », äusserte er am 3. November zu M. Löwenthal, « welcher unabhängig von dem Moralgesetze und gewissermassen hinter dem Rücken des Gewissens dem Menschen angenehme Empfindungen zu ver- schaffen sucht. Manifestationen dieser Naturtendenz sind z. B. die Freude und Zufriedenheit bei dem tiefsten Elende, der Schlaf des zum Tode verurteilten Verbrechers. Ich bemühe mieh schon seit einigen Tagen, diese Wahrnehmung in der konkreten Bildung eines Gedichtes darzustellen » ('). Eine (4) Tagebuch von N. Löwenthal, Nr 26. AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. 499 wörtliche Übereinstimmung bietet das Gespräch mit dem Liede, das milde Schaffen des guten Gesellen « hinter dem Rücken des Gewissens » (Vs 77 f.). Die Freude und Zufrieden- heit bei dem tiefsten Elende und den Schlaf des zum Tode Verur- teilten schildert die Dichtung, wieder gibt Lenau im Gespräch den Inhalt des bereits fertigen grösseren Teiles des Gedichtes an. Eine frühe Briefstelle vom 11. November 1831 bringt bereits das Vs 71-78 verarbeitete Motiv ‘des Schlafes als des guten Gesellen, als des « heimlich stillen Freundes der Men- schen, der den armen Wanderer beschleicht und ihm die Bürde seiner Müdigkeit, seiner Sorgen leise und heimlich davon- trägt » (72). Der gute Gesell, den Lenau so oft zurückgewiesen, fand freundliche Aufnahme in der Zeit, wo er sieh mit Sophie ausgesöhnt und bei ihr wohnte. Das erste Behagen dieses Zusammenwohnens trug mit bei zur Schaffung der gehobenen Stimmung. Der Dichter stimmt ein Hoffnungslied an, das in scharfem Gegensatze zum Liede des Hagestolzen steht und gerade in der Schilderung des Familienglückes (Vs 43-55) am schönsten leuchtet. Wirklich « lüpft » der gute Geselle ihm damals « die schwere Bürde » (Vs 63), « raunt ihm ein lustiges Hoffnungsliedlein » (Vs 64), « entwendet der Seele die bangen Zweifel, die verlorne Sehnsucht » (Vs 80 f.), singt ihm von Glaube, Höffnung und Liebe (Vs 95 ff.). Wir wissen, wie zuversichtlich, schwärmerisch die gleichzeitigen schriftlichen Ausserungen an Sophie klingen. « Es soll auf Erden nichts Festeres geben als unsre Liebe », lautet der Zettel vom 29. Okto- ber. « In dieser Festigkeit behauptet sie ihre Rechtfertigung und Heiligung... Störung von aussen und hier und dort ein Verdruss von innen dürfen mir mein Gefühl nie wanken machen. Darunter kann mein Herz leiden, aber nicht meine Liebe. Diese ist tiefer als mein Herz. Sie wurzelt durch mein Herz hindurch in Gott, der uns halten wird » (416). Den guten Gesellen hat Lenau oft « undankbar fortgewiesen », wenn er 500 AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. ihn « heilsam bestehlen », « freundlich beschenken » wollte (Vs 84-86) : Dann ward er schüchtern und scheu zuletzt, Und immer seltner ward er und seltner. (Vs 87 £.) Ein Gleiches tun die Menschen des gleichzeitigen Sophie- gedichtes An eine Freundin, die dem guten Geiste, der ihnen Segen ins Haus brachte, einst etwas zuleide sagten und ihn auf immer verscheuchten. Sie « rufen und klagen » wie der Dichter selbst : Verscheuchter Gefährte meiner Jugend, O komm zurück und verzeih den Undank, Du lieber, milder, guter Gesell ! (Vs 89-91.) Wie in den Asketen und in den Stimmen klingt hier wieder das Leitmotiv des verlorenen Paradieses an (Vs 3, 11-25). Die « weithin tönende Klage » (Vs 16) ist dieselbe die Schuberts, auch Baaders Schriften durchdringt. Durch seinen Fall, meint Baader, hat der Mensch die Natur zur Witwe gemacht (II, 79, X1l, 108). « Durch alle Schönheiten der Natur hindurch ver- nimmt der Mensch, bald leiser, bald lauter, jene melancholische Wehklage derselben über den Witwenschleier, den sie aus Schuld des Menschen tragen muss » (Hl, 120). Lenaus guter Gesell ist Schuberts « Geist der Ordnung und Verschönerung, welcher auch in seinem halbgelungnen Bestreben die Erinne- rung an ein Paradies ausspricht, aus welchem der Mensch entsprossen, und dessen er bei allen seinen Irren und Mühe- fahrten nicht vergessen kann... Es war keine Menschennatur so arm und verödet, welehe nicht etwa einmal in ihrem Leben dieses Mittönen ihres ganzen Wesens mit den Klängen einer oberen und ewigen Harmonie empfunden hätte (') ». d) Geschichte der Seele, S. 336. AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. 501 In einem späteren Briefe an Sophie vom 30. September 1838 spielt Lenau auf das Gedicht an und führt in minder glück- licher Seelenstimmung aus, dass neben dem guten Gesellen noch ein schlechter, schadenfroher Kerl durch die Menschen- welt gehe, der ihnen beiden auch erschienen sei (466). Es ist wohl diese Anspielung auf das Gedicht, die Sophie zu der Bemerkung in ihrem Exemplar verleitete : « In Ischl im Jahre 1838 im Steiningerischen Hause », wo Niembsch im Monate Juli verweilte, nachdem der Erstdruck bereits in Witthauers Album zum Besten der Verunglückten in Pest und Ofen erfolgt war. Der Brief vom 30. September führt die Kehrseite des Trostliedes in ganz persönlichem Bezuge aus : « Dass gerade Max zuerst es war, der mich dir zuführte, dass der verstorbene Fritz (Kleyle) mich nicht in euer Haus gebracht, dass Max eben ein Dichter ist und so viel Interesse an mir gefunden hat, als nötig war, um sich über manche Bedenklichkeit hinweg- zusetzen und durch schonende Duldung unser Unglück recht gedeihen zu lassen — das alles ist jener arge Kerl » (166) . Die Dichtung stockt in den zwei letzten Monaten des Jahres 1837. Mit einiger Übertreibung schreibt Niembsch am 16. Ja- nuar 1838 an Emilie Reinbeck, dass er seit dem Oktober « nicht eine Zeile » gedichtet habe (609). Hingegen, erfahren wir aus demselben Briefe, bereitete er sich für künftige Arbei- ten vor durch historische Studien auf der Hofbibliothek, beschäf- tigte sich mit dem Studium des Spanischen und Provenza- lischen. Huss und die Hussiten zeigten sich bei näherer Bekanntschaft nicht ergiebig genug für ein grösseres Gedicht, und Lenau schlug aus dem Stoffe nur die Johannes Ziska betitelten Bilder aus dem Hussitenkriege heraus, deren Vollen- dung sieh noch bis in das Jahr 1842 hinzog. Dagegen fand er einen anderen Stoff, den der Albigenser, der ihm alles zu bieten schien, was er brauchte, und an dem er wenigstens zwei Jahre Arbeit voraussah. Körperliches Kränkeln, Appetit- und Schlaflosigkeit plagten ihn den Winter hindurch. Hätte er 502 AUSKLÄNGE DER SAVONAROLASTIMMUNG. einen festen und ausdauernden Körper, äusserte er zu Max Löwenthal, so würde er zehnmal mehr und besseres machen ('). Auch meinte er, dass alles, was er bisher geleistet, nichts sei, dass das Wahre erst kommen müsse (?). (1, Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 69. (2) Ebenda Nr 24. XLI Sophiegedichte. 5. Reihe. — Oktober 1837. Der Fingerhut. — Poetisches Votum. — Das dürre Blatt. — Vorwurf. — An eine Freundin. — An *. Wie willkommen Lenaus Rückkehr in Wien am 19. Septem- ber auch Sophies Gatten war, zeigt das schöne Zeugnis, das er am Vorabende seiner Ankunft dem Dichter ausstellt (!). Bis Anfang November wohnte Niembsch wieder in Penzing, anfangs Oktober zog er nach Kierling zu seiner Schwester und blieb dort bis zu Ende des Monates. Froh wie Kinder waren im Sep- tember Lenau und Sophie, « wie Kinder, die in einer Wüste spielen oder auf Gräbern » und ihr Los vergessen (599). Von Seligkeit strömen die Zettel aus dem September über. Vom un- ausschöpfbaren Meere seiner Liebe dichtet Lenau vielleicht um diese Zeit in den launigen Gelegenheitsversen Der Fingerhut (191), die ein unverkennbares Talent für humoristische Auffas- sung und Darstellung zeigen, das die stete Pflege des Schmerzes bei ihm unterdrückt hat. Castle versetzt den poetischen Liebes- zettel (296) in den Juni 1837. Sein angekündigter Kommentar im 6. Bande der Werke wird uns wohl über den Grund belehren und vielleicht meine Datierung berichtigen. (t) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 2. 504 SOPHIEGEDICHTE. — 3. REIHE. Ein zweites Scherzgedicht, das wir etwas gewaltsam hier einreihen, weil es sich nicht an Sophie, sondern an ihre Mutter wendet, schrieb Lenau am 11. Oktober. Wie Schiller im Weinberghäuschen zu Loschwitz weiss Lenau einem ärgerlichen prosaischen Erlebnisse im Kleylischen Hause zu Penzing eine poetisch-komische Seite abzugewinnen in Poetisches Votum (42) an die verehrte Frau Hofratin v. Kleyle, über den herzkläglichen Unfall, welcher sich in deroselben berühmten Speisekammer ereignet hat, in der Nacht vom 10. auf 11. Oktober, im Jahre diesmal des Unheils 1837, zu Penzing in der Schmiedgasse. Zu schmerzlicher Liebesdichtung gab bald die Wirklichkeit neuen Anlass. Über einen der schönsten Tage seines Lebens, einen « festlichen, unvergesslichen Tag », an dem jeder Winkel seines Herzens beleuchtet, an dem das « ganze Herz in seliger Wehmut zuckte vom Morgen bis in die Nacht », jubelt das Schreiben vom 7. Oktober (405). Ein ganz anderes Bild zeigt das nächstfolgende vom 8. Oktober. Diesen Tag, der auch ein schöner war, beschloss die wandelbare Sophie mit einer Unfreundlichkeit, schnitt beim Gang zum Abendessen kalt und fast trotzig ab und trieb den Mutwillen so weit, ihren Anbeter katzenartiger Falschheit zu bezichtigen. Heftlig bäumt er sich gegen diese Demütigung auf. « Ich hoffe, du saglest es zum letztenmal, denn das ist ein Punkt, worin ich keinen Spass verstehe » (404). Die Spannung war von kurzer Dauer, der Zettel vom 21. Oktober bezeugt eine vollständige Versöhnung, welche der Sonettenkranz Stimmen krönte. Wie belanglos an sieh und schnell beigelegt der Liebeszwist auch war, so eröffnete er doch wieder wie der ernstere des Jahres 1836 den Quell von Lenaus melancholischer Liebesdichtung. Vier Gedichte verdanken ihm ihre Entstehung, die unmittelbar den Sonetten Stimmen vorangehen. Am sichersten ıst der Zusammenhang dieses Verdrusses mit dem Gedichte Das dürre Blatt (556), das Sophie selbst darauf bezieht, wenn sie in ihrem Exemplar schreibt : « In n SOPHIEGEDICHTE. — 35. REIHE, 505 Penzing an Sophie während eines Zerwürfnisses durch ein zum Fenster hereinfliegendes dürres Blatt veranlasst im Jahr 1837 ». Die Kälte Sophies, « recht kalt warst du heute », klagt der Dichter am 8. Oktober, erscheint ihm gleich als der Tod der Liebe : Der toten Liebe Worte flehn, Dass ich auch sie vernichte; Wie fesigehaltne Lügner stehn Sie mir im Angesichte, (Vs 13-46.) Auch Sophie glaubte gleich an den Tod der Liebe, wenn Misshelligkeiten wie die damaligen eintraten. « Lass dich nicht beirren », schreibt Lenau am 1%. Oktober, « und glaube nicht gleich an den Tod meiner Liebe, den du nicht erleben wirst » (406). Bis in die jüngste Zeit sind die Verse von Koch, Ernst, Rey- naud u. a. auf Berta bezogen worden. Welche Folgen ein soleher Irrtum haben kann, zeigt Reynauds (S. 271) Erläute- rung : « Il faut bien que la poesie vive, et, si elle a besoin de vieux restes de douleur pour s’en repaitre, on les lui conser- vera pieusement ». M. von Hartmann ahmte das Gedicht im Epilog seines Intermezzo (I, 222) nach, sowie J. N. Vogl in Das letzte Blatt ('). Über Wandelbarkeit und Erkalten der Liebesglut klagt Lenau auch in dem Gedichte Vorwurf (525). Der sich entlaubende Wald und der Wanderzug der Vögel (Vs 2 u. 4) deuten auf den Oktober hin. Kaum bedürfen wir der Bemerkung von Schurz in seinem Exemplar, dass die Verse an Sophie gerich- tet. Sophies Kälte ist auch im ersten der beiden Zettel vom 20. Oktober erwähnt, wo der Liebende klagt, dass sie ihn immer so fremd Lenau nenne (408). Die irrtümliche Datierung (4) Jon. NEP. VoGL, Lyrische Gedichte, Balladen und Erzählungen. Wien, C. Konegen 1902, S. 37. 506 SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. Reynauds : Oktober 1836 ('), hängt mit der irrigen Auflas- sung zusammen, Lenau klage sich selber der Wandelbarkeit und des Erkaltens der Leidenschaft an. Ganz fern lag ihm ein solches Gefühl. An Sophie ist in der Handschrift, die sich in Reinschrift ım Nachlasse Sophies findet, das Gedicht An eine Freundin (344) überschrieben. Der Diehter mahnt sie, sich vor « frem- dem und rauhem » Begegnen zu hüten, wie im Zettel vom 8. Oktober ; « übermütig » fügt die Handschrift noch hinzu, was dem in demselben Schreiben Sophie vorgeworfenem « Mutwil- len » entspricht. Prof. Castle (?) reiht das Gedicht in den Oktober 1838 ein, was unmöglich ist, weil es bereits in den Neueren Gedichten 1838 erschien, deren letzten Korrektur- bogen Lenau, wie bereits erwähnt, am 11. September dieses Jahres absandte. Wieder bleibt kein anderer Anhaltspunkt übrig als das Zerwürfnis des Monates Oktober 1837. An aufklärenden Erläuterungen ist übrigens in den gleichzeitigen Mitteilungen an die Geliebte kein Mangel. Sophie quält den Liebenden, wie es in.einem Zettel vom 20. Oktober heisst, mit Redensarten von « einem Höherstehn, Herabziehn und derglei- chen », und Lenau knüpft hieran die Bemerkung : « Ist dir die Schranke nicht genug, die uns ohnedies trennt, dass du mutwil- lig noch eine Scheidewand dazu baust? » (408). Bei den eigen- tümlichen Umständen, unter denen der Dichter bei der Familie Löwenthal wohnte, waren mitunter kleine Reibereien mit den Angehörigen Sopbhies, namentlich mit ihrem Vater Kleyle und mit ihrem Gatten, unvermeidbar, für die l.enau seine bekannte grosse Reizbarkeit noch besonders empfänglich machte. Er erwähnt solche im Zettel an Sophie vom 14. Oktober, und dabei ist es ihm immer das Schlimmste, wenn sie solche Störungen gleich auf ihr Verhältnis zu ihm bezieht und alles aufgeben (1) These au.ciliaire, Nr 200. (?) Lenau und Löwenthal, S. 467. In Werke IV, 138 versetzt er es in den Monat Januar 1838, mit Fragezeichen. SOPHIEGEDICHTE. —- 5. REIHE. 507 möchte. Solche Dinge streichen nicht ohne Galle an ihm vorüber, und in der zarten Einkleidung einer Sage deutet er der Geliebten an, dass ein rauhes Wort dem Zusammensein mit ihr ein Ende machen könnte. Er selbst ist der gute, ernste Geist, der Segen ins Haus bringt, nach dem Wirt und Gäste sehnlich ausblicken, der einen Kranz fremder Blumen von verborgenen Wiesen bringt. Das Gedicht nimmt nicht allein Bezug auf Sophie, sondern auch auf das Löwenthalsche Haus, das der Dichter mit seiner Gegenwart erhellt. Im genannten Zettel deutet er übrigens auch auf einen gewissen « leiehtfertigen Übermut » von Sophies Vater, dem Hofrate Kleyle, hin. « Wird diese Eigenschaft an mir geübt, dann hat sie sich an den unpassendsten Gegenstand von der Welt gewen- det. Ich bin von Haus aus so gemacht, dass ich mir keine Geringschätzung gefallen lasse; in meiner jetzigen Lage wird mir eine solehe doppelt unerträglich, denn es überschleicht nich dabei jedesmal das Gefühl, als erlaube man sich derglei- chen gegen mich, weil man sich einer gewissen toleranten Schonung gegen mich bewusst ist. Das ist die Quelle meines ätzenden Ärgers » (406). Ein Bruch mit dem Hofrate von Kleyle erfolgte wirklich zwei Jahre später, und Max Löwenthals Kom- mentar dazu erhellt den eben angeführten Brief. « Niembseh », bemerkt Max u.a., hat « natürlich das volle vielleicht bisweilen überströmende Gefühl seiner ausserordentlichen Begabung, einen verzeihlichen Stolz... » (!). Diesen Stolz gesteht Lenau auch Sophie im Zettel vom 8. Oktober ein : « Du hast mich oft des Stolzes geziehen, und ich kann ihn nicht leugnen. Auch meine Liebe, so breit sie sich auch in meinem Herzen gemacht hat, konnte ihn nicht verdrängen, sondern verband sich mit ihm schwesterlich » (404). Fügen wir diesem Satze den unmittelbar vorangehenden hinzu, so ergibt sich die Umschreibung in Prosa des Gedichtes (!, Lenau und Löwenthal, S. 99 f. 508 SOPHIEGEDICHTE. — 5. REHE. An* (295) (0 wag es nicht...) : « Es erweckt mir eine peinliche Empfindung, wenn ich auch nur im Scherz meinen Charakter gegen dich verteidigen soll. Demütige mich nieht, auch nicht scherzend. Das ist eine Verletzung, welche immer Blut gibt, wenn sie noch so leise ritzt; welche aber selbst von dir nicht geheilt werden könnte, wenn sie einmal tiefer schnitte » (404) : Ö wag es nicht, mit mir zu scherzen, Zum Scherze schloss ich keinen Bund; O spiele nicht mit meinem Herzen, Weisst du noch nicht, wie sehr es wund? O rüttle nicht den Stolz vom Schlummer. Der Schluss wiederholt nur eindringlicher die im vorigen Gedichte gegebene Mahnung. Einen « gewissen, finstren Trotz » betont Lenau übrigens öfters in seinen Briefen. Er sei ihm so sehr eigen, schreibt er im Mai 1837, dass er imstande wäre, wenn Sophie ihn einmal ohne ein Zeichen der Liebe gehen liesse, sich sogleich in den Eilwagen zu werfen und ohne Abschied von ihr davonzufahren, sollte ihm auch auf jeder Station das Herz zelınmal brechen (295). Ein andermal drohte er nach Amerika zu gehen, den « armen Rest seines Lebens » in einem Waldversteck « einsam zu verbrummen » und nur mehr Straflieder an Sophie zu dichten (457). Alles, was von ihr kommt, nimmt er so hoch und ernsthaft und buchstäblich, dass ihm ihre harmlosesten Neckereien wichtig und unheilver- kündend vorkommen. Er versteht zu wenig Spass in der Liebe; er kann nicht mehr scherzen mit ihr; alles wird ihm gleich blutiger Ernst. Dass dieses steif, eckig und alt sei, wisse er sehr gut (444). Bei ruhiger Seele denkt er hinwieder, das liebe junge Weib habe auch ihren Mutwillen, und ihr Übermut, entspringend aus dem Bewusstsein ihrer Liebe und Gewalt, sollte ihn freuen statt verletzen, weil sie dadurch ein kindliches Vertrauen auf sein Herz ausspreche (444). Und all sein « Trotz und Stolz » wird ganz zunichte, wenn die Furcht in ihm SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. 509 erwacht, dass sie ihn weniger liebe. Ihr Herz ist doch das Beste, was er hat, und solche Gedanken lehren ihn zittern (437). In keinem Augenblick ist er gegen sie erkaltet, darum wird er, wenn sie es gegen ihn scheint, manchmal zu kränkender Heftig- keit hingerissen (444). Dass Gedichte wie An* und An eine Freundin ıhre Wir- kung auf Sophie nicht verfehlten, beweist ein ähnlicher Vorfall Ende September 1838, nachdem das Gedicht An* bereits gedruckt war. Sophie regte sich mächtig auf über den Satz : « Zuweilen ist es mir vorgekommen, als schlummre eine Kraft in mir, die ich nur heraufzulassen brauchte, um mit einem Satze auf dem alten Boden der Freiheit zu stehen ; aber mir graut davor » (466). Was heisst diese Freiheit? frug sie. Die ausführliche Antwort Lenaus (467) bietet eine zweite Umschrei- bung des Gedichtes An*, führt es sogar wörtlich an mit der Einleitung : « Das Nämliche sagt dir die Strophe : Ö rüttle nieht den Stolz vom Schlummer... ». Dieser Brief vom 31. September 1838 vertieft das Verständ- nis des Gedichtes. Sophie datiert es in einer Abschrift : « 21. September 1838 » und vermerkt hier das Wortspiel Lenaus : « Weisst du, an wen das ist? sagte Niembsch, als er es mir gab. ‘ An meinen Stern ' » (!). Lenaus Ausserung gehört also zu diesem Gedichte An*. Sophies Datierung kann nicht stimmen, weil das Lied bereits am 21. September 1838 gedruckt war. Für die Bemer- kung von Schurz in seinem Exemplar : « Im Winter 1836 », der sich Prof. Castle ansschliesst (?), ergäbe sich nur der beim Gedichte Tod und Trennung angeführte Anhaltspunkt, der viel schwächer scheint als die mitunter wörtlichen Übereinstim- mungen, welche die Briefe aus dem Oktober 1837 aufweisen. (*) Vgl. den Brief an Sophie vom 12. Juli 1839 : « Sie sind mein Stern, zu dem ich in jedem Sturme aufblicke » (643). (2) Werke IV, 9. 510 SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. Die Iyrische Fruchtbarkeit dieser Zeit gesteht der Dichter ein in einem Briefe an Emilie Reinbeck vom 30. Oktober. « Seit meiner Ankunft in Wien habe ich mehrere kleine Gedichte geschrieben » (607). Er nennt sie « kleine » in Gegensatz zum grossen, dem Hussitenepos, das er noch nicht angefangen. Zu grösseren Arbeiten habe er noch immer nicht den dazu notwen- digen langen und tiefen Atem holen können. Und auf die Spannung mit Sophie anspielend schreibt er : « Von Zeit zu Zeit kommen mir Verdüsterungen in die Seele und verlegen mir eine freiere Respiration » (607). Auch Schurz (I, 349) )° .bezeugt, dass sein Schwager damals oft sehr traurig und ziem- lich schlaflos war. Trotz mancher bangen Stunden, Stimmungen tiefster Nie- dergeschlagenheit, ja Gefühlen der Verzweiflung überwiegt die - Freudigkeit in den Liebesergüssen an Sophie vom Jahresende 1837. Der Liebende hat einmal das Wagstück getan, sich mit Leib und Seele einem Weibe zu verkaufen, er bereut es nicht, weil er so gut bezahlt wird. « Rasend schön und lieb » ist Sophie. Oft leuchteı der ganze Himmel ihrer Seele über ihn (418), mit der ganzen Allmacht ihres Wesens wirkt sie auf ihn, beglückend, alles Erdenleid versöhnend. Je länger er sie kennt, desto reizender, tiefer, unerschöpflicher findet er sie (120). Diese Liebe ist wirklich reich an göttlichen Keimen, und in ihr gedeiht sein bestes Wesen (s17), sie ist seine Rettung und sein Heil (424). Sophie ist und bleibt sein Süssestes, Liebstes, Bestes (429). Stunden unsagbarer Wonne, Stürme von Freuden dankt er ihr. Eine Stunde solchen Glückes, die er mit einer himmlischen Erscheinung vergleicht, wiegt tausendfach alles auf, was er gelitten (222). « Wenn ich dich auch nicht ganz haben durfte », jubelt er am 21. November, « so hatte ich doch mehr, als meine schönsten Träume jemals für möglich hielten. Wie reich bist du! wieviel kannst du geben, wenn du noch so viel zurückbehältst ! Und gäbst du mir auch alles, so wär's doch nicht alles, ich fände immer neue, tiefere Hintergründe deines SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. BYE | zauberhaften Wesens » (422). Sehr freudig, ergreift ihn Sophies Wort : « Du bist mir verfallen ». « Es ist mir, als hätte mir der Himmel gesagt, ich sei ihm verfallen » (428). Nieht Sophies Mutwillen, Trotz und Kälte bilden die Schat- tenseite zu dieser « himmlischen Erscheinung » (422), sondern des Liebenden oft ungestümes, unheilvolles Betragen, die zer- störende Heftigkeit seiner Seele, Rückfälle in böse alte Stim- mungen, plötzliche Aufschreie seiner heidnischen Zeit (452). Er macht sich Selbstvorwürfe, dass er sich eigentlich nie « recht ehrlich und fest » vorgenommen habe, jedes sinnliche Verlan- gen zurückzuweisen. Der halbe Wille ist nicht zum ganzen geworden, weil Sophie das kräftigste Mittel sich seiner mitun- ter ungestümen Leidenschaft zu wehren, nämlich ihm ihre Verachtung deswegen zu zeigen, nicht anwende (450). Wenn sie auch im Dezember durch einen schwarz eingefassten Zettel an den schwarzen Abgrund gemahnt, in den die Leidenschaft den Liebenden werfen kann, so erlaubt sie ihm doch Küsse und Umarmungen und verschuldet somit die « ewig zerscheiternden Vorsätze, einmal ruhig zu sein » (450). Wenn der schwarz eingefasste Zettel auch zeitweilig bewirkte, dass seine Leiden- schaft dem Liebenden als eine Verleugnung seines Heils, eine Ausrenkung seiner Seele, ein gifiiger Undank gegen seine Wohltäterin, ein Abfall von Gott erschien, wenn er sich auch vornahm, bei Gott und seiner Sophie zu bleiben, die ihn zu Gott geführt, so trieb ihn doch, wie er in einem Atem gesteht, diese Liebe von einer Raserei zur anderen, von der zügellose- sten Freude zum verzweifelten Unmut. « Warum? — Weil ich am Ziel der höchsten, so lang und heiss ersehnten Wonne immer wieder umkehren muss, weil die Sehnsucht nie gestillt wird, wird sie irr und wild und verkehrt sich in Verzweiflung. Weil ich dich so innig liebe, mag ich dir den Dorn der Reue nicht ins weiche Herz drücken, und meine Liebe, ewig mit sich selbst im Streite, ewig sich selbst verkürzend und quälend, zerwirft sich mit sich selbst und wird mir zur Pein, aus welcher 512 SOPHIEGEDICHTE. — 5. REIHE. ich mir in unglückseligen Augenblicken Erlösung wünsche. Das ist die Geschichte meines Herzens. Könnte ich es zu einer Seelenruhe bringen, dass mir das Bewusstsein meines zärt- lichen Opfers, meiner entsagenden Schonung für dich, zum Genuss würde, so wäre alles gewonnen. Aber noch ist mir das Opfer eine Qual, und ich kenne keinen Genuss als den einzi- gen, den ich stets wünschen und vor dem ich immer zittern muss » (432). Mit diesem’ Missklang schliesst der Gefühlsaus- tausch des Jahres 1837. XL Gestalten. 1838. Die drei Zigeuner. — Die nächtliche Fahrt, — Auf meinen ausgebälgten Geier II, — Vision. — Husarenlieder. — Der Kürass. Mit einer neuen Abteilung Gestalten führt sich die Ausgabe der Neueren Gedichte des Jahres 1838 ein. Der Abschnitt umfasst die im Jahre 1834 geschriebenen Gedichte Der Schmet- terling und Zwei Polen, die 1835 verfassten Weib und Kind und Der Steyrertanz, Der ewige Jude und Der traurige Mönch aus dem Jahre 1836, Der gute Gesell und Auf meinen ausge- bälgten Geier I aus dem Jahre 1837. Im Jahre 1838 kamen hinzu : Heloise, das in die Sophiedichtung gehört, ferner Die nächtliche Fahrt, Die drei Zigeuner, Auf meinen ausge- bälgten Geier IT und Vision F); Das von Friedrich Witthauer zum Besten der Verunglückten in Pest und Ofen herausgegebene Album, dessen Vorwort Wien, den 25. Mai 1838 datiert ist, bringt im Erstdruck einige dieser Gestalten : Der traurige Mönch, Auf meinen ausgebälgten Geier I, Der gute Gesell und Die drei Zigeuner. Über den äusseren Anlass zu dem berühmten Gedichte Die drei Zigeuner (2) war bisher nichts bekannt. Die erste Kunde bringt das ungedruckte Tagebuch von Max Löwenthal unterm 21. April 1838 (Nr 83). Der Dichter sah die Zigeuner auf dem Glaeis in Wien herumspazieren, zerlumpt und hungrig, (1) In den Neueren Gedichten von 1838 bis 1843 ist auch hier noch Mischka an der Theiss aus dem Jahre 1834 untergebracht, das in der Auflage von 1844 zusammen mit Mischka an der Marosch, gedichtet 4842, als besondere grössere Iyrisch- epische Dichtung erschien. 33 514 GESTALTEN. redete sie auf Ungarisch an, nahm sie mit sich ins Bierhaus, versorgte sie mit Speise und Trank und liess sich von ihnen aufspielen. In dem unmittelbar folgenden Eintrag bemerkt Löwenthal, wie es Niembsch selbst nicht ganz an Zügen einer ewissen Zigeunernalur fehle, die dann und wann aufblitzten, und gibt als Beleg die in Nr 83 erzählte Geschichte einer Gewalttat Lenaus, worüber der anwesende Freund Mikschik, vielleicht mit Anspielung auf das bereits fertige Gedicht ausrult : « Nun warst du wohl wieder einmal ganz Zigeuner ». Als solehen bezeichnet sich Lenau selbst in eineım Schreiben an Sophie vom 6. Dezember 1837 : « Sehr sehön sind die Worte deiner Genügsamkeit und ruhigen Ergebung, da kann ein Zigeuner viel lernen » (#27) und in einem undatierten, jedoch gleichzeitigen Zettel : « Du könntest mich nicht zum Zigeuner machen, wärst du nicht einer treuen Liebe so wert! » (486). Die Ausgestaltung des Gedichtes ist poetische Fiktion; es war ein glücklicher dichterischer Gedanke, die Zigeuner in ihre Heimat zu versetzen. Bitterer Spott über dieses armselige Dasein, verbunden jedoch mit dem starken Gefühle der Über- hebung über dasselbe, leuchtet aus dem Liede hervor. Es bildet zwar einen schroffen Gegensatz zum guten Gesellen ; es hiesse jedoch zu weit gehen, wenn man in einer poetischen Laune einen bereits vollendeten Umschwung in Lenaus Weltan- schauung erblicken wollte. Immerhin bereitete sich eine Wand- lung zu Anfang des Jahres 1838 vor, wie deutlich aus einem Briefe vom 2%. April an Martensen hervorgeht, in dem Lenau schreibt : « Die in meinem Savonarola ausgesprochene Weltan- sicht hat mich noch nicht genug gehoben, gestählt und beruhigt gegen alle feindlichen Anfälle des geisüig und sittlich verwil- derten Lebens; ich fühle mich manchmal unglücklich, und in Stunden düstern Affektes ist mir die Sache Gottes selbst als eine unsichere, ja fast als eine res derelicta erschienen, quae patet diabolo oeeupanti. Wohl fühle ich das Unziemende solcher Gedanken, doch meine lebhafte Sensibilität lässt aus ihrem kochenden Kessel zuweilen dergleichen Dämpfe nach meinem GESTALTEN. 515 . Kopfe steigen, und es mag oft eine Weile dauern, bis ein frischer Luftzug vom heiligen Gebirge her mir die Nebelkappe zerweht » (612). Der Entschluss, den Albigenserstoff zu bearbeiten, deutet auch schon für sich allein auf eine Wendung hin. Er teilt ihn Emi- lien Reinbeck am 16. Januar, Martensen am 2%. April mit. Reynaud (!) bringt Die drei Zigeuner in Verbindung mit der Legende von den Zigeunern und dem Kruzifix im dritten Gesang der Albigenser. Damals steckte der Dichter jedoch noch ganz in den ersten Vorstudien zum Epos, erst Anfang 1839 waren vier Gesänge vollendet (639). In seinen allerdings poelisch ausgeschmückten Erinnerungen an Lenau bringt K. Beck aus dem Jahre 1843 eine interessante Ausserung des Dichters : « So recht wohl ist ’s mir nur auf der Puszta geworden. Diese trostlose, unermessliche Einöde mit ihren verrufenen Kräutern, unheimlichen Weihern, brüllenden Rohrdommeln und zauberhaften Luftspiegelungen ist mir über alle Beschreibung sympatisch. Da trauert die Natur innig und ungestört. Die Heide wurde von Gott in einer Anwandlung von nagender Reue in die Welt geworfen. Da könnt ich jahrelang hausen, das Leben verschlafen, verrauchen, vergeigen und es dreimal verachten. Seheint das ungeheuerlich? Sagen Sie, scheint das krankhaft? Meinetwegen! Nimm mir meine Krank- heit und du nimmst mir meine Poesie » (?). Nach einer solchen Lobpreisung der Heide erscheint es auffallend, dass Lenau sie sonst nicht als Bildungselement nennt, neben dem Meere und dem Hochgebirge. Aus dem Tagebuche von Max Löwenthal (N' 74) erfahren wir auch, dass Die nächtliche Fahrt (260) spätestens am 11. April fertig war. Max berichtet unter diesem Datum, dass der Schauspieler Löwe dem Dichter die Abschrift gewaltsam entführte, um die Ballade in Gesellschaften vorzutragen. Die Bemerkung von Sophie : « In der Johannisgasse in Wien im (1) These ausiliaire, Nr 149. (2) Pester Lloyd 1863, Nr 934. GESTALTEN. 516 Eckhaus, 3. Stock » stimmt mit der ihres Gatten überein. Das Gedicht ist nicht nur das beste Polenlied Lenaus, der letzte Ausläufer seiner Polendichtung, sondern sein vorzüglichstes politisches Gedicht überhaupt. Er hielt auch selbst grosse Stücke darauf. wie Schurz (I, 436) mitteilt. Er wählte es mit dem Gedichte Der gute Gesell und den Waldliedern zum Vor- trag bei seinem einzigen öffentlichen Auftreten im November 1843 in einem Wiener Mädehenpensionate. Die packende Schil- derung der winterlichen Öde, Einsamkeit und Trauer hat nicht ihresgleichen in der zeitgenössischen Lyrik. Der Gedanke an das Gedieht verfolgte Lenau bis in den Wahnsinn hinein. Auf einem der noch ungedruckten Zettel aus dem Irrenhaus in Winnenden führt er es an. Die Gestaltendichtung setzte Lenau in Stuttgart (25. Mai bis 13. Juli) fort. Am 21. Juni schreibt er Sophie, er habe einen zweiten Teil seines Geiers dem ersten hinzugedichtet. Auf meinen ausgebälgten Geier II (25s) führt nur in anderen Gleichnissen den Gedanken des ersten Teiles weiter aus. Der Ganges treibt Leichen, die Opfer der Cholera. Geier, Raben, Störche haften zehrend an ihnen. Leichen und Vögel führt der Strom mit sich hin, Tod und Leben, ein erhebendes Schauspiel. Der Tod verwandelt sich in Leben. Der Siegesruf des Lebens verschlingt alle Klagen des Todes. Unsterblichkeitsgedanken schweben über den Wassern. Wiederum irrt Sophie in der Datierung, wenn sie in ihrem Exemplar schreibt : « Auf dem Mehlmarkt im Casino », wo Niembsch erst im Winter 1841 wohnte. Veranlasst wurde dies zweite Geierlied durch das Lesen der Schriften von Peter Feddersen Stuhr, das Ferdinand Wolf in einem Berichte an Schurz (I, 353) und Lenau selbst in einer Mitteilung an Max Löwenthal vom 17. Januar 1839 für diese Zeit bezeugt ('). Auf Stuhr (?) ist überhaupt die Verwen- (4) Lenau und Löwenthal, S. Ti. (2) P. F. Stunn, Allgemeine Geschichte der Religionsformen der heidnischen Völker. Berlin, Verlag von Veit u. Comp. 1836. 1. Teil, S. 106 f. GESTALTEN. 517 dung indischer Mythologie in Lenaus I.yrik zurückzuführen. Im Kapitel über die Religionsform der Heroenzeit schreibt Stuhr u. a. das zunächst hier in Betracht Kommende : « Milde, wie die Mondscheinnacht und wie die Gewässer des Himmels, die im kühlen Regen sich ergiessen, waltet der göttliche Geist in jenem ganzen Kreise des Lebens der der Vorstellung der Inder nach dem Wischnu eignet. Der Entwickelung im Werden entspricht aber zugleich auch das Vergehen der einzelnen, geschaffenen, gewordenen Dinge. Die Inder glauben, dass die Zeugung nur ein Vorhergehen der Zerstörung, und die Zerstö- rung ein Vorhergehen der Zeugung sei. In der Kraft des gött- lichen Verlangens entfaltete sich in der Urschöpfung das Leben ; aber auch aus der Kraft des Verlangens kam die Verzehrung und von daher Zerstörung und der Tod in die Welt. Siwas, der Zerstörer, heisst wohl der grosse Gott.... Doch, wie aus dem Tode neues Leben wieder aufblüht, aus der Zerstörung neue Schöpfungen hervorgehen, so wird auch Siwas verehrt als der Gott der lebendigen Zeugung ». Siwas, berichtet Stuhr weiter, trägt das Bild des befruchtenden Gangesstromes an seiner Stirn, und aus seinem Haupte lässt die Sage diesen Strom sich ergiessen. An diesem Strome, den er an der Quelle abholt und mit dem er hinabzieht als « lauschender Geselle » (Vs 7 f.), lässt der Dichter « Unsterblichkeitsgedanken » fliegen (Vs 36). Eine Beschreibung der Vs 12 erwähnten Messe von Hurdwar brachte das Werk von Skinner : Excursions in India, das D' Steger ins Deutsche übersetzte. (Cassel, Fischer, 1837). Lenaus Brief vom 21. Juni an Sophie bringt auch die Kunde, dass er eine « kleine Tirolerromanze » neu gedichtet. Diese ist das gleichfalls in die Gestalten eingereihte Gedicht Vision (24), Es ist aus einem äusseren Anlass hervorgegangen. Der Leip- ziger Buchhändler G. Wigand wandte sich im Jahre 1837 an Lenau mit der Bitte, einen Romanzenzyklus für die Abteilung « Tirol und Steiermark » des von ihm verlegten Prachtwerkes Das malerische und romantische Deutschland zu dichten. Für den Prosatext hatte der Buchhändler auf Lenaus Empfehlung 518 GESTALTEN. J. G. Seidl gewonnen, dem Lenau am 6. Juli 1838 schrieb : « Sie haben in Ihrem Briefe... mich aufgefordert, Ihnen meine Tirolerromanzen behufs einer Insertion in Ihren Prosatext zu übersenden. Leider habe ich bis jetzt eine einzige Romanze gemacht, und die ist so ausgefallen, dass Sie dieselbe Ihrer Prosa nicht würden einreihen können. Sollte mir noch etwas Unver- fängliches gelingen, so werde ich mit dem grössten Vergnügen Ihrer freundlichen Einladung damit Folge leisten » (626). Seidl ersah wohl hieraus, dass er die Hoffnung auf die dichterischen Beiträge Lenaus aufgeben müsse. Vorher hatte dieser schon Emilien Reinbeck mitgeteilt : « Mit dem Tirolertext sieht es bis jetzt schlecht aus » (609). Ihn hinderte bei dieser Arbeit das Verbot der österreichischen Regierung, Lieder oder Erinnerun- gen an die tirolische Volkserhebung vom Jahre 1509 zu veröf- fentlichen. Der Ausdruck « etwas Unverfängliches » erklärt sich durch dieses Verbot. Wie hätte Lenau gerade im Jahre 1838, in das fast sämtliche seiner Streitgedichte fallen, in dem er an den Albigensern arbeitete und noch einmal seine Stimme gegen die Unterdrückung der Polen erhob, etwas « Unverfängliches » schreiben, einen Romanzenkranz auf Tirol dichten können, olıne der Heldentaten dieses Volkes zu gedenken? Die erste Fassung, wie eine Handschrift sie uns aufbewahrt, zeigt allerdings das Bestreben, dem konservativen Freunde etwas Brauchbares für sein Werk zu liefern. Sie lautet : Der Reiter. Ein Reiter sprengt in öder Nacht Die Sirasse fort, allein, Der Waldstrom braust u. stürzt (1) mit Macht, Der Reiter holt ihn ein. ('!) Ersie Fassung flieht, darüber stürzt... Lenaus Schreibweise ist im Druck beibehalten. GESTALTEN. Vom Himmel stralt der Mond so klar, Greif aus, o Röszlein, greif! Im Winde fliegt des Reiters Haar, Des Rappen Mähn’ u. Schweif. Die Schneegans dort hoch oben ruft Ihr schnatternd Wanderlied, Schn«ll zieht der Wandrer in der Luft, Der Reiter schneller flieht. Schn«ll Niegt der Wolkenschatten Flucht, Der Reiter schneller noch, Was er verlor, u was er sucht, Erreicht er nimmer doch. Nur eine leise Anspielung in den Schlussversen lässt eine politische Tendenz ahnen. Die zweite Fassung, wie sie uns vorliegt, fügt zunächst eine Strophe ein, die den Reiter gleich anfangs ein « schmerzliches Gelächter » anschlagen lässt. « Was er verlor, und was er sucht » führen nun vier weitere Strophen aus. In wildem Zorn fliegt er vorbei an den Gräbern der Helden, seitwärtsgewan«lten finstern Blicks an dem Kruzifix, das das Unglück nicht vom Lande abzuwenden vermochte, bang und schwer ruft er dem Vaterlande das ewige Lebewohl zu und stürzt sich in das letzte Heldengrab hinein. Der Reiter ist « der Geist von Achtzehnhundertneun ». Eine Vorübung zu den wilden Schlachtgesängen der Albi- genser sind die Husarenlieder (551), die Lenau im August in Ischl diehtete. Wenn er sie auch von seinen Gestalten ausschloss und in die Vermischten Gedichte einreihte, so bedarf doch unsere Einfügung kaum der Rechtfertigung. Die mar- kigen, kraftvollen, ganz objektiven Gedichte schrieb Lenau, wie Schurz (I, 376) bemerkt, an den regnerischen Tagen in Ischl, morgens im Bette liegend. Dieselbe Bemerkung macht Sophie in ihrem Exemplar. Übrigens finden sich Entwürfe zu den Liedern, die in ausnahmsweiser Deutlichkeit und Vollstän- digkeit die Arbeit daran offenbaren, in dem Einschreibbüchel 520 GESTALTEN. des Jahres 1838 (t). Ferner erwähnt Lenau sie in zwei Briefen an Sophie aus dem August 1838 : « Mit dem Dichten will es nicht mehr gehn. Meine Husaren sind auf und davon und kommen vielleicht nie wieder » (650) und : « Meine Husaren sind fort und kommen nicht wieder, trara! » (652). Der so überaus feinfühlige Melancholiker barg in seiner Seele eine starke Vorliebe für alles rein Instinktive, Ursprüngliche, Gewalt- tätige im Menschenleben und in der Natur. « Sanguinische Munterkeit und Fröhlichkeit », die gerade diese Gesänge aus- zeichnen, und die so oft bei Lenau bezeugt sind, verdrängen öfters bei den Melancholikern den schwermütigen Tiefsinn, meint Schubert. Sie werfen jedoch ihre Strahlen meist nur auf die innere Welt der Gefühle und «die Arbeiten des seistes, ungleich seltner werden sie zur äusseren Tat (?). Das eng verwandte Nachlassgedicht Der Kürass (511) war ursprünglich als ein weiteres Husarenlied gedacht, wie deut- lich aus den Entwürfen im genannten Einschreibbüchel hervor- geht, das neben einzeln.n Bruchstücken eine ganze ältere Fas- sung bringt (°). Eine endgültige Ausarbeitung weist jedoch keine Handschrift auf. Grosse Schwierigkeit bot dem Dichter die Schlussstrophe, die in einer zweiten Handschrift, derjenigen die Grün vorgelegen, noch unvollständiger als in der ersten erscheint. Hat Lenau deshalb den köstlichen Schwank, das beste seiner Husarenlieder, liegen lassen, ohne es der letzten Feile und der Veröffentlichung zu würdigen? In einem Briefe vom 21. April 1851 aus der Zeit der Herausgabe des Nachlasses verteidigt Grün das Gedicht gegen den es unterschätzenden Frankl und versetzt es in die « beste Zeit » Lenaus. Der Schluss sei allerdings nicht befriedigend, habe auch dem Dieh- ter selbst-nieht behagt, man könne sich diesen Schluss jedoch (4) Lenau und Löwenthal, S. 533-538. (2) SchugerT, Geschichte der Seele, S. 485. (#) Lenau und Löwenthal, S. 528, 531 ft., 538 f. GESTALTEN. 521 hinwegdenken und werde sich dann mit Idee und Ausführung versöhnen (!) Eigentlich meint Grün wohl nur den Schlussvers : Zählt der Jud die Dukaten schon und will Frankl eher mit der ironischen Schilderung des Juden als mit der Form des Gedichtes aussöhnen. Möglich ist es auch, dass Lenau das Lied aus Rücksicht auf seine guten jüdischen Freunde zurückhielt. () B. von FRANKL-HocHWART, Briefwechsel zwischen A. Grün und L. A. Frankl. I. Band der Sammlung : Aus dem 19. Jahrhundert. Briefe und Aufzeichnungen hrsg. von K. E. Franzos. Berlin 4897, S. 35. Xu Gelegenheitsgedichte des Jahres 1838. Traumgewalten. — Der offene Schrank. — Prolog. — Einem Greis. — Tränen- pflege. — An eine Witwe. — Inneres Gericht. — Palliativ. — An ein schönes Mädchen. — Ahimaaz. Zunächst sind es Träume, die im fruchtbarsten Jahre von Lenaus Lyrik den äusseren Anstoss zur Dichtung geben. Jeder Mensch, meint Schubert, beherbergt in seinem Innern einen « versteckten Poeten », der im Traume geschäftig ist ('). Gleich Schubert (?), Kerner (?) und Baader (*) glaubte Lenau an die voraussagende Bedeutung der Träume, die vielfach eine erschüt- ternde Wirkung bei ihm hervorbrachten (%). M. Löwenthal erzählt in seinem unveröffentlichten Tagebuche (N' 53) den Traum in der Nacht des 16. Februar 1838, der das Gedicht Traumgewalten (507) hervorrief, das wie Schlaflose Nacht (4) SCHUBERT, Die Symbolik des Traumes. 1821. S. 5, 16, 99 tf. (2) Geschichte der Seele, Kapitel 20, 26, 27, auch passim in den Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens und in Altes und Neues aus dem Gebiete der innern Seele kunde. (5) Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit, Die Seherin von Prevorst (Sämtliche Werke hrsg. von W. Heichen. Kiel u. Leipzig, Lipsius und Tischer. I, 127 ff, VI, 4AM. (4) Werke X1, 447 (Anmerkung), XV, 253. ‚3) Briefe Nr 72, 79, 91, 277, 280, 282. — « Träume sind nicht Schäume, wenn man sie recht bedenkt » (449). GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1838. 523 den Zusammenhang mit der Faustischen Traumszene nicht verleugnet. Die « schlimmen Gäste » (Vs 14) bezeichnet Faust als « Hyänen der Nacht », als « Gespensterspuk », den er beim Erwachen aus seinem Hause hinauswirft (Vs 2829 f., 2833) : Ich schlief, mein Haus war preisgegeben. (Vs 16.) Sophie bemerkt in ihrem Exemplar : « Durch einen wilden Traum veranlasst in der Johannisgasse 1838 ». Der Erstdruck in der Wiener Zeitschrift vom 22. Februar 1838 beweist, dass Lenau das Gedicht sofort nach der Anregung niederschrieb. Seiner Gewohnheit entgegen ist die sofortige Veröffentlichung des Gedichtes, die in diesem Falle fünf Tage nach der Nieder- schrift erfolgte. Auch dem Freunde Kerner erzählte Lenau den Traum. Kerner leitet den Abdruck des Gedichtes in seinem Magikon (IV, 2, s. 212 f.) mit den Worten ein : « Einige Jahre früher, als den edlen, vortreffliehen Diehter Lenau die traurige Katastrophe des Wahnsinns befiel, hatte er in einer Nacht einen sehr bangen und offenbar voraussagenden Traum, der ihn auch beängstigend ins wahre Leben begleitete. Er sprach von demselben oftmals zu ınir und nannte ihn bedeu- tungsvoll, auch sprach er ihn in Versen aus ». Die « schlimmen Gäste », (Vs 14), die « wilden Naturen » (Vs 18) sind die slowakischen Rastelbinder und Bettler, die dem Dichter einen nahen Tod prophezeien, weshalb auch der Traum so « tief erschütternd, unendlich traurig » (Vs 2) ist. Als ein « Prototyp der Bettlerblösse und des Beitlerschmutzes » bezeichnet sie W. Alexis. Ungern begegnet das Auge diesen Menschen mit « gelben Zigeunerzügen und Kohlenaugen (nur eines Murillo Pinsel kann diesen braungelben Schmutz wieder- geben). Man glaubt, man muss verhext werden. Sie sprechen in einer Sprache oder in unartikulierten Lauten, die kein Sprachkundiger in Wien versteht und doch versteht jeder, was 524 GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1838. sie wollen, und kauft sich gern mit ein paar Kreuzern von ihrer näheren Bekanntschaft frei » ('). Die Verse : Ich bin erwacht in banger Ermattung, Ich finde mein Tuch durchnässt am Kissen schreibt M. von Hartmann nach : Mein Kissen war, als ich erwacht, Von Tränen nass und wund die Lider. (An (die Entfernte. Werke Il. 456.) Lombroso, der das Gedicht in das Jahr 1844 versetzt, nennt es ein « fürehterlich- ehaotisches », das sich auf Lenaus Selbst- mordversuch vom 13. Oktober 184% beziehe; es sei der letzte Liehtstrahl in der Nacht, eine Frucht des Genius, dem es zum letzten Male gelungen sei, den Dämon des Wahnsinns niederzu- schlagen. Das Gedicht sei eine erschrecklich wahre Schilderung der Halluzination, die Lenaus Selbstmordversuch voranging oder denselben begleitete. Der aufmerksame Leser vermöge den Mangel an Zusammenhang, das Fragmentarische der Gedanken und der Sätze, das dem im Fieberwahnsinne Befangenen eigen sei, zu entdecken (?). Auch die deutsche ärztliche Wissenschaft hat sich um die Verse gekümmert. Van Vleuten sieht darin die Visionen eines Neurasthenikers. Besser weiss es Rahmer (S. 9% f.). Für ihn ist das Gedicht der Ausdruck einer Angstneurose, die typische (!) Schilderung eines Angstneurotikers, « der aus dem Schlafe mit furchtbarer Präkordialangst in die Höhe fährt ». Am 16. April bemerkt Max Löwenthal in seinem Tagebuch : « Niembsch dichtet häufig in der Nacht, wenn er von den Träumen des ersten Schlafes erwacht ist ». Lenau bekannte (4) W. Auexıs, Wiener Bilder, S. TA f. (©) LomBroso, Genie und Wahnsinn. Französische Übersetzung von Fr. Colonna d’Istria. Paris, 1889, S. 145, 449. GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1838. 525 ihm : « Diese Zeit des Wachens nach dem ersten Schlafe, diese Zeit der tiefen Stille, wo man gewissermassen mehr der Natur angehört, ist es, wo ich meine besten Dichtergedanken hatte » (Nr 78). Einen seiner besten Dichtergedanken hatte Lenau am Östersonntage, dem 15. April, an dem er, wie er selbst in der Handschrift bemerkt, die erschütternden Verse Der oftene Schrank 559) schrieb (*). Deutet die Bemerkung von Max Löwenthal schon darauf hin, dass wir es hier wieder mit einer Traumdichtung zu tun, so wird dieses sichergestellt durch die Notiz von Sophie Löwenthal in ihrem Exemplar « In der Johannisgasse in Wien. Beschreibung eines Traumes am Ostersonntag 1838 ». Wieder müssen wir Lenaus Äusserung Schurz gegenüber gedenken : « Ich träume noch immer sehr oft vom Todbette meiner Mutter. Diese Erinnerung ist am tiefsten in mein Herz geschnitten » (126), der Verse aus Faust : Solang ich noch hienieden lebe, soll Das Herz mir seinen Kummer treu bewahren (Vs 3691 f.) sowie der kurz hierauf folgenden in der Faustischen Traum- szene : Doch ist’s ein Übel, dass ich Träume habe, Wenn Schlaf gefesselt meine Willensmacht, Die lüstern, wie Hyänen, in der Nacht Die Toten mir aufwühlen aus dem Grabe. (Vs 9831 ff.) Zwei der reichsten Motive der Lenauschen Dichtung, das (4) « Je ne crois pas », äussert A. Marchand, « que l’amour filial ait inspire, dans une literature queleonque, de scene plus &mouvante que celle que Lenau a decrite sous le titre de : ’Armoire ouverte » (Les poetes Iyriques de l’Autriche. Paris, Fischbacher, 1889, S. 42.) Siehe S. 43 f. wie Marchand dies Lob begründet. 526 GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1838. der Polenunterdrückung und das der Mutterliebe finden im Jahre 1838 einen würdigen Abschluss. Zwischen diese beiden Traumgedichte fällt der in den letzten Tagen des Monates März verfasste Prolog (51). Wie im Erst- druck in Witthauers Album bemerkt, wurde das Gedicht am 3. April im Wiener Universitätssaale von Ludwig Löwe, K. K. Hofschauspieler und Regisseur, bei einem. Konzerte zu Gunsten der Überschwemmten in Budapest vorgetragen. Die hier geschilderten Tage der Not waren der 13. bis 17. März. Die Tatsache, dass man sich an Lenau wandte, um ein grosses vaterländisches Unglück zu besingen, die führende Stellung, die er im Album Witthauer, das aus Beiträgen der namhaftesten österreichischen Dichter der Zeit besteht, einnimmt, beweisen, dass er allgemein noch vor dem Erscheinen seiner Neueren Gedichte als der grösste Lyriker seines Vaterlandes anerkannt war. « Von allen Lebenden », bemerkt A. Meissner, « stellten wir Lenau obenan, und das Erscheinen eines neuen Buches von diesem hatte für uns die Bedeutung eines neuentdeckten Welt- teiles » ('). Zu dem prächtigen Gelegenheitsgedichte, das wie alle Lenauschen Gedichte dieser Art die doppelte Gefahr, sich ins Trivial-Alltägliche zu verlieren und am Einzelnen haften zu bleiben, so glücklich umgeht, lieferte der Maler M. Schwind eine seiner gelungensten Zeichnungen, die das Album Witthauer schmückt und sich auf die Verse 39 bis 50 bezieht, welche den « starken Riesen Danubius » schildern, wie er seine schöne Braut, die Stadt Budapest, ohne Erbarmen fasst und jauchzend in sein Bett hinunterreisst. Wegen Vs 85: Als eine leere Tafel blieb das Land traf Lenau auf eine Beanstandung der Zensur, die ihn seit dem 17. Juni 1836 mit Quälereien verfolgte. Der gereizte Dichter (1) A. Meissner, Geschichte meines Lebens. Wien-Teschen, K. Prochaska, 1881. 1, 53. GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1858. 527 geriet, wie Frankl (S. 59) berichtet, der geforderten Abände- rung wegen in einen Berserkerzorn, den er an dem Zensurbeam- ten ausliess. Entschieden forderte er die Beibehaltung des Verses, da er sich nach seinem Kraftausdrucke von diesem Gesindel nicht wollte auf die Leier sch... lassen, und setzte seinen Willen durch. Die Gelegenheitsdichtung des diesjährigen Stuttgarter Aufent- haltes besteht in drei Trostgedichten, von denen zwei an die Reinbeck-Hartmannsche Familie gerichtet sind. In einem kurz nach der Ankunft in Schwaben an Sophie gesandten Briefe vom 6. Juni stellt Lenau esoterische Betrachtungen in Baaders Art über ägyptische Leicheneinbalsamierung an, die nicht ohne Zusammenhang sind mit dem Gedichte Einem Greis (z0s), das er im genannten Briefe (618) Sophie mitteilt. Wie die Ägyp- ter durch das Einbalsamieren der Leichen die Seele « vorwärts und aufwärts bugsieren » wollten, so richtet der Dichter an den 72. jährigen Geheimrat Hartmann die Mahnung, die noch nach irdischem « Trost und Genuss, Hab und Halt » langende Hand einzuziehen : Den Blick hinaus Ins Meer! nach Haus! Denk an den ewigen Strand! Die Unsterblichkeitsgedanken des Geierliedes kehren hier wieder. Der finsteren Brust des Melancholikers entströmen die erhabensten Trostgedichte. Um dieselbe Zeit, als der alte lebenslustige Hartmann über das Sterbenmüssen klagte, grämte sich seine Tochter Emilie über ihre Kinderlosigkeit und über ihr ganzes Dasein, als ein darum verlorenes. Wie Lenau sie tröstete, berichtet er Sophie im Briefe vom 6. Juni : « Ich tröstete, so gut ich konnte, die arme Frau, indem ich ihr entgegenhielt, dass die Mutterschaft allerdings höchst wünschenswert sei, aber nicht unerlässlich. Wenn das Weib auch nur in sich selbst, als einem einzigen Exemplar, das Bild einer treftlichen, durchaus achtungswürdigen 528 GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1858. \Veiblichkeit darstellt, so ist ihr Dasein kein verlornes. Wir Individuen dürfen uns nicht als blosse Kanäle der Gattung betrachten, sondern als Wesen, die auch um ihrer selbst willen leben. Dann wären ja unsre Nachkommen auch nur solche Kanäle und blosse Mittel für fernere Mittel, und so in infini- tum. Wer aber wäre denn Zweck? Niemand Persönliches, die Gattung, ein Abstraktum. Unsinn! » (*). Auch in der Dichtung spendet Lenau der Freundin Trost, nicht mit logischen Grün- den, sondern mit der Mahnung : sie solle ihren Schmerz nicht gewaltsam unterdrücken wollen, ihn vielmehr mit linden Tränen pflegen und ihn somit einschläfern, wie die Mutter in Indien ihr Kind einschläfert. Das Emilien handschriftlich über- reichte Gedicht Tränenpflege (545) versah der Dichter mit (t) Ähnlich hatte Lenau früher in einem Zettel aus dem März 1837 Sophie getröstet : « Die Liebe ist nicht bloss da zur Fortpflanzung der Gattung, sondern auch, und gewiss hauptsächlich, fürs ewige Leben der Individuen » (289). In den Entwürfen finden sich wörtlich übereinstimmende Sätze : « Das Individuum ist nicht der Gattung wegen da, sondern umgekehrt. Das höchste Mysterium der Liebe ist zugleich das der Individualität... Hätte jene triviale Physiologie recht, dann müsste uns der röhrende Hirsch im Walde lieber sein, als Petrarca mit seinen Sonetten... so wäre jedes Individuum gleichsam nur ein Durchhaus oder ein Kanal, durch welchen die Natur ihre Intentionen durehleitete. Wo ist der Strom oder See, in welchen jene Kanäle führen sollen? Es ist die Gatlung. Diese besteht aber immer wieder nur aus Individuen, also wieder aus Kanälen, somit hätten wir eigentlich in jeder Menschenlinie einen ununterbrochenen Kanal ohne Ein- und Ausfluss, was offenbarer Unsinn ist. Doch die Menschengattung existiert nicht, sie ist ein Abstraktum, nur Individuen existieren, gleichwie wir nur Erscheinungen kennen und die Natur selbst ein Abstraktum ist. Jene triviale Ansicht hat übrigens in der Welt entsetzlich viel Unheil angerichtet. Sie arbeitet gemeinen Naturen recht in die Hände und ist ganz gemacht, eine merkantilisch-brutale Behandlung der Liebe und Ehe zu sanktionieren. » (Lenau und Löwenthal, S. 522). Ist die Natur Gott, meint Faust im 1840 gediehteten Waldgespräch : Bin ich ein Durchgang nur, Den sie genommen fürs Gesamtgeschlecht, Bin ohne Eigenzweck, Bestand und Recht, Und bald bin ieh verschwunden ohne Spur. (Vs 2499 ft.) GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1838. 529 der Bemerkung : « Entstanden im Reinbeekschen Garten (6, den 11. Juni 1838, Morgens 9 Uhr ». Am 21. Juni sandte Lenau das Gedicht Max Löwenthal (?), und im Briefe an Sophie gleichen Datums erwähnt er es als neuentstanden (621). Falsch ist Sophies Vermerk : « Von Natalie (?) veranlasst, als sie Witwe geworden », sowie der gleichlautende von Schurz in seinem Exemplar : « An Natalie (Kleyle) oder von ihr nur veranlasst ». Sophies Irrtum ist durch Lenaus Brief vom 21. Juni an sie entstanden. Er reiht hier die beiden Gedichte Tränenpflege und An Natalie (t) aneinander : « Einiges Neue hab ich hinzugedichtet : Tränenpflege ; An Natalie, die das Grab meines Jugendfreundes besuchende ». Es genügte eines Über- sehens von Lenaus Zeichensetzung um die Täuschung hervor- zubringen. Ebenso irrig wie der Bezug auf Kleyles Witwe ist der auf Sophie. Die « Freundin » (Vs 4) ist Emilie Rein- beck (?). An eine Witwe (z21) heisst Lenaus Trostlied an Natalie Sartorius. Wie es sich zeitlich an das vorige anschliesst, bezeugt Lenau selbst in der eben angeführten Briefstelle, die man mit Schurz, Reynaud, Schaeffer (%) übersehen muss, um das Gedicht in Kleyles Todesjahr 1836 zu versetzen. Dem widerstrebt (!) Der Garten befindet sielı noch heute in demselben Zustande wie damals am Reinbeekschen Hause, Friedrichstrasse, 16. (©) Nicht an Sophie wie in Werke (IV, 206) zu lesen ist. Auf der Rückseite der an Max Löwenthal als Brief gesandten, mit dem Posistempel : Stuttgart, 21. Juni 1838 versehenen Handschrift, befindet sich d’e Adresse an Max Löwenthal. (%) Natalie Sartorius, Witwe von Fritz Kleyle. (9 In den Ausgaben der Neueren Gedichte von 1838 bis 1840 An Natalie überschrieben, seit 1841 An eine Wıtwe. (& Hiermit berichtige ich meinen Irrtum, das Gedicht sei an Sophie Löwenthal „gerichtet (Zeitschrift für den deutschen Unterricht XXIIT, 617), den ich beging, ehe ich die Emilien Reinbeck übergebene llandsehrift eingesehen. (6) Schurz in seinem Exemplar der Gedichte. Reynaud in These auxiliaire Nr 196, Schaeffer in seiner Lenauausgabe (Leipzig, Bibliographisches Institut, I, 480). 34 530 GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1858. auch der Inhalt des Gedichtes. Die Witwe ist nach den ersten Schmerzgewittern Müd versenkt im stillen Grame. (Vs 4.) An einem schönen Frühlingstage pilgert sie an das Grab des Gatten, auf das sie ihrer Wangen Rosen Gestreut zum treuen Angedenken. (Vs 19 £.) Sie wandert hin mit ihren Kindern, Mit Tränen neu das Grab zu tränken. (Vs 48). Sie, wie Emilie, hat der Dichter weinen sehen, sie, wie Emilie, mahnt er zur « Tränenpflege », die er mit ihnen teilen möchte. Fruchtbarer als der Stuttgarter war der Ischler Aufenthalt. Vom 48. Juli bis zum 9. August waren laut eines Briefes an Emilie Reinbeck (628) « zehn kleinere Gedichte und ein grös- seres von zirka vierhundert Versen, die Bearbeitung einer schwedischen Sage in fünf Romanzen entstanden ». Mit letzte- rem ist die Erzählung Anna gemeint, die noch in die Neueren Gedichte 1838 Aufnahme fand. Lenau wählte den schwedischen, ihm von Hagberg übermittelten Sagenstoff, weil er manches Persönliche, auf Sophie Bezügliche, hineinlegen konnte : seine Auffassung über Liebe, Schönheit, Ehe, seinen Verdruss, dass Sophies Kinder nicht auch seine Kinder seien, seinen Kummer über die Nichterfüllung der einfachsten Ansprüche an das Lebensglück. Will der Mensch jedoch noch den Frieden gewinnen, « eh der Tod den seinen ihm beschieden », so muss er einmal Als ein strenger Richter und Hinrichter, Vieler süssen Hoffnungen Vernichter GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1838. 531 in sich selbst erscheinen. Diesen Gedanken des Gedichtes Inneres Gericht (1%) trägt Lenau auch in das Einsschreib- büchel ein, das er grösstenteils, wenn nicht ganz, während des Ischler Aufenthaltes von Mitte Juli bis Mitte August 1838 schrieb : « Wer nicht einmal in seinem Leben in seinem Innern auftritt als ein unerbittlich strenger Richter und Hinrichter, der ist verloren, oder er war von Haus aus nichts » (1). Auf der am 13. Juli angetretenen Reise von Stuttgart nach Ischl besuchte er wieder in München den Theosophen Baader und steckte sich Sprüchlein von ihm wie ein grünes Sträusschen auf die Kappe (628). Ein solches Baadersches Sprüchlein flicht er in das Gedicht ein : Als Gedanke ist der Geist das Licht, Wärme ist im Ilerzen er als Liebe, Baader nimmt eine Trennung und Isolierung des Gehirn- und Kopflebens vom Herz- und Bauchleben an. Der in den Lenauschen Versen angedeuteten Vermählung von Licht und Wärme entspricht Baaders Satz : « Durch diese Trennung und Isolierung wird nämlich, um mit J. Menge (?) zu sprechen, die Vermählung der Wärme und des Lichtes, d. h. der Wärme und Licht zeugenden Potenzen, der die Fülle und der die Hülle (Gestalt) gebenden Liebe zwar gehemmt (welche Hemmung das Leiden und das Eitle der Zeit macht), indem das Licht an die Kälte in der Höhe, die Hitze in der Finsternis in der Tiefe gebunden bleiben, zugleich werden aber doch diese beiden, das Finster- und Kälte-Streben, in ihrer Abnormität bekämpft und erschöpft, so dass die Wiedervermählung von Wärme und Licht nur der Siegeslohn und die Siegesbeute jenes Kampfes sein kann » (I, 411). In seinen Tagebüchern stellt er die Analogie (1) Lenau und Löwenthal, S. 531. (®) Jon. Menge, Beiträge zur Erkenntnis des Göttlichen Werkes, Göttlichen Wortes und Göttlichen Ebenbildes. Lübeck, Borchers 1829. 532 GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1838. des Lichtes mit dem Gedanken sowie des Gefühls mit der Wärme fest. Der Kopf sei Organ des Lichtes, das Herz des Gefühls, der Wärme (XI, 285). Das Herz stehe über dem Denken, Gefühl sei Grundlage des Denkens, Anfang und Ende... Licht werde Wärme, wie diese Licht (XII, 212, 416). Wie wenig es dem Dichter gelang, die stolze Mahnung des Gedichtes an sich selbst zu erfüllen und den « Frieden zu gewinnen », zeigen die Bekenntnisse aus dem August 1838. Gleich nach der Trennung von Sophie verfällt er wieder in den alten Jammer. Wie bald wird das herrische Schlusswort : Lust und Schmerz — es sterbe und zerstiebe! zu nichte, wenn der Liebende wieder allein in seinem Zimmer in Wien sitzt, laut weinen möchte, nur immer an Sophie denken kann, da ihm « alles sonst Nebensache ist » (461). Inneres Gericht erschien erst in der Ausgabe von 184%, auch eine Handschrift, allerdings eine Reinschrift, stammt aus spa- terer Zeit, weil der Briefbogen zugleich ein Gedicht aus dem Jahre 1843 bringt. Zweifellos bleiben trotzdem Empfängnis und Entwurf im Jahre 1838, in der Zeit, wo Lenaus Poesie den Einfluss Baaders unterging. Mit sich selbst geht der Diehter auch ins Gericht im Sonette Palliativ (505), dessen Grundgedanke sich wieder im Ein- schreibbüchel von 1838 findet. « Grauenhaft ist die Schuld ohne ihren Schatten die Reue » ('). | Kehr mutig um zu den verlassnen Bühnen, Die Schuld mit scharfem Reueblick zu sehen; Soll sie dir sterben, eile sie zu sühnen. Der Erstdruck des Sonettes im ersten Jahrgang des Deutschen Musenalmanachs (Leipzig, 1840), zugleich mit später zu (4) Lenau und Löwenthal, S. 539. GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1838. 533 besprechenden Gedichten, die sicher.noch im Jahre 1838 entstanden, verbietet, die Verse mit Roustan (S. 233) auf Karoline Unger zu beziehen. Sehr romantisch klingt der Bericht von Schurz (I, 76) über die Veranlassung, die er übri- gens nur als möglich hinstellt. Im « Krapfenwald » bei Wien sei Lenau ein junges, hübsches Mädchen begegnet, das er nach Alter und Gestalt als Bertas Kind und vielleicht sein eigenes Töchterchen halten konnte; es habe ihn scharf ins Auge gefasst und sei dann « Mutter, Mutter! » rufend zu dieser zurück- gelaufen. Auf diese Mitteilung von Schurz hin ist seitdem das Sonett stets auf Berta Hauer bezogen worden. Wenn es auch nicht geradezu offenbar ist, wie manche Kritiker behaupten, dass die Schuld, welcher Lenau sich anzuklagen hat, eine Berta gegenüber begangene ist, so steht dieser Erklärung doch nichts im Wege. Im Sommer des Jahres 1837 vertraute Lenau Sophie das « unglückliche Geheimnis seiner Jugend » an (429). Im Mai 1838 hatte sie einen Traum, der dem Dichter zeigte, wie die « bittre und verdüsternde Erfahrung meiner unbe- wachten Jugend » in ihrer Seele fortwirkte und den Wunsch in ihr zurückgelassen, « den alten Riss » in seinem Leben zu heilen. Er dankt Sophie innig für diesen Traum und zählt ihn zu den teuersten Zeichen ihrer Liebe (449). Zu den Mahnungen an sich selbst gesellt sich wahrscheinlich in diesen Tagen des Ischler Aufenthaltes der zarte Wink An ein schönes Mädchen (s) : Wie die Ros in deinem Haare, Mädchen, bist du balıl verblüht; Schönes Mädchen, o bewahre Vor dem Welken dein Gemüt! Sophie weiss, dass die Verse an ihre Schwester Rosalie von Kleyle (!) gerichtet sind. Sie täuscht sich jedoch bezüglich der (4) Rosalie, geboren am 16. Oktober 4816, vermählt mit Karl Fh. Frey von Schönstein am 7. Mai 1845, gestorben in Aussee 4876. 534 GELEGENHEITSGEDICHTE DES JAHRES 1858. Chronologie, wenn sie schreibt : « An Rosalie von Kleyle in Ischl im Sommer 1840 ». Einen gleichen Irrtum begeht Schurz, der in seinem Exemplar bemerkt : « An Rosalie, nach dem Ischler Aufenthalte 1840 ». Seine Unsicherheit geht jedoch daraus hervor, dass er zuerst 1839 geschrieben. Vom Erstdruck im Morgenblatte am 10. September 1838 mochten Sophie und Schurz nichts wissen, den Druck in den Neueren Gedichten 1838 durften sie jedoch nicht übersehen. Aus dem Briefe Lenaus an Max Löwenthal vom 21. Juni 1838 erhellt, dass das 22jährige, hübsche Mädchen von Freiern bestürmt war. Rosaliens Reise nennt der Dichter sehr vernünftig. « Sie soll sich einmal ausatmen von der ängstlich beklemmenden Nähe unwillkommener Herzensbestürmer. Sie muss sich selbst wiederfinden, damit sie für die andern nicht verloren sei. Noch aber hat sie sich selbst nicht, und es kommt mir vor, als hätte das geängstigte Mädchen in ihrer bangen Unruh ihr Herz irgendwo versteckt und wisse nun selbst nicht, wo? » (620). Das scherzhafte Gelegenheitsgedicht Ahimaaz (15), das wir in Ermangelung einer Überschrift in der Handschrift nach dem Anfangsworte betiteln, verdankt wohl seine Entstehung einer zufällig aufgeschlagnen Bibelstelle und reimt scherzweise die Verse 19-23 des 18. Kapitels vom zweiten Buche Samuelis. Sophie datiert es in der Handschrift : « Ischl 1841 ». Die von Castle (t) angeführte Tatsache, dass das Blatt der Handschrift aus einem Einschreibbuche stammt von gleicher Beschaffenheit wie das von 1838, und Lenaus heitere Gemütsstimmung während des diesjährigen Ischler Aufenthaltes sprechen gegen die Datie- rung der sich so oft irrenden Sophie. (1) Lenau und Löwenthal, S. 605. XLIV Naturgedichte des Jahres 1838. Frühlingsgrüsse. — An den Frühling 1838. — Das Ross und der Reiter. — Herbstgefühl. — Ein Herbstabend. — Der Kranich. Der Frühling des Jahres 1838, den er grösstenteils noch in Wien zubrachte, entlockte dem Dichter zwei sozial und poli- tisch gefärbte Frühlingsgedichte Frühlingsgrüsse und An den Frühling 1838. Die Kampfstimmung, die sich in denselben ausspricht, ward geweckt durch den Federkrieg, den der Savo- narola heraufbeschwor, durch die Beschäftigung mit den Albi- gensern, durch die Streitigkeiten mit der Zensur. Frankl (*) berichtet, dass ein Bekannter Lenaus, Romeo Seligman, Professor der Geschichte der Medizin an der Wiener Universität, ihm den Stoff zu dem « rührend schönen Gedichte » Frühlingsgrüsse (512) gab. Das einzig Stoflliche ist hier die Begegnung mit einem bettelnden, Frühveilchen zum Kaufe anbietenden 'Kinde. Wahrscheinlicher klingt die Bemerkung von Sophie : « Auf einem Spaziergange im Prater konzipiert und in der Johannisgasse ausgeführt ». Hiernach beruht das Gedicht auf einem wirklichen Erlebnis. Sehr geschickt ist die unerwartete Überleitung aufs Poli- tische : So bringt dem Nachgeschlechte unser Leid Die Frühlingsgrüsse einer bessern Zeit. (4) S. A. Frank, Lenau und Sophie Löwenthal, S. 34 (Fussnote). 536 NATURGEDICHTE DES JAHRES 1838. Beim Niederschreiben dieser Verse legte Lenau dem Aus- drucke « bessere Zeit » wahrscheinlich die Nebenbedeutung bei, die aus dem Schreiben an Sophie vom 8. Mai hervorgeht .: « Die Menschen sind eben noch nicht weit vor in der wahren Menschenbildung, darum ist ihnen jeder Grashalm heiliger als ein Gefühl, worauf richt der Stempel bürgerlicher Gültigkeit geschlagen ist » (z47). Das Gedicht An den Frühling 1838 (351) gibt in der Überschrift das Datum an. Es bezieht sich auf’ den Bau der Eisen- bahnstrecke Wien-Wagram, die Anfang 1838 eröffnet wurde. Lenau stellt sich hier in Gegensatz zur typischen Auffassung. Alle Dichter, die diesen Fortschritt der Technik besungen, verherrlichen ihn als Förderer der Kultur, so z. B. Herwegh, Freiligrath und Lenaus Landsleute A. Grün und K. Beck. Grün (!) preist die Eisenbahn als « des Geistes wandelnden Altar », Beck (?) nennt die Geleise « die Hochzeitsbänder » einer neuen Zeit. Alles, was vom romantisch-sentimentalen Standpunkte gegen die Eisenbahn vorgebracht werden kann, ist hier zusammengestellt und glücklich in dem Verse zusammen- gefasst, dass der Wagen « Blüt und Andacht unters Rad » (Vs 23) nimmt. Optimistisch klingt jedoch die Frage über die politische Einwirkung der neuen Erfindung aus. Der hoffnungsfrohe Ausklang der beiden Frühlingsgedichte steht im Gegensatz zu des Dichters innerem, vom Frühling des Jahres 1838 gewecktem Gefühl. « Der Frühling heisst diesmal gar nichts für mich », schreibt er am 6. Mai an Sophie; « meinet- halben können die Raupen alle Blätter abfressen » (445). Eine ganz andere Wirkung bringt der Frühling in Schwaben hervor, der den Diehter mit seiner vollsten Blüte empfängt. Von lastendem Drucke aufatmend, betrachtet er mit Lust jeden blühenden Obstbaum an der Strasse (615), lauscht entzückt dem Gesange der zahlreichen Nachtigallen im Stuttgarter Schloss- (4) A. Grün, Werke, Il, 195. (©) K. Beck, Nächte: Gepanzerte Lieder. Leipzig, Engelmann 1838. S. 31. NATURGEDICHTE DES JAHRES 1838. 937 garten und lässt sich vom strömenden Wohlklange in weite Träumereien entführen (618). An angenehmen Zerstreuungen wird ihm die Fülle geboten. Besuche bei den schwäbischen Dichtern, auch bei Uhland und Schwab, der inzwischen als Pfarrer nach Gomaringen gegangen war, wechseln ab mit musi- kalischen Genüssen, die ihm auch Tondichtungen seiner Schilf- lieder zu Gehör bringen. Die Bemühungen um das öffentliche Auftreten von Max Löwenthal als Theaterdichter tragen dazu bei, ihn in einer « wohltätigen Agilität » zu erhalten (sıs). Eine uns von Max Löwenthal in seinem Tagebuche unter dem Datum des 21. Oktobers 1837 (Nr 24) überlieferte Äusse- rung : « Alles, was ich bisher geleistet, ist nichts, das Wahre muss erst kommen » weiter ausführend, schreibt Lenau am 4. Juni an Sophie : « Mein stilles Leben in Stuttgart muss mir dazu dienen, poetische Entwürfe auszudenken, meine Zukunft auszuhecken, indem ich die Fundamente meiner poetischen Arbeiten tiefer zu graben suche. Es muss noch viel, sehr viel geschehen. Alles Bisherige sind nur Vorfragmente, wenn ich noch mit meiner Kraft dahinaus dringen kann, wo mir ein Lichtlein winkt. Kann ich es nicht, so hab ich das Grosse wenigstens gedacht, wenigstens geträumt » (616). Ob er hierbei an die Albigenser dachte, über welche er in den Briefen aus Stuttgart ganz schweigt, muss dahingestellt bleiben ; jedenfalls wirkte bei dem geträumten « Grossen » noch Baaders Orakel- spruch nach : das Dichten sei eine grosse Sache, Gott selbst sei ja ein Dichter. Wie in den Tagen des Ischler Zusammenwohnens mit Sophie der « frische Seelentau der himmlischen Gedanken » auf den « düstern, sehnsuchtkranken » Dichter herabsank, wie er « die ewige Liebesquelle » rauschen hörte, schildert das Sommer- gedicht Das Ross und der Reiter (5). Der Anblick einer schönen Naturerscheinung musste mit einer Stunde des Seelenglückes- und Friedens zusammentreffen, um an das Schauspiel eines trinkenden Rosses Gedanken und Bilder so sinniger, zarter und erhabener Art zu knüpfen. « Der Gedanke 538 NATURGEDICHTE DES JAHRES 1838. zu diesem Gedichte », bucht Sophie in ihrem Exemplar, « kam Niembsch auf der Heimfahrt von der Gosau, wohin wir Scharsehmid und Mikschik (') begleitet und dort am See mit ihnen den Tag zugebracht hatten, als unsere Pferde an einem Brunnen an der Strasse nach Ischl, der noch so dasteht, tranken, indes die untergehende Sonne die Berge ringsum rötete ». Der Dichter sandte die Verse an J. Kerner im Briefe aus Ischl vom 11. August 1838, mit den Begleitworten « Damit Du auch etwas aus meiner poetischen Tasche hast, will ich Dir ein Lied aufschreiben, das Dir vielleicht gefallen wird ». Nachdem er den Wortlaut mitgeteilt, fügt er noch hinzu « Du bist einer der wenigen, an welche ich in solchen Augenblicken denken mag, die mir eine schöne Naturbetrach- tung und jedes tiefere Seelenglück ergänzen » (629). Die vier ersten Strophen sind eine Nachdichtung von Versen Jetzt duldet Faust dem Rosse seinen [Willen, Es lenkt an einen Bach, den Durst zu [stillen. Der Reiter lässt die losen Zügel sinken, Das müde Ross am klaren Quelle [trinken, Und er gewahrt mit lächelndem Ver- [gnügen, Wie seinem Rappen in gedehnten Zügen Die Flut behaglich rieselt durch die [Zähne, Und wie im Wasser badet seine Mähne. (Faust, Vs 1268-75.) aus der Faustszene Die Schmiede : Die frische Quelle rinnt herab am Stein- [gesenke, Der Reiter führt sein Ross zur lang [ersehnten Tränke. Aus Bergesadern kühl die klaren Fluten [Niessen, In heisse Adern sich des Pferdes zu [ergiessen. Der Reiter schaut sein Ross mit innigem [ Vergnügen, Wie es die Flut einzieht in lustge- [dehnten Zügen ; Und wie die Wellen ihm die Mähne [wiegend spülen, Und wie sie eingeschlürft das heisse [Blut ihm kühlen. (Das Ross und der Reiter, Vs 1-8.) Der Herbst des Jahres 1838, den Lenau grösstenteils in Wien () Scharschmid, Erzieher der Töchter des Erzherzogs Karl, später Landesge- richtspräsident in Teschen. — Mikschik, Bräutigam von Sophies Schwester Johanna. NATURGEDICHTE DES JAHRES 1838. 539 zubrachte, zeitigte die Gedichte Herbstgefühl, Ein Herbstabend und Der Kranich. Sie erschienen sämtlich im ersten Jahrgange des Musenalmanaches ('), unter der allgemeinen Überschrift Herbst. Herbstgefühl (21) (ver Buchenwald...) im Musenalma- nach Herbst T betitelt, in der Handschrift Herbstestrauer, ent- spricht einem Satze aus dem Einschreibbüchel von 1838, in dem wir den ersten Entwurf zum Gedichte erblicken : « Ganz trüber Nebelhimmel, dürre Bäume, trüber Bach, die Natur scheint mit deiner ganzen Schwermut einverstanden » er Ein trüber Wandrer findet hier Genossen, Es ist Natur, der auch die Freuden schwanden, Mit seiner ganzen Schwermut einverstanden, Er ist in ihre Klagen eingeschlossen. Diese Schwermut bildet auch den Grundton der Briefe an Sophie aus dem Oktober. Der Tod Mikschiks liess Lenau das Menschengeschick in seiner ganzen Traurigkeit erfassen; in seinen Schmerz mischte sich mancher bittre Fluch über sein eigenes Schicksal (168). In des Dichters Seele ist von dem Wech- sel der letzten Tage etwas zurückgeblieben wie « Lähmung in dumpfer Wehmut » (470). Er wundert sich über sich, dass er manchmal noch fröhlich sein mag; er muss Vergeltung im Jenseits hoffen, wenn er nicht verzweifeln und alles zerbrechen und hinwerfen will. Der Gedanke des Todes wird ihm immer freundlicher, und er verschwendet sein Leben gern (472). Die Sendung des Gedichtes in einem viel späteren Briefe aus dem Januar 1840 an Emilie Reinbeck ist kein Beweis für die Entste- hung im Jahre 1839. Ein Herbstabend (zı) ist im Erstdruck Zugvögel, erste Stimme überschrieben. Sophie bemerkt : « In Kirling, im Spät- (!) Deutscher Musenalmanach, Leipzig, B. Tauchnitz jun. o. J. Auf der letzten Seite als Fussnote die Bemerkung : « gedruckt 1840 ». (2) Lenau und Löwenthal, S. 597. 540 NATURGEDICHTE DES JAHRES 1858. herbst 1838 ». Tatsächlich verweilte Lenau dort Ende Oktober bei seiner Schwester Therese. Auch gedenkt er (Vs 9) eines toten Freundes, mit welchem Mikschik, der Bräutigam von Sophies Schwester Johanna, gemeint ist. Er starb am 3. Okto- ber und sein Tod bewegte den Dichter tief (657). Ferner zeigen sich wieder Übereinstimmungen mit den Entwürfen im Ein- schreibbüchel von 1838. Man vergleiche mit Vers 27 f. : Ist's Erdenleben Schein? — ist es die umgekehrte Fata Morgana nur, des Ew’gen Spiegelfährte? den abgerissenen Satz : « Das Bild von der fata morgana » und folgenden : « Den Gnostikern war die Erlösungsgeschichte, die Geburt und der Tod Christi eine im Himmel vorgegangne, und was in Judäa geschah, nur ein irdischer Scheinreflex, gleich- sam eine verkehrte fata morgana » (1). Ähnlieh philosophiert Faust (Vs 3380 ff.) vor seinem Selbstmorde, indem er sich fragt, ob alles nicht « ein trüber Schein » sei. Der Teufel selbst sei janur « des Gottbewusstseins Trübung », ein wirrer Traum von Gott, der Bund mit dem Lügengeiste nur ein solcher, « den der Schein geschlossen mit dem Schein ». Auch im Zettel an Sophie vom 26. Oktober beginnen « die Zweifel in der Brust den Nachtgesang » (Vs 26) : « Hat sich deine Sehnsucht überwacht? ist sie des Weges müde geworden, wo kein Ziel erreicht werden kann? Hab ich in deinen Augen verloren, und findest du mich geringer, als du mich einst glaubtest? Hat deine Liebe wirklich eine Meinung und einen Verlauf? Solche Fragen kommen mir oft und machen mich dann sehr finster » (#74). In demselben Fragetone entwickelt sich der letzte Teil des Gedichtes, allerdings über die Fragen vom Diesseits und Jenseits, vom Irdischen und Ewigen, die jedoch auch im eben angeführten Zettel einander gegenüber- gestellt werden : « Ich will mir etwas Ewiges schon diesseits & (1) Lenau und Löwenthal, S. 525, 530. NATURGEDICHTE DES JAHRES 1838. 541 einrichten, sonst gibt es kein Jenseits. Tu ich darin einen Missgriff, so ist’s der schrecklichste ». Der Zweifel, den Lenau sich anschiekt zum Helden seines neuen Epos zu erwählen, durchdringt dieses Herbstgedicht. Ist das Leben nur ein Schein? Weshalb fürchtet es dann den Tod? Oder ist dies Bangen vor dem Tode auch nur Schein? So schwärmen die Gedanken, Wie dort durchs öde Tal die Herbstesnebel schwanken. (v.33 £.) So schwärmen die Gedanken auch im genannten Schreiben an Sophie, und Lenau bezeichnet dort diese Grübeleien, die ein böser Geist in seinem Kopfe gemischt, als « Gift ». — Mit Vorliebe bedient der Dichter sich zu dieser Zeit der ihm wenig liegenden Versform des Alexandriners, zu welcher er gewöhn- lich greift, wenn er philosophiert. Offenbar irrig ist die Bemerkung von Sophie zu dem Gedichte Der Kranich (55) : « Im Herbst. 1841 », die Schurz wiederholt, ebenso die von Castle « Dezember 1839 » (!). Letztere beruht auf der Sendung des Gedichtes an Emilie Rein- beck am 29. Dezember 1839, die der Dichter mit den Worten begleitet : « Dieses Gedicht ist Ihrer Seele verwandt und mir ganz besonders wert; zwei gute Gründe, es Ihnen zu senden ; vielleicht ist der erste Grund der Grund des zweiten Grun- des » (637). Die Überschrift im Musenalmanach Zugvögel, zweite Stimme deutet auf den engen Zusammenhang mit dem vorigen Herbstliede. Ursprünglich ist dieses also als optimistische Ant- wort auf pessimistische Zweifel gedacht. Das zum Schlusse erwähnte Land des Frühlings ist nicht der Friede mit Sophie nach den Wirren mit Karoline Unger, wie Castle infolge seiner Datierung meint, eher, wie Reynaud (S. 357) vermutet, das Jenseits. Übrigens übernimmt Lenau hier einfachhin einen Ausdruck (1) Lenau und Löwenthal, S. 472, Werke IV, 177. 542 NATURGEDICHTE DES JAHRES 1838, von Schubert, dessen Bemerkung über den Zugvogel den Anlass zum Gedichte gegeben. « Der Zugvogel erhebt sich, leicht geflügelt, wenn die Zeit zum Fortwandern gekommen. Da ist ein weites Meer, jenseits welchem das Menschenauge kein gast- liches Ufer, keine Ruhestätte erblicket. Der Vogel aber, auf Hoffnung, schwingt sich hinüber über das Meer, und findet so das Land, wo ein neuer Frühling, neue Lebensfülle ihn erwar- ten » (!).: Und ihm ist das Land bewusst, Wo mein Frühling mich erwartet. Am 23. Oktober tröstet der Dichter sich über den Zwang, seine Liebe verbergen zu müssen, mit der Hoffnung auf ewige Vergeltung. « Aber es kommt auch noch unser Tag. » Einmal doch wird die schöne freie Sonne Gottes auf diese Liebe scheinen. Der Liebende hat an der Unsterblichkeit gezweifelt, jetzt lehrt ihn die Not, sich an diesen Glauben klammern (472). Auch der Klagen über die Vergangenheit (Vs 25-32) gedenkt der Zettel vom 26. Oktober. Als er mit Sophie über die Bastei ging und sie von alten Zeiten sprach, da ward er traurig. Er muss doppelt um den Frühling seiner Liebe trauern, weil den Liebenden die Frucht des Sommers versagt geblieben (474). Die Verse der 7. Strophe : Hab ich gleich, als ich so sacht Durch die Stoppeln hingeschritten, Aller Sensen auch gedacht, Die ins Leben mir geschnitten, rufen den Vergleich mit einem Satze aus dem Einschreibbüchel von 1838 wach : « Sie haben dich seziert, doch keine Spur der Messer gefunden, die einst durch dein Herz geschnitten » (?). (!) SCHUBERT, Geschichte der Seele, S. 363. (2) Lenau und Löwenthal, S. 540. NATURGEDICHTE DES JAHRES 1838. 543 Ohne Berechtigung scheint mir die Einreihung des Gedichtes in die Liebeslieder an Sophie ('). Auch die tief schwermütigen Sonette Einsamkeit (304) (Hast du schon je...) erschienen im ersten Jahrgange, des Leipziger Musenalmanachs. Die Handschrift des ersten ist von Lenau datiert mit dem 7. November 1838. Wieder sandte der Dichter dieses viel später an Emilie, nämlich in demselben Briefe aus dem Januar 1840, der das Gedicht Herbstgefühl enthält. « Meine liebe Emilie hat das nie erfahren », bemerkt er dazu (659). Wieder bringt auch das Einschreibbüchel von 1838 einen Ent- wurf zum ersten der beiden Sonette : Ich ging in einer finstern Nacht allein. Warst du schon ganz allein? dann weisst du auch, Wie’s kommt, dass man hinstürzt und küsst den Stein Und bang die Hand nachstreckt dem Windeshauch (2). Die Gedanken des ersten Sonettes nahm Lenau wieder auf in den im Jahre 1840 in Fausts Tod eingeflochtenen Versen : Ich habe Gottes mich entschlagen Und der Natur, in stolzem Hassen, Mich in mir selbst wollt ich zusammenfassen ; O Wahn! ich kann es nicht ertragen. Mein Ich, das hohle, finstre, karge, Umschauert mich gleich einem Sarge. Ich habe nun gesprengt die dumpfe Haft, Mit doppelt heisser Leidenschaft Streck ich die Arme wieder aus Nach Gott und Welt aus meinem Totenhaus. Nach Gott? — doch nein! — der Kummer ist es nur : Könnt ich vergessen, dass ich Kreatur! (Faust, Vs 3286-3303.) (4) Lenau und Löwenthal, S. 472. Werke IV, 177. (2) Lenau und Löwenthal, S. 533. 544 NATURGEDICHTE DES JAHRES 1858. Das beliebte Thema der Herzlosigkeit der Natur findet im zweiten Sonett seinen vollkommensten dichterischen Ausdruck : Der Wind ist fremd, du kannst ihn nicht umfassen, Der Stein ist tot, du wirst beim kalten, derben, Umsonst um eine Trosteskunde werben, So fühlst du auch bei Rosen dich verlassen. Die Natur, Beschäftigt nur mit ihrem eignen Sterben, kümmert sich nicht um Menschenleid, dem auch die Mitmen- schen teilnahmlos gegenüber stehen. Lieblos und ohne Gott! der Weg ist schaurig, ber Zugwind in den Gassen kalt; und du? Die gauze Welt ist zum Verzweifeln traurig. Lieblos! Einige Tage vor der Niederschrift des Sonettes teilte Lenau Sophie mit, wenn ihre Liebe nicht mehr sei wie einst, so sei sie gar nichts. Erfülle sie nicht mehr ihr ganzes Wesen, so sei sie fort; er könne nicht daran denken, ohne dass sein Innerstes zittere (475). Ohne Gott! Ganz schaurig wird erst der Weg, die ganze Welt zum Verzweifeln traurig, wenn mit dem Zweifel an Gott jeder Ausblick verschlossen wird. « Ich muss Vergeltung hoffen, wenn ich nicht verzweifeln und alles zer'rechen und hinwerfen will », lautet ein Sophie am 23. Oktober abgelegtes Bekenntnis (472). Um das Christentum zu verstehen, sagte Lenau am 14. November zu Max Löwen- thal, um durehdringend in dasselbe hineinzusehen, müsse man nur einmal von seiner eigenen Unzulänglichkeit überzeugt sein, nur einmal so recht die Notwendigkeit fühlen, das eigene hilflose Wesen durch Gott durchdrungen und gewissermassen ergänzt zu finden (?). (1) Lenau und Löwenthal, S. 68. D NATURGEDICHTE DES JAHRES 1838, 545 Die Gefühllosigkeit der Natur hebt auch Mephistopheles in der zweiten Faustfassung hervor : Natur lebt nur für sich, verschlossen, Und sie hat nichts mit dir zu kramen; Und wenn sie dir ein Echo schallen lässt, Wirft sie dein Wort zurück dir mit Protest. (Vs 2946-30.) Dem Teufel ist's ein Anblick immer zum Entzücken, Wenn die Natur dem Menschen kehrt den Rücken, (Vs 2351 £.) und Faust bekennt : Bankbrüchig muss Natur in allen Jahren Der Forderung der armen Menschen werden, (Vs 2342 £.) was Mephistopheles bestätigt : Ihr mögt ihr forschend in das Antlitz schauen, Ihr scheues Herz erschliesst sich euch doch nimmer. (Vs 2391 £.) Der Traum, den Lenau gleichzeitig mit Einsamkeit im Nacht- gesang II der Albigenser schildert, lässt ihn trüb, allein, in einer Wildnis irren, traurig ist ihm die Erde, schaurig die Natur, furchtbar schweigend, stets wilder, fremder, trüber steht sie ihm gegenüber. Eine Stimme warnt ihn vor der Verrä- terin : Wenn du bist an ihre Brust gesunken, Siehst du sie verwandelt, mit Entsetzen. (Albigenser, Vs 99 £.) In der äusseren Natur herrscht nur Härte, meint auch Baader. Die Natur ist taub und stumm. Der Gefängniswärter spricht 35 546 NATURGEDICHTE DES JAHRES 18538. nicht mit dem Verbrecher (XII, 445). Der Mensch findet ausser seinen Reisegefährten selbst in dieser überall stummen Natur nirgend ein Wesen, dem er sich mitteilen könnte, von welchem er Rat, Hilfe und Auskunft über so manches holen könnte. Und wahrlich, er bedarf solcher Hilfe, solcher Leitung mehr als ein verirrtes Kind in der Wüste (Xl, 110). Eben diese Herz- und Geistlosigkeit der nur äusserlichen Natur soll den Menschen daran erinnern, dass er als frei wollendes Geist- wesen in ihr nicht zu Hause, nicht in seiner Heimat, sondern in einer unheimlichen Fremde sich befindet, und eben das Inne- werden dieses Weltzwangs, dieser Weltnot und Weltschwere ist es, was sein Ohr und sein Herz jener erfreulichen Botschaft öffnet : « In der Welt habt ihr Angst und Not, aber seid getrost : Ich habe diese Welt überwunden! » (I, 113) : Ist Christus Traum, dann ist das Leben Ein Gang durch Wüsten in der Nacht, Wo niemand, Antwort uns zu geben, Als eine Horde Bestien wacht. Die feindlichen Naturgewalten Umdrohn den Wanilrer ohne Bahn, Aus tausend dunklen Ilinterhalten Lieblos und rastlos springen. an. Und wenn er mit geschärften Sinnen Der Feinde manchen auch bezwang, Kann er den andern nicht eutrinnen Auf seinem heimatlosen Gang. (Savonarola, Vs 1034-1092.) XLV Sophiegedichte. 6. Reihe. — 1838. Zueignung. — Am Rhein. — Heloise. — Der schwarze See. — An den Ischler Himmel im Sommer 4838. — Die Blumenmalerin. — Erinnerung. — Lebe hoch! Sophie! die edle Frau ! Der Anfang des Jahres 1838 bezeichnet einen Höhepunkt in Lenaus Liebe zu Sophie wie in der Lyrik das Gedicht Zueignung (506), von dem wir weiter nichts wissen, als dass es in diesem Jahre im Druck erschien. « O welch ein Abend! » jubelt der Zettel vom %. Januar. « Heute hat sich mein Herz ganz geöffnet. Bis jetzt unbekannte Wonnen haben mich über- strömt. Ich bin in diesem Augenblick selig. Ich habe keinen Wunsch, als dir Freude zu machen... Wie warst du diesen Abend! O nur ein paar solche Abende jenseits, so hat es mit dem Himmel seine Richtigkeit. Worin könnte denn auch die Freude dort bestehen, als dass wir noch inniger lieben wer- den als hier... In solchen Stunden wachsen wir dem ewigen Leben zu. Ich bin sehr glücklich » (434). In den letzten Tagen des Monates Januar ist Sophie sehr zärtlich und ganz sein. Es soll sie nicht gereuen, denn er ist reich und kann sie belohnen. An Herzenskraft kann sich ja keiner im weiten Kreise ihrer Bekanntschaften mit ihm messen. Seine Liebe ist die grösste, die je einem Weibe zu teil geworden. Sophie kann ihm kein Stäubchen Asche zeigen, das dem Brande entfallen wäre, weil 548 SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. hier kein irdisches Material verzehrt wird, sondern alles seine Seele dazu hergibt (457) : Dein ist mein Herz, mein Schmerz dein eigen, Und alle Freuden, die es sprengen, Dein ist der Wald mit allen Zweigen Mit allen Blüten und Gesängen. (Vs 25-28. Das Bild des Waldes findet sich wieder im Zettel vom 28. Januar abends : « Nimm vorlieb, Herzerl! Da drinnen ist’s nicht wie eine alte Zitrone, es sind da ganz frische, duftende Orangenwälder, in welchen du dich noch lange mit Vergnügen ergehen wirst » (438). « Alles ist dein », ruft Lenau ebenda aus, — «dein Herz ist das Beste, was ich habe », beteuert er in einem anderen Erguss desselben Datums, wörtlich übereinstim- mend mit der Dichtung lautet ein undatierter Zettel « Dein ist mein Herz, solang es schlägt, und einst wird es stehn bleiben in deinem Namen » (s17). Hierzu stimmt auch eine frühere Erklärung vom 24. September 1837 : « Ich bin dein mit allen meinen Hoffnungen, Wünschen und Werken » (400). — « Und doch kennt mich niemand wie du », betont Lenau in einem am 28. Januar nachts geschriebenen Zettel (439), hiermit ein Bekenntnis vom 13. Dezember 1837 wiederholend : « Niemand kennt mich wie sie » (450). Diesen Äusserungen entspricht die Anfangsstrophe : Von allen, die den Sänger lieben, Die, was ich fühlte, nachempfanden, Die es besprochen und beschrieben, Hat Niemand mich wie du verstanden. Wiederholt bringt auch das Gedicht die Verherrlichung des Auges der Geliebten, das « göttliche Gedanken » (Vs 14) offen- bart. Auf die Seitenstücke hierzu in der Dichtung und in den Briefen haben wir vorher hingewiesen. SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. 549 Der Schlussgedanke, dass das Streben des Dichters nach Ruhm auch nur Sophie zuliebe geschieht, ist wieder aus einem früheren Briefe vom 8. Juni 1837 zu belegen : « Wenn ich was für meinen Namen strebe, dann geschieht es auch nur dir zuliebe. Ich möchte dich gerne recht ausschmücken. Aller Schmuck ist Flitter; aber der schönste Flitter, womit man ein liebes Weib schmücken kann, ist der, den man aus Menschen- herzen nimmt, das ist der Ruhm » (297). Am 13. Juni 1840 wollte er Sophie seine einstigen gesammelten Schriften widmen, weil er von ihr neben Beethoven, «dem Meer, dem Hochgebirg, das Beste und Meiste gelernt « oder vielmehr dureh euch vier von Gott » (675). Sophies Antwort auf dieses so schmeichel- haftle Angebot brachte ihm eine herbe Enttäuschung, den schmerzlichen Beweis, wie wenig sie an ihn glaubte (686) . Als Höhepunkte der Liebe zu Sophie zeichnen sich deutlich der November 1837 und der Januar 1838 ab. Ersterer, den Castle (*) als Grundlage der Einreihung wählt, kommt schwer- lich in Betracht wegen Lenaus Zeugnis über seine dichterische Untätigkeit zu dieser Zeit (609). Die zwei Bekenntnisse an Sophie aus dem Februar und März 1838 zeichnen sich durch eine besondere Innigkeit und Liebesseligkeit aus. Es ist « ein stilles, heimliches Tun und Schaffen » in des Dichters Seele, als ob sie « sich sorgfältig einrichtete mit Liebe für ihre ganze Zukunft ». Alles ist seit einiger Zeit sicherer, fester, verwahrter, inniger und schöner geworden. « Das sind die heimlichen Taten unseres unsterb- lichen Teils » (#4). Im Geständnis vom 5. März klingt Zueig- nung nach : « Ja, es ist ein grosses Glück für einen Dichter, eine solche Geliebte zu haben, wie du. Du bist mein bester Umgang, meine Liebe, mein Ruhm, meine Kirche, alles in einer schönen Gestalt » (#42). Es war eine friedliche, schöne Zeit des Zusammenlebens, das erste Vierteljahr 1838. Täglich () Werke IV, 122. Eine frühere Einreihung desselben Forschers : Oktober 1838 (Lenau und Löwenthal, S. 463), schliesst der Druck in den Neueren Gedichten aus. 550 SOPHIEGEDICHTE. — .6. ‚REIHE. fühlte der Liebende es versöhnender und beruhigender von Sophie aus herüberwehen in sein Herz, und sein ganzes Wesen befestigte sich in ihr (#22). Der Tag des siebenten Mai, an dem Sophie ihre Stadtwoh- nung verliess, um nach Penzing überzusiedeln, beschloss die « schnellen sechs Monate » des winterlichen Zusammenlebens, mit « allen den schönen, lieben Abenden » (444), den Winter, auf den der Dichter wie auf « ein kurzes, seliges Stündlein » zurücksah (446). In tiefe Trauer versetzte ihn die Trennung. « Der heutige Tag war schlecht », klagt er in der Nacht vom 6. Mai. « Mein Laub fällt morgen ab. Es ist wie ein Sterbtag. Du hast mich eigentlich doch recht unglücklich gemacht » (435). Schmerzlich spürte der Liebende alle die Fäden des Verbandes, weil das Schicksal daran riss (146). Neue Klagen ertönen in den Liebesergüssen aus dem Monate Mai. Auf gleichen Ton ist das Gedicht Am Rhein (285) gestimmt, das wohl in diese Zeit gehört. Von sämtlichen Lenauforschern, Schurz und Grün an der Spitze, bis zu den neuesten Heraus- gebern von Lenaus Werken — Prof. Castle ausgenommen — wird das Gedicht auf Lotte Gmelin und die die Amerikareise einleitende Rheinfahrt bezogen. Die Überschrift und die in dem Gedichte verwobenen Erinnerungen an das Verhältnis zu Lotte führten irre. Die Vision des erleuchteten Fensters, zu dem der Liebende hinstarrt, ist eine Erinnerung aus der Lotte- Zeit und stimmt überein mit dem Berichte an Mayer aus dem April 1832 : « Ich bin vor einer Viertelstunde in dunkler Nacht vorübergegangen am Fenster der geliebten Lotte. Ich schlafe nämlich im Gasthof... Das ist mir nun in einer Hinsicht recht, denn ich kann in der Nacht unbemerkt unter den Fenstern meiner Lotte stehn und hinaufblieken, wo sie schläft, und ihr heimlich meine ganze Seele zum Fenster hineinschütten » (86). Das Erscheinen des Gedichtes in den ausschliesslich Sophie gewidmeten Liebesklängen, sein später Druck im Jahre 1838, die Anspielung auf die Eisenbahn (Vs 19), hätten vor der Beziehung auf Lotte warnen müssen. Nach der Veröffent- v SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. >51 lichung der Briefe an Sophie war jedoch diese Behauptung schlechthin nieht mehr aufrecht zu erhalten, was trotzdem immer wieder geschah. Wenn Lenau durch die Überschrift Am Rhein den Zusammenhang mit Sophie zu verdecken suchte, so ist ihm dies vorzüglich gelungen. An Parallelstellen in den Liebesbriefen ist kein Mangel. Strophe 2 erwähnt wie das Gedicht Wunsch die Störer, von denen so oft in den Briefen die Rede ist und gerade in einem vom 8. Mai 1838, in dem es mit deutlichem Bezug auf das Gedicht heisst : « Die vielen Menschen, die beständige Unruhe haben etwas höchst Ermüdendes und Verstimmendes. Jedes geht seinen eignen.Weg, der aber oft den unsrigen durchkreuzt und uns die liebsten Worte abschneidet. Wenn dieser Tage ein Hagelwetter niederginge, wie würden alle klagen und jammern über die zerstörten Blüten, die keine Frucht ansetzen könnten; aber wie manches Wort, das wir uns sagen möchten, wie manche schöne Empfindung unserer Herzen durch das schonungslose Herein- fahren der Störenden im Keime getötet wird, daran denkt niemand; oder sie un es wohl gar absichtlich » (#47). Strophe 3 erwähnt die bevorstehende Reise nach Stuttgart, die Niembsch am 21. Mai antrat, und spricht einen der allgemeinen Grund- gedanken der Liebesklänge in Prosa aus, den vom Wiedersehen im Jenseits. « Hier ist’s halt nichts; dort muss es was werden », schreibt Lenau fast wörtlich übereinstimmend am 8. Mai. Strophe 5 und 6 berühren das Thema des Eisenbahnbaues, das der Dichter gleichzeitig in An den Frühling 1838 behandelt. Strophe 7 und 8 verallgemeinern den Gedanken, dass die Liebe zu Sophie sich vor der Welt verbergen muss. Sie gleichen der bereits erwähnten Äusserung vom 8. Mai : « Die Menschen sind eben noch nicht weit vor in der wahren Menschenbildung, darum ist ihnen jeder Grashalm heiliger als ein Gefühl, worauf nicht der Stempel bürgerlicher Gültigkeit geschlagen ist », und einer späteren vom 23. Oktober 1838 : « Dass ich meine liebste Freude bis zum Grab unterm Mantel werde tragen müssen, das ist eben der wundeste Punkt meines Lebens. Ich möchte 552 SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. doch einmal die schöne freie Sonne Gottes darauf scheinen lassen. Eine solche Liebe ist gewiss ein wertes Geschöpf Gottes, und die arme unglückliche muss immer nur Kellerluft atmen » (472). Das Bild von der Liebe, die sich « bestellen noch hinter die Gräber muss » (Vs 31 f.), wiederholt Sophie in einem Briefe an Schurz vom 8. November 1844 : « Wir waren so ge- wöhnt, unser Glück jenseits des Grabes zu suchen, dass der Tod uns immer als der schöne Genius der Griechen erschien und wir seiner stets mit sehnsüchtiger Liebe gedachten » (!). Strophe 10 und 11 dürften vielleicht auch nicht ohne Bezug auf die Wirklichkeit sein, sogar das Emporblicken zum Fenster der Geliebten. Zweifellos ist Lenau in der Zeit vom 8. bis zum 21. Mai öfters von Sophies « Quarliere » in Penzing geschieden und in seines in der Johannisgasse hinübergegan- gen (Strophe 12). Dass er mit Trauer sein Zimmer betrat (Strophe 13), bezeugt er zweimal selbst, am 7. Mai : « Als ich die Vortüre aufsperrte und in die stille, verlassne Wohnung eintrat diesen Abend, erfasste mich’s wie in Stuttgart, wenn ich in mein Zimmer kam » (446), und am 10. Mai : « Die schmerz- liche Sehnsucht nach dir übt ihr volles Recht, und in diesem Augenblicke umgibt mich unsere stille, öde Wohnung mit ihrer ganzen Traurigkeit » (#1). Strophe 15 gibt einen anderen Grundgedanken der Briefe, den an den Tod, wieder. Als eine « schauerliche » bezeichnet Lenau diese Strophe in einem späteren Zettel an Sophie vom 27. Oktober 1838 (475). Strophe 16 und 17 berühren die endlosen Klagen der Briefe über Trennung. Die Schlussstrophe klagt über das Unglück des Verhältnisses wie gerade unter so unzähligen anderen die Mitteilungen an Sophie aus dem Monate Mai 1838. « Unsere Liebe und unser Unglück », lautet es am 7. Mai, ganz Klage ist der Erguss vom 8., und am 10. jammert der Liebende : « Mein Unglück ist entschieden und sehr folgerecht. Das hab ich (1) Lenau und Löwenthal, 'S. 330. SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE, 553 längst gemerkt und am empfindlichsten in unserem Verhält- nisse. Hier steht mein Unglück seit vier Jahren mir unverrück- bar gegenüber und zählt mir beständig alle Freuden auf, die ich mit dir hätte gewinnen können und die auf immer für mich verloren sind. Meine verlornen Summen werden mit jeder Stunde grösser und mein Geschick schlimmer. Wenn nicht in gleichem Masse meine sittliche Kraft wächst, so ist mein Untergang gewiss » (49). Der Erstdruck des Gedichtes in der Wiener Zeitschrift vom 13. September 1838 macht den Bezug auf eine Donaufahrt Sophies an ihrem Geburtstage, dem 23. September, die Lenau in einem Briefe (656) als bevorstehend erwähnt, hinfällig. Die täuschende Überschrift Am Rhein war schon allein durch den Druck des Gedichtes in einer Wiener Zeitschrift geboten. Bein zornigen Neger, der wildschnaubend die Bande zu sprengen droht (Vs 15 f.) hatte Lenau vielleicht, wie Schaeffer vermutet, die Figur des Negers Berdoa in Grabbes Trauerspiel Herzog Theodor von Gothland (Vs 4099 ff.) vor Augen. Die Klage der neuen Heloise (255), die Lenau Sophie in den Mund legt, lässt sich auch an den Liebesbrief vom 10. Mai anschliessen. Hier bekundet er seinen Schmerz wegen des « Fremden und Verletzenden », das darin liege, dass Sophies Kinder nicht auch seine Kinder seien. Ruft Sophie einem ihrer Kinder, so denkt er sich dabei : « Wie ganz anders würde der Ruf mir klingen, wenn du dies Kind von mir hättest! ». Ahnliche Gedanken, die Sophie ihm an diesem Tage aus ihrem Tagebuche (') zu lesen gab, straften ihn « gleichsam unbe- wusst » für die seinen, erschienen ihm als ein merkwürdiges Zusammentreffen, in dem « ein kleines sinnreiches ee » liege, an das er oft werde zurückdenken müssen. Als er die (1) Von einem Tagebuche Sophies ist nichts bekannt, vielleicht sind die Lese- früchte gemeint, worin Sophie sich den an Vs 35 anklingenden Satz aus Fr. Jacobis Woltemar abschreibt : « Die Natur hat das Weib nur zu einer Leidenschaft, der für die Kinder, angewiesen; Mutterherz ist sein wahres eigentliches Wesen. »' 554 SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE, Zeilen Sophies las, stand er « wie vor einem heimlichen unnachsichtlichen Herzensgerichte ». Ein zweites auffallendes Zusammentreffen lässt sich zwischen Brief und Gedicht nach- weisen. Den « verlorenen Freuden » im Briefe entspricht « das Verlorene und Versäumte » (Vs 27) im Gedichte. Im Briefe wie im Gedichte ist ferner der Hofinungslosigkeit eines « ganz ruhigen, vertieften und glücklichen » Verkehrs mit « den himmlischen Mächten » Ausdruck gegeben, sowie der « schmerz- lichen Sehnsucht » nach der und dem Geliebten. Zahlreich sind ferner Anklänge an frühere und spätere Briefstellen. Die Verse : Oft, wenn ich Wort und Küsse mit ihm tauschte, War mir, ob Himmelsbeifall uns umrauschte, (Vs 20 f.) erinnern an den Satz : « Vielleicht, ja gewiss, gewinnen wir einst den Beifall der Himmlischen » (502), die Verse : Und wenn ich das Verlorne und Versäumte, Als hätt ich es, in süssen Nächten träumte, (Vs 27 f.) an: « Dann träum ich in der Nacht — heute nacht gewiss wieder, — dass du mein bist » (527) und an ähnliche Stellen aus Bekennt- nissen des Monates Mai 1841. Anklänge bietet auch die Dich- tung, so die Rede Fausts zur Dirne Lieschen in der Szene Görg (*) (Vs 3184-3201) und die Romanze Anna, die auch im (4) Namentlich die Verse : Denn was dem Mann Erkenntniskraft, Ist für das Weib die Mutterschaft. Auch der Ausdruck « das Verlorne und Versäumte » (Vs 27) stammt aus Faust : Und all der süsse Frühlingsdrang Blieb mir verloren und versäumt. (Vs 3025 f.) und kehrt öfters wieder im Briefwechsel mit Sophie. SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. 555 Jahre 1838, bald nach Heloise entstand. Bereits im Dezem- ber 1836 floss dem Dichter das Bild Sophies zusammen mit dem der « jungen Nonne » im Gedichte Craighers, das er in der bekannten Tondichtung von Schubert hörte (273). Die Stelle im Briefwechsel zwischen Abälard und Heloise, auf welcher das Gedicht fusst, findet sich im vierten Briefe und lautet in der Übersetzung von Dr. P. Baumgärtner (?) : « Ich fand in den Freuden der Liebe, die wir miteinander genossen, so viel Wonne, dass sie noch jetzt ihren Reiz für mich haben und mich der Gedanke daran kaum verlässt. Wohin ich mich wende, immer stehen sie mir vor Augen und wecken sehnsüchtiges Verlangen. Bis in meinen Schlummer verfolgen mich die lockenden Phantasien. Mitten im feierlichen Hochamt, wo das Gebet reiner zu Gott sich erheben soll als sonst, wird mein armes Herz so ganz von jenen wollüstigen Gebilden eingenommen, dass ich nur für ihre Lüsternheiten Gedanken habe, nicht für das Gebet. Ich sollte über meine Sünden weinen und ich seufze nach dem, was ich verloren. — Und nicht allein was wir gelan steht lebendig vor meiner Seele; nein, auch die Orte, die Stunden, in denen wir gesündigt, haben sich so fest meinem Herzen eingeprägt, dass ich immer wieder aufs neue alles mit dir durchlebe und auch im Schlaf keine Ruhe finden kann. Dann und wann verrät eine unwillkürliche Bewegung des Körpers meines Herzens Gedanken oder ein Wort, das sich mir wider Willen auf die Lippen drängt. O gewiss, mein Elend ist gross! und ich darf wohl einstimmen in die Klage eines bangen Herzens : ‘ Ich unglückseliger Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? ° © könnte ich auch die darauf- folgenden Worte aus vollem Herzen nachsprechen : “ Ich danke Gott durch Jesum Christum, unsern Herrn. » Lenaus eilige Abreise nach Stuttgart am 21. Mai geschah zunächst, um die dort bevorstehende Bühnenaufführung von (1) Briefwechsel zwischen Abälard und Heloise. (Reelams Universalbibliothek, Nr 3288-90. S. 98 f.) . 556 SOPHIEGEDICHTE. REIHE. ee © M. Löwenthals Stück Vater und Richter zu überwachen er Auf das angelegentlichste nahm Lenau sich dieser Sache an und berichtet darüber ausführlich dem Freunde. Humoristisch gefärbt sind die Stuttgarter Briefe an Max Löwenthal und auch die an Sophie, welche zum Mitlesen von seiten des Gatten bestimmt waren. Plötzlich, am 21. Juni, packte den Dichter wieder die « alte Hypochondrie mit vollster Gewalt. Ohne eigentliche Veranlassung kommt das so plötzlich, dass ich es nicht besser bezeichnen kann, als indem ich sage : plötzlich hat mich wieder der traurige Wind angeweht. Ich mag Dich (?) gar nicht belästigen mit Aufzählung all der schwarzsichtigen Betrachtungen und Empfindungen, die bei solchen Paroxysmen über mich hereinbrechen » (620). Am 22. Juni beginnt er seine vertrauten Aufzeichnungen für Sophie. Einen ganzen Monat hat er in der Ferne damit gewar- tet einer seltsamen Scheu wegen, nicht herumzuwühlen in seinem Herzen, nicht heraufzubeschwören einen schmerzliehen Unmut, der ihn zu weit hinausreissen könnte. « Ich bin es wohl auch unserer Liebe schuldig, mein Herz und damit mein Leben ein wenig zu schonen. Doch das ist es weniger als die Scheu vor einem Dämon, der manchmal anklopft » (450). Wir kennen diesen Dämon, der wieder leise, bald heftiger, seine Stimme erhebt. Wie ein verirrter und verspäteter Zugvogel kommt sich der Dichter vor, der es versäumt hat, sich dem Wanderzuge seiner Brüder anzuschliessen, und dafür jetzt einsam herumflattert in einer herbstlichen Fremde. Er spürt, was er versäumt, verschwendet, verfehlt hat, und das ist sein Übel. Sophie erscheint ihm als der schöne, volle, unergründ- lieh schmerzliche Ausdruck seiner zerstörten Glückseligkeit. « Versäumt! verloren! o Sophie! ich muss abbrechen. Mir schwindelt vor meinem Unglück, wenn ich mir recht vorstelle, was du bist » (432). Ein Trost ist ihm, sein Schicksal im verklä- (!) Vgl. Tagebuch von M. Löwenthal, N. 88/89. (2) Max Löwenthal. SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. 557 renden Lichte eines allgemeinen Verhältnisses zu betrachten. Auch in der Geschichte der Menschheit stösst man überall auf Verschwendung, Versäumnis, unwiederbringliche Versäumnis und Verfehlen der schönsten Anschläge, ebenfalls in der Natur. Wie oft hat nicht die schaffende, gestaltende, webende Hand der Natur und Geschichte bei ihren feinsten und schönsten (seweben gezittert, so dass ihr der Faden entfiel und damit das Glück ganzer Völker und Zeitalter unwiederbringlich verlo- ren ging (452). Sophie liebt dieses Philosophieren nicht, für Niembsch hat es etwas Tröstliches, in seinem Privatunglück den Familienzug zu lesen, der durch alle Geschlechter der arınen Menschen geht (453). Sophie ist inzwischen nach Ischl gefahren, und « unbeschreiblich » freut sich Lenau auf das dortige Wiedersehen (434). Über den Ischler Aufenthalt berichten ungedruckte Briefe Sophies an ihren Gatten. Am 17. Juli traf Lenau dort ein. Bereits am 19. gab ein Ausflug zum schwarzen See die Veran- lassung zu dem Gedichte Der schwarze See (347). Er überreichte es Sophie in der Handschrift und teilte es Emilien Reinbeck in einem Briefe vom 9. August mit; bereits am 31. dieses Monats erschien es im Erstdruck im Morgenblatt. Sophie berichtet in ihrem Exemplar : « In Ischl im Jahre 1838, nach einer Partie, die Niembsch, Johanna, Scharschmid, Mik- schik und ich zum schwarzen See gemacht hatten », Lenau selbst im Briefe an Emilie : « Ich schreibe Ihnen, liebste Emilie, von meinen neuen Gedichten hier ab, was mir das liebste ist : Der schwarze See. Dieser befindet sich in der Nähe von Ischl und hat mich sehr ergriffen » (62s). Leicht begreiflich wird diese Ergriffenheit dem Besucher, den heute noch die Genauig- keit der Naturbeschreibung überrascht. Der Charakter des Liebesgedichtes tritt in den Handschriften und im Erstdruck noch deutlicher hervor in der später unterdrückten 14. Strophe: Die Donner klingen mir wie alte Liebeslieder, Und jede Welle rauscht ein teures Wort mir wieder. 558 SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. Könnte man doch seinen Schmerz ertränken in der Natur, all sein Erdenweh, des Herzens letzten Wunsch in diesen finsteren See werfen! Mahnt uns nicht dazu diese hier stumm in sich versunkene Natur, die ihren letzten Laut im düsteren See ertrunken zu haben scheint? Doch bald erbebt das Schilf. am Ufer, der Wind wacht auf, erweckt den Wald, schwillt an zum Sturm, die ganze erschaudernde Natur ruft dem Dichter zu : ..... O Tor! was hat dein Wahn beschlossen ! Die Hoffnung kannst und sollst du in das Grab hier stossen ; Doch willst in diesem See die Liebe du ertränken, So musst du selber dich in seine Fluten senken! (!) | Wieder klingt das Gedicht in das Motiv der grenzenlosen, hoffnungslosen, unsterblichen Liebe aus. Das « verzitternde Bild » der über den See zuckenden Blitze (Vs 24) erinnert an das « zitternde Bild » des Lottegedichtes Dein Bild, die Frage | an die Natur : Ins Elend locken mich mit schmeichelnden Gesängen ? an die gleichzeitige Mahnung : Wähle nicht zu deiner Herzensbraut Die Natur, wenn sie dir winkt vertraut. (Albigenser, Vs 93 f.) Der Ischler Gegend konnte Lenau nicht froh werden « wegen eines bereits drei Wochen langen beständigen Regens » (629). Mit guter Laune ertrug er den verregneten Sommeraufenthalt wie aus den Versen An den Ischler Himmel im Som- mer 1838 (35) hervorgeht. Die heitere Stimmung des Willst da denn noch einmal an meinen Hals dich hängen? j | | Dichters erwähnt Sophie in Briefen an ihren Gatten vom 24., | (4) Die Worte Hoffnung und Liebe sind in der Handschrift, im Briefe an Emilie unterstrichen. SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. 559 22. Juli und in einem gleichzeitigen undatierten, der auch des anhaltenden Regens gedenkt (t). Der Ischler Himmel Juli 1838, lautet die Überschrift in der Sophie überreichten Handschrift. Zur Einreihung in die Liebesklänge an Sophie berechtigt die Schlussstrophe. Entwürfe bringt das Einschreibbüchel von 1838 (?). Gleichzeitig ist das Gedicht Die Blumenmalerin (550), das Lenau in der Handschrift Sophie überschreibt und datiert : «3. August 1838 ». Sophie vermerkt in ihrem Exemplar « An S. in Ischl, 3. August 1838 ». Heranzuziehen ist der Brief vom 14. Dezember 1834, in dem Niembsch der Geliebten seine Ansichten über die Blumenmalerei auseinandersetzt und sie zur Pflege dieser Kunst ermahnt, namentlich zu Strophe 3 die Stelle : « Fahren Sie fort, manche schöne Blumengestalt aus den Händen des flüchtigen Todes zu retten! Eine schöne Blume ist ein schönes Individuum, das uns begrüsst, blüht, schwindet und nie wiederkommt. Es ist wert, dass auf seiner sinnigen Gestalt ein sinniges Auge verweile, eine geweihte Hand sie nachbilde und erhalte » (185). Am 5. Mai 1844 kommt er auf dasselbe Thema zurück : « Malen Sie fleissig, liebes Sopherl!.. Sie malen die Blumen mit einer gewissen Schwesterliebe... sieht man es ihnen doch an, dass sie in eine schöne Seele getaucht und daraus wiedergeboren sind » (s28). Die Anfangs- verse Brach ein Leben bei den heitern Griechen, Bog der Freund sich auf den Todessiechen, Aufzuküssen seinen letzten Hauch (1) Teilweise veröffentlicht von Castle (Lenau und Löwenthal, S. 570) und dort irrtümlich in den September 1841 verlegt. Die Erwähnung des Ischler Regens und die der Aufführung des Stückes von M. Löwenthal in Stuttgart sichern das Datum : Juli 1838. (2) Lenau und Löwenthal, S. 538 f. 560 SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. erinnern an Schiller : Die Götter Griechenlands : Damals trat kein grässliches Gerippe Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuss Nahm das letzte Leben von der Lippe. (Vs 65 ft.) Anfang August, in Ischl, wurde auch das Gedicht Erinne- rung (357) (Einst gingen wir...) empfangen, das Sophie in einer Handschrift /schl überschreibt. Wie Der schwarze See verdankt es seine Entstehung einem der wiederholten Spaziergänge in das Zimitztal, deren Lenau später in einem Briefe an Sophie vom 25. Juni 1839 gedachte : « Sie schrieben in Ihrem Briefe an Max von der entzückenden Abendbeleuchtung in Ischl. Ich erinnerte mich lebhaft an den schönen Zimitzer Weg, und wie oft wir ihn gewandelt : das rötliche Licht auf jenen Bergen, während wir über die duftenden Wiesen schlenderten, war wohl die schönste Abendbeleuchtung, auch meines eigenen Lebens » (630). Auf Grund dieser stark an das Gedicht anklin- genden Briefstelle und der Nichtaufnahme in die Neueren Gedichte 1838 wäre man geneigt, die Verse in das Jahr 1839 zu versetzen, wenn nicht schon das Einschreibbüchel von 1838 den Entwurf brächte (?). Der Schlussvers gibt den Gedanken vom « unverrückbaren Unglück » der Liebe zu Sophie wieder. Er passt nicht in die glückliche Zeit des Ischler Aufenthaltes hinein, lässt sich viel- mehr aus den Zeiteln vom Ende des Jahres 1838 belegen, in denen Lenau dieses Unglück wiederholt und ausdrücklich her- vorhebt. Ein Vergleich mit dem Entwurf zeigt uns wieder, dass dieser stark pessimistische Schluss : Doch besser wär’s, mir hätt er (2) nicht geschienen, (4) Lenau und Löwenthal, S. 599. (*) Der « Strahl der Liebe ». SOPIIEGEDICHTE. — 6. REIHE. 561 aus dem viel gelinderen : Doch wenn ich sein geder;ke, möcht ich weinen hervorgegangen. Die schärfere Fassung entstand in einer kurz auf den Ischler Aufenthalt folgenden, unglücklichen Zeit. Die Erwähnung der « Blumenseelen » (Vs 2) verbindet das Gedicht mit dem vorhergehenden. Wieder begegnen wir hier dem « unvergessnen Traum vom Paradiese » (V3 4), auch dem Zauberspiel des Alpenlichtes aus dem gleichzeitigen Das Ross und der Reiter. Die bevorstehende Ankunft von Sophies Eltern, die ein Zusammenwohnen mit der Geliebten unmöglich machte, ver- trieb Lenau am 14. August aus Ischl. « Das Leben erscheint mir nie brutaler », schreibt er am 16. August aus Gmunden an Sophie, « als wenn es mich nöligt, um äusserer Umstände willen den Umgang mit innig befreundeten Herzen zu verlassen und meine vielleicht knappgezählten Tage allein zu verzet- teln » (630). Über Gmunden, wo er den alten Schleifer in Trauer über den Tod seiner Gattin fand, und über Linz reiste er nach Wien, wo er am 19. August eintraf. Am 23. heben die Liebesklänge in Prosa wieder an. Sehr weh tut ihm das Herz nach Sophie (461). Seine Tage sind traurig. Beständig verfolgt ihn der Gedanke, dass ihr Befinden eine schlimme Wendung nehmen könnte. Schrecklich ist es, von den kalten, unerbitt- lichen Launen der Natur so abhängen zu müssen. Zitternd sieht er die Geliebte in der Hand der Natur, der er sie nicht entreis- sen kann, wenn sie sie fortführen will. « Dann seh ich mich in der Zukunft irren, als ein rettungslos Aufgegebener, und zusam- menbrechen. » Hätte er nur die Gewissheit, dass er sich an sie klammern könnte und sterbend bei ihr bliebe. « Wir haben ja schon unsern Himmel, wenn wir uns haben » (462). Für Sophies « teures Leben » erhebt der Dichter « Herz und Glas », wünscht, dass jeder Unfall sie verschonen möge, in den zu ihrem Geburtstage 1838 geschriebenen Versen Lebe hoch! Sophie! die edle Frau! (5). Sie traf am 26. September, einen Tag später als erwartet, aus Ischl in Wien 36 562 SOPHIEGEDICHTE. — 6. REIHE. ein, worauf’ auch das Gedicht anspielt, das also mit dem 26. Sep- tember 1838 zu datieren ist. Es findet sich im Einschreibbüchel von 1838. Der erwähnte mögliche Unfall (Vs 7) bezieht sich eigentlich auf ein Wagnis Sophies, die sich auf der Reise nach Wien auf einem Einbaum über die Donau hatte setzen lassen. Ein längeres Schreiben widmet Lenau der Erörterung dieses Vorfalles, Sophie mit heftigen Vorwürfen über diese Leicht- sinnigkeit überschüttend, die seine « ganze Zukunft und alles, was die Welt von mir zu erwarten berechtigt ist », aufs Spiel gesetzt. Je süsser und entzückender Sophie beim Wiedersehen war, desto ungeheurer erschien dem Liebenden ihr Wage- stück (464). Der schriftliche Gefühlsaustausch führt bis Ende Oktober des Jahres 1838. Es ist dem Liebenden eine Lust, sich auf den ungestümsten Wogen der Leidenschaft herumtreiben zu lassen, sein Ruder in die Flut zu werfen und seine Arme lieber dazu zu brauchen, das « liebe, herrliche Weib » recht fest an sein Herz zu ziehen (466). Wie sehr die Liebesgeständnisse sich auch an Innigkeit und Wärme überbieten, so herrscht doch die schmerzlich immer tiefer bohrende Grübelei vor, das Bekennt- nis des bitteren Bodensatzes und Beigeschmacks. Den Haupt- fehler seines Charakters, den Mangel an Willenskraft gesteht Lenau selbst ein. Niemals hat er den Stürmen seiner Leiden- schaft ein ernstliches Halt zurufen können. Täte er es einmal, so wäre er gewiss ruhiger und gesichert. Wenn es ihm auch zuweilen vorkommt, als schlummere eine Kraft in ihm, die er nur heraufzulassen brauche, um mit einem Satze auf dem alten Boden der Freiheit zu stehen, so graut ihm doch davor (466). Viel spitzfindige Beredsamkeit muss er aufwenden, um Sophie, die über diese « fast satanische Bravour » stark erregt war, zu beschwichtigen. Untertänige Abbitte leistet er jedoch nicht, wie Reynaud (S. 128) meint, betont vielmehr trotz allem Einlen- ken, dass Sophie ihm die Kraft, nach seinem Willen in den Himmel oder in die Hölle zu gehen, lassen müsse. Wohl fühlt er, dass gerade in dieser Möglichkeit, sich loszureissen, ein Teil ‚der Gewalt liege, die Sophie an ihn binde. Er schaut tief in das SOPEIEGEDICHTE. — 6. REIHE. 563 Wesen des Verhältnisses hinein, wenn er schreibt : « Wenn du dich recht erforschest, so wirst du finden, dass du an mein Gefesseltsein allerdings fest glaubst, aber mich doch immer noch als deinen freiwilligen Gefangnen hältst, während ich überzeugt bin, dass du keine Willenskraft in deinem Herzen birgst, deine Fesseln zu sprengen. Wenn wir miteinander zerworfen sind, so möchtest du mich verlassen wollen, aber du kannst es nicht; ich könnte dich verlassen wollen, aber ich mag es nicht, eben weil du es nicht kannst. Das ist die mächtige Ohnmacht des Weibes und die ohnmächtige Macht des Mannes. Hierin liegt, wenn es dir auch auf den ersten Anblick als eine Spitzfindigkeit erscheinen sollte, eine wahre, liefgreifende Verschiedenheit unseres Geschlechts, und es liesse sich daraus eine ganze Theorie der Liebe entwickeln » (466). Die allernächste Zukunft zeigt schon, wie sich diese Theorie in die Wirklich- keit umsetzt. Liebesgedichte wie die hier besprochenen nähern sich dem Ideale der Liebespoesie, das Baader aufstellt. Wenn die Poesie uns die Fortpflanzungsliebe schmückt, meint er in einem Briefe aus dem Jahre 1838, so soll sie doch in dieser Liebe jene nachweisen, von welcher das Hohelied sagt: ‘ Ach, dass du mein Bruder — meine Schwester — wärest! ’ Sie soll die Vermischung der Geschlechter nieht sofort für die heilige Vermählung der Gemüter selbst ausgeben, und nicht den Geist der unreinen Welt für den heiligen Geist (XV, 603). Wenn die profane Poesie die Geschlechtsliebe nur zu oft auf alle mögliche Weise zu misshandeln sich erlaubt und erfrecht, dieselbe frivolisierend, sentimentalisierend, rationell-industrialisierend, oder wohl auch diabolisierend, so sollte doch die religiöse Poesie die höhere Bedeutung dieser Geschlechtsliebe nie aus den Augen verlieren, welche keine andere ist als der unauflösliche Bund, in welchen Liebende vor Gott — der die Liebe in allen Formen ist — treten, um einander zur Wiederherstellung des innerlich in beiden erloschenen und zerbrochenen Jungfräulichen Bildes oder Gottesbildes wechselseitig behilflich zu sein (II, 306). XLVI Literarisches. 1838. An einen Dichter. — An denselben. — Die Poesie und ihre Störer. — Der Rationa- list und der Poet. — Musa teleologica. — Dichters Klagelied über das junge Deutschland. — Guter Rat. — Form. — Irrtum. — Gebildete Sprache. Das ergiebigste Jahr der Lenauschen Lyrik zeitigle eine bedeutende Anzahl von Gedichten rein literarischen Inhalts und polemischer Art. Siebzehn dieser Sinngedichte veröffentlichte - Lenau in der Literarisches überschriebenen Abteilung, welche die Neueren Gedichte 1838 beschliesst. In der Ausgabe letzter Hand von 1844 liess er diesen Abschnitt weg und nahm nur noch sieben Gedichte desselben auf, die er den Vermischten Gedichten zuteilte, Eine Ergänzung brachte zunächst der Nachlass, dann die Nachlese. Vier dieser Sinngedichte, Unbe- rufen, Zweierlei Vögel, An einen Tadler und Einem Theater- dichter, haben wir früher eingereiht. Den Reigen des Jahres 1838 eröffnen die Verse An einen Dichter (370), die der österreichische Schriftsteller Uffo Horn (1817-1860) in seinem : « Wien, im Februar 1838 » datierten offenen Sendschreiben an Gutzkow (!) auf Seite 12 (4) N. Lenau, Seine Ansichten und Tendenzen mit besonderer Hirdeutung auf sein neuestes Werk * Savonarola’. Ofjencs Sendschreiben an Karl Gutzkow. Ham- burg bei Hoffmann und Kampe, 1838. LITERARISCHES. 565 mitteilt und als ihm von Lenau selbst geschenkt bezeichnet. In seiner Schrift verteidigt Uffo Horn Lenau gegen den Vorwurf, er sei vom Liberalismus abgefallen, um dem Pietismus, der Mystik zu huldigen, habe sich ganz dem Einflusse des rück- schrittlichen Menzel hingegeben und sich von diesem einen welken Lorbeerkranz auf die Stirne drücken lassen. « Den papiernen Lorbeerkranz des Menzelschen Literaturblattes kann man leider nicht abwehren. Lenau hat mir ein Gedicht geschenkt, dass ich hier am geeignetsten anführen zu können glaube. » In dem Gedichte sieht Uffo Horn nun eine « unwider- legliche Berichtigung » des Ver.lachtes, Lenau habe sich mit Menzel verbunden, Diese ist eine vielleicht bewusst irrige Auslegung. Wenn Lenau dem jungen Anfänger, der damals an der Wiener Uni- versität die Rechte studierte, zuruft : Düngst du deinen Ruhm in Scherben Mit dem Mist der Schmeicheleien, Wird er über Nacht dir sterben; Lass ihn wachsen wild im Freien, so warnt er ihn vor den tatsächlichen Schmeicheleien, die I. Jeitteles ihm eben dargebracht hatte. Die drei bisher von Uffo Horn veröffentlichten Gelegenheitsgedichte, meint Jeitteles, hätten ihn den bedeutendsten österreichischen Dichtern an die Seite gestellt. Im ersten, einem Aufruf an die böhmischen Frauen zu Beiträgen für das Schillerdenkmal, sei eine beinahe Schillersche Kraft noch mit des jugendlichen Geistes deklama- torischem Pathos verbunden, das zweite, ein Prolog und Epilog zur Darstellung von Szenen aus Goethes Faust, gebe ein vollständig eingerahmtes Bild des Goethischen Riesen- werkes, im dritten, dem Kaiserwort, entfalte sich Uhlandsches Balladenelement zur schönsten Blüte. Weitere lyrische Gedichte, von Heine beeinflusst, erhöben sich zu der edlen Höhe echt moderner, echt zeitgemässer Poesie; ein mächtiges Ankämpfen gegen Veraltetes, Schwaches, Flaches und ein Streben nach 566 LITERARISCHES. Klarheit sei darin wahrzunehmen. Horn besitze alles, was einen Dichter gross und herrlich machen könne : Glut und Wärme der Phantasie, moderne Anschauung, vollendete Meisterschaft in der Fra der Sprache. Auch auf dramatischem Gebiete habe r durch sein Schauspiel Horomir einen vielversprechenden kalte gemacht, eine glänzende Stütze des deutschen Theaters sei von ihm zu erwarten. Ferner arbeite er jetzt an einem Roman, in dem er ein höchst bedeutendes Talent entwickele. « Glück und Segen seinem Streben » ('). Ein in Gemeinschaft mit dem Nestor der damaligen Prager Schriftsteller W. A. Gerle verfasstes Lustspiel Die Vormundschaft erhielt im Jahre 1836 den von der Cottaschen Verlagsbuchhandlung ausgeschriebenen Lustspielpreis und wurde am 30. März 1837 im Burgtheater aufgeführt, So erklärt sich das Interesse Lenaus für den jungen Dichter, dessen persönliche Erscheinung überdies etwas Einnehmendes und Achtunggebietendes hatte (?). Lenaus Gedicht enthält jedoch nicht nur eine persönliche Mahnung an Horn, sondern wendet sich überhaupt an die österreichische Dichtung der Zeit. Zu Max Löwenthal sagte Lenau am 11. Februar 1838 : Der Ruhm ist eine Pflanze, die nur wild wachsend einen Wert hat, man darf'nichts dazu tun. A. (Auersperg), Z. (Zedlitz) und andre solche Herren düngen ihn aber förmlich » (?). Der Ausspruch entspricht genau der angeführten Strophe des Gedichtes. Wie A. Grün seinen Ruhm düngte, erzählt ausführ- lich das erwähnte Gespräch und auch eins vom 14. Februar (*) (1) J. SEiDLITZ (JEITTELES), Die Poesie und die Poeten in Österreich, 1, 405-111. (2) W. von Wurzsach, Uflo Horn (GRILLPARZER JAHRBUCH, XIII, 240). — « Der Jüngling schien Geist und ein hübsches Talent zur Dichtkunst zu haben, auch war sein Äusseres empfehlend. Aber schon im ersten Gespräch sah ich das Junge Deuischland und den Tatendurst der Studentenwelt aus jedem Worte hervor- gucken » (KAROLINE PicHLER, Denkwürd:gkeiten aus meinem Leben. Wien, Pichler Wittwe, 1844. IV, 176). (%) Tagebuch von N. Löwenthal, Nr 50. (#) Ebenda, Nr 51. LITERARISCHES. 567 kommt noch auf das Thema zurück. So ist denn Sophies Bemerkung in ihrem Exemplar : « An Auersperg », nicht ganz ohne Berechtigung. Schurz, der gewöhnlich nur die Notizen von Sophie abschreibt, weicht diesmal von ihr ab und verweist auf das Schriftehen von Horn in seiner Anmerkung : « An Uffo Horn. Siehe dessen N. Lenau, Hamburg, 1838, 3:42: % Ein zweites, mit dem ersten ziemlich gleichlautendes Gedicht, das in den Ausgaben 1838 bis 1843 An denselben (305) überschrieben, 1844 weggelassen und in der Nachlese unter dem Titel An einen Dichter erschien, zeugt von der starken, wenn auch kurzen und bald bereuten Anteilnahme Lenaus an Horn. Dieser bezeigte sich dankbar, indem er in einer heftigen, anonymen Schmähschrift auf die österreichischen Dichter der dreissiger Jahre (!) Lenau allein ausschliessliches Lob zukommen liess. Die Charakteristik verdient es an sich und auch wegen der Seltenheit des Schrifichens wieder- gegeben zu werden : « Klein, breitschulterig, Magyare, schwarzes Haar, flammendes, schwarzes Auge, ziemlich grossen Schnurrbart, lebt ziemlich zurückgezogen, einfach und beschei- den, sehr liebenswürdig und zuvorkommend im Umgange, etwas melancholischen Ausdruck des Gesichtes, liberal, Mysti- ker, ohne dass er es eingestehen will, grosses Iyrisches Talent, anerkannt in ganz Deutschland, geliebt und geachtet, garcon. » Die Meinung Lenaus über Horns Verteidigung des Savona- rola und seine Reue über das dem Verfasser bezeugte Interesse ist widergespiegelt in einem Briefe Sophies an Max Löwenthal vom 7. August 1838, aus der Zeit des Zusammenlebens des Dichters mit Sophie in Ischl : « Sage nur, mit welcher Gele- genheit schicktest du mir Uffo Horns alberne Broschüre?... Sie steigt Niembsch erst nachträglich zu Kopfe, und ich begreife und teile deinen Verdruss darüber. Es ist ein unreifes (1) Österreichischer Parnass bestiegen von einem heruntergekommenen Antiquar Frey-Sing bei Athanasius u. Comp., 0. J. 568 LITERARISCHES. und einfältiges Stück Arbeit, in weleher sich der unberufene Vorkämpfer sogar erlaubte, eine Erklärung, welche Niembsch einmal diesen Winter geschrieben, wörtlich abzuschreiben als seinen Einfall. Ich erkannte sie gleich wieder. Uffo Horn erscheint feige, geistlos und ungebildet in diesem anmassenden Sendschreiben, und ich halte nichts mehr von ihm. Da haben die Leute wieder einmal zu früh in die Posaune gestossen » ('). Die Welt, teilte Lenau Max Löwenthal mit, pflege in Kunst und Wissenschaft alles nach fremden Beziehungen, Gesinnung, Tendenz u. dgl., nicht seiner Innerlichkeit und selbständigen Wesenheit nach aufzufassen (?). Wenig sagte ihm die politische Freiheitsdichtung eines A. Grün zu, er gab Max Löwenthal recht, Grün, der zur Bahn des Historisch-Romantischen berufen sei, halte sich, durch das Parteigeschrei wie berauscht und benebelt, zu einem Pseudofreiheitssänger bestimmt, der bald in Vergessenheit geraten werde (°). An Emilie Reinbeck schrieb er, die Freiheitsgedanken, wie sie jetzt gesungen würden, seien nichts als « konventioneller Trödel » (607). Die politische Muse nannte er eine feile Dirne, die jetzt diesem sich ergebe und in der nächsten Stunde einem anderen nachlaufe (*). In Die Poesie und ihre Störer (566) geisselt er den Poli- tiker, der die Dichtung für den Dienst seines « weltbeglückenden Geschäftes » (Vs 12) dingen möchte. Dem rohen Schwarm der seelenlosen Wortschmetterer und matten Eisenfresser (Vs 31 f.) ruft er die selbstbewusste Absage zu : Wenn mirs beliebt, werd ich hier Blumen pflücken ; Wenn mirs beliebt, werd ich von Freiheit singen; Doch nimınermehr lass ich von euch mich dingen ! (Vs 33-35.) (t) Lenau und Löwenthal, S. 554. (2) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 30. (%) Ebenda, Nr 50, 57, 63. (+) Lenau und Löwenthal, S. 208. LITERARISCHES. 569 Zielen die Verse I0-11 : Wir wollen reich dir jeden Schritt bezahlen Mit blankgemünztem Lobe in Journalen, nicht auf den Bericht Max Löwenthals vom 11. Februar 1838 (1), der Temps habe einen langen lobhudelnden Artikel über A. Grün gebracht, mit Einzelheiten, die nur aus seinem eignen Munde kommen könnten? Öfters zeiht Max Löwenthal in seinem Tagebuche den dichtenden Grafen eitler Ruhmessucht, und Lenau scheint diese Ansicht zu teilen, Deutlichen Bezug auf das Gedicht nimmt ein Brief vom 17. April 1838 an den Dichter Ch. J. Matzerath. Im Gegensatz zum « lauten, rohen Schwarm » (Vs 3u. 36) der österreichischen Dichter hebt Lenau die « poetische Einsamkeit » der Gedichte Matzeraths hervor. « Das ist ein Dichter — dacht ich mir —, der ohne praktische Erhitzung und profane Schweisstropfen auf dem Angesichte die Schattengänge einer heiligen Abgeschie- denheit wandelt » (st) : Im tiefen Walde ging die Poesie Die Pfade heil’ger Abgeschiedenheit. Der « Selbstversunknen » schreit der Schwarm zu : Lass nicht dein Herz in Einsamkeit verdumpfen, Erwach aus Träumen, werde sozial (Vs 13 f.) und : Wir wollen reich dir jeden Schritt bezahlen Mit blankgemünztem Lobe in Journalen. (Vs 10 £.) « Sie werden Anerkennung finden », lautet weiter der Brief (1) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 50. 570 LITERARISCHES. an Matzerath. « Freilich nicht jenen gellenden sinnlichen Ruhm, wie er heutzutage an sinnliche Verirrungen der Kunst herumgereicht wird, denn nur Gleichgesinnte werden Sie erfassen; solcher Naturen Sache ist es aber nicht, ins panegy- rische Hifthorn zu stossen und den Geschmack des Publikums mit bellenden Hunden zu hetzen und zu erjagen. » Wieder auf den lauten, rohen Schwarm anspielend, schreibt Lenau noch : « Die wahre Meinung wächst und gedeiht inmitten unserer kritischen Turbulenz sicher und unstörbar, und jedes echte Streben steht unter ihrem Schutze und mag getrost abwarten, dass die Meute vorüberbrause.... Gott lässt den wahren Geschmack nicht untergehen.... Dieser Geschmack wird weder unter den Hufschlag der Politik, noch unter die Räder der Dampfmaschine geraten » (st) (!). Den « Schwarm frecher Konsumenten » erwähnt auch der zunächst folgende Brief Lenaus an Martensen vom 24. April 1838 (sı2). Ein Seitenstück zu Die Poesie und ihre Störer ist das Gedicht Der Rationalist und der Poet (56s). Wie im Briefe an Matzerath tritt Lenau hier ein für eine rein-ideale Poesie, die er in den Anfangsversen schildert : « Freuni, du sitzest hier auf weichem Moose, Ins Geruchzeug duftet dir die Rose, Um dein Antlitz Frühlingswinde wallen, Und da drüben lärmen Nachtigallen. Darum singst du hier ein Lied versöhnend, Weich und duftig, lind und zärtlich tönend. » « Unsere Zeit laboriert an einer gewissen Impotenz, was (1) Matzerath widmet Lenau eines seiner Gedichte (Gedichte, Stuttgart, Cotta, 1838, S. 189), worin er die Hoffnung ausspricht, dass die alles heilende Zeit seine Tränen trocknen werde. Treftend kennzeichnet Lenau die Sammlung mit den Worten « poetische Einsamkeit und Abgeschiedenheit ». Der stark von Goethe und Uhland beinflusste Dichter wählt für seine Balladen und Romanzen weit abgelegene Stoffe und überhaupt für seine Gedichte weltfremde Themen. Kein Ton der Zeit klingt hinein. LITERARISCHES. 571 ideale Dinge betrifft », schreibt Lenau im Januar seinem ameri- kanischen Freunde Ludwig von Post (cos). An witzig-kau- stischen Bezeichnungen wie « stolzer Hahn auf dem Verstandes- miste » (Vs 21) ist auch der Brief an Martensen vom 24. April reich, wo Lenau von den « profanen Gedankenkrämern, den frechen Konsumenten, den Geruchlosen und Ruchlosen, den stürmenden Welt- und Himmelsreformatoren » spricht, deren « dick umfleischtes Ohr durch den pantheistischen Wulst hin- durch den Ruf jeder Stimme der Wahrheit und des Ernstes gar nicht hört » (612). Den « stürmenden Welt- und Himmelsreformatoren » ist Musa teleologica (499) gewidmet. Sie tummeln die Flügel, rummeln gewaltig im Winde, ob sie ... zu Himmel wollten Niegen Und im Flug den Aar besiegen. (Vs 314.) Die Dichtung des jungen Deutschland, die politische Dich- tung Österreichs, die Poesie überhaupt, welche andere als rein künstlerische Zwecke verfolgt, die Musa teleologica, Ist’ ne Windmühl, kein Geflügel. (Vs 12.) Kampfstimmung. verrät wie der Brief an Martensen das Gespräch mit Max l.öwenthal vom 16. März 1838 ('). Auf die von Max ausgesprochene Vermutung, Heine könnte sich auch wohl einmal an Lenau heranwagen, antwortete er : « Nun dann werde ich ihm auch dienen. Wenn sie mir etwas anhaben wollen, und ich einmal polemisch gegen sie auftrete, so werde ich —. ich fühle das in mir — so empfindlich grob sein wie niemand in Deutschland. » (4) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 66. 572 LITERARISCHES. Die Fruchtbarkeit des Wiener Aufenthaltes (Januar bis Mai 1838) an polemischen Gedichten deutet der Dichter selbst an, wenn er am 21. Juni aus Stuttgart an Sophie schreibt : « Von den polemischen Geidichten sind vier im Morgenblatt erschienen » (621). Die Nummer vom 12. Juni 1833 brachte An einen Dichter und An denselben, die folgende vom 13. Juni Die Poesie und ihre Störer und Kompetenz. Mit letzterem eröffnet Lenau den Streit um den Savonarola, den wir im folgenden Abschnitt behandeln. Ende Mai besuchte er in Tübingen Uhland und fand ihn in « liebevoller und sehr mitteilender Stimmung. Wir sprachen viel über die gegenwärtigen Zu- uni Übelstände der deutschen Literatur, wobei Uhland unter anderm sagte, es sei der Anblick des jungen Deutschlands ein betrübender überhaupt, und trau- rig werde man besonders dadurch gestimmt, wenn man sehen müsse, wie so junge Menschen bereits alle Kraft verloren haben, sich an irgend was Lebendigem zu freien und mit Liebe zu hängen. Ich bemerkte dagegen, dass solche Erschei- nung allerdings ein gewisses Mitleid mit den verirrten, immer mehr verarmenden Persönlichkeiten dieser Leute erwecken könne; dass aber gerade die Jugend derselben einen baldigen Ablauf der negierenden Literatur erwarten lasse, indem der junge Negant durch seine ungestüme Hitze getrieben werde, sogleich und vorweg das Äusserste zu negieren, und daher mit seinem Negieren bald und viel eher fertig werden müsse als ein älterer, mit seinen Negationen allmählig und erst dadurch gefährlich ins Leben hineinfressender, zerstörender Geist. Ich habe den seltsamen Gedanken, ‘ Schäfers Klagelied ’ von Göthe Dir zu Deinem Spass zu travestieren » (615). Es folgt nun der Wortlaut von Dichters Klagelied über das junge Deutschland (1), mit der Nachschrift : « Ich will den Spass Uhland auch mitteilen, um wieder einmal sein absonder- liches Lachen zu hören, in welchem bei solchen Gelegenheiten Malice und Gutmütigkeit sich auf eine sehr ergötzliche Weise LiTERARISCHES, 573 um den Akzent streiten ». Derselbe Brief bringt noch zum Schluss einen witzigen Ausfall gegen die im Gedichte verspol- tete Schule. Lenaus Abneigung gegen das junge Deutschland hat unter anderen Gründen auch einen rein persönlichen. Mit seltener Übereinstimmung und verletzender Voreingenommenheit fielen die Jungdeutschen besonders über seinen Faust her. Gutzkow meint, dass die Mängel der Lenauschen Lyrik auf seine Vorzüge in derdramatischen Kunst gespannt machen sollten. Faust jedoch bewährt nicht den Glauben, den man aus Lenaus verunglückter Lyrik hätte ziehen können, dass er zur dramatischen Gestal- tung befähigt. Faust ist ein « gänzlich misslungener Versuch ». Die trivialen Zweifel, über welche dieser verflogene Schmetter- ling miaut, erscheinen als ein wahres Lirum-larum jener alten bei Goethe so naiv und schön begründeten Seelenstimmung. Der Lenausche Faust ist nur deshalb verzweifelt, nicht weil er nichts weiss, sondern in der Tat, weil er nichts gelernt hat. Er ist ein Schatten, wenigstens eine Figur ohne Konsequenz, er ist gänzlich unzurechnungsfähig für die Idee, die Philosophie, für die Menschheit. Auch Mephistopheles ist kein Vertreter einer originellen Weltansicht. Vom rein künstlerischen Stand- punkte lässt Gutzkow am Faust kein gutes Haar. Verworren reihen sich die Szenen aneinander, das ängstliche « Plazieren » der Figuren lässt den Mangel an Schöpferkraft, an Beherr- schung des Stoffes erkennen sowie ein auffallendes theatra- lisches Ungeschiek (?). — Th. Mundt sieht den Faust als eine « beklagenswerte Talentvergeudung » an. « Faust ist ein schwächlicher Narr, ein matter Don Juan, und der Eindruck ist weder auf die Reflexion noch auf die Sinne von Effekt, trotz (4) K. GUTzkow, Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Stutigart, Balze’sche Buchhandlung, 1836. I, 131-442. Abdruck aus dem Literaturblatt (1835, N" 24) der Zeitschrifi Phoenix (1835, Nr 144). Vgl. J. Proguss, Das junge Deuisch- land. Stuttgart, Cotta, 1892. S. 549 £. 57% LITERARISCHES. der ausgezeichnet schönen Sprache und Darstellung, worin Lenau Goethen gleichkommt » (?). — Die Mitternachtzeitung urteilte, das im Frühlingsalmanach veröffentlichte Faustfrag- ment solle heissen « Fragmente », denn Einheit, Verbindung, verknüpfende Idee suche man vergebens (?). In seiner Geschichte der deutschen Literatur (Ill, 255) rechtfertigte H. Laube diese « herbe Beurteilung », weil der Lenausche Faust mit seinem anspruchsvollen Namen der « neuen Wendung unserer Zweifel nicht mächtig, der dramatischen Kraft gewaltigen Charakters, gewaltiger Ereignisse eben so wenig ». Eine gleich schroffe Abfertigung erfuhr von jungdeutscher Seite der Savonarola, wie wir im folgenden Kapitel zeigen werden. In den August dieses Jahres, fällt ein in der Handschrift nieht überschriebener Sechszeiler, zu welehem sich der Titel Guter Rat (509) (Willst du auf die Ferne wirken) aufdrängt. Er findet sich im Einschreibbüchel von 1838, mitten zwischen den Entwürfen zu den Husarenliedern. Castle (°) weist dabei auf einen Brief an Sophie vom 23. August 1838 hin. Nach seiner Rückkehr in Wien hörte Lenau von dem ungünstigen Eindruck, den Uhland, der im Juli und August dort zu Besuch war, hinterlassen, vor allem infolge seiner Schwerfälligkeit, Schweigsamkeit und Zurückhaltung (*). « Es gibt Leute », schreibt er der Geliebten, « die mit einem bedeutenden Manne zusammentreffend, ihn sogleich auf Geist und Witz probieren und mit allerlei Schlagworten auf den Busch klopfen, ob nicht ein Haserl herausspringt, ein geistreiches Phraserl? Das ist lästig (*) Literarischer Zodiacus redigiert von Th. Mundt. 4835. Juliheft, S. 81. Vgl. Tu. Muxpr, Geschichte der Literatur der Gegenwart. Leipzig, M. Simion’s Verlag. 9. Auflage, 1853. S. 684. (2) Literaturblatt (4835, Nr 190) der Mitternazhtzeitung, die seit 1836 unter Laubes Redaktion eine führende jungdeutsche Zeitschrift wurde. 6) Lenau und Löwenthal, S. 537. ) Vgl. Uhland in Österreich in Erinnerungen von L. A. Frankl. hrsg. ‚von STEFAN Hock (BIBLIOTHEK DEUTSCHER SCHRIFTSTELLER AUS BÖHMEN, 29. Bd). Prag, Calve, 1910. S. 421-137. — Siehe auch NoTter, Ludwig Uhland. Stuttgart, 1863. S. 263-274. LITERARISCHES. 575 und verstimmend, und ihr fandet vielleicht Uhland, als ihr ihn kennen lerntet, bereits übel zugerichtet durch jene Anfra- gen » (652). Wahrscheinlicher kommt mir der Bezug auf U. Horns Sendschreiben an Gutzkow vor. Das « erpasste Wort » (Vs 5) könnte wohl der Einfall sein, den Sophie in dem S. 567 f. angeführten Schreiben an M. Löwenthal vom 7. August 1838 erwähnt, und dessen Veröffentlichung Lenau dem ihn « belau- schend umzirkenden » (Vs 4) Horn so übel nahm. In einem Briefe vom 4. August an ihren Gatten spricht Sophie allerdings auch von Lenaus Entrüstung, weil Uhland in Wien so wenig Beifall gefunden. « Ich finde es aber sehr natürlich, denn wenn einer noch so liebenswürdig ist, und gibt's nicht von sich in Worten oder Gebärden, so hat man nichts davon ». Die Neueren Gedichte 1838 brachten in der Abteilung Lite- rarisches zwei Sinngedichte, Form und Irrtum, die sich auf Sprache und Stil beziehen; ein drittes, Gebildete Sprache, erschien in Nachlass. Das Gedicht Form (569) stimmt genau überein mit einer undatierten Äusserumg Lenaus zum Dialektdichter Fr. Stelz- hamer. « Das Wort, muss dem Gedanken ankleben und ihn umspannen glatt und straff, wie die Haut Fleisch und Gebein umspannt und beklebt, das geringste Fältchen, die mindeste Verrenkung ist Fehler und Liederlichkeit — ja, ich habe gerungen und gearbeitet wie wenige, aber Fleiss und Mühe sind in unserem gesegneten Lande auch die Tugenden von nicht vielen (!) ». Dasselbe Thema behandeln zwei Gespräche mit M. Löwen- thal, ein unveröffentlichtes vom 19. Dezember 1837 und eins vom 18. Dezember 1838 (?). Das Versemachen mit dem Verdauungsvorgang vergleichend, führt Lenau aus, wie der diehterische Gedanke nicht alles, was die Sprache ihm biete, (4) F. Stenzuamer, Noch ein kleiner B:itrag zu Lenaus Biographie. (Der WAan- DERER, 1851, 11. Juni, Nr 956.) (2) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 41. — Lenau und Löwenthal, S. 68. 576 LITERARISCHES. brauchen könne, wie er vieles abstossen müsse; dies Arbeiten, das Plagen mit der Form, das Wählen und Feilen sei ein wesentlich poetisches Geschäft. Beide Gespräche zeigen, dass Lenau mit dem Gedichte zunächst auf die österreichischen Lyriker zielte, die so « schlampig, nachlässig und bequem » in der Form seien, was sogar von den Besten unter ihnen gelte. An Lenaus Gedichten lobt Bauernfeld eben die « sichere Behandlung der Form », die zunächst auflalle « zu einer Zeit, wo die etwas liederliche Genialität eines Heine eine Menge Nac hahmer weckte und die unerlässliche Forderung an Schön- heit und Klarheit des Ausdruckes herabzustimmen drohte ». An Heine liesse man sich die Nachlässigkeit der Form am Ende gefallen. « Die anderen, denen sein Geist fehlt, glauben es ihm gleichzutun, wenn sie im zerrissenen Unterkleide herum- springen » ('). Dem von Lenau so oft berührten Thema des Bildes in der Poesie gilt das Sinngedicht Irrtum (570). Gern liess der bilderreiche Dichter sich durch Baader in seiner Überzeugung von der hohen Bedeutung des Bildes in der Poesie bestärken. Was Baader Lenau hierüber sagte, entwickelte er bereits in seinen Tagebüchern aus den Jahren 1786-1793. Wie der Mensch die Wahrheit nicht anders als im Schleier, im Gewande, im Bilde ersehen könne, so könne er sie auch nicht anders als im Schleier, im Gewande und Bilde von sich geben und ausser sich darstellen. Es gäbe keine anderen Wörter als Bildwörter, keine anderen Redensarten als sinnliche (XI, 150) (?). Baader, sagte Lenau zu Max Löwenthal, sei der einzige, der den Wert und die Bedeutung des Bildes in der Sprache erkenne und schildere. Das Bild sei das Wesen der Poesie, es sei das Höchste. Einen Ausspruch Baaders wiederholend, äussert er, Gott selbst spreche mit der Menschheit nur in Bildern. « Und die (4) E. v. BAUERNFELD, Die schöne Literatur in Österreich in Gesammelte Aufsätze hrsg. von ST. Hock, S. 166 £. (2) Siehe noch Werke V, 83, XI, 80, XII, 490, 417. LITERARISCHES, 5717 Dummköpfe von Kritikern halten das Bild nur für einen Schmuck und Zierat der Dichtersprache » (!). Das Bild darf kein kaltes und hohles Gleichnis sein, heisst es im Gedichte, es soll ein Symbol sein, das der Geist mit der Sprache lebendig zeugt. Solche Bilder schuf A. Grün nicht, meint Lenau : « Er ist nicht so reich an Bildern, als man gemeinhin behauptet. Er häuft nur die Materialien zu Bildern aufeinander, ohne sie zu verarbeiten » (2). Auch machte er am 8. Januar 1838 dem Dichter Frankl Vorwürfe über seine « hohle und leichtfertige, nichts weniger als epische Sprache, wo Bilder, die nur gemacht und nicht Ergebnisse wirklicher Anschauung sind, dem Leser jeden Augenblick ohne Vorbereitung und ohne Zusammen- stimmen mit Ton und Charakter des Ganzen an den Hals geworfen werden » (?). Jeitteles sagt auch den österreichischen Dichtern im allgemeinen nach, dass sie « Überladung von Bildern für echte Poesie nehmen » (1, 15), und tadelt insbeson- dere an Frankl seine Sucht, « Bild auf Bild zu häufen, Bild durch Bild zu erklären » (I, 73). Der in Gebildete Sprache (50s) durch ein Gleichnis herbeigeführte Vorwurf der Stümperschaft (Vs 12) gilt auch zunächst den österreichischen Dichtern der Zeit. Dies Nachlass- gedicht ist wahrscheinlich auch noch im Jahre 1838 entstanden. Im Dezember las Lenau das Manuskript des Österreichischen Musenalmanachs für 1840. « Welch altes, abgedroschenes Zeug », sagt er am 18. Dezember zu Max Löwenthal. « Ich trage nichts dazu bei. In solcher Gesellschaft mag ich nicht erschei- nen ». Vor allem wiederum die nachlässige äussere Form tadelnd, macht er dabei die ganz mit dem Gedichte übereinstim- mende Bemerkung : « Man schreit immer darüber, wie gebil- det die deutschen Sprachformen und wie ihr Gebrauch so sehr Gemeingut geworden sei, dass es gar keine Kunst mehr (1) Lenau und Löwenthal, S. 169. (2) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 9, (#) Ebenda, .Nr 44, 37 578 LITERARISCHES. genannt werden könne, gute Verse zu machen. Das ist aber nicht wahr. Es ist und bleibt eine grosse Kunst, und es gibt in ganz Deutschland vielleicht nicht zehn Menschen, welche sie verstehen » (!). Eingehend äusserte sich Lenau über den Gegenstand dieser Sinngedichte Frankl (S. 70 f.) gegenüber, der das Gespräch nicht datiert : « Das Wort, das man gebraucht, muss mehr sein als ein grammatikalischer Bestandteil einer Sprache, die von Mil- lionen sinnlos und unverzeihlich verschleudert wird. Viele handhaben die Schlussformen deutscher Rede, und noch viel mehr füllen unsere poetischen Formen aus; aber wie wenige erreichen das Treffende des Ausdruckes der Unmittelbarkeit. Es sind in Prosa und Poesie so viele Wendungen und Bilder Gemeingut geworden, dass wir manches gerne lesen, was eigent- lich nur der Gedanke der Form mit sich bringt. Das kommt wohl daher, dass die Leute meinen, weil wir alle schon von Jugend auf schreiben, seien wir auch dazu erlesen. Oder, weil der eine oder der andere reich an Gefühlen ist, habe er das Recht, anderen davon vorzulegen, die daran ärmer sind. Aber was geschrieben wird, ist es nicht meist Abgeschriebenes, und was gesungen wird, ist es nicht meist Nachgesungenes? Und wird die Kunst so vermehrt und erhalten? Nein, nein, nein! Wenn jeder, er handhabe die Feder noch so geschickt, das überlegen wollte, darnach streben würde, sich darum bemühen möchte, was ihm in Bezug auf seine Vollendung fehlt, zu | erreichen, dann erst könnten wir von wahren Künstlern und Diehtern reden. Man mag sagen, was man will, Kunst ist auch Arbeit! Und von allen Schöpfungen der Schrift werdenden Seele wird keine sogleich das rechte Wort finden, wenn man die sogenannten genialen Produkte abrechnet, die mehr spuk- | haften, rasch auftretenden und nicht viel langsamer verschwin- denden Erscheinungen gleichen, als unabweisbaren Gestalten ». (1) Lenau und Löwenthal, S. 68 f. XLVH Polemisches. 1838. Kompetenz. — Einem unberufenen Lober. — Einem kritischen Nachtarbeiter. — Ein Epigramm. — Ein offner Wald. — Guter Rat. — Einem Forcierten. — Der Reiter von W. — An die Verstockten. — Trutz euch! — Komm an! — Schade! Unter dieser Überschrift, die allerdings auch auf die Mehr- zahl der im vorigen Kapitel besprochenen Gedichte passt, fassen wir die Gedichte zusammen, die Lenau in Abwehr der Angriffe auf den Savonarola und im Kampfe gegen die öster- reichische Zensur schrieb. Sie haben mehr einen unmittelbar streitbaren Charakter als die zuvor angeführten. Von den fünfzehn Gedichten, die wir hier einreihen, erschienen sieben in der Abteilung Literarisches der Neueren Gedichte 1838, fünf im Nachlass, zwei in der Nachlese. In dem Gedichte Kompetenz (500) wirft Lenau samt- lichen Kritikern, die den Savonarola angegriffen, den Fehde- handschuh hin. Je mehr er sich selbst der Schwächen des Werkes bewusst war, desto ingrimmiger und hochmütiger verteidigte er es. Die Verkennung des Epos halle er voraus- gesehen. Im Augenblicke, wo es die Presse verliess, schreibt er Emilien, sein ehe werde übel fahren, denn an diesen Namen habe sich das Unglück gehängt im Leben, und es werde ihm treu bleiben auch in seiner poetischen Wiedergeburt. Angefeindet würde das Gedicht werden von allen denjenigen, die sich beim Lesen desselben ihrer 'spekulativen und religiösen 580 POLEMISCHES. Impotenz bewusst würden, um sich in ihren eigenen Augen zu retten. Man verwerfe doch lieber ein Buch als sich selbst. Da religiöse und poetische Empfänglichkeit sich selten einzeln in den Menschen, zusammen aber gar selten fänden, so seien hiermit die Grenzen der Volkstümlichkeit seines Werkes schon gesteckt von vornherein (607). In diesem Geständnis liegt schon der Gedanke der allgemei- nen Unfähigkeit, das Werk zu verstehen. Wir erwähnten, wie Lenau Bauernfeld beschied : « Das verstehst du nicht ». Ähnlich fertigte er den Tonsetzer Dessauer ab, der in einem Gespräche mit ihm den Übergriff der philosophischen Spekulation im Savonarola tadelte. Lenau erklärte ihm trocken, dass, um ein Gedicht wie den Savonarola zu beurteilen, doch einige Orientie- rung im Gebiete der Philosophie, einige eigene poetische Künst- lerschaft erforderlich sei, und dass so wenig er dem Musiker etwas über seine Noten ausstellen werde, ebenso wenig dieser berufen sei, ihm über sein Gedicht derlei Bemerkungen vorzu- tragen ('). Ich will hiermit nicht andeuten, dass 'die « derb- geistreichen » Verse, wie Frankl sie nannte, auf Bauernfeld und Dessauer gemünzt seien, der Ausspruch zu Bauernfeld fällt übrigens vor das Erscheinen des Gedichtes, erläutert jedoch den Gemütszustand Lenaus. Der Dichter wendet sich im allge- meinen gegen die zahlreichen Kritiker, die über den Savonarola den Stab brachen. Zu den Versen : Aber alle andern sollen schweigen, Wenn sich Männer ihrem Volke zeigen ; Schweigen sollen sie und sollen lernen, Wie man näher wandeln mag den Sternen. Scheu mit seinem Urteil sich verschliefe, | Wer herum noch stümpert in der Tiefe, | (Vs 17-93) (4) Lenau und Löwenthal, S. 76. POLEMISCHES. 581 ist wieder der Brief vom 30. Oktober 1837 an Emilie heranzu- ziehen, aus dem hervorgeht, dass Lenau den Savonarola als den Morgenstrahl einer wahrhaft geweihten Kunst ansah. « Dass eine Zeit kommen werde, wo das jetzt für Unsinn Geltende sich als Tiefsinn erweisen soll : davon haben nur wenige eine Ahnung. Die Morgenstrahlen einer wahrhaft geweihten Kunst werden immer nur die Bergesgipfel empfan- gen, in den Schluchten aber werden sie nie popular werden, weil die Sonne in die letztern erst hinabscheint, wann der Morgen bereits vorüber ist » (607). Auf die Spottbezeichnung « lahme Krüppelwichte » (Vs 23) tat sich der Dichter etwas zu gute. Im Briefe an Sophie vom 21. Juni 1838 bezeichnet er das Gedicht als dasjenige, « wo die lahmen Krüppelwichte vorkommen », und deutet somit an, dass er den Vers mit Sophie besprochen. Die stolzen Verse (11 f.) : Wer mit Gemsen eine Luft getrunken, Atmet nicht behaglich bei den Unken, führt der Diehter an im Briefe vom 17. Mai 184% an Sophie und in dem vom 4. Juni 1844 an Schurz mit Bezug auf die drückende Stuttgarter Luft. Am meisten ärgerte Lenau der ihm aus dem Epos gemachte Vorwurf, er sei ein Pietist geworden. Sogar Freunde und Vertraute liessen sich, wie er am 15. Dezember 1837 Max Löwenthal mitteilte (?), ein « so empörendes Verkennen und Missurteil » zu schulden kommen. Den stillen Gerüchten gab Wolfgang Menzel die öffentliche Beglaubigung, als er in seinem Literaturblatt dem Epos, als einem wahrhaft christlichen, das höchste Lob zollte (?). Im Savonarola sieht Menzel den Anfang einer christlichen Gegenwirkung in der Poesie und lobt Lenau, (1) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 35. (2) Literaturblatt, Beilage des Stuttgarter Morgenblattes, 1837, Nr 132, 29. De- zember. 582 POLEMISCHES. dass er mit gutem Beispiele vorangegangen sei. Es ging dem Dichter wider den Strich, sich als den Bahnbrecher der christ- lichen Reaktion hingestellt zu sehen, als den Schildknappen Menzels. Seine Meinung spiegelt die erwähnte Broschüre von U. Horn, wenn auch in einiger Übertreibung, wider : « Menzel hat Lenau geradezu okkupiert — förmlich in Beschlag genom- men, ohne ihn zu fragen, ob er mit seiner so eigenmächtigen Verwendung seines Namens wie seines Werkes einverstanden sei. Menzel hat Lenau als seinen Herold ausgeschrieen, der seine eigene (Menzels) rauhe Melodie durch die Kunst des Vortrages dem Publikum angenehm vor das Ohr bringen sollte. Dadurch wurde mancher glauben gemacht, diese Handlung der krassesten Unverschämtheit gehe mit Lenaus Wissen und Willen vor, und dieser gebe sich selbst zu einer Rolle her, die ihn bei den Bessergesinnten nur diskreditieren kann ». Und nun stellt sich Horn als der Anreger der Lenauschen Antwort hin : « Ich habe Lenau ernstlich darum gebeten, energisch seine Unzu- friedenheit darüber zu erklären ». Dies geschah in dem scharfen Vierzeiler Einem unberu- fenen Lober (505). Eine persönliche Abneigung gegen den « Denunzianten » schärfte den Pfeil. Diese Abgeneigtheit tritt auch zutage in einer Äusserung Lenaus gelegentlich eines Besuches Menzels in Wien, die uns Bauernfeld überliefert « Was soll uns das literarische Mastschwein? Bald kommt ein anderes, das vielleicht noch mehr gelehrten Speck ansetzt! Die Deutschen müssen immer so einen Popanz als Flügelmann haben, schon von Gottscheds Zeiten her, bis ein neuer Leit- hammel kommt, der den alten verdrängt » ('). (!) BAUERNFELD, Ausgewählte Werke IV, 102. Der Hieb des Vierzeilers muss gesessen haben, da Menzel in seiner Deutschen Dichtung (Stuttgart, Krabbe, 1858-1859) mit einem Satze über den Savonarola hinweggeht : Lenau entwerfe hier ein abschreckendes Bild (!) von der römischen Kirche. Sehr parteiisch und ungerecht ist auch Menzels Urteil über den Lyriker. « Er besang ein Dutzend verschiedene Mädchen zugleich, von denen er jede ein- v POLEMISCHES. 583 Die Menzelsche Besprechung des Savonarola hatte eine Spitze gegen das junge Deutschland, namentlich gegen Heine. Die Organe des jungen Deutschlands blieben die Antwort nicht schuldig. Ein mit E. v. d. H. unterzeichneter Artikel in Gutz- kows Telegraph für Deutschland (t) lässt es an Anerkennung für den Lyriker Lenau nicht fehlen, lautet jedoch vernichtend für den Epiker, bezeichnet den nicht zu Ende zu lesenden Savonarola als eine metrische Dissertation gegen Hegel und Strauss, wirft Lenau den Abfall vom Liberalismus vor und bringt seinen verletzendsten Stich in der Behauptung, er habe sich von Menzel einen welken Lorbeerkranz auf die Stirne (rücken lassen und sei zu dessen Apotheker herabgesunken. Diesem Kritiker, Ernst von der Haide, Mitarbeiter des Tele- yraphen, der im Jahre 1838 eine Sammlung von Gedichten und Novellen unter dem Titel Nord und Süd herausgab, gelten wahrscheinlich die Verse Einem kritischen Nacht- . arbeiter (502). Durch die Anführung Hegels in der Kritik E. von der Haides lässt sich Vers 11 : « Hegelisch-ästhelisch nuselnd » erklären. Die « plumpen Scherze » (Vs 14) können auf die Beschuldigungen zielen, Lenau fühle sich selig und verpflichtet durch den Menzelschen « welken Lorbeerkranz », er sei dessen Apotheker geworden, er hätte nicht Menzel zu werden brauchen und diesem seine « traurige Mission » allein überlassen können. In gleichem Tone verhöhnt der Kritiker Lenaus Faust. Menzel hätte dem Dichter seine Literatur- geschichte aufgeschlagen und auf ein Rezept zu einem Faust gezeigt, der den Goetheschen hinter sich lassen sollte. Aller Philosophie und Welterkenntnis zum Trotz, dem herrlichen und heiligen fünften Akte von Goethes Faust zum Trotz müsse zelne bis zum Sterben zu lieben versicherte..... Sein Herzweh bestand in einer nicht zu befriedigenden, wenn auch nur senlimentalen Donjuanerie... Der Dichter jammert immer über vorenthaltenes Recht und denkt an keine Pflicht u. s. w. » (Deutsche Dichtung, 11, 475 f.) (1) 1838, März. Nr 39, S. 305/8. 584 POLEMISCHES, sich Faust das Messer in die Brust träumen und die Zuschauer seien genöligt, mit dem Raubschützen auszurufen : « Es ist halt nichts ». Lenau habe sich an Deutschland, das ihm so bereitwillig Tür und Tor geöffnet, versündigt. « Es hatte ihn, obgleich er als Mephisto kam, dennoch aufgenommen, und siehe da — der Mephisto ward ein Pudel ». Die Krönung durch Menzel, die Lenau auf gleiche Stufe stelle mit einem Tholuck und Ullmann, wird als der Stoff eines aristophanischen Lust- spiels bezeichnet. Die Überschrift, Einem kritischen Nachtarbeiter, weist auf die seit 1836 von H. Laube herausgegebene Mitternachtzeitung hin, die jedoch keine Besprechung des Savonarola brachte (!). Auf einer Verwechselung des Telegraphen mit der Mitternacht- zeitung scheint eine Aussage Lenaus zu K. Beck aus dem Jahre 1843 zu beruhen, vorausgesetzt, dass die Überlieferung richtig ist. « Über Laube zu reden bin ich nicht unbefangen genug. Er hat in seiner Mitternachtzeitung einem schnöden Artikel Raum gegeben, welcher mich pietistischer und mucke- rischer Anfechtungen zieh. Natürlich, ich hatte ja religiöse Stoffe behandelt. Sehen Sie, das ist die deutsche Kritik, deren drittes Wort — Objektivität! Aber besagte Kritik begreift nicht, dass der Epiker wie der Dramatiker hinter seinen Bildern weilen muss, für die Worte und Taten seiner Figuren völlig unverantwortlich. Habe mich mit einem beissenden Epigramm an den mitternächtigen Rezensenten gerächt » (2). Lenau selbst gesteht, wie gut er in Laubes im Jahre 1835 erschienenen Modernen Charakteristiken wegkommt (227). In (') Die Mitternachtzeitung bringt wohl in ihrem Literaturblatt (1835, Nr 1920, 20. Juli) eine sehr ablehnende Kritik von Lenaus Frühlingsalmanach. Der Alma- nach bringe Verse, nichts als Verse, mitunter auch etwas Poesie. Die Poesie findet der sich mit F. W. L. unterzeichnende Kritiker nur in den Beiträgen von Rückert. Man müsse schon zufrieden sein, wenn ein so köstlicher Perlenkranz wie Rückerts « Herbst 1833 in Neusass » nicht mit mehr Wasser umgeben sei als hier. (2) Pester Lloyd, 1863, N: 932. POLEMISCHES. 585 der von jedem Wort des Tadels freien, Lenaus Genius voll anerkennenden Besprechung nennt Laube ihn u. a. die « lieb- lichste Vereinigung des sanften Uhland und des pittoresken Heine ». Er misst seiner Wichtung eine literarhistorische Bedeutung bei, indem er in ihr den Übergang von der allzu grossen Subjektivität zu neuen klassischen Zuständen sieht. Sie kündige die Zeit an, in der das Individuum und die Allge- meinheit einander liebend, unauflöslich in die Arme sinken werden. Hohes Lob zollt Laube namentlich Lenaus « kühner, starker, gewaltiger » Sprache, die dem Bizarren und Grotesken, dem Jünglingswilden der neuen Schule gegenüber als die « gereiftere, männliche Jugend unserer neuen Dichtkunst » erscheine ('). Auch in seiner Geschichte der deutschen Lite- ratur (?) rühmt Laube an Lenaus Gedichten die « gesund romantische Anschauung » und das « sinnige, ungemeine “Talent », das zu Mächtigerem berufen sei, als der kleinen schwäbischen Welt angeschlossen zu sein. Dieser « anpreisende Eifer » Laubes (°) für den Lyriker Lenau wiegt das kühlere Urteil, das er im Jahre 1840 über den Epiker fällte, voll auf. Frankl (S. 40) und manche andere nach ihm deuten die Satire auf Ernst Freiherrn von Feuchtersleben. Allerdings bezog dieser selbst das Gedicht auf sich, wie Lenau seinen Stuttgarter Freunden mitteilte (*). Der Verfasser «ler Diätetik der Seele glaubte sich getroffen durch den Anfangsvers, obgleich das Gedicht vor dem Erscheinen seines Werkes (1838) geschrie- ben war. Sein Irrtum ist jedoch um so erklärlicher, als er sich tatsächlich abfällig über den Savonarola geäussert hatte (°). In 1) H. LAUBE, Gesammelte Werke, 49 Bd, S. 258-264. (#) « Der Eingang, einfach, eigentümlich, lässt das Beste erwarten. Bald aber "zeigt sich, dass dem Dichter der Begriff von einer ‘Erzählung’ gänzlich abgeht. Auch der Charakter des Helden erklärt sich nicht. Die Teilnahme wird teils voraus- gesetzt, teils gefordert, nie erregt. Ein tieferes Eingehen auf Geschichte und ange- 586 POLEMISCHES. seiner Didtetik der Seele zieht er scharf gegen die Hypochon- drie zu Felde, die er die « entgeistende, grämliche, affadierende Amme der modernen Literatur » nennt. Seine Schilderung der hypochondrischen Dichter hat deutlichen Bezug auf Lenau. « Man wird nächstens, zur richtigen Beurteilung unserer jüngsten Dichter, des Arztes statt des Rezensenten bedür- fen»: (7; Möglich ist es, dass Lenau mit dem in der Aussage zu K. Beck erwähnten « beissenden Epigramm » nicht das eben besprochene Gedicht, sondern die Nachlassverse Ein Epi- gramm (508) gemeint, die er nebenbei, « in müssiger Stunde », etwa als Nachtrag zu polemischen Versen gedichtet. Jedenfalls wird hier ein unbedeutender Angreifer, eine « Ein- tagsfliege », einem « starken Feind » gegenübergestellt. Mit letzterem ist sehr wahrscheinlich Gutzkow gemeint; sollte die « Eintagsfliege » nicht sein Mitarbeiter Erust von der Haide sein? Auf dasselbe Oktavblatt wie Ein Epigramm schrieb Lenau den Vierzeiler Ein offner Wald (507), der vermutlich auch in dieser Zeit des Federkriegs um den Savonarola gedichtet. Zunächst mag Lenau dabei an Menzel gedacht haben, den er ein « literarisches Mastschwein » nannte. Erläuternd führt Frankl (S. 61 f.) an, dass Lenau trotz seines stolzen Selbst- bewusstseins emsig auf das leiseste Wort des Lobes oder Tadels hinhorchte, welches ihn stunden- ofi tagelang heiter oder melancholisch, meist zornig stimmen konnte, deutete Zeitansichten zeigt sich nirgends. Ein gewisser intoleranter, mönchischer Vandalismus wird dem heitern Leser, zumal dem, der Kunst und Leben liebt, unangenelım. Das Iyrische Gezwitscher von Blüten, Quellen, Büschen usf. in den ernsiesten Momenten wird dem gefühlvollen Leser wahrhaft ärgerlich. Doch liegen in dieser. Sphäre die Schönheiten des Geuichtes. » (Ausgewählte Werke, S. 471.) (4) Ebenda, S. 520. Siehe auch S. 540. Die Hochschätzung des Lyrikers Lenau erhellt jedoch deutlich aus der Bemerkung in den Beiträgen zur Literatur, Kunst- und Lebenstheorie (Wien, 1837, S. 48,, dass Lenau zum Merkzeichen dessen dastche, was unserer Zeit gemäss sei, weil er fast alle Motive aus dem Leben der Natur greife und dabei doch ganz subjektiv sei. POLEMISCHES. 587 Anscheinend bezieht sich auch auf einen Kritiker des Savo- narola das Gedicht Guter Rat (505) (Willst du riehten). Es könnte hier die ausführliche Besprechung eines Ungenannten in den Blättern für literarische Unterhaltung (1838, Nr 217-218) gemeint sein, der trotz höchsten Lobes einzelner Teile dem Epos den Charakter eines Kunstwerkes abspricht. Der Melodie eines Dudelsacks (Vs 12) gleich kehrt das Motiv immer wieder : « Echte Poesie, schöne Poesie, von einem echten Poeten, und doch kein Gedicht ». Das Epos wird als ein gemachtes, müh- sam zusammengefügtes gekennzeichnet; es ist glänzendes poe- tisches Stückwerk, kein « geborenes Organon ». Dem « starken Feind », nämlich K. Gutzkow, rückte Lenau zu Leibe in den Gedichten Einem Forcierten und Der Reiter von W. Die Überschrift Einem Forcierten (501) ist allem Anscheine nach dureh Gutzkows Vorwurf zu erklären, Lenaus Lyrik leide, sowohl im Ausdruck wie in der Auffassung, an einer « forzierten Plastik ». Lenau, arbeite immer « in halb ausgemeiseltem (!), halb erhabenem Stile; er gibt statt Empfin- dungen immer malerische, oft plastische Unterlagen und Stell- vertreter derselben. Es ist bei Lenau und einigen schwäbischen Diehtern, die ihn nachahmen, Manier geworden, schrotig und körnig im Ausdruck zu sein, so dass wir auf dem Wege sind, eine neue Art von beschreibender Poesie zu bekommen, mit Redensarten, welehe oft auf genialen Bildern ruhen, aber immer dazu beitragen, das einfache, Iyrische Element der Empfindung zu stören » (*). Verbunden war diese Herabsetzung des Lyrikers mit einer Verunglimpfung des Faustdichters. Die Galle floss über, als Gutzkow in seinen Telegraph die Schmä- hung E. von der Haides aufnahm und ebenda (1838, Nr 120) selbst gegen den Savonarola loszog, die hohe Meinung, welche U. Horn in seinem offenen Sendschreiben an Gutzkow über das Gedicht ausgesprochen, bekämpfend. In der Form eines (4) Gurzkow, Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur, I, 140 £. 588 POLEMISCHES. Antwortschreibens auf Horns Schrift versucht er die Tatsache zu erklären, weshalb Lenau mit seiner Behandlung dieses grossarligen Stoffes bekanntlich kein Glück gehabt habe. Savo- narola entwickele sich keineswegs als Held eines epischen Gedichtes. Nirgends trete seine Individualität in jenem scharf geschnittenen Profil hervor, das man von jedem Charakter gewinnen müsse, der uns fesseln solle. Das Gedicht sei nicht Savonarola, ein Charakterbild, sondern es seien Gedichte über Savonarola, Einzelmomente, willkürlich dem Leben des Märtyrers entnommen. Gleich hinter diesem Hauptgebre- chen hinkten alle übrigen Schäden der Dichtung her. Weil Lenau nicht die Kraft besessen, mit kräfigen Zügen und grossen Umrissen seinen Stoff zu erfassen, so sei er in einen kümmerlichen, kurzatmigen Romanzenton verfallen, der sich öfters wie Bänkelsängerei anhöre, Bei dieser entwickelungs- losen Zerschneidung der Geschichte des Helden in einzelne Romanzen scheine erfindendes Dichtergenie Lenau ganz ver- lassen zu haben. « Schauderhaft schlecht » sei das Gedicht angelegt, es leide an einer « ertötenden Monotonie », es sei ein « ganz verfehltes », auch historisch falsches Werk, eine « Bänkelsängerei, kein Gedicht ». Auf diese rücksichtslose Achtung folgt ein, wenn auch mit Seitenstichen gespicktes, mitunter ganz überschwengliches Lob einzelner Teile, bei welchem der « Bänkelsänger » zu einem « Genius » wird, vor dessen Blitzen der Kritiker sich fürchtet, und der alle seine Kritik niederwirft. So wird der Schlusssatz vorbereitet : « Es ist Herrliches in dem Savonarola, aber es ist darum doch kein grosses und ausserordentliches Gedicht ». Lenaus Antwort ist anscheinend das Gedicht Der Reiter von W. (505). Den zwei ersten Strophen, die Gutzkows « Erträglichkeit » als Kritiker, jedoch « Kläglichkeit » als Dichter betonen, entspricht ein uns von K. Beck überliefertes Geständnis : « Bei Gutzkow ist die Kritik doch sein eigent- liches Feld, nur schade, dass er fast immer nach Sympathien POLEMISCHES. 589 und Antipathien urteilt. Er ist ein Soldat der Feder, Professor und Kanzelredner, Publizist, Volkstribun, Diplomat, ist alles — nur kein Poet! Schliesslich findet die Poesie ihren letzten und verständlichsten Ausdruck im Menschen selbst, und Gutzkow ist eiskalt, mephistophelisch » ('). Auch zu M. Löwenthal sprach sich Lenau mehrfach über Gutzkows « totale poetische Impotenz » aus (?). Bei der besonderen Hervorhebung des poe- tischen Unvermögens Gutzkows als Lyriker kann Lenau nur Bezug genommen haben auf die Gedichte, welche Gutzkow in N' 52 des Telegraphen (1838) veröffentlichte (?). Die unbedeu- tenden Verse rechtfertigen Lenaus Spruch : Willst du richten unser Dichten, Lass die Vers im Halse stecken. Mehrfach führt sich Gutzkow hier in der Gestalt eines Ritters ein, was eine Erklärung für den Titel von Lenaus Gedicht abgeben kann. Die 7. Strophe bezieht sieh wohl auf die Fehde zwischen Gutzkow und Th. Mundt, der um das Jahr 1838 ein heftiger Gegner Gutzkows geworden, diesem in seiner Zeit- schrift Der Freihafen (*) scharf zu Leibe ging, worauf Gutzkow in dem satirischen Märchen Die literarischen Elfen und in seiner gleichfalls im Jahre 1838 erschienenen Schrift Götter, Helden, Don Quixote antwortete. Die genannten Werke, wovon ersteres die schwäbische Schule verhöhnt, letzteres die zeitgenössische Lyrik, mit Nennung von Lenaus Namen, als « interimistisch, unfruchtbar, zukunftslos » bezeichnete (°), (1) Pester Lloyd, 1863, Nr 232. (2) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 98. — Lenau und Löwenthal. S. 107, 159. (5) Der träumende Dichter. — Gutenberg. — Die Sprache der Natur. — Kein Herz. — Der kleine Zimmermann. — Todesahnung. (*) Hamburg 1838. I. Jahrgang, namentlich, Heft 2 und 3. ($) Götter, Helden, Don Quixote, Abstimmungen zur Beurteilung der literarischen Epoche. Hamburg, Hoffmann und Campe, 1838, S. 994. 590 POLEMISCHES. konnten Lenaus Entrüstung nur steigern. Eine mit der 7. Stro- phe vergleichbare Äusserung hörte Lenau von K. Beck : « Denke man über den Richter und Dichter Gutzkow, wie man wolle. Er hat andere vergewaltigt, andere vergewaltigen ihn. Das ist die heilige Nemesis! » (!). Später empörten Gutzkows Briefe aus Paris (1842) Lenau so sehr, dass er ihn den « schlechtesten Charakter und den Schandfleck in der deutschen Literatur » nennt, « eine Schmeissfliege, die sich am Aase freut, einen Unhold, der so lange mit seinen scharfen Nägeln kratzt, bis er auf den Dreck kommt, der sein Element ist » (?). In Baden-Baden, wo er im Jahre 1844 Gutzkow persönlich kennen lernte, stiess ihn sein « jaktantes, renommierendes Wesen » ab, und er machte sich durchaus nichts mit ihm zu schaffen (°). Hämisch sind Gutzkows Bemerkungen über Lenau in seiner Selbstbiographie (*). Er schildert den «Freiherrn von Niembsch- Strehlenau » als « eine kleine, schmächtige, eindrucklose Gestalt ». In Stuttgart, wohin er gekommen sei, teils um überhaupt nach Amerika auszuwandern, teils um einen Band Gedichte beim alten Cotta anzubringen, habe jeder gewetteifert, wer « den Herrn Baron aus Ungarn » mit grösserem Lob, mit exaltierterer Bewunderung überhäufen könne. Erst habe der Enthusiasmus seinem Talente, dann seiner poetischen Heimat, zuletzt (last not least) dem Baron gegolten. In dem Vierzeiler Passiver und aktiver Beifall (56») stellt Lenau dem Anschein gemäss seine Dichtung, vornehmlich (4) Pester Lloyd, 1863, Nr 239. 42) Lenau und Löwenthal, S. 235. (%) Ebenda, $. 290. (*) Gurzkow, Rückblicke auf-mein Leben. Berlin, Hofmann, 1875, S. 54, 62. Die Schriften Gutzkows, die Äusserungen über Lenau enthalten, stellt H. Houben zusammen in Zeitschriften des Jungen Deutschlands. 2. Teil, S. 203. (BisLioGra- PHISCHES REPERTORIUM IV. Berlin, Behr, 4909.) POLEMISCHES. 591 den Savonarola, derjenigen des jungen Deutschlands entgegen, seine als die « tiefe », diese als die « scharfe » bezeichnend. Wir erwähnten, dass der Dichter in einem Briefe an Emilie Reinbeck (607) seinem Epos im voraus die Volksbeliebtheit abspricht und sich mit einer späteren Erkenntnis der Tiefer- blickenden und Fühlenden tröstet. %* RTK Die Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik (1838, Nr 17) brachten, wie Lenau selbst am 23. August an Sophie schreibt, eine Besprechung des Savonarola, « worin diesem Buche nicht bloss eine poetische, sondern sozusagen auch eine welthistorische Bedeutung beigelegt wird; worin mein Gedicht als ein Gericht gegen den verstockten Absolutismus meines Vaterlandes und als ein Zukunftszeichen für diejenige Sphäre des geistigen Lebens aufgefasst ist, in welcher es gewachsen » (632). Gegen den « verstockten Absolutismus » seines Vaterlandes, gegen die Feigen, die sich entsetzten “über den Feuerbrand, den er im Savonarecla gegen Priestertum und Königtum entfacht, gegen die Zensur insbesondere richtet er die Strophen An die Verstockten (517). « Mein Savonarola », schreibt er am 23. August, im Hinblick auf die Zensur, an Sophie, « hat mir die Meute an die Fersen gezogen. Kränkender, bitterer Welt- hass hat sich bereits vor dreihundert Jahren an diesen Namen geheftet; untrennbar und unversöhnlich haftet er noch an demselben; indem ich ihn auf meine Leier nahm, ihn noch einmal durch die Welt zu tragen, lud ich zugleich einen kleinen, geringen Teil seines Verhängnisses auf mein Leben; und wahrlich, der Held müsste sich seines Sängers schämen, wenn sich dieser dabei ungebärdig anstellte. Was mir auch an Misshandlungen widerfahren mag, ich will es betrachten als die Beendigung meines Gedichtes, als die letzte scharfe Feile, welche mein Geschick daran legt » (632). Lenaus Kampf mit der Zensurbehörde hat jüngst E. Castle 592 POLEMISCHES. auf Grund unveröffentlichter Aktenstücke und Briefe geschil- dert ('). Ohnehin waren wir auch früher durch Lenaus Briefe (?) unterrichtet und einiges Neue steuert auch das unveröffent- lichte Tagebuch von Max Löwenthal bei (?). Die zwei ersten Auflagen der Gedichte von 1832 und 183% sowie den Faust liess die Zensur zunächst unbeanstandet, erst am 17. Juni 1836 ward Lenau vor die Polizeioberdirektion geladen und über seine literarische Pseudonymität befragt. Da er im Gegen- satze zum gleichzeitig verhörten Auersperg seine Identität mit lenau eingestand, war der polizeiliche Teil der Untersuchung gegen ihn abgeschlossen. Es begann nun eine Verhandlung vor dem Wiener Stadtmagistrat, bei welchem Lenau sich am 27. April 1837 auf seine ungarische Abkunft berief, zum Beweise der Nichtanwendbarkeit der österreichischen Zensur- gesetze auf ihn. Der Magistrat erklärte sich als unzuständig und übergab die Sache dem politisch-ökonomischen Senat. Dieser erkannte am 11. Mai Lenaus Berufung als berechtigt an. Mit dieser Freisprechung unzufrieden, bewirkten die Polizei- und Zensurhofstellen, dass der Magistrat die Angelegenheit aufs neue zu untersuchen habe. Zugleich leitete die Polizeihofstelle eine neue Untersuchung ein wegen des Savonarola, den sie als « ein seiner verwerflichen Tendenz wegen zum strengsten Verbot geeignetes Werk » erkannte. Ein doppeltes Rechts- verfahren ward somit aufs neue gegen den Dichter verordnet. Überdies geriet er « aus dem östreichischen Regen in die ungrische Traufe » (658), da ihm ein ungarisches Hofkanzlei- dekret vorgelegt wurde, das auch jedem Ungarn verbot, etwas im Auslande drucken zu lassen, ohne vorherige Zensurbewilligung. Nach mehreren Vernehmungen am 18. September, 8. und (!) Lenau im Zensurkrieg in den Philologischen Beiträgen zur Geschichte der ungarisch-deutschen Beziehungen. Budapest, 1912, S. 186-196. (©) Nr 582, 632, 633, 638, 665, 667. (%) Nr 2, 27, 50, 51, 80, 94. POLEMISCHES. 593 9. November 1838, beschloss der dem Dichter offenbar geneigte Wiener Magistrat, wohl wissend, dass der ungarische Hof- kanzleibeschluss keine Strafbestimmung enthielt, die Sache sei der allein zuständigen ungarischen Behörde anheimzustellen. Kein Einspruch erfolgte gegen diesen Beschluss, und schliesslich überliess es die Hofkanzlei dem Ermesen des Poli- zeipräsidenten, die ungarische Behörde in Anspruch zu nehmen oder nicht. Ungeachtet einer neuen Beschwerde der Zensurhof- stelle wegen der Herausgabe der Neueren Gedichte, die eine « in religiöser und politischer Beziehung inkorrekte Tendenz » aufwiesen, und einer erneuten dringenden Aufforderung zur Entscheidung der Kompetenzfrage, blieb diese unerledigt. Lenau war fest entschlossen, eine etwaige Geldstrafe nicht zu zahlen, sondern den Skandal auf den Gipfel zu treiben, indem er sich einsperren liess. « Die Herren sollen sich ganz brand- marken (658) ». Trotz mehrfachen, unmittelbaren , schroffen Herausforderungen der Zensurbehörde in Gedichten, in Briefen — von denen er wohl wusste, dass sie geöffnet werden konnten — und weiteren ungezügelten Übertretungen der Zensurvorschriften blieb er unbehelligt, bis fünf Jahre später, am 5. Mai 1843, die ganze Angelegenheit von der niederöster- reichischen Landesregierung wieder an den Wiener Magistrat verwiesen wurde. Dieser stellte sich nun in der lächerlichsten Weise bloss, indem er Lenau zu einer Geldstrafe verurteilte. Jetzt verwarf die Regierung dieses Urteil, sie wollte zunächst vom Magistrat erfahren, ob Lenau ein Österreicher oder ein Ungar sei und forderte zu weiterer « Amtshandlung und Schlussfassung » auf. Mit dem Beschlusse des Magistrats, der nicht mehr wo aus, wo ein wusste, die ganze Sache ad acta zu legen, endigte die unvergleichliche Tragikomödie mit der voll- ständigen Niederlage der gesamten Staatsgewalt vor der Ent- schlossenheit eines einzelnen. Den « gewalthabenden Missetätern » gegenüber, « die das bisschen Geistesleben in Österreich vollends erdrücken möch- ten », (667) wurde « das Lamm ein Löwe », der « die Laffen 38 594 POLEMISCHES. und Toren » zerriss, welche den « grossen Gottesbrand mit ihren Pfoten dämpfen » wollten. (An die Verstockten.) Anklänge bietet das Gedicht an Die Lektion im Faust. Als das beste Mittel, den Menschengeist zu unterjochen, preist Mephisto- pheles dem Minister die Zensoren an : Wie für die Taten einst die Alten Zensoren hielten, sollt Ihr halten Zensoren als Gedankenbüttel. Ja, so ein Zensor, so ein echter, Ein unerbittlich scharfer Wächter Und tapferer Gedankenwürger, Der leider! erst zum Heil der Bürger In fernen, schönern Zeiten sprosst, Das wäre so mein Augentrost! Einst schlief ich unter grünen Bäumen, Da ist sein Bild mir klar erschienen, In meinen patriotischen Träumen : Wie er mit lieben Forschermienen Gedanken greift auf ihrer Flucht Und ihre hüllenden Gewande, Jed Fältlein lüftend, streng durchsucht, Ob sie nicht führen Konterbande In allerlei verruchten Dingen, Ob sie ein Liebesbriefelein Der Freiheit wollen überbringen Und ein gefährlich Stelldichein. (Faust, Vs 4121-1144.) Im Epigramm Trutz euch! (500), dessen Handschrift sich im Einschreibbüchel von 1838 mitten in den Entwürfen zu den Husarenliedern findet, und das folglich in den August fällt, drückt Lenau seinen Entschluss aus, der Zensur den äussersten Widerstand entgegenzusetzen : Ihr kriegt mich nicht nieder, Ohnmächtige Tröpfe! POLEMISCHES, 595 Diesen Entschluss teilt er Emilien Reinbeck am 23. Novem- ber mit (658). Im Einklang mit dem Trutzgedichte stellt er in einem Briefe an Sophie vom 23. August fest, wie seltsam es sei und einer Fügung nicht unähnlich, dass gerade in der Zeit, wo in der Heimat die Verfolgung gegen ihn losbreche, ihm vom Auslande Zeichen der höchsten Liebe und Anerkennung kämen (632) : Und meine steigenden Lieder Wachsen begrabend euch über die Köpfe. Wohl dem Grafen Sedlnitzky, dem Vorsitzenden der Zensur- behörde, seinem grimmigsten Feinde, ruft der Dichter in denı erst kürzlich veröffentlichten Fünfzeiler Komm an! (310) prophetisch zu : Du wirst zerschellen, und ich werde ragen, Die Welt sieht nichts von dir in künftgen Tagen, Die Keule nur, womit ich dich erschlagen. Wie sehr er auch das Lensurgesetz hassen müsse, schreibt er am 23. November Emilien, so gebühre sein Hass doch noch immer viel weniger dem Gesetze selbst als den « legalisierten Bestien », die es auf eine so niederträchtige Art handhabten, dass kein österreichischer Dichter die literarische Ehre seines Vaterlandes befördern könne, ohne dass er dessen Gesetze verachte. In der Auslegung der österreichischen Zensurgesetze sei nirgends die Spur einer herz- oder vernunftbegabten Menschennatur zu finden, sondern überall nur boshaft gierige, alles geistige Leben benagende Fresswerkzeuge, und die Zen- soren stellten im Gegensatze zu den pflanzen- und fleischfressen- den Tieren die Klasse der geistfressenden Tiere dar, « eine abscheuliche, monstruose Klasse! » (638). Ausdrücklich erwähnt ist der Zensor in den Stachelversen Schade! (509). Das Zeichen der Erlösung, das Kreuz, dient 596 POLEMISCHES. heute dem Zensor zum Streichen. Er verkehrt das hehre Symbol und veranschaulicht die Lehre : Dass wir lange noch vom Bösen Hoffen dürfen kein Erlösen. Einige köstliche Beispiele von Strichen der Zensur bringt das unveröffentlichte Tagebuch von Max Löwenthal. Nur acht seiner nahezu dreissig literarisch-polemischen Gedichte nahm Lenau in die Ausgabe letzter Hand (1844) auf. Die anderen sah er, wie B. Auerbäch berichtet (), als « momentane Abwehr » an und schloss sie deshalb aus. Unsere bisherige Überschau umfasst nun auch sämtliche Neuere Gedichte, die im Jahre 1838 zur Herbstmesse im Verlage der Hallbergerschen Buchhandlung in Stuttgart erschienen. Über die Neueren Gedichte erfahren wir aus dem Briefwechsel nur, dass Lenau Ende Mai in Stuttgart an deren Ordnung ging mit Rücksicht auf den Druck im Herbst (613), dass am 21. Juni sein Geschäft mit Cotta noch nicht zu stande gekommen war, weil dieser verreist (621), dass er am 21. Juni Cotta einen schrift- lichen Antrag zur Verlagsübernahme machte (63). Weil der Erfolg des Faust und Savonarola hinter den Erwartungen Cottas zurückgeblieben war, zögerte dieser, auf die ziemlich hohen Honorarforderungen Lenaus einzugehen. Ungeduldig übergab der Diehter die neue Sammlung dem jungen Stuttgarter Ver- leger Ed. Hallberger, der längst und wiederholt um den Verlag gebeten (2). Die Druckberichtigung besorgte Lenau in Ischl und Wien, am 11. September sandte er den letzten Bogen der Korrektur ab (634). (4) ScHurz II, 170. (2) Näheres im Tagebuche von Max Löwenthal, Nr 93. POLEMISCHES, 597 Der Entstehung nach reichen die Neueren Gedichte bis in den amerikanischen Aufenthalt zurück. Sie umfassen Lenaus Iyrische Arbeit vom Jahre !832 bis Ende 1838. Wir stell- ten fest, dass er in die zweite, vermehrte Auflage der Gedichte (1834) nicht alles bis dahin Entstandene aufnahm. Das Hallberger überreichte Manuskript vermehrte er noch um etwa zwanzig neue Gedichte, die im Juli und August entstan- den, darunter die Erzählung Anna, die in Ischl verfassten Gedichte und einige polemische. Die neue Sammlung besteht aus einer zweiten Reihe von Reiseblättern, in der sich die ältesten Gedichte finden, die wie An einem Baum und Die Sennin noch in Amerika geschrieben. Auch eine zweite Reihe Vermischter Gedichte bietet die Sammlung, die mit dem Gedichte Zeiger bis in das Jahr 1833 zurückreicht. Vier neue Abteilungen werden eingeführt : Gestalten, Liebesklänge, sämt- lich an Sophie gerichtet, Sonette und Literarisches. XLVI Neue Wandlung. Die Albigenser. — 1839. Still, bemerkt Schurz (I, 1), ging die erste Hälfte des Jahres 1839 vorüber. Sehr spärlich sind die Nachrichten über das Leben des Dichters. Ein einziger Brief von ihm ist uns erhalten, der vom 16. Januar an Emilie Reinbeck, in dem er über seine winterlichen Leiden klagt — beständigen Schnup- fen, wiedererwachtes altes Seitenstechen, gerichtliche Verfol- gungen, eine zeitweilige bodenlose Verstimmung — und bezüg- lich seines Schaffens mitteilt, dass einige Iyrische Gedichte und vier Gesänge der Albigenser alles seien, was er seit einem halben Jahre seinen körperlichen und geistigen Verstimmungen abgerungen habe (639). Eine der Hauptquellen der Albigenser, nämlich Hurters « Geschichte des Papstes Innozenz Ill. », las Lenau bereits zu Ende des Jahres 1837, die bis dahin erschienenen zwei ersten Bände (!). Das Einschreibebüchel des Jahres 1838 bezeugt, wie eifrig sich der Dichter mit dem Gedanken der Bearbeitung des « gewaltigen Stoffes, einer der grössten, geistigsten und blutigsten Rollen der Geschichte », (635) trug. Am 14. September 1838 waren fünfzehn Gesänge entwor- fen (655), im Januar 1839 erst vier ausgeführt. Die Arbeit am (1) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 31. NEUE WANDLUNG. 599 neuen Epos beherrscht das ganze Jahr 1839 und stellt die Lyrik ganz in den Hintergrund. Kurz vor der Bekanntschaft mit Karoline Unger erfährt Lenaus Liebe zu Sophie Löwenthal eine bedeutsame innere Wandlung. Der vom 27. Oktober 1838 bis zum 7. April 1839 stockende schriftliche Gefühlsaustausch schlägt gleich nach seiner Wiederaufnahme im April 1839 einen anderen Ton an. Der Zettel vom 21. Mai (478) verrät Zweifel an der Unsterblich- keit dieser Liebe, an einer Erfüllung im Jenseits. War es Lenau schon im September 1838 zum erstenmal, wenn auch nur vor- übergehend, vorgekommen, als müsse er die Sache seiner Liebe und die Sache Gottes betrachten als zweierlei (464), so trennt er jetzt die Sache Gottes von der Sache dieser Liebe. Nicht bei Gott sucht der Liebende fernerhin Trost, er « sinkt wieder ins Dämonische ». Der Satz : « Ich will zu den alten Zauberern gehn, dass sie mich erleichtern; ich meine die Naturgeister » bedeutet einen Bruch mit dem Gedanken der « heiligen Liebe ». Dieser Gedanke war nur « Tünche », diese ganze Tünche fällt in der Einsamkeit in Kierling, wo Lenau im Mai und Juni 1839 wohnte, hinweg von seinem Geschick, er sieht in alle Fugen und Risse, und « wo es klafft, da klafft es ». Er ist krank, das Unglück ist König über sein Leben, dieses Leben ist ein stilles Horchen, Sinnen und Sehnen und unablässiges Wühlen in seiner Seele. Er braucht Hülfe und sucht sie in der Natur. Ganz wirft er sich ihr in die Arme. Schon wirkt das dampfende Waldtal wohltätig betäubend, nebst dem frischen Bach wälzt sich hörbar ein reicher Strom des Lebens. « Er soll mich aufnehmen und hintragen, wohin er will » (#78). Hättst du nicht so unselig und entschieden Natur, dein Lieb, verlassen und gemieden, So würde auch dein Lenz so hold erscheinen. Wie würden deine Lieder wonnig rauschen Und Rosen aus geweihten Herzen spriessen; Erwachen würde, wo sie sich erschliessen, Ein tiefes Atmen und ein selig Lauschen 600 NEUE WANDLUNG. singt Lenau im zweiten Gesang, Frühling, der Albigenser (Vs 166-174). « Christus und Substanz », bemerkt er im Einschreibbüchel von 1838, d. h. Religion und Natur, « an Eins von beiden musst du’ verfallen ». — « So und so », schreibt er ferner, « ist das Menschengeschick traurig; entweder als Kreatur ewig abhängig bleiben, oder in der Substanz untergehen » (!). Öfters denn je wiederholte er um dıese Zeit, Anfang 1839, den Stosseufzer des Missmuts, an dem auch Körper-Gebrechlich- keiten ihren Anteil hatten. « Es ist nichts mit dem Leben » — « es ist nichts zu machen in der Welt » — « das Leben ist eine Infamie » (?). Der Ausgangspunkt des Umschwungs liegt in Lenaus Verachtung des Pietismus, die er bereits am 15. Dezem- (1) Lenau und Löwenthal, S. 527. Vgl. : 0 Menschengeist, wie bist du zu beweinen N (Albigenser, Vs. 165.) und. die im Jahre 48:0 gedichteten Faustverse (9421-2436) : ...Esgilt, dass ich die Seele Aus Christus und Natur heraus mir schäle. Ob ich mit ihm, mit ihr zusammenhange, Umkreist mich unentrinnbar eine Schlange. Ist Christus Gott und folg ich seinem Schritt, So bin ich, sei es auch auf Himmelspfaden, Der Schuh nur, den sein Fuss erfüllt und tritt, Ein niederes Gefäss nur seiner Gnaden. Ist’s die Natur — bin ich ein Durchgang nur, Den sie genomenen fürs Gesamtgeschlecht, Bin ohne Eigenzweck, Bestanıl und Recht, Und bald bin ich verschwunden ohne Spur. MEPHISTOPHELES. In beiden Fällen ist dein Los fatal : Du magst von ihm, von ihr behandelt sein, Ob en canaille oder en canal; Drum schliesse trotzend in dich selbst dich ein! (2) Lenau und Löwenthal, S. 71. NEUE WANDLUNG. 601 ber 1837 in schroffer Weise M. Löwenthal gegenüber äusserte, gereizt durch das Gerücht, er sei ein Pietist geworden, d.h. « das Schändlichste, was es geben kann » ('). Einige Tage später erschien die Menzelsche Besprechung des Savonarola, die Lenau so verächtlich ablehnte. « Man hat mich hier und dort des Mystizismus bezichtigt », schreibt er am 1. November 1839 an Hermann Margraff, « unverständiges, gehässiges Unrecht. Dass in meinem Savonarola mancher Passus mit unterläuft, ist dem Helden, nicht dem Verfasser des Gedichtes beizumessen » (654). Rettung vor seinem Liebesleide sucht der Troubadour Fulco in den Armen der streitenden Kirche. Ein Wahn ist solcher Entschluss : Von Adelheidens Totenbahr Riss ihn der Wahnsinn zum Altar. (Albigenser, Vs 797 f.) Für den Diehter gibt es keinen Trost mehr in der Hoffnung auf ein ausgleichendes Jenseits. Die Gräfin von Marseille stirbt an Liebesgram, was Lenau Veranlassung gibt, in den Albigen- sern neben der Antityrannendichtung seiner Jugend (?) auch das’ Motiv des Jünglings an der Bahre der Geliebten wieder aufzu- nehmen (Vs 681-802). Eitel ist Fulcos Hoffen auf ein Wieder- sehen im Jenseits : Als Fulco stand am Sarg der Lieben, War ihm ein Hoffen nicht geblieben, Es finden sich jenseits der Tränen, Die hier umsonst ans volle Herz sich sehnen ? Vielleicht hat ihn die Kirch erworben, Weil Adelheid in ihr gestorben, Die fromme Frau, die, schon vergangen, Das Bild des Heilands hielt umfangen. (4) Tagebuch von Max Löwenthal, Nr 35. (2) Vs 33, 144, 3095, 3461 ff. NEUE WANDLUNG. Er hasst uns andern, weil wir meinen, Wer einen Toten liebt, soll weinen, Denn sterben ist im Geist verschwinden, Wir glauben an kein Wiederfinden. Er hält am Wahn der frommen Toren, Dass uns die Toten unverloren, Und grollt der Wahrheit kühnen Freiern, Die sich das Menschenlos entschleiern Und keck den Blick durch heilige Nebel tauchen, Die hüllend überm Abgrund rauchen. Ein heimlich vor der Wahrheit Zittern Mag gegen uns sein Herz so wild erbittern. (Vs 803-822.) Am Brunnen auf dem Burghof zu Lavaur weint ein Sänger der dort ruhenden schönen Giralda sein letztes Lied : Kein Trost kann mit dem Schmerze ringen; Du wirst nicht wieder auferstehen, Wenn Gott dich einmal liess vergehen, Kann er dich so nicht wiederbringen. Sie senkten in den Schacht dich nieder Und eine Welt von Freudenschimmer, Was einmal tot, ist tot für immer : Die Schönheit, Liebe und die Lieder! (V. 3021-3033 ff.) Im Albigensergesang Fulco dichtet Lenau, mit manchen Anklängen an den Faust, kurz vor einem inneren und äusseren Wendepunkte im Verhältnis zu Sophie die ganze Geschichte seiner unglücklichen Liebe von den ersten Anlängen bis zum zuletzt erfolgten Wandel ('). Der Sänger lässt sich wie der | (4) Die Verse dieses Gesanges, welche die « tiefklagende Stimme auf Ceylon » zu einem Vergleiche heranziehen (Vs 797-731), beruhen auf einem Berichte Schuberts in den Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. (1. Auflage, S. 64 f.; 2. Auflage, S. 376 f.). NEUE WANDLUNG. 603 Dichter schliesslich zu einem « ungestümen, unheilvollen Betragen » hinreissen : Da wurden seine Lieder dringend, Der Dame bittern Vorwurf bringend, (Vs 608 f.), und einst sang er kühn : . Zerbrich das Joch Der strengen Pflicht! mich dünkt ja doch, Dass du nach mir geheim dich kränkest Und mein in süsser Huld gedenkest. O könnt ich mich durch Zauberein Verwandeln in mein glücklich Bild, Das oft vielleicht bei dir darf sein Und still bei Nacht dir Küsse stiehlt! (Vs 613-620.) Eine solche Stimme erhebt Lenau zuerst zu Ende des Jahres 1837, bezeichnet sie jedoch als einen Aufschrei aus seiner heidnischen Zeit, als einen Abfall von Gott und seiner Sophie, Er erhebt sie wieder und dringender in einem Zettel, aus dem Frühjahre 1839 : « Wenn du auch heute zuletzt ein wenig unfreundlich warst, ich lasse mich davon nicht anfechten und beschliesse meinen Tag, doch einen der glücklichsten, indem ich dir noch sage, dass du die schönste und liebste Fr. bist. Ich wollte, ich könnte statt dieser Erklärung knieenden und bald darauf bequemeren Nachtposten antreten. Doch ich darf das nicht, das Schicksal lässt sich wohl zuweilen einen Tag abzwingen, wie der heutige, aber die Nächte sind ihm unentreissbar verfallen und trauern unter seiner eisernen Sperre. Da liegt man getrennt und träumt vielleicht nicht einmal was Besseres. Mir ist jetzt ganz eigen zu Mut. Ich möchte auf und davon laufen, aber mit dir, wohin? — rate! — » (a77). Fortschritte in der Arbeit an den Albigensern, leider ohne bestimmte Angaben, melden die Briefe an Sophie vom 25. Juni, au meinen 604 NEUE WANDLUNG. an Schurz vom 28. Juli, an Emilie Reinbeck vom 1%. Septem- ber, an Schurz vom 28. September, an H. Margraff vom I. November, an Emilie Reinbeck vom 25. November, 5. und 38. Dezember. Lenaus letzte Angaben : « Meine Albigenser sollen bis zur Ostermesse fertig sein, d. h. gedruckt » (656) und : « Meine Albigenser sind noch nicht ganz beendigt » (657), deuten darauf hin, dass im Jahre 1839 das Epos einem vor- läufigen Abschluss nahe gebracht wurde, wenn der endgültige auch erst 2 '/, Jahr später erfolgte. Im Briefe vom 1. November 1839 an H. Margraff bezeichnet er das Epos als eines « contra pontificem », wie sich von selbst verstehe. Der Held des Gedichtes sei der Zweifel, der von Inno- zenz blutig gejagte und in Ketten geschlagene, den aber eben das Klirren seiner Ketten und deren harter Druck nicht einschlafen liessen. Ebenda fällt er über die Mystik das schrofle Urteil : « Mystik halte ich für Krankheit, Mystik ist Schwin- del. Die religiöse Spekulation kann allerdings eine Höhe erklet- tern, wo ihr, wie der Sophia Achamoth, die Augen vergehen und sie von unwiderstehlicher Sehnsucht ergriffen wird, sich in den Abgrund des Göttlichen zu stürzen, allein solcher Zug nach der Tiefe ist eben ein Symptom des geistigen wie des körperlichen Schwindels » (65). Wohl konnte M. Löwenthal am 12. November feststellen, dass « ein grosser Umschwung in Niembsehs poetischer Tendenz und Anschauung » vorgehe, ja schon vorgegangen sei (!). Kurz vorher hatte der Dichter dem Freunde bekannt, er begriffe gar nicht, wie er dazu gekom- men sei, den Savonarola, diese Mönchskutte, zu besingen. Auch der « unendliche Pfaffengreuel » der Albigenser widerte ihn an (?). Die Apologie des Zweifels, die in den Albigensern zur Ver- herrlichung des freien Gedankens führt, geht von der Vorstel- (!) Lenau und Löwenthal, S. A04. (2) Ebenda, S. 104. NEUE WANDEUNG. 605 lung der unendlichen furchtbaren Greuel aus, die der blinde Kirchenglaube angestiftet : 0 Gott, wie du auch heissen magst, es bleibt Ein Schmerz, dass Glauben solche Früchte treibt! (Vs 4775 £.) Nicht mag der Mensch streiten über das, was ihm die Erde an Freude und an Schmerz bietet : Doch wenn von seinem Himmel ist die Rede, Erwachen Zwietracht, Hass und wilde Fehde. Wo selıg schwelgt ein Herz in Himmelsschätzen, Dort fühlt ein andres Abscheu und Entsetzen; Noch fand ein jedes Heiligtum Verächter ; Vor Gottes Strafe zittern hier die einen, Die andern schlagen höhnisches Gelächter Und möchten über solchen Wahnsinn weinen. (Vs 1985-1299.) Mit « herrisch frechem Schalten » wollen die einen den anderen ihren Glauben gewaltsam aufdrängen : \Venn ich es höre, wie sie reden Von Gott und ihren Glaubensfehden, Wie Hass und Wahn die Welt entzweiten, Wie Fabeln gegen Märchen streiten; Ö grauser Abscheu, tödlich kalt, Der ınir die Brust zusammenkrallt! (Vs 2871-76.) Der fromme Meister Theodor, der so oft und gern die Bibel vorgelesen und ausgelegt, wirft sie ins Feuer : Und ruft : « Unselig Buch! du magst verbrennen! Aus dir die Menschen eine Bosheit holen, Wie nicht die Tiger in der Wüste kennen; Samt meinem Glauben magst du hier verkohlen! » (Vs 2281-84.) 606 NEUE WANDLUNG. Das beim Anblick der entstellten Leichen seiner Eltern irrsinnig gewordene Mädchen von Lavaur springt ans Christus- bild am Altar, sieht, wie der Heiland vor Angst und Grauen über das stets steigende Blutbad zu seinen Füssen sich entsetzt am Kreuze windet, um der blutigen Überschwemmung zu entgehen : .« Du Armer! möchtest fort, nicht wahr? Wie quälst du dich, hinaufzuziehn die Füsse, Dass sie das Blut, das steigende, nicht küsse! Sie sind genagelt; — reut es dich? dich reuv's, Dass du gekommen bist aus Kreuz! Das alles, alles ist um dich geschehen! » (Vs 2710-14.) In gleich düsterer, schauerlicher Weise beginnt das Herz des Zweifels Lied zu singen, weil man es zu einem Gotte zwingen, ihm seinen Himmel mit dem Schwerte beweisen will. Übers weite Schlachtgefild, am Blutteich, ertönt dumpf und wild das Unkenlied des Zweifels : Was soll das ewig antwortlose Fragen, In dessen Ungeduld sie sich erschlagen? Ob nicht Unsterblichkeit die schlimmste Fabel, Die je ein Mensch dem andern vorgesprochen?! Ein Wahn, der Herzen plündert, und ein Trug, Der frech dem Elend sagt : hast Freude g’nug! Hier ist dein Los zu dulden und zu darben, In andern Welten reifen deine Garben; Der Sensenmann wird kommen, sie zu schneiden, Dir tausendfach vergeltend alle Leiden, Und Ernte wirst du feiern mit den Engeln; Sei frob, wenn du ihn hörst sein Eisen dengeln!? (Vs 1791 £.; 4821-30.) Als ein wacher Hund sitzt der Zweifel auf’ dem tiefsten Grund des Herzens auch dem gläubigsten Gesellen (Vs 2855-2857). NEUE WANDLUNG, 607 Der Zweifel gebärt den freien Gedanken, dessen Lobpreisung die ganze Dichtung durchklingt : Nach langem Schlafe regt sich forschend der Gedanke, Doch trübt ıhn noch und hemmt die Zeit und ihre Schranke, Mag, was wir meinen, auch sich spalten noch und trennen, Die freie Forschung ist's, wozu wir uns bekennen. Wir lassen uns den Geist nicht hemmen mehr und knechten; Es gilt, das höchste Recht auf Erden zu verfechten. (Vs 1189-4194.) Nur durch ihn, den freien Gedanken, kann die Menschheit zum Heile gelangen, er wird die « Erlösung vollenden » (Vs 3257-3268) : Gedanke heisst der Heilige, der Held, Der im Urkampf ersiegt dies weite Feld; Er hat getaucht die Sterne in sein Licht, Er gab den Stand den Sternen und die Flucht, Hält ewig fest die strenge Sternenzucht; Sein ist die ganze Welt und ihr Gericht. (Vs 3099-3104.) Sieghaft antwortete Lenau in den Albigensern auf die Vor- würfe der Jungdeutschen, er sei der neuen Wendung der modernen Zweifel nicht mächtig, er habe sich « erledigten und überholten Gängen des Herzens und Geistes » hingegeben (), versländnislos sei seine Dichtung an den zahlreichen Keimen neuer Entwickelungen vorbeigegangen, er sei für die Idee, für die Philosophie gänzlich unzurechnungsfähig, er habe die Geschichte übersehen, die Schriften der grossen deutschen Phi- losophen nicht gelesen und stolpere ungeschiekt über triviale Zweifel (2) (1) LAUBE, Geschichte der deutschen Literatur, 11L, 255. (2) GUTZKOW, Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur, 1, 141-142. 608 NEUE WANDLUNG. Sehr musste es den Dichter misstimmen, dass die Junghege- lianer diese Beschuldigung wieder aufnahmen. In den Hallischen Jahrbüchern veröffentlichte R. Prutz eine sehr gehaltvolle, ausführliche Würdigung Lenaus. Hoch rechnet er es Lenau an, dass er sich in seinen Gedichten (1832) voll und frei, nicht ohne Gefahr persönlicher Widerwärtigkeiten, zur neuen Bildung, zur liberalen Richtung bekannt, die Freiheit offen im Banner getragen, den Ansprüchen und Bedürfnissen der Zeit entgegen- gekommen sei. So wurden diese [rischen Lieder wie ein mun- terer Lerchengesang aus dem Lande des Stillstandes und der Geistesmüdigkeit begrüsst, ihr Klang glich dem eines Zauber- glöckchens, das, wo es tönte, alle Herzen zu warmem Mitge- fühl erweckte. Je höher Prutz die politische (liberale) und die landschaftliche (ungarische) Färbung der Lenauschen Gedichte einschätzt, desto mehr bedauert er die melancholische. In der Welt des Gemütes konnte Lenau nur einen festen Boden, eine heitere Aussicht gewinnen, indem er sich starken und frohen Sinnes « an die Erkenntnis gab ». Diese Erkenntnis mangelt ihm, « die Sonne, deren lebensfrischer Glanz Mut und Freude in jeden bedrängten Busen blitzt ». Er hat das Weltbezwin- gende des deutschen Prinzips, die Philosophie, nicht zu erfassen vermocht, und so schwebt er in den höchsten Angele- genheiten der Seele in unerquicklichster Leere. Er ist unter der Höhe seiner Zeit geblieben, deren Stimmführer er jetzt nicht mehr sein kann, weil er sich von ihrem wärmsten und leben- digsten Hauche nicht hat durehdringen lassen. Er hat es nicht vermocht, den Kern der Gegenwart aus der umhüllenden Schale herauszufühlen, und dessen Entwiekelung mit frohem und, wie es vor allem dem Dichter zukam, vorahnendem Mute zu erhof- fen. Im Faust hat er aller Erkenntnis durch das Wissen als einem Unmöglichen und dem Streben darnach als einem eitlen und kindischen Unterlangen Hohn gesprochen. Im Savonarola führt er einen entschiedenen Kampf gegen die Erkenntnis mit unverkennbarer einseitiger Richtung gegen die neueste Ent- wickelung der Philosophie. Statt auf den sonnigen Höhen der NEUE WANDLUNG. 609 Erkenntnis redlich und frohen Mutes das Glück und den Frieden der Seele, die Freiheit, zu suchen, ist der Dichter schrittweise und doch wie rasch in die Blumensümpfe mystisierender Borniert- heit heruntergesunken. Es ist dies ein Anblick, der mit Schmerz erfüllen muss, wie ein ursprünglich so gesunder und starker Geist, der, von der Natur vor vielen begünstigt und ausgerüstet zum poetischen Herold seiner Zeit, dieses grosse Ziel verfehle, weil er sich weigere, die höchste Erkenntnis in sich aufzuneh- men. « Aber jeder Schmerz soll ja seinen Trost in sich tragen : glauben wir denn an die nicht so leicht zu bewältigende Tüch- ligkeit des Lenauschen Geistes und vor allem an die erobernde Sieghaftigkeit der Geistesfreiheit, dass sie auch den spröden Magyaren sich unterwerfen und der Erkenntnis zu bräutlicher Umarmung zuführen wird... Er werfe sich kecken Mutes noch ein Mal in das Element, das ihn zuerst so freundlich getragen, in das Leben, in die geistige Bewegung der Gegenwart; die Leukothea wird ihm nicht fehlen, die, wenn die Brandung braust, ihren rettenden Schleier ihm zuwirft : ist er doch ein Dichter! Und welche freundlichen Gestalten voll stillkräftigen Seelenfriedens werden auf jener Atlantis der Erkenntnis ihn empfangen, — Gestalten, in deren lichten und stolzen Reigen die wüsten Schatten seines Faust und Savonarola sich nicht mischen dürfen! — » (!). Um so mächtiger wirkte dieser Aufruf, als Lenau kurze Zeit vorher, Ende Juni 1839, zum tiefen Bewusstsein gelangt war, wie misslich und gedrückt die Stellung eines Dichters sei, « der, in seiner Zeit gar nicht philosophisch orientiert, ihren höchsten Fragen, um sich nicht zu kompromittieren, zagend und scheu aus dem Wege gehen muss » (?). Wie tief musste es ihn, der der Poesie die Aufgabe stellte, im « hohen Rate, wo (!) Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, 1839, Nr 211-216, 3. bis 9. September. — Das Zitat S. 1798. (%) Lenau und Löwenthal, S. 86. 39 610 NEUE WANDLUNG. der Menschheit Ewiges beraten wird » (!), mitzusprechen, reizen und verwunden, dass ihm hartnäckig das abgesprochen wurde, nach dem sein heissestes Streben hinzielte, worin er höchsten Stolz setzte, nämlich ein Stimmführer seiner Machtlos musste ihm der Versuch, ein solcher zu wenn er in seiner Nichtbeachtung der seinen Zeit zu sein. werden, erscheinen, Hegelschen Philosophie, ja sogar in seiner Gegnerschaft zu derselben beharrte. Sie hatte ja mit tief einreissender Kraft alle höhere, wenigstens alle systematische Gedankenwelt Deutsch- lands in ihre Bande gezogen, so dass nach der fast ein Menschenalter hindurch herrschenden Meinung der Fortschritt sich nur innerhalb ihrer bewegen konnte. Ende 1839 bekennt Lenau im erwähnten Briefe an H. Marggraff, dass er den Savo- narola nicht geschrieben, um eine antihegelsche Christologie in Jamben zu geben. Der Ausfall des prophetischen Savonarola gegen die Hegelschule sei nichts weiter als ein pruritus ingenii, jedoch bereue er die mutwilligen Strophen (?) nicht, wenn sie ihm auch viel Verdruss gemacht (65+). Nicht leicht wurde ihm das Einschlagen eines Weges, auf den ihn gerade seine uner- bittlichsten Gegner hingewiesen, seine Gespräche zeugen von einem inneren Sträuben gegen die volle Anerkennung der Hegelschen Lehre, noch zu einer Zeit, wo seine ganze Gedan- kenpoesie schon vollständig von derselben beherrscht war. Unter’ stets wachen Vorbehalten gelangte er im Jahre 4841 zur Erkenntnis, dass die Menschheit doch nur auf der von Hegel gebrochenen Bahn befreit werden könne (?). So konnte er sich noch einen Gegner Hegels nennen, zu einer Zeit, wo er schon ganz in seinem Banne stand, so erklären sich seine wider- sprechenden Äusserungen über den Philosophen, die auch durch die Tatsache beleuchtet werden, dass er später mit der Linken der Hegelschen Schule über den Gründer hinausging, die Hegelsche Hülle, die er als Feigheit deutete, zerriss. (1) Lenau und Löwenthal, S. 86- (2) SAVoNAROLA, Die Antwort, Vs 1057-1076. (2) Lenau und Löwenthal, 8. 231. NEUE WANDLUNG. 611 Die Hegelsche Philosophie war mit ihrer Apologie des Krieges und ihrem Grundsatz, dass die Vernunft die Welt regiere, dass es in der Geschichte vernünftig zugehe, weil sie « der Gang des Weltgeistes » sei, vorzüglich zu einer Idealisie- rung des greulichen Albigenserstoffes geeignet. Sie bot dem Dichter die bequemste, wenn nicht die einzig mögliche Hand- habe zu einer philosophischen Verwertung und Vertiefung des Stoffes. Zu Ende des Jahres 1839 verlor Lenau alle Lust daran. Als er jedoch im Mai des Jahres 1840 den « festen Stand » gewann, von dem aus er « froh ins ferne Land blicken », den « Geschicken trotzen », ja für « Recht und Licht » freudig sein Blut vergiessen wollte (‘), da konnte er seiner Dichtung den Glauben an die Menschheit und ihre Geschicke einflössen, der im Epos obwaltet. Hegels Philosophie des Geistes und seine Philosophie der Geschichte hatten Lenau zur Erkenntnis gebracht, dass die moderne Verzweiflung an der Erkennbarkeit der Wahrheit ebenso aller spekulativen Philosophie wie aller echten Religiosität fremd sei (?), dass wie in der tierischen so auch in der geistigen Welt das Allgemeine, die Vernunft vorherrsche, die, während die Leidenschaften sich gegenseitig zerstörten, allein wache, ihren Zweck verfolge und sich geltend mache (?). In Hegels Einleitung zur Philosophie der Geschichte lernte Lenau, dass die Weltgeschichte der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit sei, den man in seiner Notwendigkeit erkennen müsse, dass nirgend als in der Weltgeschichte eine grössere Aufforderung zur versöhnenden Erkenntnis liege alles sei von der ewigen Weisheit bezweckt. Hegel erklärte ihm auch, weshalb die Entwickelung im Geiste, im Gegensatze zum ruhigen Hervorgehen in der Natur, ein harter unendlicher Kampf sei. Der Weg der Weltgeschichte gehe durch die Gegen- sätze und Kämpfe der menschlichen Leidenschaften, ohne die (!) Siehe das Gedicht Der einsame Trinker, 3. Lied, Vs 95 ff. (2) Heser, Werke VII (2. Abteilung), S. 290. (*) Ebenda IX (Ausgabe von 1837), S. 32 f. 612 NEUE WANDLUNG. nie etwas Grosses in der Welt geschehen sei und geschehen könne; sie seien nur Mittel und Werkzeuge des Weltgeistes, seinen Zweck zu vollbringen (?). « Die Entwickelung des Prin- zips des Geistes ist die wahrhafte Theodicee, denn sie ist die Geist sich nur im Elemente des Geistes was geschehen ist und alle Tage sondern Gottes Werk Einsicht, dass der befreien kann, und dass das, geschieht, nicht nur von Gott kommt, selber ist » (IX, 446). Hegel verhehlt sich nicht, dass man die Geschichte als eine Schlachtbank betrachten könne, « auf weleher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden » (IX, 25). Das Kennzeichen der Entwickelung des Geistes sei jedoch, dass dieser nur unter harten Kämpfen, nach stets « erneuerlem unermesslichem Auf- wande von Kräften und Zeit, von Verbrechen und von Leiden » (IX, 5%) allmählich zum vollen Bewusstsein kommen könne. Die Verbrechen und Leiden schildern die Albigenser mit steter Betonung des Hegelschen Standpunktes. Die Natur Ringt nach Licht und Freiheit immerdar, Wenn auch unter ihren heil’gen Füssen Graun und Schmerz und Tod aufwirbeln müssen. (Vs 180-132.) Über die von Rosseshuf zerstampften Saaten lässt der Dichter fernhin der Freiheit Morgenruf ertönen, der je heller in die Weiten dringt, je mehr Feinde ihr den Tod bereiten wollen (Vs 2765-2768). Wie sehr der Teufel sich auch immer mühn und plagen mag, Wenn seine Saaten schon zur Ernte reifen Und drüber lustig seine Lerchen pfeifen, Wird ihm die Sense aus der Hand geschlagen; Die Garbe fällt in frommer Schnitter Hände, Des Teufels Tun wird Gottesdienst am Ende. (Vs 1389-1393.) (1) HeseL, Werke IX, S. 19, 99,28, 29, 33, 33. NEUE WANDLUNG. 613 Der Lenker der Albigenserschlachten ist der Geist (Vs 3278), der in Kämpfen herrlich aufflammt (Vs 3280), sich eben im Schachtgetümmel offenbart (Vs 140). Unter Hegels Einfluss, dessen gewaltige Denkkraft und fel- senspaltende Dialektik Lenau im Jahre 1840 bewunderte (), bildeten sich die Albigenser in den Jahren 1840 bis 1842 zu einem Hoheliede auf die Unüberwindlichkeit und Allmacht des Geistes aus. Die Hegelsche Lehre vom Geist, der sich durch die Stufen des subjektiven und objektiven zum absoluten Geiste entwickelt, der der göttliche Geist ist, verkündet ein « Lom- bard » als die neue, weltbesiegende Lehre : « Der Geist ist Gott! » so schallt es hin mit Macht, Ein Freudendonner durch die Frühlingsnacht. (Albigenser, Vs 2995 f.) Das dieser Verkündigung vorangehende Dreifaltigkeitslied (Vs 2961-2984) beruht auf Hegels Dreieinigkeitslehre vom Reiche des Vaters, des Sohnes und des Geistes (?) : Das Reich des Vaters ist Gott in seiner ewigen Idee an und für sich, das Reich des Sohnes die ewige Idee Gottes im Elemente des Bewusstseins und Vorstellens, das Reich des Geistes die Idee im Element der Gemeinde. Diese drei Reiche entsprechen drei « Stufen oder Ständen », die sich in Rücksicht auf das Reich des Geistes bilden : « der erste Stand der unmittelbaren, unbe- fangenen Religion und des Glaubens, der zweite, der Stand des Verstandes, der sogenannten Gebildeten, der Reflexion und Aufklärung, und endlich der dritte Stand, die Stufe der Philo- sophie » (XH, 288) < Was wir mit dunklem Worte nennen Die göttliche Dreifaltigkeit, Das sind drei Stufen in der Zeit, Wie wir den einen Gott erkennen. (Vs 2961-64.) (1) Lenau und Löwenthal, S. 157. () Heseı, Werke XII (Ausgabe von 1832), $. 181-288. (Der Religionsphülosophie dritter Teil.) 614 NEUE WANDLUNG. Die Zeit des Geistes kommt, wenn Gott zugleich Geglaubt, empfunden und gedacht. (Vs 2979.) Deutlich unterscheidet Hegel auch diese drei Stufen. Der Glaube « nimmt die Wahrheit als Auktorität auf und empfindet die Befriedigung, Versöhnung vermittelst dieser Wahrheit... Das Gefühl als solches ist nieht von der Philosophie ausge- stossen. Es ist die Frage nur, ob der Inhalt des Gefühls die Wahrheit sei, sich im Denken als der wahrhafte erweisen kann. Die Philosophie denkt, was das Subjekt als solches fühlt... Aber insofern das Denken anfängt, den Gegensatz zu setzen gegen das Konkrete, so ist der Prozess des Denkens, diesen Gegensatz durchzumachen, bis es zur Versöhnung kommt. Diese Versöhnung ist die Philosophie » (X, 287 f.). Die höchste Stufe ist das Denken : ... Denken Gott wir als den Geist, Dann wird der ewige Bund gefeiert. (Vs 9975 f.) Alle fortschreitende Entwickelung, meint Hegel, ist eine Vertiefung, daher muss von der Religion fortgeschritten werden zur Erkenntnis der vernunftigemässen Entwickelung der Welt, d. h. zur Philosophie. In der Philosophie erhält die Religion ihre Rechtfertigung vom denkenden Bewusstsein aus. « Im Glauben ist wohl schon der wahrhafte Inhalt, aber es fehlt noch die Form des Denkens. Alle Formen, die wir früher betrachtet haben : Gefühl, Vorstellung, können wohl den Inhalt der Wahrheit haben, aber sie selbst sind nicht die wahr- hafte Form, die den wahrhaften Inhalt notwendig macht. Das Denken ist der absolute Richter, vor dem der Inhalt sich bewähren und beglaubigen soll » (XII, 287). Kurz nach dem Erscheinen der Albigenser schrieb Sophie NEUE WANDLUNG. 615 Schwab an J. Kerner : « Was sagt ihr denn dazu, dass Niembseh in seinen Albigensern ein solcher Hegelianer geworden ist? Nicht nur mein lieber Mann, der darin vielleicht eine besonders ieine Nase hat, findet es, sondern auch ganz unbefangene Leute, die sich am Savonarola erfreuten, finden es mit Erstau- nen » (t). !; Kerners Briefwechsel, Nr 573. XLIX Karoline Unger. 1839. Etwa einen Monat nach der tiefgreifenden Wandlung im Verhältnisse zu Sophie Löwenthal, die der Zettel aus Kierling vom 21. Mai 1839 so deutlich und beredt ausspricht, lernte Lenau die gefeierte Sängerin und Schauspielerin Karoline Unger (1803-1877) kennen, von welcher der berühmteste der italienischen Tonsetzer, Rossini, sagte, sie besitze « l’ardeur du Sud, l’energie du Nord, une poitrine de bronze, une voix d’argent et un talent d’or » (). Als Lenau sie sah, stand sie auf der Höhe ihres Ruhmes, von dem Deutschland und Italien voll waren. Unter einer zahlreichen Schar von Verehrern und Anbetern zeichnete sie, die manchen Korb ausgeteilt, ihren Landsmann, den gleich berühmten Dichter, sofort aus, und besann sich nicht lange, ehe sie zum Entschlusse kam, ihm angehören zu wollen. Drei Tage vor der am 24. Juni 1839 gemachten Bekannt- schaft mit Karoline Unger hatte Lenau Sophie geschrieben : « Mein Leben ist einmal krank und verdorben, seine schlimmste Eigenschaft ist, dass es noch immer so fest ist » (479). Am 23. Juni beichtet er Sophie, wie schrecklich ihn der Gedanke eines verpfuschten Lebens ergriffen, der zur Verzweiflung werde, (4) 0. Harrwıg, Frangois Sabatier und Caroline Sabatier-Unger. (Deutsche Rundschau, LXXXX1, 227-243.) KAROLINE UNGER. 617 wenn man sich nicht mit einem anderen Gedanken helfe « rette, was aus dem Schiffbruche noch zu retten ist! Wer sich solches nicht selbst zuruft oder wohl gar nicht weiss, dass er ein Schiffbrüchiger, und sein ganzes Elend verschläft, dem m: 1g es begegnen, dass er als Leiche ans Ufer geworfen wird, und zwar als totale Leiche » (640), ein ergreifend prophetisches Bekenntnis, abgelegt im Augenblicke, wo sich ihm die Rettung bot. In einer Gesellschaft beim Grafen Christallnigg liess Karo- line Unger ein singendes Gewitter von beidenschah auf Lenaus Herz los. Er geriet, so gestand er Sophie am 25. Juni, in einen Sturm, kämpfte und rang gegen die Macht dieser Töne, war ganz erschüttert. Bescheiden, freundlich und liebevoll kam die berühmte Künstlerin Lenau gleich bei der ersten Bekannt- schaft entgegen (80, 610). Heftig erregt ward Sophie von dieser Meldung. Gereizt antwortet sie, Lenau würde wohl bald fühlen, wie sehr sein Leben ein gelungenes sei, während sie nur den einen Wunsch habe, ihre Gesundheit möge eine entschei- dende Wendung nehmen, so oder so. Sophies Empfindlichkeit nicht beachtend, drückt Lenau ihr in seiner Antwort vom 5. Juli den Stachel noch tiefer ins Herz, indem er Karoline, mit welcher er jetzt viel zusammen war, als ein wunderbares Weib preist, als eine der höchsten Naturen, die auf Erden zu verehren, die in den einsamsten und wildesten Gegenden der Leidenschaft heimisch sei und sich ihm verwandt fühle wie eine Wetterwolke der andern. Die höchste tragische Wirkung hat ihr Spiel und Singen in Donizettis Melleaı auf ihn ausgeübt, die letzte Woche war für ihn eine Zeit stürmischer Bewe- gung (64). Sophies Antwort « zerschmetterte » Lenau das Herz, rief jedoch die volle Bestätigung ihrer Ahnung hervor : « Karoline liebt mich und will mein werden. Sie sieht es als ihre Sendung an, mein Leben zu versöhnen und zu beglücken... Es ist an Ihnen, Menschlichkeit zu üben an meinem zerrissnen Herzen. Karoline liebt mich grenzenlos... Verstosse ich sie, so mache ich sie elend und mich zugleich, denn sie ist wert, dass ich sie liebe. Entziehen Sie mir Ihr Herz, so geben Sie mir den 618 KAROLINE UNGER. Tod; sind Sie unglücklich, so will ich sterben. Der Knoten ist geschürzt » (642). Am nächsten Tage, dem 12. Juli, sucht er einen Ausweg, bei dem kein Herz zu brechen braucht (63). Der Ausweg, den Sophie ihm genannt, geht durch seine Todespforte (4). Erfordert die Lage ein Opfer, ist Gott, der alle drei aus einem Stücke gemacht, eins zu viel, « so nehme er mich zurück » (644). Blutigernst nimmt Lenau alles, was Sophie ihm schreibt, durchschaut keinen Winkelzug ihrer feinen Umgarnungskunst, gerät in die äusserste Aufregung, wird tief unglücklich. Der Schmerz nimmt wieder seinen Ham- mer zur Hand und arbeitet fort den ganzen langen Tag. In der Nacht greift seine Seele nach ihrem Schmerze, wie die Mutter nach ihrem Kinde (635) (*). Am 2%. Juli gehorcht er Sophies Einladung, zu ihr nach Ischl zu kommen. Dort eingetroffen, musste er sich über- zeugen, dass es mit Sophies Gesundheit gar nicht so übel aussah (618). Eine seiner « Lebensbedingungen », die Gesund- heit Sophies (644), war erfüllt. Die trefllich verlaufene Reise auf dem bequemen, neuen Dampfschiff « Sophie », der Genuss der Donaulandschaften, die er über die gepriesenen Rhein- gegenden stellt (647), die herrliche Luft in Ischl, die ihm Leben in alle Adern goss (6#7), die Freundlichkeit und Liebenswürdig- keit Sophies und ihrer schönen Schwester Rosalie, sogar die Heiterkeit der Geliebten und ihr vorzügliches Aussehen und beruhigender Appetit (68) brachten Lenau in die frohe Stim- mung, welche die Briefe von Ende Juli an Schurz (647) und an Max Löwenthal (648) atmen. Vorzüglich gelang es Sophie, zunächst das aufgeregte Gemüt zu beruhigen. « Niembsch », schreibt sie in einem ungedruckten Briefe vom 31. Juli an ihren Gatten, « welcher wohl im ersten 4) Wie eine Mutter, die vom Schlaf erwacht, Nach ihrem Kind im Dunkeln streckt die Arme, So greift, geweckt aus Träumen in der Nacht, Das kranke Herz sogleich nach seinem Harme. (Albigenser, Vs 1469-1472.) KAROLINE UNGER. 619 Augenblicke Fluchtpläne hatte, ist wieder beruhigt und scheint uns nicht verlassen zu wollen ». Am folgenden Tage meldet sie Max Löwenthal, Lenau sei so sentimental, dass er ohne sie und Rosalie gar nicht ausgehen wolle, und zum Danke dafür werde er weidlich gequält mit seinen letzten wahrhaft « stupefe- zanten » Abenteuern. Eine weitere Nachricht vom 6. August an Max Löwenthal lautet, Niembsch sei sehr vergnügt, alles schmecke ihm, Schlaf, Essen, « unsere Gesellschaft ». Zur Beruhigung des Geliebten muss auch die schöne Schwester Rosalie beitragen. Sophie treibt sie an, mit Lenau spazieren zu sehen, und tatsächlich wird er auch zu dieser Zeit um die Freundschaft Rosaliens reicher (649). Zur Besänftigung des Gemütes soll auch das « Mariagespiel » mit Sophies sieben- jähriger, eben vom Scharlach genesener Tochter Zoö beitragen. In einem Briefe an Max vom 7. August lobt Sophie die Ernst- haftigkeit, mit der Lenau sich dem Kinderspiele widmet. So wird kein Mittel unversucht gelassen, den Schwankenden fester an sie und ihre Familie zu fesseln; zugleich arbeitet Sophie darauf hin, eine Entzweiung Lenaus mit ihrem Vater beizu- legen. Wie sie sonst vorging (!), ersehen wir aus Lenaus Brief an Emilie vom 22. August, in dem er über eine Unterredung mit Karoline berichtet, wobei er nur nachsprach, was Sophie ihm vorgesagt. Wohl hütete sie sich vor einem offenen Widerstand gegen den Heiratsplan und begnügte sich vorläufig mit dem Versuche, Zeit zu gewinnen. Den ihr wohlbekannten Stolz des Dichters aufrüttelnd, machte sie ihm klar, eine Verbindung mit Karoline sei erst möglich, wenn diese nicht mehr der Öffent- lichkeit angehöre und er selbst im stande sei, einen gesicherten und nicht verächtlichen Beitrag zum Haushalte beizusteuern. (4) « Was sich zwischen ihm und Sophie zutrug », meint Ernst (S. 320), « entzieht sich der Öffentlichkeit. Diese Lücke in Lenaus Leben wird wohl nie ausgefüllt werden ». Jedenfalls ging es ganz anders zu, als Ernst glaubt, wenn er ($. 319) von einer « furchtbaren Tragik » spricht, die in Lenaus Seele damals ausgefochten ward. Es nicht so weit kommen zu lassen war eben Sophies Kunst. 620 KAROLINE UNGER. War nach Sophies Ansicht Karoline zu reich (!) für Lenau, so war ihr später Marie Behrends zu arm. Sie hatte es um so leichter, seinen Stolz anzurufen, als Lenau sich damals in sehr bedrängter Lage befand. Nach dem Zeugnis von Max Löwen- thal darbte er im Oktober (?), und im Dezember nahm er dankend einen Reisevorschuss von Emilie Reinbeck an (657). Zu der Zeit fehlte jedwede Aussicht aufein gesichertes Einkom- men. « Wenn ich gar nicht mehr weiter kann », sagte er im Oktober zu Max, « so schiesse ich mich tot » (). Ruhig liess Sophie den Geliebten am 15. August von sich gehen, der vorher mit Karoline vereinbarten Zusammenkunft in Linz entgegen. Zunächst machte die Diva der Nebenbuhlerin einen Strich durch die Rechnung, indem sie in ebenso liebe- voller Nachgiebigkeit wie Sophie, mit « schöner weiblicher Fügsamkeit » (6), die vorschriftsmässig hergesagte Erklärung Lenaus entgegennahm. Sie war übrigens noch Verbindlich- keiten für neunzehn Monate eingegangen, deren Erfüllung eine Vermögensvermehrung von fünfzigtausend Gulden bedeu- tete, während die Nichteinhaltung mit hoher Vertragsstrafe verbunden war. In Linz beging die verwöhnte Schauspielerin nun den Fehler, im Tone freundschaftlicher Befehlshaberschaft allerlei kleine Ritterdienste von Lenau zu fordern, wie sie es im Umgange mit einer Schar blinder Anbeter gewohnt war. Empfindlich verletzte sie dadurch den Stolz des Dichters (*). Trotzdem nahm er ihre Einladung zu einem gemeinschaftlichen Ausfluge ins Salzkammergut an, bei welchem der Zauber ihrer Persönlichkeit wieder so mächtig auf ihn einwirkte, dass er bei seiner Rückkehr nach Ischl am 3. September Sophies Hofinung auf eine Heilung von seiner Leidenschaft arg enttäuschte. Nach einer mündlichen Überlieferung aus ihrem engeren Familien- kreise soll sie nun’auch wie Karoline in Linz aus der so gut (!) Max Löwenthal bezeugt, dass sie sieh ein « ausreichendes Einkommen » erworben. Lenau un Löwenthal, S. 9. (2) Lenau und Löwenthal, S. AN. (@) Ebenda, S. AU1. (4) Eben.la, S. 109. . KAROLINE UNGER. 621 gespielten Rolle der Opferwilligkeit, der « schönen, weiblichen Fügsamkeit », die Lenau so hoch schätzte, herausgefallen und dem Geliebten die leidenschaftlichsten Auftritte bereitet haben, bei denen sie u. a. unbedingt herausbekommen wollte, ob er die Diva mit Du angeredet. Sie verdarb die Lage nur noch mehr, indem sie ihr bewegtes Innere ihren Eltern offenbarte, worauf der Hofrat von Kleyle einen scharfen Anklagebrief gegen Lenau schrieb, der diesen so tief entrüstete, dass seine Antwort darauf, « das Ansehen eines sich selbst aufgege- benen und mit Virtuosität ausgearbeiteten Grobheitspensums » hatte ('). Nun konnte sie wieder alles daransetzen, den tiefer gewordenen Bruch des Geliebten mit ihrer Familie zu heilen. In einem ungedruckten Briefe vom 25. September an ihren Vater bittet sie diesen inständig um Verzeihung für Niembsch und bekennt, dass eine Erkältung zwischen den beiden ihr ein « wahrer und dauernder Kummer » wäre. Unter diesen Umständen musste Lenau zur klaren Einsicht von der Wahrheit dessen gelangen, was er ein Jahr vorher an Sophie geschrieben : er sei überzeugt, dass sie ihn nicht verlassen könne (466). Aufgeräumt lauten die Briefe, die er während dieses zweiten Ischler Aufenthaltes vom 3. Septem- ber bis 2. Oktober an Emilie und Georg Reinbeck, an Schwager Schurz schreibt. Die fest gewonnene Überzeugung von Sophies starker Liebe, die brieflichen Huldigungen von Karoline erhal- ten ihn in guter Laune. Das Wild böser Gedanken lässt er laufen. « Der Jäger und Meister in excelsis wird es schon erlegen » (632). Auf das Erlebnis mit Karoline spielen die Geburtstagsverse an, die Lenau Sophie am 25. September überreichte : Bei Übersendung eines Strausses. « Trübe und kalte Tage » haben die Liebenden heimgesucht, die Blumen, die er der Geliebten zu ihrem Geburtstage schenkt, sollen sie mahnen, dass er mit dem « letzten Grün » ihrer noch gedenken will. (4) Lenau und Löwenthal, S. 100. 622 KAROLINE UNGER. Die Verse besagen nicht viel. Drei Tage später schreibt er an Schurz : « Wir rücken auch den Vierzigen zu, die Haare werden grau, und noch immer ledig. Was glaubst Du, sollt ich nieht ein Weib nehmen, wenn mir auch kein alter Vater, wie in jenem Bergmannsliedel zuruft : Nimm dir ein Weib Für Deinen Leib. Willst nicht Du so gut sein und solchen Ruf an mich ergehen lassen? Zu Dingen, welche Glück brauchen, soll man sich immer auffordern lassen : rogatus lude! Man gewinnt im Spiel, wenn einem die Karten aufgedrungen werden; und der heilige Altar, sit venia verbo, ist, wenn davor kopuliert werden soll, wohl auch so eine Art Spieltisch... Also Bruder! überleg Dir’s und sage mir im Oktober was Du denkst. Der Gegenstand meiner kühnen Schieksalshypothese ist — sub rosa rosissima — die fleissige Briefstellerin » (635). Hätte Schurz dieser herzhaften Aufforderung herzhaft Folge geleistet, so trug sehr wahrschein- lich Karoline den Sieg davon. Statt dessen erstickte er den mächtig aufflackernden Lebensmut seines Schwagers mit klein- lichen Bedenken (I, 15 f.). Der Dritte im Bunde gegen Karoline war merkwürdigerweise Max Löwenthal. Unverhohlene Abnei- gung gegen den Bund mit der Künstlerin leuchtet aus seinen Tagebuchaufzeichnungen hervor (1). Er scheint es ihr sehr übel zu nehmen, dass Lenau ihr Opfer brachte, die er « seiner nächsten und innigsten Freundin, meiner Frau », bis dahin verweigert, es wundert ihn, wie Lenau, der von Weiblichkeit immer den höchsten Begriff hatte, an ein Weib immer die allerstrengsten Forderungen stellte, in die Gewalt eines solchen wie Karoline geraten konnte. Er bucht geflissentlich allen Klatsch, der ihm über die Primadonna zu Gehör gekommen. Den vereinten Kräften dieses Dreibundes musste schliesslich Karoline unterliegen. Der Sieg über sie ward so vollständig, (4) Lenau und Löwenthal, S. 98 f., 104, 109, 114. KAROLINE UNGER. 623 dass Lenau diese Liebschaft als einen dummen Streich, ja als eine grosse Eselei ansah. Durchaus edel benahm sich die Sängerin bei der im Jahre 1840 erfolgten Umwandlung des Liebes- in ein Freundschafts- verhältnis, während Lenaus Verhalten ihm die wohlverdiente scharfe Rüge eintrag, welche Halm ihm in einem Sonetle zu teil werden liess (*). Trotz allem Schauspielerhaften war Gut- mütigkeit der Grundzug von Karolinens Charakter. « Seltene Herzensgüte », die weibliche Kardinaltugend, die Sophie durch- aus fehlte, muss ihr Lenau, nach allen Erfahrungen, die er mit ihr gemacht, zugestehen (491). Für den Dichter war übri- gens die Loslösung von Sophie die Grundbedingung seiner Rettung, und jedweder Ausweg besser als das Haftenbleiben in ihren Banden. Karoline wählte kein schlechteres Los, als sie am 18. März 1841, bedenklich und zaudernd, dem um fünfzehn Jahre jüngeren Fr. Sabatier die Hand reichte. Alle Bedenklich- keiten, üblen Nachreden und psychologischen Auseinander- seizungen der Karoline übelgesinnten Lenauforscher zerschellen an der Tatsache, dass ihre 36jährige Ehe mit einem geistig hochstehenden Manne eine überaus glückliche war. Als die « bezauberndste Wirtin am häuslichen Herd » schil- dert sie Theodor Graf von Heusenstamm, der ihre Bekannt- schaft mit Lenau vermittelte. « Sie versammelte um ihren Teetisch alles, was durch Genie, Geist und irgendwelche Bega bung und Tätigkeit Bedeutung hatte und, wie verschieden auch an Farbe und Richtung, einer heiteren, edleren Geselligkeit sich zu erfreuen gedachte » (*). Begeisterte Schilderungen von ihrem Leben und Wirken auf Schloss La Tour de Farges und auf der Villa Concezione in Florenz entwerfen der Dichter M. Hartmann (?) und der Geschichtschreiber und Dichter () Fr. Haım, Ausgewählie Werke, 1, 93 £. (?) Tu GRAF von IIEUSENSTANM, Gesammelte Werke. Wien und Leipzig, W. Brau- müller, 1897-1900, I, S. XL£., 113, VI, 169, 472, 247, 396. (Zitiert nach CASTLE, Lenau und Löwenthal, S. LXXIL.) (%) Tagebuch aus Languedoc und Provence (1. Kapitel). Werke III, 59-83. 524 KAROLINE UNGER. F. Gregorovius (!). Was ein gütiges Geschick ihr in Fülle geboten, ihr Talent und ihren Reichtum, war sie stets bestrebt, Aheen Mitmenschen zum Besten auszunülzen. Begabte, arme Künstlerinnen nahm sie in ihr Haus auf, unterrichtete und unterstützte sie in ihrem Fortkommen. Grosses Geschick bewies sie obendrein für das praktische Leben; sie wird als ausge- zeichnete Hausfrau gepriesen. Wie sie i. J. 1850 an Fanny Lewald schrieb, war sie trotz ihrer mondänen Künstlerlaufbahn eine deutsche Hausfrau geblieben, die ihren Gänsebraten wie in der Heimat auf den Tisch zu bringen wusste (?). Lenaus Briefe an die Schauspielerin bezeichnet Sophie selbst als zu dem Allerschönsten gehörend, was jemals geschrieben worden sein mochte. « Zumal waren zahlreiche dichterische Bilder darin, wie sie selbst einem Lenau, dem Gedankenbild- hauer, nur in höchster Entzückung vor die Seele treten konnten » (%). Lenau galten diese Briefe nur als « doku- mentierte Narrheiten » (682). Voll tragischer Ironie wie die eben erwähnten Aussprüche Lenaus über die Liebschaft sind die in der Neujahrsnacht 1839/40 gedichteten Verse Fahr hin, unholdes Jahr! mir warst du von den schlimmen; Es mögen andre dir ein Liedlein Dankes stimmen. Die andern?! — strafend will die Scham mich überkommen, Dass ich, was andern frommt, nicht mir auch liesse frommen. (In der Neujahrsnacht 1859-1840. Vs 11-14.) Einen « Funken » hatte das Jahr 1839 geworfen, der < glücklich schon gezündet » (Vs 35), den das Jahr 1840 2 stupid mit seinem Wasserschlauche » (Vs 38) gelöscht hat. (4) Römische Tagebücher. Stuttgart, 1872. S. 43, 59, 222. (2) Fanny Lewanp, Zwölf Bilder aus dem Leben. Braunschweig, 1888, S. 85. (5) Schurz, ll, 34 f. L Aus der Albigenserzeit. 1. Teil. — 1839. Ein Rezensent. — An Karl Mayer. — Im Vorfrühling. — Reiseunbehagen. — See und Wasserfall. — Der stille See. — In der Neujahrsnacht 1839-1840. Zu Ende des Jahres 1838 gelangte nach Schwaben die Kunde von Heines Spott über die schwäbische Schule in seinem Schwabenspiegel. Bereits am 3. Januar 1839 antwortete Kerner im Gedichte Sängerneid auf Heines Angriff (t), und in einem Briefe vom 11. Januar an Mayer teilt er diesem den Inhalt der Heineschen Satire mit (?). Wir wissen aus Lenaus Gespräch mit Max Löwenthal vom 16. März 1838 (°) von des Dichters Absicht, einen etwaigen Angriff Heines nicht unbeantwortet vorübergehen zu lassen. An scharfen Ausfällen gegen letzteren ist auch im Tagebuche von M. Löwenthal (*) kein Mangel, und die späteren Aufzeichnungen Max Löwenthals verzeich- nen manche Hiebe (®). Trotz aller Bewunderung für Heines Genius (°) lehnte Lenau seine Art, namentlich seine satirische, (1) Kerners Briefwechsel. Nr 496. (*) Auszugsweise mitgeteilt von K. Mayer in L. Uhland. I, 162. Original im Mayerschen Nachlasse auf der Kgl. Landesbibliothek in Stuttgart. (®) Siehe S. 571 dieses Werkes, (*) Nr 54, 64, 66. (8) Lenau und Löwenthal, S. 163, 470, 931 f., 961. (°) Tagebuch von M. Löwenthal; Nr 54. — Lenau und Löwenthal, S. 317. — E. NIENDORF, S. 94 f. 40 626 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 1. TEIL. ab. Er verzeichnet und erzählt mit Vorliebe Geschichtchen, deren Spitze gegen Heines Charakter gerichtet ist. Die scharfe Satire Ein Rezensent (507) scheint auf Heines Schwaben- spiegel Bezug zu haben. Das Gedicht wendet sich nicht gegen eine Rezension, sondern gegen ein « Buch », das viel « Frivoles, scheinbar Verständiges und witzig Hohles, spitzige Lanzetten, Skandale, Unrat, scharfe Witze » enthält. Abgesehen von der bösen Verspottung von Lenaus besten Freunden wie Mayer und Kerner, war die kurze Stelle des Schwabenspiegels über Lenau selbst auch nicht frei von Spott und Verkennung : die Ungarn könnten sich wohl über den Verlust Lenaus trösten, so lange sie ihren Tokayer behielten, Lenau sei durch den anprei- senden Eifer von Heines Freund Laube zu einem « Renommee » gekommen, das er « bis zu einem gewissen Grade » verdiene. Immerhin bezeichnet Heine Lenau als eine « brillante Acqui- sition » der schwäbischen Schule. A. Meissner teilte G. Kar- peles mit, dass Lenaus Gedichte einen tiefen Eindruck auf Heine gemacht, dass er einzelne auswendig wusste und sie mit RE hersagte. Er gestand, dass Lenau ihn in der Natur- beseelung oft übertroffen habe.. Auch aus H. Laubes Munde weiss Karpeles, dass Heine eine ausserordentlich günstige Meinung von Lenau gehabt und mit dieser nur zurückgehalten habe, weil ihm des Dichters Zusammenhang mit der schwä- bischen Schule gegen den Strich gegangen sei ('). Über Rezen- senten schimpft Lenau unzählige Male und zu verschiedenen Zeiten (?). Aus diesen Äusserungen ist nichts für die Datierung des Gedichtes zu entnehmen. Der epigrammatische Scherz An Karl Mayer (1) scheint auch mit Heines Federkrieg gegen die schwäbische Schule zusammenzuhängen. Der Hund, der zu heulen anfängt, wenn Mayer einen Saitengriff tut, ist wohl Heine. Wir wissen zwar von Mayer selbst (S. 172), dass man mit reichlichem (!) G. Karpenes, Heine und Lenau. (NEuEs WIENER TAGEBLATT, 4907, Nr 187.) (2) Schurz, 1, 176; I, 98. Lenau und Löwenthal, S. 13, 15, 81, 349. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 1. TEIL. 627 Spotte über ihn herfiel, und in demselben Jahrbuche der Lite- ratur (!), das Heines Schwabenspiegel im Erstdruck brach te, sagt Gutzkow, Mayer verfolge Fliegen und Mücken und erzähle uns mit einer rührenden Naivetät, wo sie sich niedergelassen hätten (?). Rührend ist die Gutmütigkeit, mit der Mayer Heines Spott aufnahm. Auf die Bemerkung Kerners, Heines Salz sei, wenn er früher eins gehabt, nun ganz dumm geworden, ent- gegnet Mayer, dies fände er nicht bestätigt in bezug auf das von ihm Gesagte, da er selbst darüber herzlich gelacht (°). Köstlich, ein goldenes Gemüt offenbarend, ist auch Mavers Antwort auf Heines Satire, in seinem Buche über Lenau gr Mayer, der uns Lenaus Gedicht erhalten (S. 172), erklärt bescheiden, es habe für ihn keinen anderen Wert als den der grossen Gutmütigkeit seines Freundes. Ein günstiges Urteil über Mayer bringt gerade ein Gespräch Lenaus mit Max Löwenthal vom 5. März 1839 (*). Eine eigene Feinheit sei das nn a EEE EEE KEN (!) Erster Jahrgang. Hamburg, Hoffmann und Campe, 1839. (2) GUTZKOW, Vergangenheit und Gegenwart. (Ausgewählte Werke, XII, 78.) Auch in Die literarischen Elfen erwähnt Gutzkow spöttelnd die Mayerschen « Fliegen und Mücken ». (Werke XI, 933.) (#) Mayer, L. Uhland, I1, 462, (*) « Wenn Heine erzählt, man sei im Begriff, mir ‘ Carolus Magnus’, vor den Toren von Waiblingen eine State von llolz in Lebensgrösse zu errichten, die alle Jahre im Frühling, wenn die Gelbveiglein duften und die Maienkäfer summen, mit Ölfarbe neu angestrichen werden, und an deren Piedestal ein lächerliches Verbot zu lesen sein soll : so hat der Schalk, dem auch der von ihm Verhöhnte gerne zulacht, meinem teuren, unschuldigen Waiblingen mehr Stolz auf seinen damaligen Besitz zugetraut, als sich wirklich dort vorfand. Nachdem einmal ein fremder Literat dort angekommen war, der mich besuchen wollte, so fragte er in allen Strassen der Stadt, wo der Diehter Karl Mayer wohne; aber niemand wusste ihm Bescheid zu geben. Einer riet ihm, zu dem berühmten Volksabgeordneten, Bäckermeister Pfleiderer zu gehen; der sei ein weiser Mann und werde Auskunft erteilen können; aber siehe da, auch der wusste nichts von einem Dichter Karl Mayer in den Mauern von Waiblingen, während die guten Leute ihrem Oberamts- richter Karl Mayer in treuer Liebe anhingen. Nur ein Zufall war es, der mich doch noch zum Empfange des Besuches kommen liess, » (S. 179.) Im August 1914 machte ich in Waiblingen genau dieselbe Erfahrung wie eiwa 80 Jahre vorher der « fremde Literat ». (?) Lenau und Löwenthal, S. 75, 628 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 1. TEIL. Kennzeichnende des Geistes dieses Mannes. Wie kleine und zarte Hände geschickt seien, die allerkleinsten Gegenstände aufzufassen und zu halten, so Mayers poetische Anlage. Ähnlich spricht sich Gutzkow in Vergangenheit und Gegenwart aus. Wie komisch die Liebhaberei dieses Mannes auch sei, so über- rasche uns doch oft sein inniges Naturleben, sein feiner Blick für die Idylle der Pflanze und des Tiers. Um ganz zu verste- hen, was Mayer mit seiner Naturanschauung ausdrücke, müsse man Freude haben, im Grase zu liegen und die kleine Käfer- welt zu belauschen ('). Die einzige rein lyrische Frucht des ersten Halbjahres 1839 ist das Gedicht Im Vorfrühling (559). Es bezieht sich auf den Tod des Pianisten Eduard Mikschik, des Bräutigams von Sophies Schwester Johanna, der dem Dichter schon allein deshalb teuer war, weil er mit « ungemeiner Tiefe und Energie » Beethoven spielte (179). Ein beabsichtigtes unmittelbares Gedicht auf den am 3. Oktober 1838 erfolgten Tod des « braven, treuherzigen Freundes » (48) gelang Lenau nicht. Das Ein- sehreibbüchel von 1838 bezeugt, dass er sich mit Versentwürfen wie Als Ich sah den Sarg Ich sah vor mich hin auf Als dein Sarg mir ward vorausgetragen (Als ich) Mich ergriff ein schmerzliches Verzagen abquälte (?), die sich auf das Begräbnis beziehen, wie er es Sophie schildert : « Es hat heute wieder einmal tüchtig aul mich eingestürmt. Wie sie mir den Mikschik vorantrugen in seiner gelben Truhe... da erfasste mich das Menschengeschick in seiner ganzen Traurigkeit » (468). Der Ausgangspunkt von Tod und Begräbnis erwies sich als unfruchtbar, ebenfalls ein (1) Gurzkow, Ausgewählte Werke, XII, 78. (2) Lenau und Löwenthal, S. 528, 540. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 1, TEIL. 629 zweiter, der an verschiedene andere Motive anknüpft und weiter im Einschreibbüchel lautet : 0 Freund sei froh, dass du gestorben bist. Den Grundton deiner tiefen Herzensgüte Wenn diese Lieder dich zurückgerufen Wenn du jetzt Blumen sammelst im himmlischen Gebirg (4). Nur das Blumenmotiv bewährte sich fruchtbar, wenn auch in anderem Sinne als in dem durch den letzten Vers des zweiten Entwurfes angedeuteten. Befruchtet ward dieser Keim erst bei einem Besuche des Grabes, beim ersten Wiedererwachen der Natur. Aus ganz ähnlichen Anregungen ging das Trauergedicht auf Kleyles Tod An eine Witwe hervor. « An Iyrischen Produkten », schreibt Lenau am 14. Septem- ber 1839 Emilien Reinbeck, « war das Jahr und namentlich der Sommer nicht sehr ergiebig » (651). Im Briefe an Schurz vom 28. Juli teilt er den scherzhaften Vierzeiler Reiseun- behagen (515) mit, der sich auf ein Erlebnis der Reise von Wien nach Linz zu Ende Juli 1839 bezieht. Im Dampfschiffe wurde er beim Schlafen in gemeinsamer Kajüte durch das Schnarchen des belgischen Gesandten, eines « kolossalen Ben- gels » gestört (647). Auch im nächstfolgenden Briefe an Max lLöwenthal erwähnt er die Veranlassung der Gelegenheitsverse. Am Vorabend des Ausfluges mit Karoline Unger ins Salz- kammergut, am 21. August, hörte Lenau im Linzer Theater K. Kreutzers Oper Das Nachtlager in Granada und bemerkt dazu im Briefe an Sophie vom 2. August : « musikalische Schneuzer von Konrad Creuzer » (649). M. Koch nimmt in seiner Ausgabe (I, 357) den Wortwitz, mit der Variante « Kon- radin » statt « Konrad », unter Lenaus Lyrik auf. Wahrscheinlich entstand auf der Reise mit Karoline und zwar am 26. August 1839 das Gedicht See und Wasser- fall (230). An dem Tage schrieben sich nämlich « Niembseh (1) Lenau und Löwenthal, S. 540. 630 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 1. TEIL. von Strehlenau, genannt Nicolaus Lenau » und « Caroline Ungher » in das Ausseer Fremdenbuch ein. Hierzu stimmt, was Lenau am 14. März 1840 bei Mitteilung des Gedichtes an Emilie schreibt : « Hier noch ein kleines Gedicht, welches ich im Sommer in ein Fremdenbuch zu Aussee geschrieben, längst vergessen und heute zufällig wiedererhalten habe, indem ein Herr in Aussee sich die Kleinigkeit aus dem Fremdenbuch ausgeschrieben und seinem Bruder nach Wien geschickt hat » (666). Zu den Versen bemerkt Sophie : « Mit dem See war der Altaussee gemeint, und das Gedicht schrieb Niembsch bei unse- rem dreitägigen Aufenthalt in Aussee im Wirtshaus Zu den drei Hackeln ins Fremdenbuch ». Schurz schreibt diesen Vermerk in seinem Exemplare ab und fügt hinzu : « Unter Wasserfall ist der Waldbachstrub bei Hallstadt verstanden ». Ein Aufent- halt Lenaus in \ussee im Wirtshaus Zu den drei Hackeln ist zwar erst aus dem Jahre 1840 bezeugt, mag jedoch auch im Jahre 1839 stattgefunden haben. Richtig ist jedenfalls, dass mit dem See der Altaussee-See gemeint ist und mit dem Wasserfall der Waldbachstrub, wie die ursprüngliche Über- schrift im Briefe an Emilie zeigt. Schwebte dem Diehter bei der « kühnen Tat » (Vs 8) nieht die Heirat mit Karoline Unger vor? Vom Aufenthalte mit ihr in Hallstadt ist bekannt, äussert Schurz (II, 14), « dass Niembseh und Karoline während eines Ganges durch das steinige zum Strubbach führende Tal von den ihrer Verbindung sich entgegenstellenden Hindernissen sprachen. Da rief plötzlich Karoline im Eifer der Verhandlung : ° Sieh her, mein Freund! so steig ich über alle diese Hinder- nisse hinweg! " — Und vor ihres Freundes erstaunten Augen stieg sie rasch, und eben so glücklich als kühn, über einen mächtigen rauhen Steinhaufen, der dicht am Wege lag, ohne weiteres hinweg ». Eines der vielen Naturbilder, die sich dem Dichter auf dem Ausflug mit Karoline (22. August bis 3. September) boten, hat er vielleicht in dem Vierzeiler Der stille See (515) festgehalten. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 1. TEIL. 631 Die drei letzten Monate des Jahres 1839 verbrachte Lenau in Wien, in seiner Wohnung bei Max Löwenthal. Ausnahmsweise kam er dieses Jahr nicht nach Schwaben, ein Pass für die Reise ward ihm verweigert. « Knapp und verlegen » nennt er selbst seine äussere Lage (657). Nicht besser war es mit seiner inneren bestellt. Es ist ihm zuweilen, klagt er am 5. Dezember Emilien, als hielte der Teufel seine Jagd in dem Gangliennervenwalde seines Unterleibes, er höre ein deutliches Hundegebell daselbst und ein dumpfes « Halloh! » des Schwarzen ; ohne Scherz, es sei oft zum Verzweifeln (656). Trotz der hohen Anerkennung, die ihm vom Auslande zu teil ward ('), bekannte er am 8. De- zember Max Löwenthal, sein schriftstellerisches Leben freue ihn « nicht um einen Groschen mehr ». Er beneide jeden Bauer, jeden Soldaten um das seinige (?). Diese Umstände tragen bei zur Erklärung des Gedichtes In der Neujahrs- nacht 1839-1840 (515). Die Erinnerung an dieses « unholde » Jahr, das ihm « eines von den schlimmen » (Vs 11) war, wünscht er auslöschen zu können. Aber was gilt sein « Körnlein Schmerz » (Vs 15) im allgemeinen Leide der unter- drückten Menschheit! Was sein « Lüftchen Klage » (Vs 15) im allseitigen Notschrei nach politischer Freiheit! Kühn predigt der Träumer die Tat. Ausgegeben ist das Losungswort, das neue Jahr muss es in die Wirklichkeit umsetzen. Heisser muss sein Lieben, feuriger sein Hassen sein, eisern sein Wille, denn es gilt, dem « Nachtgeist » (Vs 23) den Todesstoss zu geben. Wo das verflossene Jahr « Funken warf », Wo schon der Rauch für bald den Flammenschlag verkündet, Da soll das neue Jahr nicht schrecken vor dem Rauche, Nicht löschen feig stupid mit seinem Wasserschlauche! (Vs 36-38.) Mächtig klingt hier wieder der Ton der Albigenser an. () Foreign Monthly Review. London, Nutt, 4839, S. 8-9, 524-529. Vgl. Briefe Lenaus, Nr 654, 656 und Lenau und Löwenthal, S. 103, 440, 558, @) Lenau und Löwenthal, S. AM. 632 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 1. TEIL. Gleichzeitig mit den Albigensern entstanden die Johannes Ziska überschriebenen Bilder aus dem Hussitenkriege. Auch der finstere Hussitenführer kämpft gegen « Pfaffenvolk und Fürsten- knechte », blutend will er an ihnen den Tod von Huss, dem Manne des « Lichtes und der Freiheit » rächen. Den Namen Freiheit, der sein Herz zu Taten schwellt, will er mit seinem Heldendegen tief « schneiden in das Mark der Welt ». Die Entstehung einer neuen Ziskaromanze meldet Lenau Emilien Reinbeck am 25. November dieses Jahres. LI Sophiegedichte. 7. Reihe. — 1839-1840. Bei Übersendung eines Strausses. — Kommen und Scheiden. — Liebesfrühling. — Frage nicht. — Frühling. Die dussere Wandlung des Jahres 1839 im Verhältnis zu Sophie klingt in der Lyrik nur in den Gelegenheitsversen Bei Übersendung eines Strausses (53) an. In der Handschrift lautet die Überschrift : Am 3. September 1839. Sophie bemerkt in ihrem Exemplar : « In Ischl, im Jahr 1839, im Steiningerischen Hause ». Ihrem Gatten meldet sie an ihrem Geburtstage : « Niembsch kürzte seine Morgenruhe ab, um mir einen Strauss und ein sehr herzliches kleines Gedicht zu bringen ». Später datierte sie die Verse in einer Abschrift der Briefe Lenaus mit 1841. Die innere Wandlung singen die « kühnen » Verse des « allzukecken » Troubadours Fulco, dessen Liebe zur schönen Gräfen Adelheid die getreue Widerspiegelung von Lenaus Leidenschaft zu Sophie ist. Leicht wirkt ein mit Melodie und Rede Begabter auf eine zarte Frauenseele, rührt sie mit schönem Liede (Vs 547-562). Fulco sah sie und sie ihn, Und ihre Ruhe war dahin. Ein Augenblick, so schnell er flieht, Ist g'nug, dass sich zwei Herzen nie vergessen ; Ein Blitz genug, die Zukunft zu ermessen, Von Gram und Leid ein weites Nachtgebiet. (Vs 581-586.) 63% SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. Im Liede legt er das Geständnis seiner Liebe ab : Er sang ein Lied voll tiefem Liebesgrame, Er pries die Rosenwangen seiner Dame Und jeden Reiz, der ihn entzückend quäle, Der Augen Glut, in welcher seine Seele Sich bang verzehrt und hoffnungslos versiegt. (Vs 513-517) Der Ruhm der « gepriesenen Unwiderstehlichen » wehte weit dureh die Provence : Doch Namen können dir’s nicht sagen, Wie sie gestrahlt im Tugendglanz Und in der Schönheit vollem Kranz. (Vs 3711-73.) Die schöne Adelheid ist dem Grafen Barral angetraut : Verwirrend war es, sie zu schauen, Die schönste, sittigste der Frauen, Ein Blick, dem Herzen selig bitter, Ins Paradies durch Eisengitter. (Vs 377-80. Still trägt der Sänger sein Leid, . doch oft bei Nacht, Wenn Mond und Stern am Himmel lacht, Wenn süssen Duft die Blumen senden, Als ob sie Liebe auch empfänden, Wenn im Gebüsch der Vogel ruft Den Sehnsuchtslaut in weiche Luft —- Da steht der Troubadour gebannt Und blickt zum Schlosse unverwandt, Wo Adelheidens Lichter brennen, Und Qualen fühlt er, nicht zu nennen. (Vs 695-664.) SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. = ww or Es sind die Qualen der Eifersucht : Da reisst ihn fort die Eifersucht Von Bild zu Bild in heisser Flucht; Sie lüftet ihm des Schlosses Mauern, Ins Innre ist sein Blick gedrungen, Er sieht, wie Barral sie umschlungen;; Da fasst sein Herz ein wildes Trauern, Abscheu un. grimmiges Beneiden. (Vs 665-674.) Schmerz und Wonne toben in seinem Herzen, als ein Blick von ihr ihm ihre Gegenliebe gestanden : Und Fulco rang mit heissen Schmerzen, Zugleich mit Wonnen, schwer zu tragen; Weh dir, wenn sich in deinem Herzen Der Himmel und die Hölle schlagen! Er hat in ihrem Blick erkannt, Dass ihm ihr Herz sich zugewandt, Doch auch, dass jede Hoffnung schwinde Und nie sein Herz Erhörung finde. (Vs 595-602.) Ebenso spärlich wie die Liebesdiehtung des Jahres 1839 in Versen ist die in Prosa. Sie beschränkt sich auf fünf Liebeszettel und stockt vom 30. Juni 1839 bis zum 25. Fe- bruar 1840. Am 15. Februar 1840 konnte Lenau seinen lang gehegten Wunsch einer Reise nach Stuttgart in Begleitung des Grafen Alexander ausführen. Das « Element ausgezeichneter allgemei- ner Achtung », in dem er in Stuttgart lebte, hatte « etwas sehr Erheiterndes und Förderndes ». Wäre Sophie nicht, so bliebe er ganz in Württemberg (44). Die Wiener hingegen nennt er ein « geist- und gedankenloses Gezücht », das sich kaum je um etwas kümmere, was über materiellen Genuss und Glanz hinausgehe. Die Wiener Damen wüssten nicht einmal von der 636 SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. Existenz eines Savonarola, geschweige, dass sie ihn gelesen ('). Wie ganz anders waren die Schwäbinnen. Die sahen in ihm das Ideal eines Diehterbildes, bewunderten die stolze, hohe, wundersam gemeisselte, edle, ja königliche Stirne, von der es leuchtete wie eine Flamme in Alabaster, in der Leiden- schaften und Denken Furchen gezogen, die dunklen, mächtigen, geistleuchtenden Augen, die etwas Sehauerliches, Überwälti- gendes und Holdes zugleich hatten, die Lichtpfeilen gleich ins Herz hineindrangen und elektrisierten, Vergangenheit und Zukunft erfragten und wie prophetischen Blicks auf nur ihnen sichtbare Sonnen geheftet waren, die wohltuende, langsame, musikalisch verklärte Rede, die durch den Anflug von öster- reichischem Tonfall etwas so ganz besonders Herzliches hatte. Wie vor einer Weihnachtsfreude klopfie Emma von Suckow das Herz, als sie Lenau am 25. Februar zum ersten Male sehen sollte, nur schüchtern wagte sie es, ihn bei der ersten Begeg- nung anzusehen. Wo sie ihn sah, ihn hörte, fühlte sie immer den Genius nah. Der eine Mann war ihr das Herz, die Melodie von Deutschland. Der Zauber, der von seinen Poesien aus- strömte, drängte sich in seiner Persönlichkeit zur grössten Macht zusammen (?). « Wiederkommen! » hatte Sophie dem Geliebten im letzten Augenblicke der Abfahrt aus Wien zugerufen. Seit der Lieb- schaft mit Karoline Unger quälte sie stete Angst, ihn zu verlie- ren. Mächtig ward ihr Selbstvertrauen erschüttert, mehr als notwendig, denn die Zettel aus Stuttgart zeigen Lenau wieder ganz im alten Bann. Lieber als in Württemberg frei zu leben, will er bald wieder zu ihr, « ins Gefängnis », zurückkehren. Sie ist sein « einziges Leben » (488). Die Trennung von ihr macht ihn zu einem traurigen Stückwerk (483). So lange er in Stuttgart ist, ist sie nicht aus seinen Gedanken gewichen. Der Anfangsbuchstabe ihres Namens drängt sich ihm unwillkürlich (1) Lenau und Löwenthal, S. 115. (2) E. NiENDORF, S. 2. 3, 4, 9, 10, 14, 13. SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE, 637 heraus, so oft er eine seiner dortigen Freundinnen nennen will. Glücklicherweise fasst er sich sogleich, doch weiss er dann nicht, was er mit dem S, das einmal heraus ist, anfangen soll, und Emilie stutzt über das unbegreifliche Zischen. « O Herz! ich bin dein bis ins Äusserste meiner Lebensdauer hinaus und bis ins Innerste meines Wesens; recht eigentlich in dir getränkt » (485). Die « wichtigste Angelegenheit » in Stuttgart waren ihm nicht seine Werke, sondern der « Wiederaufbau deines Vertrauens ». Die « Korrektheit » seiner Bücher lag ihm weniger am Herzen als die Rücksicht, Sophie Wort zu halten, das heisst schleunigst « ins Gefängnis » wiederzukehren (485). Da helfen alle Beethovensonaten, die er vollendet schön hört, alle Huldigungen der Stuttgarter Damenwelt, alle Bitten der guten Emilie, dass er länger dort bleibe, nichts. Am 2. März begleitet er wieder seinen Freund Alexander auf seiner Rück- reise nach Wien. In die Heimat zurückgekehrt, fand er dort alles im alten, d. h. schlechten, schmutzigen Gleise. Die Massregeln der Zensur wurden immer drückender, die Brutalität der Aristo- kraten immer frecher (666), die Materie machte sich in Wien so breit wie anderswo nirgends (670). Im Mai 1840 gab Karoline Unger ein Gastspiel in Wien, am 9. dieses Monats sah Lenau sie nach der Theatervorstellung wieder. Bei dieser Zusammenkunft soll sie eine letzte Hoffnung ausgesprochen haben, die Lenau zurückwies, indem er « das Verhältnis einer aufrichtigen und resignierten Freundschaft » für immer fest- stellte. Sie zeigte dabei « keine Spur von Groll oder verletzter Eitelkeit » (41), war « verständig, angenehm und liebens- würdig » ('). Trotzdem hatte Sophie ihn nun wieder ganz allein, teilte sein Herz mit niemand (490). Das Wiedersehen mit Karoline bewog Lenau, seiner einzig Geliebten im Monate Mai neue schriftliche Zeugnisse seines unabänderlichen Entschlusses, nur ihr zu gehören, vorzulegen. Er beteuert, das Gewisseste, (!) Lenau und Löwenthal, S. 127. 638 SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. was er wisse, sei, dass er sie liebe mit unabwendbarer Seele. « Die Schranken stehen unverrückbar. Mein Leben war noch niemals mit solcher Entschiedenheit dir geweiht wie jetzt. Darfst du auch nicht mein werden, so liebst du mich doch, und du bist die beste, schönste und tiefste Seele, die ich kenne. Ich bin doch reich durch dich und bleibe dein » (489). Von tra- gischer Ironie triefen diese Schwüre über: « Du kommst doch nicht durchs Leben ohne mich, wie ich nicht ohne dich » (489). Durchtränkt sind die Zettel vom 6. bis 24. Mai von der Mahnung, nicht mehr zu zweifeln, zu vertrauen. Als den schönsten Tag seines Lebens erwartet der Betörte den, an welehem Sophie ihm sagen werde : « ich glaube wieder ganz an dich » (489). Die Dichtung eilt der Prosa zu Hilfe, um die misstrauische Sophie, die in diesen Tagen das bewährte Spiel mit dem Sterben wieder aufnahm (495) (t), zu beruhigen. In der Nacht vom 9. Mai, unmittelbar nach der Unterredung mit Karoline, dichtet Lenau in einem Zuge die Verse Kommen und Scheiden, Liebesfrühling und Frage nicht. Sie finden sich in der Hand- sehrift auf ein- und demselben Briefbogen, der « 9. Mai in der Nacht » überschrieben ist. Das Gedicht Kommen und Scheiden (25) gipfelt in der Beteuerung, dass eine Trennung von Sophie den Verlust seines « besten Gutes » (489) bedeute. In der letzten Strophe : Und als Lebwohl sie winkte mit der Han!l, War’s, ob der letzte Jugendtraum mir schwand, hat der Dichter ein Bild festgehalten, das ihn stets in Stuttgart verfolgte. « Unaussprechlich schön » war ihm Sophie in der Trennungsstunde des 15. Februar erschienen, als sie ihm nachrief : « Wiederkommen! » (488). Die unzähligen Klagen der Briefe über Trennungen, es mögen monate-oder stunden- lange sein, erscheinen auch in den Zetteln aus dem Mai 1840, (4) Vergleiche S. 617 dieses Werkes. SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. 639 so in denen vom 8. und 9.; letzterer klagt zugleich über die störende Hausglocke, die eine schöne Morgenstunde ausläutet, und über die durch die bevorstehende neue Schwabenreise bedingte längere Trennung. E. von Niendorf meint in ihrer Einfalt (S. 43), das Gedicht sei an ihre Schwester Agnes von Galatin, die Lenau erst am 31. Mai in Stuttgart kennen lernte, gerichtet. Eine Neigung ihrer jüngeren, schwindsüch- tigen Schwester für den Dichter lässt sie genügend durch- blicken. Wenn Lenau diese auch die « liebe Gestalt » nannte, so sind wir über den Eindruck, den sie auf ihn machte, durch sein eigenes Zeugnis unterrichtet, auch « nicht ein Halm in dem bewussten Strohmagazin » sei durch die Agnes und die anderen Stuttgarter Schönheiten entzündet worden (679). Liebesfrühling (206) mag eine Erinnerung an den Spazier- gang mit Sophie und ihren Kindern « an jenem herrlichen Frühlingsabend auf dem Gartenberg bei Hiezing » sein, dessen Lenau im Briefe an Sophie aus Stuttgart vom 30. Mai gedenkt (672). Es war ihm oft in dieser Zeit gegeben, der « Liebe Licht im schönsten Angesicht » (Vs3 f.) zu sehen, denn der Mai 1840 war ein fast ungetrübter Wonnemonat der Liebe, Sophie strömte von Liebeswürdigkeit über, sie bereitete dem Geliebten eine Reihe von schönen und immer schöneren Stunden. Den engsten Zusammenhang mit den Zetteln aus dem Mai 1840 weist das Gedicht Frage nicht (26) auf. Wie sehr ich dein, soll ich dir sagen ? Ich weiss es nicht, und will nicht fragen ; Mein Herz behalte seine Kunde, Wie tiefes dein im Grunde. Ich bin dein und bleibe dein, schwört Lenau am 6. Mai (489). «Du allein hast mich », erklärt er am 8. (490). Die zweite Strophe : Ö still! ich möchte sonst erschrecken, Könnt ich die Stelle nicht entdecken, Die unzerstört für Gott verbliebe Beim Tode deiner Liebe 640 SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. umschreibt er im Zettel vom 13. Mai ’ « Gewiss, Sophie! du bist mir notwendig zum Leben, es wurde mir bei dem Gedanken an deinen Verlust stockfinster vor den Augen, und ich spürte schon den Ansatz der Verzweiflung in meinem Herzen, die dann mein Los wäre » (495). Er wiederholt dabei ein Bekenntnis vom 10. August 1836 : « Wenn ich dich verlöre, könnte mich Gott trösten ? » (85). Der -« allerseligste Abend » vom 24. Mai entlockt ihm die Bekräftigung, in solchen Stunden müsse Sophie doch ganz und fest fühlen, dass er und sie zusammengehörten und eigentlich eins seien (46). Noch einmal besang Lenau die Wonne ‚dieses Frühlings in dem Gedichte Frühling (365) (Die warme Luft...), das Sophie als « in der Johamisgasse im Mai 1840 » entstanden angibt. Den herrlichen, wonnetrunkenen Versen merkt man die glü- hende innere Erregung an, deren Ausdruck der Dichter in der endgültigen Fassung dämpfte, wenn er die Verse einer Hand- schrift : Es wogt die Liebe um mich her, Ich walle durch ein Wonnemeer strich. Inneres Erlebnis sind auch die Verse : Ich möchte fort und möchte bleiben, Es fesselt mich und will mich treiben. Er ist unschlüssig, ob er in Wien bleiben oder nach Stutt- gart ziehen soll. Rauschend ist der Himmel auf ihn nieder- gebrochen (Vs 28), und in den Schlussversen : | O Frühling! trunken bin ich dein! O Frühling! ewig bist du mein! strömt die Empfindung für Sophie durch und die erneute Beteuerung unverbrüchlicher Liebe. So stempelt auch der Zettel vom 2%. Mai das Verhältnis als ein unvergängliches. « Noch in unserm Alter werden wir’s erleben, dass eine reiche und himmlische Leidenschaft in unsern Herzen für einander auf- flammt. O! es ist viel Unsterbliches in unserm Bündnis » (48%). SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. 641 Dies Lied sandte Lenau aus Stuttgart, wohin er am 23. Mai wieder in Gesellschaft des Grafen Alexander reiste, an Karoline Unger. Er muss es ihr im Mai vorgelesen haben, vielleicht an jenem Abende, den er in Gesellschaft des jungen Constantin Wurzbach bei ihr verbrachte, und den dieser in einem Briefe an Frankl (S. 73 ff.) schildert. Der Mitteilung des Gedichtes geht nämlich die Bemerkung voraus : « Hier das gewünschte Lied, möge es Ihnen noch gefallen! » Wohlweislich sin in der Karoline gesandten Abschrift die Verse : Es wogt die Liebe um mich her, Ich walle durch ein Wonnemeer, die sich in der Sophie überreichten Handschrift finden, unter- drückt. Der einzige uns erhaltene Brief Lenaus an Karoline ist leider nur Bruchstück. Castle datiert ihn in seiner Aus- gabe (661) : Wien, Februar 1840, mit Fragezeichen. Lenau selbst bezeugt (6s2), dass er den Brief in Stuttgart geschrieben und gibt in demselben auch seine dortige Adresse : « Stuttgart, bei Herrn Hofrat von Reinbeck » an. Das Schreiben ist in den zweiten schwäbischen Aufenthalt des Jahres 1840 (29. Mai bis 12. Juli) zu versetzen. Lenau erwähnt es in Briefen an Sophie vom 13. Juni und 5. Juli sowie in dem an Max vom 15. Juli. Bei der zweiten diesjährigen Fahrt nach Stuttgart war Sophie ihrer Sache gewiss, dass Lenau wiederkommen würde (197). Als er ihr jedoch von den interessanten neuen Damenbekannt- schaften erzählt, die er in Schwaben gemacht, erwacht wieder ihre Eifersucht, sie klagt, dass der Geliebte neuen Bekannt- schaften nachhänge und sich von ihr entferne (500). Wieder muss er sie beschwichtigen : er sei zu alt geworden, als dass sein Leben noch einen neuen Kern ansetzen möchte, die Verbindung mit ihr gehöre zur innersten und gediegensten Substanz seines Lebens, die sich nicht durch die nächste beste Berührung mit neuen Bekanntschaften abstreifen lasse (677). Die Brücke zu seinem Herzen sei hinter ihr eingestürzt, und am Eingang stehe eine schwarze Tafel, worauf geschrieben sei, dass A 642 SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. er einmal verrückt war in dem Gedanken, ein Glück zu finden ausser mit ihr (199). Sophie mutzt ihm das Rauchfässlein auf, das ihm in Schwaben von den schönsten und aristokratischsten Händen geschwungen wird, befürchtet, es möchte narkotisch auf ihn wirken, worauf er antwortet, die überaus trefflichen Zigar- ren, die er dort rauche, könnten leichter seinen Kopf betäuben und dem bewussten « Strohmagazin » gefährlich werden als die weiblichen Huldigungen (679). Trotz der wiederholten Beteuerungen, Sophie sei und bleibe sein Liebstes, sein Ein- ziges (502), ist es jedoch bezeichnend genug, dass er zunächst die lange Trennung vom 25. Mai bis 25. September geduldig erträgt und in den vier Monaten nur sieben Liebeszettel an sie schreibt, somit beträchtlich weit zurückbleibend hinter seinem mündlichen und schriftlichen Versprechen, er werde ihr jede Stunde, d. h. jede Stunde, die es wert sei, ihr geweiht zu werden, einen Zettel schreiben (496). Freilich bedenkt er sie mit desto mehr Briefen, die ihr Gatte mitlesen konnte, aber diese waren ihm als lebendige Mahner an das « zwangvolle und verfehlte Leben » eigentlich immer unlieb und ein Opfer (505). Zahlreich genug waren die Stunden, die einer Weihe wert, denn das Leben in Schwaben war auch diesmal wieder ein fast ununterbrochenes Freudenfest. Die schwäbischen Freunde rissen sich wieder um Lenau; abwechselnd wohnte er bei den Rein- beeks in Stuttgart, bei Kerner in Weinsberg, beim Grafen Alexander in Serach. Grosse Gesellschaften wurden ihm zu Ehren veranstaltet, Vergnügungen aller Art, Reiten und Jagen und namentlich seine geliebten musikalischen Unterhaltungen, in Fülle geboten. Eine interessante Bekanntschaft verdrängte die andere. Jedoch ohne Sophie ist alles nichts (501). Zu dieser Zeit kam er auf den Gedanken, Sophie hoch vor allen auszuzeichnen durch die Widmung seiner dereinstigen gesammelten Schriften. Von ihr habe er doch das Beste und Meiste ‚gelernt, daneben von Beethoven, dem Meer und dem Hochgebirg (675). Auch bittet er sie, den Faust und den Savona- SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. 643 rola in Anbetracht der bevorstehenden Neuauflagen zu prüfen und ihm anzugeben, was sie in beiden Dichtungen anders wünsche, was darin weg oder vielleicht hinzukommen solle. Er verlange durchaus keine Gründe für ihre Bemerkungen, der Ausspruch ihres feinen und sichern, so oft als Leitstern erprobten Gefühls genüge ihm (672). Beides, die erbetenen Rezensionen sowie die Widmung, sagte sie « unfreun.lich » ab (6s1), sie antwortete ihm, als seien seine « Bände — Nüsse », und enttäuschte sogar seinen Mindestanspruch auf eine ernste, feierliche Entgegnung, da doch seine Schriften — weil er für Taten keinen Raum finde — sein sämtliches Leben seien (685). Abermals habe er sich einen schmerzlichen Beweis zugezogen, wie wenig sie an ihn glaube (686). Am 11. Juli reiste er nach Ischl, um der dort weilenden Karoline Unger seine an sie gerichteten Briefe abzufordern. Überaus wohl war ihm zu Mute, als er den « dummen Streich maustot geschlagen » (ss2). Nun hat er die Briefe, « Gott sei gelobt, ihm sei getrommelt und gepfiffen! » (684). Kalt, ja spottlustig berichtet er über die endgültige Lösung des Verhält- nisses zu Karoline und diehtet um diese Zeit die neuen Faust- verse : Ich will kein Weib als Braut umschlingen... (Faust, Vs 680-697.) Die Stimme der Vernunft, die sein Hohnlachen nicht zu ersticken vermag, erklingt tragisch in dem Bekenntnis, das er am 29. Juli, dem Tage des letzten Zusammenseins mit Karo- line, Sophie ablegt : « Ich muss meine Lage noch preisen, dass sie mir nicht die Ruhe gönnt, es ganz auszudenken, wie so gar ich alles versäumt und verloren (1) habe, was mir in diesem Leben getaugt hätte » (502). Am 10. August reiste Lenau, da Sophie nicht nach Ischl (4) Über diesen Lieblingsausdruck Lenaus siehe S. 554 dieses Werkes (Fuss- note). 64% . -SOPHIEGEDICHTE. — 7. REIHE. kam, wieder nach Stuttgart, um das Geschäftliche bezüglich er vierten Auflage der Gedichte und der zweiten der Neueren Gedichte abzuschliessen. Dort fand er ein « schwindsüchtiges Brieflein » von Sophie zu seinem Geburtstage (13. August) vor, am Kopfe dessen auch die gewohnte, von ihr gemalte Blume fehlte. Ironisch dankt er für diese « sinnig schweigende Anspielung » auf sein « ödes Leben » (688). Wie Sophie ihn bei seiner am 26. September erfolgten Ankunft in Wien empfing, erfahren wir aus einem « Wien, 5. Oktober abends » datierten Schreiben an sie, dem einzigen des letzten Viertel- jahres 1840. Sie plagt ihn mit « immer häufiger wiederkeh- renden Schnödheiten ». Sie versteift sich darauf, nicht mehr an ihn glauben zu können. Denkbar scheint ihr ein völliges Erkalten, Abscheiden seines Herzens. Trotzdem gestattet sie sich oft ein Benehmen gegen ihn, wie es nur von der grössten Zuversicht in ihrer mutwilligsten Steigerung eingegeben wer- den mag. Sie zeigt oft ein « auffallend herbes und verletzendes Wesen », ein Betragen, « wie man pflegt, wenn Worte und Mienen nieht mehr unter der Hut einer zarten Achtung ste- hen » (504). Tief blicken lässt die Mitteilung an Emilie, dass er auf der Suche nach einer anderen Wohnung als die bei den Löwenthals sei, weil er freundlicher und erheiternder Aussen- dinge bedürfe, um zu einer gedeihlichen Arbeit zu kommen (694) . — Mit aller Gewalt wachte der « alte Hypochonder » wieder in ihm auf. Er hatte öfter « bedeutende Anfälle ». « Mein Kern ist sehwarz, er ist Verzweiflung », klagt er am 2. November Max Löwenthal und am 16. : « Ich bin der unglückseligste der Menschen. In die Zukunft mag ich gar nicht schauen, sie ist grauenvoll » (1). Es wollte ihn gemahnen, als hätte er auf Erden nichts mehr zu tun, und als er erfuhr, dass Gervinus ihm einen baldigen Zusammenbruch und Tod prophezeit, wünschte er, Gervinus möge recht haben (697). (1) Lenau und Löwenthal, S. 160 f., 163, 164, 165. —[222. LU Aus der Albigenserzeit. 2. Teil. — 1840. Die Albigenser. — Der einsame Trinker. — An Agnes. — Gutenberg. — In Emma Niendorfs Merkbüchlein. — Einem Gemütskranken. — An die Alpen. — Der Pechvogel. — Einem Dichter. — Das Kreuz. — Naturbehagen. — Trinksprüche. — Der Unhold. — Beethovens Büste. — Wer seine Jugend überlebt. Wenn auch im Jahre 1840 Lenaus Hauptarbeit wieder den Albigensern galt, so ist daneben doch die Lyrik etwas reich- licher vertreten als im Jahre 1839. Der « fortschreitenden Albigenser » gedenkt Max Löwenthal am 11. Januar (*). Am 16. sendet Lenau Emilien den 22. Gesang : Des Wandrers Gruss. Ende Februar las er mit Widerwillen aus dem Epos in Stuttgart vor, weil er sich dachte, dass es ihn vielleicht gar für immer von Sophie, der die Dichtung missfiel, trennen könnte. Er glaubte, dass deshalb auch aus dem Epos nie etwas Rechtes werden könne, und dass es ihm nicht gelingen werde, es zu einem Ganzen abzurunden (484). Am 13. März schickte er Arnold Ruge für den Deutschen Musenalmanach den einleitenden Nachtgesang (665). Am 6. April erklärt er Eduard Duller, weshalb die Albigenser kein Ganzes werden können, und reimt diese Ansicht folgendermassen (670) : Wieder ist es, ach! kein Ganzes, Sträusslein nur statt eines Kranzes, Ohne Rundung, Schluss und Naht, Nur ein loses Aggregat, Wie die gänzlichen Pedanten Meinen Florentiner nannten. (4) Lenau und Löwenthal, S. 445. 646 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. Wir überschreiben die Verse Die Albigenser; sie dürfen nicht mit späteren ‚gleichbetitelten verwechselt werden. Am 30. August erfährt Max Löwenthal, mit der Herausgabe der ganzen Dichtung habe es noch Zeit (689). Von der Weiterarbeit hört Emilie am 29. November sowie vom Auffinden eines hübschen Motivs zu einem neuen Gesang : Das Vogelnest (696). Das ist alles, was wir im Jahre 1840, ausser den Mitteilungen von E. Niendorf (S. 25, 33) bezüglich des Vorlesens einzelner Gesänge in Stuttgart, über das Epos erfahren. Einen « festen Stand » glaubte Lenau im Wonnemonat des Jahres 1840 gewonnen zu haben, einen Stand, von dem aus er « den Geschicken trotzen » und froh in die Zukunft, « ins ferne Land », blicken konnte. Dieser Zuversicht gibt er Ausdruck im Zyklus Der einsame Trinker (560), dessen Entstehung Sophie in die Johannisgasse versetzt, und den Schurz in seinem Exemplar genauer in den Mai 1840 verlegt. Lenau nahm das Gedicht am 25. Mai mit nach Stuttgart und übergab es sofort nach seiner Ankunft dem Morgenblatte, wo es am 20. Juni im Erstdruck erschien. Wie die Liebesgedichte an Sophie aus dem Monate Mai ist auch dieses in « stiller Nacht » (II, Vs 3) gedichtet. Das Jahr 1840 zeichnet sich überhaupt durch solche Nachtdichtung aus. Der Keim liegt in einem Gespräche mit Max Löwenthal vom 13. März 1840, das sich auf die Menzelsche Besprechung eines Buches des D" Duttenhofer über Seelenstörungen bezieht (!). Lenau äusserte dabei, der Rausch sei eine wahre Naturoffenba- rung, der Wein die geistvollste der Pflanzen : Wenn im Wein Gedanken quellen. (1, Vs 9,) Rebe, teures Gut ! Seelenvolle Ptlanze! (UI, Vs 31 £.) (4) Lenau und Löwenthal, S. 125. AUS DER ALBIGENSERZEIT. 2. TEIL. 647 Das Mysterium des Rausches, sagte Lenau ferner, verstanden die Griechen gar wohl und fassten es schön in ihrer Dionysos- mythe auf. Daher sei Dionysos ein Gott des einzelnen, des Indi- viduums, während der Apollodienst der Allgemeinheit gelte. Dionys in Vaterarme Mild den einzlen Mann empfing, Der, gekränket von dem Schwarme, Nuch Eleusis opfern ging. (1, Vs 13-16.) So schlürfte der Hellen Die Lust des Erdenpfades, Sah-er vorübergehn Als Schatten sich im Hades. (II, Vs 21-4.) Wenn der Dichter auch hier in seiner einsamen Stube nach dem Geier und dem Totenkopf seinen Schatten andichtet, so darf das Gedicht inhaltlich nicht mit dem Hagestolz und dem Geierliede in Verbindung gebracht werden. Der übermütige Ton hat diesmal nichts Düster-Schwermütiges, vielmehr etwas Hoffnungsfreudiges und Tatenlustiges : Soll für Recht und Licht Andres Blut einst liessen, Ninder freudig nicht Will ich meins vergiessen. (IT, Vs 33-36.) So schliesst sich auch die Anspielung auf das Altern (III, Vs5-8) nieht an die pessimistischen Stellen der Briefe an Sophie an, wo Lenau dieses als ein hoffnungsloses Verwelken bezeichnet, sondern an die späteren Äusserungen, in denen er sich frisch- fröhlich über das Altwerden hinwegsetzt (469, 575). Er ver- gleicht sich im Gedichte mit einem Berg (Il, Vs 9 ff.), dem der Sturm und der Herbst nichts von seinem « Felsenkerne » hinwegnehmen könne. — Recht gelungen ist die poetische Nachdichtung und Erwiderung des Grafen Alexander auf diese 648 AUS DER ALBIGENSERZEIT. 2. TEIL. Trinklieder Lenaus (!). Alexander, meint Kerner, hat darin « den Niembsch wie beschworen » (?). Auch J. N. Vogl ahmte das Gedicht nach in seinem : /ch und mein Schatten (?). A. von Berger (?) führt die drei letzten Strophen von N" 3 zur Rechtfertigung von Grillparzers Vorwurf gegen Lenaus Lyrik an, dass oft in ihr das Ganze falsch abschnappe, und irgend ein fern Herbeigeholtes oder Wunderliches dasjenige, was wir bis dahin für gedacht und empfunden gehalten hatten, zur hohlen Grübelei stempele (). Zwanglos schliesst sich der Vergleich mit dem « hohen Angesichts ins Ferne blickenden Berg » an das Vorhergehende an, und alles andere als « hohle Grübelei » sind die vom Geiste der Albigenser durchtränkten, Lenaus Wandlung so scharf kennzeichnenden Schlussverse, die seine Opferfreudigkeit im Kampfe « für Recht und Licht », im Einklang mit dem Briefe vom 28. März an Arnold Ruge (667), offenbaren. Der zweite Stuttgarter Aufenthalt Lenaus im Jahre 1840 (29. Mai bis 12. Juli) gab Anlass zu einigen Gelegenheitsversen. Am 6. Juni übergab er dem Fräulein Agnes von Galatin für ihr Stammbuch die Verse An Agnes (358). « Wahr seien sie wenigstens, sagte er; es hätte lange in ihm geschwiegen, sie habe ihn wieder zum Gedichte begeistert » (°). Den hier verherr- lichten Gesang dieser Agnes rühmt der Dichter in einem Briefe an Sophie vom 13. Juni 1840 (675) und versicherte am 5. Juni Emma Niendorf, dass nichts ihm darüberginge. Emma Niendorf (4) Auf Lenaus einsamen Trinker. ALEX. GRAF VON WÜRTTENBERG, Sämtliche Gedichte. Reclams Universalbibliothek 1481-1483, S. 251 ff. (2) Kerners Briefwechsel, N" 596. (#, J. N VocL, Gedichte, S. 48. (+) Wie Grillparzer über Lenau dachte (GRILLPARZER JAHRRUCH, XII, 9). (%) GRILLPARZER, Studien zur deutschen Literatur. Werke XIV, 131. An keines der von Berger als Belege angeführten Gedichte : dies Triuklied und Das Ross und der Reiter hat Grillparzer bei seinem Vorwurf gedacht, da seine kritik : 7. Januar 1834 datiert ist. (6) E. NIENDORF, S. 24. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. 649 beeilte sich, das Gedicht J. Kerner mitzuteilen (?). Die dritte Strophe der ursprünglichen Fassung unterdrückte Lenau in der Ausgabe von 1840, weil ihm die Reime « wunderbare » und « Augenpaare » nicht gefielen (?). Es ist wahrscheinlich auch um diese Zeit, dass er Agnes’ Schwester die paar Verse ins Album schrieb, die sie uns (S. 73) aufbewahrt : Iı Emma Niendorfs Merkbüchlein (515). Ein anderes Gelegenheitsgedicht, Gutenberg, (358) schrieb Lenau Ende Juni, bei Anlass des am 2%. Juni 1840 in Stuttgart gefeierten Gutenbergfestes, das er in einem Briefe an Kerner vom 21. Juni (678) und in einem an Sophie vom 27. Juni (679) erwähnt. Falsch ist Schurzens Meldung (l, 315), diese Verse bildeten Lenaus Beitrag zu dem von Reinbeck herausgegebenen Schilleralbum. Dieser Beitrag bestand in dem Gedichte An die Biologen. Das Gutenberggedicht schrieb Lenau für das « Album deutscher Schriftsteller zur vierten Säkularfeier der Buchdruk- kerkunst » (?). Der im Einsamen Trinker erwähnte Kampf der Menschheit für « Recht und Licht » wird hier wieder als Der Menschheit altes Gefecht Um Freiheit, Licht und Recht bezeichnet. So brieht immer wieder die Albigenserstimmung durch, auch sehr einleuchtend in der neuen Faustszene Das Wald- gespräch, dıe Lenau im Hinblick auf die notwendig gewordene zweite Auflage in den Tagen des 16. bis 19. Juli in Aussee dichtete. Wenn er am 2. August an Sophie schreibt, Mephisto- pheles habe einige tiefere « Evolutionen des Bösen » gemacht, und Fausts Stellung zum Christentum sei schärfer gezeich- net (686), so ist damit die antichristliche Entwickelung des (4) Kerners Briefwechsel, Nr 518. (2 E. NıENDORF, S. 9. () Hrsg. von Dr Karl Haltaus. 1810. Fest’sche Buchhandlung, leipzig. — Ein zweites Gutenbergalbum gab D* H. Meyer 4840 in Braunschweig heraus. 650 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. Dichters selbst gemeint, und nicht nur Faust, sondern auch Mephistopheles spricht i in der Szene Das Waldgespräch aus dem Munde des Dichters. Die lange Rede Mephistos (Vs 2357-2394) stimmt im Kerne überein mit einer Äusserung Lenaus vom 26. März 1840 Max Löwenthal gegenüber : « Das Christentum ist keine volkstümliche Religion. Es ist den germanischen Völ- kern von aussen aufgedrungen. Nur jene Nation aber kann gross und glücklich sein, die sich und ihre Religion aus sich selbst heraus entwickelt, wie es die Griechen taten. Keineswegs hatten sie, wie du (!) sagst, für jede Leidenschaft und jedes Laster einen Gott. Wohl aber erkannten sie das Göttliche in jeder menschlichen Regung und sogar Verirrung. Sie sahen den Gott überall, während die Modernen (Hegelianer) das Göttliche nur in sich selbst wollen gelten lassen » (?). Vom inneren Sträuben des Dichters gegen die volle Anerkennung Hegels zeugen auch die Worte, die er Mephistopheles im Waldgespräch in den Mund legt : Mein Faust, ich will dir einen Tempel bauen, Wo dein Gedanke ist als Gott zu schauen. Du sollst in eine Felsenhalle treten Und dort zu deinem eignen Wesen beten. . . . . . . . . . . . . . . Doch sieh dich vor, dass du nicht wirst zum Spotte! (Faust, Vs 2401-44, 2411.) Anklänge an Die Albigenser bringt auch der die Verschrei- bungsszene bereichernde neue Auftritt zwischen Faust und dem Mönch. Auch Faust singt, nachdem er sich von der Kirche Be das « Unkenlied des Zweifels » (Vs 327-362), das . a. die Frage der Albigenser, ob die Welt nur ein « buntes Spielgeräte » eines Gottes sei, wiederholt (?). (4) Max Löwenthal. (2) Lenan und Löwenthal, S. 126. (8) Faust, Vs 345-348. — Die Albigenser, Vs 1804-1804. AUS DER ALBIGENSERZEIT, 2. TEIL, 651 Ursprünglich für den Faust bestimmt scheint das Gedicht Einem Gemütskranken (1). Die erste Fassung, die uns in einer Abschrift von Sophie vorliegt, auch in einer von M. Koch (I, 375) eingesehenen Handschrift, ist Erregbarkeit überschrieben, und in der ersten statt in der zweiten Person gehalten : Seitden ich mit den höchsten Mächten... Gut lassen sich die Verse in Fausts Tod, nach Vs 3285, einreihen ('). Dort leiten sie übrigens eine im Jahre 1840 neu gedichtete Stelle ein (Vs 3280-3304). In Ischl, anfangs August, war Lenaus Geist « in beständigem Produzieren », und der von herrlicher Gebirgsluft angefachte Körper liess jenen nieht im Stieh (sse). Mit diesem Schaffen meint er die bereits im Juli in Aussee begonnene Umarbeitung des Faust, die weniger in Änderungen als in Zusätzen besteht. Über 300 Verse, die zu dem Besten gehören, was Lenau geschrieben, dichtete er hinzu (?2), und die bedeutende Arbeit ward so bald fertig, dass die zweite Ausgabe bereits am 7. Sep- tember gedruckt vorlag. Am 8. August überreichte Lenau seinem mit ihm in Ischl weilenden Freunde Fr. von Scharschmid das Gedicht An die Alpen (564). Dieses Datum verzeichnet der Empfänger in der Handschrift. Auch ohne diese bestimmte Angabe könnte das in der Ausgabe von 1840 erschienene Gedicht nicht anders als in den Ischler Aufenthalt dieses Jahres versetzt werden. Mehrfach ist aus den gleichzeitigen Briefen der Ausruf : Alpen, o wie stärkte mich die Rast, (Vs 37) () Ich teile hier die Vermutung Reynauds : Thöse auxiliaire, Nr 268. (2) Vs 269-354, 680-697, 712 745, 752-775. 2181-82, 2197-2200, 2227-28, 2245-9250, 2253-56, 2311-16, 2325-30, 2331-2452, 2977-2980, 3052-85, 3786-3302. — « Schmun- zelnd » versicherte er im Oktober M. Hartmann, dass er den Faust « mit manchem Schönen vergrössert ». Briefe aus dem Vormärz hrsg. von F. Wittner. Prag, Calve, 1910. S. 76. 652 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. zu belegen, so in dem an Sophie vom 2. August : « Die leben- dige Gebirgsluft Ischls bewährt sich an mir auch diesen Sommer aufs wohltätigste » (686), in dem an Emilie vom 20. Juli : « Also ich bin in den herrlichen Alpen... » (68%) und vom 2. August : « Die hiesige Welt ist ein Paradies... ich bin gottlob! gesund » (687). In Ischl hatte der Dichter sich ein « allerliebstes Quartierl » gemietet : « Aussicht auf die drei Hauptberge des Tals und unter meinen Fenstern die vorbei- rauschende Ischl » (684). Angenehme Gesellschaft, worunter die ergötzliche des Dichters von Feuchtersleben (683), unvergessliche Spaziergänge, schöne Wohnung und vortreflliche Verpflegung, « rasch und gesegnet » voranschreitende Arbeit (687) heben Geist und Gemüt. Wie Scheffels Ekkehard hat der Dichter sein Leid zu den Bergen hinaufgetragen (Vs %). Forschend schaut er der Natur ins Antlitz, ihr scheues Herz erschliesst sich ihm, denn er hat sie zum Höchsten erkoren (Waldgespräch). Nun enthüllt ihm die Natur auch das Geheimnis der Schöpfung und dles menschlichen Lebens : Schmerz und Liebe haben die Welt geboren, folglich sind Schmerz und Liebe des Menschen Teil, der dem allgemeinen Weltgeschick nicht feig ausweichen will. Wie an das Waldgespräch so schliesst sich das Gedicht auch an die damals neu hinzugedichteten Verse (3286-3303) von Fausts Tod an. Sein Ich, das hohle, finstre, karge, umschauert den Dichter nieht mehr gleich einem Sarge, er hat, erwacht, die Augen aufgerissen, die dumpfe Haft gesprengt, dem Starr- krampf wilder Eigensucht entsagt. Er fügt sich in sein los als Kreatur, findet sich freudig bereit, das Schicksal aller Kreatur zu teilen. Seitdem er des Unglücks heiligen Sinn geahnt (Vs 24), ertönt ihm die Luft nicht mehr « von dunklen Monologen », wie im Gedichte Täuschung, die einsamen Klagen verstehen, AUS DER ALBIGENSERZEIT, 2. TEIL. 653 was jede heimlich meint, jeder tiefe Schmerz bleibt kein Eremit auf Erden mehr, der Kummer verliert seinen Groll (Vs 22): Und aufhorchend ist des Menschen Herz Seiner eignen Klage still geworden. (Vs 49 £.) Wieder wird hier das Schubertsche Motiv des Heimwehs in der Natur angeschlagen (Vs 29-36). Die ursprüngliche Fassung der 8. Strophe in der Scharschmid überreichten Handschrift, auch in der Sophie übergebenen, lässt noch deutlicher Sehu- berts Lehre durchblicken : Heimweh ruft am Abgrund die Natur; Wo sie lässt die Erd in Freuden prangen, Schildert sie der Zukunft Träume nur; All ihr Herz ist Schnen und Verlangen. Wir wissen, wie bald die still gewordene eigene Klage wieder laut wurde. Der « frische Mut zu jedem Kampf und Leid », den Lenau « talwärts von der Höh getragen », bewährte sich nicht einmal den « Schnödheiten » Sophies gegenüber. Zwei Monate nach der Dichtung des Alpenliedes ist er « der unglückseligste der Menschen ». Das « herbe und verletzende Wesen » Sophies erweckt wieder das Bewusstsein, dass er alles versäumt und verloren hat, was ihm in diesem Leben getaugt hätte (502). Ein Stück des Lebens ward verträumt, Das beste Glück hab ich versäumt dichtet er, wahrscheinlich Anfang November, in der Selbst- schilderung Der Pechvogel (112). Drei Dinge hätte er wie H. von Kleist gern vollbracht : Gestanden einmal in der Schlacht, Ein holdes Weib als Braut umschlungen, Ein Söhnlein froh im Arm geschwungen. (Vs 10-12.) 654 AUS DER ALBIGENSERZEIT. 2. TEIL. Der Bund mit Sophie untersagte ihm die Erfüllung der zwei letzten Wünsche. Dem « unglückseligsten der Menschen », dem das « Glück feindlich allerwegen » (Vs 15), hätte das Schicksal die drei Wünsche gewendet zu drei Schlägen. Da es wie « eine steinerne Sphinx » in ihm liegt, da sein Kern schwarz und Verzweiflung ist (t), will er nicht seine Sohlen erhitzen, Um das Versäumte nachzuholen. (Vs 8.) Seine Furcht vor einer grauenvollen Zukunft (?) malt der Dichter aus in den wohl an sich selbst gerichteten Versen Einem Dichter (sıs). Doch gehst entgegen du dem Leide, Wo alles still wird um dich sein, Wo du dein Leid für dich allein Aufspielen wirst auf einer Heide; Wo du nach einem Wetterschlage Hinausblickst von der trüben Fläche, Dass er auf dich herunterbreche, Damit doch jemand nach dir frage. Die Erregung über die neue Spannung mit Sophie zittert durch. — Reynaud (°) versetzt dieses Nachlassgedicht in den Winter 1833/3% und führt zur Begründung eine Äusserung Lenaus Frankl gegenüber an, die gar keine Ähnlichkeit mit diesen Versen aufweist, sondern sich auf das Epigramm Gebil- dete Sprache bezieht. Von gleich tiefer Schwermut durchdrungen sind die Verse Das Kreuz (221), die wie Der Pechvogel den Herbst erwähnen. Scharf ist, wie in den gleichzeitigen Bekenntnissen, der Gegen- satz zur frohen Zuversicht des Alpengedichtes hervorgehoben. Verklärte dort der Dichter eine einsame, tiefe und wilde Kluft (4) Lenau und Löwenthal, S. 161. (2) Ebenda, S. 163. Siehe S. 644 dieses Werkes. (8) These auziliaire, N: 300. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. 655 zu einem « Gnadenbilde », so sieht er jetzt in diesem kruzifix- losen Kreuz nur das Sinnbild des in tausend Zügen rings in der Natur ausgebreiteten Grames, ihres Todesleidens. In diesen drei Gediehten vermute ich die « Iyrischen Sachen », deren Entstehung Lenau im Briefe vom 9. November Emilien Reinbeck meldet. Der’ Brief klagt übrigens über die « schlecht genug vergangene letzte Woche ». Der nächstfolgende Brief an Emilie vom 29. November kün- digt nebst der weiteren Arbeit an den Albigensern wieder die Entstehung von « einigem Lyrischen » an (6%). Hierüber sind wir näher unterrichtet durch das Gespräch mit Max Löwenthal vom 16. November. « In letzter Nacht habe ich bis 2 Uhr gearbeitet und drei Gedichte gemacht. In soleher Nacht kann man sich leicht bis zur Improvisation steigern. Das dritte Gedicht improvisierte ich förmlich. Ich schrieb es nieder, als ob mir jemand es diktierte » (!). Nähere Auskunft über dies « dritte Gedicht » gibt der Brief an Emilie vom 15. Januar 1841. « Hier erhalten Sie ein kleines Gedichtlein, das für Sie beson- ders interessant sein muss, weil ich den Stoff dazu aus Ihrem unvergleichlichen alten Waldbuch genommen habe. Auch mir ist das Gedichtlein deshalb besonders wert, und überdies wegen der Art, wie ich es gemacht. Es ist eigentlich improvisiert. Mich keinen Augenblick bedenkend, hab ichs in der Nacht hingeschrieben. Also hören Sie : Naturbehagen (46) ». Von Beobachtung des Tierlebens zeugt gerade ein Gespräch mit M. Löwenthal von 15. November 1840 (2). Das « unvergleichliche alte Waldbuch », das Lenau am 1%. März 1840 als eine reiche Quelle seines Vergnügens bezeichnet (666), mag ein Werk von J. Ch. Heppe über die Jagd (?) sein, das im Verzeichnis seiner im Reinbeckschen (!) Lenau und Löwenthal, S. 169. (2) Ebenda, $. 461. () J. CH. Heppe, Die Jagdlust oder die hohe und niedere Jagd nach allen ihren Verschiedenheiten in drey Theilen gründlich beschrieben und mit nöthigen Kupfern erläutert. Nürnberg bey Gabriel Nikolaus Raspe, 4783. 3 Bände, 656 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. Hause in Stuttgart am 8. Oktober 1846 befindlichen Bücher angeführt ist ('). Folgende Stelle daraus ist vermutlich Lenaus Quelle : « Die Tauchergans, grosser Taucher, gezöpfter Kneifer, Seerabe ist etwas grösser als eine zahme Ente, hat einen langen Hals, schwimmt fast allezeit über dem Wasser (?), tauehet aber auch bisweilen unter (°), um ihren Raub zu erhaschen... Sie halten sich in Europa an der Seeküste wie auch in Morästen auf und können mit den kleinen Flügeln sehr schnell auf der Oberfläche des Wassers fortfliegen » (Il, 331 E}: Schwer ist sicher festzustellen, welches die beiden anderen Gedichte dieser zweiten fruchtbaren Nacht des Jahres 1840 sind. Den Charakter der Stegreifdichtung weist mehr oder weniger gerade das in der Ausgabe von 1844 auf Naturbehagen folgende Gedicht Trinksprüche (47) auf, worüber uns jede Auskunft fehlt, dessen Kampfstimmung jedoch wieder an die Albigenser erinnert, an denen Lenau gerade damals weiter arbeitete, dann das Nachlassgedicht Der Unhold (sı0), dessen leicht hinge- worfene Verse auch wie Naturbehagen Mensch und Tier gegen- überstellen. Mit Trinksprüche hat Der Unhold den Charakter des Polemischen gemein. Ich vermute, dass das Gedicht auf den Wiener Humoristen M. @. Saphir (1795-1858) zielt, den Castelli in seinen Memoiren als das beste Modell zu einem Faun bezeichnet. Ecekigere Züge als die seinigen habe er nicht zum zweiten Male gesehen, Saphir selbst habe immer auf seine Hässlichkeit angespielt, obwohl er selbst nicht daran glaubte, der Maler Daffinger pflegte zu sagen : Saphirs Porträt kann ich in den Schnee p... (*). « Auf dem unreinen Tone seines (1) Werke V, 401-408. (2) So überm Wasser hinzuschweben. (Vs 2.) ($) Und plötzlich untertaucht der Rab. {V5:9.) (*) Aus dem Leben eines Wiener Phäaken. Die Memoiren des J. F. Gastelli neu herausgegeben von A. Saager. Stuttgart, R. Lutz, 0. J., 5. 315. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. 657 Gesichtes macht sich eine Nase breit und droht wie ein her- vorragender Felsen alle Augenblicke in das schwarze Meer seines Mundes zu stürzen und die Weissheit seiner Zähne zu beschämen » (!). Am 3. Dezember 1840 äusserte sich Lenau zu Max Löwenthal : « Saphir ist von allzu arger Gemeinheit. Das Beste bleibt, was Sternberg über ihn sagte. Er nannte ihn die alte literarische Wanze » (?). Eine ähnliche fruchtbare Nacht wie die des 15. November erhoffte Lenau am 16‘. « Ich will heute Nacht wieder dichten », sagte er zu Max (?). Nichts bezeugt jedoch, dass sich die poetische Stimmung in dieser Nacht wieder eingestellt. Mit dieser Stimmung, meint Lenau, sei es so wundersam wie mit den Schnepfen. Plötzlich seien sie da, und ebenso plötzlich wieder weg. Einen Dichter könne alles stören und aus der Stimmung bringen. Eine Fliege vermöge das (*). Bald jedoch kam die Stimmung wieder, denn im Spätherbst diehtete er nach einer Angabe, die er beim Erstdruck in der Wiener Zeitschrift (1842, Nr 2) macht, das herrliche Loblied auf Beethoven, Beethovens Büste (s5). Man erinnere sich seines Ausspruches vom 13. Juni 1840 : von Beethoven, dem Meer und dem Hochgebirg habe er das Beste und Meiste gelernt (675). Kurz nacheinander verherrlicht er das Hochgebirg und seinen über alles geliebten und verehrten Beethoven. Mit seinen Aussprüchen über Beethoven in Briefen und Gesprächen könnte man ein Büchlein füllen. Vom Jahre 1831 bis 1844 bilden sie eine stete Steigerung uneingeschränkten Lobes, warmer Verehrung, glühender Begeisterung. Aus dieser Fülle von Urteilen heben wir nur diejenigen hervor, die Parallel- stellen zum Gedichte bieten. Der äussere Anstoss zu diesem war die Schenkung einer Beethoven-Büste, die der Schrift- (1) A. GLASSBRENNER, Bilder und Träume aus Wien. Leipzig, Fr. Volekmar, 1836. II, 169. (2) Lenau und Löwenthal, S. 163. (®) Ebenda, S. 163. (*#) Ebenda, S. 163. 42 658 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. steller Gustav Ritter von Frank Lenau machte. Er meldet diese « überraschende » Schenkung Emilien am 24. Dezem- ber. « Die Büste ist überaus herrlich und mir eine wahre Lebensfreude. Auf meinen Ofen gestellt, ist sie des Morgens mein erster Anblick, und seit ich sie habe, geht es wieder vorwärts mit der Arbeit » (698). Schurz (I, 372) führt in die Irre, wenn er aus dem Jahre 1838 erzählt, die Beethoven- Büste habe auf einem Schubladenkasten neben dem Geier und dem Totenkopf gestanden; sie kam erst 1840 hinzu. Ein ähnlicher Bericht von Frankl ($. 48), der wie Schurz das Geiergedicht und den Hagestolz in Verbindung mit dem Beetho- venliede bringt, hat zur Vermutung geführt, letzteres sei im Jahre 1838 entstanden. Sophie hat sich zuerst täuschen lassen, als sie in ihrem Exemplar schrieb : « In der Johannis- gasse, 1. J. 1838 », eine Bemerkung, die Schurz in seinem Exemplar wiederholt. - Das Gedicht beginnt in den Handschriften und im Erstdruck gleich mit einem Danke an den Spender der Büste, der in der endgültigen Fassung erst in der zweiten Strophe erwähnt wird. Auf die Einleitung folgt in der dritten Strophe die Beteuerung, dass der Dichter Beethoven, nebst dem Urgebirge und dem Meere, « höchst als Meister ehre ». Strophe 4 und 5 sind weitere Ausführung dieses Gedankens. Der Vergleich der Beethovenschen Musik mit dem Sturme findet sich bereits im Briefe an Schurz vom 22. Juli 1831 : « Beethovens Geist trieb auch Dich fort, wie ein Sturm auf den bewegten Wogen des Gesanges... immer schneller, stürmischer fort » (64). Den Gedanken, dass das grosse Herz Beethovens ihm Wecker eines Mutes ist, der das Schicksal wagt zu fordern, äusserte er auch zu K. Beck : « Mozart mag die kindisch-süsse Sprache der Engel sprechen und uns den Himmel verheissen, Beethoven redet die trotzige Sprache des Titans und fordert uns auf, den Himmel zu stürmen » (*). Die zwei letzten Verse von Strophe 5 (4) K. Beck, Tagebuchblätter (Temesvarer Zeitung, 1863, Nr 246). AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. 659 und Strophe 6 erwähnen die « süsse Verzweiflung », in die uns Beethoven reisst, die Lenau im Briefe an Emilie vom 14. März 1836 hervorhebt, die sogenannten « verrückten Quartette », bei denen ihm fast das Herz zersprungen wäre, welche sozusagen ein Stück Leben davon nehmen und das köst- liche Gefühl erregen, « wie einem so das Leben verklingt » (235). Auch äusserte der Dichter M. Löwenthal gegenüber, niemand habe den Schmerz verstanden wie Beethoven. Was der Laokoon für den physischen Schmerz, das sei Beethoven für den der Seele. Er wisse uns seine Schlangen an das Gemüt zu legen, dass wir unter ihrem Drucke aufstöhnen möchten. Gegen diesen Schmerz Beethovens seien die schmerzhaftesten Partieen Lord Byrons nur oberflächliches Kitzeln und Krauen. Beetho- ven habe dem Menschenschmerze die letzte Türe aufmachen wollen, hinter welcher nichts mehr sei als Verzweiflung (t). Zu Martensen sagte Lenau, die menschliche Brust berge einen Grundstock von Schmerzen und Leiden, die Mozart gar nicht gekannt, die aber Beethoven nicht nur gekannt, sondern auch verstanden habe in Tönen wiederzugeben (?). So urteilte Lenau zu einer Zeit, wo Beethovens Werke noch ganz unverstanden waren, wo man dessen Alters-Taubheit für dies Unverständnis verantwortlich machte, wo z. B. der musikalische Grillparzer von der Neunten Symphonie sagte, es sei « konfuses Zeug ». Auf Sophie weist Vers 22 : Glühend lieben und entsagen, hin. — Den Gegensatz zwischen dem Strengen, Finsteren, Stür- mischen, Orkanartigen bei Beethoven und dem Lieblichen, Milden, Graziösen, den die Strophen 6 bis 13 ausmalen, deutet schon der erwähnte Brief an Schurz aus Karlsruhe an, wo Lenau ausführt, wie Beethovens Geist uns an wilden, erhabe- (1) Lenau und Löwenthal, S. 165 f. (2) MARTENSEN, Aus meinem Leben, 1, 208. 660 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. nen Felsenklippen, an nächtlichen Wäldern, an grausen Ker- kergewölben vorbeitreibe, bis sich der Strom in ein lachendes Meer von unendlicher Liebe und Freude ergiesse. M. Löwen- thal bucht die Bemerkung Lenaus : « Wir müssen vielleicht erst durch die Leidenschaft dekciriuchen und von Affekten verwundet werden, eh wir um Balsam beim Himmel anfragen. Diesen Weg führt uns Beethoven, in welchem wir ‚das Höchste der neueren Kunst zu verehren haben » ('). Martensen (I, 206) findet in diesen Strophen die Schilderung von Lenaus eige- nem Violinspiel wieder, das nach der Ausführung von langen Stellen aus Beethoven, die er auswendig wusste, sich in eigenen Phantasien erging. — Eine in der letzten Fassung unter- drückte Strophe preist Beethovens Trauermarsch und die Missa Solemnis. Strophe 1% bis 16 schildern die Eröffnung zu Collins Trauerspiel Coriolan, die Lenau zum erstenmal am 10. April 1835 in Wien hörte und Emilien als « göttlich » bezeichnet (202). — Die drei letzten Strophen sind den : nien Beethovens gewidmet, von denen der Dichter zu Marie Behrends äusserte (?), sie seien das Grösste, was es gäbe. Es seien lauter ewige Gedanken, lauter ewige Formen, in denen Beethoven sich hier bewege, erklärte er kurz vor seinem Wahnsinn am 13. Oktober 1844 im Reinbeckschen Kreise (?). Die Schlusstrophe gilt der Neunten Symphonie. Im eben erwähnten Gespräche bezeichnete er sie als das Grösste viel- leicht, was in der Musik vorhanden. Die Aufführung derselben sei die grösste, die schönste Stunde seines Lebens gewesen. Um die Zeit, wo er das Gedicht schrieb, hatte Lenau einen echten Josef Guarnerius gekauft, von entzückend weichem, süssem und doch starkem und feurigem Tone. Er küsste manch- mal die Geige voll Entzücken, spielte sie täglich einige Stunden und tat dabei manchmal einen « stärkenden Blick auf Beetho- (4) Lenau und Löwenthal, S. 39. (2) WEISSER, S. 426. GE. Niendorf, $ 8,238, AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL, 661 ven » zurück. So erzählt er Emilien in den Briefen vom 29. November, 16. und 24. Dezeniber. Der Musiker K. Evers berichtet aus dieser Zeit, dass Lenau manchen Tag acht Stunden übte und sich mit solcher Leidenschaft auf das Geigen- spiel warf, dass er seiner Gesundheit schadete. Sein Spiel, urteilt Evers, war wild, unregelmässig, oft aber ergreifend und im höchsten Grade genial. Bei Beethoven kam er allzusehr ins Feuer, überstürzte sich, ging mit seiner Phantasie durch, verlor alle Besinnung. « Für ihn war nur einer, nämlich Beethoven, alle andern verachtete er » (!). Ähnlich bekannte er K. Beck, Beethoven, der das Gelüst eines Prometheus willig und stolz mit dem Geier an seiner Brust bezahlt, sei ihm Herr und Meister, und er wolle keine Götter neben ihm haben (?). Er deutet hier auf den natürlichen Zusammenhang Beethovens mit seinem Charakter und Genius hin, wie auch das Gedicht eine geistesverwandte Auffassung Beethovens verrät, ein tiefes Eindringen in eine Welt grossartiger Gegensätze. Das leidenschaftliche Geigenspiel Lenaus im Dezember mel- det auch Max Löwenthal (?). Dass es mit den « poetischen Produktionen spärlich gehe », erfährt Emilie am 16. dieses Monats. Ein Gespräch vom 12. über Löwenthals Sohn Artur gibt Anlass zu den schönen, wehmütigen Versen : Wer seine Jugend überlebt, die sich als eigenes Iyrisches Gedicht aus den Albigensern (Vs 2783-2794) ablösen, und die auch ursprünglich als solches geschrieben wurden, wie die Handschrift beweist. « Es war », berichtet Max, « von meinem jüngsten Söhnchen Artur die Rede, der zu seiner Mutter gesagt hatte : “ Nicht wahr? wir können Gott nicht sehen, er aber sieht uns? ° und : ‘“ Kann man im Himmel mit den Engeln auch spielen?’ — Niembsch bemerkte : ‘ Die Kinder haben weit (4) Schurz, 11, 48 f. — Einen ganz mit dem von Evers übereinstimmenden Bericht gibt uns Th. Heusenstamm in seinen Reflexen und Reflexionen. (Werke, VI, 396.) (2) Temesvarer Zeitung, 1863, Nr 246. () Lenau und Löwenthal, S. 163 f. 662 BENSER: YA AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 2. TEIL. mehr Neigung und Liebe für das Übersinnliche als die Erwach- senen. Ach, könnte man sich nur auf eine Stunde in all die glückliche Einfalt des Kindersinnes zurückversetzen, es wäre eine Stärkung für das ganze Leben » (!). O könnt ein Zauber ihm gewähren, Ein Kind zu sein nur eine Stunde, Es würd ihn stärken und erquicken, Bis das Geschick ihn heisst vergehn. Der Insel-Almanach (1911) brachte das Gedicht als ein unge- drucktes von Lenau, und als solches machte es die Runde durch die deutsche Presse. So sehr sind Lenaus Epen in Vergessen- heit geraten, dass man unbemerkt Verse daraus als unveröffent- lichte Gedichte herausgeben kann. Zur Herbstmesse des Jahres 1840 erschienen neben der zweiten Auflage des Faust die vierte Auflage der Gedichte und die zweite Auflage der Neueren Gedichte. Die vierte Auflage der Gedichte entspricht ganz genau in Druck, Format und sogar Seitenzahl der dritten. Der Text weist nur einige Unter- schiede in der Zeichensetzung auf. Bedeutend vermehrt ist hingegen die zweite Auflage der Neueren Gedichte. (4) Lenau und Löwenthal, S. 164. LI Aus der Albigenserzeit. 3. Teil. — 1841. Am Sarge eines Schwermütigen, der sich selbst den Tod gegeben. — Lenz. — Des Teufels Lied vom Aristokraten. — Mein Herz. — Vorbei. — In einer Schlucht. — Auf einen Bergquell, genannt Rothschildbrunnen. Den Winter 1840-1841 verbrachte Lenau noch bei den Löwenthals in der Johannisgasse, nicht, wie Schurz (II, 46) meint, beim Freiherrn von Sommaruga in der Kärntnerstrasse, wohin er erst 1842 übersiedelte. Seine Arbeit galt wieder fast ausschliesslich den Albigernsern, die er für den Druck zur Herbstmesse fertig stellen wollte. Die Nachricht von fleissiger Diehtung im Briefe vom 15. Januar an Emilie bezieht sich auf das Epos, das laut Brief vom 2. Februar an dieselbe vorwärts rückt. Eine überstandene böse Grippe, « garstige, stockfin- stere » Gedanken, Stockung der Poesie meldet der Brief an die Freundin vom 13. März. « Jetzt bin ich ein Mensch, von dem man sagen kann : es ist nichts an ihm. Ich arbeite nichts, empfinde fast nichts als Ärger und Traurigkeit » (701). Anfangs April reiste er wieder nach Stuttgart, wo er am 11. eintraf. Bereits am 13. war es ihm gelungen, « das harte Rindfleisch », den Verleger Hallberger, etwas mürbe zu klop- fen und Cotta zu einer Gesamtausgabe seiner Iyrischen Dich- tungen in zwei eleganten Taschenbändehen zu bestimmen (704). Auf der Reise, worüber der ihn begleitende Musiker Evers 66% AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 35. TEIL. interessante Einzelheiten mitteilt (?), und die er selbst Sophie beschreibt (705), holte er sich eine Erkältung, die bald in Scharlachfieber ausartete. Vom 16. April bis zum 6. Mai lag er krank im Reinbeckschen Hause. Während der Krankheit, am 26. April, dichtete er Am Sarge eines Schwermütigen, der sich selbst den Tod gegeben (1). Dies Datum ist dem Briefe an Sophie vom 28. April zu entnehmen : « Vorgestern hab ich ein Lied gedichtet von zwölf Strophen » (1). Er schickt ihr das Gedicht am 6. Mai mit dem Nachwort : « Wenn ich nur schon wüsste, wie es Ihnen gefällt, liebe Sophie! Mir ist dieses Gedicht so recht warm und stetig aus der Brust gequollen, wie schon lange keines mehr. Es ist Ihnen geweiht » (715). Am 1. Mai berichtet er Sophie, dass die Arbeit an dem Liede ihm eine grosse körperliche Erschöpfung gebracht. Sophie schreibt in ihrem Exemplar : « An den Dichter Maierhofer (?), den 26. April 1841 zu Stuttgart, in der Scharlachkrankheit ». Schurz (Il, 66) bestätigt diese Beziehung. Der Selbstmord des Wiener Zensors und Dichters Joh. Mayrhofer erfolgte bereits am 5. Februar 1836 durch Sturz aus einem hochgelegenen Fenster. Der Zwiespalt zwischen seinem Amte als Zensor und seinem Gewissen trieb ihn in den Tod. Trotz des weiten Abstandes zwischen Ereignis und Dichtung darf die Beziehung auf besagten Selbstmord nicht, wie Castle (?) dies tut, bestrit- ten werden. Der Erstdruck im Morgenblatte bringt nämlich die Bemerkung von Lenau selbst, dass der Tod « des unglücklichen Dichters Mayrhofer » die Veranlassung sei. Dies hindert nicht, dass das Gedicht « aus eigenen Stimmungen erflossen » (t). Selbstmordgedanken äusserte Lenau am 6. März : « Wenn ich nicht mehr genug hätte, um meine geringen Lebensbedürfnisse (4) Schurz, I, 49 ft. (2) Joh. Mayrhofer, Gedichte. Wien bey Friedrich Volke, 1894. (#) Lenau und Löwenthal, S. 567. (4) Ebenda, S. 567. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 3. TEIL. 665 zu bestreiten, würd ich mir eine Kugel vor den Kopf geben. Das ist eine längst beschlossene Sache. Das Leben ist mir ja bei weitem nicht interessant und wichtig genug, um es mit Opfern und Qualen zu erkaufen » (t). Ein unfreundlicher Brief Sophies, der ihm zeigle, wie seine Briefe aus Stuttgart « mit mehr Kritik als Freude aufgenommen » wurden (710), miss- stimmte ihn Ende April sehr. Am Tage der Abfassung des Gedichtes eröffnet er Sophie : « Ich bin verstimmt, missmutig. Warum störst du mein Herz in seinen schönen Gedanken von innigem Zusammenleben auch in der Ferne? Du verstimmst mich und bist so weit weg von mir und kannst es nicht gleich wieder gutmachen. Das solltest du nicht » (518). Gleiche Klagen bringen die Zettel vom 24., 25. und 27. April sowie die Freundschaftsbriefe vom 25. und 28. dieses Monats. Viel Ähnlichkeit hat das Gedicht, dieser jammervolle, erschüt- ternde, tiefsinnige Gesang der Naturgeister mit Täuschung. In beiden erscheint die Gegenüberstellung der vereinzelten Schmer- zensschreie der Natur dem allgemeinen, gemeinsamen Klagelied derselben, dem « vollen Klange » des Klagegewirrs, bei dem der Menschheit zu bange würde (Vs 41). Diesen vollen Klang hat der unglückliche Selbstmörder vernehmen und aussingen müssen, so dass ihm dabei sein Herz zersprungen (Vs 45-48). Die klagenden Bestandteile des Gedichtes Täuschung, nament- lich das Käuzlein, kehren hier alle wieder, vermehrt erscheinen sie um das Meer und um mehrere Gestalten aus dem Tierreich, das in Täuschung nur durch das Käuzlein vertreten ist. Vom « grossen Klagelaute der Elemente » singt, Lenau nachahmend, Alfred Meissner (?). (1) Lenau und Löwenthal, S. 469. Ähnlich bereits am 18. Oktober 1839 : « Wenn ich gar nicht mehr weiter kann, so schiesse ich mich tot ». Ebenda, S. 101. () Gedichte, Leipzig, Herbig. 7. Auflage 1856, S. 34. Anklänge an Lenaus Gedicht Scheu bietet Meissners Lied Falscher Frühling (S. 41), an Ahasver die Stimmen auf der Haide (S. 67, an Einsamkeit (Hast du...) Ruf der Sehnsucht (S. 156), an Nächtliche Wanderung Meissners Einsamkeit (S. 26) und Trauriger Gang (S. 258). Lenaus « Mantel der Melancholei » nennt Meissner « des Kummers Mantel » (S. 60). 666 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 3. TEIL. In der Hoffnung, dass das Lied Sophie gefallen würde, täuschte sich der Dichter nicht. Er erklärt ihr am 16. Mai : « Sehr freut es mich, dass Ihnen mein Lied gefällt; das ist gut, das muntert auf. Ihre Lobsprüche sind Haber für meinen Pegasus, der beste, der für ihn gewachsen ist; kann gar nicht schaden, wenn Sie zuweilen ein wenig davon aufschülten » (720). — Ernst v. Feuchtersleben widmete Mayerhofer zwei poetische Nachrufe und eine ausführliche Besprechung ('). Das wehmütig ausklingende Frühlingslied Lenz (221) passt gut in den Mai dieses Jahres hinein, wenn es auch viel später im Erstdruck im Morgenblatte erschien. Sehr schön war gerade der Frühling dieses Jahres, seit 4% Jahren wieder der erste, ganz schöne, schreibt Lenau Max Löwenthal. Das berührt ihn wehmütig; den einzigen schönen Frühling, der in sein Leben fällt, muss er, infolge der Krankheit, elendiglich versäumen. « Das ist wieder vom schwärzesten Pech, das ich habe » (716). Auch in den Briefen an Sophie ertönt die Klage über das Ver- säumnis dieses Frühlings. Am 21. Mai ging der Genesene zum ersten Male aus, zunächst in den Reinbeckschen Garten. Dort mags ihm leid getan haben : Zu treten die Erden Und ihr zu gefährden Ihr neues Kleid. « Auf ausdrückliches Verlangen meines Arztes », erfährt Sophie am 29. Mai, « und aufgemuntert durch das wärmste Wetter, bin ich bereits vor acht Tagen im Garten gewesen und zeither auch schon einigemal in der Stadt herum (735). Die Monate April bis Oktober sind den Albigensern gewidmet. Jedoch sind es fast immer unbestimmte Angaben, die Lenau Sophie über die Arbeit daran während der Krankheit macht. Er hat eine angefangene Szene fertig gebracht (509), drei (4) E. v. Feuchtersleben, Ausgewählte Werke, S. 64, 65, 336-354. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 3. TEIL. 667 Gesängen einen Schluss gegeben (11), zwei Gesänge von den erstern umgearbeitet und in einen Gesang umgesungen (121). Ende Mai hat er das Epos bis auf weniges ganz abgeschrieben und dabei hier und dort Verbesserungen angebracht (725), anı 14. Juni ist er mit den « vertrackten Albigensern » halt immer noch nicht fertig (751). Den Abschluss der Dichtung meldet er erst Georg Reinbeck am 24. September, in letzter Stunde hat er noch einen neuen Gesang hinzugefügt (744). Den « Epilog » dichtet er erst im Oktober (745). Öfters lässt er durchblicken, wie wenig die Arbeit ihn selbst befriedigt, manche von den Gesängen sind jedoch so gut, dass die schwächeren schon mit- laufen können, und es wird ja doch zur Zeit in Deutschland nichts Besseres gemacht 735). Kurz vor seiner Abreise nach Ischl am 12. Juni dichtete Lenau Der Kranke im Garten, worauf wir zurückkommen, weil die ursprüngliche Fassung die Verse als ein Sophiegedicht kennzeichnet. Die Albigenserdichtung erhält den Dichter in einer Kampf- stimmung, aus der wahrscheinlich um diese Zeit Des Teu- fels Lied vom Aristokraten (521) hervorgegangen. Die l,osung zu den Albigenserschlachten, meint Sophie (!), war Harpunen in die Schuppen starrer Satzung! (Zuruf, \s 33.) Als blöde, starre Satzung hat Lenau zeitlebens den Adel betrachtet, mit dem er in so vielfache Berührung kam. Dass er theoretisch ganz und gar nichts auf den Adel hielt, bemerkt bereits Sophie Schwab in einem Briefe an Lucie Meyer vom 15. Januar 1832 (?). Fast alles, was er an seinen adeligen Freunden, dem Grafen Alexander, Auersperg und Halm, auszu- setzen findet, geht auf ihren Adel zurück. Ihnen und anderen (1) Lenau und Löwenthal, S. 613. (2) ERNST, S. 118. 668 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 35. TEIL. Leuten ihres Standes gegenüber beobachtete er stets ein stolzes, selbstbewusstes Benehmen. Am 20. Mai 1841 schreibt er Sophie : « Wann wird die Welt vom Adel genesen? Alte Klage, alte Frage! » (722). Eben um diese Zeit war er auch sehr ungehalten gegen den Grafen Alexander, weil dieser ihn aus Angst vor Ansteckung nicht besuchte. Kaum genesen, will der Kranke auch für den « erlauchten Hasenfuss da gewesen sein », ihn nicht mehr sehen (718). Wie sehr er auch sonst den Grafen schätzte und liebte, so war ihm doch sein Adelsstolz unleidlich (*). Einmal nennt er ein Benehmen des Grafen « aristokratische Verwilderung » (?). Heftig empörte ihn auch das Gerücht, Alexander wolle ihn zum Erzieher seiner Kinder ernennen. Zu einem Mäzen ist ihm der Graf, sogar das ganze deutsche Volk, nieht gut genug (150). Ganz gleich verhält Lenau sich dem Grafen Auersperg gegenüber. Ein Zerwürfnis mit ihm im April 1836 führt er auf « aristokratische Rohheit » (581) zurück. Seitdem der Sänger der Freiheit mit einer Gräfin Attems, einer der eingefleischtesten Aristokratenfamilien angehörig, vermählt, behandelt er seine ehemaligen Kollegen, die .armen Poeten, nun vollkommen en canaille, bemerkt Max Löwen- thal (%). Im Februar 1841 hält Lenau Grün eine lange Predigt über seinen Afterliberalismus (*). So fehlte es dem Dichter im Mai 1841, wo er den erwähnten Satz an Sophie schreibt und über ein « Aristokratenweibel » spottet, das sich ihr « entgegenspreizt » (722), nicht an Stimmung zu einer Satire gegen den Adel. Am 20. Juli 1842 erwähnte er das Gedicht im Kernerschen Kreise in Weinsberg, sagte ein paar kräftige Verse davon her und fügte hinzu : « Dieser Aristokratismus, das ist die eingefleischte Borniertheit. Auch in einem tieferen Sinne, spekulativ-philosophisch : Die Menschennatur vermochte (1) Lenau und Löwenthal, S. 124 f. Dasselbe gilt von Fr. Halm. Ebenda S. 108. () Lenau und Löwenthal, S. 133. () Ebenda, S. 104. (4) Ebenda, S. 168. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 3. TEIL. 669 nicht den Gedanken ihrer Grösse zu fassen und stellte also als Erweiterung des Menschen, als Vervielfältigung, den Adel hin; als höchste Idee den Fürsten, weil sie sich nicht so hoch, nicht zur eignen Bestimmung, nicht zu Gott aufschwingen konnte ». Emma Niendorf, die dies (S. 10%) berichtet, bezeichnet das Gedicht als eines, « das er einmal gemacht », deutet somit, Lenaus eigene Worte wiederholend, auf eine frühere Entstehung hin (!). Aus Ischl, wo Lenau am 15. Juni eintraf und wo er bis Ende September verblieb, sandte er am 18. Juli seinem Geigenmeister K. Gross das Gedicht Mein Herz (220). Der Zuruf : Sei ewig, Herz, und hochgemut! (Vs 6) stimmt nicht zu den stets über Gichtschmerzen klagenden Briefen aus dem Juli, auch nicht zu den unmittelbar folgenden Versen : Da hinten ruft so manche Klage, Und vorwärts zittert manche Frage. Den hoffnungsseligen Ton erklärt einigermassen der Dichter (!) Das damalige Österreich, schreibt Gutzkow in seinen Wiener Eindrücken (1845), war « das Eldorado der Staatsprivilegien. Der gewaltige Zusammenfluss von ungarischem, böhmischem, polnischem, italienischem und deutschem Adel hat Wien zu einem Orte gemacht, in welchem der Bürgerliche fortwährenden Demütigungen und Zurücksetzungen ausgesetzt ist. Ich will nicht sagen, dass diese nur aus Adligen bestehende höhere Gesellschaft voll Anmassung sei. Diese gewal- tige Adelskette bedient sich nur des Vorrechtes, das ihr hier vom Zufall gegeben wurde. Das Publikum fühlt die Last dieser gesellschaftlichen Prärogative und hilft sich dadurch, dass es jedermann baronisiert, jedermann zu adligen Gnaden erhebt. Das ist nicht Höflichkeit, wenn man in Österreich alle Welt Herr von anredet, sondern Notwehr. Es ist zu drückend, zu demütigend, inmitten dieser allgemeinen Hochgeborenheit als ein Bürgerlicher aufzutreten. Besonders äussert sich in den Frauen das adlige Selbstgefühl auf unschönste Art. Unwissend und oberflächlich, wie sie meistenteils sind, behaupten sie auf ihre Geburt einen solehen Stolz, dass die schönsten Formen darüber unedel erscheinen können. Hätte der bürgerliche Wiener nicht seinen Witz, er bliebe in dem Gefühl, von dieser vornehmen Kaste zur Kanaille gerechnet zu werden, ohne alles Gegen- gewicht. » GUTZKOW, Ausgewählte Werke, IX, 258. 670 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 3. TEIL. selbst im Briefe an K. Gross : « Dass Ihnen, verehrter Freund, die absolut finstern aus meinen Gedichten weniger behagen, befremdet mich nicht, muss ich vielmehr billigen. Solche Erup- tionen sind bei allem Aufwande poetischer Hülfsmittel doch nur ein Selbstverkennen und- vergessen des Geistes, gleichsam ein eklatanter Bankbruch desselben, und daher dem geistes- tüchtigen Leser immer in gewissem Grade peinlich. Mein jüngstes Gedicht, welches hier folgt, enthält eine solche Rüge gegen mein oft zu verstörtes Herz » (757). Es bedurfte der bekannten grossen Anhänglichkeit des Dichters an seinen Geigenmeister, einen « grossen Beethovenspieler », um ihn zu einem solchen Eingehen auf dessen Ansichten zu bringen. Jede Ausserung seines Musiklehrers, bekennt er diesem, sei ihm von hohem Werte und bedeutend durch die Freundschaft. Am 14. Januar 1842 sandte er das Gedicht als eine « kleine Festgabe » zu ihrem Geburtstage Emilien Reinbeck (748). Auch Emilie fand « nichts Erheiterndes » in den Versen, die sie am 14. Februar dem Musiker K. Evers nach Paris schickte, mit den Begleitworten : « Ich lege Ihnen hier ein Gedicht bei, das im Einklang mit Ihrer Stimmung sein wird, das mich gerührt hat, als ich es las und dabei an Sie dachte. Es liegt zwar nichts Erheiterndes darin, aber Gemütliches, und Sympathie des Gefühles tut oft wohler als ein fremdartiges Erheiterungs- mittel, das unser Innerstes oft verletzt. Ich möchte Sie darüber phantasieren hören » (t). Auf die späte Sendung an Emilie und den noch viel späteren Erstdruck im Morgenblatte vom 5. August 1842 sei bier beson- ders hingewiesen, um zu zeigen, dass Mitteilung von Gedichten in Briefen und Erstdrucke keinen Beweis für gleichzeitige Entstehung abgeben. Der im September in Ischl geschriebene und Georg Rein- (4) Neue Freie Presse, N: 13636. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 3. TEIL. 671 beck im Briefe vom 24. September als neu entstanden angekün- digte 30. Gesang der Albigenser : Ein Greis ist wenigstens teilweise ursprünglich als Iyrisches Gedicht gedacht. Dies beweist eine die ersten acht Strophen bringende Handschrift, welche die Überschrift Vorbei trägt. In Lenaus Lyrik ist Vorbei auch in die Gesamtausgabe der Cottaschen Bibliothek der Weltliteratur (1883) aufgenommen sowie in M. Kochs Ausgabe (I, 442). Ferner sind mehrere Varianten vorhanden. Äusserungen in den Briefen aus dem August und September 1841 stimmen zum Inhalte. Wehmütige Betrachtungen entlockt dem Dichter die Erinnerung an seinen Geburtstag : « Er hat mir das vierzigste Jahr eröffnet. Wenn Rückert recht hat, dass mit vierzig Jahren die Höh erklommen sei, so bin ich mit meiner Kulmination nicht zufrieden, und ich trete meine Reise nach Tal verdrossen und traurig an. Ich war eben nicht fleissig genug, und der Abend überrascht mich mitten unter meinen Wünschen, Entwürfen und Halbheiten. Sei es drum! Es herrscht in der Natur wie in der Menschengeschichte keine rechte Wirtschaft, wird vieles vergeudet und weggewor- fen » (740) (t) : Rausche Zeit, vorbei, vorbei! Deine Opfer hab sie alle! (Vs 25 £.) Ähnlich klagt er Emilien Reinbeck am 24. September : « Ich finde in meinem Leben zu viel Verlornes, Versäumtes und (4) Ähnlich äussert sich kenau in einem Liebesbrief an Sophie aus dem Juni 1838 (N? 452). — « Es gibt », sagt Hegel, « in der Weltgeschichte mehrere grosse Perio- den der Entwickelung, die vorübergegangen sind, ohne dass sie sich fortgesetzt zu haben scheinen, nach welchen vielmehr der ganze ungeheure Gewinn der Bildung vernichtet worden und unglücklicher Weise wieder von vorne angefangen werden musste, um wieder eine der längst gewonnen gewesenen Regionen jener Bildung zu erreichen » (Werke, IX, 53 f.). s 672 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 3. TEIL. Verfehltes ('), als dass ich bei meinem angeborenen Hange zum Missmut nicht tiefer hineingeraten sollte » (745). So brachte ihm « die Vergangenheit seine Tränen wieder » (Vs 23 f.), auch ertönte ihm der « Sterbeschrei » der Natur (Vs 27). « Ich habe schon den Erdgeruch in der Nase », schreibt er an Evers, « mir scheint, sie schaufeln mich bald hinunter » (742). Allein- sein tut ihm not (742) wie dem Greis, der auf der einsamen, granitnen Bank lagert. Trotz aller « Schmerzen » und « Opfer » herrscht in der Weltgeschichte der « ewige Geist ». Den schaut der Dichter im « flüchtigen Tand » (Vs 29 f.). Als ewigen Geist sieht sich der Greis in den Albigensern. Dieser Geist Lebt in andern einst gewiss Seine Freiheit, Macht und Fülle. (Albigenser, Vs 3355 f.) Manche Bestandteile des Gedichtes Vorbei kehren wieder in dem Nachlassgedicht In einer Schlucht (sır) : die Gebirgsschlucht, der Sturzbach, der Wind, der Sterbeseufzer der Natur. Der herbstliche Charakter des Gedichtes, die Schil- derung der Alpennatur im allgemeinen, die Ausmalung einer Alpenszene im besonderen, der Todesgedanke machen die Ent- stehung während dieses letzten Aufenthaltes Lenaus im Gebirge sehr wahrscheinlich. Die ganze Natur grollt und schmäht dem im Herbst an sie herannahenden Tode. Baum und Busch halten seufzend fest am letzten Blatt, unglückselig ist das Tal über des Herbstes Sterbegebot. Und doch : Wie gut der Tod, sie glauben’s nicht. (Vs 16.) (4) Hiermit zu vergleichen sind die Verse : Dem einzlen ist, was er versäumt, verloren; Der Menschheit auch, was einmal sie verscherzt; Kein Augenblick wird zweimal ihr geboren, So herb.es auch die Weltgeschichte schmerzt. (Albigenser, Vs 175-178. Vgl. S. 554 u. 643 dieses Werkes.) AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 5. TEIL. 673 Als « höchst melancholisch » bezeichnet Emilie Reinbeck Lenaus Brief vom 2%. September aus Ischl. Dort sitze er nun ganz allein, schreibt sie am 9. Oktober Emma Niendorf, « anwohl und seinen trüben Gedanken nachhängend, mir zum tiefsten Schmerz. Hätte ich nur ein paar Engel, Trost und Hülfe zu versenden; sie müssten jetzt diese Strasse ziehen, auf der meine Gedanken hin und her irren » (!). Er nage an sei- nem alten, stets wachsenden Unmut, meldet Lenau K. Evers am 24. September. Alles ist ihm störend, aufregend, auch sein Körper eine « pure Niederträchtigkeit, ein Lump. Alles stockt und wird bitter wie die stockenden Bitterkeiten meiner Leber » (732). Einem Freunde hatte Lenau die « letzte Olung » geweint (Die Tränen), die letzte Ölung erfleht für die so schwer leidende Natur die durch eine kläglich meckernde Geiss ver- körperte Tierwelt, die ewig leidet, in die unvollkommene Tier- gestalt gebannt zu sein. Sie bedarf des letzten Trostes ebenso wohl wie der sterbende Mann im Köhlerhaus, dem der Priester die Sterbesakramente bringt. Wieder macht sich Schuberts Ein- fluss geltend. Das Ende des Jahres 1841 verbrachte Lenau in Wien. Er schrieb im letzten Vierteljahr den Epilog zu den Albigensern, eine zweite Ziskaromanze (745). Eine dritte muss bald hinzu- gekommen sein, denn am 31. Mai 1842 las er in Stuttgart drei Romanzen vor (?). Vielleicht war es in diesem Winter, dass ein Ischler Lenau aufsuchte und ihn wiederholt um eine Inschrift auf einen von ihm angelegten Brunnen bat, den er den « Rot- schildbrunnen » taufen wollte. Da sagte ihm der Dichter den Vierzeiler Auf einen Bergquell, genannt Roth- schildbrunnen (525), den uns E. Niendorf (S. 213) nach einer Mitteilung Lenaus vom 23. September 1844 aufbewahrt. Vom Winter 1841-1842 weiss Schurz (HH, 87) nur zu sagen, (1) E. NIENDORF, S. 50. (2) Ebenda, S. 59. 674 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 35. TEIL. dass nichts davon zu vermelden steht, als dass er still und sachte vorüberschlich. Während seines Ischler Aufenthaltes (Juni-September 1841) arbeitete Lenau an der Korrektur der ersten Gesamtausgabe seiner Gedichte vom Jahre 1841. Sie erschienen zur Herbst- messe bei Cotta in elegantem Taschenformat 16°, in zwei Bänden. Der erste Band bringt die Gedichte in fünfter Auflage, der zweite die Neueren Gedichte in dritter Auflage. Diese erste Gesamtausgabe enthält nichts Neues, auch liess der Dichter die frühere Einteilung und Reihenfolge bestehen und änderte nur wenig am Texte. LIV. Aus der Albigenserzeit. 4. Teil. — 1842. Der Räuber im Bakony. — Das Dilemma. — Zweifel und Ruhe. — Der arme Jude. — Die Drei. — Der kriegslustige Waftenschmied. — Zuruf. — Nüchterner Blick. — In das Album einer Dame. — Das Gespenst. — Auf eine holländische Land- schaft. — Der fromme Pilger. — An Wilhelmine Dilg. Die erste Nachricht von Lenaus Leben und Arbeiten im Jahre 1842 gibt uns der erwähnte Brief an Emilie vom 14. Ja- nuar. Er ist einer der seltenen klaglosen des Dichters. Mit dem neuen Jahre hebt sich die Gesundheit, der Lebensmut und die Lust zur Arbeit. « Besonders jetzt ist wieder eine Periode des Fleisses bei mir angebrochen. Wenn ich, wie ich hoffe, bald an Ihrem traulichen Teetische sitze, werd ich öfters in mein Porte- feuille langen können, um eine kleine Gabe für Eure Ohren daraus zu holen » (748). In Hinblick auf den Ausdruck « Periode des Fleisses » liegt es nahe, die Gedichte, die Lenau tatsächlich in diesem Jahre in Stuttgart vorlas und die, welche 1842 im Erstdruck erschienen, in den Anfang dieses Jahres zu rücken. Bei der Reihenfolge leiten uns in Ermangelung jedes anderen Anhaltspunktes die Erstdrucke. Am 31. Mai, so berichtet E. Niendorf (S. 59), las Lenau in Stuttgart, wo er am 23. Mai eingetroffen, im Reinbeckschen Kreise « die Räuber in einem ungarischen Walde ». Hiermit ist Der Räuber im Bakony (225) gemeint, dessen Erst- druck einige Tage vorher, in Frankls Sonntagsblättern (22. Mai, 676 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. Nr 21), erfolgt war. « Dort sind die Schweinehirten alle Räu- ber », ergänzte der Dichter beim Vorlesen. Kurz nach dem Erstdruck veröffentlichte Prof. Romer in Frankls Sonntags- blättern (12. Juni, Nr 24) eine anschauliche Schilderung des Bakonyer-Waldes und dessen Bewohner. Am 5. August, bei Kerner in Weinsberg, äusserte Lenau sich näher über seine Helden ': « Die ärgsten Räuber sind in Ungarn die Schweine- hirten. Da treiben sie so ruhig ihre Schweine vor sich hin und gehen an dem Reisenden vorüber. Dann wenden sie sich geschwind und werfen ihm ihre Hacke ins Genick, dass er augenblicklich umfällt : Sie treffen so sicher! Sie üben sich aber auch genau, um die rechte Stelle zu finden, im Werfen nach jungen Eichenstämmen. Auch die Schweine treffen sie so. Wenn man eins heraussucht aus der Herde — mitten heraus, mit einem Wurfe fällt es um » (t). Einen neuen Typus seiner ungarischen Heimat führt Lenau hier in die Dichtung ein. Er eignet sich nicht, wie der Zigeuner und der Husar, zu einem romantischen Helden. Auch schildert ihn der Dichter ganz objektiv im Gegensatz zum Räuber der Puszta, den er mit einem romantischen Glanze umgibt. Am 19. Juni 1842 erschien in Frankls Sonntagsblättern Das Dilemma (2), das in der Ausgabe von 1814 unmit- telbar auf den Räuber im Bakony folgt. Mit Er streckt dir sein Dilemma stracks entgegen ist Hegel gemeint, der in seiner Lehre vom Sein zunächst die Frage aufwirft : « Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden? » Der Anfang der Philosophie muss entweder ein Vermitteltes oder Unmittelbares sein. Ist er ein Vermitteltes, so fehlt der Anfang, ist er ein’ Unmittelbares, so fehlt die Begründung. Damit hängt die « in der Bildung der Zeit so wichtig erscheinende Frage » zusammen, « ob das Wissen der (1) E. NiENDoRF, S. 137 f. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. 677 Wahrheit ein unmittelbares, schlechthin anfangendes Wissen, ein Glauben, oder aber ein vermitteltes Wissen sei » (!). Am 20. April äusserte Lenau Max Löwenthal gegenüber, die erha- benen Gedanken eines Hegel, in der trockenen Philosophen- sprache der Paragraphen vorgebracht, machten grösseren Eindruck auf ihn, als wenn er sie bei Shakespeare fände (?). Die sieghafte Macht des Zweifels verherrlicht wie die Albi- genser das am 5. Juli im Morgenblatt erschienene Gedicht Zweifel und Ruhe (215). In der Hegelschen « Negation » sah Lenau etwas Grossarliges. « Es ist der Nord, der die Luft reinigt », sagle er am 4. August bei Kerner (?) und am 27. September zu Max Löwenthal : « Überhaupt ist es doch etwas Schönes um die Zeit, wo alles, woran Jahrtausende geglaubt und fortgebaut haben, in Frage gestellt wird » (*). Das Gedicht geht auf Hegels Einleitung zu seiner Phänomeno- logie des Geistes zurück, wo er ausführt, dass der auf den ganzen Umfang des erscheinenden Wissens sich richtende Skep- tizismus keineswegs nihilistisch sei. Das Endergebnis der Ver- neinung ist keineswegs ein Nichts, sondern eine neue, höhere Wahrheit. Der Verlust jeder bestimmten Wahrheit ist der Gewinn einer neuen, ebenfalls bestimmten. Lenaus Ruhe ist Hegels Ziel. Das Ziel ist der Punkt, über welchen das Bewusst- sein nicht mehr hinaus kann, worin es Ruhe und Befriedigung findet (?). Der « ewige Quell » (Vs 35) versinnbildlicht Hegels Einheitslehre : Da unten strömt der ew'ge Quell, Da klingt es hold, da strahlt es hell, Er schaut den Brunnen und das Meer, Und frägt nicht mehr : wohin? woher? (Vs 35-38). (4, HEGer, Werke, III, 59 f. (2) Lenau und Löwenthal. S. 2417. (°) E. NIENDORF, S. 130. (4) Lenau und Löwenthal, S. 231. (8) HEser, Werke, II, 63-66. 678 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. Am 27. Juli brachte das Morgenblatt das Gedicht Der arme Jude (108), das Lenau am 31. Mai, zugleich mit dem Räuber im Bakony, in Stuttgart vorlas, mit seiner « melan- cholischen, wasserfallähnlichen Stimme » (!). Er bezeichnete es den schwäbischen Freunden als ein « Lebensbild », das jedoch bei weitem nicht so gegenständlich ist als das des räuberischen Schweinehirten. Die Sympathie mit dem Helden bricht durch; der Glanz poetischer Verklärung umstrahlt ihn, vor dem zum Überfluss ein Licht auf das ganze Volk fällt, auch auf den Teil, der sich ein « papierenes Jerusalem » (I, Vs 13) gebaut. Die so glücklich anhebende Schilderung des Gegensatzes zwischen dem armen und deın reichen Juden bricht leider plötzlich ab mit der Schlusswendung : Aber alle seid ihr leider Ein geknicktes Volk geblieben. (I, Vs 19 £.) Es folgt darauf die poetisch viel weniger dankbare und dem Dichter auch wenig geglückte Ausmalung des Gegensatzes zwischen Jud und Christ. Der Mangel einer einheitlichen Durchführung findet sich bemerkenswerter Weise auch im Ahasver und im Ewigen Juden. Ein Ungenannter berichtet im Pester Lloyd (1850, Nr 263) von einem Gespräche im Kleylischen Hause über Hegels Defi- nition der Gottheit, wobei man auf das Kapitel der konfes- sionellen Unterschiede und somit auf die Gleichstellung der Juden kam. Dabei äusserte Lenau, die Juden-Emanzipation dürfe nicht die Aufgabe des Augenblicks sein, weil sie eine "Frage von ebenso grosser politischer als religiöser Bedeutung sei. Das Judentum sei der Glaube eines festgeschlossenen, seit vielen Jahrhunderten unvermischten Volkstums. Unleugbar erkenne der Mosaismus Gebräuche und Ansichten an, die dem (1) E. NIENDORF, S. 59. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4%. TEIL. 679 Geiste der christlich-staatlichen Gesellschaft widerstrebten. Das Höchste, was man also in der Gegenwart vom Juden verlangen könne, sei ein Ablegen dieser Gebräuche, als Entgelt für die neuen Rechte, die ihm jene Gesellschaft gewähren würde. Eine unbillige Forderung sei es aber, nebstbei zu verlangen, dass er sich taufen lassen solle. — Ganz stimmt diese Ansicht von der jüdischen Religion mit der Hegelschen überein, wie Hegel sie in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion (*) entwickelt. Der diesjährige Stuttgarter Aufenthalt Lenaus vom 23. Mai bis 10. August war neben der Arbeit an Mischka und an Ziska der letzten Feile an den Albigensern gewidmet, deren Druck Mitte Juli beendet war, und die zur Herbstmesse erschienen. Als Zuwachs letzter Zeit, d. h. seit 1840, nennt er in einem Briefe vom 19. April an Georg Reinbeck : « eine Iyrische Introduktion, einige erzählende Gesänge, als : Mönch und Ritter; Jaeques (ein Schneider) ; Graf von Foix; eine Vision und endlich einen das Ganze kommentierenden Epilog » (730). Vor und während der Druckberichtigung liegt er fleissig der Verbesserung und Ausfeilung des Albigensermanuskriptes ob. Das Epos beschäftigte seinen Dichter so ausschliesslich und anhaltend, meldet Emilie Reinbeck am 10. Juli Emma Nien- dorf (S. 145), dass er sonst zu nichts käme. So ganz klebten seine Gedanken an dieser Arbeit, teilt er im Juni Mayer mit, dass er auch nicht auf einen Tag abkommen könne (761). Die Albigenser hätten seine ganze Kraft und Besinnung für sich in Anspruch genommen, um ihnen noch die letzte Rundung zu geben, deren sie überhaupt fähig, bescheidet er Schurz am 13. Juli (765). Ausführlich unterrichtet er Sophie am 13. Juli. « Ich aber war die ganze Zeit über ausschliessend und höchst eifrig mit meinen Albigensern beschäftigt, von denen ich bereits (4) Heseı, Werke, XII, 39-82. Die Religion der Erhabenheit nennt Hegel die jüdische, im Gegensatz zur Religion der Schönheit, der griechischen, und zur Religion der Zweckmässigkeit, der römischen. 680 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. die letzte Revision auf dem Tisch habe. Da die einzelnen Gesänge dieser Dichtung in langen Zwischenräumen und in den verschiedensten Stimmungen entstanden sind, so blieb manches darin unvollständig, abgerissen, unklar; und erst als ich die gedruckte Korrektur vor Augen hatte, stiess ich auf die grössten Übelstände, und ich musste mit dem Aufgebot meiner ganzen Kraft oft bis ein oder zwei Uhr in der Nacht arbeiten, um sehr disparate Dinge in einen Zusammenhang, dergleichen ein Buch doch immer haben muss, gleichsam -einzurammeln. Davon wird aber die Welt hoffentlich nichts merken, denn, unter uns gesagt, mir steht ein ziemliches Mass von Kunst zu Gebote; meine Abänderungen sind gut geheilte Beinbrü- che » (764). In diese Zeit passen die Gedichte hinein, die in Ton und Inhalt mit den Albigensern zusammenklingen, ja mitunter als ‚Stücke erscheinen, welche die letzte Feile ausgeschaltet hat. Sie bilden das « einige andere », das laut Lenaus Brief an Sophie vom 28. Juni bei der Durchsicht des Epos entstan- den (760). Das Gedicht Die Drei (s1s) reiht sich an den elften Gesang, Ein Schlachtfeld, an und führt in einem besonderen Bilde die dort eingeflochtene Vision der Geier aus, wie sie auf dem weiten, leichenübersäten Felde eine reichliche Mahlzeit halten. Zurück geht das Bild auf Hesekiel, Kapitel 39, Vers 17-20, namentlich auf Vers 20 : « Sättiget auch nun über meinem Tisch von Rossen und Reutern, von starken und allerlei Kriegs- leuten, spricht der Herr Herr ». — Nach dem Muster dieses markigen Reiterliedes dichtete Moritz Hartmann das gleich- betitelte Die Drei und ein zweites Drei Reiter ('). « Gewaltige Reime mit dem Schwerte » (?) schlägt Der kriegslustige Waflenschmied (11) wie der eine der (!) HARTMANN, Werke, I, 50, 173. (2) Die Albigenser, Vs 2074. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — %. TEIL. 681 Zwei Troubadours (*), der « kriegerisch Entbrannte » (?). Er « reimt gut mit seiner Klinge » (*) wie der kreuzgeschmückte Ritter im Albigensergesange Umsonst, dessen Anfangsverse das Thema des Gedichtes anschlagen : Mein gut-r Degen, wie du voll Verdruss Im Winkel ruhst, schier wie der Hecht im Dürren ; Du Eisenfisch, sollst bald vor Freude schwirren Und lustig tanzen mir im roten Fluss. (Vs 3073-76.) Fühlbarer ist jedoch noch die Übereinstimmung mit dem Kriegsgesang, den die « zweite Stimme » aus der Wüste im zweiten Teile des einleitenden Nachtgesanges anhebt (Vs 128- 154) : Hasse herzhaft! rüste dich zum Streite! Die Welt braucht Waffen. Kein Liebeslächeln des Friedens kann helfen. Entnervende Lüste verseuchen die Menschheit. Nur das Schwert kann sie heilen, nur der Krieg kann das Elend hinwegfegen. Bluten sollen die Herzen der Despoten. Die von Jugend an in Lenau schlummernde Begeisterung für kriegerische Waffentaten gewinnt eine theoretische Unterlage durch Hegels Apologie des Krieges, die sein ganzes Werk durchzieht. Bereits in einer seiner ersten Abhandlungen betont er die Notwendigkeit des Krieges, der « ebenso die sittliche Gesundheit der Völker in ihrer Indifferenz gegen die Bestimmt- heiten und gegen das Angewöhnen und Festwerden derselben erhält, als die Bewegung der Winde die Seen vor der Fäulnis bewahrt, in welehe sie eine dauernde Stille, wie die Völker (4) Di: Albigenser, 14. Gesang. (2) Ebenda, Vs 2039. (%) Ebenda, Vs 2149. 682 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. ein dauernder, oder gar ‘“ ein ewiger Frieden ’ versetzen würde » (t). In der Phänomenologie des Geistes führt er aus, dass wenn die Einzelinteressen sich isolieren, das Gemeinwohl über- wuchern und das Ganze gefährden, die Regierung die Pflicht habe, die Gesundheit des Volkes von Zeit zu Zeit durch krie- gerische Erschütterungen zu erneuern und zu verjüngen. Um die « sich isolierenden Systeme nicht in dieses Isolieren ein- wurzeln und festwerden, hierdurch das Ganze aus einander fallen und den Geist verfliegen zu lassen, hat die Regierung sie in ihrem Innern von Zeit zu Zeit durch die Kriege zu erschüttern, ihre sich zurechtgemachte Ordnung und Recht der Selbstständigkeit dadurch zu verletzen und zu verwirren, den Individuen aber, die sich darin vertiefend vom Ganzen losreissen und dem unverletzbaren Fürsichseyn und der Sicherheit der Person zustreben, in jener auferlegten Arbeit ihren Herrn, den Tod, zu fühlen zu geben. Der Geist wehrt durch diese Auflö- sung der Form des Bestehens das Versinken in das natürliche Dasein aus dem sittlichen ab, und erhält und erhebt das Selbst seines Bewusstseins in die Freiheit und in seine Kraft ». (Werke II, 339.) Am ausführlichsten verbreitet sich Hegel über das Thema in den Grundlinien der Philosophie des Rechts. Der Krieg ist nicht nur eine Notwendigkeit, sondern hat auch eine sittliche Berechtigung. Die Eitelkeit der zeitlichen Güter und Dinge bleibt ohne den Krieg eine erbauliche Redensart; im Kriege wird das Vergängliche der Güter dieser Welt erlebt und erfahren, nur in ihm erfährt der Mensch, dass es niedere und höhere Dinge gibt, und dass jene diesen aufgeopfert werden müssen (VIII, 417 ff.). Am klarsten drückt Hegel sich im Zusatz zum Paragraphen 324 der Philosophie des Rechtes aus. « Im Frieden dehnt sich das bürgerliche Leben mehr aus, alle (1) Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts u. s. w. Werke, I, 373. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. 683 Sphären hausen sich ein, und es ist auf die Länge ein Ver- sumpfen der Menschen; ihre Partikularitäten werden immer fester und verknöchern. Aber zur Gesundheit gehört die Einheit des Körpers, und wenn die Teile in sich hart werden, so ist der Tod da. Ewiger Friede wird häufig als ein Ideal gefordert, wo- rauf die Menschheit zugehen müsse. Kant hat so einen Fürsten- bund vorgeschlagen, der die Streitigkeiten der Staaten schlichten sollte, und die heilige Allianz hatte die Absicht, ungefähr ein solches Institut zu sein. Allein der Staat ist Individuum und in der Individualität ist die Negation wesentlich enthalten. Wenn also eine Anzahl von Staaten sich zu einer Familie macht, so muss sich dieser Verein als Individualität einen Gegensatz kreiren und einen Feind erzeugen. Aus den Kriegen gehen die Völker nicht allein gestärkt hervor, sondern Nationen, die in sich unverträglich sind, gewinnen durch Kriege nach Aussen Ruhe im Inneren. Allerdings kommt durch den Krieg Unsicher- heit ins Eigentum, aber diese reale Unsicherheit ist nichts als die Bewegung, die notwendig ist. Man hört so viel auf den Kanzeln von der Unsicherheit, Eitelkeit und Unstätigkeit zeit- licher Dinge sprechen, aber jeder denkt dabei, so gerührt er auch ist, ich werde doch das Meinige behalten. Kommt nun aber diese Unsicherheit in Form von Husaren mit blanken Säbeln wirklich zur Sprache und ist es Ernst damit, dann wendet sich jene gerührte Erbaulichkeit, die Alles vorhersagte, dazu, Flüche über die Eroberer auszusprechen. Trotzdem aber finden Kriege, wo sie in der Natur der Sache liegen, statt; die Saaten schiessen wieder auf, und das Gerede verstummt vor den ernsten Wiederholungen der Geschichte ». (VII, 419 £.) Alle diese Gedanken finden wir in Lenaus Gedicht wieder. Der Friede ist ein « falscher Engel » (Vs 9), der das Menschen- leben « still verwahrlost, sanft verwüstet » (Vs 14). Alles hängt voll Spinneweben (Vs 15). Unkraut wuchert auf zu Wäldern (Vs 10). Der dazwischen fahrende Krieg erfrischt die Welt (Vs 20). 684 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. Am deutlichsten erscheint die Spur vom Studium Hegels in der 6. Strophe : Feige Lüge aus dem Herzen Treibt der Krieg, der oflne, scharfe, Weil der Tod zerreisst dıe Larve, Weil die Wunden ehrlich schmerzen. Die « feige Lüge » ist eben die fromme Redensart von der Eitelkeit der irdischen Güter. Die « frische Luft der Wahr- heit » (Vs 26) bringen die « Husaren mit blanken Säbeln ». Das schärfste, wildeste Kriegslied, das ganz vom Geiste der Albigenser durchtränkt, ist das Nachlassgedicht Zuruf (515). Der Mangel an Einheitlichkeit erklärt sich vielleicht dadurch, dass es aus Abfällen aus den Albigensern zusammengesetzt ist. Die scharfe Anklage gegen die Orthodoxie (Vs 25-32) hat manches Seitenstück in den Albigensern. So in dem Fluche des greisen Balduin (Vs 1649-1672), in dem « Unkenlied des Zwei- fels » (Vs 1791-1830) und besonders in dem Liede, das der Mönch von Montaudon gegen das « Pfaffentum » anstimmt (Vs 1221- 1250), die « allerschlimmste Schlange », die « der freien Lust an Gott ins Herz den gift'gen Zahn » sticht; auf demselben Vergleiche beruht die Schilderung des « Ungeheuers » (Vs 29) in Zuruf. Das « Panier im Freiheitslager » bleibt rein, wenn auch « mancher Streiter nicht rein des Schmutzes » (Vs 22 f.). Ein solcher ist in den Albigensern der Graf von Foix, von dem es heisst : Wo der Held die Bande des Geistes bricht, l'ehlt auch der Tor, der frevelnde, nicht, Der von der Fessel zwar los sich reisst, Doch mit der Fessel zugleich vom Geist. (Vs 2329-2332.) Wiederum bietet auch der Gesang der zweiten Stimme in der Wüste (Vs 128-140) manche Berührungspunkte : Waffen braucht die Welt; kein Liebeslächeln Kann das Elend ihr von dannen fächeln, Wär ’s ein Lächeln auch wie das vordem Auf dem Kreuze zu Jerusalem. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — Jener Tod hat nicht verfangen wollen, Gott soll wieder in Gewittern grollen, Blitze müssen in die Dächer fahren, Schlachtgetümmel muss ihn offenbaren, so singt diese Stimme und gleiehlautend ertönt in Zuruf' der Schrei nach « Dolchen », um die Menschheit zu erlösen (Vs 3%) und nach dem Messias, der diesmal kommen soll, den Bösen zu erschlagen (Vs 36) : Dein Tod am Kreuz, o Christus, ist verloren, Wenn du nicht wieder kommst für unsre Nöten, Prophet, hat uns das Völkerleid geschworen, Messias, dass du diesmal kommst, zu töten. (Vs 37-40.) Auch die Albigenser verachteten « jeglich Bild, zumeist das Kreuzeszeichen » (Vs 1185), und der Traum des Papstes Inno- cenz vom Verfalle des Glaubens (Vs 925-938) wird zum Schlusse des Gedichtes Zuruf als Wirklichkeit geschildert. Wiederum ist hier Hegels Einfluss von einleuchtender Kraft. In der mittelalterlichen Kirche sieht Hegel eine « vollkommene Verrückung » alles dessen, was als gut und sittlich in der christ- lichen Kirche anerkannt wird. Nur äusserliche Forderungen werden an den Menschen gestellt, und diesen wird auf äusserliche Weise genügt, das Äusserliche, sogar Unsittliche zum Heiligen geweiht, für alle Willkür, allen Frevel, alle Laster Ablass erteilt, der äussere, geistlose Zwangsglaube an die Stelle des christlichen Gehorsams gesetzt, Christus zu Gunsten Marias und der Heiligen auf Seite gestellt, die geistige Gewalt durch eine geistliche ersetzt (*). Der Idee des Geistes wurde gleichsam das Herz durchstochen, durch die Unterwerfung der weltlichen Macht wurde die Kirche Theokratie, wurde so selbst weltlich — und « zwar die gräulichste, barbarischste Wirklichkeit... (4) HecEL, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke, IX, 386-390. 686 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. Abseheuliche Sitten und schlechte Leidenschaften, Willkür, Wollust, Bestechung, Liederlichkeit, Habsucht, Laster haben sich in ihr eingefunden; und sie hat das Verhältnis der Herr- schaft gegründet und festgehalten. Dieser Ruin der übersinn- lichen Welt, als vorgestellt und als gegenwärtige Kirche, ist es, der den Menschen hat treiben müssen aus einem solchen Tempel, Allerheiligsten, das verendlicht wurde (t) ». Im Strauchgewirr von Glauben, Recht und Sitte Ein Ungeheuer liegt in Schlangenringen, Ein kaltes, plumpes, blödes Ungeheuer, Das Herzen frisst und saugt Gehirne trocken, Das ewig wälzt, ein träger Wiederkäuer, Des Elends mittelalterliche Brocken. (V. 25 f., 29-32.) Hegels Anschauung geben auch die Verse wieder : Sie fingen auf das Blut von deinen Hüften, Die Welt zu tränken mit gefälschter Schale, Die Welt damit zur Feigheit zu vergiften, Sie krankt vom Opium in deinem Grale (2). (Vs 4-44.) Als eine Verrückung des wahrhaft Sittlichen sieht Hegel die Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams an. Höher als die Ehe gelte Ehelosigkeit, höher als Tätigkeit Trägheit, höher als der wahre Gehorsam der Freiheit der blinde und unbedingte der Unfreiheit. Das Verhältnis der « Welt- lichkeit » zur Kirche bezeichnet er als ein « geistloses, willen- loses und einsichtsloses ». Die Kirche vertrat die Stelle des (!) HEGEL, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke, XV, 207 f. (2) Vgl. Der Indianerzug, Vs 15 £. : Sie brachten uns das Heil am Kreuzesstamme, Den Mut zur Rache an das Kreuz zu schlagen. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. 687 Gewissens, leitete die Individuen wie Kinder, erhob die absolute Unfreiheit zum Gesetze (IX, 387-89). « Zürnend mächtige Worte » warf Lenau nach dem Berichte von E. Niendorf (S. 66 f.) in ein am 28. Juni im Reinbeckschen Garten stattgefundenes Gespräch über Religionssachen hinein. Die Pfaffen seien um nichts besser als im Mittelalter. Die Hegelianer und alle die Leute seien nicht so zu fürchten wie die Hierarchisten. Darum begünstige er jene, weil sie gegen den Fanatismus kämpften. In Stuttgart lernte Lenau zu dieser Zeit den wegen politischer Verdächtigung aus München ausgewiesenen Berliner Doktor Ehrenbaum kennen, der ein starker Hegelianer war und die Sprache der Schule vollkommen in seiner Gewalt hatte. Treftlich unterhielt er sich mit ihm und nennt dessen Urteile geschmack- voll und treffend (*). Das « Ungeheuer » kehrt wieder im Gedichte Nüchterner Blick (222), das in L. Wihls Jahrbuch für Kunst und Poesie (1843) im Erstdruck erschien. Jenes Ungeheuer (Vs 0) ist des Mittelalters Glaube, Ein Ungetüm, das einst von Land zu Land Verheerend zog... (Vs 13-45.) Es wird gefüttert in den Münstern, die « der klugen Zeit ein Grauen » (Vs 18). Im September 1842 sprach Lenau sich gegen den Kölner Dombau aus; es heisse nichts, so in die alte Zeit hineinzupfuschen, und er sei dabei gleicher Meinung mit Uhland (2). Ähnlich soll er sich im Mai 4843 L. Mielichhofer gegenüber geäussert und ausführlich begründet haben, wie jeder gotische Bau in unserer Zeit eine Lüge sei (?). (!) Lenau und Löwenthal, S. 228 f. (2) Lenau und Löwenthal, S. 230. 2 (3) L. MieLıchnorer, Lenaus Besuch in Aigen bei Salzburg, in Frankls Sonntags- blättern, 28. Juni 1846, auch in dem Wanderer. AT. April 1856. Roustan (8. 303 £.) gibt das Gespräch ausführlich in französischer Übersetzung wieder. 688 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. Mayer berichtet (S. 78), dass der jugendliche Niembsch wenig Neigung für die mittelalterliche Baukunst zeigte. Später wech- selte er seine Ansicht, namentlich unter dem Einflusse Kerners, dem er viel Schönes über das Mittelalter schreibt (397) sowie auch an Sophie (ssı). Im Albigensergesang Das Vogelnest ver- herrlicht er noch die mittelalterliche Baukunst. Einen neuen Umschwung bewirkte wohl das Studium Hegels. Hegel läutet die Schandglocke über das ganze Mittelalter. Es ist eine Abge- schmacktheit unserer Zeit, meint er, die Vortrefllichkeit des Mittelalters zum Schlagwort machen zu wollen. Die sprich- wörtliche Ehrlichkeit des Mittelalters ist, näher in der Geschichte betrachtet, eine wahre punica fides oder graeca fides zu nennen, denn diese Treue ist nur ihren Leidenschaften getreu, untreu aber dem Reich, dem Fürsten. Es ist die ungebildetste, roheste Vorstellung über Weltliches und Geistiges vorhanden, grau- sames Wüten der Leidenschaft und christliche Heiligkeit, welche allem Weltlichen entsagt und sich ganz dem Heiligen widmet. Betrugvoll und widersprechend ist dieses Mittelalter, denn es bildet ein empörendes Schauspiel, die Gegensätze tiefen Aberglaubens und heiliger Frömmigkeit zusammenge- schlossen zu sehen. Gleichsam ein böses Gewissen hat damals die Christenheit durchschaudert. In diesem Zustande war nichts als Rechtslosigkeit, Gewalt, Trug und List bei den Menschen anzutreffen. Jede Tugend war dieser Zeit fremd, und so hatte virtus seine eigentliche Bedeutung verloren : es hiess im Gebrauch nichts anderes als Gewalt und Zwang. In gleicher Verdorbenheit befand sich die Geistlichkeit, und die schlechtesten Menschen kamen in den Besitz von geistlichen Stellen. Überall herrschte Lasterhaftigkeit, Gewissenlosigkeit, Schamlosigkeit, eine Zerrissenheit, deren weitläufiges Bild die ganze Geschichte der Zeit gibt (?). Bodenlos war die Wissenschaft des Mittelalters, die Schola- (!) HEGEn, Philosophie der Geschichte, Werke IX, 381-83, 389, AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. 689 stik eine ganz barbarische Philosophie des Verstandes, ohne realen Stoff, Inhalt, ja eine gänzliche Verirrung des Verstandes in dem Knorren der nordisch-germanischen Natur. « Es hilft nichts, das Mittelalter eine barbarische Zeit zu nennen Es ist eine eigentümliche Art der Barbarei, nicht der unbefangenen, rohen, — sondern die höchste Idee und die höchste Bildung zur Barbarei geworden; was eben die grässlichste Gestalt der Barbarei und Verkehrung ist, — die absolute Idee, und zwar durchs Denken, zu verkehren » (!). — Auch die mittelalterliche Kunst führt die Richtung des Gemütes nach dem Himmlischen bis zu dem Äussersten hin, dass überhaupt das Menschliche und Weltliche, auch wenn es in sich selbst sittlicher und ver- nünftiger Art ist, zurückgestellt und verschmäht wird. Die Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, die Seligkeit der Mar- ter, den widerwärtigen Zerfleichungen des Fleisches gegenüber, auszudrücken. Die Skulptur hebt vorzugsweise das Schmerzliche und Verzerrte heraus (?). — An « Nüchternheit » lässt Hegels Blick ins Mittelalter gewiss nichts zu wünschen übrig. Die vier ersten Verse des Gedichtes entsprechen einem Ver- gleich, den Lenau bereits im Einschreibbüchel von 1838 bringt. « Die abgelegte steinerne Garderobe der Natur — ausgestor- bener Tiergattungen Petrefakte » (%). Auch der Greis in den Albigensern schaut Urwelt in grossen Schreckenszügen. (Vs 8.) Kurz vor seiner Abreise aus Stuttgart, gelegentlich eines Besuches im Schlosse von Öhringen am 22. Juli, schrieb Lenau in das Album der Schlossherrin den Vierzeiler In das Album einer Dame (53), den uns E. Niendorf (S. 126) aufbewahrt. (1) HEGEL, Geschichte der Philosophie, Werke XV, 198-99. (©, HegEn, Ästhetik, Werke X, 21° Abteilung, S. 158. () Lenau und Löwenthal, S. 526. 690 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. Am 10. August erfolgte die Abreise aus Stuttgart in sehr mürrischer Stimmung, am 15. die Ankunft in Wien. Hier arbeitete Lenau weiter an den Ziskaromanzen, die er zu Ende führte. Am 9. September kündigt er Emilien Reinbeck auch die baldige Vollendung von Mischka an der Marosch an. Eine Abschrift des vollendeten Mischka sendet er am 2. November Marietten Zöppritz, Emiliens Schwester. Vorzüglich beurteilt er selbst die neue Dichtung. Sie ist ganz im Tone seiner älteren ungarischen Bilder gehalten, voll jugendlich frischer Natur- mittel und trägt an der Stirne eine Ursprünglichkeit, welche die spekulativen Bockssprünge der Albigenser nicht geschwächt haben (775). Die auffällige Rückkehr Lenaus im Jahre 1842 zu unga- rischen Stoffen bekundet nicht nur Mischka sondern auch die vorhin erwähnten Gedichte Der Räuber im Bakony und Die Drei. R. Gragger erklärt diese Wendung dadurch, dass die aufblü- hende ungarische Nationalliteratur und die deutsche Dichtung mit ungarischem Hintergrund Lenaus Ehrgeiz aufgestachelt ('). Auch der mächtige Aufschwung des nationalen Bewusstseins in Ungarn muss hier. in Betracht gezogen werden. Er hatte zur Folge, dass Lenau des Abfalls von seinem Volkstum (?) angeklagt wurde, weil er in deutscher Sprache dichtete. « Frei- lich würde man ebenfalls », teilte er K. Beck mit, « ein bischen geschmollt haben, wenn ich englisch oder französisch schrieb; aber in deutscher Sprache dichten, das war unzweifelhaft Tod- sünde, trotziger Aufruhr gegen den heiligen Geist. Und hätte ıan noch zehnmal hingebender die prächtige Romantik der Heimat besungen — jedes Anrecht auf Anerkennung und Dank blieb verscherzt » (?). Lenaus neue Dichtung in ungarischer Gewandung weist einen demokratischen Zug auf, den sie mit der ungarischen \t) R. GRAGGER, Mischka an der Marosch in Philologiui Dolgozxatok. Budapest, 1912, S. 208-297. (2) Pester Lloyd, 1863, Nr 226. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. 691 Dichtung der Zeit gemeinsam hat. Der Verführer von Mischkas Tochter Mira ist ein Adeliger. Er verlässt die Geliebte, weil seine Liebe zu einem Zigeunermädehen in « einer Schilderei von den Adeligen seines Blutes verhöhnt ward ». Das Bild zeigte den altberühmten Waffenbaum, Ruhm und Glanz auf jedem Zweige tragend, und daneben ein schlechtes, dürres Galgenholz, auf dem Galgen hinter Galgen zu schauen, und an jedem hangend ein Zigeuner. Verwandte Motive weist die erst im Nachlass erschienene Ballade Das Gespenst (525) auf. Hier wie in Mischka stehen Adel und Volk einander gegenüber, furchtbare Rache ereilt die adeligen Verbrecher, Zigeunergeigen erklingen toll im alten Adelsnest. Das Gespenst des Gutsherrn, das im verlassenen Schlosse spukt, dient den ungarischen Hirten, Räubern und Zigeunern nur mehr als « Pandurenscheuche » (Vs 48). Alle Ehrfurcht und Achtung hat der Adel eingebüsst; er zählt nicht mehr mit. Die Verse 41-42 : Der Alte übte Raub und Trutz Im Dickicht finstrer Adelsbräuche sind durch schlagende Beispiele im unveröffentlichten Tage- buch von M. Löwenthal (Nr 1 und 75) belegt, und K. Beck gegenüber soll Lenau geäussert haben, ihm graue vor dem selbstsüchtigen, ungarischen Adel. « Mit Hilfe schamloser Rechtsverdreher Prozesse anstrengen, seine Bauern mit Frohn- diensten überbürden, seine Gläubiger mit Hunden über den Schlosshof hetzen, Brücken und Zollschranken unentgeltlich passieren, so versteht man — wir schreiben 1843 — seine Landesverfassung » (!). So erklärt sich, dass Lenau ein zweites Gedicht gegen den Adel in ungarischem Gewande geschrieben hat. — In steuert statt feuert (Vs 14) hat sich der Herausgeber des Nachlasses eine arge Textenstellung zu Schulden kommen lassen. (*) Pester Lloyd, 1863, Nr 226. 692 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. Eine Frucht des Herbstes 1842 ist wahrscheinlich Auf eine holländische Landschaft (25). Man wäre sehr versucht, das Gedicht in die Zeit der holländischen Reise zu versetzen, um so mehr da die kalt-ironische Landschaftsbetrach- tung ganz übereinstimmt mit den Schilderungen in Lenaus Briefen aus der Zeit. In der holländischen Landschaft sieht er das Sinnbild der « steifen, trockenen, kalten, leblosen, gleich- gültigen Holländer » (108). Die im Gedichte erwähnten Wind- mühlen allein könnten ihn aus dem Lande vertreiben. « Mir wird übel, wenn ich lange einer Windmühle zusehe. Es sieht aus, wie wenn ein besoffener Kerl sich aufraffte, mit aus- gespreiteten Armen nach Luft schnappte, um gleich wieder niederzutaumeln. Ein schändlicher Anblick » (107). Beachten wir jedoch, dass die Handschrift die Überschrift Herbstbild bringt, dass der Erstdruck am 10. Dezember 1842 in der Wiener Zeitschrift (1) erfolgte, dass dort der Überschrift Auf eine holländische Landschaft die Bezeichnung « Ein Scherz » beigegeben ist, so wird die Andeutung von Schurz (I, 195) und Grün (S. 36), das Gedicht sei auf der Hinreise nach Ame- rika entstanden, hinfällig. Übrigens ist es eher ein allgemeines Herbstlied als eine holländische Landschaftsschilderung, eine ganz sachliche Naturbeschreibung, wie sie sich selten bei Lenau findet. Volle Aufklärung bringt die mir erst nachträglich bekannt gewordene Mitteilung von M. Hartmann : « Immer war irgend ein kleiner poetischer Gegenstand um ihn, z. B. eine kleine holländische Landschaft, die ganz unscheinbar aussah, aber bei näherer Betrachtung ein Bild voll inniger Poesie und Natur- leben wurde » (?). Das Gedicht ist keine genaue Beschreibung (1) Diese brachte im Erstdruck 42 Gedichte Lenaus aus den Jahren 4830 bis 1843, Erstdrucke, die bisher unbekannt geblieben. (2) M. II. von GELDERN (M. Hartmann), Nicolaus Lenau (DIE GRENZBOTEN. IV. Jahr- gang (1845) 2. Semester, 3. Band, S. 186 £.). Dort findet sich auch die 8. 216 dieses Werkes (Fussnote) als unbekannt angegebene Quelle. AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. 693 des Bildes, es kommen Züge hinzu, die aus der Erinnerung an eine gesehene Landschaft geschöpft sind. Man beachte, dass Lenau im Sommer (Juli) 1832 in Holland war. Ganz gegenständlich ist auch das Gedicht Der fromme Pilger (119) gehalten, dessen Erstdruck bald auf den des vori- gen, am 14. Februar 1843 in der Wiener Zeitschrift, erfolgte. Es ist einem Kreuzritter in den Mund gelegt und stammt aus Lenaus Arbeit an einem Trauerspiele Balduin, worin uns das Einschreibbüchel von 1838 einen Blick eröffnet. Im ersten Akte geloben Balduin und sein Bruder eine Kreuzfahrt. Sie nehmen Abschied von der kranken Arnoldine (?), wobei sie Ringe wechseln. Balduins und Arnoldinens Wesen drückt sich aus in ihren Reden über das heilige Grab (!). Die Beschäfti- gung mit diesem Trauerspielstoffe ist bis in das Jahr 1843 hinein bezeugt, laut Lenaus Mitteilung an Emilie vom 20. Sep- tember 1843, dass Balduin nicht aufgegeben (803). Unmöglich ist nicht, dass auch bei diesem Pilgergedichte ein Satz Hegels anregend gewirkt. « Es ist schön, das Kreuzfahrerheer, als sie Jerusalem ansichtig waren, alle betend, Busse tuend, ihr Herz zerknirschend auf die Stirne fallen und anbeten zu sehen » (XV, 202). In seiner Betrachtung der Kreuzzüge nennt Hegel das heilige Land die « Hauptreliquie » und schildert eingehend seine Bedeutung für die damalige Christenheit (IX, 395-403). Die Entstehung eines Gelegenheitsgedichtes im Dezem- ber 1842, An Wilhelmine Dilg (5%), das noch einmal der « holden, treuen Mutter » gedenkt, erklärt Lenau selbst Emi- lien am 1%. Dezember : « Neulich erlebte ich eine hübsche Freude. Ich war bei meiner Schwester Therese zu Tisch und traf dort ein Fräulein Dilg, eine entfernte Verwandte und vertraute Freundin meiner Stiefschwester Marie. Bei Tisch zeigte sie mir plötzlich ein Ringlein und erzählte mir, sie habe solches von meiner Schwester auf vieles Bitten zum Geschenke (1) Lenau und Löwenthal, S. 54. 694 AUS DER ALBIGENSERZEIT. — 4. TEIL. erhalten, und es sei dasselbe, das meine selige Mutter bei meiner Geburt am Finger getragen. Auf meine Äusserung, dass ich sie um diesen Besitz beneidete, gab sie mir das teure Andenken. Dafür werd ich der Geberin die Taschenausgabe meiner Gedichte verehren. Beim Anblick des Ringes ergrift mich eine seltsame Wehmut und Freude zugleich. Solche Reliquien sind von unschätzbarem Werte. Ihr Herz, liebe Emilie, weiss wohl, was darin liegt » (776). In einer Charakteristik Lenaus in der Augsburger Allgemei- nen Zeitung (!) hatte A. Pfizer als Hauptkennzeichen seiner Diehtung die « melancholische Skepsis » bezeichnet. Diese Bezeichnung hat den Dichter « getroffen wie ein höchstes logisches Gericht, wie ein abstrakter Zauberschlag, durch wel- chen mir mein Wesen erschlossen, die ehernen Schranken meiner Individualität sichtbar wurden » (775). Die Zweifelsucht tritt vom Jahre 1839 an ganz in den Vordergrund seiner Poesie, und seinen « angebornen Hang zum Missmut » bezeugt er selbst im Schreiben an Emilie vom 2%. September 1841. Dir hat, dem Hochbegabten, Reichen, Die Zeit ihr Schicksal auferlegt, Sie hat ihr dunkles Trauerzeichen Auf deine Stirne scharf geprägt. (Savonarola, Vs 1489-1492). (*) Jahrgang 1842, Nr 324-326. « Das Hauptihema wie der Grundton von Lenaus gesamter Poesie ist unseres Erachtens melancholische Skepsis oder skeptische Melancholie. Lenaus Poesie gemahnt uns wie ein grosses gewaltiges Konzert des melancholischen Skeptizismus » (Nr 324). Der Artikel ist ganz lobpreisend und nennt Lenau den « bedeutendsten poetischen Genius, welchen das vierte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts in Deutschland auftreten sah ». Vgl. noch Lenaus Brief an G. Kolb. « Pfizer hat damit meiner Muse sozusagen den Taufschein geschrieben u. s. w. » (782). LV Letzte Gedichte an Sophie Löwenthal. 1841-1844, 4841. Der Kranke im Garten. — Lass mich ziehn. 1843. Einem Freunde. . 4844. Zweifelnder Wunsch. — Verlorenes Glück. Der Winter 1840-41 hat Lenau erst recht in Sophies Gewalt gegeben, weil sie, an seinem Bette sitzend, ihn gepflegt, so dass er an die störende Genesung gar nicht denken mochte (12). Hoch stieg die Sehnsucht nach der Geliebten, mächtig lodert die alte Liebe wieder auf, während des Stuttgarter Aufenthaltes vom 11. April bis zum 12. Juni 1841. Fast jeden zweiten Tag schreibt Lenau in dieser Zeit einen Brief an Sophie, den der Gatte mitlesen sollte, täglich einen Liebeszettel. Sehr missmutig klingen die ersten Bekenntnisse. Hundert Meilen von der Geliebten entfernt im Bette liegen und an seinem Leibe kurieren, statt zu arbeiten und die Geschäfte zu fördern, das ist « ein ganz verlornes und schlechtes Leben » (521). Die Tage wälzen sich hin in Unmut, Traurigkeit und allerlei niederschla- genden Empfindungen. Einen « grenzenlosen Missmut » (525) erzeugt ein verdriesslicher Brief Sophies, die nur Liebes- beteuerungen hören will und die Krankheitsgeschichten gleich- gültig abweist. Freundlichere Briefe Sophies wandeln den Kranken ganz um, erzeugen einen Wonnetaumel und ein Sehnsuchtsfieber, die sich zu sinnberückenden Vorstellungen steigern. Trunkene Koseworte, wie wir sie noch nicht gehört, fieberhaftie Wonnephantasien jagen sich, und mit zunehmender 696 LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. Genesung leuchtet die rote Flamme sinnlicher Leidenschaft glühend auf und schwelgt in wollüstigen Verzückungen (527-563). Sophie ist ihm nicht mehr die beste, schönste und tiefste Seele, sondern seine süsse Frau, das herrliche, liebliche, schöne, herzige, grundsüsse Weib, an dem er sich totküssen möchte. Das Verlangen nach ihr stürmt ihm in Leib und Seele. Es ist ein « heiliger, wonniger, verschmachtender Jammer », dass sie nicht sein ist, ganz sein, tief sein (534). Seine Seele hat keinen Atem mehr, wenn sie ihre Küsse nicht saugen kann. Die Pulse schlagen, jagen ‚und fragen nach ihr, heiss und ver- langend. Sie rollt ihm durch alle Adern. Oft in der Nacht träumt er von inniger Umarmung, ladet dazu ein und malt sich ein Wiedersehen aus, das seine Träume verwirklicht. Mehrere Sätze dieser Zettel hat Sophie in der Handschrift durchgestrichen, zweimal gebraucht sie das radikalere Mittel des Abschneidens. So ist denn auch mit dem « ewigen Verlust », den Lenau im Gedichte Der Kranke im Garten (415) « schmerzlich an die Brust drückt », der Besitz Sophies gemeint. Eine im Drucke weggelassene dritte Strophe : Der letzte wars, die Stimme schweigt ; Leb wohl, o Lenz, mein Leben neigt, Und schmerzlich drück ich an die Brust Den ewigen Verlust, die sich in der Sophie überreichten Handschrift findet, kenn- zeichnet das Gedicht als ein an sie gerichtetes. « Diese dumme Schriftstellerei ! », schreibt er am 27. Mai. « Dein Mann sein, wäre das einzige Gescheite für mich » (551). Den leidenschaft- lichsten aller Zettel, den vom 8. Juni, beschliesst er mit den Worten : « Weh mir! wär ich lieber tot, als dass du nicht mein bist » (563). In den glühendsten Farben hatte Lenau sich das Wiedersehen in Ischl ausgemalt. Vier Tage vor seiner Ankunft, am 15. Juli, schreibt Sophie wenig verheissend ihrem Gatten : « Dieser beinahe türkische Glaube (des Volkes in Ischl), der alles von LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. 697 Gott erwartet und um das, was er nicht freiwillig gibt, nicht die Hand und kaum die Lippe regt, scheint einem Herzen benei- denswert, das zu gut weiss, wie der heftigste Wunsch, das heisseste Streben, am Ende auch nichts davonträgt als die Ergebung, die dann nicht so schön und heiter ist, weil sie spät erzwungen, aufgenötigt und nicht im Herzen aufgewachsen ist. . Ich bin einmal eine ernsthafte Bestie, gewöhnt euch dran... » Zweifellos blieb der Empfang weit zurück hinter den kühnen Erwartungen. Durchgängig entsprach übrigens das Wiedersehen nach längeren Trennungen den Hoffnungen des Liebenden nicht. Nach seinen Reisen fand er Sophie beim Wiedersehen immer etwas entfremdet. Wo er den feurigsten Empfang erwartete, fand er einen kümmerlichen (51). Übrigens kam er, wie Sophie am 17. Juni Max Löwenthal mitteilt, « blass, schwach und mager » in Ischl an. « Unsere Freude war gross und seine auch... Gott helfe, dass ihn der Aufenthalt hier stärke... Er hat noch wenig Appetit und hat auch heute Nacht schlecht geschlafen, aber ich hoffe, die Luft, und wenn es warm wird, die Bäder, welche ihm D' Becher verordnete, werden ihn herstellen ». Auch seine Freundinnen, Sophie und Rosalie, fand Lenau « zwar vergnügt, aber nicht gesund » (732). Am 7. Juli klagt er Emilien, dass neben körperlichen Leiden seine Stimmung auch nicht die beste sei und das Arbeiten nur so « atomistisch » vor sich gehe (755). Wenn, wie wahrscheinlich, Sophies Datierung des Gedichtes Lass mich ziehn (2ıs) stimmt, das sie in einer Anmerkung der Handschrift als im Juli 1841 entstanden bezeichnet, so sind diese Verse eben der Ausdruck der Enttäuschung über den Empfang Sophies. Sie sind wieder in der Nacht geschrieben, wie uns die Überschrift der Handschrift /n der Nacht belehrt. Ganz ähnliche Stimmungen wie die hier ausgedrückten sind allerdings auch aus dem Oktober 1838 (174/75) zu belegen, auch aus dem Oktober 1840 (504); der späte Erstdruck im Morgen- blatte vom 27. Juli 1843 spricht jedoch für Sophies Einreihung. Die Verstimmung, die Sophie öfters in den Briefen dieser Zeit 698 LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. an Max Löwenthal kundgibt, stimmt auch zu der wehmütigen Empfindung des Gedichtes. Es schliesst mit dem harten Vor- wurf, der vielleicht der Grund von Sophies Niedergeschlagen- heit ist : Ich glaub es nicht, dass deiner Seele, Der schönsten, ew’ge Liebe fehle; Doch traur’ ich, bis die Gruft mich deckt, Dass meine Lieb sie nicht geweckt. « Kannst du es doch nicht einmal gewöhnen », schreibt sie am 10. Juli ihrem Gatten, « dass ich das Leben auf keine leichte Achse nehme », und am 4. August : « Ist doch die ganze Welt voll unheilbarer Übel und der Schmerz ein unleugbarer und unaustilgbarer Bestandteil jedes Menschenlebens. Ich möchte gar nicht vollkommen glücklich sein ; es ist nicht Gottes Wille, dass wir es sein sollen, und ich habe noch immer gesehn, dass man jede Seligkeit mit einem grossen Herzeleid bezahlen muss. Also gieb dich und lass mich zufrieden. — Du weisst, was kommt, und mir der Respect zu schreiben verbietet ». Vielleicht als Antwort auf Lenaus Gedicht schrieb Sophie damals folgende Verse aus Binzers Burschenschaftslied : Wir hatten gebauet auf: Man schalt es als Verbrechen, Man täuscht sich sehr, Die Form kann man zerbrechen, Die Liebe nimmer mehr. Das Band ist zerschnitten Und Gott hat es gelitten, Wer weiss, was er gewollt. (1) Die Verse finden sich auf der Rückseite eines lateinischen Exerzitiums Sophies. Am 3. August 1841 schreibt sie ihrem Gatten : « Ich will aber auch wirk- lich lateinisch lernen, und Niembsch, der mielhı und Ernst (ihrem ältesten Sohne) lange Pensa machen lässt, findet, dass ich fortschreite ». Vgl. Lenaus Zettel vom 21. April 1841 (506). LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. 699 Am 24. Juli besuchten Ötker und Dingelstedt Lenau in Ischl. F. Ötker (!) wundert sich sehr, den als finster und ver- schlossen geschilderten Lenau von « ausserordentlicher Liebens- würdigkeit » und mitunter « heiterster Laune » zu finden, während Dingelstedt einen ganz anderen Eindruck vom Besuche mitgenommen zu haben scheint. Sein Gedicht Ein Besuch in Ischl (?) legt die Vermutung nahe, dass Lenau ihm einen Ein- blick in sein Gemütsleben gewährt, der eben nicht von heiterer Laune eingegeben ist : Und darum bist du fortgeschwommen Durch des Atlantis blaue Wogen, Darum verwundet heimgekommen, Wohin dein Herz dich heiss gezogen, Dass hier im stillen Alpentale Dein volles Leben sich verblute Und, kaum geküsst vom Sonnenstrahle, Hinab ins Meer des Todes flute? Am 25. Juli kündigt Sophie Max Löwenthal an, Lenau habe ein paar sehr hübsche Gedichte gemacht, zu einer dauernden poetischen Stimmung sei er jedoch nicht gekommen. Die Gedichte sind Mein Herz und Lass mich ziehn. Ein äusserer Riss im Bunde mit Sophie erfolgte durch Lenaus Entschluss, die Wohnung bei Löwenthals in der Johan- nisgasse aufzugeben. « Dass du ihn (Niembsch) nicht als Gast in deinem Hause begrüsst », schreibt Sophie an Max, « ist ihm ein Zeichen, dass er dir unwillkommen, und da kein Wort von dir diese Meinung widerlegt, helfen unsere Versicherungen nichts ». Die « totale Verstimmung, ein Unmut, vor dem Gott jeden Christen und Heiden bewahre », über welche der Dichter Ende August der Stuttgarter Freundin klagt (740), hielt während des ganzen Ischler Aufenthaltes an, und Ende September bestä- tigt er Emilien, mit seiner Stimmung gehe es um nichts besser, (1) Lebenserinnerungen, Stuttgart, Auerbach 4877. I, 231. (2) Fr. von DINGELSTEDT, Sämtliche Werke, Berlin, Paetel 4877. VII, 124. 700 LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. und er leide an einer « fatalen Nervenreizbarkeit » (745). Er liess die Familie Löwenthal allein nach Wien ziehen und blieb unmu- tig in Ischl zurück, folgte jedoch bald nach, bezog aber eine neue Wohnung im Kasino (Hotel Munsch, jetzt Kranz) auf dem Neuen Markt. Bald wurde ihm die Entfernung von den Löwen- thals leid. « Ich war », erfährt Emilie am 25. Oktober, « seit Jahren gewohnt, hier wie in Stuttgart, bei lieben Freunden zu wohnen und physisch wie moralisch in einer warmen Tempe- ratur zu leben. Da spüre ich denn mein Alleinstehen jetzt mehr als früher » (745). Er führte fortan in Wien’ein Nomadenleben, bemerkt M. von Hartmann, wohnte bald hier, bald dort, bald in einer einfachen, bürgerlichen Stube, bald in einem glänzen- den Gemache (!). Schon im Laufe des Winters 1841/42 wechselte er dreimal die Wohnung. « Ich finde mich nirgends recht behaglich », schreibt er nach Stuttgart, « die liebste Wohnung ist mir noch diejenige, wo meine Geige am besten klingt » (751). Leicht ward es Sophie, das Verhältnis in die alten Bahnen der Entsagung zurückzulenken. Der so rasch verflogene Sturm der Sinnlichkeit regt sich nie wieder. Es macht sich übrigens seit dem Jahre 1842 ein allmähliges « trauriges Absterben » fühlbar. « Mein Wesen wird immer stiller und abgezogener » (570). Die drei Zettel aus dem Februar 1842, zu denen sich im ganzen Jahre 1842 nur noch einer aus dem Monate August gesellt, zeigen zwar, dass Sophie sich stets noch in ihrer Zweifelsucht gefiel. Diese vermag jedoch keinen lauten Widerhall mehr im Herzen des Dichters zu erwecken : « Der Funke scheint dir erloschen, weil viel Asche drauf liegt » (570). Immer seltener leuchtet durch diese Asche « jenes Licht einer grossen Liebe », das dem Dichter jetzt wieder als ein « himmlisches » gilt (572). Während der langen Trennung vom 23. Mai bis 15. August 1842 fühlt er zum ersten Male kein Bedürfnis mehr, Sophie sein Herz auszuschütten. Er (1) Schurz, II, 87. LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. 701 schreibt nur mehr freundschaftliche Briefe. Zum ersten Male verstummt auch die Sophiedichtung für den Verlauf eines gan- zen Jahres (1842). Der schriftliche Gefühlsaustausch des folgenden Jahres 1843 flaut auf drei Liebeszettel ab, trotzdem Lenau auch in Wien getrennt von Sophie lebte. Er bedauert am 18. April die bevorstehende neue Reise nach Stuttgart, die ihn schmerzt, weil er und Sophie unterdessen wieder um ein Stück Leben "dem grossen Scheiden nähergerückt seien, das wohl als ein endgültiges zu betrachten, dadie « Zinsen der Ewigkeit » sehr fraglich seien. « Aber, aber ich fürchte, wir geben alles aus und haben doch nichts davon... Könntest du mich doch über- zeugen vom Wiederfinden, es wäre alles gut und leicht zu tragen » (574). Sehr vieles hat er Sophie zu sagen, was in letzter Zeit in ihm geschehen sei, niederschreiben will er dieses während der Trennung, sie soll nach seiner Zurückkunft manches zu lesen haben (574). Er brach sein Wort; nichts bekam Sophie nach der Rückkehr zu lesen als noch zwei viel später im August in Unterdöbling gechriebene Zettel, deren erster wieder eine Spannung verrät (375), der zweite hingegen diese ganze Liebesdichtung in Prosa harmonisch, vollklingend abschliesst (576). Nach einem « heiligen Tag », der tief in sein Leben eingeschnitten, fühlt er sein Herz und sein Schicksal gewendet. « Ich bin wie neugeboren. Sollte ich auch mit den Menschen zerfallen, so fühle ich mich doch mit den himm- lischen Mächten versöhnt. Mein Herz geht ruhiger, fester, tiefer und freudiger. Seine Schläge sind dein bis auf den letzten. Ich habe fortan keinen Wunsch, als für dieh und zu deiner Freude zu leben ; ich habe keine Sorge, als dass Gott dich mir erhalte. Der Kreis meines Lebens hat sich geschlossen. Ich habe alles gefunden in deiner Liebe und gebe alles hin für deine Liebe. Gott segne uns! » ewige Treue # den 7. August 1843. 702 LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL, Die Dichtung hält diesen Höhepunkt des Optimismus in den Waldliedern fest, deren herrlichstes, das Merlingedicht (N' 5), Lenau « Sophie, der Blumenmalerin », widmete, sowie auch sehr wahrscheinlich das Gedicht Einem Freunde (2), das mit dem letzten Liebeszettel zusammenklingt Spät hab ich dich gefunden Und muss das Los beklagen, Das nicht in Jugendtagen Mein Herz an deins gebunden. Und konnt uns nicht vereinen Der Lenz in seinen Blüten, So will’s der Herbst vergüten In seinen welken Hainen. Die ursprüngliche Überschrift war, wie E. Niendorf (S. 169) andeutet, /m Herbste, worauf die letzte Strophe deutlich hin- weist. Am 11. April 1844 las Lenau das Gedicht im Rein- beckschen Kreise vor. Am Neujahrstage 1844 sandte er es dem K. K. Hauptmann G. Schindler, mit der Überschrift An Gustav Schindler und der Unterschrift Dein Freund N. Lenau. Unbe- kannt ist mir, welche Beweggründe den Dichter veranlassten, den Hauptmann, von dessen Bedeutung in Lenaus Leben nichts verlautet, so hoch zu ehren, jedenfalls erklärt die Sendung der Verse an ihn den täuschenden Titel. Die Beziehung des Gedichtes auf Sophie wird noch äusserlich durch das Vorhan- densein einer Handschrift in ihrem Nachlasse gestützt. Spätere Zutat ist vielleicht die vierte Strophe. Wörtliche Wiederholung aus dem Gedichte Die Jugendträume ist, dass diese « das Beste » (Vs 8) genannt werden. Nicht lange liess der Glücksumschwung auf sich warten. Im November 1843 ging es Lenau wieder einmal ganz schlecht, was die Stimmung seines Gemüts betraf. « Ich habe neulich ein Wort im Homer gelesen, das meinen Seelenzustand treffend bezeichnet : sugıudXas, das heisst ringsum schwarz. Ja, liebe Emilie! um und um schwarz ist meine Seele, wenn mieh der LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. 1703 Hypochonder packt, und der packt mich diesen Winter öfter und fester als je. Ein Dichter kann heutzutage nicht glücklich sein.... Ein Dichter aber, der überdies kein Familienleben, ja nicht einmal eine gesicherte Existenz hat und körperlich zur Melancholie in hohem Grade disponiert ist, wie ich — ein soleher hat Stunden, wo jenes homerische Beiwort auf seine Seele passt » (807). Im Dezember ist die « Gemütsstimmung » um nichts besser, und es kommt ihm vor, als ob das Organ der Freude in ihm vor allen übrigen absterbe (809). Solche Klagen, die Sophie oft gleichgültig abwies, trafen die selbstlose Freundin Emilie ins Innerste. « Gott weiss ja », beichtet sie E. Niendorf (S. 50), « dass mir seine Leibes- und Seelengesund- heit zu jeder Zeit so nah am Herzen liegt, dass ich gern mein Leben hingäbe, wenn ich sie ihm damit sichern könnte ». Am 20. Februar 1844 war Lenau bei einer Familienfeier im Hause des österreichischen Dialektdichters Franz Stelzhammer zugegen, wobei eine Tochter Stelzhammers, eine blühende Rose in der Hand, das Gedicht An die Entfernte vortrug. Lenau « lauschte hoch auf und wurde ganz rot im Gesichte. Mit gespanntester Aufmerksamkeit und sichtbarem Anteil folgte er dem innigen und sittigen, und eben darum auch ergreifenden Vortrage dieses lieblichsten aller I,enauschen Lieder, eines Liedes von allen Liedern », erzählt Stelzhammer. Die vom Kinde überreichte Rose empfing er hochbewegt, ja, vor Über- raschung und Rührung fast verlegen, und gar keines Wortes mächtig ('). In der Stimmung, die der Vortrag des Rosen- gedichtes An die Entfernte hervorgezaubert, mag Lenau die Verse Zweifelnder Wunsch (i22) gedichtet haben : Wenn Worte dir vom Rosenmunde wehen, Bist du so schön! die er im Februar 1844 Sophie überreichte. Sie bemerkt ın der P (4) ScHurz, II, 14. 704 LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. Handschrift : « Den ich weiss nicht wievielten Februar 1844 », und in ihrem Exemplar : « Letztes Gedicht an Sophie, Februar 184%. » Das letzte war dieses Sophielied nicht, denn Sophie selbst reiht in die an sie gerichteten Gedichte noch Verlorenes Glück (55) ein ('), das Lenau kurz darauf in Heidelberg schrieb. Am 1. April 1844 traf er wieder in Stuttgart ein, um dort wie im April 1843 sein « papiernes Glück zu schmieden » (785). Im ersten Reisebrief an Sophie beklagt er, dass er seinen Berufsgeschäften nicht nachkommen könne ohne sich auf lange Zeit seines « liebsten Umgangs » zu berauben (sır). Tatsäch- lich waren jedoch diese vielen Reisen nach Schwaben nicht notwendig, sie entsprachen seinem Hang zum Nomadenleben, brachten jedesmal eine angenehme Abweehselung und dämpften seine innere Unruhe. Auch trugen die vielen Trennungen von Sophie mit dazu bei, dem « liebsten Umgang » immer frische Zugkraft zuzuführen. Am 25. April flüchtete Lenau aus dem regen gesellschaftichen Treiben in Stuttgart nach dem stilleren Heidelberg, um nur im Umgang mit der Natur sich selbst und seiner Arbeit zu leben. Die erste Strophe des Gedichtes Verlorenes Glück : Die Bäume rauschen hier noch immer, Doch sind’s dieselben Blätter nimmer, Wie einst in jener Sommernacht. Wohin, du rauhes Erdenwetter, Hast du die damals grünen Blätter, Wohin hast du mein Glück gebracht ? hat ihr Seitenstück im Briefe aus Heidelberg vom 27. April 1844 an Sophie, wo er die Reise dorthin beschreibt. « Das Wetter war ausserordentlich schön, und die Obstbäume am Strassen- saume standen und schwanden im vollen Festschmuck des Frühlings vor meinen Blicken und mahnten mit ihren Blüten (1) Lenau und Löwenthal, S. 54. LETZTE GEDICHTE AN SOPHIE LÖWENTHAL. 705 an entschwundene Zeiten. Seit meiner Jugend war ich nicht wieder in diese Gegend gekommen. Mir war seltsam zu Mut. Meine Jugend, meine Poesie und der Frühling der Erde erschienen mir wie holde, blühende Gespenster und lächelten wehmütig auf mich zum Wagen herein » (826). Auch Emilien schildert er die Reise und erwähnt der blühenden Obstbäume : « Viele der Obstbäume an der Strasse fand ich in vollem Festschmuck des Frühlings » (s27). Lenau überreichte das Gedicht Sophie in einer überschriftslosen Handschrift. Mit Unrecht ist Reynaud (!) fest überzeugt, dass es sich auf Berta bezieht und aus dem Jahre 1827 stammt. Eher noch wäre dabei an Lotte zu denken, deren Bild den Dichter so oft auf seinen Fahrten nach Heidelberg begleitet, und das ihm wie ein holdes, blühendes Gespenst wehmütig lächelnd (826) hier zum letztenmal aufgestiegen sein könnte. Dem Verse : Das Mondlicht ruht auf ihren Wangen mag man die Mitteilung an Sophie Schwab zur Seite stellen, dass Lotte dem Dichter am schönsten erschienen, als « auf der Heimfahrt vom Bergheimer Hof ihr der Mond das schöne Gesicht küsste » (72). Lenau bemerkt jedoch ausdrücklich im Briefe vom 27. April 1844 an Sophie, er habe bei dieser Fahrt ihrer gedacht, die in ihrem Herzen « Jugend, Poesie und Frühling » für ihn beschlossen halte. (*) These auxiliaire, Nr 39. LVI Nachklänge der Albigenser. Einem Wanderer in österreichischer Felsenschlucht. — Die Frivolen. — Zum Jubelfeste des Erzherzogs Karl. — Die Albigenser. — Die Nonne und die Rose. — Veränderte Welt. — An einem Grabe. — Die Bauern am Tissastrande. Am 6. Januar 1843 schreibt Sophie ihrem damals in Peters- burg weilenden Gatten : « Seine (Lenaus) Laune ist seither sehr schlecht, und er hat das alte Jahr beschlossen und das neue begonnen in aschgrauem Humor ». Nichts von übler Laune verrät Lenaus Brief vom 16. Januar an Emilie Reinbeck. Sein Leben verstreicht in fleissigen, historischen und philologischen Studien, deren Ergebnisse sich gewiss auch poetisch betätigen werden. Ein Heisshunger im Lesen lässt ihn für jetzt nicht zum Schreiben kommen (779). Mit diesem Briefe stimmt ein unveröffentlichter an K. E. Bauernschmid überein. Er lautet : Wien, 30. Januar 1843. « Teurer Freund! Ein erfreuliches Gerücht verkündigt mir Ihre baldige Ankunft in Wien. Ich bitte Sie angelegentlichst mir meinen Pass mitzubringen, oder falls Sie nicht binnen vier Wochen hier eintreffen, mir denselben durch sichere Gelegenheit zu übersenden. Doch ich glaube, dass Sie kommen und freue mich sehr über so manches, NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. 1707 was seit unserer letzten Trennung über die Welt und unser Leben hingerollt, mit Ihnen mündlich zu sprechen. Meine Wohnung ist Himmelpfortgasse, beim goldenen Greif Nr 968, 2. Stock rechts bei Baron Sommaruga. Mein Leben ist hier so gut, als es sein kann; unter histo- rischen und philologischen Studien vergehen mir die hässlichen Wintertage ganz leidlich; zuweilen wird wohl auch ein Lied gesungen; an ein grösseres Werk bin ich noch nicht gegangen. Schreiben Sie mir doch jedenfalls ein paar Zeilen, auch abgesehen von meiner Passangelegenheit, denn mich verlangt es wieder ein Zeichen Ihres Lebens und Ihrer Freundschaft zu sehen. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin Ihr getreuer Niembsch. Herrn Karl Eduard Bauernschmid, Bücherrevisor im k. k. Revi- sionsamte Wohlgeborner zu Linz (!) ». frei Grosses Aufsehen machte zu Anfang des Jahres 1843 in Wien ein anonymes Buch über Österreich und seine Zukunft (?), das Lenau und Sophie in Briefen an Max Löwenthal aus dem Januar erwähnen. Sophie bezeichnet es als ein, « wie alle Sachverständigen behaupten, mit tiefer Einsicht in die hiesi- gen Verhältnisse, von einem sehr unterrichteten, als Beamter erfahrenen und ehrenwerten Manne » geschriebenes. Ausführlich beurteilt Lenau das Buch in einem Briefe aus dem Februar 1843 an den Herausgeber der Allgemeinen Zei- tung, G. Kolb: « Die Broschüre “ Österreich und dessen Zukunft ° — zur (t) Die Veröffentlichung erfolgt nach einer Abschrift im Besitze von Herrn Dr Bruno von Frankl-Hochwart, Wien. (@2) (Viktor Freiherr von ANDRIAN-WERBURG), Österreich und seine Zukunft. "Hamburg, Hoffmann und Campe, 1849, 708 NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. Ehre des Buchs und seiner Leser werde es nicht verschwiegen — hat hierzuland in den höhern und höchsten Kreisen derer, die den Staat verwalten, nicht etwa bloss wie ein verwegenes Kuriosum die futile Teilnahme der Neugierde erregt, sie hat vielmehr die des Ernstes und der Beherzigung vielfach in Anspruch genommen; in allen Regionen der Gesellschaft aber war der Eindruck, den diese Schrift gemacht, ob beifällig, ob missliebig, jedenfalls ein viel zu bedeutender, als dass man dieselbe wie ein geringes Machwerk eines eigensüchtigen, unkundigen und stümpernden Aristokratenjungen verächtlich beiächeln und mit einem vornehmen Ruck der ästhetischen Feder dürfte beiseiteschieben wollen, ohne dem Tadel und der Indignation der besserunterrichteten Wohlgesinnten anheimzu- fallen. Mit klarem, durch vielseitige Bildung und wahrhaft patriotische Gesinnung geschärften Blick und mit unverkennbar im Staatsdienste geübter sicherer Hand hat der Verfasser die fragmentarischen Anschauungen österreichischer Zustände, wie sie in dem Bewusstsein einzelner hier und dort zerstreut sich finden, in seinem Buche zum ersten Male in ein den Haupt- zügen nach wahres, wenngleich Trauern und Bangen erre- gendes Gesamtgemälde zusammengestellt, er hat die allerdings bedenklichen Ergebnisse uralter welthistorischer Versündigun- gen in eine düstere Gruppe zusammengeordnet und den dro- henden Abschluss gezeigt, den sie seiner Überzeugung nach nehmen müssen, wenn nicht bald hohe Einsicht und ener- gischer Wille wendend und rettend auftreten. Möchten doch für Deutschland und namentlich für Österreich neben dem geheiligten Ausspruch : “ Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist ’ — die vielleicht auch messia- nischen Worte Geltung gewinnen : gebet dem Tode, was des Todes ist, und dem Leben, was des Lebens ist » (782) (!). Unmittelbar knüpfen an diese Mitteilung die Verse Einem (4) Siehe noch über dies Buch : BAUERNFELD, Tagebücher (GRILLPARZER-JAHR- uch, V,103) und K. GLossy, Anastasius Grün (ebenda AI, 443). NACHKULÄNGE DER ALBIGENSER. 709 Wanderer in österreichischer Felsenschlucht (524) an. Auch dies Nachlassgedicht ist von dem Gedanken beherrscht, Wie weithin Wetter sich verbünden. (Vs 14.) Unter dem Gleichnisse eines Gewitters prophezeit der Dichter seinem Vaterlande die grossen Märzereignisse des Jahres 1848, die spur- und wirkungslos an dem vom Wahnsinn Umhüllten vorübergingen. Ganz den Stil der Albigenser trifft ein zweites Nachlassgedicht dieser Zeit, Die Frivolen (ss7). Es ist zunächst zurück- zuführen auf die Unzufriedenheit, welche die Albigenserdichtung in den schwäbischen Kreisen erweckt hatte. Kerner liess seinen Jammer gegen Reinbecks los, und Sophie Schwab möchte Lenau zur Rede stellen und ihren Zorn gerne recht gegen ihn heraus-. lassen (!). Einen vorwurfsvollen Brief schrieb Emilie Reinbeck, worin sie die Hoffnung aussprach, dass der Erlöser und die göttliche Liebe noch im Herzen des Dichters auferstehen möchten. Diese Klagen der christlichen Freunde, antwortet Lenau, möchten ihnen geschenkt bleiben, wenn sie sonst keine Teilnahme für ihn hätten. « Ich mag an meinen Freunden nicht sehen, wie sie über mich und meine Tendenzen sauerliche bedauerliche Gesichter schneiden. Sehe jeder, wie er’s treibe, und dass er mit dem Teufel fertig werde, der auch mit dem allerchristlichsten Symbolum zu hantieren und die himmlischen Papiere täuschend nachzumachen weiss. Wir kennen uns » (71). Das Gleichniss vom « Bettlermantel, den die Schwaben tragen » (Vs 34), vom Notgewändlein, das im Neckartal Die Patria, Religion, Moral, Drei alte Schneiderjungfern, zubereiten Und dort den Bettlern um die lüften breiten (Vs 35-38), (1) Kerners Briefwechsel, Nr 513, 575. 710 NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. stammt aus Goethes Briefwechsel mit Zelter : « Wundersam ist es », schreibt Goethe am 5. Oktober 1831, « wie sich die Herrlein einen gewissen sittig-religiös-poetischen Bettlermantel so geschickt umzuschlagen wissen, dass, wenn auch der Ellen- bogen herausguckt, man diesen Mangel für eine poetische Intention halten muss ». Der Briefwechsel mit Zelter erschien 1834. Hierauf fusst Castle (?), um das Gedicht in die Zeit des besten Einverständnisses mit den Schwaben zu versetzen. Wie Lenau damals über Goethes Angriff dachte, ersehen wir aus einem Briefe vom 13. Februar 1835 an Max Löwenthal. « Hast Du Goethes Briefwechsel mit Zelter nicht? Da kommt ein Brief, worin sich Goethe auf eine ganz bissige und des grossen Mannes unwürdige Art über Uhland und Pfizer ausspricht. Es ist zu beklagen, dass wahre Liebe für das Schöne so selten, und kaum bei den grössten Künstlern selbst anzutreffen ist » (190). Ganz selbstverständlich ist es, dass die Stelle des Gedichtes gegen die Schwaben nur durch einen Umschwung in Lenaus Gesinnung gegen sie erklärt werden kann. So meint auch Mayer (S. 180), der sich in seiner bekannten grossmütigen Art über den Angriff ausspricht. Er versetzt das Gedicht in spätere Zeiten, « als sich unsres früher so hingebenden Freundes ein Gefühl besonderer Geisteskraft und rücksichtsloser Geistesfreiheit immer mehr bemächtigt hatte ». Damit spielt er sichtlich auf die Albigenser- zeit an. Damals, meint er weiter, « war die Freundschaft, das Wohlwollen für uns Schwaben wohl nicht mehr Lenaus anhal- tende Stimmung ». In seiner grenzenlosen Gutmütigkeit dem scharfen Ausfall Lenaus sogar eine gewisse Berechtigung zuerkennend, schreibt er noch : « Was auch jene hingeworfene Bemerkung da oder dort, oder bis zu einem gewissen Grade Treffendes haben mochte : Lenaus Herz war doch wohl bei solcher etwaiger Stimmung und zu jener späten Zeit nicht mehr in dem natürlichen Zustande, dass er die schwäbische (4) Lenau und Löwenthal, S. 541. NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. 71 Natur so natürlich, als es am Platze gewesen wäre, hätte auffassen können ». Dreimal spricht Mayer in seiner Mitteilung von einer späten Zeit. Auch auf die Zusammenhanglosigkeit des Gedichtes deutet er hin, wenn er vom Seitenangriff gegen die Schwaben bemerkt, dass dieser die Einheit des Ganzen « ziemlich » zu stören scheine. Das Gedicht ist in der Tat ein Chaos der Verworrenheit. Ausfälle gegen die Kirche, die Stümper, das junge Deutschland, die Misshandlung der Kunst u. s. w. sind bunt durcheinander geworfen. Die Schwaben werden verspottet, weil sie die Fahne der Patria, Religion, Moral aufstecken, das junge Deutschland wird gegeisselt, weil es das Heiligste der Menschheit verkennt, ins Fleisch flüchtet und die niederen Leidenschaften aufgären lässt. Zahlreich lassen sich Parallelstellen aus Briefen und Gesprächen beibringen. Das Gleichnis des Fleisches mit einem « verweslichen Asyl » (Vs 10) findet sich im Zettel an Sophie vom 28. September 1837 und im Briefe an Martensen vom 24. April 1838. Die dem Gedichte entsprechenden Angriffe häufen sich zu Ende des Jahres 1842 und zu Anfang des Jahres 1843. Am 19. November 1842 will Lenau seine Zeit- genossen, « diese erbärmlichen Wichte alle, » bis auf die letzte Faser zerlegen, scharf zieht er gegen Heine, den Dichterkönig Ludwig von Bayern, Gutzkow, Herwegh, die Wiener Lite- raten los und versteigt sich zum Ausspruch : « Man soll gar niehts mehr schreiben und diehten. Denn jetzt in Deutschland von Poesie reden, das ist so, als ob man in einem H.... hause von platonischer Liebe spricht » (1). Der Vers 13 erwähnte Bube ist entweder Gutzkow oder Heine. Laubes Zeitung für die elegante Welt brachte in ihren Num- mern vom 7. Januar bis 8. März 1843 im Erstdruck Heines Atta Troll. Die neue Verhöhnung der schwäbischen Schule stimmt auffallend genug mit Lenaus satirischem Ausfall über- (4) Lenau und Löwenihal, S. 236, 231 f., 233, 235, 238, 239, 241. 112 NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. ein, sodass eine Anregung durch Heine glaubhaft scheint. Der Schwabendichter ist kein frivoler Goetheaner, Sittlichkeit ist seine Muse, der Bettelmantel sein einziges Gut (Atta Troll, Kaput 22). Ende Januar 1843 forderte Sophie Lenau zu polemischer Dichtung auf. Bezüglich des « Mäusekriegs » (781), der sich im Kreise der Wiener Literaten anlässlich zweier Artikel Din- gelstedts in der Allgemeinen Zeitung (!) erhoben, schreibt sie am 21. Januar ihrem Gatten : « Eine so wohlklingende Stimme aber und ein so reiner Name wie der Lenaus würde manches verirrte Schaf zur Hürde locken, und die vielen Besseren würden ihm mit freudiger Zustimmung beistehen ». Edel schweigende Verachtung, meint sie noch, helfe zu nichts. « Wenn ewig nur die Erbärmlichkeit laut wird, und das in wohlgesetzter Rede, führt sie den Tross bequemer, nichtsdenkender Menschen nur immer tiefer in den Dr... » Wenn nicht vom Geiste der Albigenser, so doch von seiner Schlachtenpoesie durehdrungen ist der Prolog Zum Jubel- feste des Erzherzogs Karl (s27). Diese Dichtung wurde am 17. April 1843 bei der Feier des fünfzigjährigen Jubiläums des vom Erzherzog Karl auf dem Schlachtfelde erworbenen Maria Theresienordens vom Schauspieler Löwe gesprochen. Über den Anlass berichtete Lenau am 12. Mai 1843 im Rein- beckschen Hause : « Dieser Prolog ist sehr schnell entstanden. Ich wollte ihn lang nicht übernehmen, weil ich in keiner poe- tischen Stimmung war. Aber man drängte so, und da gab ich nach. Die Idee, mit diesem Konzert (?) eine Feier für den Erzherzog zu verbinden, kam erst ganz spät einem der Unter- nehmer. Ich hatte -kaum drei Tage Zeit, weil der Schauspieler, der die Dichtung sprach, doch auch noch damit bekannt sein (1) Genaueres in Lenau und Löwenthal, S. 574, und in Lenaus Brief vom 1. Februar 4843 an NM. Löwenthal (784). (©) Ein Tonwettkampf veranstaltet von der Gesellschaft der Wiener Freunde der Tonkunst. ni & NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. 113 musste. Zuerst ging ich, um mich zu inspirieren auf die Biblio- thek und liess mir die Kriegsberichte aufschlagen, das Akten- mässige. Zunächst über die Schlacht von Aspern. Das war alles ganz einfach und kurz. Es ergriff mich gleich, und ich erkannte, dass diese Schlacht als Hauptmoment dastand. Dann ging ich nach Haus und fing gleich an, und war im Zug; in drei Tagen war ich fertig » (?). Meiterrüch, dem der Prolog gefiel, verlangte vergeblich eine Änderung der Stelle, welche die Kränkungen erwähnt, die der Doheras zu erdulden hatte (Vs 131-136). Diese Verse ent- hielten eine mittelbare Kritik der Regierung. Sogar dem Wunsche der Zensurbehörde, bloss ein Wort in dieser Stelle zu ändern, statt böser Tropfen Schmerzenstropfen einzusetzen, widersetzte sich Lenau heftig, mit Zurückziehung der Dich- tung drohend. Die Handschrift legt Zeugnis ab von diesem Kampfe mit der Zensur. In Vers 155 strich Hofrat Maltz böse Tropfen. Seine Schmerzenstropfen durchstrich der Dichter mit kräftiger Hand und schrieb die ursprüngliche Fassung darüber. So erreichte er, dass der Prolog unverändert gespro- chen wurde, und errang einen glänzenden Sieg über die Zen- sur (?). Er veröffentlichte das Gedicht in der Wiener Zeit- schrift und in der Allgemeinen Zeitung, damit die Welt sehe, wie er einen Fürsten besungen habe, d. h. ohne jede krieche- rische Schmeichelei, ohne in Widerspruch zu geraten mit den Versen Protest. Auch meinte er, dass es gerade die Keuschheit seines lobes gewesen, die dem Erzherzog zumeist an der Huldigung gefiel (?). Später nahm er auch am blossen Schein der Fürstenschmeichelei Anstoss und gewährte dem Prolog keinen Platz in seinen Werken. Die Handschrift ist vom Vor- sitzenden der Zensurbeamtenschaft, Hofrat Maltz, datiert mit dem 14. April 1843. Ein Zusatz lautet : « Zulässig zum (t) E. NIENDORF, S. 154 1. (2) Ebenda, S. 155 f. (?) Lenau und Löwenthal, S. 244. 714 NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER, Vortrage im grossen Redouten-Saale am 17. April d. J. Pr. kk. Pol. : u. Censur-H. St. Maltz ». Ende April erfolgte eine neue Reise Lenaus nach Stuttgart, wo er am 2. Mai eintraf. Er erhoffte eine zweite Auflage der Albigenser, die jedoch erst i. J. 1846 notwendig wurde, und eine Neuauflage der Gedichte, die er während dieses schwä- bischen Aufenthaltes besorgte. Es ist die Oktavausgabe von 1843 in zwei Bänden, deren Korrektur er am 22. Juli beendete. Der erste Band erschien in sechster, der zweite in vierter ver- mehrter Auflage. Die Vermehrung besteht in Mischka an der Marosch. Die seit 18%1 neu entstandenen Iyrischen Gedichte bewahrte der Dichter für die Ausgabe von 1844 auf. So entspricht denn die von 1843, abgesehen vom angedeuteten Zuwachs und einigen wenigen Änderungen, ganz der vom Jahre 1841. Über das Leben in Stuttgart vom 2. Mai bis zum 26. Juli berichten eingehend die Briefe an Sophie und Max Löwen- thal. Wiederholt spricht Lenau von « anhaltender lleissiger Arbeit » ('), die jedoch eher dem Studium als der Dichtung gewidmet war. Die ungünstige Stimmung für die Lyrik bezeugt er am 6. Juli Sophie : « Die Lieder wollen hier nicht kom- men, und ich muss sie schon auf meinem heimischen Boden Östreichs aufsuchen, wo ich einst meine ersten gefunden » (795). Nur die Entstehung des kleinen Gedichtes Die Albigen- ser (122) (Das Aug der Liebe) ist uns aus dieser Zeit durch einen Bericht des Schriftstellers Ludwig Mielichhofer in Frankls Sonn- tagsblättern (1846, Nr 26) bekundet (?). Die Verse soll Lenau in ein Exemplar der Albigenser hineingeschrieben haben, das er Mielichhofer an einem Sonntage im Frühling des Jahres 1843 bei einer Begegnung in Salzburg überreichte. Die im Salz- burger Museum aufbewahrte Handschrift des Aufsatzes von (4) Briefe, Nr 786, 788, 791, 793. (2) Lenaus Besuch in Aigen bei Salzburg, auch in Mielichhofers Skizzenbuch aus Salzburg (S. 88 f.) und im Wanderer, AT. April 1856. NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. 7115 Mielichhofer bezeichnet den Ostersonntag des Jahres 1843 als den Tag der Zusammenkunft, die im Schlossparke von Aigen stattgefunden haben soll. Am Ostersonntage, dem 16. April, war Lenau noch in Wien. Auch der sonst sehr romantisch aufgeputzte Bericht Mielichhofers, der u. a. Lenau von seinen Weltreisen in Italien, der Schweiz reden lässt, gebietet Vor- sicht, die jedoch nicht so weit zu gehen braucht, die Tatsache der Begegnung und Überreichung des Gedichtes zu verdäch- tigen. Lenaus Hoffnung, dass die Lieder auf dem heimatlichen Boden wiederkommen würden, erfüllte sich bald nach seiner Anfang August erfolgten Rückkehr nach Wien. Am 19. August diehtete er « abends im Bette », wie er Emilien Reinbeck mit- teilt, Die Nonne und die Rose (120). Der Mitteilung des Gedichtes an die Freundin im Briefe vom 21. August geht die Erklärung voraus, wie er Schurzens ältesten Sohn, Toni, von seinem Vorhaben, ein Geistlicher zu werden, abgebracht habe, nachdem er eingesehen, dass der entschiedene religiöse Hang, die gesinnungsvolle Frömmigkeit, die durchaus. erforderlich, um den Menschen über die Beschwerden und Entsagungen eines katholischen Priesters hinwegzuheben, nicht vorhanden seien. Bezeichnend für des Dichters Gesinnung zu jener Zeit ist die hierauf folgende grundsätzliche Äusserung, die ganz im Gegensatze steht zu einer früheren vom 25. Dezember 1837 (') : « An einen wahrhaften Beruf zum katholischen Priesterstande glaube ich nicht nur bei meinem Neffen, sondern überhaupt nicht. Beruf ist natürliche Anlage, zur Unnatur aber, wie jener Stand eine der schreiendsten ist, kann es keine natürliche Disposition geben. Gottlob, dass es mir gelungen ist, den Jüngling von seiner Intention abzubringen und ein aufblü- hendes Leben vor einer unheilbaren Erkrankung zu bewahren » (so1). Als « verwandten Inhalts » bezeichnet er die Strophen : Die Nonne und die Rose. (‘) Tagebuch von M. Löwenthal, Nr 42. en 2 716 NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. Die « Unnatur » ihres Standes beklagen die Mönche im Don Juan. Ihr Gerede über den « Narrn », den « grausamlichen Tor », Papst Gregor, der schuld daran, dass das Zälibat, das Ungeheuer, Liegt bei uns in düstrer Zelle (Vs 189-194.) scheint wieder auf Hegel zurückzugehen, der in seiner Philo- sophie der Geschichte ausführt, wie Gregor VII mit seltener Energie die Massregel des Zölibats vollendete, auf diese Weise die Geistlichkeit auf sich selbst anwies und von der « Sittlich- keit des Staates », die Ehe und Familie fordere, ausschloss (Werke IX, 383). Hörst du den wilden Hirsch im Walde röhren? Wie mag den armen Mönchen sein zu Mut, Wenn der Naturschrei weckt verhaltne Glut? (Don Juan, Vs 142-44.) Don Juan ..tauschte lieber ınit dem Hirsch die Stelle, Als mit dem Klosterbruder in der Zelle, (Vs 859 £.) denn das Verrückteste auf Erden sind Stoiker und darbende Asketen (Vs 847 f.), das blutende Entsagen ist finsterer Wahn- sinn (Vs 145). Der Gedanke einer Don Tostilichäidg taucht bereits im Januar 1842 auf (1). Nichts verlautet über das Werk im Jahre 1812, aus dem Jahre 1843 besitzen wir nur die unzuversicht- liche Mitteilung von Mielichhofer, dass Lenau ihm beim Besuche in Aigen von der Dichtung, « deren Vollendung (!) ihn gerade damals beschäftigte », gesprochen, bestimmte Zeug- nisse bringt erst das Jahr 1344. Möglich ist, dass die fleissigen Studien des Stuttgarter Aufenthaltes 1843 dem Don Juan gal- (1) Lenau und Löwenthal, S. 210. NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. 711 ten, jedenfalls ist der Beginn der dichterischen Arbeit in diesem Jahre sehr wahrscheinlich. Bereits im September 1842 klagt Lenau Hegel der Feigheit an, weil er selbst vor seinem kühnen und genialen Gebäude, als es fertig war, erschrocken sei und versucht habe, es da und dort zuzustutzen und der preussischen Staatsweisheit anzupas- sen ('). Hegels Rechtfertigung des Bestehenden in Staat und Kirche verwerfend, stellt er in Veränderte Welt (s») dem « alten Entsagungslied » das « neue und bessere Lied », « das Hochzeitskarmen » der neuen Zeit gegenüber, das Heine in Kaput I von Deutschland, ein Wintermärchen im Januar 1844 dichtete : Ein neues Lied, ein besseres Lied, OÖ Freunde, will ich euch dichten! Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich errichten. Auch die protestantische Orthodoxie verschont Lenau um diese Zeit nicht. Nach E. Niendorf (S. 169) wollte er im Gedichte An einem Grabe (1), das er am 41. April 1844 in Stuttgart vorlas, das Unerquickliche einer protestantischen Leichenpredigt anschaulich machen. Tatsächlich wohnte er allerdings viel früher, im November 1838, einer lutherischen Leichenpredigt bei (?), die jedoch ganz andere Empfindungen als die hier geschilderten, « gute, heilsame Gedanken », in ihm erweckt zu haben scheint, so dass der äussere Anlass wohl in einer späteren, ähnlichen Trauerfeier zu suchen ist. Was will denn dieser eifrige, taktlose Priester, dieser verwehende Staub, der dem Staube predigt, er solle ans Verwehen nicht glauben ? Den « törichten Freunden des toten Alten » ist das « Mär- lein » Die Bauern am Tissastrande (422) gewidmet, das der Dichter selbst als eine Satire auf die Konservativen (!) Lenau und Löwenthal, S. 231. (2) Ebenda, S. 526. (%) Ebenda, S. 66. 718 NACHKLÄNGE DER ALBIGENSER. bezeichnete, als er es am 11. April 1844 in Stuttgart vorlas ('). Bald darauf, am 9. Mai, erschien es im Erstdruck im Morgen- blatte. Von dem satirischen Hintergrunde abgesehen, gehört das reizvolle’Gedicht zu den besten Schöpfungen Lenaus. Es ist wieder wie die Tanzszene im Faust, wie Beethovens Büste, wie Mischka u. a. eine jener herrlichen musikalischen Dichtungen, die einzig in der deutschen Literatur dastehen, in denen die Rythmen der verschiedenen Instrumente mit orchestraler Gewalt einherwirbeln. Auch an Lenaus erstes Bild aus dem ungarischen Volksleben Die Werbung knüpft dieses letzte, das schönste von allen, an. Lenau selbst erläutert das Gedicht in einem Briefe an Sophie Löwenthal vom 29. Mai 1844 : « Der Gelbsüchtige sieht alles gelb, und ein in eine veraltete Weltan- schauung immer tiefer Versinkender sieht am Ende alles im Lichte des Alten ». Auf seinen Freund, den D' Scharschmidt, anspielend, fügt er hinzu : « Er soll meine Bauern am Tissa- strande lesen, aber nicht durch die katholische Brille » (852). Mit diesem Gedichte beschloss Lenau seinen politischen und religiösen Federkrieg. Bestärkt ward er in demselben im Laufe des Jahres 1843 durch die Besprechungen der Albigenser, die ihm andeuteten, er wisse jetzt wo die Glocken hingen, deren Klang die Zeit hören wolle (?), die ihm zujubelten, weil er in der bewegten Zeit nicht zurückgeblieben sei (*). Prutz feierte das Epos als einen glänzenden Widerruf des Savonarola, als einen voll hinströmenden, jubelnden Siegsgesang der Freiheit, deren warmer Hauch das ganze herrliche Gedicht durchströme. Der Mann des Zweifels habe sich entwickelt zum Mann der Tat, die volle Sonne sei aufgegangen (*). (1) E. NIENDORF, S. 169. (2) Allgemeine Literatur-Zeitung, Halle. 1843, Nr 105/105. (Vgl. Brief Lenaus, Nr 819.) (8) Deutsche Vierteljahrsschrift, Cotta. 1843, 3. Heft, (4) R. L. Prurz, Kleine Schriften. Merseburg, L. Garcke, 1847, I, 344-148. LVII Waldlieder und gleichzeitige Gedichte. Ende 1843. Waldlieder. — Der Vogel auf dem Kreuz. — Das Kind geboren, die Mutter tot. — Welke Rose. — Einem Autographensammler. Schön führt A. Grün (S. 73) aus, wie Lenaus Muse in den Waldliedern aus dem Waffengeprassel und den Kampfesmühen ihrer grossen Geisterschlachtgesänge in die tiefsten ewig- grünen Waldesschatten ihrer eigentlichen Heimat flüchtete, wohin kein Laut der Tageskämpfe drang, wo dem lauschenden Ohre nur die Stimmen der Natur vernehmbar, wo der Silber- quell reinmenschlicher Begeisterung rieselte, und wie der Dichter dort die Welle der Verjüngung sich und der Welt zur Labung schöpfte. In den September 1843 versetzt Sophie die meisten der Waldlieder (4), indem sie in ihrem Exemplar die Auskunft erteilt : « Grösstenteils im Krapfwaldel bei Grinzing gedichtet und während seines Aufenthaltes bei uns in Unterdöbling im Langischen Hause, September 1843 ». Über die Entstehung berichtete Lenau Auerbach im Sommer 1844, er sei fast täglich von Döbling nach Weidling zum Besuche seiner Schwester und ihrer Kinder gegangen, habe sich fast jedesmal im Walde verirrt, sich unter einen Baum gesetzt, und da sei ihm bald dieses, bald jenes Gedicht zugeflogen (*). Den hier erwähnten (4) Schurz II, 130. 720 WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. Wald bezeichnet Schurz (ll, 130) als das « mit Waldung bedeckte Kahlengebirg », worin sich der Unvertraute allerdings leicht verirren könne. Etwas abweichend berichtet Frankl (S. 134) über die Entstehung : « Einige hundert Schritte vom Friedhofe entfernt, in welchem Lenau begraben ist, befindet sich ein kleines Erlen- und Birkenwäldehen. Dahin pflegte Lenau, wenn er bei seiner Schwester wohnte, gerne seine Schritte zu lenken: stundenlang im Grase zu ruhen und zu sinnen... Hier gingen dem Dichter auch die Waldlieder auf, deren er einige im Birkenwäldehen dichtete ». Nach einer Mitteilung des nicht ganz zuverlässigen K. Beck soll Lenau ein « melancholisches Waldlied » im Oktober in seiner Wohnung im Bürgerspital geschrieben haben (!). Die verschiedenen Angaben über die Örtlichkeiten lassen sich vereinbaren, weil sie nur einzelne Waldlieder in Betracht ziehen. Mit dem Gedanken der Waldlieder trug sich Lenau lange, ehe er an die Ausführung ging. Am 17. Juli 1837 dachte er an ein « Waldgedicht », das Sophie haben wollte. « Doch kann sich in meinem Unmut alles nur flüchtig und nebelhaft zeigen. Ohne dich‘ geht’s nicht » (357). Näher trat er dem Gedanken während seines Stuttgarter Aufenthaltes im Jahre 1843. Am 24. Mai 1843 meldet er Sophie : « Ich sehne mich nach Bergluft und noch stillerer Einsamkeit, um einen Kranz von Gedichten zu flechten, den ich Ihnen bei meiner Heimkehr ans Herz legen möchte » (788). In dem vorletzten Liebeszettel _ aus dem August heisst es dann wieder : « Dann hättest du mancherlei zu lesen bekommen von meinen schönen Wald- gedanken, die sich viel mit dir beschäftigen » (573). Am 20. September sandte Lenau Emilien die Waldlieder Nr 1, 2 und A mit den Begleitworten : « Weil wir schon im Wald sind oder gewesen sind, so will ich Ihnen einige Wald- blumen geben. Lassen Sie sich durch die etwas pantheistische (1) Pester Lloyd, 1863, Nr 250. WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. 121 Färbung des einen der Lieder nicht stören (805). Offenbar meint der Dichter mit dem pantheistischen Lied Nr 2. Fein- sinnige Waldgedanken offenbart des weiteren derselbe Brief : « So ein paar Stunden, in der Einsamkeit des Waldes verlebt, sind für ein in die Waldgeheimnisse eingeweihtes Herz von unermesslicher Wohltätigkeit, wenn ihm in seine schmerz- haftesten, sonst für kein Heilmittel zugänglichen Stellen von unsichtbaren Händen ein heimlicher Balsam geträufelt wird. Auch ich habe in letzter Zeit solche Stunden im Walde zuge- _ bracht. Leider ist es schon wieder Herbst. Als ich neulich dem Rauschen der Blätter zuhorchte, wollt’ es mich bedünken, als rausche der Wald im Herbste ganz anders denn im Frühling; viel rauher und härter. Die Blätter sind dann nicht mehr so weich und beweglich wie jene des Frühlings, die Äste starrer, die Lüfte schärfer. Ich wollte, wenn ich in einem Kerker lange gesessen und in ewigem Dunkel dort jede Zeitrechnung ver- loren hätte, mit zugebundenen Augen plötzlich in einen Wald versetzt, aus dem blossen Rauschen der Bäume erkennen, ob es Frühling wäre oder Herbst » (805). Weitere Kunde über die Waldlieder bringt der Brief an Emilie vom 4. November : « Dass meine Waldlieder bei Ihnen und bei den Unsrigen allen so viel Glück gemacht haben, freut mich ausserordentlich; eine Veröffentlichung derselben wünsche ich jedoch vor der Hand noch nicht, weil ich deren noch mehre machen will, und dann die ganze Gruppe auf einmal erscheinen lassen » (806). Erst am 16. Januar 1844 schickte Lenau Emilien die Gedichte Nr 6 und 9, als « ein kleines Angebinde zu Ihrem Geburtstag », mit dem Zusatz, er würde ihr noch ein drittes abschreiben, wenn ein Besuch ihn nicht daran hinderte (815). Aus dieser Sendung ist nicht zu schliessen, dass die Gedichte 6 und 9 viel später als die zuerst gesandten gedichtet. Am 16. Januar folgte der Dichter eben nur seiner Gewohnheit, Emilien etwas Lyrisches zu ihrem Geburtstage zu überreichen. Die Angabe Sophies, dass die 46 129 WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. Lieder « grösstenteils » im September gedichtet sind, stimmt mit Lenaus Mitteilung an Auerbach und mit allem überein, was uns überliefert ist. Ein paar Waldlieder mögen etwas später entstanden sein. Die Emilien mitgeteilte Absicht, noch mehrere im November zu dichten (806), ist durch den Umschlag der Stimmung vereitelt worden. Die Reihenfolge der Entstehung ist jedenfalls eine andere als die des Druckes. Emilien sendet der Dichter die Lieder in der ‚Folge : Nr 2, 1, 4, 6, 9. In der Sophie überreichten Hand- - schrift erscheinen sie in der Folge : 1, 2, 3, 4, 5, 8,6, 9,7. Lenau widmete Sophie Nr 3 mit dem Vermerk in der Hand- schrift « An Sophie, die Blumenmalerin ». Dies Gedicht bietet jedoch keine Beziehung auf das Liebesverhältnis; wohl lassen hingegen Lied 3 und 8 eine solche durchblicken. Letzte- res trägt den offenbaren Charakter eines Frühlingsliedes. Muss man es deshalb in den Frühling des Jahres 18483 verweisen, wie Reynaud (!) meint? Dieser Gesichtspunkt würde alles, was wir bestimmt über die Chronologie der Gedichte wissen, umwer- fen. Ausgesprochenen Herbsteharakter weist nur ein Lied, das letzte, auf. Bei den anderen bleibt die Jahreszeit unbestimmt, vielmehr könnte man bei genauem Zusehen Vers 4 von Nr 1: « Es blüht die Welt... » sowie Vers 7 von Nr 2 : « Manch grünend frischer Ast » für den Frühling beanspruchen und Nr 7 als ein Sommerlied bezeichnen, denn es beschreibt eher eine warme sommerliche als eine herbstliche Landschaft. Das zuletzt entstandene mag Nr 6 sein, dessen « Wehmut, die herbe » (Vs 15), nicht in den optimistischen Charakter der Gruppe hineinpasst. Die neun Waldlieder las der Dichter, wie Schurz (II, 436) berichtet, im « Spätjahre » 1843 in einem Wiener Mädchenpensionate vor. Grosse Freude erweckten sie überall in Wien, Stuttgart und namentlich bei Cotta (825). Der Dichter selbst schätzte sie unter (1) These auxiliaire, Nr 289. WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. 723 seinen Gedichten am höchsten. Er empfahl sie der besonderen Aufmerksamkeit seiner Braut, Marie Behrends, als er ihr ein Exemplar seiner Gedichte sandte. Er liess sie sich, wie Frankl (S. 69) berichtet, vorlesen, um, wie er sich äusserte, ein Urteil über ihren Klang und Rythmus zu gewinnen. Nach dem Lesen hörte er schweigend das Lob der Lieder an, dann sagte er : “ Ich habe in ihnen den schönen, sehnsuchtsvollen Ton wiederklingen gehört, den ich so sehr liebe, und ihn wiederzu- geben getrachtet ’. Als das dritte Lied : Durch den Hain mit bangem Stosse, als das vorzüglichste hervorgehoben wurde, nahm er die übri- gen als gleichbedeutend in Schutz und meinte : ‘ Ja, ja, der Reiz eines Gedichtes lässt sich nun einmal nicht bestimmen ’. Manche Seitenstücke zu den Waldliedern weist der Briefwech- sel mit Sophie und Don Juan auf, an dem Lenau wahrschein- lich gleichzeitig arbeitete. Dem « trüglichen Verbande » des letzten Verses von Nr 1 begegnen wir bereits im Zettel an Sophie vom 6. August 1837, wo Lenau seine Arbeiten als blu- tige Fetzen eines « schlechten Verbandes » bezeichnet (357), und im Schreiben vom 7. Mai 1838, wo er wieder die empfind- lichen « Fäden unsers Verbandes » erwähnt (#46). Der « trüg- liche Verband », den er von seinen Wunden gerissen, ist der christliche. Diese Deutung, die auch Sophie in ihrer Charakteristik Lenaus (!) zugibt, bekräftigt Lied 2. Der Dichter flucht nicht mehr der Natur wie ehedem, zeiht sie nicht mehr der Herzlosig- keit, der Erbarmungslosigkeit, wie noch am 3. August 1842 bei einem Besuche im Kernerschen Hause (®). Ruhig bleibt er ihren Zornesausbrüchen gegenüber, « Heiterkeit und Stille » ist in ihm. Das Lied atmet die Seelenstimmung, wie sie sich im (4) ScHurz II, 343. (2) E. NienpoRrF, S. 137. 724 WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. letzten Zettel an Sophie vom 7. August ausspricht : « Mein Herz geht ruhiger, fester, tiefer und freudiger ...Ich bin wie neugeboren » (576). Gross und schwer sinken die Gewittertropfen auf die Blätter der Eichen wie Tränen eines grossen Schmerzes (Lied 3). Unleugbar ist der Schmerz in der Natur wie in der Menschen- seele, der Dichter klagt jedoch nicht mehr darüber, trotzdem er bis an sein Ende die « herben, heissen » Tränen sehen wird, die aus geliebten Augen quollen. Ein Gleichnis, das Lenau sich bereits im Einschreibbüchel von 1838 aufschrieb, eröffnet das vierte Lied : « Der Räuber erscheint verkleidet in der Gesellschaft und ohne Waffen, diese hat er im Walde versteckt, aber die Stelle sich wohlgemerkt, da sie liegen, und er geht wieder hinaus in den Wald und holt die Todeswaffe hervor. So macht es die Erinnerung mit ihren schneidigen Dolchen » ('). Bist fremd du eingedrungen, So fürcht Erinnerungen, Sie stürzen auf Waldwegen Wie Räuber dir entgegen. Eine solche Erinnerung ist die im Liede % geschilderte. Hei- lung gibt die Natur nur dem, der sie in ihrem Tiefinnersten versteht, dem Eingeweihten, der sich eins fühlt mit dem All. Die Vision der Vermählung des Geistes mit der Natur geht zurück auf Hegel. Überraschend ist sogar die Ähnlichkeit zwischen der Hegelschen Prosa und den Lenauschen Versen. « Dies ist nun die Bestimmung und der Zweck der Naturphilo- sophie, dass der Geist sein eigenes Wesen, d. i. den Begriff in der Natur, sein Gegenbild in ihr finde. So ist das Naturstudium die Befreiung seiner in ihr; denn er wird darin, insofern er nicht auf ein Anderes sich bezieht, sondern auf sich selbst. Es (4) Lenau und Löwenthal, S. 530. WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. 725 ist dies ebenso die Befreiung der Natur; sie ist an sich die Vernunft, aber erst durch den Geist tritt diese als solche an ihr heraus in die Existenz. Der Geist hat die Gewissheit, die Adam hatte, als er Eva erblickte. “ Dies ist Fleisch von meinem Fleisch ; dies ist Gebein von meinem Gebein. ’ So ist die Natur die Braut, mit der der Geist sich vermählt » ( Sehnsüchtig zieht entgegen Natur auf allen Wegen, Als schöne Braut im Schleier, Dem Geiste, ihrem Freier. (Vs 29-32.) Diese Vermählung malt Lenau in den trunkenen Worten der Liebesbriefe an Sophie aus : All ihre Pulse beben, In ihm, in ihm zu leben, Von ihm dahinzusinken, Den Todeskuss zu trinken. (Vs 4-44.) « Ich habe ein wollüstiges Heimweh, in deinen Armen zu sterben », lautet ein Satz in einem der letzten Zettel an die Geliebte (573). Die tief in den Zauber der Schöpfung versunkene Seele gewahrt, nicht gottlos, sondern gottestrunken, im All allenthalben nur Gott, und wie die Natur mit dem Geiste, möchte sie sich mit Gott vereinen : So lauscht und rauscht die Seele, Dass Gott sich ihr vermähle, Fühlt schon den Odem wehen, In dem sie wird vergehen. (Vs 45-48.) Die Naturphilosophie, meint Hegel, die « Einheit des Ichs und der Natur », mögen enge Geister als « Nicht-oder Unsittlich- keit », als « Irreligion » brandmarken, sie wird nichtsdesto- (*) HEGEL, Vorlesungen über die Naturphilosophie. Werke VII, 4. Abteilung, S. 22, 726 WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. weniger ein « neuer (Quell der Anschauung und Erkenntnis Gottes werden » (?). Eine übernatürliche Kraft, übernatürliche Sinne wünscht sich der Dichter in Lied 5, um das verwickelte, geheimnisvolle Leben und Weben der Natur zu verstehen. Hineindringen möchte er in die tiefsten Tiefen des Lebens, in die dunklen Gründe, wo die geheimen Quellen spriessen, wo die Wurzeln saugen. Möchte sich ihm das « stumme Rätsel » alles Seins und Werdens enthüllen wie Merlin, dem Zauberer, von dem Uhland singt : Vom Grün, das um ihn tauet, Ist ihm der Blick gestärkt, Dass er Vergangnes schauet Und Künftiges ermerkt; Der Wald in nächt’ger Stunde Hat um sein Ohr gerauscht, Dass es in seinem Grunde Den Geist der Welt erlauscht. Durch Uhlands Ballade Merlin der Wilde dürfte dies Lied angeregt sein, eins der herrlichsten Wald- und Naturgedichte der deutschen Literatur. Seitenstücke bietet Don Juan. So zu Vers 15-20 : Wurzelfäden streckt Eiche in den Grund, Unten saugt versteckt Tausendfach ihr Mund Leben aus geheimen (uellen, Die den Stamm gen Himmel schwellen, die Stelle : Die Wurzel holt aus selbstgegrabnen Schachten Das Mark des Stamms und treibt es himmelwärts, Ein rastlos Drängen, Schaffen, Schwellen, Trachten In allen Adern (Don Juan, Vs 123-26), (1) HEGEL, Über das Verhältnis der Naturphilosophie zur Philosophi2 überhaupt. Werke, I, 316 £. WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. zu Vers 53 f.: Rieseln hört er, springend schäumen Lebensfluten in den Bäumen, Vers 119 des Don Juan : Und doch hier lebt des Lebens welche Fülle, der noch genauer der « ganzen Lebensfülle » (Vs 20) von Waldlied % entspricht. Don Juans Lebehoch auf den Wald (Vs 915-920) erwähnt wie das Gedicht die verliebten Vögel (Vs 55-60) und das Moos (Vs 63) : Stoss an! der wiedergrüne Wald soll leben! Die Vögel, die verliebt im Laube schweben! Der Bach, aus dem das Wild Erquickung trinkt! Das Moos, worauf Umarmung heimlich sinkt! Erinnerungen beschleichen den Dichter wieder in Waldlied 6 wie im Liede 3 und im Faust (Vs 2682). Leise schleichen sie wie Schatten und weinend an ihm vorbei. Der flüchtige Rück- blick in die Vergangenheit erweckt die « allbekannte, herbe » Todeswehmut. Diese löst sich in Lied 7 wieder auf im allgemeinen Frieden der Natur, den die sommerliche Mittagsruhe am besten veran- schaulicht. Holder Schlummer beschleicht den Dichter, und nun preist er mit Anklängen an die Gedichte Schlaflose Nacht, Der gute Gesell den « wundertätigen, melodischen Freund, den Erlöser des Herzens, den Verjünger der Welt ». Im Schlafe glaubt er Pans.Syringe zu hören, in deren Tönen er die Ein- heit seiner Seele mit dem Weltall ahnt. Ich vermute, dass dieses Lied dasjenige ist, das ein Besuch ihn hinderte Emilien mitzuteilen. Lied 3 und 8 sandte er der Freundin nicht, weil sie Andeutungen auf die Liebe zu Sophie enthalten. Die frühlingserwachte Natur, durchklungen von den Liebes- schwüren des Lenzes, sagt dem Dichter, dass « die Liebe das 7128 WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. beste ist » (Vs 8 von Lied 8). Sinnfälliger drückt Don Juan (Vs 127-30) den Gedanken aus : Das Herz, in dem die Wesen alle gründen, Der Born, worein sie sterbend alle münden, Der Gott der Zeugung ist's, der Herr der Welt, Die er, nie satt, in seinen Armen hält. Die Klage, die so manche Zeile an Sophie durchzittert, die Sehnsucht, die einzulullen ihr gelungen war, flammt wieder auf und sucht bald einen neuen Ausweg : Einmal nur, bevor mir’s nachtet, An den Quell der Liebe sinken, Einmal nur die Wonne trinken, Der die Seele zugeschmachtet. (Vs 17-20.) Der Ausklang des Zyklus in Lied 9 gleicht im Tone dem Eingange. Seinen prächtigen Herbstliedern setzt Lenau hier die Krone auf: Rings ein Verstummen, ein Entfärben ; Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln, Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln ; Ich liebe dieses milde Sterben. (Vs 4-4.) Was machts jedoch, dass die Blätter fallen, die Vögel verstum- men, die Liebe verklingt, im Urgrunde der vergänglichen Dinge wacht der ewige Geist, immer jung, immer tätig : In dieses Waldes leisem Rauschen Ist mir, als hör ich Kunde wehen, Dass alles Sterben und Vergehen Nur heimlichstil! vergnügtes Tauschen. (Vs 13-46.) Ganz durchdrungen sind die Waldlieder von Hegels Natur- philosophie. Bereits i. J. 1802 erkannte Hegel in einem Auf- WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. 729 satze des Kritischen Journals : Über das Verhältnis der Natur- phalosophie zur Philosophie überhaupt, die « neue Religion » in der « Wiedergeburt der Natur zum Symbol der ewigen Einheit », in der « Einheit des Ichs und der Natur ». Der einzige Weg, um « aus dem ungebildeten Ernst und der trüben Empfindsamkeit der modernen Betrachtung der Natur wieder zur Heiterkeit und Reinheit der griechischen Naturanschauung zurückzukehren », ist die « Wiederherstellung der verlorenen Identität durch die Spekulation und Wiederaufhebung der Entzweiung in einer höheren Potenz » (1, 315 f.). In seiner Naturphilosophie setzt Hegel auseinander, dass der unbefangene Geist, wenn er lebendig die Natur anschaut, das Leben und den allgemeinen Zusammenhang in derselben fühlt. « Er ahnt das Universum als ein organisches Ganzes und eine vernünftige Totalität, ebenso als er im einzelnen Lebendigen eine innige Einheit in ihm selbst empfindet... Die Welt ist erschaffen, wird erschaffen jetzt, und ist ewig erschaffen worden... Die Natur ist als ein System von Stufen zu betrachten, deren eine aus der andern notwendig hervorgeht, und die nächste Wahrheit derjenigen ist, aus welcher sie resultiert : aber nicht so, dass die eine aus der andern natürlich erzeugt würde, sondern in der innern, den Grund der Natur ausmachenden Idee... Die Natur ist an sich ein lebendiges Ganzes : die Bewegung{durch ihren Stufengang ist näher dies, dass die Idee sich als das setze, was sie an sich ist; oder, was dasselbe ist, dass sie aus ihrer Unmittelbarkeit und Äusserlichkeit, welche der Tod ist, in sich gehe, um zunächst als Lebendiges zu sein, aber ferner auch diese Bestimmtheit, in welcher sie nur Leben ist, aufhebe, und sich zur Existenz des Geistes hervorbringe, der die Wahr- heit und der Endzweck der Natur und die wahre Wirklichkeit der Idee ist » (?). In den Waldliedern erreicht Lenau « das Reich der in sich befriedigten Individuen » durch die Überwindung des Dualismus zwischen Diesseits und Jenseits, den Hegel in der Phänomeno- () HEGEL, Werke, VII, 4. Abteilung, S. 20, 26, 32, 38 f. 730 WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. logie des Geistes als so folgenschwer schildert, indem dadurch das « unglückliche Bewusstsein » erzeugt werde, das zwischen Diesseits und Jenseits beständig geteilt sei und bleibe, und das nur durch den Glauben an die Einheit der diesseitigen und jenseitigen Welt erlöst werden könne (IH, 158-174). Wenn auch das « unglückliche Bewusstsein » zu Ende des Jahres 1843 wieder die Oberhand gewann, so weisen doch Briefe und Dichtung des Jahres 1844 eine viel gleichmässigere, beständigere Gemütsstimmung auf als die sämtlicher früherer Jahre. Im April 1844 äusserte Lenau Auerbach gegenüber sein Vorhaben, Hegel wieder vorzunehmen. Mit dem ersten Teile von Waldlied 4 weist das Gedicht Der Vogel auf dem Kreuz (ss2) eine so enge Verwandtschaft auf, dass es als eine andere Lesart von Strophe 2 und 3 des Waldliedes erscheint. Etwas Verlockendes hat die Vermutung von Koch (I, 353) und Reynaud (t), dies Loblied auf das Kreuz gehöre in Lenaus christliche Zeit und sei eine Antwort auf die Vorwürfe, welche er wegen der im Savonarola bekundeten christlichen Richtung erfahren musste : Kein Vöglein noch verlor Die Stimm am lieben Kreuzesbild. Höheres Lob zollt Lenau noch dem Kreuze im Waldlied 1, wo er es « das höchste Bild der Erde » nennt. Wenn er auch den Glauben an die Heilkraft des Kreuzes verloren, so singt er doch, ehe er in seine Schatten heimkehrt, «ein Lied dem Bilde », das ihm noch immer als Wahrzeichen der höchsten Liebe auf Erden erscheint, wie er es so herrlich im Gedichte Kruzifix geschildert. Als Dichter hält er trotz seines Pantheismus und im Gegensatz zu Goethe an seiner poesievollen Auffassung des Kreuzbildes fest. Die letzten zusammenhängenden Worte, die der freilich bereits dem Wahnsinn verfallene Dichter zu Emilie Reinbeck sprach, waren : « Es ist wahr, ich habe die Albigenser (4) These auxiliaire, Nr 323. WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. 731 geschrieben und sonst manches gottlose Gedicht, aber, glaube mir, nie, nie hat sich doch mein Herz vom Kreuz abgewendet, ich habe es geliebt in tiefster Seele, immer » (1). Der Zusatz in der Handschrift : « Lenau aus (Csatad im Toromtaler Comitat des Königreichs Ungarn » deutet darauf hin, dass das Gedicht ursprünglich für ein Album oder irgendeine Samm- lung geschrieben. Gleichzeitig mit den Waldliedern entstand im September 1843 das Gelegenheitsgedicht Das Kind geboren, die Mutter tot (421). Sophie und Schurz berichten in ihren Exemplaren, die Verse seien beim Tode von Kaltenbrunners Frau geschrieben. « Sie starb im September 1843 », fügt Schurz hinzu. Es ist die erste Gemahlin des oberösterreichi- schen Dichters K. A. Kaltenbrunner, Pauline Knor, gemeint, die Schurz (1, 383) als « gefühlvoll und gebildet » bezeichnet, und die Lenau sehr achtete. Im Erstdruck erschien das Gedicht in Castellis Taschenbuch Huldigung den Frauen für das Jahr 1844, und ebenda veröffent- lichte Lenau die wehmütigen Verse Welke Rose (zus), die kurz nachher, als eine Frucht des traurigen Seelenzustandes im November 1843, entstanden sein mögen und sich im Inhalt eng an Waldlied 6 anschliessen. Mit Rücksicht auf den Erstdruck am 26. Dezember 1843 in der Wiener Zeitschrift muss auch das Gedicht Einem Auto- graphensammler (222) spätestens in das Ende dieses Jahres versetzt werden. Ahnlich lautet ein gleichbetiteltes viel späteres Gedicht von A. Grün : Was im Blau die Lerche singt, Das verflüchtigt und verklingt; Wenn sie hüpft im weichen Sand, Hat die Fährte mehr Bestand. Hältst du drum die Spur der Pfoten Etwa gar für Himmelsnoten ? (4) SCHLOSSAR, $. 293. 732 WALDLIEDER UND GLEICHZEITIGE GEDICHTE. und ein zweites von demselben, das sich gleich dem l,enauschen gegen die Autographenjägerei ausspricht ('). Diese bezeichnet Karoline Pichler als eine neue Art von Liebhaberei, welche der Geist der Zeit erzeugt und zur Notwendigkeit für eine Frau gemacht habe, die auf feinen Ton und höhere Bildung Ansprü- che stelle (?). (4) A. GRÜN, Werke, III, 9 f. (2) K. PıchLer, Zeitbilder. Wien, Pichlers Witwe, 1841. II, 293. LVII Das « vierschrötige » Jahr. 1844, Die Korybanten. — Studentenreise. — Der Rekrut. — Als Hiller mir spielte. — Blick in den Strom. — Eitel nichts | Die Zahl 44, schreibt Sophie in einer Anmerkung zum Gedichte Zweifelnder Wunsch (!), « hasste Niembsch instinktiv und nannte sie eine vierschrötige ». Am 9. Januar bekannte Lenau in Bezug auf das Jahr 1844 Emilien Reinbeck : « Ich erwarte von diesem nicht viel Gutes; schon die Zahl 44 ist so vierschrötig, dass ich allerlei Impertinenzen mit Sicherheit entgegensehe (812) ». Den Winter lebte er einsamer und leute- scheuer denn je; sogar die Sonntagsessen bei Kleyle gab er auf. Sein Leben war « Einsamkeit und etwas Lyrik » (815). Am 16. Februar erfährt Emilie, dass ihres Freundes Gesundheit sich auffallend gebessert, und dass er in letzter Zeit « ziemlich fleis- sig » gewesen (815). Eine Probe seines Fleisses bringt gleich derselbe Brief, nämlich das Gedicht Die Korybanten (2). Es verdankt seine Entstehung einer Meldung Emiliens, dass die schöne Kastanienallee hinter ihrem Hause bald der Eisen- bahn zum Opfer fallen werde. « Das Lärmen der Bubengym- nastik und selbst das laute Soldatengedrille war doch noch erträglicher, als das Getöse der Eisenbahn sein wird », schreibt (4) H. BıscHorr, Handschriftliche Notizen von Sophie Löwenthal zu Lenaus Gedichten (ZEITSCHRIFT FÜR DEN DEUTSCHEN UNTERRICHT XXIII, 609). 734 DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. ihr Lenau auf diese Nachricht hin. Mit dem Gedichte will er nun die Freundin trösten « über das rauhe und rohe Zerstören manches grünenden Baums der alten Tage (815) ». Drum geht im greulichen Lärme Entbrannter Kuretenschwärme Der Mut mir nimmer verloren; Es wird bei diesem Geschmetter Für uns der olympische Retter, Der neue Gott geboren. Die Quelle des Gedichtes findet sich in P. F. Stuhrs Darstellung der Religionssysteme der Hellenen (*). In der Auslegung des Mythus der Korybanten und der Sage vom Rhea- und Feuerdienst schliesst sich der.Dichter ganz an Stuhr an: « Es nahm hier vorzugsweise der Geist die Richtung auf die Ausbildung menschlicher Fähigkeiten und Anlagen in Bezie- hung auf die äussere Beherrschung der Mächte des Lebens, der Elemente und Naturkräfte überhaupt; hierin bereitete sich eine höhere Entwickelung vor : denn wie ein inneres Erwachen des Geistes der anschaulichen Erkenntnis erst möglich wird, nach- dem die äussere Natur durch die Ausbildung der Kunstfertig- keiten überwunden ist, so musste als notwendige Übergangs- stufe zur Entwickelung einer höheren geistigen Bildung jene Zeit des Kampfes mit der äusseren Natur vorausgehen. Dieser Kampf wird in mythischer Vorstellungweise bezeichnet als der Tanz der Kureten, unter deren Gelärm der olympische Zeus erwuchs. Auf den Gedanken, dass der Herrschaft des Geistes Raum auf Erden geschaffen werde im Kampfe des Menschen mit der Natur, und dass siegreich aus diesem Kampfe der Mensch in Ausbildung der Kunstfertigkeiten hervorgehe, bezieht sich seiner eigentlichsten Bedeutung nach der Mythos von den (4) Die Religionsformen der Hellenen in ihrer geschichtlichen Entwickelung bis auf die makedonische Zeit. Berlin, Veit u. Cie, 4838. S. 153. DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. kretischen Kureten als geübten Werkmeistern in Erz und kunstreichen Arbeiten sowie der kretische Dienst der im Erzge- klapper (?) von Korybanten umschwärmten Rhea ». Ohne klassische Erinnerungen kommt auch A. Grün bei seinem Eisenbahnlied Poesie des Dampfes nicht aus. Die Eisenbahn ist ihm die Minerve, Die jetzt des Volks olymp’schem Haupt entsprungen, und beim « rollenden Opferherde » (Vs 4) mag Lenau Grüns « wandelnder Altar » vorgeschwebt haben (?). Lenaus « neuen Gott » bezeichnet K. Beck in seinem Gedichte Die Eisenbahn als den « freiheitsbrausenden Zeitgeist (?) ». Am 41. April 1844 las Lenau in Stuttgart bei Reinbecks die humoristische Studentenreise (47) vor (*), die wie Die Korybanten aus dem klassischen Altertume schöpft, Don Juan- Stimmung verrät und vielleicht in Erinnerung an einen von Schurz (l, 98 ff.) erzählten Pfingstausflug des Jahres 1830 entstanden ist. Die vier Ausflügler waren Lenau, Schurz, Klemm und dessen Schüler, vielleicht der Studio (Vs 14) des Gedichtes. « Ein altes zwilchüberdachtes Bänkelwägelchen wurde gemietet, mit einem noch viel älteren Kutscher, und einem, wenn auch nicht ganz so alten, aber noch viel bedächtigeren, mageren Gäulchen. Wir rückten daher nur ungemein sachten Schrittes vorwärts. » Die Rösslein schlichen den lahmsten Trab ging es doch froh. (Vs 5, 13.) Doch ging es auch langsam, (4) Vgl. Lenau Vs 1 : Erzgerassel (©) Grün, Werke, II, 123-126. Vgl. noch die Verse Meissners : Doch der Lärm der Korybanten, Wie er vom Olymp erscholl, Als sie selber sich entmannten, Raste nicht so wild, so toll! (A. MEISSNER, Ziska. Leipzig, Herbig, 1846. S. 199). (% K. Beck, Nächte. Gepanzerte Lieder. Leipzig, Engelmann, 1838. S. 29-32. (4) NIENDORF, S. 169. 1736 DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. Es gab viel zu lachen auf der Reise, bemerkt Schurz noch, ernste Männer wurden kindische Kinder. Neben dem « Studio » erwähnt und schildert das Gedicht auch den Kutscher. Auch am 11. April trug Lenau im Reinbeckschen Kreise das Gedicht Der Rekrut (554) vor, das nach E. Niendorf (S. 169) « einem kleinen Knaben » gewidmet war. Der einzige Satz, der für die Gelegenheitsverse, die der Dichter nicht in seine Werke aufnahm, heranzuziehen, ist das « laute Soldatengedrille » im Briefe an Emilie vom 16. Februar. Weit führt uns das Gedicht, das in den Rekruten nur « jämmerliche Weltstatuten » sieht und sie bedauert, weil sie In so schönen Frühlingstagen Mörderliche Waffen tragen müssen, über die Begeisterung für Krieg und Krieger hinweg. Diese spärliche Lyrik zu Anfang des Jahres 1844 rechtfertigt nicht Lenaus erwähnte Meldung an Emilie von fleissiger Arbeit. Hiermit ist der Don Juan gemeint, dessen prächtiges Früh- lingsgedicht im Gesange Die Balze wohl seine Entstehung dem Frühling des Jahres 1844 verdankt : Wie tief der Wald den frühen Lenz empfindet, Wie sich um jeden Ast die Freude windet! Ein süsser Duft durchströmt die laue Nacht, Mein Herz ist warm und selig angefacht. Wohl lieblich zittert heller Sterne Licht Durch’s zarte junge Laub im Windesbeben, Doch dass es Welten gäbe, wo das Leben So wonnig wie auf Erden, glaub ich nicht. Von Würzhauch überströmen Berg’ und Klüfte, Tief wird die Welt der Liebe sich bewusst; Vertausendfachen möcht ich meine Brust Für all die Fülle dieser Frühlingslüfte. (Vs 673-684.) « Die Blüten kommen », schreibt Lenau am 2%. April Sophie, « und ich sehne mich nach einem stillen Umgange mit der DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. 181 Natur » (825). Er überliess seine « Seele dem ungetrübten Genusse der aufblühenden Natur ». « O Frühling! », ruft er wonnetrunken aus (827). Es ist wieder der Frühling in Schwaben, der den Dichter so hoch entzückte. Ende März hatte er seine letzte Reise nach Schwaben angetreten, wohin ihn eine Neuauflage seiner Gedichte und des Savonarola riefen. Lenaus Hauptarbeit in Stuttgart war der Druckberichtigung der letzten von ihm besorgten Ausgabe seiner Gedichte gewid- met. Unter seinen Jugendgedichten fielen ihm mehrere « von sehwächlicher Leibes- und Geistesbeschaffenheit » auf; er möchte eine editio castigata im strengsten Sinne des Wortes veran- stalten, kann es aber gegenwärtig noch nicht tun, weil seine Gedichtsammlung, wie sie nun einmal ist, ins Eigentum des Verlegers’wie des Publikums übergegangen. Sorgfältiger denn je lag er jedoch diesmal der Berichtigung ob. Er verbesserte nicht nur «Druck— sondern auch Denkfehler » (852). Am 14. Juni war die Arbeit fertig. Am 20. bescheidet er Sophie : « Meine Miniaturgedichtausgabe wird, wenn sie gebunden und goldbe- rändert ist, sehr hübsch sein. Beide Bändchen sind zu gleichem Umfang angewachsen, und ich habe, die Auflage kastigierend, mehrere, namentlich polemische Gedichte mit der Jäthacke ausgemerzt, über andere aber eine sorgfältige Feile wandeln lassen, so dass das Buch quantitativ reicher und an Gehalt und Formtucht wirklich besser geworden ist » (857). Was Lenau in Bezug auf die Jugendgedichte noch nicht wagte, das tat er bezüglich der polemischen. Der zweite Band ist grundsätzlicher im Sinne einer editio castigata gestaltet als der erste. Trotz der sehr fleissigen Durchsicht sind dem Dichter jedoch einige offenbare Druckfehler entgangen, und eine kritische Ausgabe darf sich nieht mit einem genauen Abdruck des Textes dieser letzten Ausgabe begnügen (!). (‘) Der erste Band erschien in siebenter « durchgesehener und vermehrter » Auflage. Vermehrt ist er im Vergleiche zu dem von 1843 um die zwölf Vermischten Gedichte, neue Folge, beginnend mit Lass mich ziehn, schliessend mit den 47 1738 DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. Zugleich mühte sich Lenau mit dem Don Juan ab. Doch kam die rechte Stimmung nicht « zur Abrundung der bis jetzt allzu fragmentarischen Szenen » (28). Eile hat der Dichter sich den Don Juan « vom Halse zu schaffen, um dann mit unge- teiltem Eifer an einen solidern Helden zu gehen » (857). Er hatte im Mai den Stoff zu einenı « grossen Heldengedicht » gefunden, der ihn anregie, erfüllte und beruhigte wie noch kein anderer (829). « Es sind Kräfte da, und meine Sohlen sind noch nicht auf den höchsten Stein getreten » (857). Am 1%. Juni war Lenau mit dem Druck seiner Gedichte und der zweiten Auflage des Savonarola fertig, und nun hielt es ihn nicht länger in der drückenden Stuttgarter Luft. Am 21. Juni reiste er nach Liehtenthal bei Baden. fühlte sich jedoch gedrückt und beklommen in dem einsamen Lichtenthal bei der kranken Emilie und liess sich von Auerbach bereden, nach Baden-Baden überzusiedeln, wo er im Anschauen des genussjägerischen Wohllebens aller Art den Don Juan vollenden wollte. Am 97. Juni sah er Marie Behrends und verlobte sich mit ihr am 18. Juli. Auf’ der Brautfahrt schrieb er, angeregt durch F. Hil- lers Klavierspiel, das er am 20. Juli in Frankfurt hörte, dem befreundeten Tondichter, der die Drei Zigeuner ın Musik gesetzt hatte, den Vierzeiler Als Hiller mir spielte (556) ins Album. Auerbach, der über die Entstehung berichtet und das Gedicht für das letzte hält, das Lenau « in seinen lichten Tagen geschrieben », meint, dass die Antwort auf die hier auf- geworfene Frage im Begriffe und Worte « Sphärenmusik » Korybanten. Der zweite Band ist auch als « siebente, durchgesehene und sehr vermehrte Auflage » bezeichnet. « Siebente » ist unrichtig, es soll heissen fünfte. Die nächstfolgende Ausgabe von 1846 seizt die richtige Reihenfolge wieder ein, benennt den 2. Band 6. Autlage, und so wird der 1844 verwischte Unter- schied in allen folgenden Ausgaben festgehalten, bis zum Jahre 1855, in dem der 4. Band in 16., der 2. in 14. Auflage erscheint. Die Vermehrung des 2. Bandes der Ausgabe von 1844 besteht in den 21 Vermischten Gedichten, neue Folge, begin- nend mit Einem Gemütskranken, endigend mit dem Gedichte Die Bauern am Tis- sastrande, ferner in Mischka an der Marosch, Johannes Ziska und den Waladlie - dern. Die Abteilung Literarisches fällt weg, mit Ausnahme von sieben Gedichten, welche den Vermischten Gedichten eingereiht werden. DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. 739 liege, wodurch man den leuchtenden, rythmisch rollenden Weltkörpern ein Tönen zuteile (!). Am 10. August trat Lenau die verhängnisvolle Reise nach der Heimat an und verblieb dort vom 14. August bis zum 15. September bei der Familie Löwenthal in Lainz. Seltsam empfindet er es selbst, dass er in der damaligen Stimmung, die « ganz auf treue Begründung eines in sich selbst zufriedenen Bundes gerichtet » war, eine « neue und wohl gelungene Don Juan-Szene » diehten konnte. « Gewiss wirkte der Kontrast », erklärt er am 5. September Emilien (ssı). Poetisch fruchtbar war die Rückreise nach Stuttgart, die Lenau am 15. September antrat. Am ersten Reisetage, der gutes Wetter gab, brachte der Dichter einige Stunden des Vor- mittags auf dem Verdecke des Schiffes zu, das von Wien nach Linz fuhr. Nie war ihm eine Stromfahrt so bedeutsam und ergreifend erschienen wie diese. « Wenn man von was recht Liebem geschieden ist und um das Verlorne trauert », schreibt er Sophie am 17. September, so ist es gut, in einen Strom zu schauen, wo alles wogt, rauscht und schwindet wie das Beste des Lebens. Diese Wehmut hätte sich mir zu bitterer Qual gesteigert, wäre mir nicht mit den Wellen auch der Gedanke zugeschwommen, dass ich ja selbst bald auch so ver- rauschen werde und vergehen » (855). Dies ist die Wiedergabe in Prosa des am 15. September geschriebenen Gedichtes Blick in den Strom (557), das irrtümlich allgemein als Lenaus Schwanengesang bezeichnet wird. | Sahst du ein Glück vorübergehn, Das nie sich wiederfindet, Ist's gut, in einen Strom zu sehn, Wo Alles wogt und schwindet. Ö! starre nur hinein, hinein, Du wirst es leichter missen, Was dir, und soll’s dein Liebstes sein, Vom Herzen ward gerissen. (4) ScHurz, II, 180. 740 DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. Den letzten Gedanken der Briefstelle bringen die Schluss- verse : Die Seele sieht mit ihrem Leid Sich selbst vorüberfliessen. Übrigens bekundet der Dichter selbst, das Lied sei auf der Wasserreise « entstanden, d. h. konzipiert in der Idee » (859). « Ausgeführt », fügt er hinzu, wurde es in Stuttgart, nach der Reise, vermutlich um diese Mitteilung in Einklang zu bringen mit einer kurz vorhergehenden : ihm sehwebe ein Gedicht auf Sophies Geburtstag vor (851). Sophie wollte er eben den Glauben beibringen, das Gedicht sei eigens für sie, zu ihrem Geburtstage geschrieben, wie aus dem Briefe vom 8. Oktober hervorgeht, in dem er ihr das Lied mitteilt mit der Einleitung : « Hier folgt das verlangte Lied... Es ist mir teuer, weil es eine gar süss-schmerzliche Träumerei hat und weil es an Ihrem Geburtstag geschrieben ist » (865). Alle Einwendungen Sophies gegen die Heirat mit Marie Behrends hatten seinen Entschluss nicht wankend gemacht, fest entschlossen die Geliebte aufzu- geben, dichtete er am 19. September : Sahst du ein Glück vorübergehn, Das nie sich wiederfindet. « Die zweite Zeile ist nicht wahr », schrieb er Sophie zu ihrer Beruhigung und : « Das Lied gefällt mir; es ist etwas von Ihrer Seele darin. Gute Stimmung! keine trübe! » (865). Man könnte-das Gedicht als ein an Sophie geriehtetes Trost- lied auffassen, wenn es nicht das Gefühl ausspräche, dass der Dichter innerlich diese Liebe überwunden zu haben glaubt wie Don Juan seine Liebeslust : Es war ein schöner Sturm, der mich getrieben, Er hat vertobt, und Stille ist geblieben. Steintot ist alles Wünschen, alles Hoffen; Vielleicht ein Blitz aus Höh’n, die ich verachtet, (!) Lenau selbst datiert irrtümlich den Brief 8. September 1844. DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. Hat tödlich meine Liebeskraft getroffen, Und plötzlich ward die Welt mir wüst, umnachtet; Vielleicht auch nicht; — der Brennstoff ist verzehrt, Und kalt und dunkel ward es auf dem Herd. (vs 925-32.) Lenaus Schwanengesang ist das Gedicht Eitel nichts! (556), das er drei Tage nach dem vorigen, am 18. September in der Nacht, im rollenden Eilwagen zwischen Zernolding und Mün- chen diehtete. Über die Entstehung berichtet Emilie Reinbeck : « Auf seiner letzten Reise hierher konnte er im Eilwagen in der Nacht vor München nicht schlafen und stellte, sich zu zerstreuen in seinem tiefen Missmut über die widrigen Vorfälle auf dieser Reise (!), sich die Aufgabe, ein Gedicht zu verfassen. Er wollte die Probe machen, ob ohne alle Stimmung und äussere Anregung dazu, der blosse feste Wille etwas Befriedi- gendes leisten könne. — Da entstand nachstehendes Gedicht, was zwar ziemlich bald zu stande gekommen sei, worauf er aber Schmerzen im Kopf empfunden habe. In der Krankheit wiederholte er oft einzelne Stellen daraus und sagte mit tiefem Schmerz : ° O wie prophetisch war dies Gedicht! Das Krüglein bin ich, das Sickern des Wassers, das sind die bösen Nacht- schweisse, mit denen meine Lebenskraft fortrinnt, und bald, bald werd ich zu den andern Scherben sinken ’ » (?). Schurz (I, 267) berichtet, dass Lenau ihm und Kerner die Verse auswendig vorgetragen habe am 29. November 1844, bei ihrem Besuche in der Irrenanstalt Winnenthal. Der Irren- arzt Zeller schrieb sie mit dem Bleistift sogleich nach. Dieser plötzlichen, glücklichen Eingebung des Irrsinnigen schreibt Schurz die Erhaltung des Gedichtes zu, während E. Nien- dorf (S. 262) mit Recht hervorhebt, dass wir diese Erhaltung zunächst Emilien Reinbeck zu verdanken haben, die es in ihren Aufzeichnungen mitteilt (?). (1) Die « widrigen Vorfälle » erzählt Lenau Sophie im Briefe aus Linz vom 47. September (853). (2) Lenaus Erkranken, SCHLOSSAR, S. 228 f. (8) Ebenda, S. 229. 742 DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. Den Auftritt in Winnenthal bestätigt Kerner in einem Briefe vom 30. November 1844 an Mayer (S. 19%) und in einem Schreiben vom 4. Dezember desselben Jahres an Emma Nien- dorf (S. 275). Beiden sandte Kerner eine Abschrift des Gedichtes. Von « achtbarer Hand » ward es L. A. Frankl zur Aufnahme in seine Sonntagsblätter gesandt, wo es am 24. August 1845 im Erstdruck erschien. « Ein Gedicht, das Lenau diktierte », meldet M. von Schwind am 12. Januar 1845 Bauernfeld, « zeigt von grosser Traurigkeit, aber von ganz ungeschwächter Kraft des Ausdrucks, der Bilder und des Reims. Er könnte es in seinen besten Tagen gemacht haben » (). E. Niendorf (S. 262) deutet an, dass es sich in der Handschrift des Don Juan befand, die Emilie vor dem Untergange, dem Verbrennen durch Lenau selbst, rettete. Auch Schurz (ll, 267) meint, die Verse seien « nachträglich in den Don Juan bestimmt », sich der Ansicht Sophies anschliessend, welche am 6. Dezember 184% ihrem dem Irrsinn verfallenen Geliebten schreibt : « Das ist wieder ein schönes Stückchen zu meinem lieben Don Juan » (?). Dort reiht es M. Koch in seiner Ausgabe (11, 525) als Monolog vor der letzen Szene ein und hält eine Einschaltung auch innerhalb der Schlusszene nach Vers 950 für möglich. Verwandtschaft mit der letzten Stimmung Don Juans ist zweifellos vorhanden. Nichts zwingt jedoch zur Einreihung in Lenaus grössere letzte Dichtung. Eitel nichts ist das einzige Gedicht des Jahres 1844, das einen pessimistischen Ton anschlägt, eben deshalb mit Lenaus Gesamtdichtung im Einklang ist und sie harmonisch abschliesst. Sonst könnte man die Dichtung des Jahres 184% mit dem Wahlspruch aus Don Juan kennzeichnen : Von Schwermut weiss ich nichts, mein Freund, ich hasse Am Mann das Klagendweiche, Tränennasse. (Vs 993 £.) (1) Künstlers Erdenwallen. Briefe von Moritz v. Schwind hrsg. von Walter Eggert Windegg. München, 0. Beck, 1912, S. 72. (2) Lenau und Löwenthal, S. 332. DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. 743 Es ist. mindestens eine Übertreibung, wenn man das Jahr 1844 unter das Zeichen von Lenaus Ausspruch zu Sophie stellt : « Es geht mit beschleunigter Geschwindigkeit holpernd und stürzend talab » (859). Die Ausserung ist ebenso masslos wie die elf Tage darauf folgende : « Alle meine Leiden sind geheilt und meine Kräfte wie neugeboren » (810). Zu Anfang des Jahres 1844 bis Mitte April erfreute sich der Dichter einer viel besseren Gesundheit als im Winter 1843. Vorzüglich bekam ihm die Frühlingsreise nach Schwaben. Wird seinem Körper etwas Tüchtiges zugemutet, so zeigt er, wie guten Stofles er ist, meldet er Sophie am 30. März (sır). « Gesund bin ich », schreibt er am 12. April, was ihm erlaubt, sich auf ein « ange- strengtes und anhaltendes Studium » zu werfen (s21). Am 19. April erfolgt die erste Klage über Appetitlosigkeit und auf- geregte Nerven, wozu sich am 24. Kopfschmerz gesellt. « Er- staunlich wohlbekommen » ist ihm die am 26. April unternom- mene Reise nach Heidelberg, er kann seine Seele dem unge- trübten Genusse der aufblühenden Natur überlassen (827), sein Magen jubelt auf, verjüngt sich wieder zur lang entbehr- ten Rüstigkeit der Jugend (854). Er ist « frisch und gesund » (850). Sobald er anfangs Mai nach Stuttgart zurückgekehrt ist, stellen sich wieder « Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Mattigkeit, schlechte Verdauung, Rhabarber » (850) ein, werden jedoch nur der « schweren, drückenden, energielosen, dumpfen, mat- ten, verbrauchten und besehmutzten » Stuttgarter Luft zuge- schrieben, über welche der Dichter auch früher öfters klagt ('), ihr mehrmals eine gleiche Wirkung zuschreibend. Ende Mai ist die « Gesundheit besser » (832). Am 7. Juni hat er die Empfin- dung, dass Lrotz einem Hängelassen der Flügel, einer Wind- stille der Gedanken seine Gesundheit nicht « pathologisch schulgerecht gestört » sei (855). Die neue Besserung, die der Aufenthalt in Baden-Baden vom 26. Juni an bringt, hält (1) Regelmässig seit 1837. Siehe Briefe Nr 367, 368, 381, 605, 618, 621, 674, 679, 688, 757, 796. 744 DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. nicht an, den Höhepunkt der Klagen erreicht der Brief an Sophie vom 4. (?) Juli. Über Kopfschmerz, Schlaf- und Appe- titlosigkeit (') geht jedoch auch hier das Krankheitsbild nicht hinaus, wenn der Schreiber sich auch für « ruiniert » hält. Nachdem ein Ausflug in den Schwarzwald die Kräfte wieder neu gestählt (840), verlautet seitdem, von Anfang Juli bis zum 19. September, kein Wort der Klage mehr. Eine einschneidende Wendung in Lenaus körperlichem und seelischem Befinden kündigt sich erst während seines Aufent- haltes bei der Familie Löwenthal in Lainz bei Wien an (14. August bis 15. September). Dort treten sehr häufige und ungemein starke Nachtschweisse ein, die seine physische Kraft brechen, dort auch wird das Gemüt so angegriffen, dass er « oft, zumal bei Nacht, unwillkürlich auf das heftigste weinte » (?). Dort besorgten die meisten seiner Freunde für ihn eine « nahe, vielleicht bedeutende Krankheit », und er selbst hatte diese Empfindung (°). « Im Innersten erschöpft und verletzt » (854) fühlte er sich, als er am 19. September auf der Rückreise nach Stuttgart in München eintraf. Von nun an erst ist seine Seele « wund geritzt » (856), sein Gemüt verstört (857). Von nun an wollen die immer stärker werdenden nächt- lichen Schweisse ihn nicht mehr verlassen (857), auch nicht das heftige und anhaltende nächtliche Weinen (859). « Innerlich verlezt und gedrückt » (859) ist er am 28. September, am 29. trifft ihn als physischer Vorläufer der Paralyse die Lähmung der rechten Wange. Bald folgen paralytische Sprachstörungen, wozu sich anfangs Oktober « totaler Mangel an Appetit, schlaflose Nächte, Aufwachen und stundenlanges Weinen, Zit- tern der Glieder, ein schweres dumpfes Hinterhaupt und eine masslose Traurigkeit und Verzagtheit » (sc2) gesellen. Die (') Diese drei Übel treten häufig bereits zu Anfang der dreissiger Jahre und später immer wieder auf. Siehe Briefe Nr 67, 120, 131, 454 307, 309, 382, 535, 600, 613, 645, 659, 675, 679, 685, 7492, 743. — Die Klage über Reizbarkeit der Nerven im Jahre 1844, auf die Dr Weiler sich auch beruft, ertönt viel schärfer im Dezember 1839 und im September 4841. (Briefe Nr 656, 742, 743, 744). (2) ScHurz, II, 191. (32) Ebenda, S. 192. DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. 745 Besserungen, die der Kranke in den Tagen vom 6. bis 12. Ok- tober zu verspüren glaubte, waren die Ruhe vor dem Sturm, der in der Nacht vom 12. bis 13. Oktober ausbrach, oder viel- mehr das den nahen Untergang andeutende Erlöschen des Krankheitsgefühls. In der Nacht auf den 16. Oktober erlosch das Licht des Bewusstseins gänzlich in einem fürchterlichen Tobsuchtsanfall. Ich bin ganz der Ansicht von D' Weiler, dass nur der Arzt das letzte Kapitel von Lenaus Leben schreiben, dass nur die Fachwissenschaft das Problem seines Unterganges lösen kann. Meine Darstellung bezweckt nur, auf die Lücken bisheriger Forschung aufmerksam zu machen. Fortgesetzt und ohne Widerspruch klagt Lenau über körperliche und seelische Leiden erst seit dem 19. September, erst seitdem erscheint in seinen Bekenntnissen ein festgeschlossenes Krankheitsbild. Auf sehr schwankendem Boden (!) steht die ärztliche Forschung, wenn sie von dem Gedanken beherrscht, dass Lenaus Krankheit ein « Schulfall » gewesen (?), das « Prodomalstadium » auf mehrere Jahre hinausdehnt. Eine auffallende Erscheinung ist die, dass die Ärzte, welche die ersten Spuren von Lenaus Irresein so weit zurückverfolgen und die sonst nicht gerade so wählerisch in ihren Beweisgrün- (1) Rahmer (S. 96) gesteht, dass bezüglich der Frage nach dem Beginn der Krankheit. « die Ansichten der Forscher weit auseinandergehen. » Möbius (DıE Zeit, Wien, XXVII, Nr 362) meint, dass « schon einige Jahre lang der Geistes- zustand durch die Paralyse beeinflusst worden sein mag ». Vleuten versetzt « eines der ersten Anzeichen » in den Monat Januar 1844, Sadger (NEUE FREIE PRESSE, Nr 11167) glaubt, dass das « Prodomal-Stadium des Wahnsinns ohne Frage nicht allein das ganze Jahr 1844 beherrscht, sondern, dass man, ohne gegen die Wahr- heit zu verstossen, ganz kühnlich aussprechen darf, der wirkliche Beginn der Psychose sei um viele Monate früher anzusetzen ». Weiler entscheidet sich für den Monat April 4844, « ohne dabei die Möglichkeit zu bestreiten, dass die krkran- kung schon früher begonnen hat und schon frühere Erscheinungen auf sie zu beziehen sind ». Wörtlich wiederholt dies Rahmer (SAD: (2) Dieser Ansicht tritt nur Sadger entgegen. « Nur darf man nicht wähnen, dass derselbe (Lenaus Wahnsinn) unter die typischen Schulfälle einzureihen sei. » (Nikolaus Lenau. Ein pathologisches Lebensbild, Neue Freie Presse, Nr 41467.) 746 DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR. den sind (*), es‘ganz verschmähen, Lenaus letzte Dichtungen für ihre These heranzuziehen. Wie sich die dementia para- Iytica, die einstimmig von der medizinischen Forschung als die Krankheit Lenaus anerkannt wird, eben beim Dichter, und zwar in der ersten Entwickelungsstufe äussert, lehrt Krafft- Ebing, nämlich durch die « Verletzung der Grundgesetze der Ästhetik, Banalität der Konzeption und des Stils, Unbeholfen- heiten und Unklarheiten im Ausdruck, lapsus judieii und memo- riae »! Immer mehr schwinde die gesamte geistige Leistungs- fähigkeit. Trotz unendlichem Aufwande von Zeit käme nur (4) So führt z. B. Dr K. Weiler als solche an : Lenaus « grossartige Projekte » für die Zukunft, als da sind : Dozent der Philosophie zu werden, ein Oratorium zu schreiben, ein Drama zu dichten. Dieselben Pläne nennt Castle (S. 99) « ausschwei- fend sanguinische ». Sämtlich tauchen sie schon zu Beginn von Lenaus dichte- rischer Laufbahn auf und begleiten ihn sein ganzes Leben hindurch; an einem Drama arbeitete er noch im Jahre 1843. — Nachdem somit der « Mangel an Urteils- kraft » belegt, wird die « Trübung des sittlichen Bewusstseins » dureh die sofort nach lenaus Verlobung erfolgte Reise nach Wien begründet. Diese Reise unter- nahm der Dichter jedoch nicht, um « seinen Geburtstag mit Sophie, seiner alten Liebe, zu begehen », sondern, um die zu seiner Heirat nötigen Papiere herbeizu- schaffen und ein letztes Wort mit seinen Verwandten zu reden. Von dem « sitt- lich getrübten Urteil » soll auch die Absicht eines Verhältnisses zu dritt zeugen, dessen Grundlage Lenau in der Bedingung sieht, dass er seine Entsagung um eine Stufe höher stellt, was er übrigens Sophie nur als Trostgrund angibt. Man könnte einwenden, dass der Entschluss zur Heirat mit einem Mädchen, das sich durch eine « reine und hohe Seele » (850), eine « tiefsittliche und bezaubernd reine Natur » (851) auszeichnete, vielmehr von einer Gesundung seines sittlichen Urteils zeugt. — Wenn als Zeiehen der « Charakterveränderung » der schnelle Anschluss an Auerbach angeführt wird, so war zunächst dieser Anschluss kein übereilter, denn Lenau kannte Auerbach bereits seit dem April 4844, und ganz unberechtigt ist auch die Annahme, dass die Persönlichkeit des neuen Freundes Lenau vorher unsympathisch gewesen. Lenaus Brief an Sophie vom 5. Mai 1844 beweist eher das Gegenteil. Auch dass Lenau « sonst gegen neue Bekannte ungemein zurückhaltend gewesen », ist nicht zu erweisen. — Eine ganz gewöhn- liche Erscheinung beim Dichter ist der jähe Wechsel der Stimmung, auf den auch Castle (S. 100) sich beruft. « Der plötzliche Wechsel meiner Stimmungen », bekennt er im Mai 1837, « von der höchsten Freude zur tiefsten Düsterkeit, zeigt mir eine krankhafte Spannung meiner Seele » (294). Die « Anfälle von abnormer Rührseligkeit und von unwillkürlichem Weinen » häufen sich erst zu einem geschlossenen Krankheitsbilde während und unmittelbar nach dem Lainzer Auf- enthalt. (Vgl. Lenau und Löwenthal, S. 580.) DAS « VIERSCHRÖTIGE » JAHR, 747 noch minderwertige geistige Arbeit zutage. Die Konzeptionen des Dichters liessen den früheren Schwung der Phantasie ver- missen und erschienen trivial und abgeschmackt (!). Man messe an diesem Urteile den Don Juan, die letzten Iyrischen Gedichte Lenaus und die im Jahre 1844 unternom- mene, so sorgfältige, vielseitig und feinsinnig feilende Durch- sicht seiner sämtlichen Gedichte. Da darf man doch wohl die Frage wagen : wo ist hier der « Verlust der geistigen Regsam- keit, die Unfähigkeit zur Arbeit, die Gedankenarmut », zu finden, die Dr E. Kraepelin als « erste Anzeichen der heran- nahenden Krankheit » bezeichnet, wo die « auffallende Gleich- gültigkeit und Schlaffheit in wichtigen Angelegenheiten »? (2) Mit der « nachdrücklichsten Energie » betrieb Lenau im Juni die « Geschäfte bei Cotta » (854), die Neuauflagen seiner Gedichte und des Savonarola, später die Angelegenheit eines seine Zukunft sicherstellen sollenden Verlagsvertrages sowie die zahllosen praktischen Unternehmungen, die sein Heiratsplan verursachte. Neigung und Fähigkeit, sich dichterisch zu äussern, dauern bis zum Tage, an dem Lenau zum ersten Male widerrufslos seine innerste Verletzung und Erschöpfung fest- stellt, die eine Folge seiner unglückseligen Reise nach Wien war. () R. von KRAFFT-EBInG, Die progressive allgemeine Paralyse (Bd IX, II. Teil der Speziellen Puthologie und Therapie hrsg. von H. NoTHNAGEL. Wien, Hölder, 1894). (?) E. Kraepeuın, Psychiatrie. 8. Auflage. Leipzig, A. Barth, 1940. II, 400. LIX Marie Behrends. Ende Juni bis Mitte Oktober 1844. Mit meinen Gedichten. — Gewitter. Am 2. Juli sandte Lenau an Marie Behrends, die er am 27. Juni an der Mittagstafel im Englischen Hof in Baden-Baden zum ersten Male sah, ein Exemplar seiner Gedichte mit den Widmungsversen Mit meinen Gedichten (55). Als er erfuhr, dass die Auserwählte mit ihrer sie begleitenden Tante am 2. Juli abzureisen gedachte, wollte er, wie Auerbach (S. 58) berichtet, « der Holdseligen eine Freude, ein lichtes Erinne- rungszeichen zuwenden. Die Gedichte wurden aus der Buch- handlung geholt, und Lenau schrieb ein Widmungsgedicht hinein. Er schrieb das Gedicht fast improvisiert und schickte die Bücher mit einer Visitenkarte in den englischen Hof ». « Meine Überraschung, Aufregung und Verlegenheit », schreibt M. Behrends in ihrem Tagebuch, « waren grenzenlos; unmög- lich kann ich beschreiben, was in mir vorging » ('). Den Eindruck, den die Gedichte auf sie machten, schildert sie folgendermassen : « Desto mehr beschäftigte ich mich mit ihm und seiner Poesie, die mich früher schon so angezogen hatte durch die Schönheit ihrer Sprache und Bilder, ihre Genialität und Tiefe der Empfindung, aber jetzt in seiner Gegenwart, unter seinem persönlichen Einfluss, ganz anders (4) WEISSER, S. 424. MARIE BEHRENDS. 749 auf mich einwirkte, sich meiner ganz bemächtigte. Ich konnte nicht loskommen, las immer wieder und wieder. Wie bewegten sein Leid und seine Klage mir die innerste Seele; durch ihn lernte ich die Natur kennen und verstehen. Seine Lieder in ihrem hohen Gedankenflug, so grossartig und tief, hoben mich über diese Erde; sie schienen mir Klänge aus höheren Welten und bewundernd staunte ich den Geist an, der sie geschaffen. — Damals gefielen mir besonders die Naturschilderungen, später habe ich auch die schmerzensreichsten Lieder ganz ver- stehen lernen; kein Ton derselben ist mir fremd geblieben; manchmal denke ich, vieles darin sei nur für mich geschrieben, ich könne den geheimsten Sinn herausfühlen » ('). « Schön bis ins Herz », nennt Lenau im Widmungsgedichte seine baldige Braut und sagt hiermit, was ihn so schnell an sie fesselte. Der plötzliche Entschluss, um sie zu werben, erscheint nicht als verblüffendes, unbegreifliches Gebaren, das bereits von gehemmter Urteilskraft zeugt, nicht als Unzurechnungsfähigkeit und Krankhaftigkeit, sondern als « Ausserung und Wirkung jener tatlos hindämmernden Lethargie, welche mit Grauen gewahr werdend, dass eine wichtige Lebensstunde spurlos verträumt sei, sich plötzlich in verzweifeltem Entschlusse auf- rafft, das Verlorene und Versäumte noch einzuholen und fest- zuhalten » (?). « Der Entschluss zu heiraten », meint Emilie Reinbeck, « entsprang nicht, wie Lenaus Freunde in Wien zu glauben scheinen, aus einem schon gestörten Seelenzustand, es war vielmehr der letzte gesunde Vorsatz, sich von drückenden Fesseln zu befreien und in der gesetzlichen Verbindung mit einem liebenswürdigen, edlen Mädchen, deren treflliche Eigen- schaften er bei der kurzen Bekanntschaft ganz richtig auffasste, Ruhe und innern Frieden zu finden, sowie einen Beruf und äussern Antrieb zu geregelter Tätigkeit » (?). (!) WEISSER, S. 425. (@) Grün, S. 76 f. () Lenaus Erkranken. SCHLOSSAR, S- 232 . 750 MARIE BEHRENDS. Die frohe Zuversicht Emiliens teilten ausser Auerbach ('), Männer wie Felix Mendelsohn, F. Hiller, M. von Schwind, die Augenzeugen von Lenaus damaligem Zustande waren. In den Augen des einfachen, anspruchslosen, madonnenhaft- lieblichen Mädchens, das Lenaus Blicke auf sich gerichtet sah, so oft sie aufschaute, hat er den innersten Wunsch ihrer Seele gelesen, den sie selbst so rührend ausspricht : « Wie des fremden Mannes Kummer heilen? Wie seine düstre Stimmung erheitern? War schon an diesem Abend (30. Juni) der Gedanke, der mich unablässig beschäftigte, der sich meiner immer mehr und mehr bemächtigte. Auf diesem Gedanken beruht mein ganzes Verhältnis zu ihm; er ist das unsichtbare Band, das mich zu ihm hinzog, mich an ihn kettete, mich mit ihm so innig und unauflöslich verband. Auf diesem Gedanken oder Gefühl beruht meine Liebe, oder es ist eins mit mir, dieses unerklärliche, unwillkürliche, unfreiwillige Gefühl » (?). Beseelt davon war sie bereits vor der ersten, längeren Unterredung mit Lenau am 1. Juli, welche sie, obwohl in Gegenwart ihrer Tante nur Gleichgültiges gesprochen wurde, in « neue, schöne (1) Auerbach (S. 48) warnt ausdrücklich vor der pathologischen Erklärung von Lenaus damaligem Verhalten. Er fand ihn zwar auch reizbar, dies erschien ihm jedoch « nur entsprechend einem so zartbesaiteten Gemüte ». « Es ist vielfach ungerecht und verkehrt », fügt er hinzu, « von einem ungeahnten Abschlusse das ganze vorangegangene Sein klugtuerisch ausdeuten zu wollen ». « Tiefes Verken- nen », nennt er es anderswo, von der letzten Schicksalswendung aus Krankhaftig- keit und gewaltsame Wirrnisse in der Seele des Dichters erkennen zu wollen. (N. Lenau. Erinnerung und Betrachtung. Vortrag. Wien, C. Gerolds, Sohn, 1876, S. 29). Helles Licht wirft Auerbach (S. 49) auch auf die « Charakterveränderung » den Reinbecks gegenüber, auf die von ärztlicher Seite so grosses Gewicht gelegt wird. Nur auf Auerbachs Vorstellung, dass Lenau bei seiner Verstimmung in « dem einsamen Lichtenthal bei den alten Leuten » diesen doch nichts sein könne, dass es « seine Pflicht gegen sich und die Freunde sei, frischauf zu sein und durch seine Anwesenheit zu erfrischen » verliess er die Familie Reinbeck. Einen allge- meinen Grund der kurzen Spannung verrät uns Auerbach (S. 57) durch die Mittei- lung, dass der Reinbecksche Frauenkreis vom Don Juan nichts wissen wollte. — Das Wort : « Das Licht geht aus », sprach Lenau zu Auerbach nach der Heimkehr von der Brautfahrt, unmittelbar vor der ihn so ängstigenden Reise nach Wien. (S. den eben erwähnten Vortrag S. 29.) (2) WEISSER, S. 493. MARIE BEHRENDS. 154 Träume, eine Welt voll Gedanken, ein Meer von Empfindun- gen », die ihr nicht klar wurden, versenkten ('). Deutlich zeigt das ihr am 2. Juli überreichte Widmungsgedicht, dass Lenau ihr Gefühl durchschaut hatte : Mich liess die Gunst des Augenblickes, Ein flüchtig Lächeln des Geschickes, Wie bis ins Herz du schön, erkennen. Die folgenden Tage brachten gemeinsame Spaziergänge die eine nähere Bekanntschaft ermöglichten. Acht Tage nach dem ersten Zusammentreffen, bei einem zufälligen Alleinsein, sprach Lenau die bedeutsamen Worte : « Es hat meinem Leben immer an einer Versöhnung gefehlt. Sie sind mir eine so liebe Erschei- nung. Sie haben im ersten Augenblick, durch Ihre bis jetzt noch nicht gesehene Weiblichkeit einen so wohltätigen Eindruck auf mich gemacht » (?). Lenau « hat stets solche wahre, reine Weiblichkeit tief empfunden », bekundet E. Niendorf (S. 206). Als Marie Behrends nun bei dieser Begegnung das entschei- dende, Lenau ins Innerste treffende Wort sprach : « Um Sie zu erheitern, würde ich gern etwas für Sie tun », da glaubte er, wie er ihr am 9. August schreibt, an eine Fügung, an eine « letzte Anfrage des Schicksals oder vielmehr Gottes » an ihn, ob er noch vor seinem Tode zur Versöhnung und zum Heile gelangen wolle (84). Trotzdem überstürzte er kein Liebes- bekenntnis und sagte ihr noch am 8. Juli : « Beglückend war mir Ihre Nähe. Wenn jemand im stande wäre, mich ganz glücklich zu machen, so sind Sie es. Liebe Marie! Sie haben mich ganz verändert. Ich rede sonst nicht leicht mit jemand von mir selber. Sie haben alles Herbe in mir gelöst, ich könnte Ihnen Alles sagen » (?). Die förmliche Werbung erfolgte erst nach Maries Abreise aus (1) WEISSER, S. 424. (2) Ebenda, S. 495. (%) Ebenda, S. 426. 752 MARIE BEHRENDS. Baden am 18. Juli in Frankfurt. « Er wiederholte, dass ich zu seinem Glücke notwendig sei, er könne mich nicht mehr verlieren; wenn ihm dies misslänge, sei sein ganzes Leben zerstört, er sei dann geknickt für immer. Auf mich habe er seine Hoffnung, seine Zukunft gebaut » (!). Nun offenbarte ihm Marie, dass sie vom ersten Augenblicke an darüber nach- gesonnen, was ihn froh und glücklich machen könne. Das sei eben die geheime Sympathie, sagte er, die Liebe sei der geheime Zug der Seelen gegeneinander. Marie habe ihre Bestim- mung gefühlt. Lenaus Brief vom 26. Juli an Maries Mutter überzeugte diese : « Wer so denkt und schreibt, dem kann ich mit Beruhigung meine Tochter anvertrauen » (?). Sein hohes Glücksgefühl beruhte zunächst darauf, dass Marie Behrends sich ihm in Liebe zugeneigt hatte, ohne zu wissen, wer er sei, dass sie an ihm ganz allein, ohne alle Zutat des Talentes und der Stellung, Wohlgefallen gefunden. Dies sprach er, bemerkt Auerbach (S. 57), wiederholt mit einem frohen Selbstgefühle aus. In dieser Hinsicht bot Marie Behrends ihm etwas Neues, eine Uneigennützigkeit und Opferfreudigkeit der Liebe, wie sie ihm nur seine Mutter bezeugt, die ihm als Vorbild aller Frauen galt. Was alle vorher ihm huldigenden Frauen zunächst an ihn gefesselt, war seine Begabung und sein Ruf als Dichter. Marie allein erfüllte einen im tiefsten Innern lang gehegten Wunsch, einmal nur seiner selbst willen geliebt zu werden ; wenigstens kam er erst jetzt zu dieser festen Zuversicht. Es erhöhte sein Selbstgefühl, dass ihm diese Erfül- lung in seinem zweiundvierzigsten Lebensjahre zuteil ward, und dass eine bereits in die reiferen Mädchenjahre eingetretene « wahrhaft deutsche Jungfrau » (?), wie er Marie nannte, ihm diese Offenbarung brachte. « Das war's », schreibt Auerbach (4) WEISSER, S. 427. (2) Ebenda, S. 428. (3) Schurz, II, 189. — Frankı, S. 106. MARIE BEHRENDS, 1983 (5. 57 f.), « was er schon lange sich heiss ersehnte ('), was er ewig verloren glaubte, und jetzt war’s da wie ein leuchtendes Gnadengeschenk. Es lässt sich nicht beschreiben, wie leicht- beschwingt und morgenfrisch die Psyche des Dichters sich erhob». Das war auch die « noch nicht gesehene Weiblichkeit ». « Was hast Du an mir für Wunder getan! » so hebt der erste Brief an die Braut an. « Ein längst begrabner Friede, eine innige Freude am Leben und der heiterste Mut, ihm wieder recht lebendig und kräftig anzugehören, alle diese guten Genien hast Du mir aus ihren Gräbern heraufbeschworen » (846) . Eine drei Wochen nach der ersten Begegnung erfolgte Wer- bung kann man nicht ohne weiteres als « krankhafte Überstür- zung » abtun. Wenn Lenau allerdings mit Eile auf Verlobung und Heirat drang, so gibt es dafür noch eine andere Erklärung als die mit der bereits gelähmten Urteilskraft. Er wollte allen ihm von Wien drohenden Störungen seines Planes zuvorkom- men und Sophie vor eine vollendete Tatsache stellen. Auf Emiliens Frage, ob er das wichtige Ereignis nach Wien berich- tet habe, antwortete er : « Sie müssen’s sich schon gefallen lassen » (?). Die Frage von Maries Mutter, ob seine Anver- wandten die Verbindung auch gerne sähen, beschied er, ein Mann seines Alters habe nicht nötig, bei seiner Heirat seine Verwandten zu befragen. Er habe übrigens nur eine Schwester, die sich seines Glückes freuen werde (°). Die Mitteilung an Sophie : « Ich halte mich wirklich für ruiniert... Es geht mit beschleunigter Geschwindigkeit hol- pernd und stürzend talab », in dessen Licht die gesamte neuere Lenauforschung das Jahr 1844 sieht, fällt gerade in die ersten Tage des neuen Liebesglückes. Sie verleitet deshalb zur Ver- (4) Das Wort heiss unterdrückt Schurz (II, 172) in seiner Wiedergabe des Auer- bachschen Berichtes. (2) SCHLOSSAR, S. 206. @) WEISSER, S. 427. 754 MARIE BEHRENDS. mutung, als habe Lenau, im Augenblicke wo er sich von Sophie trennen wollte, der Geliebten andeuten wollen, es sei nicht viel an ihm verloren. In demselben Briefe (859) erklärt und begründet er die neuen Freundschaften, die er in Baden schloss, welche von der neueren Forschung als « klinisches Symptom » der Paralyse aufgefasst werden. Die Nachricht vom Tode des Grafen Alexander von Württemberg stimmte Lenau noch zu dem gerade in dieser Zeit bedeutungsvollen Angst- gefühl, dass er « im Alter recht wie ein Hund verlassen und vergessen umkommen » werde. Er bekennt dies Sophie (835), die in den drei ihr im Juli aus Baden-Baden geschriebenen Briefen nichts von der neuen Verbindung erfährt. Sie ward erst durch die Zeitungen unterrichtet. Lenaus Erfahrung vom Jahre 1839, meint Schurz (Il, 177), hatte ihm wenig genutzt. « Hätte er wie damals wieder sich Sophien vertraut, die sein Heil von Herzen wünschte, die Sache wäre sodann, wenn auch nach einigen Stürmen, nach vorerst beruhigend gelöster Lebens- frage im eigentlichsten Sinne, wohl wahrscheinlich zu glück- lichem, und doch jedenfalls besserem Ende gelangt ». Die Stelle allein genügt zur vollen Rechtfertigung der Selbsteharak- teristik « armer Blinder », wodurch Schurz (II, 193) seine Haltung in dieser Sache kennzeichnet. Lenau bangte so sehr vor der Reise nach Wien, dass er Auerbach an seiner Stelle hinschicken wollte. In Lainz, wo Sophie weilte, angelangt, frug diese ihn sogleich : « Niembsch ist es wahr, was die Zeitungen von Ihnen melden? — Ja! — sprach er — doch wenn Sie’s wünschen, verheirate ich mich nicht ; ich erschiesse mich dann aber auch (!) ». Sobald Sophie den vollen Ernst der Lage erfasst, begann sie dasselbe Spiel, das sich schon einmal, im Falle Unger, als wirksam erwiesen. « leh bin fest überzeugt », eröffnete sie am,8. November 1844 ihrem Verbündeten Schurz, « dass der Wunsch, der Natur, die (4) ScHurz, II, 189. MARIE BEHRENDS, 199 er so heilig achtet, genug zu tun, einen grossen Einfluss, ja den grössten, auf seinen Entschluss, sich zu vermählen, hatte. Aus diesem Grunde musste ich, da ich ihn wahrhaft liebe, seine Heirat für seine körperliche und geistige Gesundheit wünschen und wünsche sie noch. Meine Einwendungen gegen die Heirat, waren nur ökonomischer Art. Ich hätte leicht in den Augen desjenigen,an dessen Meinung mir am meisten liegt, edler scheinen können, wenn ich unbedingt seinem Plane Beifall gegeben hätte. Ich verschmähte es aber und machte ihm die Feststellung seiner pekuniären Verhältnisse, wenn auch etwas spät, zur heiligsten Pflicht, ehe er den letzten Schritt in Frankfurt täte. Sie, lieber Schurz, kennen Niembschens Be- dürfnisse so gut wie ich, Sie kennen auch seinen Stolz und seine Scheu vor Armut, ja sogar vor Einschränkung... Musste ich da nicht schaudern, ihn mit so geringen Geldmitteln den unerbittlichen Forderungen eines Hauswesens preisgegeben zu sehn » (?). Zunächst ist diesen Briefe zu entnehmen, dass Sophie die Heirat für Lenaus « geistige und körperliche Gesundheit » als wünschenswert erachten und dieselbe an sich durchaus billigen musste. In demselben Briefe bezeugt sie, dass Niembsch ein « starker und gesunder Mann » gewesen, so lange sie ihn gekannt. Sie tritt somit der Auffassung, dass der Heiratsplan von abnehmender Urteilskraft gezeugt und « bereits eingetre- tener krankhafter Seelenerregung » entsprossen, wie auch schon Schurz (IH, 176 f.) meint, entschieden entgegen. Sie gibt einen neuen, bedeutsamen sittlichen Grund von Lenaus Werbung kund, den sie als den grössten hinstellt : der vom Dichter heilig geachteten Natur genug zu tun. Dieser Grund ist nicht von ihr ersonnen, tatsächlich hat Lenau ihn während des Aufenthaltes bei ihr in Lainz geäussert. Max Löwenthal schreibt ihn in sein Tagebuch ein : « Die Heilighaltung der Naturgesetze (1) Lenau und Löwenthal, S. 398 £. 756 MARIE BEHRENDS. der Respekt vor ihnen ist die wahre Religion. Je weniger ich auf ein Leben nach dem Tode halte, desto gewisser muss ich fordern, dass man in diesem Leben den höchstmöglichen Grad von Vollkommenbheit erreicht » (!). Nur in der « Musterehe » (?), die er mit Marie Behrends führen wollte, glaubte er diesen höchstmöglichen Grad von Vollkommenheit erreichen zu kön- nen, nur von dieser Ehe konnte er auch die Befriedigung seiner nie gestillten Sehnsucht nach einem Kinde erhoffen, die er noch einmal in dieser Lainzer Zeit Max Löwenthal kund- gibt : « Wenn Du auch nichts anderes hättest, so wärst Du glücklich, einen solchen Knaben zu besitzen wie Artur » (?). Kurz vorher hatte er Emilien Reinbeck gestanden, er sei seines bisherigen unstäten und zwecklosen Lebens überdrüssig, und seine Sehnsucht nach Weib und Kind sei oft über alle Beschrei- bung gross und dringend (*). Später, freilich erst nach seiner Geistesumnachtung, erkannte er seine Strafe als eine gerechte an, weil er das Sittengesetz nicht heilig geachtet, weil ihm das Talent höher gestanden als dies Gesetz, das doch das höchste sei (). « Sagen Sie das auch zu ihr », fügte er hinzu, « sie hat das Sittengesetz auch nicht genug erhoben » (°). Ganz stellte sich auch diesmal wieder der Schwager auf Seite Sophies. Er vergällte zunächst dem Dichter die Freude über einen eben mit Cotta mit Rücksicht auf die bevorstehende Ehe geschlossenen Vertrag, schrieb und rechnete ein ganzes Heft voll, worüber Lenau bis zu seinem ersten Wahnsinnsanfall beständig brütete. Schurz beschwor das Gespenst der mate- riellen Not, malte eine sorgenvolle Zukunft und den Bettelstab des Alters aus. Auch widersetzte er sich dem Plane einer Ansie- delung in Deutschland, vorhaltend, dass Lenau sich auf die (4) Lenau und Löwenthal, S. 91. (2) NiENDORF, S. 205, 263. — ScHLOSSAR, S. 298. ($) Lenau und Löwenthal, S. 290. (4) SCHLOSSAR, S. 204. (8) Ebenda, S. 217. (6) E. NIENDORF, S. 270. MARIE BEHRENDS. 7151 Dauer nur in Österreich behaglich und heimisch fühlen könne. « So vermehrte ich seine Not, anstatt sie ihm zu erleichtern », gesteht er (Il, 193). Kein Wunder, dass der Freude Flügel bald wieder ganz schlaff hingen. « Er war oft fürchterlich herabgedrückt », meldet Schurz (II, 191), durchweinte ganze Nächte. Nicht nur die Verwandten und Sophies Anhang, son- dern seine sämtlichen Wiener Freunde waren gegen die Heirat wie verschworen (!). Bei ihren « ökonomischen Einwendungen » gingen Schurz und Sophie von dem Standpunkte aus, dass Niembsch, wie sich Sophie äusserte, als Ehemann « anständig und gemächlich, und ohne auf seine poetische Produktion angewiesen zu sein, leben können » müsse (?). Der Vertrag mit Cotta sicherte ihm für die nächsten fünf Jahre ein jährliches Einkommen von 4000 Gulden. Ausserdem war ein Honorar von 2500 Gulden für jedes neue Werk vereinbart, und ein solches war nahezu fertig. Am 30. Juli 1844, dem Tage des Vertragsabschlusses, hatte der Dichter bei Cotta noch ein Guthaben von 3200 Gul- den. Auf Grund von Sophies eigener Berechnung bedurfte er verheiratet eines jährlichen Einkommens von 2500 Gulden (2), was er selbst nach Einsicht in die Reinbeekschen Wirtschafis- bücher für richtig anerkennt (860). Es war folglich seine Zukunft auf zehn Jahre hinaus gesichert, abgesehen von jeder dichterischen Arbeit als der Vollendung des Don Juan, abge- sehen auch von dem allerdings kleinen Vermögen, worüber die Braut sofort verfügen konnte. Für eine spätere Zukunft konnte Maries Mutter die Zusicherung geben, es sei dann weniger nötig, dass Lenau etwas durch dichterische Tätigkeit hinzu- (1) Frank, S. 105 f. Vgl. SchLossar, S. 227 und GRILLPARZER-JAHRBUCH V, 104. (Aus Bauernfelds Tagebüchern Nr 379 : « Lenau will heiraten. O weh! ».) (2) Lenau und Löwenthal, S. 329. i (5) SchLossar, S. 207. « Allerwenigstens », meint sie freilich. Emilie war der Ansicht, dass weit weniger notwendig sei, und erhärtete diese durch Beispiele aus den Lenau befreundeten literarischen Kreisen Stuttgarıs (Kbenda, S. 207). m. 158 MARIE BEHRENDS, verdiene (?). Schurz und Sophie, die im Falle Unger Lenaus Stolz aufgerüttelt mit dem Vorhalten, er könne und dürfe nicht vom Vermögen seiner Frau leben, machen es ihm jetzt zur dringendsten Pflicht, seinen Stolz zu überwinden und auf eine Vermehrung der Mitgift Maries zu bestehen, in der Voraus- setzung, dass er vom Tage der Eheschliessung an nicht anders denn als Rentner von den Zinsen eines Kapitals leben dürfe. Wie mächtig dieser erste Wiener Ansturm auch war, so bestand Lenau doch die schwere Probe und schrieb hoffnungs- freudige, ja seelenfrohe Briefe aus Wien an die Braut, bei denen ihm jedoch öfters die Seele geblutet haben mag. Der « grosse und geheiligte Besitz » von Maries Herz hat ihm das Erden- leben wieder zum heimatlichen Boden umgewandelt, wo er fortan rüstig und freudig schaffen und wirken und ihr immerdar Liebe und Ehre weihen wolle, solang er lebe (848). « Wenn mein Geist unter Stürmen und rauhem Unwetter des Geschicks gleichwohl manche Blume getrieben hat, die das deutsche Volk an seine Brust gesteckt, so wird es in glücklicherer Zukunft unter dem milden und schönen Himmel Deiner Liebe noch Gedeihlicheres hervorbringen. OÖ wie sehne ich mich nach den Tagen, die ich an Deiner Seite, in herzinnigem Zusammen- schluss unserer Seelen leben werde » (850). Idyllisch malt er sich diese Tage im Briefe vom 9. September an die Braut aus (852). Der schwere, äussere Kampf mit allerlei Förmlich- keiten, worüber er eingehend berichtet, wäre ihm allerdings lästig, schreibt er Emilien, « wenn nicht der Preis ein so schöner wäre und, wie ich hoffe und fest glaube, ein für den Rest meines Lebens sehr beglückender. Marie, meine liebe Braut, ist eine tiefsittliche und bezaubernd reine Natur, deren Umgang und Besitz mich innerlich heilen und heben wird. Gott erhalte sie mir lange » (851). () WEISSER, S. 432. — Aus Lenaus verloren gegebenem Besitztum in Amerika rettete Schurz noch bei des Dichters Lebzeiten den Betrag von 2465,61 Gulden. Das nach Lenaus Tode vorgefundene reine Vermögen belief sieh auf die Summe von 21176,19 Gulden. MARIE BEHRENDS. 159 Allen äusseren und inneren Kämpfen zum Trotz kam in dieser letzten Wiener Zeit, die poetische Stimmung über ihn. Ich vermute, dass die « neue und wohlgelungene Don Juan- Szene », die in diesen Tagen entstanden, Maria und Don Juan ist, ein Seitenstück zu der kurz vorhergehenden ganz ähnlichen Abschiedsszene Don Juan und Klara. Auf Marias Vorwurf : Erkaltet ist dein wandelbar Gemüt, Wo ist das Herz, das einst für mich geglüht ? Bin ich dieselbe nicht wie vor dem Jahr Und dein noch inniger, als ich es war? antwortet Don Juan Du bist so schön und schöner noch vielleicht, Als da ich dir geraubt den ersten Kuss, Du warst mir immer hold, darum beschleicht Mich Wehmut, dass ich dich verlassen muss. Doch hin ist hin, der Zauber ist verkommen, Ich hatte mir die Liebe nicht gegeben, Und weiss auch nicht, wer sie mir hat genommen, Sie war ein neues, schönes, kurzes Leben ! Drum besser fort, als hier den Schmerz verschleiern, Und täglich lächelnd Totenfeste feiern. So schön und reich, so herrlich war dies Lieben, Dass ich entschwundnes Glück verriet’ und kränkte, Wenn seinen Namen ich der Neigung schenkte, Die noch für dich im Herzen mir geblieben. (Vs 553-570.) Dass Sophie sich in Lainz nicht ganz auf ökonomische Ein- wendungen gegen die Heirat beschränkt, auch ihr gekränktes Herz hat sprechen lassen, geht aus ihrem Briefe an Schurz vom 8. November 1844 hervor. Nachdem sie erwähnt, dass Niembsch oft ganz ruhig von ihrem Tode gesprochen, gesteht sie « Noch in Lainz, sagte ich zu ihm : Niembsch, das wäre wohl jetzt das Beste für vier Personen (!), und er schien kein (!) Lenau und seine Schwester, Sophie und Marie Behrends. RER N N: % 760 MARIE BEHRENDS. grosses Gewicht auf diese Äusserung zu legen » (!). Beim Abschied soll Sophie sich zum grausigen, verhängnisvollen, Wort verstiegen haben : « Eines von uns muss wahnsinnig werden » (?). Die Reisebriefe an Sophie zeugen von der starken Nach- wirkung des Gegenanschlags von Sophie und Schurz. In Stutt- gart angekommen, gestand Lenau Emilien, dass seine Wiener Freunde sowie Schwager und Schwester, keine Freude an seiner Heirat hätten und seinen Entschluss für eine Übereilung hielten. Ihre Einwendungen hätten ihm Mut und Stimmung getrübt, Sorgen in ihm erweckt (°). Grosser Missmut erzeugte auch die Verzögerung Cottas, den Vertrag in dem von Schurz vorge- schlagenen Sinne zu ändern. Bereits am 24. September traf ein Brief Sophies ein, der, wie Emilie mitteilt, einen gewalti- gen Sturm erregte. « Er rannte stumm, weinend und hände- ringend in meinem Zimmer auf und nieder und brach endlich in die Worte aus : ich kann nicht heiraten!... Er war untröst- lich » (*). Lenaus sofortige Antwort auf diesen Brief bestätigt, dass er ihn auf das schmerzlichste erschüttert, zugleich jedoch auf das beglückendste! Es müssen warme Liebesworte Sophies gewesen sein, die Lenau einen Erguss entlockten, der an Über- schwenglichkeit alle bisherigen Liebesbeteuerungen überbietet. In Sophie, von der jedes Wort sich in den letzten Abgrund seiner Seele hineinsenkt, hat er die Höhe der Menschheit erkannt und erfasst, in ihrem Umgange atmet er den reinsten, lebendigsten Äther des Geistes und in ihrer grossen Seele steht er wie an einem tiefen Meere und lauscht dem Rauschen seines Wellenschlages, der ihm das Tiefste und Schönste, dessen er fähig ist, weckt. Sie ist seine Muse und soll es bleiben. Undenkbar ist es, dass ein inniger Zusammenhang mit ihr auf- (1) Lenau und Löwenthal, S. 330. (2) NIENDORF, S. 256. ‘(#) SCHLOSSAR, $. 206. (4) Ebenda, S. 207. MARIE BEHRENDS, 761 hören könnte seinem Geiste und seinem Herzen entbehrlich zu sein (857). Emilien gelang es, den Freund nach dem furchtbaren Auf- ruhr zu besänftigen und zu trösten, er wurde wieder heiterer und beschäftigte sich mit freundlichen Bildern und Plänen für die Zukunft (*). In dieser Stimmung ist der eben erwähnte Brief an Sophie verfasst, der bereits die Möglichkeit einer Ver- tagung der Heirat erwähnt. Am Tage vorher, dem 23. Septem- ber, hatte er seiner Braut geschrieben : « Ich habe ein grosses Verlangen nach Deinem Anbliek; er soll mir manche Stelle heilen, die ich mir in dem vielbewegten praktischen Treiben der letztern Zeiten wund geritzt. Gottes Auge weile auf Dir, du schöne Blume in seinem Garten, und er tränke Dich mit dem reinsten und erquickendsten Tau seiner Segnungen! » (836). Unendlich beglückte ihn am 27. September ein Brief Maries. « Ich küsse Dir tausendmal die liebe Hand, mit der Du ihn geschrieben, wie auch die lieben Augen, die um mich geweint haben... Schreibe recht bald, geliebte, lang entbehrte, schmerz- lieh entbehrte, herrliche Braut! » (s3s). Tags darauf küsste er auch Sophie « tausendmal Hand und Herz ». Er gibt ihr voll- kommen recht, dass er sich nicht in Nahrungssorgen stürzen dürfe, möge die Welt dazu sagen, was sie wolle. Schon der Vorgeschmack der praktischen Umtriebe und Sorgen hat ihn so innerlich verletzt und gedrückt, dass ihm vor einer unge- sicherten Zukunft wahrhaft schaudert. Sich treu und fest an den Text ihres goldenen Briefes haltend, der ihm Gesetz sein soll, wird er ausser der Verzinsung seines Kapitals bei Cotta auf einer Vermehrung der Mitgift Maries bestehen. Seine Gesinnung gegen Sophie ist unwandelbar und durch die tiefsten Leiden verbürgt und geweiht. Der « unaussprechlich teuren Freundin » verheisst er eine Fortsetzung seines Umgangs mit ihr, die nur durch eine Wohnung in Wien möglich, wozu er entschlossen scheint (83%). (4) SCHLOSSAR, S. 207. 762 MARIE BEHRENDS. Es war bereits ein Sieg Sophies, dass es ihr, freilich nur mit Hilfe von Schurz, gelang, die materielle Seite des Heiratsplanes ganz in den Vordergrund des Interesses zu rücken, dem stolzen und alles Treiben dieser Art verabscheuenden Dichter nach ihrem eigenen Ausdruck die Feststellung seiner Vermögens- Verhältnisse zur allernächsten und « heiligsten » Pflicht zu machen. Ein unmittelbarer Sieg über die Nebenbuhlerin lag darin, dass sie Lenau zum Entschlusse brachte, seine Wohnung in Wien oder Umgebung zu nehmen. Nicht allein mit Ver- nunftgründen erreichte sie dies alles. Ihre Gefühlsausbrüche, womit sie ehedem so sparsam gewesen, sollten den Geliebten überzeugen, dass ihre Liebe grösser sei als die der Braut. Auch dies gelang ihr vollkommen. Die Briefe der ruhigen, mit ihren Empfindungen zurückhaltenden Marie standen an Reiz und Glut des Gefühls so sehr hinter denen Sophies zurück, dass Lenau zuweilen Zweifel an der Tiefe von Maries Liebe zu ihm äusserte, auch an ihrer geistigen Begabung, Zweifel, die er dann nachher immer selbst widerlegte. « Ihre Liebe wird sich mehr durch Taten als durch Worte bewähren. Sie ist ganz Hingebung, der grössten Opfer fähig, eine tief sittliche, bezau- bernd reine Natur, deren Umgang und Besitz mich innerlichst heilen und heben wird. Ihre sanfte Stille ist Balsam für mein krankes Gemüt. Eine leidenschaftliche Frau würde mich zur Verzweiflung bringen. Ruhe brauche ich, Ruhe »! (*). Die äusserste Ruhe des Gemütes, schreibt er am 5. Oktober Sophie, sei. ihm vom Arzte anbefohlen. Die sei jedoch schwer zu finden. « Schreiben Sie mir ruhigere Briefe, ich bitte Sie dringend, liebe Sophie! » (se2). Die Briefe, die Lenau von Wien erhielt, berichtet Emilie, wurden immer mit der höchsten Ungeduld erwartet, dem Postboten, der sie brachte, ein Geldgeschenk dafür gegeben, und sie hatten immer den nachteiligsten Ein- fluss auf seine Stimmung (?). (4) SCHLOSSAR, S. 230 f. (2) Ebenda, S. 209. MARIE BEHRENDS. 763 Nach Lenaus Darstellung war es « lediglich ein ungeheurer Affekt von Zorn, Kummer und Verzweiflung » (862), der am 29. September die rechtsseitige Gesichtslähmung verursachte. « letzten Sonntag », teilt er Sophie mit, « sass ich mit Rein- becks am Frühstück. Da fiel mir plötzlich das ganze Gewicht meiner Lage aufs Herz. Ich sprang auf mit einem Aufschrei des höchsten Zorns und Kummers, und im gleichen Augenblick fühlt ich einen Riss durch mein Gesicht » (860). Auch Emilie berichtet, dass die Lähmung auf einen « heftigen Affekt mit Klagen und Tränen » folgte ('). Zu allen Besorgnissen kam nun noch die hinzu, dass er vom Schlage getroffen sei. Er ist überzeugt, dass er « sein Teil abgekriegt » hat, er weiss ein für allemal, wie er mit seinen Nerven dran ist (862), er ist der erste Versuch des Todes an seinem Leibe (864). Der Gedanke, dass ihn der Schlag gerührt, wird ihm neben seinem physischen als « moralischer Schatten durchs ganze Leben folgen » (865), er erscheint sich selbst als « ein vom Tode Bezeichneter » ; dieser hat seine Hand an ihn gelegt, .« wie der Förster im Walde diejenigen Bäume anhaut und zeichnet, die bald gefällt werden sollen » (866, 868). Vom Augenblicke des Schlaganfalls an steht der Entschluss in ihm fest, die Heirat aufzugeben. Ihm graut davor, er ist überzeugt, dass es Wahnsinn wäre, jetzt zu heiraten (864). « Alle meine Hoffnungen auf Kinder », enthüllt er Sophie, « die ich mir so lang und so sehr gewünscht, und auf ein häusliches Glück an der Seite einer edlen und liebevollen Frau schienen mir in den Abgrund eines abschreckenden Verhängnisses ver- sunken, da mich der Unfall gerade in dem Augenblick getrof- fen, wo ich mit den letzten Anstalten zu einer Verheiratung beschäftigt war » (868). Fast wörtlich schreibt er dasselbe seiner Braut. Der Schlag erscheint ihm als ein schauerlicher Einspruch des Schicksals gegen sein Glück; ihm ist zumute, als habe sein (!) SCHLOSSAR, S. 207, 764 MARIE BEHRENDS. Herz in diesen kummervollen Tagen das Glück seiner Zukunft unter tausend Tränen bestattet. Ein nagendes Misstrauen gegen seine unsichere Gesundheit und ein banges Grauen vor sich selbst erfüllen ihn mit unendlicher Trauer und heissen ihn, dem noch vor kurzem so beseligenden Gedanken an eine eheliche Verbindung, wenigstens in seiner jetzigen Lage und Stim- mung, schmerzlich entsagen (866). Den Absagebrief sandte er auf das Zureden Emiliens nicht ab, die ihm bedeutete, die Heirat müsse freilich seines krankhaften Zustandes halber ver- schoben, jedoch nicht aufgehoben werden. Einen Umsehwung brachten zwei am 11. Oktober eingetrof- fene Briefe der Braut hervor, der eine an Lenau, der andere an Emilie. Besonders letzterer, der starke Teilnahme offenbarte, woran er infolge von Maries Zurückhaltung zweifelte, war Balsam für ihn (!). Man liest deutlich aus den Briefen an Sophie Lenaus Enttäuschung heraus über die vermeintliche Kühle, mit welcher Marie die Nachricht vom Schlaganfall auf- genommen; auch waren ihm ihre Briefe überhaupt zu spärlich und zu kalt. Die förmliche Absage ist hauptsächlich der Empfin- dung zuzuschreiben, dass er nicht heiss genug geliebt sei. Kein Wunder, dass Zweifel an dem Gefühl, das die Liebe zu Marie entfacht hatte, eine so mächtige Wirkung ausübten. « Sie ist und liebt mich zu ruhig », schreibt er Sophie, sein Innerstes offenbarend, und : « Man fürchtet, Marie werde nicht zu trösten sein; das fürcht ich nicht. Sie hat neulich vier Tage über die Zeit auf einen Brief warten lassen, trotz meiner Bitte um baldigste Antwort. Das ist sehr moderato und riecht nicht nach Verzweiflungsfähigkeit » (861). Als nun Emilie ihm vor- hielt, es sei nur Schonung, wenn das arme Mädchen ihr Gefühl zu verbergen suche, als am 15. Oktober wieder ein Brief der Braut eintraf, der ihn ganz befriedigte, da erging er sich mit Begeisterung in ihr Lob und sprach mit Zuversicht von dem Glücke, das er in dieser Verbindung finden werde (?). (4) SCHLOSSAR, S. 210. (2) Ebenda, S. 212. MARIE BEHRENDS. 765 So aufgeregt war er jedoch in den ersten Oktobertagen, dass sich ihm hundert Entschlüsse durch die Seele jagten und ver- drängten (868). Als seine Wange wieder beweglich wurde, auch sein Allgemeinbefinden sich vom 41. Oktober an zu bessern schien, da taucht die Hoffnung wieder auf, die Heiratsangele- genheit auf eine für ihn, die Welt und Marie befriedigende und versöhnende, ehrenvolle Weise durehzuführen (868). Schauderte ihn am 5. Oktober vor den tausend notwendigen Widerwärtig- keiten, dem Gebirg von Glasscherben, das er hinüberklettern musste, um die Vermählung durchzuführen (862), so erbebt er am 12. Oktober vor den neuen Kämpfen, Unruhen, Zerwürf- nissen und Affekten, in welche ihn ein Rücktritt verwickeln würde (868). Sophie, die den Gedanken der Ehe endgültig begraben glaubte und ihres Sieges bereits sicher war, muss nun hören, dass die Heirat auch ihr noch Beruhigung und Freude bringen werde, dass es für alle keinen Ausweg, keine Versöhnung, kein Heil gebe, als dass er das Mädchen heirate, das nun wieder ganz so edel, liebenswürdig und tief gut vor seinen Augen stehe, wie vor den Tagen seiner Leiden (872). Er wird noch schön und glücklich leben. Er gibt das viele Reisen auf, setzt sich fest in Wien, arbeitet und lebt seiner Marie, seiner Sophie, seiner Therese, seinen Freunden, seinem Gotte, seiner Kunst und heilt sich aus von allen Leiden. Es ist keine Übereilung, es ist ein lang und schwerüberlegter, freilich « raffinierter » Plan : die Entsagung darf nur um eine Stufe höher gestellt und die liebe Marie mit Vertrauen in den Bund hineingezogen werden, « so können wir ein schönes und glückseliges Leben führen » (872). Unsere Darstellung möge der Leser nur als einen Versuch ansehen, der ganzen Verlobungsgeschichte eine andere als rein pathologische Deutung zu geben. Es ist nicht unsere Absicht, ihn zu überzeugen, dass eine Heirat mit Marie Behrends den Dichter vor dem drohenden Untergange gerettet hätte. Unwill- kürlich drängt sich einem die Frage auf, ob die Liebe zu Sophie Löwenthal nicht viel eher pathologischen Charakter 766 MARIE BEHRENDS. trug (t) als die zu Marie Behrends? Die Psychiater wissen, dass übereilte, « unbegreifliche » (?) Verlobungen eine nicht seltene Erscheinung sind, wodurch die progressive Paralyse sich ankündigt und äussert. Sie heben jedoch hervor, dass solche Verlobungen gewöhnlich mit Personen eingegangen werden, die um viele Jahre jünger sind, in jeder Beziehung, besonders gesellschaftlich, viel tiefer stehen, und. dass der Kranke dann diese Frauen in schwachsinniger Weise ideali- siert. Das Motiv dieses Handelns erblickt die Psychiatrie in gesteigerten erotischen Neigungen. Etwas derartiges, gesteht Vleuten, liegt im Falle Marie Behrends nicht vor. Die 33jäh- rige Tochter einer hochgestellten und hochangesehenen Bürger- familie entspricht mit ihren das Mittelmass weit überragenden Geistes- und Herzensgaben nicht dem Typus der Verlobten von Geisteskranken. Bestand bei dieser Verlobung wirklich schon paralytischer Schwachsinn, so liegt auch wohl hier in Bezug auf die Wahl der Lebensgefährtin kein « Schulfall » vor. Eine letzte Erwägung, vielleicht die schwerwiegendste von allen, ist, dass der Quell von Lenaus Liebesdichtung, die seit 4838 ihren Höhepunkt überschritten, vom Jahre 1839 an nur mehr schwach fortsickerte und im Frühjahr 1844 versiegte. Die « ewige Treue », die Lenau am 7. August 1843 Sophie schwur, bedingte sozusagen das verhängnisvolle Opfer des Verzichtes auf die Liebeslyrik. Schon allein die Don-Juan-Dichtung liess ihn das Bedürfnis empfinden, dem einförmig dahinfliessenden Strome seines Lebens neue Zuflüsse zu eröffnen. Deshalb flüch- tete er aus dem öden Lichtenthal in das üppige Baden, floh, heitere Geselligkeit suchend, jede herabstimmende Umgebung. Es regte sich der Drang nach neuer Lebenserfahrung, nach dem (4) Diese Liebe, gesteht Lenau bereits im Februar 1837, trieb sein Herz zu Bewe- gungen, « die an Wahnsinn streifen » (as), sie bewirkte mitunter « eine Verfinste- rung, ein Vergehen » seiner geistigen Sinne (2%), sie trieb ihn von einer Raserei zur andern (42), es ist « wahnsinnige Liebe » (ses), er ist ein Narr (40). (2) KRAEPELIN, Psychiatrie II, 4244. MARIE BEHRENDS. 767 befruchtenden Erlebnis. Dass insbesondere der Gedanke einer neuen Liebe als Quelle seiner Dichtung ihm deutlich vor der Seele stand, erhellt aus dem Bekenntnis : « Neue Gedichte sollten entstehen, das Ausruhen und die Erquickung auf blu- migen, weichen Wiesenwegen sollte besungen werden, der Eintritt in den kühlenden Wald, wo jeder Baum und jedes Gräschen süsse Düfte ausströmten, und eine ganze Serie Marienlieder sollte folgen » (!). Krankhaft ist die neue Liebe doch wohl nicht deshalb, weil Lenau dem Beispiele berühmter Vorbilder entgegen, eine Liebelei verschmähend, von vorn herein die Ehe ins Auge fasste! Wie Lenaus gewitterbeängstigte Seele kurz vor ihrer Ver- düsterung hoffnungsfreudig und lebensmutig aufatmete, könnte man versucht sein in dem Fragmente Gewitter (535) zu lesen, das Prof. Castle zuerst veröffentlicht : Doch jetzt, wie wirds der Brust so wohl! Darf sie vom Schmerz sich leeren ? Im Auge glüht das Abendrot, Die Wolken sind zerrissen. Verspricht dies Leben oder Tod? Die bange Brust möchts wissen. Eines Gewitters, das er als eine Beifallsäusserung des Him- mels zu seinem Heiratsentschluss auffasste, gedenkt der Dichter in einem Briefe an Cotta vom 8. August. Als er nach der Verlobungsfeier in Frankfurt am 6. August abends nach Stutt- gart zurückfuhr, durchflammien die « gloriosesten » Blitze, die er jemals gesehen, « die Schwärze des Gewölks, und das Wetter hallte, als wollte mir der Himmel ein donnerndes Bravo! zurufen » (845). (1) WEISSER, S. 429 f. 168 MARIE BEHRENDS. Der Herausgeber reiht das Gedicht in die Nachlese vor dem im Frühjahr 184% entstandenen Sophiegedicht Verlorenes Glück ein. Vielleicht hat er gute Gründe dafür, die meine Vermu- tung, dass es in Verbindung mit dem Marie-Behrendserlebnis zu bringen, hinfällig machen. Bis zu näherer Aufklärung über den Fund und über die Handschrift muss die Frage nach der Entstehung offen bleiben. EX Zusammenbruch. (September 1844 — August 1850). Einen festen Anhaltspunkt für die Datierung von Lenaus Zusammenbruch bietet erst die Zeit, wo der Stillstand seiner poetischen Tätigkeit mit seinem körperlichen Verderben zusam- menfällt. Als Ursache seiner endgültigen Gebrochenheit gibt er im Briefe an Sophie vom 19. September die « abmüdenden Gedanken an die Zukunft » an. In Lainz hatte man ihm auf das nachdrücklichste eingeschärft, dass diese « nicht ohne Besorg- lichkeit » sei, dass es ihm « noch recht schlimm gehen » könne, wenn seine Gesundheit nachlasse und die poetische Tätigkeit versiege, dass er durch den Verlagsvertrag mit Cotta seinen Genius als Knecht verdingt habe (854). Der Brief vom 19. September ist eine treue Widerspiegelung der Wiener Machenschaften gegen seinen Heiratsentschluss. In Erinnerung an die Bedenken und Einwendungen Schurzens und Sophies macht die melancholische Lainzer Abendstimmung beim Schla- fengehen in München wieder einen Besuch, stellt sich der nächtliche Schweiss wieder ein, fühlt sich der Gehetzte « wirk- lich unwohl », ihm saust der Kopf, alle Gedanken fallen ihm auseinander (854). Die Lainzer Abendstimmung kehrt in den folgenden Tagen getreulich wieder, die Besorgnisse für die Zukunft und hun- dert Ungewissheiten beunruhigen und verstören dauernd sein Gemüt (857), ihm schaudert wahrhaft vor seiner ungesicherten Zukunft (850). Schon eine blosse theoretische Berechnung seines y 49 770 ZUSAMMENBRUCH. wahrscheinlich künftigen Elends stürzt ihn in « bodenlosen Missmut » (80). Anfang Oktober fühlt er sich bereits zu schwach für die Lainzer Abendstimmung, er möchte am liebsten sterben, « doch wünsch ich mir’s jetzt so müd und schwach, wie man sich gern niederlegt, wenn man recht müd ist » (ee2). «0 Ruhe! wie sehn ich mich nach dir! » ruft er am 6. Oktober aus. « Matt bin ich, wie ich’s noch nie gewesen, müd bin ich, als brauchte ich Jahrhunderte, um mich auszuschlafen; so recht von Herzen zerschlagen bin ich » (862). Die durch Sophies Briefe stets frisch gehetzte, « schmerzlich gerüttelte » Seele (868) erliegt einem Schlage, den Sophies bereits in Lainz aufs neue versuchtes, jetzt in entscheidender letzter Stunde wieder aufgenommenes Spiel mit dem Sterben (‘) ihr gegeben zu haben scheint. Allem Anscheine nach brach der Wahnsinn in voller Entschiedenheit erst bei der endgül- tigen Erschütterung hervor, die der Gedanke verursachte, Sophie sei tot. Dieser plötzliche Ausbruch ist wieder das Entgegengesetzte eines Schulfalles. Die ersten Worte des Irr- sinnigen zu Emilie beziehen sich ausschliesslich auf Sophie : « Ich weiss, Ihr habt mich verklagt beim Kriminalamt als Mörder, dass ich festgenommen und gerichtet werde. Ihr habt mein Geheimnis durchschaut, kennt jetzt mein Verhältnis zu dieser Frau, so mögt Ihr auch alles wissen und meine Rechtfer- tigung anhören. Sie schrieb nämlich in einem ihrer Briefe, wenn ich einmal einen ganz heitern Brief von ihr erhielte, sei dies ein ganz sicheres Zeichen, dass ihr Tod ganz nahe. Dann kam ein solcher heitrer Brief, und dann kam nach dem gewohn- ten Zeitraum keiner. Ich musste glauben, sie sei tot, man werde mich für ihren Mörder halten. Sie schrieb auch, wenn ich sterbe, würde sie sogleich Gift nehmen, welches sie schon bereit hätte, und nun erhielt ich wieder einen Brief von ihr, einen ganz gleichgültigen » (?). (4) Vgl. S. 617, 638, 759 f. dieses Werkes. (2) SCHLOSSAR, $. 212. ZUSAMMENBRUCH. 771 Wertlos wären diese Äusserungen eines bereits dem Irrsinn Verfallenen, wenn Sophie nicht selbst bezeugte, dass sie einen Kern von Wahrheit enthalten. « Meine unvorsichtige Äusse- rung », schreibt sie Schurz am 8. November 1844, « wenn ich einmal einen recht heitern Brief schreiben würde, werde ich dem Tode nahe sein, ist wahr ». Die verhängnisvolle Wirkung gibt sie selbst zu : « Ich hätte sie nie getan, wenn ich ihre unseligen Folgen hätte ahnen können » (!). Ein weiteres Eingeständnis bringt derselbe Brief. Ihre nach dem 15. Okto- ber in Stuttgart angelangten Schreiben bittet sie Schurz ihr zuzuschicken. Sie wolle sie dem Irrenarzt Hofrat Zeller mittei- len. Es sei dies ein Opfer, dass sie der Gesundheit ihres teuren Freundes bringe. Sie will durchaus nicht, dass die Familie Reinbeck je etwas von dem Inhalte dieser Briefe erfahre (*)i Die Mitteilung der Briefe an den Irrenarzt, aus welchen dieser die Ursache von Lenaus Krankheit ersehen und darnach seine Behandlung einrichten sollte, scheint nieht erfolgt zu sein. Auch fand sich keiner dieser Briefe in Sophies Nachlass. Unrichtig, wenn auch wieder mit bedeutsamen Zugeständ- nissen, gibt sie den Inhalt ihrer Briefe in einem Schreiben an Emilie Reinbeck vom 29. Oktober 1844 an. « Soweit ich mich erinnere, waren in meinen ersten Briefen Klagen über seine Entfernung auf unbestimmte Zeit, dann Trostworte und Bedauern seiner Krankheit, und als ich ihn besser glaubte, Pläne für die Zukunft. Die letzten Briefe, in denen ich haupt- sächlich seine pekuniären Verhältnisse besprach, hat er nicht (1) Lenau und Löwenthal, S. 330. Hat Sophie nicht an diese unseligen Folgen gedacht, als sie am 30. Juni 4855 ihrem Gatten von der «alten Erfahrung » schreibt, « dass Rriefe immer eine unberechenbare Wirkung hervorbringen ». Schon früher hatte sie jedoch einsehen gelernt, « wie verschieden das geschriebene Wort, das keine Dolmetscher an Stimme und Geberde hat, von dem gesprochenen ist. Die Worte schwarz auf weiss stehen so fest und scharf da, von keinem Blick gemildert, von keinem Hauch verweht » (Brief Sophies an ihren Vater Kleyle vom 25. September 1839). (2) Lenau und Löwenthal, S. 399 £. Eee a Tee a ln — A RRERTE a, RENT 1.72 ZUSAMMENBRUCH. mehr gelesen » (t). Wir wissen, dass der am 24. September Lenau zugekommene Brief bereits gewaltig wirkte, eben der darin besprochenen Geldangelegenheiten wegen, und in fast sämtlichen Briefen an Sophie aus dem Oktober geht Lenau auf das Wirtschaftliche ein. Sophies Brief vom 29. Oktober an Emilie bringt noch das Bekenntnis, dass sie einen « halb erschrockenen, halb ärgerlichen Brief » als Antwort auf den Lenauschen vom 15. Oktober geschrieben, und sie dankt Gott, dass Niembsch ihn nicht mehr gelesen (?). Wäre sie, wie siean Schurz schreibt, mit « Niembschens Entschluss vollkommen einverstanden » gewesen, — ihre Hand zitterte, als sie dies niederschrieb (*) — so konnte sie sich die « ärgerliche » Ant- wort auf Lenaus Mitteilung vom 15. Oktober, dass es keinen Ausweg gebe als die Heirat, ersparen, Emilien Reinbeck gestand Lenau am Nachmittag des 16. Okto- ber, « vollkommen klar, im hellsten Zusammenhang », seine gesamten Beziehungen zu Sophie. Er trug Emilien auf, ihr zu schreiben, dass sie ihn mit ihren Zuschriften verschonen möge, so lang er noch krank sei, er habe eine wunderbare Angst vor ihren Briefen und so starken Widerwillen vor ihren leiden- schaftlichen Äusserungen, dass er Emilie bitte und beschwöre, alle, die von nun an für ihn einliefen, in Empfang zu nehmen und ihm aufzubewahren. Sophie sei durch das viele Lesen fran- zösischer Romane, die ihre Phantasie verdorben, auf Abwege geraten, wolle ihn ganz allein besitzen, niemand anderem einen Anteil an seinem Herzen gönnen und habe auch an all seinen Freunden zu mäkeln und zu tadeln. Emilie möchte ihr doch zureden, dass sie sich fassen und ihre Liebe ihren Kindern zuwenden solle (*). Wie die Zwangsvorstellung von Sophies Tod sein krankes (1) Lenau und Löwenthal, S. 324. (2) Ebenda, S. 325. () Ebenda, S. 328. (*) SCHLOSSAR, $. 214 f. ZUSAMMENBRUCH, 11a Gehirn beherrschte, zeigt der letzte an Sophie geschriebene Brief vom 18. Oktober : « Ich beschwöre Sie, den gewissen Entschluss, falls ich sterben sollte, nicht auszuführen. Denken Sie an Ihre Kinder, an Ihren alten Vater, an mich und meine Ehre, meinen Namen, der bisher so rein gewesen. Leben Sie fort meinem Andenken, das, wenn Sie mich jemals geliebt haben, für Sie reizend genug sein wird. Sie im Leben zurück- zuhalten. Endlich vergessen Sie nicht, dass Selbstmord das grauseste Verbrechen ist. Sie würden, wenn Sie das enisetz- liche Vorhaben ausführten, nichts erreichen, als dass unsere Liebe nebst dem, dass sie eine unglückliche, vielleicht wie keine, war, auch eine beschmutzte und beschimpfte würde. Fassen Sie sich in jenem nicht wahrscheinlichen Falle mit der Grösse der Seele, die Sie in anderm erprobten. Auf Wiedersehen hier und dort. Ihr unwandelbar und tief geneigter Nikolaus Lenau. Vergessen Sie meine Bitte nie! » (875). Es waren die letzten Worte des Irrsinnigen an Sophie. Wenn er öfters vom Sterbenmüssen sprach, in dem Sinne, dass er den Tod verdient, wenn er wütend über Emilie herfiel, mit dem Ausruf : « Mörderin, Giftmischerin », wenn er nach Richter und Polizei schrie, von einem an ihm verübten Mordanfall raste ('), so liegt diesen sämtlichen Wahnvorstellungen, der Gedanke zugrunde, dass er Sophies Tod verschuldet, dass er ihr Mörder sei. Ihr Spiel mit dem Sterben, das schon in gesun- den Tagen so entscheidend wirkte (?), wühlte in kranken Tagen den Urgrund der Seele auf. (1) SCHLOSSAR, S. 8. (°; Welch erschütternde Wirkung der öfters auftauchende Gedanke an Sophies Tod stets auf Lenaus Gemüt ausübte, ersehe man aus den Briefen Nr 953, 289, 340, 424, 425, 430, 462, 495, 534, 536, 541, 550, 560, 641, 644, 719. Wir greifen von den be < 77% ZUSAMMENBRUCH. « Meine ganze Krankheit », äusserte Lenau noch, « ist nur ein verfehltes Rechenexempel. Ich wollte noch glücklich wer- den, glaubte, in Marie mein Glück gefunden zu haben, und eilte, mir’s zu sichern. Ich hoffte durch diese Eile jedem Ein- wurf zu begegnen, alles zu einem versöhnenden Ende zu brin- gen; aber ich hatte mich verrechnet. Ich soll und darf nicht glücklich sein! — Man lässt mich nicht los, und ich werde nun das Opfer der ungezählten Leidenschaften dieser Frau » (!). Die Probe der Läuterung, die Sophie nicht bestand, war Marie bereit über sich ergehen zu lassen. Auf die Frage, wes- halb sie nicht durch freiwilliges Zurücktreten die Seelenpein des Geliebten gelindert, um ihn zu retten, antwortet sie : « Ich will mich nicht stärker und besser hinstellen, als ich bin, damals (?) hätte ich weder Frau v. Reinbeck noch meiner Mutter geglaubt, er habe mich zu seinem Glück .nicht mehr nötig. Nur er selbst hätte diese Überzeugung mir geben kön- nen. Aber einmal davon überzeugt, hege ich die feste Zuver- sicht, dass Gott mir die Kraft geschenkt hätte, mein Glück dem seinigen zum Opfer zu bringen, ohne ihn die Grösse dieses Opfers ahnen zu lassen » (?). Gleich ergreifend wie Maries Bekenntnis klingt auch das im Jahre 1846 geschriebene Schlusswort von Emiliens Tagebuch. « Dennoch lässt der Kummer über sein unglückselig Los mir keine Ruhe und verdüstert den Rest meines schmerzvollen Lebens » (*). Der Stoss, den die furchtbaren Erschütterungen jener grauenhaften Tage ihr gegeben, trug wesentlich zu ihrem frühen, bereits am 15. August 1846 erfolgten Tode bei. Sophie vielen so bedeutsamen Äusserungen nur zwei heraus, eine vom 13. Mai 1840 : « Es wurde mir bei dem Gedanken an deinen Verlust stockfinster vor den Augen... mich kann, wenn du einmal nicht mehr da bist, nichts halten, es ist aus, ganz und gar » (4), und eine vom 44. Mai 1841 : « Ich bin verloren, wenn dir was geschieht » (s5). (1) SCHLOSSAR, $. 229. Vgl. E. NiENDORF, S. 270. (2) Bevor sie von dem Verhältnis zu Sophie wusste. (%) WEISSER, S. 431. (4) SCHLOSSAR, $. 233. ZUSAMMENBRUCH. 719 irrte sich in ihrem Gefühl, dass « der tiefe Gram über einen solchen Verlust wahrscheinlich ein baldiges Nachsterben wenig- stens von meiner Seite zur Folge gehabt » (?), und täuschte auch das Empfinden Lenaus : « Wenn ich stürbe, würdest du auch nicht gar lange mehr leben » (340) (?). Grosse Freude bereiteten Lenau in der ersten Zeit des Win- nenthaler Aufenthaltes (22. Oktober 1844 bis 42. Mai 1847) die Briefe der Braut. Er sprach von ihr mit grösster Liebe, nannte sie meist schon « seine Frau » und liess ihr sagen, sie solle nur ausharren im festen Vertrauen auf Gott. Nur quälte ihn zuweilen der Gedanke, ob sie ihn auch noch so liebe, dass (4) Lenau und Löwenthal, S. 330. (2) Sie starb hochbetag! im Jahre 1889, das auch das Todesjahr von Lotte Gmelin und Marie Behrends war. Mit diesen teilte sie zeitlebens eine grosse Scheu vor der Öffentlichkeit, sobald Lenau dabei in Frage kam. Einer ihrer Äusserungen in einem undatierten Briefe an L. A. Frankl : « Die Jugend kann ihren Schmerz in die Welt hinaus weinen und schreien, dem Alter bleibt nur das Verstummen », entsprechen die Verse, die sie auf einem Briefbogen mit ihrem verschlungenen Namenszug schrieb : Im Frühling schlägt die Nachtigall, Im Winter pfeifen die Spatzen; Das Lied der Jugend hat süssen Schall, Das Wort der Alten heisst : « Schwatzen. » Drum soll ihr Mund verschwiegen sein, Ob Freud’ ob Leid sie erfahren, Ihr Herz soll, ein verschlossner Schrein, Nur die Asche Geliebter bewahren. « Es ist eine eigentümliche Empfindung », schreibt sie noch auf einem losen Blatte, « wenn man im Alter, beim Durchlesen leidenschaftlicher Liebesbriefe, sich plötzlich erinnert, dass diese an einem (!) selbst gerichtet worden, dass die runzliche Hand, welche jetzt das Papier entfaltet, dieselbe ist, die es (vor) X Jahren getan hat, und staunend muss man sich fragen : bin ich es, die so geliebt wurde? Was bin ich denn, was war ich denn, und wer hat sich so geirrt? » Eine zweite Fassung der Verse lautet : Das Wort der Jugend hat Liederschall Drum soll ihr Mund verschlossen sein. Ihr Herz als eine Urne allein Die Asche Geliebter bewahren. 776 ZUSAMMENBRUCH. sie ihm allein angehören wolle (!). Bei einem seiner ersten Besuche hatte Schurz die deutliche Empfindung, dass er Sophie tot glaubte, er hatte in der Angst gelebt, nicht nur Sophie, sondern auch eines ihrer Kinder wären gestorben (?). « Un- glaublichen Eindruck », berichtet Schurz (II, 254), machte die Überreichung des ersten Briefes von Sophie. « Das ganze Gesicht unseres Freundes ward Blut, sein Auge blitzte ». Die in diesem Briefe angeführten Verse : Duck dich und lass vorüber gahn, Das Wetter will seinen Willen han ! durehstrich er und schrieb ans Ende : Ich ducke mich nieht!!! das nicht dreimal unterstrichen. Er gestand eines Tages Schurz, wie unendlich traurig es ihn gemacht habe, Sophie entsagen zu müssen und fragte, ob nun alle mit seiner Heirat einverstanden wären. Schurz bejahte dies (?). Erst nachdem er die schriftliche Einwilligung Sophies in eine Ehe des Geisteskranken nach seiner allerdings damals erhofften Wiederherstellung erhalten, gelangte Schurz am 15. November zur Überzeugung : « Ich dachte in der Tat, dass Marie, die sich als sehr treu und anhänglich bewährte, auch nach ihres Bräutigams Äusserung recht gebildet sein sollte, diesen glücklich zu machen vermögen würde. Er bedurfte jetzt mehr als je eines ganz ordnungsmässigen, ruhigen, stillen und daher häuslichen Lebens. Bliebe er ledig, so schien er mir furehtbaren Stürmen, wie ihn einer jetzt an den äussersten Rand des Grabes gebracht, allzusehr ausgesetzt, und ein jäher Rückfall und Untergang beständig zu besorgen » (II, 256). Der Aufforderung Sophies, so bald als möglich nach Frankfurt zu (4) WEISSER, S. 448 f. (2) ScHhunz, II, S. 256. (@) Ebenda, S 256. A A ZUSAMMENBRUCH, 211 gehen und dort « recht scharf und fein anzuklopfen », damit die Mutter, der Bruder und ein sogenannter Erbonkel « etwas tun sollten » (*), leistete er jedoch keine Folge, liess vielmehr Marie ganz unbeachtet. Zu schwarz sah Emilie Reinbeck viel- leicht, wenn sie zu bemerken glaubte, dass er sich « durchaus gefühllos » zeigte gegen das unglückliche Mädchen (?). Bedingungslos ist Sophies Einwilligung auch jetzt noch nicht. Lenau muss-nach Wien kommen, dort will sie sich dann gern die Einschränkung des Umgangs mit ihm auf ein Mini- mum gefallen lassen, dies jedoch auch nur vorläufig, . bis alle Verhältnisse fest und klar und zur allgemeinen Befriedigung geordnet sein werden ». Es folgt auf diese Äusserung der Sophies Charakter schlaglichtartig beleuchtende Satz : « Sie werden noch ihre Freude dran haben, lieber Schurz! wie ich die zweite Rolle geben werde » (?). Auch jetzt hatte Sophie noch nicht den Gedanken ertragen gelernt, « die Beglückung des teuersten Menschen einer anderen überlassen zu müssen » (*). Einen weiten Ausblick in ein « grenzenlos schauerliches Gebiet der Möglichkeiten » (°) eröffnet ihre Bescheidung, vorläufig nur mehr die zweite Rolle im Leben des Dichters, wenn er genesen sollte, spielen zu wollen. Wie berechtigt erscheint in diesem Lichte die Anklage Emiliens gegen Schurz, weil er « den Verkehr mit jener unse- ligen Frau wieder in Gang brachte, die doch durch ihre leiden- schaftlichen Äusserungen so viel Schuld hatte an dem Ausbruch der schrecklichen Krankheit » (°), wie richtig war ihr Gefühl als Schurzens Besuch ihr allen Mut und alle Hoffnung für des armen Freundes Zukunft niederschlug, in Anbetracht der vom Schwager gehegten Absicht, Lenau nach Wien mitzunehmen, wo (1) Lenau und Löwenthal, S. 329. (2) SCHLOSSAR, 996. (%) Lenau und Löwenthal, S. 331. (4) Lenau und Löwenthal, S. 338. (%) Brief Sophies an Lenau vom 6. Dezember 1844. Ebenda, S. 339. (%) SCHLOSSAR, $. 297. 778 ZUSAMMENBRUCH. « ihn das alte Verderben wieder empfangen würde » (?). Auch die von Emilie gegen Schurz erhobene Beschuldigung, dass er « eigensüchtige Zwecke » verfolgt habe (?), beleuchtet Sophie,. wenn sie schreibt : « Es freut mich, lieber Schurz, dass wir, was die Anklage, Niembschens Heirat verhindern zu wollen, betrifft, Leidensgenossen sind. So wenig ich Sie eines, wenn auch als Vater von sieben Kindern einigermassen verzeihlichen Eigennutzes für fähig halte, ebensowenig werden Sie mir so viel niedrige Selbstsucht zutrauen, dass ich meinen teuersten Freund um sein wahres Glück verkürzen möchte » (?). An Lenaus mündliche Äusserungen während des Winnen- thaler Aufenthalts (*) knüpfen schriftliche an. Es sind nicht diejenigen, die Castle (°) als solche herausgegeben, sondern die, welche Lenau auf Blättern niedergeschrieben, die zerstreut in verschiedenen Besitz gelangt sind. Sie bildeten ein von Schurz erwähntes Anmerkbüchlein, das der Dichter während der ersten Winnenthaler Zeit, meist im November 1844, « emsig besorgte » (°). Ein paar Sätze daraus teilt Schurz mit, weitere Bruchstücke aus Blättern, die ich nicht einsehen durfte, veröffentlichte Roustan (S. 337). Im Besitze des Herrn D’ B. von Frankl-Hochwart in Wien befinden sich vier auf beiden Seiten beschriebene Zettel in 8°, die nicht nur für den Psychiater von Interesse sind. Anknüpfend an das erwähnte : « ich ducke mich nicht », (4) SCHLOSSAR, $. 226. (2) Ebenda, S. 227. (3) Lenau und Löwenthal, S. 328. (#4) Die merkwürdigste über Sophie berichtet Bauernfeld : « Er (Lenau) nannte ihren Namen zuerst und sagte zu mir halb lachend : Ich weiss, du hast was gegen sie — auch gegen mich — aber ein reines Verhältnis, Bruder, ein reines Verhält- nis! Sie ist ausgezeichnet, sag ich dir, ausgezeichnet! Und so gebildet, so gut (laut lachend) und sie spricht vortrefllich Französisch. » (BAUERNFELD, Ausgewählte Werke IV, 106). (&) Lenau und Löwenthal, S. 343 f. Diese Aufzeichnungen stammen aus einer viel früheren Zeit. (6) ScHurZz, II, 263. ZUSAMMENBRUCH. 779 schreibt Lenau hier, der Wahrheit die Ehre gebend : « ich ducke mich doch « und verbindet hiermit einfache Wortspiele, wie sie durch die für den Wahnsinnigen charakteristische Nei- gung zu Klangverbindungen hervorgerufen werden : « Versteht ihr mich doch? versteht ihr mich ohne doch? ohne Docht? ohne Tochtel? mit oder ohne Dochtel, Tochtel, Watsche? » Hierher gehören auch Sätze wie : « (ui quaerit periculum, peribit in illo — in illo? — Deo? — in mari? — non peribit », und : « Zeller bleibt in eodem et in eadem et cum iisdem — non! » So erging der Kranke sich Bauernfeld gegenüber in lateinischen Floskeln von natura naturans und natura natu- vata (!). Auf Kerners Andeutung, dass er sich im Traumring verloren und diesen wohl noch zerreissen werde, antwortete er : « Ja, der Trauring ist auch zerrissen worden » (?). Schurz (IH, 246) berichtet, wie Lenau stutzig wurde über das Wort « geisteskrank », das er in einem Briefe an ihn vorfand, und wie er deutlich sein Missfallen äusserte. Hierauf zielt vielleicht die Stelle : « Fex! Fex! Gruf (?) dich, ob du Narr bist. — Antwort, heute, den 25. November 1844. Ich bin kein Narr und bin es nie gewesen ». Es äussert sich hier der paralytische Mangel an Krankheitseinsicht. Auf die Frage eines Religionswechsels, die Lenau bei seiner Verlobung erwog und auch während der Krankheit erörterte (*), weist der Satz hin : « Hat mir Emilie keine Bibel geschickt? Will sie katholisch werden? soll ich es bleiben? Marie! Sopherl! was glaubt ihr? An Christum? Wollt ihr Jesum Christum recht kennen lernen? durch mich? » Sophie ist noch erwähnt in der Frage : « Sopherl (*) Die bekannten Begriffe der Schellingschen Naturphilosophie. Nach einem Zeugnis M. Hartmanns vom 15. Januar 4842 schätzte Lenau Schelling zu dieser Zeit sehr hoch und studierte ihn « beständig ». (S. O0. WITTNER, Briefe aus dem Vormärz, S. 165}. Früher hatte er Schellingsche Ansichten, wie die, dass die Individuen nur Mittel der Gattung seien, aufs schärfste bekämpft (Siehe $. 528 dieses Werkes). ; (2) SCHURZ, II, 268. () Schwer leserlich, Vielleicht Verschreibung von Prüf. (%) ScHurZz, ll, 259. 780 ZUSAMMENBRUCH. werd ich alt? », die sich mit dem Zettel vom 28. Januar 1838 (458) in Verbindung bringen lässt. Die Frage, wer Schurz ist, ob « Anton oder Petrus, Petrus oder Paulus? » wird beant- wortet : « Schurz ist, was er wird sein wollen! » Die Fragen Lenaus über oder an sich selbst zeigen teilweise das gehobene Selbstgefühl des Irrsinnigen, lenken dann zu wirrer Faselei ab : « Bin ich eine Alpenlerche oder ein Kondor, ein singender Punkt am Himmel, oder eine jauchzende Welt- kugel? bin ich ein Paraklet? Der Paraklet? Bin ich Paulus? Bin ich ein königlich ungarischer Husarengeneral? Soll ich Zensor werden? soll ich für Pressfreiheit sprechen? soll ich hirsch-oder gamslederne Leichtaussprechliche tragen? Buch- sorln (?) kaufen? — Gehn wir oder fliegen wir nach dem Hima- laja? Wer ist mein Sekretär? Wer mein Kommentator? ». Die Blätter aus Winnenthal bezeichnet der Schreiber als « Briefe an mich selbst, für mich selbst, besser und richtiger aber : es sind Beweise gegen denjenigen, der meinen Savona- rola, eine Monographie von Rudelbach, von mir entlehnt und behalten hat » (!). Wer ist der Schuldige? « Heute ward es mir klar, und dieser Kunde, das ist der Hurenjockel. Salzburg. Jockel, der es bestätigen muss ». Es ist der Koadjutor J. L. Jockell aus Salzburg gemeint, den Lenau auf seiner letzten Reise von Wien nach Stuttgart traf (?). Deutet schon der « Hurenjockel » auf eine Trübung des moralischen Bewusstseins hin, so zeigt sich diese noch deut- licher in einer Stelle, wo das Wort « Phallus », mit bezeich- nenden Beiwörtern versehen, in Verbindung mit Goethe und Schiller gebracht wird. Das den Paralytikern eigentümliche « Silbenstolpern », das Versetzen und Auslassen von einzelnen (4) Eine zweite umgekehrt auf demselben Blatte geschriebene Fassung lautet : « Briefe von mir selbst, nur für mich, nur an mich selbst, oder besser und richti- ger: an denjenigen, der meinen Savonarola, Monographie von Rudelbach, meine hauptsächliche Quelle beim Ausführen meines Savonarola, mir abgeschwatzt und nicht zurückgestellt hat ». (@) Siehe ScHurz, Il, 197 £. ZUSAMMENBRUCH. 781 Buchstaben und Silben, ersieht man in Aufzeichnungen wie « Korschamer (gehorsamer) Diener » sowie im bereits angeführ- ten « Gruf (?) Dich ». Eins der Blätter weist ein wirres Durchein- ander von Sprachmengerei (griechisch, lateinisch, deutsch) und von Sprachverwirrtheit auf. Wörter wie : Faust, Uhr, absolute Sicherheit, Souveränetät, Fusch, Bakony, Auerbach, Zeller, Schurz, Heine u. s. w. werden zusammengewürfelt, auch einzelne Buchstaben aneinandergereiht, mitunter rund einge- rahmt oder mit Schnörkeln versehen. Die Schriftzüge, die auch die den Psychiatern bekannte Buchstabengrösse aufweisen, laufen nach allen Richtungen durcheinander. Zu Anfang des Jahres 1847 musste selbst der stets oplimi- stische Winnenthaler Irrenarzt, D" Zeller, zugeben, dass das Bild der Abstumpfung in leisem Anstriche vorhanden sei. Die letzte Zeit der Leidensjahre, der Aufenthalt in der Irrenanstalt zu Oberdöblung bei Wien (15. Mai 1847 bis 22. August 1850) steht unter dem Zeichen gänzlicher Verblödung. Lenau erkannte niemanden mehr. Sophies einmal versuchsweise gestaltete Erscheinung versetzte den Kranken, so berichtet Grün (S. 93), «in die feindselig bedrohlichste Aufregung, welcher sie sich nur durch schleunige Entfernung zu entziehen vermochte ». Das unselige Scheinleben, bei welchem schliesslich das Tierische ganz in den Vordergrund trat, dauerte über drei Jahre. Die gesamte Krankheitsdauer von sechs Jahren überschritt fast um das Doppelte die durehschnittliche, was wiederum gegen den Schulfall spricht (!). Erst der 22. August des Jahres 1850 brachte die Erlösung. Die letzten zusammenhängenden Worte, die Lenau im Jahre 1849 sprach, waren : « Der arme Niembs ist sehr unglücklich ». (4) Die Erkrankung soll nach der Ansicht einiger Forscher länger dauern, wenn erbliche Belastung vorhanden ist, und zwar im Verhältnis zur Schwere dieser Belastung. S. Prof. Dr A. HocHeE, Dementia paralytica, Leipzig und Wien, Fr. Deuticke, 1912, S. 35. 782 ZUSAMMENBRUCH. Die neueste medizinische Forschung ist einer S. 209 dieses Werkes gemachten Andeutung entgegen mit auffallender Einmütigkeit der Ansicht, dass die Paralyse syphilitischen Ursprungs ist, wenn auch die Tatsache unaufgeklärt bleibt, dass verhältnismässig so wenige Syphilitiker paralytisch erkran- ken ('). Selbst bei einer endgültigen Lösung des Problems der Paralyseursache auf dem von der modernen Forschung einge- schlagenen Wege könnte nur erwiesen werden, dass Lenau irgendwie mit Lues in Berührung gekommen ist, wobei die Erblichkeit nicht ausgeschlossen scheint (?). Zwei Heiratsent- schlüsse beweisen, dass er sich wenigstens zur Zeit, wo er diese fasste, der Krankheit nicht bewusst war, und Dr Weiler gibt zu, dass « bei Lenau kein einziges Anzeichen zu finden, welches auf eine Infektion hinwiese ». Ist diese vorhanden gewesen, und war Lenau sich ihrer nicht bewusst, so trägt sie nichts bei zur Erklärung seines Lebens- und Charakterbildes. Wohl wäre sein Ende durch die Ansteckung zu erklären, dies jedoch auch nicht ohne die Mitwirkung anderer Krankheitserreger. Bei Lenau treten hier ausser der stark gesundheitswidrigen Lebens- weise die seelisch erschöpfenden Momente in solch ausser- gewöhnlicher Fülle und Heftigkeit namentlich zum Schlusse auf, ‚dass das gänzliche Ausserachtlassen dieser Erscheinung von seiten der ärztlichen Forschung dem Laien doch wenig- stens als eine bedenkliche Lücke erscheinen muss. Es ist immerhin einiges Gewicht darauf zu legen, dass Lenau in dem Krankheitsbilde, das er von sich selbst entwirft, ‚die Gemütsbewegungen, die ihn während und nach seiner letzten Wiener Reise heimgesucht, als Ursache seiner Krank- heit bezeichnet. Die Gesichtslähmung, meint er, wäre « doch (4) «Es ist ohne weiteres klar, dass wir dem Problem der Paralyseursache nur ein Stück näher gekommen sind, ohne aber den Hauptpunkt vorläufig entscheiden zu können, nämlich den, welche Faktoren es bestimmen, dass von einer grossen Zahl syphilitisch Infizierter nur eine kleine Zahl paralytisch erkrankt. » (A. Hoch, Dementia paralytica, S. 56.) (2) KrAEPELIN, Psychiatrie, 14, S. 333, 507. Vgl. auch WEILER, S. 794. ZUSAMMENBRUCH. 183 ohne Affekt gewiss nicht gekommen » (862), sie sei « ohne Zweifel durch letzteren hervorgebracht » (864), durch Überrei- zung und Kümmernisse bewirkt oder durch jene wenigstens vorbereitet (868). Der ihn behandelnde Arzt, Dr Schelling, meinte, wenn Lenau nicht reich an Lebenskraft gewesen, so hätte er das alles gar nicht so lange ertragen können (872), und der Laie fragt sich, ob ein gesundes Gehirn diesen ungeheuren Erschütterungen hätte widerstehen können, geschweige ein stark belastetes. Dass « lebhafte Gemütsbewegungen unter Umständen Trübung, ja völlige Aufhebung des Bewusstseins bewirken können » (?) gibt ja auch die Fachwissenschaft zu, gemütliche Erregungen schliesst sie auch nicht als mitwirkende Kraft vom besonderen Krankheitsbilde der Paralyse aus (2). Vielleicht wird ein tieferes Eindringen in Lenaus Leben, ver- bunden mit der noch zu erwartenden Aufklärung, wie sich der Vorgang der Erkrankung durch Schädigungen des Gemütes im einzelnen physich vollzieht, den Beweis erbringen, dass Lenaus sich durch plötzliches Hervortreten kennzeichnendes Irresein kein « Schulfall » gewesen, dass bei ihm die Hilfsur- sache der Gemütserschütterung zur letzten auslösenden Gele- genheitsveranlassung geworden, ohne welche der Ausbruch der Krankheit verzögert, wenn nicht aufgehalten worden wäre. Sophies Wort, dass das Unglück Lenau über das Grab hinaus verfolgt (?), bewahrheitet sich bis auf den heutigen Tag. Seine epischen Dichtungen sind fast in Vergessenheit geraten, seine hellleuchtende Stellung als erster Lyriker seines Vaterlandes wird immer seltener betont, ist jedenfalls bei weitem nicht so (4) KRAEPELIN, Psychiatrie, I, 125. (2) Ebenda, IM, 500. Vgl. Hocuz, Dementia paralytica, S. 60. — Th. ZiEHEN, Psy- chiatrie, 4. Auflage. Leipzig, Hirzel, 4911, S. 755. (%) Siehe $. 156 dieses Werkes. 78% ZUSAMMENBRUCH. feststehend und unbestritten wie die Grillparzers als grössten österreichischen Dramatikers. Von den Forschern, die sich eingehend mit ihm beschäftigt, wagt es nur M. Koch, ihm ausdrücklich einen Platz in der ersten Reihe der deutschen Lyriker nach Goethe anzuweisen. Bereits wird das allgemeine Urteil dahin geleitet, dass er nur als Dichter untergeordneten Ranges anzusehen ist. Glaubt man z. B. A. Bartels, so gehört er in die Reihe Hölty, Matthisson, steht unter Hölderlin, von dessen wunderbarem Formgefühle er fast nichts besitzt, lebt nur noch durch Anthologien fort (?). Bedenklich nähert sich diese Ansicht den Kleinheitsideen, die in Lenaus Wahnsinn neben dem Grössenwahn auftraten : « Niemand wird mich achten und mein Andenken ehren, in ganz kurzer Zeit bin ich mit allem, was ich geschrieben habe, vergessen! » (?) Das neueste Urteil von Gewicht lautet, seine Gedichte seien « einzeln und für sich unvollkommen und wenig selbständig » (?). Da ist Th. Fon- tane anderer Meinung, wenn er in bezug auf die Gedichte des Grafen Schack schreibt : « Nichts hat Originalität und bestimmte Dichterphysiognomie; alles was er schreibt, könnte auch ein anderer gemacht haben. Vergleiche damit Lenau, den man auf 500 Schritt erkennt » (*). Ein Zeichen der Zeit ist es auch, dass Lenaus Name in modernen Streitschriften über Iyrische Rangordnung nicht ein- mal mehr genannt wird. Nicht nur die Literarhistoriker von Gervinus bis zu den neuesten, sondern auch grosse Dichter wie Grillparzer und Hebbel zupften an seines « Ruhmes schwel- lend Kleid (°) ». Zwar nimmt die Forschung, die Lenau fast (4) A. BARTELS, Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig, Avenarius 4909. II, 176, 182. (2) SCHLOSSAR, S. 217. (@) Pa. Wırkop, Die neuere deutsche Lyrik. Leipzig, Teubner, II, 137. (4) Brief an seine Frau vom 95. Juni 1883 in Tu. Fontanes Briefe an seine Familie, II, 45 (Gesammelte Werke. Berlin, F. Fontane u. Cie. 2te Serie, Bd. 7. (&) Nicht schwer wiegt die Berufung auf Hebbel, um l,enau herabzusetzen. Urteile Hebbels wie die, dass Lenau nicht einmal eine Iyrische Ader habe, dass er neben Uhland kaum sichtbar bleibe, sind doch nicht ernst zu nehmen und Hebbel ZUSAMMENBRUCH, 785 ein halbes Jahrhundert lang unberücksichtigt gelassen, in letzter Leit einen mächtigen Anlauf, weist jedoch die bedauerliche Begleiterscheinung eines Vergreifens am Menschen Lenau auf, den sie ins Kleinliche, Lächerliche, mitunter sogar Abstos- sende hinabzerrt. « In Gödekes Grundriss der deutschen Nationalliteratur », bemerkt A. Freiherr von Berger, « fehlt Lenaus Name, Sea der Österreicher Wilhelm Scherer hat nicht das Bedürfnis gefühlt, wenigstens auf den letzten Blättern seiner Literatur- geschichte Lenaus zu gedenken... So ehrgeizig Lenau war, so reizte ihn doch der Ruhm nicht, den die literarischen Sehrift- gelehrten zu vergeben haben » (!). Ihr Urteil hat nicht zu hindern vermocht, dass Lenau einer der seltenen Dichter ist, durch den Deutschland in die Weltliteratur eingriff, dass im Auslande sein Ruhm als Lyriker nur von dem Goethes und Heines überstrahlt wird, dass er in alle Kultursprachen über- setzt wurde. Um dies Urteil haben sich auch die zahlreichen deutschen Dichter nicht gekümmert, die sich an Lenau geschult, denen er als leuchtendes Vorbild vorgeschwebt, die ihn in zahl- losen Liedern, deren Strom noch immer fliesst, gepriesen und verherrlicht haben. widerlegt sie übrigens selbst, wenn er zugesteht, lenau sei der grösste Lyriker Österreichs (Hebbels sämtliche Werke, historisch-kritische Ausgabe en von R. M. Werner, Berlin, Behr, 3. Auflage 1905. Werke XII, 81 f., Briefe, V, 149). (1) BERGER, Nikaliius Lenau. Zu seinem hundertsten Gebur Istage. (Nur FREIE Presse, Nr 43639. Vgl. Lenaus Gedicht An einen Dichter.) NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN l. Jugendeindrücke. — Vielfache Ergänzung und Berichtigung des Werkes von Schurz bringt Lenaus Leben von A. X. Schurz. Erneut und erweitert von Ed. Castle, 1. Band, 1798 bis 1831 (Schriften des Litera- rischen Vereins in Wien, XVII. Wien, 1913). Die Briefe von Therese Maigraber an Franz von Niembsch zeigen, dass die Erblichkeit von seiten der Mutter Lenaus sich doch auf etwas mehr stützen kann, als dass sie « leidenschaftlich und leicht erregbar gewesen sei »! (Weiler, S. 794). Ein « sonderbares Weib », wie sie sich selbst nennt, tritt hier in helles Licht, nicht leichtblütig, wie Schurz meint, sondern grüblerisch, zweifelsüchtig, schwarzseherisch: wie ihr Sohn, dabei wie dieser unge- mein gemütstief und schwärmerisch, beredt, selbstlos und opfermutig, fest und treu in einer einmal gefassten Neigung beharrend, trotz aller Enttäuschungen und Misshandlungen. Frühzeitig ist auch sie überzeugt, das Los sei über sie geworfen, dass sie unglücklich sein solle (Castle a. 2..0., 8.438.078). Der Unterricht im Piaristengymnasium zu Pest begann bereits 4841 (S. 4,15 dieses Werkes), die Übersiedelung nach Tokay erfolgte schon im Frühjahr 1816 (S. 5,12). Erst aus Castles Werk erfahren wir die Namen der Tokayer Therese (S. 5,30) : Therese Weinzettel, und der Wiener Mina (8. 10,11), richtig Nina Creutzer, Tochter, nicht Haus- fräulein, eines Hofkriegssekretärs beim k. k. Hofkriegsamt. Lenaus Auslieferung an die Grosseltern erfolgte am 4., nicht am 8, Septem- ber 1818 (S. 7,21). S. 3,3 lies : Plänen, 3,5 (N" 74) 6,29 Mihics 7,7 Aigll 13,9 dar, als 17 (Fussnote 2) K. Goedeke. III. In Pressburg. — Der $. 3 (Fussnote) als der deutschen Lenauforschung bisher unbekannt geblieben bezeichnete Aufsatz von Rodiezky ist seitdem von Castle (a. a. 0., 8. 142, 178) veröffentlicht worden. S. 22,15 lies : Gedanke, 22,20 erreichen, 24,15 Klopstocks 25,4 Höltvs, 26,2 Göltergestalt, 26,14 frühwelkender Lenz 27 (Fussnote 2) Rund- schau 28,19 Welt; 788 NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN. IV. In Ungarisch-Altenburg. — Übereinstimmend bringen Schurz und Veszely das S. 33 erwähnte Fest im (nicht in) Bordacz (richtiger Bordacs) in Zusammenhang mit dem Altenburger Aufenthalt. Castle (a. a. O., S. 316) meint, dass zwischen November und März an eine ländliche Unterhaltung in den Donaugegenden — Schurz spricht von einem « heiteren Nachmittagsmahle » — nicht zu denken sei. Er trennt deshalb den zusammenhängenden Bericht von Veszely über die Alten- burger Zeit in zwei Teile, die Unterhaltung im Bordacs ia den Sommer 4827 verlegend, währenddessen Lenau in Altenburg auf Besuch bei Kleyle war. Allenfalls irrig scheint mir Castles Ansicht, das von Lenau vorgelesene Gedicht zeige eine poetische Reife, die es einem späteren Zeitraume zuweise. Dagegen spricht der starke Einfluss von Klopstock und Hölty. Wie es sich auch mit dem Fest im Bordacs verhalten möge, das unselbständige Gedicht weist alle Merkmale der ersten Erzeugnisse von Lenaus Muse auf. S. 31,13 lies: als ob 33,18 war, V. In Wien. — Grosse Schwierigkeit bietet die Chronologie der Gedichte Einem Ehrsüchligen, An eine Dame in Trauer, dessen stark realistischer Zug beim jungen Lenau sehr auffällt, Zögerung und Trias harmonica, das der Dichter seit 1837 ausschloss. Zu bestimmt ist vielleicht die Behauptung (S. 44), dass ihre Entstehung sicher nicht über das Jahr 1825 hinausgeht. — Der $. 42,17 erwähnte Brief an Kleyle ist “nicht vom 8. Dezember, sondern vor dem 8. Dezember 1823 geschrieben. S. 41,20 lies : Dann, 47,28 Leitet, 52,3 stralte 52,8 strömete 57,14 sie 58,16 3. Band 64,26 Wandrer, 64,28 Tales 74,8 zutage (auch S. 18, 226, 372-373), 74,19 2. Ballade. IX. Bilder aus dem Leben. — Von einer engeren Verbindung des Dichters L. Halirsch mit Lenau ($. 84,3) zeugen die in Castles Neubearbeitung der Schurzeschen Biographie (S. 149, 151, 168, 174 f., 315) vollständiger als bei Schurz wiedergegebenen Berichte von Seidl und Keiller. Halirsch besuchte mit Lenau den ersten Jahrgang der Philosophie 1818-1819, er war ein « täglicher, fast unzertrennlicher Begleiter » von Lenaus Freund G. J. Seidl. Den um das Jahr 1826 schon bekannten Dichtern Seidl und Halirsch las Lenau seine Verse vor. Stammt die von Keiller überlieferte Äusserung, Lenau sollte das Verse- machen doch aufgeben, wirklich von Halirsch, so wäre hiermit ein erster Grund der Entzweiung gegeben. Da sich das Todesjahr von Halirsch (4832) und das Erscheinen des Gedichtes An einen Jugendfreund in der zweiten Auflage von 1834 auch in Zusammenhang bringen NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN. 1789 lassen, so ist die Vermutung zu wagen, dass das Gedicht sich auf Halirsch bezieht. Bestärkt wird diese Vermutung durch die Schilde- rungen, die J. Fr. Castelli und J. G. Seidl, Halirschs Freunde, von ihm gegeben. Hiernach litt Halirsch an Schwermut, Grillenhaftigkeit und Argwohn, war eitel, stolz und verschlossen. « Peter der Grantige », hiess er in der Ludlamshöhle. Er entzweite sich mit manchem seiner Freunde, so namentlich mit seinem besten, Seidl. (Vgl. Lupwie Hauırsch von Rudolf Holzer, Grillparzer-Jahrbuch Xl1, 140-164). Die S. 82 angeführten Verse sind ein Zusatz von H. Voss zum Höl- tyschen Gedichte Der alte Landmann. Die Verse des Gedichtes In der Krankheit (S. 86) : Und es pickt die Pendeluhr, Die eintönig mich bedeutet, Wie das Leben weiter schreitet erinnern an die Lamartines in seiner 44. Harmonie, Novissima Verba : Je n’entends au dehors que le lugubre bruit Du balaneier qui dit : Le temps marche et te fuit. S. 77,16 lies : Kriegesknecht 78,14 begegnen, 82,5 Sakristei 85,10 wieder, 85,14 Mal, X. Berta Hauer. — Der Übergang Lenaus zum Studium der Arzneikunde (S. 104) mag durch den Umstand mit veranlasst worden sein, dass nach zeitgenössischen Schilderungen diese Wissenschaft allein sich an der Wiener Universität « zweckmässig und empfehlens- wert darstellte ». S. Ap. von Schapen, Meister Fuchs oder humoris- tischer Spaziergang von Prag über Wien und Linz nach Passau. Dessau, C. Schlieder (1822). S. 156 f. S. 100,5 lies : Meergefängnis; 100,23 succomber, 101,3 lui (statt elle). XII. Klagelieder über Bertas Verlust. — Das Gedicht Nächtliche Wanderung (S. 117) hat mehrfach A. Meissner vorgeschwebt, so in dem Lenau nachgebildeten Vers : « Komm, o komm und trinke Trost! » (Einsamkeit) und in der Schlusstrophe des Gedichtes Trauriger Gang : Aufrauschet das schwarze Gewässer, Es ruft mich zu sich herein. Ein rasches Sterben wär’ besser Als solche bangende Pein! (A. Meissner, Gedichte, 7. Auflage. Leipzig, Herbig, 1856, S. 26, 259.) 790 NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN. S. 141,6 lies : Vergänglichkeit! 114,7 Freudenkläng 111,271 6. Novem- ber 1827 113,11 geschildert, 115,7 Die mir mit ihrem Trug 117,10 Sep- tember 1827 134,12 dunklen 130, im Inhaltsverzeichnis Z. 4 ergänze : Einem Knaben. XVI. Der unheilbare Riss. — Dem modernen Zerrbilde von Lenaus Persönlichkeit entspricht genau das Bild des « Zerrissenen », eines Typus der Wiener Gesellschaft des Vormärz, den Karoline Pichler in ihren Zeitbildern (II, 348) schildert. S. 152,6 lies : Nebst Kleyle. XVII. Objektive Dichtung. — Nach dem Vorgange von L.-A. Frankl in seinen Erinnerungen hrsg. von Stefan Hock (Prag, 1910, S. 92) ist S. 162 Nikolaus Boloz von Antoniewiez, der polnische Dichter (1801- 1885), mit seinem Vetter Karl Boloz von Antoniewiez (1807-1852), dem Theologen, seit 1839 Mitglied der Gesellschaft Jesu, verwechselt. Die beiden unterscheidet Karoline Pichler in ihren Denkwürdigkeiten aus meinem Leben (IV, 121 £.). Sie verkehrten in denselben Wiener Kreisen und beschäftigten sich beide mit Literatur. Die « Singraketen » des Gedichtes Lenz (S. 171) erschienen Fr. Hebbel im Zusammenhang mit der an ihren Liedern in die Luft kletternden Lerche des Gedichtes Liebesfeier als ein Ungetüm, ein raffinierter Aber- witz, ein lebloses Afterbild (Werke, hist. krit. Ausgabe XII, 244, 246). Auch Konrad Schwenk (Literarische Charakteristiken und Kritiken, Frankfurt, 1847, 5. 299 f.) regte sich mächtig auf üper diese verzwei- felte Bilderjagd und diese lächerlichen Vergleiche, wie er sie nennt, besonders aus dem Grunde, weil die Lerche nicht wie die Rackete pfeilschnell in die Luft sause und zerplatze! Der Streit um diese Bilder dauert fort bis in unsere Tage. S. 175,30 lies : Rosseherde 177,21 gebührt der Überschrift Himmels- trauer Fettdruck. XVIII. Nanette Wolf. — Der S. 181,3 als ungedruckt bezeichnete Brief von Boloz von Antoniewiez ist seitdem von Castle in seiner Neubearbeitung des Schurzeschen Werkes ($. 241) veröffentlicht. | Merkwürdig bestäligt ein ebenda (S. 264) veröffentlichter Brief Schleifers an Lenau vom 14. Juli 1831 den S. 183,16 mitgeteilten Bericht von Schurz. « In Traunkirchen wäre ein hübsches Haus, das schönste | und zugleich das höchste im Ort; ich kann von meinem Garten aus alle | Fenster durch das Perspektiv zählen; einst war es die Wohnung des dortigen Hofrichters, und nun wäre das Haus zu verkaufen. Aber Du müsstest heiraten; eine liebe Hausfrau, die darin waltet und schafft, NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN. 791 macht solch ein Haus noch viel angenehmer. — In Gmunden scheint man tief an Dich zu denken. » S.183,12 lies : Zumsteeg 185,94 46. Januar 191,33 wiedergibt. XX. Lotte Gmelin. — Die Ausserung S. 209, worauf sich Fussnote 2 bezieht, ist S. 782 berichtigt. — Die S. 216 (Fussnote 1) erwähnte Quelle ist S. 692 (Fussnote 2) angegeben. S. 240,22 lies : Reise-Empfindung 248,18 sind ». XXV. Letzte Lyrik für die erste Ausgabe. — Klara Hebert war nach einem Briefe Schleifers an Lenau vom A. Juli 1831, den Castle (a. a. 0., S. 264) veröffentlicht, bereits vor der Ausfahrt nach Schwaben begonnen. Die von mir (S. 265 f.) vermutete poetische Verwertung des Lotteerlebnisses kann folglich nur bei einer Umarbeitung in Schwaben erfolgt sein. S. 273,10 lies : Du 279,13 Verlaufe (statt Verlaufe) 300,10 Ein Heimatbruder! XXVIIl. Die Heimreise. — Wie wenig zutreffend die Behauptung ist, Lenaus Indianergedichte seien ganz unzeitgemäss ($. 314 ff.), ist u.a. aus Karoline Pichlers Zeitbildern (IT, 414) zu ersehen. Sie schildert die Indianerverfolgung als einen beliebten Gesprächsstoff der Wiener Salons. « Und dann, diese unmenschliche Unterdrückung aller Farbigen in Amerika, diese Aristokratie der Haut ! Die grausamen Listen, welche man sich in den Freistaaten erlaubt, um die armen eingeborenen Indianer um ihre Heimat, um den Boden, der ihren Vätern gehörte, zu bringen. Wie man sie immer weiter westwärts gegen das Meer drängt, wo sie dann auswandernd die Gebeine ihrer Voreltern mitnehmen. » S. 326, Überschrift Z. 2 lies : Juli-Dezember 346,10 Matuszynski (auch 358,22), 354,8 K. Mayers 361,32 dunklen 364,32 Sympathien » 395,16 letztere, 398 (Fussnote) Frühlingsalmanach 404,5 den Frauen 455,16 Herweghs 444,12 des Jahres 1836. XXXVI u. XXXVII. Lyrik der Savonarolazeit. — Die Schluss- wendung des Gedichtes Täuschung (S. 437,27), dass jeder tiefe Schmerz ein Eremit auf Erden, fand vielfaches Echo in der österreichischen Lyrik, ausser bei M. von Hartmann ($. 428,4} noch bei E. von Feuchters- leben im Gedichte Der Klausner : Ach, in dem traurigen Gewühle Ist jedes Herz ein Eremit (Werke I, 79), bei A. Grün im Gedichte Einsam : REN der tiefste Schmerz bleibt einsam Fun 9 ARE IE 192 NACHTRAGE UND BERICHTIGUNGEN. (Werke III, 89), bei Hieronymus Lorm in den Gedichten Natur und Schicksal und Der Geist des Wehs N: III: Stumm in sich zurückgezogen Was mir das Herz zerreisst, Blutet nur das kranke Herz. Ich kann er dir nicht klagen! an ae alien inet Des Wehs geheimster Geist Das Geschick bereitet einsam Vermag kein Wort zu sagen. Jedem seine eigne Nacht. (Der Geist des Wehs). (Natur und Schicksal). (H. Lorm : Gedichte. Gesamtausgabe, Dresden, E. Pierson, 1880, S. 201, 206). Der S. 463,2 angeführte Bleskenius (so nennt ihn Schubert) heisst Dithmar B. Blefken. Er ist der Verfasser eines der gelesensten und merkwürdigsten Reisewerke des 17. Jahrhunderts : Islandia, sive popu- lorum et mirabilium, quae in ea insula reperiunlur, accuratior descriplio, cui de Groenlandia sub finem quaedam adjecta. Das vom Verfasser auch holländisch herausgegebene Werk übersetzte Hieronymus Megiserius ins Deutsche : Septentrio novantiquus oder die newe Nort- Welt, Leipzig, 1643. Dort (S. 78) findet sich der Bericht Blefkens, wie ein blinder, grönländischer Mönch ihm « sehr wunderliche ding » erzählt : « Im closter zu St. Thomas, darinnen er gewesen war, sey ein Brun, der quelle mit brennheissem und fewerigem Wasser. Diesen Brunn führe man durch steinere Teuchel oder Rinnen in alle und jede Münchs Cellen, die werden davon erwärmet, wie die Stuben bei uns. Ja man könne alle Speysen bei diesem Brun und fewerheissen Wasser nicht anders kochen als wann es ein warhafftes Fewer were ». Die eigentliche Quelle Schuberts ist jedoch nicht dieser. kurze Bericht Blefkens, sondern eine Stelle aus einer italienischen Reisebeschreibung der Nordinseln, die sich auch verdeutscht im Sammelwerk des Megise- rius findet. Herr Nikolaus Zeno, ein italienischer Edelmann, findet in Grönland « ein Münchs Closter Prediger Ordens und ein Kirch S. Tho- masen geweiht bei einem Berg, welcher Fewer ausswirflt... Daselbst ist ein Brun von siedig heissem Wasser, mit welchem man der Kirchen des Closters und in der München Cellen oder Kammern die Wohnungen wärmet. So ists in der Küchin also heiss, dass man keines anderen Fewers darinnen bedarff zum Kochen oder zum Brod backen, sondern | man thut den Teig in küpferlin Töpff, so backt er wol als in einem | heissen Backofen. Es seynd auch Gärten da, im Winter zugedäckt, die wässert man auch mit diesem heissen Wasser, und erhelt sie also vor der Kälte und dem Schnee. Dann daselbste ein unsäglich grosser Frost ist, weil es sehr nahend unter dem Polo ligt : jedoch wachsen in diesen En NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN. 199° Gärten, weil sie also erwärmet werden, allerley Blumen, Früchten und Kräuter zu seiner Zeit nicht anders als in den Ländern, da temperirter Lufft ist. Weil nu die groben und wilden Leut in derselben Insul solche übernatürliche Sachen (wie sie bedünckt) sehen, so halten sie die Münch für Götter, und bringen ihnen Hünner, Fleisch und andere Sachen, und erzeigen ihnen grosse Ehrerbietung als jren Herrn. Auf solche Weiss nu wärmen diese Münch auch ihre Cellen und Wohnungen, wann das Eyss und Schnee am grössten ist, dass sie geschwind warm und wieder kalt werden, nachdem sie viel oder wenig heiss Wasser hinein lassen, oder die Fenster auflthun, die kalte Lufft zu empfahen, » (Megiserius, S. 137-139.) S. 464,31 lies : allmählich 480,33 untröstbarer 482,1 Abschied von Galizien. XXXVII. Sophiegedichte. — Die S. 447 erwähnte, jedoch unerklärte Spannung im Verhältnis zu Sophie entstammte wohl ihren zweifel- süchtigen Vorwürfen über Lenaus langes Ausbleiben und sein Schwei- gen während des Stuttgarter Aufenthaltes von Mitte November 1835 bis Anfang Februar 1836. Der Hauptgrund ihrer eifersüchtigen Verstimmung war vielleicht Lenaus Andeutung von Heiratsplänen, die im kuppel- süchtigen Schwaben damals wieder für ihn geschmiedet wurden. (S. Brief an Sophie vom 26. November 1835). XL. Ausklänge der Savonarolastimmung. — Das Sonett Die Asketen (S. 487) ist wahrscheinlich unter dem Einfluss von J. GÖRREs, Die christliche Mystik entstanden, dessen erster i. J. 1836 erschienener Band ausführlich von der Erhöhung und Reinigung des unteren Lebens durch die Askese und von der Reinigung und Disziplin des mittleren Lebens und des höheren Menschen durch dieselbe handelt (I, 358, 403, 465 ff.). Am 2. November 1836 schrieb Lenau Sophie : « Willst du den Görres wirklich kennen lernen? ich habe eine gewisse Scheu, dir dieses Buch zu bringen ». Zum Gedichte Der gute Gesell (S. 498) ist noch G. H. Schuberts Werk : Die Symbolik des Traumes (Bamberg, C. F. Kunz, 1821) anzuführen. Den guten Gesellen Lenaus nennt Schubert hier die gute Stimme im Innern, den sokratischen Dämon, der oft den Menschen als guter, warnender, rettender Engel erscheine, Von Schubert stammt auch der Unterschied, den Lenau in der S. 501 angeführten Briefstelle zwischen dem guten und bösen Gesellen macht. Der gute und der böse Dämon ist nach Schubert (S..103) « jenes geistige Organ im Menschen, in seiner‘ Doppelseitigkeit ». Der gute und der böse Dämon begleiten den : 794 NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN. Menschen durchs Leben und führen ihn zu einem glücklichen oder unglücklichen Ziele, je nachdem er der einen oder der anderen Stimme mehr Gehör gegeben. — Die Erquickung, die der Schlaf einem zum Tode Verurteilten bringt (Vs 72 ff. des Gedichtes Der gute Gesell) schil- dert auch Savonarola (Vs 3433-3436). S. 483 im Inhaltsverzeichnis Z. 3 ergänze : Der gute Gesell. 486,14-15 lies : Der Greis 489,19 das Gefühl : « wir 513,19 (N 82) 515,38 (Nr 75). XLIII. Gelegenheitsgedichte des Jahres 1838. — Einzuschränken ist die S. 531,3 ausgesprochene Vermutung, das Einschreibbüchel des Jahres 1838 sei ganz während des Ischler Aufenthaltes des Jahres 1838 geschrieben. S. 535 im Inhaltsverzeichnis Z. 2 ergänze : Einsamkeit. XLVII. Polemisches. — Viel sachlicher als Frankl urteilt Auerbach über Lenaus Empfindlichkeit für die Kritik (S. 586): « Lenau war, wie jeder Dichter, und namentlich jeder pathetische Dichter, empfindlich; aber er ertrug auch wie jeder ehrlich Schaffende — der die Unzu- länglichkeit des Geschaffenen am schärfsten vor sich selber erkennt — den entschiedenen Tadel, wenn er sich auf den Grund des Wohlwollens und treulichen Eingehens auf das positiv Geleistete stellte ». (N. Lenau. Erinnerung und Betrachtung. Wien, 1876. 8.7 £.). S. 586,16 lies Ernst 601,7, 604,2 u. 10 Marggraff 677,3 10. April 694,10 G. Pfizer 700,21 allmähliches 704,5 Verlornes. LVI. Nachklänge der Albigenser. — Ein Bericht der Wiener Zeit- schrift (1843, S. 404) über die Feier des hohen Ordensjubiläums S’ Kai- serlichen Hoheit des Erzherzogs Karl hebt hervor, das Lenaus Prolog (S. 712) ungeachtet des « nicht entsprechenden » Vortrages vom Schauspieler Löwe durch seine Wahrheit und Schönheit grosse Wirkung erzielte, Als den « ersten Lyriker der gegenwärtigen Gene- ration » bezeichnet der Berichterstatter Lenau. S. 697,26 lies : Lass mich ziehn! 706 Überschrift ergänze die Jahres- zahl : 1843. 712,18 lies Prolog zum Jubeltfeste... LVII. Waldlieder. — Das « pantheistische » Waldlied (S. 721,2) ist nicht N’ 2 sondern N" 4. In offenbarer Anlehnung an die Schlussverse des 9. Waldliedes (S. 728,26 ff.) dichtet H. Lorm in Nachtwache vom « Seligen Tauschen des Lebens mit dem Tod ». (Gedichte. Dresden, Pierson, 1880, S. 112). — Auch sonst zeigt sich l.enauscher Einfluss bei diesem innerlich so PERSONENVERZEICHNIS, 195 verwandten Dichter vielfach. Zunächst erinnert die erwähnte Nacht- wache in ihrem Lobe der « dunklen, stillen, schlafberaubten Nacht » stark an Lenaus Schlaflose Nacht. Ein ganz ähnliches Bild wie Lenaus Waldestrost malt Lorms Waldszene (S. 173) aus: Begegnung von Mensch und Reh im Walde, das Reh vertraulich verweilend, Erlösung suchend aus einem stummen Sein wie lenaus Seejungfrauen, Mädchen und Reh ein Bild schaffend, als ob die Natur sich mit eins zurückgeträumt Zur sel’gen Einheit alles ird’schen Seins. Mag Lorm auch der « lieblichen Maiennacht » ein « düster war die Maiennacht » entgegensetzen, so ist die Anlehnung seines Gedichtes Waldgang (S. 89) an Lenaus Postillon desto auffälliger. Die Wehklage der Natur durchtönt die Lyrik Lorms wie die Lenaus. Für ihr unheim- lich ewig finsteres Schweigen, ihre Kälte und Härte findet er Lenau verwandte Töne (Vgl. S. 36, 89-92, 200, 202, 211, 221, 229, 233, 237, 245, 260). Lorms Schmerzgedichte (eine Abteilung S. 197-215 trägt diese Überschrift) liegen den Lenauschen sehr nahe, in ihrem gleich tiefem Ernste, in ihrer ungekünstelten Wahrheit. Der wahrhaft Unglück- liche dichtet auch von seiner « tiefen Wunde » (S. 223), der Gram ver- deckt ihm mit bleicher Hülle Welt und Natur (S. 85), ein tiefes Meer von Traurigkeit ruht in seiner Seele ($. 204). Jedoch wächst er wie Lenau in den Waldliedern über den Pessimismus hinaus. Inners Seelen- verwandschaft tritt auch sonst vielfach ans Licht, z. B. im Preise der Einsamkeit (S. 77, 230), im Mitgefühl mit dem Armen (8.158, 184), dem Tiere (S. 155), in der Sehnsucht nach einem verlorenen Eden (S 90,222). S. 738,3 lies : Dichter, 739,18 « so 740 (Fussnote) Brief : 744,94 ver- letzt 747,9 Gedankenarmut » zu. LIX. Marie Behrends. — Deutlich geht aus Lenaus Bekenntnis (S. 767,2) hervor, dass er sich die beabsichtigten Marienlieder in scharfem Gegensatz zur Sophiedichtung dachte. Je schärfer die neue Liebe von der alten abstach, desto besser für die Dichtung. Die Lenaus ganzes Liebesleben beherrschende Sucht nach Gegensätzen erscheint mit von dichterischem Instinkt geleitet. S. 750,1 lies : Auerbach 750,33 erfrischen », 159,2 Zeit 760,8 Schwester 762,24 Ruhe! » 763,13 es ist. Man beachte, dass es sich bei all diesen Berichtigungen meistens nur um Interpunktionsfehler handelt. PERSONENVERZEICHNIS (Die sehr oft vorkommenden Namen : Kerner, Mayer, Max und Sophie Löwenthal Emilie von Reinbeck, Schurz sind dort übergangen, wo sie nur als Empfänger von Briefen verzeichnet sind.) A Abälard, Peter (Theolog, 500. Aigel (richtig Aigll), Glycerius, 7, 787. Alexis, W., s. Häring. 1079-1142), Andrian, Ph., von Werburg, Victor, 707. Antoniewiez, Karl Boloz von (polnischer Theolog, 1807-1852), 790. Antoniewicz, Nikolaus Boloz von (pol- nischer Dichter, 4801-1885), 16, 126, 138, 160-162, 168, 481, 185, 308, 346, 7%. Auerbach, Bertold (1812-1882), 200, 287- 988, 596, 719, 722, 730, 738, 746, 748, 730, 752, 754, 781, 794. Auersperg, Anton Alexander, Graf (ps. Grün, Anastasius, 1806-1876), 6, 38- 39, 113, 153, 166-167, 208, 256-257, 391, 406, 416-417, 430, 435. 441-442, 448, 455, 469-470, 480, 520-521, 536, 550, 566-569, 577, 592, 667, 692, 719, 731-732, 735, 749, 781, 791. Auersperg, Marie, Gräfin, geb. Gräfin Attems, 668. Baader, Franz Joseph (Philosoph, 1765- 4841), 481, 483-485, 489, 493-495, 500, 5292, 531-532, 537, 545-546, 563, 576. Bartels, Adolf, 784. Bauer, Alexander Joseph, 44. Bauernfeld, Eduard von (1802-1890), 9-10, 17, 37-39, 43, 69, 80, 82-83, 167, 399-400, 469, 471, 576, 580, 582, 708, 742, 757, 118-779. Bauernschmid, Karl Eduard (Schrift- steller, 4801-1875), 706-707. Baumgärtner, P., 509. Bawr, Charlotte von (Hofdame der Kö- nigin Katharina von Württemberg, +184), 343-344. Becher (Medizinalrat), 697. Beck, Karl Isidor (Dichter, 4847-1879), 179, 453, 515, 536, 584, 586, 588, 590, 658, 661, 690-691, 720, 735. Becker, Katharina, 299-300, 303, 308. Beethoven, Ludwig van (1770-4827), 38, 165, 172, 265, 400, 402-403, 549, 628, 637, 642, 657-661, 670. Behrends, Marie (1811-4889), 153-155, 240, 620, 660, 723, 738, 740, 748-768, 174-717, 795. Behrends, A., geb. Wetzel (Maries Mut- ter, + 1864), 752-753, 757, 777. Berger, Alfred, Frh. von (1853-1943), 648, 785. Berke (Berks Heinrich? Lenaus Jugend- freund), 112. Biese, Alfred, 179. ‘ Binzer, August Daniel (Schriftsteller, 1793-1868), 698. Bleskenius (richtig Blefken, Nordland- reisender des 46. Jahrhunderts), 463, 7192. Blumenthal, Joseph von (Lenaus Geigen- lehrer), 16. Böhm, Albert (Gatte der Nanette Wolf), 182, 185. Böhm, Albert (Sohn der Nanette Wolf), 481-182, 185. Böhme, Jakob (Theosoph, 1575-1624), 484. Börne, Ludwig (1786-1837), 260. Braun Ritter vonBraunthal, Karl Johann (Dichter, 1802-1866), 39, 150, 166-167, 170-171, 173, 256, 435, 448. Brodhag (Verleger), 412-414. Buchner, Karl, 258. Burdach, Karl Friedrich (Psycholog, 1776-1847), 339. Bürger, Gottfried, August (4747-1794), 78, 90, 128, 322. Byron, G. N. G., Lord (1788-1824), 84, 156-158, 172, 174, 280-281, 395, 481, 659. . c Castelli, Ignaz Franz (1781-1862), 404, 656, 731, 789. Castle, Eduard, 1, 7, 27, 57, 64, 74, 78, 108, 450, 155, 171, 189, 206, 257, 269, 315, 320, 367, 372-376, 385, 429, 462, 473, 4719, 503, 506, 509, 534, 541, 549- 550, 559, 574, 591, 641, 664, 710, 746, 767-768, 778, 787-790. Chamisso, Adelbert von(1781-1838), 251, 259, 323, 401. Chateaubriand, Fr.-R., vicomte de (1768- 1848), 314, 316-317. Christalnigg (Cristallnigg, Kristallnigg, Kristallnik) Graf, 449, 452, 617. Cicero, 4, 250. 798 PERSONENVERZEICHNIS. Collin, Heinrich Joseph von (Dichter, 1772-1811), 660. Cotta, Joh. Frh. von Cottendorf (1764- 1832), 166, 189-190, 211, 590. Cotta, Joh. Georg (Sohn des Vorigen, 1796-1863), 380, 412, 444, 480, 596, 663, 722, 747, 756-757, 760-764, 767, 769. Craigher, Johann Nikolaus (Dichter, 1797-4855), 555. Creutzer, Ludwig (Sekretär beim k. k. Hofkriegsrat), 10. Creutzer, Ninna (irrtümlich Mina), 10, 1787. i D Daffinger, Moritz Michael (Maler, 1790- 1849), 656. Dessauer, Joseph (Tonsetzer , 1798-4876), 580. Dilg, Wilhelmine, 693. Dingelstedt, Franz von (1814-1881), 393, 471, 699, 719. Donizetti, Ga&tono (1797-1848), 617. Dräxler-Manfred,KarlFerdinand(Schrift- steller, 1806-1879), 39. Duden, Gottfried, 260, 315. Duller, Eduard (Dichter, 1809-1863), 258, 645. Duttenhofer, Dr med., 646. E Eckermann, Johann Peter (1792-4854), 494. Ehemann (Kerners Schwager), 272. Ehrenbaum, 687. Ernst, Adolf Wilhelm, 4108, 206, 259, 318, 478, 505, 619. Ettingshausen Andreas von (Professor an der Wiener Universität), 9-10. Evers, Karl (Tondichter, 1819-4875), 193, 215, 661, 663, 670, 673. PERSONENVERZEICHNIS, PR Feuchtersleben, Eduard, Baron von (1806-1849), 39, 237, 454, 585, 652, 666, 7A. Fontane, Theodor (1819-1898), 784. Fraas, Dr, 292. Frank, Gustav, Ritter von (Dramatiker und Maler, 1807-1860), 658. Frankh (Verleger), 166. Frankl, Ludwig August (Dichter, 1810- 1894), 3, 49, 57, 461-162, 242, 322, 344, 367, 404, 415, 417, 419, 441, 464, 470, 491, 521, 527, 535, 577-578, 580, 585-586, 641, 654, 658, 675-676, 720, 723, 742, 775, 790, 794. Frankl, Bruno, Ritter von Hochwart, 707, 778. Freiligrath, Ferdinand von (1810-1876), 536. Friedberger, Alfred, 376. Friedrich der Grosse, 6, 67. G Galatin, Agnes von (Schwester der Frau von Suckow), 424, 639, 648. Geibel, Emanuel von (1815-1884), 433. Gentz, Friedrich von (Staatsmann, 1764- 4832), 38. Gerle, Wilhelm Adolf (Schriftsteller, 1781-1848), 566. Gervinus, Georg Gottfried (Literarhisto- riker, 1805-1871), 644, 784. Gessner, Salomon (1730-1787), 71. Glassbrenner, Adolf (Schriftsteller, 1810- 1876), 697. Glossy, Karl, 8, 708. Gmelin, Lotte (4812-1889), A01, 124, 126-127, 154, 180-183, 185, 191, 196, 201-245, 265, 268, 326-342, 369, 372, 381, 424, 478, 550, 358, 705, 775, 791. Goedeke, Karl, 785-786. Goethe, 44, 93, 95, 97, 118, 198, 183, 199 212, 4, MT, 280, 41-42, 469, 494- 495, 497, 565, 570, 579, 374, 383, 710, 712, 730, 780, 784-785. Görres, Joseph (1776-1848), 455, 793. Grabbe, Christian (4801-1836), 553. Gräffer, Franz (Schriftsteller, 4785- 1852), 36. Gragger, Robert, 690. Gregor VII, Papst, 716. Gregororius, Ferdinand (Geschieht- schreiber, 1821-1891), 624. Greiner, Leo, 107, 153, 257. Griesselich, Hannchen, 258. Grillparzer, Franz (1791-1872), 7, 9, 13, 17, 38-39, 73, 80, 82-83, 167, 218-219, 269, 394, 402, 430, 469, 472, 648, 659, 784. Grimm, Jakob (1785-1863), 177. Gross, Karl (Lenaus Geigenmeister, + 1842), 669-670. Grün, s. Auersperg. Gutenberg, 649. Gutzkow, Karl (1814-1878), 412, 564, 573, 575, 586-590, 607, 627-628, 669, 111. H Häberle, Ludwig, 284, 304. Hagberg, Karl (schwedischer Sprach- forscher und Ästhetiker, 1810-1864), 444, 530. Hallberger (Verleger), 596-597, 663. Halirsch, Ludwig (Dichter, 1802-1832), 39, 83-84, 788-789, Halm, Friedrich (Münch-Bellinghausen, Eligius Frh. von, 4806-1871), 10, 471- 472, 623, 667. Hamerling, Robert (1830-1889), 496. Häring, Willibald (ps. Alexis, Roman- schriftsteller, 1798-1874), 37, 450, 169, 523. Hartmann, Anna Mariette, geb. Danne- 800 PERSONENVERZEICHNIS. berger (Mutter der Emilie Reinbeck, 4766-1832), 270. Hartmann, Charlotte, verm. Weisser (Emiliens Schwester, 1808-1874), 293. Hartmann, Joh. Georg August von (Emi- liens Vater, 1764-1849), 262, 304-305, 401, 527. ' Hartmann, Julie (Emiliens Schwester, 1795-1869), 362. Hartmann, Familie, 262, 374, 527. Hartmann, Moritz (Dichter, 1821-1872), 96, 86, 215, 389, 438, 478, 491, 505, 324, 623, 651, 680, 692, 700, 779, 7. Hauer, Adalberta (Lenaus Berta, 1809- 1868;, 17-18, 27, 40, 45, 54-62, 82, 85, 88-102, 105-130, 439, 141-142, 145, 151-159, 470, 481, 204, 210, 268, 331, 364, 505, 533, 705. Hauer, Adelheid (Tochter der Vorigen, 1826-1844), 56-57, 89, 96, 406, 15%, 533. Hauer, Margarete, geb. Kopp (Mutter der Berta, 1786-1842), 55-56, 96, 106, 108. Hebbel, Friedrich (4813-1863), 784-785, 790. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (4770- 4831), 456, 465-466, 469, 483, 583, 610-615, 650, 671, 676-679, 681-639, 693, 746-717, 724-726, 728-730. Heine, Heinrich (1797-1856), 79, 140, 158, 212, 260, 266, 393, 456, 565, 571, 576, 583, 585, 625-627, 711, 781, 785. Heinrich, Gustav, 102. Heloise (Geliebte Abälards), 559. Henrici (Vorsteher der Harmonisten- gemeinde), 285, 299. Heppe, J.-Ch., 650. Herbart, Johann Friedrich (1776-1841), 365, 399, 408, 425-428, 446, 456-458, 483. Herwegh, Georg (1817-1875), 435, 536, 71. Hesekiel (Prophet), 680. Heusenstamm, Theodor, Graf von (Dichter, 1801-1889), 623, 661. Hiller, Ferdinand (Tondichter, 4811- 1885), 738, 750. Hoche, Alfred, 781-783. Hohenlohe-Öhringen, Fürst von, 272. Hölderlin, Friedrich (1770-1843), 63, 784. Hölty, Ludwig (1748-1776), 23-26, 34-35, 44-42, 45-48, 50-51, 53, 59-65, 71-72, 74-75, 77, 81, 83-86, 89, 91-92, 98- 99, 243, 784, 788-789. Homer, 702. Horner, 702. Horaz, 4, 7,47, 24, 35, 40, 42, 63, 66, 85. Horn, Uffo (Dichter, 1817-1860), 564, 566-568, 575, 582, 587-588. Houben, Heinrich, 590. Hurter, Friedrich von (Geschichtschrei- ber, 1787-1865), 598. Hus (Huss), Johann, 434, 444, 632. Hünersdorff, Marie von, 297, 328, 333- 334, 344. J Jacobi, Friedrich (Schriftsteller, 1743- 4819), 391, 553. Jacobi, Johann Georg (Dichter, Bruder des Vorigen, 1740-1814), 74-72, A42- 144, 264, 303-304, 334-333. Jäger Frau (Bankiersgatlin, Tante der Marie Behrends), 748, 750. Jeitteles, Itzig (Schriftsteller, 1783-1843), 4711, 565-566, 577. Jockell, J.-L., 494, 780. K Kaltenbrunner, Karl Adam (Dichter, 1804-1867), 409, 731. Kaltenbrunner, Pauline, geb. Knor, 731. Kant, Immanuel (1724-804), 80, 683. Karl, Ludwig Johann, Erzherzog von Österreich (1774-4847), 712-713, 794. PERSONENVERZEICHNIS, Karpeles, Gustav, 626. Keil, Georg (Dichter, 1781-4857), 274. Keiller (Studienfreund Lenaus), 80, 136, 430, 788. Kerner, Justinus (1786-1862), 152, 157, 189-190, 194-196, 198, 200, 204-205, 213, 220-223, 225, 239, 235, 245, 249- 250, 252, 255, 258-259, 261, 269, I74- 272, 276, 311, 325-327, 333, 335, 346, 362, 366, 414, 455, 461, 488, 529-523, 538, 615, 625, 627, 642, 648-649, 668, 676-677, 688, 709, 723, 741-742, 779. Kerner, Friederike (Rickele, Justi- nus’ Gattin), 249, 366. Kerner, Theobald (Justinus’ Sohn, 4817- 1907), 189, 204, 366. Kirchhoff, Wilhelm, 344, Klaüizäl, Nikolaus, 5. Klein, Ida, 450, 435. Kleist, Heinrich von (1777-4811), 276, 653. Klemm, Joseph, 22-23, 27, 83, 85- 86, 125-126, 145, 152, 137, 162, 203- 204, 208, 213, 220, 222-993, 227, 239, 240-241, 243-244, 310, 341, 735. Kleyle, Charlotte, verm. Mayer (Schwe- ster der Sophie Löwenthal, 1809-1828) Am, Kleyle, Franz Joachim, Ritter von (So- phie Löwenthals Vater, 1775-1854), 418, 506-507, 619, 621, 733, 771, 773. KRleyle, Fritz (Sophie Löwenthals Vetter, 1800-1836), 12, 29-30, 33-34, 40, 42, 44, 54-59, 61-62, 64, 73, 79, 81, 83, 86, 88, 90, 94-95, 97-98, 104-106, 109, 114, 447, 119-421, 127, 130, 137, 152, 457, 430-431, 433, 486, 501, 529, 629, 788. Kleyle, Johanna, verm. Mikschik (Sophie Löwenthals Schwester), 486, 597, 698. Kleyle, Karoline, geb. von Ockel (Sophie Löwenthals Mutter, + 1861), 504. Kleyle, Natalie, geb. Sartorius (Gattin von Fritz Kleyle), 529. ’ sul Kleyle, Rosalie, verm. Baronin Schön- stein (Sophie Löwenthals Schwester, 1816-1876), 533-534, 618-619, 697. Klopstock, Friedrich Gottlieb (1T24- 1803), 23-25, 27, 34-35, 40-49, 44-48, 90-52, 60-61, 63-73, 77, 84, 89-93, 99, 137, 165, 389, 788. Klüpfel, Karl (G. Schwabs Schwieger- sohn), 19. Knortz, Karl, 985. Koch, Max, 63, 254, 319, 494, 505, 629, 651, 671, 730, 742, 784. Kolb, Gustav (Schriftleiter der Alige- meinen Zeitung, 4798-1865), 694, 707. Kotzebue, August (1761-1819), 150. Kövesdy, Joseph von (+ 1836), 5, 10, 65, 123, 141, 257, 431. Krafit-Ebing, Richard Frh. von, 746-747. Kraepelin, Emil, 747, 766, 782-783, Kraus, Julius, 255. Kreutzer, Konradin (Tondichter, 1782- 1849), 629. Kurth, Gottfried, 50. L Lamartine, Alphonse de (1790-1869), 48-50, 99-101, 147-450, 377-378, 789. Laube, Heinrich (1806-1884), 325, 574, 584-585, 607, 696, 711. Lebret, Leutnant, 454. Leitner, Karl Gottfried, Ritter von (Dichter, 1800-1890), 250. Leo XII, Papst (1760-1829), 81. Leuthold, Heinrich (Dichter, 1827-1879), 432, Lewald, Fanny (Schriftstellerin, A814 1889), 624. Liesching (Buchhändler), 485. Lombroso, Cesare, 524. Lorm, Hieronymus (Dichter und Philo- soph, 1821-1902), 792, 794-795. 51 ua u “r ” v 302 PERSONENVERZEICHNIS. Löwe, Ludwig (Schauspieler), 515, 526, 712, 794. in Artur (Sophie Löwenthals Sohn, 1835-1905), 488, 496, 661, 756. Löwenthal, Ernst (Sophie Löwenthals Sohn, 1830-1866), 698. Löwenthal, Max Frh. (Generaldirektor für Post- und Telegraphenangelegen- heiten, Sophies Gatte, 1799-1872), 9-4, 63, 138, 152, 156, 158, 192, 946, 276, 297, 320, 345, 350, 374, 390-391, 395, 399, 417, 462, 466, 4T4, 4716, 488, 491-492, 496-498, 501, 503, 506-507, 513-516, 522, 524-525, 529, 537, 544, 556-559, 566-569, 571, 575- 577, 581, 589, 592, 596, 601, 60%, 618-620, 622, 625, 627, 631, 633, 642, 644-646, 650, 655, 657, 659-661, 668, 677, 691, 695-699, 712, 755-756, TT1. Löwenthal, Sophie, geb. von Kleyle (1810-1889), 22,195, 129, 152, 154-158, 199-193, 209, 218, 240, 283, 314, 336, 338-340, 351, 357, 368-399, 402, 406- 408, 419, 423-425, 428-429, 431, 433, 4AO-Ahk, 4471-459, 462, 464-465, AT4- 481, 486-488, 490, 492-495, 497, 499, 501, 503-512, 514-517, 519-520, 523, 525, 527-530, 532-544, 547-563, 867, 375, 581, 591, 599, 602-603, 616-624, 630, 633-649, 651, 653-654, 658, 664- 668, 679, 695-707, 712, 720-723, 725, 727-728, 731, 733, 740-743, 746, 753- 766, 769-779, 781, 783, 793, 795. Löwenthal, Zo&, verm. Sacken (Sophie Löwenthals Tochter, 1832-1852), 619. Löwenthal, Familie, 383, 394, 403, 451- 452, 462, 506-507, 644, 700, 739, 744. Ludwig I, Karl August, König von Bayern (1786-1868), 711. M Maigraber, Franz (Lenaus Onkel), 7,29. Maigraber, Therese, s. Niembsch. Maltz, Karl Ludwig (Polizei-Hofrat), 713- T14. Marchand, A., 525. Marggraff, Hermann (Dichter, 1809- en 601, 604, 610. Martensen, Hans Lassen (Theolog, 1808- 1884), 391, 441, 445-446, 455, 458, 460- 462, 469, 181, 483, 514-515, 570-571, 659-660, T11. Matthison, Friedrich von (Dichter, 1761- 1831), 784. Matuszynski(polnischer Flüchtling), 199, 955, 261, 272, 346, 358. Matzerath, Christian Joseph (Dichter, 1815-1876), 569-570. Mayer, Karl (Dichter, 1786- 1870), 23, 193, 196, 152, 162, 464, 186, 189-191, 193-494, 197-198, 200-201, 206-207, 913, 215, 218, 220-226, 229-235, 237- 939, 242-243, 246-249, 255, 259-262, 968, 270-271, 292, 304, 307, 322, 325, 327, 337-338, 354-355, 419, 456, 464, 480, 625-628, 679, 688, 710-711, 742. Mayer, Karl (Sohn des Vorigen, 1819- 1889), 270. Mayer, Philipp (1798-1828), 121. Mayrhofer, Johann (Dichter, 1787-1836), 454, 664, 666. Megiserius, Hyeronimus (Polyhistor, 1553-1618), 792-793. Meier, Lucie (Freundin von Sophie Schwab), 209-203, 206-207, 221-222, 234, 231, 259, 667. Meissner, Alfred (Dichter, 1822-1885), 526, 626, 665, 735, 789. Mendelsohn - Bartholdy, Felix (1809- 4847, 750. Menge, Johann (Mineralog, 1787-1852), 531. Menzel, Wolfgang (1789-1873), 325, 411- 449, 565, 581-584, 586, 601, 646. Metternich, Fürst von (Staatskanzler, 1773-1859), 38, 199, 256, 713. PERSONENVERZEICHNIS . Meyer, Richard Moritz, 178, 269. Mielichhofer, L., 687, 714-716. Miguel, U.-E., Dom, 256. Mihits (riehtig Mihics), Sebastian (Le- naus Stiefonkel), 6, 787. Miller, Johann Martin (Dichter, 4750- 1814), 45. Mikschik, Eduard (Pianist, Bräutigam von Johanna Kleyle, + 1838), 486, 314, 538-540, 557. Minor, Jakob, 260. Möbius, Paul, 745. Monroe, James, 315. Mozart, Wolfang Amadeus (1756-1791), 658-659. ' Mulfinger, G. A., 260-261, 286, 299, 303, 315, 357, 360. Mundt, Theodor (Schriftsteller, 1808- 1861), 573, 589. Murillo, Bartolom& (1617-1682), 593. Musset, Alfred de (1810-1857), 157. N Napoleon I, 99-100, 197, 460. Nemethy, Franz von, 4. Niembsch von Strehlenau, Anna Katha- rina, geb. Freiin von Kellersberg (Lenaus Grossmutter, 4753-1830), 7, 20, 27, 29-30, 32,.36, 58, 165, 203. Niembsch von Strehlenau, Franz (Le- naus Vater, 4777-1807), 4-3, 30, 787. Niembseh von Strehlenau, Joseph (Le- naus Grossvater), 55, 58. Niembsch von Strehlenau, Magdalena, verm. Karsch (Lenaus Schwester, 1804-1860), 7, 20, 58, 430, 433. Niembsch von Strehlenau, Therese, geb. Maigraber, wiedervermählte Vogel (Lenaus Mutter, 4779-1829), 1-2, 4, 6-8, 10-12, 14-16, 19-21, 29-30, 42, 56, 58, 65, 95-96, 105-106, 108, 123, 430-131, 137, 139-142, 144-145, 469, 187, 189, 204, 323, 366, 431, 525, 694, 752, 787. 803 Niembsch von Strehlenau, Therese, verm. Schurz (Lenaus Schwester, 1801-1878), 20, 36, 138, 187-188, 904, 275. 344, 365, 429, 503, 540, 693, 719- 720, 753, 759-760, 765. Niendorf, Emma, s. Suckow. [e} Oppeln-Bronikowski, Al. Aug. Ferd. von (Romanschriftsteller, 1788-1834), 264. Ötker, Friedrich (Schriftsteller, 1809- 1831), 699. Ovid, 7. P Paoli, Betty (Glück, Elisabeth, Dichterin, 1815-1894), 216, 218-219, 367, 418. Paulus, Apostel, 445, 780. Pellico, Silvio (1789-1854), 162. Petrarca, Francesco (1304-1374), 528. Pfleiderer, 627. Pfizer, Gustav (Dichter, 1807-1890), 189, 694, 710. Pichler, Karoline (Dichterin, 1769-1843), 566, 732, 790-791. Platen-Hallermünde, August, Graf von (1796-1835), 23, 63, 458. Platon, 485. Post, Heinrich von, 318, Post, Ludwig von, 571. Post, Henriette von, 318. Prutz, Robert (Dichter und Literar- historiker (1816-1872), 608, 748. Pyrker von Felsö-Cör, Ladislaus (1772- 1847), 38. R Rahmer, S., Dr med., 1,408, 159, 209- 210, 257, 524, 748. Raimund, Ferdinand (1790-1836, 38-39. MoRRHSRUEEEE SEE? |. Zn 804 PERSONENVERZEICHNIS. Reinbeck, Emilie, geb. von Hartmann (1794-1846), 425, 194, 210, 244, 264, 970, 273, 278-279, 281, 285, 292, 300, 305, 309, 326, 328-329, 332, 337-339, 343-349, 351, 353, 362, 369, 374, 382- 383, 401, 408, 414, 421, 425, 433-434, 444-445, 449, 460, 494, 515, 527-530, 539, 541,543, 557, 620, 637, 645-646, 655, 661, 663, 670, 673, 679, 694, 697, 699-700, 702-703, 709, 715, 720-722, 727, 130, 733-734, 738, 741, 749-750, 753, 7136-757, 760-764, 770, 772-774, 179. Reinbeck, Georg von (4766-1849), 218, 981, 338, 345-346, 348-349, 362, 380, 386, 404, 408, 414, 430, 434, 641, 649, 679, 709. Reinbeck, Familie, 17, 403, 137, 262, 995, 397, 334, 364, 386, 454, 527, 642, 660, 664, 675, 702, 735, 750, 757, 763, 144. Rembold, Leopold (Professor a. d. Uni- versität Wien), 9, 12, 79-80. Rettich, Julie (Schauspielerin, 1809- 1866), 426. Reynaud, L., 1, 3, 73, 78, 84, 98, 108, 143, 423-124, 128, 156-159, 174-175, 906, 240, 243-244, 255, 262, 282, 307, 314, 318, 334, 339, 359, 373, 375, 395, 440, 437, 440, 448, 464-466, 478, 491, 505-306, 515, 529, 541, 562, 651, 654, 705, 722, 730. Riedlen, W..R., 300. Rodiczky, Eugen von, 22, 30, 31, 787. Rödinger, 200. Romer, Professor, 676. Rossini, G. A. (1792-1868), 616. Röttinger, Heinrich, 18, 56, 407, 155. Rousseau, Jean Jacques (1712-1778), 317. Roustan, L., 4, 78, 128, 189-190, 201, 314-315, 405-406, 533, 687, 778. Rückert, Friedrich (1788-1866),490, 494, 497, 584, 671. Rudelbach, Andreas Gottlieb (1798-1862), 780. Rudy, 6. Ruge, Arnold (Schriftsteller, 1803-1880), 645, 648. Ss Sabatier, Franz (Schriftsteller, 1818- 1891), 623. Sadger, J., D’ med., 3, 210, 257, 745. Salis-Seewis, J. P., Frh. von (1762- 1834), 243. Saphir, Moritz Gottlieb (1795-1858), 402, 456-457. Sartorius, Natalie, s. Kleyle. Schack, Adolf (Schriftsteller, 1815-1894), 784. Schaden, Adolf von (Schriftsteller), 1791- 1840), 37-38, 789. Schaefler, Carl, 55, 376, 529, 553. Seharschmid, Franz, Frh. von Adlerstreu (1800-1887), 538, 557, 651, 653, 718. Scheffel, Joseph Viktor von (1826-1886), 652. Schelling, Fr. Wilh. Joseph von (1775- 1854), 276, 469, 779. Schelling, Arzt, 783. Scherer, Wilhelm (1841-1886), 785. Schiller, 18-19, 21, 78, 93, 174, 183, 408- 409, 471, 50%, 560, 565, 649, 780. Schindler, Gustav (Hauptmann), 702. Schlegel, Friedrich von (1772-4829), 38. Schleifer, Mathias Leopold (Dichter, 1771-4842), 49, 129, 162-168, 170, 472, 181, 183, 486-187, 190-193, 234, 248- 953, 267, 337, 363, 409, 561, 790-791. Schleifer, Anna (« Nani », zweite Gattin des Vorigen), 252-253, 561. Schlossar, Anton, 385. Schlösser, Rudolf, 78. Schubart, Christian (Dichter, 1775-1854), 174, 302. Schubert, Gottlieb Heinrich (Natur- philosoph, 1780-1860), 952, 275-279, PERSONENVERZEICHNIS. 288-289, 299, 320, 332, 393, 436-437, 463, 466-467, 490, 493, 496, 498, 500, 520, 522, 542, 602, 653, 673, 793-794. Schubert, Franz (Tondichter, 1797-1828), 38, 182-1483, 555. Schurz, Anton Xaver (Lenaus Schwager, 1794-1859), 4, 8, 17-20, 92-24, 28, 30, 32-33, 36, 39-40, 42, 55-58, 63, 74, 76, 78, 83, 90, 96, 103-104, 106-107, 109 412, 417, 420, 123, 125-196, 198-199, 137, 140, 142, 445, 150-153, 156-157, 162, 164-165, 167, 172, 181, 183, 187- 188, 190, 194, 200-201, 208, 222, 235, 245, 251-252, 256-258, 267, 271, 273, 278, 295, 304, 308, 319-321, 325, 397, 334, 338-339, 345-347, 349, 357, 364- 365, 373-374, 384, 401, 406, 409, 414- 445, 420, 422, 430-431, A437, 441-449, 451, 454-456, 464-465, 473, 477, 494, 509-510, 516, 519, 525, 529, 533-534, 541, 550, 367, 598, 622, 630, 646, 649, 658, 663-664, 673, 679, 692, 720, 722, 731, 735-736, 741-742, 753-758, 760, 162, 769, 771, 776-781, 787-788. Schurz, Anton (Toni, Sohn des Vorigen), 344, 715. Schurz, Katharina (älteste Tochter von Schurz), 464. Schurz Pepi, 344. Schurz, Therese, s. Niembsch. Schwab, Gustav (Dichter, 1792-1850), 49, 63, 76, 104, 119, 197, 133-134, 169, 172-173, 178-180, 183, 186-187, 189-190, 4193, 195, 198-200, 204-205, 911, 94,..217,:220-229, 2A... 997, 299-231, 237-238, 240, 243, 246-248, 951, 254, 267, 269, 272-273, 323, 401, 480, 537, 615. Schwab, Ch. Th. (Sohn des Vorigen), 318. Schwab, Sophie (Gatlin von G. Schwab, 1795-1865), 147, 189-190, 4194, 196, 498, 200, 202-208, 213-215, 217, 220- 992, 294, 231, 235, 240, 248, 259, 614- 615, 667, 705, 709. Schwab, Familie, 181, 202-203, 206-207, 212,215, 221,224, 226-227,2929, 231,257. 805 Schwenk, Konrad, 790. Schwind, Moritz von (Maler, 1804-1874), 526, 742, 750. Sealsfield, Charles (Postl, Karl Anton, Schriftsteller, 1793-1864), 260. Sedlnitzky, Joseph, Graf S. von Cholitz (Polizeipräsident, 4778-1855), 38, 595. Seidl, Johann Gabriel (Dichter, 1804- 1875), 10-11, 38-39, 49, 80, 97-98, 104, 431, 251, 518, 788-789. Seidlitz, Julius, s. Jeitteles. Seligmann, Romeo, 535... Seneca, 4, 19, 63-64, 66, 78. Shakespeare, 469, 677. Siebenlist, August, 21, 402-103. Sitting Bull (Indianerführer), 316. Skinner, 817. Sokrates, 132. Sommaruga, Frh. von (Vater des Fol- genden), 402. Sommaruga, Franz, Frh. von (Sophie Löwenthals Schwager, 1815-1884), 663, 707. Sommaruga, Luise (7 1836), 402. Sommaruga, Familie, 462. Spinoza, 147, 235-236, 247, 263, 304, 437, 483. Stadion, J. Ph. K. J., Graf von (öster- reichischer Staatsmann, 1763-1824), 73. Steger, 517. Stein, Anton (Prof. a. d. Univ. Wien, 4739-1844), 9, 47, 64, 402. Stelzhamer, Franz (Dichter, 1802-1874), 575, 703. — Dessen Tochter, 703. Sternberg, Alexander, Frh. von Ungern- Sternberg (Romanschriftsteller, 1806- 1868), 657. Stoll, J. L. (Diehter 1778-1813), 182. Strauss, David Friedrich (Theolog, 1808- 1874), 456, 583. Stuhr, Peter Feddersen, 816-017, 734. ka te 806 ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTE. Suckow, Emma von (ps. Niendorf, 1807- 1876), 38, 103, 123, 137, 455, 245, 973, 341, 366, 400, 402, 424, 497, 585, 636, 639, 646, 648-649, 660, 669, 673, 675, 679, 687, 689, 702-703, 747-748, 736, 741-742, 751. Suso, Heinrich (Mystiker, 1300-1365), 194, 221. T Tholuck, Fr. A. (Theolog, 1799-1877), 584. Thuma, Marie, 250. Trabalik (Lenaus Famulus), 4. U Uhland, Ludwig (1787-1862), 178, 189- 190, 21-992, 246, 248, 351, 35-956, 968, 312-313, 537, 565, 570, 572, 574- 375, 385, 687, 710, 726, 784. Uhland, Emma, geb. Emilie Fischer (4799-1881), 221-222. Ullmann, Karl (Theolog, 1796-1865), 584. Unger, Karoline, verm. Sabatier (1803- 1817), 533, 541, 599, 616-624, 629-630, 636-638, 641, 643, 754, 758. V Veszely, Ladislaus, 29, 30, 32-34, 786, 788. Vielhaber, L. W., 153. Virgil, 44. Vleuten, C. F. van, Dr med., 524, 745, 766. Vogel, Karl (Lenaus Stiefvater), 2,5, 1, 29-30, 36, 138. Vogel, Therese (Gattin des Vorigen), s. Niembsch, Therese, geb. Maigraber. Vogel, Maria, verm. Dilg, 693. Vogl, Johann Nepomuk (Dichter, 1802- 1866), 505, 648. Voltaire, Fr.-M., Arouet (1694-4778), 6, 45, 460. Volz, Friedrich (Hauptmann), 11. Von der Haide, Ernst, 583, 586-587. Voss, Heinrich (Dichter, 1751-1826), 25, 45, 60, 84, 89, 789. W Waltzing, J. P., 139. Weiler, Karl, Dr med., 1, 744-746, 782, 787. Weinzettel, Therese, 5, 14, 787. Weindridt, Vinzenz (Prof. a. d. Univ., Wien), 9, 69. Weissenbach, Aloys (Dichter, 1766- 4821), 250. Wendt, Amadeus (1783-1836), 251. Werner, Richard Maria, 355, 358, 478. Werner, Zacharias (1768-1823), 38. Wigand (Verleger), 517. Wihl, Ludwig (Dichter, 1807-1882), 687. Wisgrill, Arzt, 87, Witthauer, Friedrich (Schriftsteller, 1793-1846), 487, 501, 513, 526. Witkop, Philipp, 784. Wolf, Ferdinand (Romanist, 4796-1866), 516. Wolf, Joh. Nepomuk (Vater der Nanette Wolf), 181-183. ; Wolf, Karl (Nanettes Bruder), 181. Wolf, Nanette, verm. Böhm (1808-1878), 93, 116, 165, 168, 170, 180-185, 252, 790-791. Wolf, Therese, geb. Eigl (Naneltes Mutter), 181-482, 252. Woltmann, Karoline von (Romanschrift- stellerin, 1782-1847), 391, 488. Württemberg, Alexander, Graf von (Dichter, 4801-1844), 123, 189, 303, 327, 334, 337, 351, 371, 444, 454, 635, 637, 641-642, 647-648, 667-668, 754. Württemberg, Helene, Gräfin von, geb. Gräfin Festetics-Tolna (Gattin des Vorigen, 1812-1886), 303, 404, 454. ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTE. Württemberg, Marie, Gräfin von, verm. von Taubenheim (AlexandersSchwes- ter), 297, 327, 376. Wurzbach, Konstant, Ritter von (Schrift- steller, 1818-1893), 85, 641. 7 Young, Edward, 99. zZ Zedlitz, Joseph Christian, Frh. von (1792-1860), 38-39, 566. Zehnder-Weil, Luise, 298, 300. Zeller, Ernst Albert (Leiter der Irren- 807 austalt Winnenthal), 218, 74, 774, 779, 781. Zelter, Karl Friedrich (Tonsetzer, 1758- 1832), 710. Zeno, Nikolaus, 792. Zimmern, David, 2714, 324. — Dessen Gemahlin, 271. Zinegref, Julius Wilhelm (Dichter, 1591- 1635), 409. Zöpfl, Heinrich(Staatsrechtslehrer, 1807- 1877), 271. Zöppritz, Mariette, geb. von Hartmann (Schwester der EmilieReinbeck), 337, 344, 365-366, 382, 690. Zumsteeg, Joh. Rudolf (Tonsetzer, 1760- 1802), 183. ALPHABETISCHES VERZEICHNIS der Überschriften der Gedichte. A Abendbilder, 70-73, 94, 403, 482. Abendheimkehr, 76-77. Abmahnung, 285, 294-295, Abschied, 256-257, 298. Abschied von Galazien, 161-162, 346 4892. Ahasver, der ewige Jude, 285, 292, 294 300-303, 308, 665, 678. Ahimaaz, 534. Albumblatt, 473. Als Hiller mir spielte, 738-739. Am Bette eines Kindes, 89, 91-92. Am Grabe eines Ministers, 199-901. Am Grabe Höltys, 74-75. Am Rhein, 491, 550-553. Am Sarge eines Schwermütigen, 442 664-666. An* (Ach wärst du), 451, 480-481. An* (0 wag es), 481, 508-509. An Agnes, 648-649, An den Frühling, 464. An den Frühling 1838, 535, 536-337, 51. An den Ischler Himmel im Sommer 1838 464, 558-559. An den Tod, 431, 433, 439, 440, 448. An den Wind, 451, 475-476. An der Bahre der Geliebten, 45, 50-51. ,) ’ ’ ’ An die Alpen, 651-653. An die Biologen, 407-409, 649, An die Entfernte, 451, 476-478, 703. An die Ersehnte, 45-50. An die Hoffnung, 98-101, 144, 482, An die medisierenden Damen, 404. An die Melancholie, 141, 145. An die Verstockten, 591-594. An die Wolke, 114-145, 126, 215, 359, An ein schönes Mädchen, 533-534, An eine Dame in Trauer, 43, 788. An eine Freundin, 500, 506-507, 509. An eine Witwe, 529-530, 629. An einem Baum, 305, 307, 597. An einem Grabe, 717. An einen Dichter, 364-567, 572. An denselben, 567-568, 572. An einen Jugendfreund, 83-85, 344, 788. An einen Langweiligen, 245-246, An einen Tadler, 470-474, 564. An einen Tyrannen, 66-67. An Fr. Kleyle, 149, 120, 121-122. An Fräulein Charlotte von Bauer, 343- 344. An Fräulein Julie zu ihrem Geburtstage, 362. An J. Klemm, 85-86. An Karl Mayer, 626-628. An Luise, 402-404. 810 An Mathilde, 45-46, 78, 482. An mein Vaterland, 279-282. An meine Gitarre, 193. An meine Rose, 165, 180-185. An Seneca, 63-64, 78, 482. An Wilhelm Kirchhoff, 344. An Wilhelmine Dilg, 693-694. Asyl, 331-332, 383. Aufbruch, s. Wanderung im Gebirge. Auf dem Hochberg, 414, 421-495, 439. Auf ein Fass zu Öhringen, 272-273. Auf eine goldene Hochzeit, 462-463. Auf eine holländische Landschaft, 699- 69. Auf einen Bergquell, genannt Roth- schildbrunnen, 673. Auf einen Professor philosophiae, 79-81. Auf meinen ausgebälgten Geier I, 464- 467, 513, 647, 658. Auf meinen ausgebälgten Geier II, 491, 516-517, 513, 647, 658. Aus ! 342, 347. Beethovens Büste, 491, 657-661, 718. Begräbnis einer alten Bettlerin, 169- 470. Bettlers Klage, 77-78, 168, 299. Bei Gelegenheit einer ländlichen Unter- haltung in Bordaes, 33-35. Bei Übersendung eines Strausses, 691, 633. Bestattung, 346-347. Bitte, 214, 244-216. Blick in den Strom, 739-740. _ Bruchstück einer Ode, 75-74. D Dahin! 88-89. Das Blockhaus, 306, 307, 311-314. ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTE. Das Dilemma, 676-677. Das dürre Blatt, 156, 491, 504-505. Das Gespenst, 691. Das Gewitter, s. Wanderung im Gebirge. Das Ideal, 51-53, 72, 403. Das Kind geboren, die Mutter tot, 731. Das Kreuz, 694-659. Das Lied vom armen Finken, 364-365. Das Mondlicht, 211, 214. Das Posthorn, 186-188, 192. Das Rosenmädchen, 59-61, 93, 94. Das Ross und der Reiter, 537-538, 561, 648. Das tote Glück, 101, 113. | Das Veilchen und der Schmetterling, 93-9. Das Wetter hat geschlagen, 442-443. Das Wiedersehen, 430-431. | Dein Bild, 127, 211-243, 558. Der Abend, s. Wanderung im Gebirge. | Der arme Jude, 678-679. | Der Baum der Erinnerung, 116-117, 326. Der Eichwald,s. Wanderung im Gebirge. Der einsame Trinker, 614, 646-649. Der ewige Jude, 438-440, 445, 448, 513, 678. Der falsche Freund, 79, 83. Der feile Dichter, 79, 82. Der Fingerhut, 503. Der fromme Pilger, 693. Der Gefangene, 172-174, 268. Der geldgierige Pfafte, 79, 81-82. Der Greis, 262-264, 486. Der gute Gesell, 498-501, 513, 514, 516, 797, 193, 794. Der Hagestolz, 489-491, 647, 658. Der Hirte, s. Wanderung im Gebirge. Der Indianerzug, 314-317, 686, 791. Der Indifferentist, 131-132. Der Jäger, 409-411. ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTE. Der Jüngling, 79, 82. Der Kranich, 539, 541-543. Der Kranke im Garten, 667, 696. Der kriegslustige Waffenschmied, 680- 684. Der Kürass, 520-524. Der Laudachsee, 234, 363-364. Der Lenz, 174-173, 261. Der Maskenball, 258-261, 346, 381. Der offene Schrank, 525-526. Der Pechvogel, 653-654. Der Polenflüchtling, 162, 345-346. Der Postillion, 285, 291-294, 795. Der Rationalist und der Poet, 570-571. Der Räuber im Bakony, 675-676, 678, 6%. Der Raubschütz, 191-193, 279. Der Reiter von W., 588-590. Der Rekrut, 736. Der Salzburger Kirchhof, 485-486. Der Schifferknecht, 168-169. Der Schiffsjunge, 306, 318-321, 393. Der Schlaf, s. Wanderung im Gebirge. Der Schmerz, 434. Der Schmetterling, 353-355, 513. Der schwarze See, 557-558. Der schwere Abend, 188, 361, 451-454, 475. Der Seelenkranke, 431-433. Der Selbstmord, 134-135, 144. Der Steyrertanz, 414, 417-420, 424, 513. Der stille See, 630. Der traurige Mönch, 440-442, 513. Der trübe Wandrer, 139-140, 445. Der Unbeständige, 27-28, 43, 87. Der Unentbehrliche, 285, 300. Der Unhold, 656-657. Der Urwald, 306-310. Der Vogel auf dem Kreuz, 730-731. 811 Des Teufels Lied vom Aristokraten, 299, 667-669. Dichters Klagelied über das junge Deutschland, 572-574. Die Albigenser (Das Aug der Liebe), 71A4- 715. Die Albigenser (Wieder ist es), 645-646. Die Asketen, 487-489, 793. Die Bauern am Tissastrande, 717-748, 738. Die bezaubernde Stelle, 411-119. Die Blumenmalerin, 559-560. Die Drei, 680, 690. Die drei Indianer, 314-318, 79. Die drei Zigeuner, 513-515, 738 Die Felsenplatte, 144-145. Die Ferne, s. Wanderung im Gebirge. Die Frivolen, 709-742. Die Göttin des Glücks, s. Bei Gelegenheit einer ländlichen Unterhaltung in Bor- dacs. Die Heidelberger Ruine, 285-289, 296. Die Heideschenke, 127,175-178, 268,293. Die Jugendträume, 34, 96-98, 133, 702. Die Korybanten, 733-735, 738. Die Lerche, s. Wanderung im Gebirge. Die Mutter am Grabe ihres Kindes, 89, 90-91, Die nächtliche Fahrt, 513, 515-516. Die Nonne und die Rose, 745-716. Die Poesie und ihre Störer, 568-570, 572. Die Rache, 306, 318, 320-391. Die Rose der Erinnerung, 285, 290-291, 296. Die schlimme Jagd, 79, 82. Die schöne Sennin, 285, 294-297, 378. Die Seejungfrauen, 275-278, 320, 405. Die Sennin, 294-296, 401, 597. Die Tränen, 255-256, 264, 673. Die Waldkapelle, 124-197, 481, 347. 312 ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTE. Die Werbung, 102-104, 193, 461,475, 718. Die Wurmlinger Kapelle, 245-249, 253. Die Zweifler, 145-150, 166, 332, 418. Doppelheimweh, 497-498. E Einem Autographensammler, 731-732. Einem Dichter, 654. Einem Ehrsüchtigen, 49-43, 788. Einem Foreierten, 587-588. Einem Freunde, 702. Einem Freunde ins Stammbuch, 164-165. Einem Gemütskranken, 651, 738. Einem Greis, 486, 527. Einem Knaben, 133-134. Einem kritischen Nachtarbeiter, 583-586. Einem Theaterdichter, 471-472, 564. Einem unberufenen Lober, 582. Einem Wanderer in österreichischer Felsenschlucht, 708-709. Ein Epigramm, 586. Ein Heimatbruder! 300. Ein Herbstabend, 539-541. Einklang, 442. Ein offner Wald, 586. Ein Rezensent, 626. Einsamkeit (Hast du schon), 543-545, 669. Einsamkeit (0 Einsamkeit), 367. Einsamkeit (Schon seh ich),s. Wanderung im Gebirge. Einsamkeit (Wild verwachsne), 375, 383- 388, 401. Einst und Jetzt, 141-144. Eitel nichts! 741-742. Erinnerung (Du warst), Ss. Wanderung im Gebirge. Erinnerung (Erinnerungsvoller Baum), 112, 116. Erinnerung (Einst gingen wir), 560-561. Erinnerung (Selige Stunde), 61-62. F Form, 575-576. Frage (Bist du), 448-449. Frage (Mir hat noch), 23, 26. Frage (0 Menschenherz), 347. Frage nicht, 451, 638-640. Fragmente, 39, 76, 78-83, 268. Frau von Reinbeck, 347-348. Fr]. von Hünersdorff ins Album, 344. Freundschaft, 461-462. Frühling, 640-644. Frühlingsblick, 328-330, 361. Frühlingsgedränge, 330. Frühlingsgrüsse, 535-536. Frühlings Tod, 273-274, 326, 332. G Ghasel, 23, 26-27. Gebildete Sprache, 575, 577-578, 694. Gewitter, 767-768. Glauben. Wissen. Handeln, 135-137, 140, 167. Glückwunschverse an die Mutter zum neuen Jahr 1814, 16. Gutenberg, 409, 649. Guter Rat (Willst du... wirken), 574-575. Guter Rat (Willst du richten), 587. H Heimatklang, 392-394, A01, 419. Ileloise, 396, 513, 553-859. Herbst, 335-336. Herbstentschluss, 333-335, 339. Herbstgefühl (Mürrisch braust), 195-196, 543: Herbstgefühl (Der Buchenwald), 539. Herbstklage, 196, 332. Herbstlied (Ja, ia ihr...), 443-444. Herbstlied ' Rings trauern), 405. 491-492. Himmelstrauer, 177-179, 188, 332. ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTE. Husarenlieder, 519-520, 574. Hypochonders Mondlied, 444. Im Vorfrühling, 487, 628-629. In das Album einer Dame, 689. In das Stammbuch einer Künstlerin, 19. In der Krankheit, 86-87, 90, 789. In der Nacht, 64-66, 268, 482. In der Neujahrsnacht 1839-1840, 624, 631. In der Schenke, 197-200, 217, 346. In der Wüste, 133, 140. In einer Schlucht, 672-673. In einer Sommernacht gesungen, 40-42. In Emma Niendorfs Merkbüchlein, 649. Inneres Gericht, 531-332. Irrtum, 875-577. J Jugend und Liebe, 448. K Komm an! 595. Kommen und Scheiden, 451, 638-639. Kompetenz, 572, 579-581. König und Dichter, 66-69, 482. Kruzifix, 431, 433-434, 445, 730. L Lass mich ziehn! 697-699, 737. Lebe hoch! Sophie! die edle Frau! 561-562. Lebewohl an Eugenie, 341-342. Leichte Trübung, 117. Lenz, 666, 790. Liebesfeier, 261-262, 790. Liebesfrühling, 451, 638-639. Liebe und Vermählung, 332-333. Lied eines Schmiedes, 355. M Marie und Wilhelm, 427-129, 169. Meeresstille (Stille!...), 278-279, 282, 332, 358. Meeresstille (Sturn...), 356-357, 368, 372. Mein Herz, 669-670, 699. Mein Stern, 238-239. Mein Türkenkopf, 401-402. Meine Braut, 211, 213. Meine Furcht, 375, 384-388, 401. Meine Rose, 451. Mit einem Edelmardermuff, 459. Mit meinen Gedichten, 748-749, 751. Mit Orangen, 270. Mit unaufgeblühten Blumen, 270. Musa teleologica, 571. N Nachhall, 486-487. Nach Süden, 243-244, 268, 347. Nächtliche Wanderung, 147-118, 127, 428, 185, 665, 789. Naturbehagen, 655-656. Nebel, 113. Neid der Sehnsucht, 384, 385, 449-551. Niagara, 314, 356, 360. Nie zurück! 240, 244. Nüchterner Blick, 687-689. o 0 dass die Erd! 479. Ohne Wunsch, 340-341. P Palliativ, 116, 151, 154, 532-533. Passiver und aktiver Beifall, 590-591. Poetisches Votum, 504. Primula veris, 285, 294, 303-305. Prolog, 526-527. N RE ERDE BUT SUSSTOSTRERREREN ;-' POG. IR, TER y. AR“ 814 ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTE. Prolog zum Jubelfeste des Erzherzogs Karl, 712-714, 794. Protest, 285, 298, 713. R Reise-Empfindung, 240-243, 268. Reiseunbehagen, 629. Reiterlied, 78. Rezept, 27. Robert und der Invalide, 426-127, 168. Ss Schade! 595-596. Scharade, 271-272. Seheideblick, 341. Scheiden, 338-339, 344, 347. Scheu, 434-435, 443, 445. Schilflieder, 124, 211, 215, 231-236, 248, 249, 268, 363. Schlaflose Nacht, 408-406, 522, 727, 795. Schwärmer, 347. Seemorgen, 282, 306, 318-319. See und Wasserfall, 629-630. Sehnsucht nach Vergessen, 92-93, 113. Sommerfäden, 101-102, 143, 326. Stille Sicherheit, 339-340. Stimme der Glocken, 493-498, 50%. Stimme des Kindes, 493-498, 504. Stimme des Regens, 493-498, 504. Stimme des Windes, 492-498, 504. Studentenreise, 733-736. Stumme Liebe, 356, 368, 371-372, 375, 376. Sturmesmythe, 356-358. T Täuschung, 435-438, 445, 652, 665, 791, 792. Theismus und Offenbarung, 271. Tod und Trennung, 447-448, 509. {) Tränenpflege, 528-529, Trauer, 330-331. Traum, 189-190, #06. Traumgewalten, 406, 592-524. Traurige Wege, 475. Trias harmonica, 43-44, 482, 788. Trinksprüche, 656. | Trutz euch ! 594-595. U Unberufen, 399-401, 564. Unmögliches, 22, 23, 2-26, 64. Unmut, 114. V Vanitas, 131-132, Veränderte Welt, 717. Vergangenheit, 124. Vergänglichkeit, 440-111, 424, 149,145. Verlornes Glück, 704-705, 768. Verschiedene Deutung, 314, 356, 359-361, Vision, 513, 517-519. Vorbei, 671-672. Vorwurf, 491, 505-506. Ww Während eines Gewilterregens, 445. Waldestrost, 285, 294, 298-299, 795. Waldgang, 337-340, 347. Waldlieder, 242, 362, 516, 702, 719- 731, 7138, 794, 795. Wandel der Sehnsucht, 356, 368-373, 375, 376, 384. Wanderung im Gebirge, 162-164, 475, 178, 479, 333, 381. Wandrer und Wind, 282-283, 358. Warnung im Traume, 321-324, 381. Warnung und Wunsch, 985, 293. Weib und Kind, 414-417, 422, 438, 513. Welke Rose, 731. ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTE. 815 Wer seine Jugend überlebt, 661-662. Winternacht, 231, 232, 237-238, 247, 249, 268. Wunsch (Urwald...), 370, 375, 384-389, 404, 431. Wunsch (Fort möcht ich...), 370, 385, 388- 390, 405, 551. zZ Zeiger, 344-345, 401, 597. Zögerung, 43, 788. Zueignung, 547-550. Zuflucht (Armes Wild), 365-367, 496. Zuflucht (Tut man...), 141. Zuruf, 667, 684-687. Zuruf an meinen Geist, 69-70. Zu spät! 238-239. Zweierlei Vögel, 468-470, 564. Zweifelnder Wunsch, 703-704, 733. Zweifel und Ruhe, 677. Zwei Polen, 538-539, 513. GRÖSSERE DICHTUNGEN. — BRUCHSTÜCKE. — PLÄNE. — AUSGABEN. Albigenser, 145, 134, 451, 174, 468, 489, 504, 515, 518, 319, 535, 537, 545, 558, 598-607, 611-615, 618, 631-635, 645, 646, 649, 650, 655, 661, 663, 666, 667, 671-673, 677, 679-681, 684, 685, 688-690, 709, 710, 712, 714, 718, 730. Anna, 530, 554, 597. Balduin, 693. Barbara Radziwill, 255, 261, 264, 274, 349. Die Marionetten, 206, 217-218, 255, 264, 275, 285, 292, 293, 306, 380, Don Juan, 377, 425, 489, 716, 723, 726- 728, 735, 736, 738-740, 742, 747, 750, 757, 759, 706. Faust, 37, 39, 140, 451, 238, 279, 281, 308, 322, 324, 327, 331, 336, 345, 349- 366, 370-373, 376-379, 332, 383, 387- 389, 392, 394-398, 404-407, MA-44, 425, 428, 429, 451, 484, 523, 525, 528, 538, 540, 543, 545, 554, 573, 574, 583, 384, 592, 594, 596, 600, 608, 609, 642, 643, 649-652, 662, 718, 727. Gedichte : 1. Auflage 1832. 967-268 9,0. 41884. , 380-381 3. Auflage 1837. 481-482 % vd, 662 Neuere Gedichte : 1. Auflage 1838 . . 596-597 BT LAS NER 662 Gedichte (Gesamtausgabe) 1841. 674 _ _ 1843. 714 1844. 737-738 Helena, 442, 443. Klara Hebert, 197, 474, 255, 264-267, 491, Hus (Huss), 434, 444, 480, 501. Hutten, 434, 44h. Mischka, 397, 398, 404, 513, 679, 690, 691, 714, 718, 738. Savonarola, 174, 355, 428, 443-445, 451, 455-458, 460-464, 468, 469, 472-474, 4719-481, 497, 514, 535, 546, 567, 572, 574, 579-588, 591, 592, 596, 601, 604, 608-610, 615, 636, 642, 643, 694, 730, 737, 738, 747, 780, 794. Sehnsucht nach Offenbarung, 254, 319. Ziska, 501, 632, 673, 679, 690, 738. Ri | Ü i 4 | h f PRIIR : K ' t € E Br 8 Ü YSHeoh w u Ö 2 SUR en ji A N i En X6 : MN: f a I EIN; Y y { } ; RUN NUHRE { ei) f Pi . 0 x | % M ULg Library PU SS we 1237 we er ee |": Be